Ein netter sozialistischer Abend
In einem beschaulichen Biergarten, traf ich letztens ein paar Vertreter eines SPD Ortsverbandes, die sich dort nach anstrengender politischer Arbeit ein paar Biere gönnten. Eine bunte Mischung von Menschen unterschiedlichsten Alters, alle eher sehr brav. Ich setzte mich dazu, stellte mich artig vor und wir kamen ins Gespräch.
Reger Anteil wurde am neuen Buch des Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh «ICH Deutsch», genommen. Nicht wenigen erschien das «ICH» auf dem Cover ein wenig zu groß ausgefallen. Auch wurde die Frage gestellt, wie es denn eine «Neue – Leitkultur» geben könne, wenn noch nicht einmal klar wäre, ob es denn so etwas wie eine «Leitkultur», überhaupt existiert. Da ich das Buch noch nicht gelesen habe, bisher nur das fragliche Cover kenne, enthielt ich mich. Aber wenigstens kann ich für mich sagen: Ja, das ICH ist definitiv zu groß und vermittelt eine eigenwillige Botschaft.
Mit einigen der Anwesenden sprach ich dann über politische Arbeit in einem Bezirk. Einer der Gesprächspartner, wie ich etwas später heraus bekam, der örtliche Leiter, betonte mehrfach, dass alles seine Ordnung haben müsse. Ich lauschte seinen Ausführungen darüber. Innerlich beschlich mich der Eindruck, dass er von der Mentalität her auch gut den Vorsitz eines Kleingartenvereins übernehmen könnte. Bisher hatte ich immer gedacht, die kleinbürgerlichen Vorstellungen wären eher bei der CDU angesiedelt. Während dieser Ausführungen beobachtete ich versteckt meine sehr junge Sitznachbarin. Ich fragte sie, warum sie sich in der Partei engagieren würde. Sie sagte mir, dass sie nicht immer nur reden wollte, sondern auch mal etwas bewegen will. Ich setzte nach und stellte die Frage, ob sie dieses bei den anwesenden Menschen tatsächlich bewerkstelligen könne. Ich interpretierte ihr Ausweichen als ein hilfloses: Nein!
Nach und nach leerte sich der Tisch. In meinem Beruf sind die letzten Anwesenden bei solchen Runden, die engagiertesten, die innerhalb des «harten Kerns», noch einmal richtig zur Sache gehen. Da irrte ich mich. «Wir haben einen anstrengenden politischen Tag hinter uns. Politik ist für heute vorbei!» Damit endete dann aber auch mein Interesse an der Truppe.
Ordnung? Vorsitzender, Kassierer, Geschäftsordnung, Tagesablaufprotokoll und alles muss seine Richtigkeit haben. Am Rande waren aber auch Aussagen zu hören: «Wenn ich dem wie üblich in den A … gekrochen wäre, hätte ich längst eine Funktion und ausgesorgt.» Irgendwoher kenne ich das sehr gut. Ich bin beruflich in einer Behördenhierarchie herangewachsen und alles an diesem Abend kam mir sehr vertraut vor. Ich habe in den zurückliegenden dreissig Jahren viel darüber gelernt, welche Eigenschaften ein Mensch haben muss, wenn er in einer Hierarchie nach oben aufsteigen will. Kompetenz ist selten ein ausschlaggebender Faktor beim Aufstieg. Auch wenn dieses natürlich von den Spitzen gern behauptet wird. Wenn ich den Tisch auf Entfernung observiert hätte, wäre mir schnell klar gewesen, wer der Vorstand ist.
Als politisch Interessierter stellt sich die Frage, willst Du Dir für Deine Ziele dieses antun? Am Ende stehst Du mit Deiner ablehnenden Haltung gegenüber solcher «Hierarchiemenschen» im Abseits und erfüllst besten Falls deren Ideen. Oder solltest Du für Deine politischen Ideale Deine menschlichen Ideale verraten? Im Ergebnis steht dann auch bei Dir selbst ein viel zu groß geratenes «ICH» auf einem Cover.
Nachdenklich verließ ich den Tisch und setzte mich an einen Tisch mit Jusos. Schnell kam das Thema, Hamburg und die Polizei auf. Assoziativ war auch die Bundeswehr schnell mit dabei. Den Wortführer fragte ich, woher er denn seine Informationen her nehmen würde. War er selbst mal bei der Polizei oder beim Bund? Hieraufhin wurde er sehr hitzig. Ein sehr junger Mann um die zwanzig Jahre forderte mich deshalb auf, doch besser den Tisch zu verlassen. Nein! Jetzt wurde es doch endlich interessant. Er konnte mein Verhalten überhaupt nicht nachvollziehen, dafür wurde der Hitzkopf ruhiger und begann sich ernsthaft mit mir auseinander zu setzen.
Trotzdem war ich sehr erschrocken darüber, dass ein Vertreter meiner eigenen Partei, ohne jegliche Differenzierung vor sich hin pöbelte. Die Polizei! Immerhin besteht die aus einzelnen Polizisten, einer taktischen Führung, einer politischen Führung und unterliegt immer noch der Weisungsbefugnis der Politik. Das war also der Nachwuchs! Ein verschrecktes Jüngelchen und ein älterer Hitzkopf. Nicht wirklich gute Voraussetzungen.
Aber immerhin beantworteten sich mir einige Fragen. Nach dem Abitur standen wir alle auf der Straße mit einem großen Fragezeichen auf der Stirn? Und nun? Wo soll es hingehen? Die Kritischen und Kreativen unter uns, versuchten sich zu verwirklichen. Viele gerieten mit Autoritäten in Streit und wurden deshalb «ausgebremst». Die wandelbaren und anpassungsfähigen Vertreter stiegen nach Studiengängen wie Jura, BWL oder Verwaltung nach «Oben» auf. Machtmenschen innerhalb eines Systems, welches auf Macht und Prestige ausgerichtet ist.
Kennen Sie dieses Schulhofbild in der großen Pause? In der einen Ecke stehen die mit den bunten Haaren, den schrillen Klamotten und der rebellischen Grundhaltung. Auf der anderen deutlich größeren Seite stehen die «Angepassten», jene die von unserem Schulsystem favorisiert werden. Dann hätten wir da noch die «Intelligenzbestien», die schwer Anschluss finden. Weder die abseits in der Ecke stehenden Querschläger, noch die Intelligenzbestien wissen, dass sie in der Zukunft von den Anpassungsfähigen politisch bestimmt werden. In der Logik generieren sie sich ständig selbst auf ein Neues.
Wenn wir nicht lernen, die Querdenker zu schätzen, dieses andere Denken der Anpassung vorzuziehen, wird sich das nicht ändern. Bisher sehe ich diesbezüglich nur sehr wenige Tendenzen. Immerhin machen wir uns neuerdings Gedanken über eine Leitkultur. Es geht offensichtlich nicht um gemeinsame kulturelle Vorstellungen, die durch die Teilnahme aller Gruppenmitglieder entstehen, wandelbar und offen ist. Die Menschen, deren Zusammenleben ein Ergebnis aus dem Verschmelzen des Römischen Reiches, des Christentums und der «babarischen» Völker ist, suchen mal wieder eine Leitlinie. Der Mensch muss geleitet und geführt werden, wo kommen wir denn sonst hin?
Viele meinen dabei sicher die Regeln, die unser friedliches Zusammenleben sichern. Das ist aber keine Kultur, denn die umfasst erheblich mehr. Diese Regeln haben einen eigenen Namen, nämlich Gesetze und basieren bei uns auf dem Grundgesetz. Ein zentraler Gedanke des Grundgesetzes ist, dass in die Freiheit des Bürgers immer nur mittels Gesetz eingegriffen werden darf, welches mit dem Grundgesetz konform läuft.
Die einen fordern, dass sich Leute aus einer anderen Kultur der vorhandenen anpassen müssen und die Gegenseite fordert, dass die vorhandene Kultur auf die Neue zugehen muss. Beide übersehen, dass Kultur entsteht, ohne dass wir leitend eingreifen, es sei denn, wir leben in einer Diktatur. In der wird nämlich per Leitlinie vorgegeben, was Kultur ist, dabei entstehen dann so seltsame Begriffe wie «Entartete Kunst». Auch die katholische Kirche hat uns lange eine Leitkultur vorgegeben. Jeder der sich dieser Vorgabe nicht beugte, wurde zum Ketzer erklärt. Nehmen wir an, eine Leitkultur würde festgelegt werden, was passiert, wenn ich mich anders verhalte? Wer darf unter ethischen Gesichtspunkten die Leitlinien festlegen? Die Katholische Kirche? Der Bundespräsident? Der Deutsche Freidenker Verband? Eine noch zu schaffende Ethikkommission? Wen berufen wir dort hinein? Und auch wenn ein Saleh “Eine bunte Kultur”, fordert, so greift er doch den Leitgedanken auf. Aber wie gesagt, es gilt, dieses Buch noch zu lesen.
Querdenker des Sozialismus habe ich an diesem Abend nicht kennengelernt. Die Information, dass es sich um ein Treffen der SPD handelte, erwies sich als wichtig. Sonst hätte ich gedacht, es ist ein Treffen der CDU. Stutzig macht mich ein wenig, das ein SALEH aus der Mitte der dort anwesenden Personen hervor gegangen ist. Vielleicht geht es ihm ja mehr um die Position der Migranten in dieser Kultur. Einer sagte an diesem Abend: “Raed ist kein Kulturschaffender oder Philosoph, sondern ein Politiker!” Politik und Kultur, nun diese Kombination dürfte Geschmacksache sein, vor allem wenige Monate vor der Wahl.
Ich werde mir mal demnächst einen Stammtisch der LINKEN und der GRÜNEN vornehmen. Mal sehen, was ich dort erlebe.