18 Mai 2017

Wasch mich, aber mach mich nicht nass …

Lesedauer 5 Minuten

Ein schriller Schrei hallt durch die Presse und Politik. Skandal! Ein späterer Terrorist hat vor seinem Anschlag Straftaten begangen. Der Skandal: Die Polizei schaute zu und unternahm nichts. So zumindest sieht es bisher nach aktueller Berichtslage in der Presse aus.

Nun haben Entscheidungen die Eigenschaft, dass sie mit dem Kenntnisstand getroffen werden, der in diesem Augenblick vorliegt. Nicht mit dem Wissen nach einem Tag, einem Monat oder einem Jahr später. Dies bedeutet, der Terrorist war noch keiner, als er beobachtet wurde, sondern ein religiöser Fanatiker, dem die Polizei und der Verfassungsschutz potenziell unterstellten, vielleicht mal einer zu werden. Damit ist er kein Einzelfall, sonder er befindet sich in der Gesellschaft diverser anderer Salafisten in dieser Stadt und in der Bundesrepublik Deutschland.

Die Gesetzeslage ist jedem Bürger frei zugänglich. StPO und ASOG regeln die Möglichkeiten der Polizei zur Bekämpfung, Aufklärung und und Abwehr von Straftaten. Telefonüberwachungen und Observationen, sind Teil dieses Maßnahmenpakets. Das Ganze ist mehr als das einzelne Teil. Dies ist eine sehr alte Weisheit. Und ebenfalls vor langer Zeit, stellten die Strafverfolgungsbehörden zusammen mit der Politik fest, das es bei der Sache eine Hürde gibt. Wie soll man eine Mafia – Struktur verdeckt beobachten, wenn die Polizei schon bei kleinen Delikten Zugreifen muss? Ergo sich auf das Einzelne beschränkt, während man sich doch eigentlich ums Ganze kümmern will. Am Ende wird sich der Boss der Truppe ins Fäustchen lachen. Wie soll man eine Terrorzelle heimlich beobachten, wenn bei jeder Straftat sofort ein Zugriff erfolgt? Das kleinste Teil wird betrachtet, aber das gesamte Bild kann nicht mehr erfasst werden.

Laienhaft ausgedrückt, hatten Staatsanwälte, Politiker und Richter eine schlaue Idee. Wir dokumentieren die Tat, aber stellen den Zugriff, also die Aufdeckung der Maßnahme zurück. Immer funktioniert hat das nicht. Schon in der «Steinzeit» der OK – Bekämpfung gab es da Probleme. Zum Beispiel arbeitete einst das BKA mit dem FBI zusammen, weil sich in Deutschland absolute «Mafia – Größen» trafen. Das FBI war perplex, als das BKA sich für einen Zugriff entschloss und die «Graf – Affäre» ins Rollen brachte, in Folge dessen sich die Mafia – Paten lachend aus Deutschland entfernten und die Gesellschaft etwas zum Glotzen hatte. Das ist jetzt schon sehr lange her, und man mag meinen, seit dieser Zeit ist etwas passiert in Deutschland.

Andere Fälle folgten, aber in vielen Fällen wurde die Polizei schlauer und professioneller, bis zu einem nicht benennbaren Zeitpunkt, an dem sich alles wieder zurück entwickelte.  Es dürfte sich auch eher um einen schleichenden Prozess gehandelt haben. Ein Grund dafür ist meiner Meinung nach die immer mehr schwindende Bereitschaft Risiken einzugehen, Entscheidungen zu treffen, volkstümlich gesagt: “Einen Arsch in der Hose zu haben!”

Gerade die Terrorismusgefahr stellte alle vor neue Herausforderungen. Wielange zusehen? Ab wann kann das Risiko nicht mehr getragen werden? In der Presse steht dann immer: Der Generalbundesanwalt entschloss sich für einen Zugriff, auch wenn es noch zu keinen konkreten Handlungen gekommen ist. Eine Entscheidung, die zwar richtig ist, aber den Tätern in der Regel eine geringere Strafe beschert.

Nun, wir schreiben das Jahr 2017. Wer sind diese potenziellen Terroristen? Religiöse Fanatiker mit einer etwas kruden Weltsicht. Sie wollen die westliche Zivilisation schädigen. Dieses wollen sie mittels Terror und auch durch Kriminalität erreichen. Ladendiebstahl, Betrügereien und Drogen dienen nicht nur der Finanzierung, sondern auch der Sache. Denn sie schädigen die böse Gesellschaft, die ihrer Auffassung nach den Krieg gegen die «guten» und «wahren» Gläubigen eröffnet haben. Dies behaupten sie jedenfalls in ihren Foren.

Immer stellen sie sich auch die Fragen: Was weiß die Polizei oder der Verfassungsschutz? Welcher «Bruder» wird gerade beobachtet? Ein stetes «Katz und Maus -Spiel». Konspirative Treffen, Verstecke organisieren und Besorgungen unter dem Radar der Sicherheitsbehörden machen, ist alles Bestandteil des Terroristenleben. Das ist bisweilen auch ein hartes Leben. Aber es wird einfacher werden, dafür sorgen wir selbst.

Gesetzt den Fall, die bisherige öffentliche Behauptung ist wahr. Was wäre passiert, wenn man einen Amri wegen ein bisschen Drogenhandels festgenommen hätte? Im günstigsten Fall hätte er eine kleine Strafe bekommen. Das hätte nichts an seiner Überzeugung und an seinen Plänen geändert. Niemand glaubt ernsthaft an eine Abschiebung. Spätestens nach einem Jahr wäre der alte Zustand eingetreten: Amri frei und ein potenzieller Terrorist mehr auf der Straße. Dies haben in den vergangenen Jahren diverse «Brüder» vorgemacht. Selbst die Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hatte bei Ihnen nichts geändert. (Wer das recherchieren will, muss sich nur mit dem Umfeld eines Denis Cuspert auseinandersetzen.)

Aber eines hätten Amri und Co. schnell erfahren. «Wir werden beobachtet! Und freundlicher Weise sagt uns die deutsche Justiz auch noch in welchem Umfang. Wo und Wer!» Spätestens die Rechtsanwälte sorgen mittels Akteneinsicht und Kopien für die Verbreitung der Informationsbroschüre. Jeder Prozess macht sie ein wenig schlauer. Das funktioniert im Bereich der Organsierten Kriminalität und auch bei Terroristen. Dieser Prozess ist systemimmanent. Für einen Terroristen eine Art Jackpot, für die Gesellschaft ein hoher Preis. Den Anschlag hätte es nicht verhindert.

Ich habe es nahezu vor dem geistigen Auge, wie sich die «Brüder» frohlockend bei einem Tee treffen. «Die Kuffar sind so dämlich! Sie bauen sich selbst Druck auf. Wir müssen vor dem Anschlag nur ein wenig dealen oder etwas klauen. Werden wir festgenommen, wissen wir, woran wir sind, passiert nichts, kann die Aktion starten!»

So ist das mit der Assekuranz Gesellschaft. Es darf nicht passieren, was nicht sein kann. Und kommt es dennoch zu einem Terroranschlag, muss es irgendwo bei den Sicherheitsbehörden einen oder mehrere Schuldige geben. Logisch betrachtet, ist es vollkommener Schwachsinn, aber wer denkt heute schon noch logisch?

Unbedeutend wie Amri zu Lebzeiten war, er hat am Ende mit wenig Aufwand viel erreicht für seine Sache. Er hat alle verunsichert und die Reflexreaktionen der Gesellschaft ausgelöst. Sonderermittlungen, Untersuchungsausschüsse, rollende Köpfe und eine Entwicklung ausgelöst, die es seinen «Brüdern» in Zukunft leichter machen wird, die dann besser den nächsten, mit absoluter Sicherheit folgenden Anschlag, vorbereiten können.

Und auch andere Verbrecher werden ihm dank schulden. Denn Sicherheitspolitiker und Polizei reagieren immer mit der Gießkanne. Welche Strafverfolgungen werden noch auf einen späteren Zeitpunkt zurückgestellt, wenn am Ende das Risiko besteht, dass man deshalb selbst vor dem Richter landet?

Es gibt ein sehr altes Motto bei der Polizei: «Wenn Du Deine Arbeit richtig machst, stehst Du mit einem Bein immer im Knast!» und es heißt auch: «Sie dürfen alles machen, aber es darf keine Außenwirkung haben. Passiert etwas, sind sie fällig!»

Denn eins steht fest, diverse Anschläge wurden damit verhindert, in dem die Polizei die Nerven behalten hat und nicht zu schnell zugegriffen hat, deutlich mehr, als bisher passiert ist. Ein Umstand, der gern in der Hysterie übersehen wird.
Wie gesagt, ein sehr altes Motto. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein junger Beamter beim aktuellen Zeitgeist dieses noch riskiert. Warum auch? Für eine Gesellschaft, die sich hysterisch sofort gegen die Polizei wendet und keine rationale Überlegung anstellt? Für eine Gesellschaft, deren Propaganda Blätter sofort krakeelen: “Die Lügen -Polizisten! Was passiert?” Es wird Licht ins Dunkle kommen, der Sonderermittler wird es unter Aufsicht des Innensenators akribisch erforschen. Die “Beamtenmörder” werden die eine oder andere Überstunde schieben müssen. “Strafvereitlung im Amt!”, das ist ein schweres Geschütz. Die Prüfung wird lauten: Tatbestandlich? Vorsätzlich? Rechtswidrig? Zumeist wird der Aussenstehende beim Tatvorwurf “Strafvereitlung im Amt” immer auch einen Nutzniesser suchen. Wer hatte einen Vorteil davon, dass der Ermittler “angeblich” die Strafe vereitelte? Ich finde das eine sehr interessante Fragestellung. Welcher Polizist hätte etwas davon gehabt, dass ein Amri  straffrei ausgegangen wäre? Verfolgte die Polizei vielleicht Ziele, die gar nicht so abwegig sind? Wir werden es vielleicht erfahren. Was wir nicht erfahren werden ist die Antwort auf die Fragen: “Hätte ein Amri überhaupt eine Haftstrafe bekommen? Wäre er abgeschoben worden?” Ich persönlich kann es nur mutmaßen: NEIN! Es wäre alles genau gekommen, wie es kam.

An Stelle der betroffenen Ermittler, würde ich mir die Frage stellen: Wozu das alles? Ab sofort: Zugriff und nach mir die Sintflut. Eines Tages ist das Hemd näher als die Hose. Denn in diesem Spiel kann der Ermittler nicht gewinnen. Entweder er greift früh zu, dann wird er nichts über die Struktur erfahren, greift er später zu, hat er unter Umständen Erfolg und ist drei Tage der Held; aber er hat auch das erhebliche Risiko, das etwas passiert.

Ungünstiger Weise bezieht sich dies auf mehrere hundert Personen. Heute den einen mit ein paar Gramm eingefangen und am Ende des Tages entschließt sich “Bruder 126” zum Anschlag. “Warum haben Sie sich mit dem Ersten solange beschäftigt? Sie hätten doch wissen müssen, dass der andere Islamist den Anschlag macht!”


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Verfasst 18. Mai 2017 von Troelle in category "Politik", "Politik", "Politik u. Gesellschaft", "Polizei", "Terrorismus", "Texte

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