14 Dezember 2017

2017 – Nachlese

Lesedauer 11 Minuten

Die letzten Tage des Jahres 2017 brechen an. Ungewohnt häufig wurde in diesem Jahr über die Berliner Polizei berichtet. Prinzipiell begann es mit dem Ende des Vorjahres. Ein Anfang zwanzigjähriger Sohn eines verarmten tunesischen Gemüsehändlers ermordete erst einen polnischen LKW – Fahrer, bemächtigte sich des Fahrzeugs und raste in eine Menschenmenge am Berliner Breitscheidplatz. Der junge Mann ist kein Einzelfall, sondern Teil einer ganzen Bewegung. Es sind desorientierte Jungerwachsene die ziellos durch Nordafrika und Europa ziehen und denen seitens einer radikalen Sekte, die sich vom Islam abgespalten hat, ein Heilsversprechen bekommen. Sie müssen nur einen Satz aussprechen, werden damit in einer Gemeinschaft aufgenommen und ihrem bisher unbedeutenden Leben wird ein Sinn gegeben.
Anteile der Deutschen Bevölkerung sind fassungslos, da sie nicht verstehen können, dass ein derart erfolgloser Typ so viele Menschen töten oder schwer verletzen kann. Dies hätte doch verhindert werden müssen. Im Nachgang schwärmen alle aus und suchen nach einem Schuldigen. Schnell ist von einem Versagen der Berliner Polizei und des Staats die Rede. Vergessen sind die verhinderten Anschläge. Gleichermaßen erinnert sich niemand mehr an all die Verfahren der Vergangenheit, in denen die Polizei hervorragende Arbeit leistete. Reda Seyam, der Deutsch – Ägypter, welcher zusammen mit Pierre Vogel auf Menschenfang ging, ist kein Thema mehr. Deniz Cuspert, eines dieser aus der Indoktrination hervorgegangenen Geschöpfe interessiert nach seinem vermeintlichen Tod niemand mehr. Ein Labahn, der einst für Seyam das Kamerakind spielte und von einer Berliner Arbeitsvermittlung eine Sicherheitsstelle am immer noch nicht geöffneten Flughafen BER zugewiesen bekam, ist Historie. Diverse radikale Prediger aus der Al nur – Moschee in Neukölln, die Salafisten in der ehemaligen Moschee in der Tromsöerstr., Berlin – Wedding, sind ebenfalls Geschichte. Jedenfalls für die Öffentlichkeit und die Presse. Tausende Einsatzstunden und immensen Ermittlungsaufwand produzierten diese Typen. Mehrfach wurde es in den zurückliegenden Jahren brenzlig und die Polizei ging weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus.

Doch eines war immer klar! Eines Tages wird einer von den vielen durchschlüpfen. Es wird nicht der klassische Bartträger im Schlafanzug sein, sondern einer der relativ normal aussieht. Selbst die gewählte Methode war nicht überraschend. Schon zur Zeit der Loveparade wurde ein Anschlag verhindert, bei denen die Täter mit einem Fahrzeug in die Menschenmenge rasen wollte.
Weltweit hat jedes Land diese Erfahrung gemacht: Terror lässt sich nicht vollständig bekämpfen. Israel, USA, Spanien, Frankreich, England und viele mehr wurden Ziel für den Terror. Doch dem Bürger ist das egal, den interessiert nur die Sicherheit. Wenn es zu einem Anschlag kommt, muss jemand innerhalb des Systems versagt haben.

Der zynische Aspekt an diesem Anschlag wurde bereits vor langer Zeit formuliert: «Ein Terroranschlag ist mehr wert als 100 Personalräte!»

Das ist nichts Neues in der Bundesrepublik Deutschland. Es gäbe in Deutschland keine Rasterfahndung, Schleierfahndung, Spezialeinheiten und ausgeklügelte Informationssysteme, wenn es nicht RAF gegeben hätte. Die Polizei hat in Deutschland immer erst die volle Aufmerksamkeit und Geldzuwendungen, wenn etwas passiert. Heute ist dies nicht anders.
Zynismus ist auch der Umstand, dass sich nun Politiker gegenseitig auf die Schulter klopfen und Verbesserungen versprechen. Nach dem Anschlag ging es weiter. Die Schießtraineraffäre kochte hoch und fiel auf einen guten Nährboden, der zuvor vom Terror gedüngt worden war. Nun ist es aber nicht der Fall, dass Krebs im Körper eines Menschen plötzlich und unerwartet auftritt, sondern es handelt sich um einen langjährigen Prozess.
Auffälligerweise handelt es sich bei den Betroffenen um viele ehemalige Mitglieder von Spezialeinheiten, die vor dem Hintergrund der RAF Zeiten, gegründet wurden. In den neunziger Jahren übergaben die Alliierten der dankbaren Berliner Polizei mehrere Liegenschaften. Hierzu gehörten auch Fighting City (ein Gelände, welches mittlerweile mehr als bedauerlich aussieht), die Schießanlagen Bernauerstr. und die Range in Wannsee. In der Bernauerstr. herrschte immer der zweifelhafte Charme der Siebziger Jahre. Schon in den Achtzigern ,vermittelte einem die Anlage das Gefühl einer dieser Underdogs aus einem amerikanischen Krimi zu sein. Schwarzer Sandboden, zerschossene Balken, ausgemusterte Tische zum Waffenreinigen, eine selbst zusammengestückelte «Dreizimmer – Wohnung – Simulation», welche mit Sperrmüll vollgestellt war, eine etwas in die Tage gekommene Drahtseilzug – Anlage, mit der die Schießscheiben hin – und her gezogen werden konnten, rundeten das Bild ab. Mitglieder von Spezialeinheiten geben immer ein paar mehr Schuss im Training ab, als andere Polizisten. Also feuerte das SEK aus allen Rohren und gab die Halle für das MEK frei. Die Mitglieder des MEK warteten einen Moment, bis sich der Pulverrauch verzogen hatte und wieder freie Sicht bestand, um dann selbst den Raum einzunebeln. Hiernach ging es ans lästige Hülsensammeln. Mit bloßen Händen wurden die Geschosshülsen vom kontaminierten Boden aufgesammelt. Warum auch nicht? Eine halbe Stunde vorher hatte man ja noch auf ihm gelegen und im Liegen geschossen. Oftmals wurde es eilig, schnell verließ man die Halle, sprang ins Auto und fuhr zum Einsatz – Händewaschen wird überbewertet.

Neunziger Jahre! Der damalige sehr kritische Polizeipräsident Georg Schertz verließ das Amt. Schertz verließ eine Berliner Polizei, die nach dem Mauerfall vor vollkommen neuen Aufgaben stand und außerdem mit den Hypotheken einer vollkommen maroden Volkspolizei der ehemaligen DDR belastet war.

Er erkannte, dass sich die Zeiten ändern würden. 2003 brachte er dies kritisch in einer internen Publikation zum Ausdruck. Diese wurde prompt gestoppt. Der damalige Leiter der Polizeischule Otto Drecksler und der Chef vom Landespolizeiverwaltungsamt Andreas Walther, machten sich zum Erfüllungsgehilfen des Polizeipräsidenten und leiteten damit eine neue Ära in der Berliner Polizei ein. LPolD (a.D) Drecksler ist nebenbei der Leiter der Polizeischule, welcher zusammen mit dem ehemaligen Innensenator Körting bei der Verabschiedung der ausgebildeten jungen Beamten durch Abwesenheit glänzte, als diese nicht in die Polizei übernommen wurden. Er ist aber auch der viel beschäftigte Redner auf Kundgebungen, die von der AfD initiert werden.
Über Herrn Walther kursierten 2009 Gerüchte, dass er eventuell als neuer Vize – Präsident ins Gespräch kommen könnte. Dies war der Berliner Morgenpost einen Artikel wert, in dem es u.a. hieß:

« … Nach Angaben von Teilnehmern haben dabei die anwesenden Direktionsleiter vor allem die in ihren Augen gefährliche Personalreduzierung angesprochen. «Da wurde schonungslos die schlechte Stimmung in der Polizei dargestellt. In dieser Form und Geschlossenheit habe ich das noch nicht erlebt», sagte ein Teilnehmer. (Zitat: Berliner Morgenpost https://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article104345389/Spekulationen-ueber-Berlins-zweithoechsten-Polizisten.html

Immerhin acht Jahre später, positioniert sich der aktuelle Polizeipräsident Herr Klaus Kandt im November 2017, in einem Interview im Tagesspiegel mit den Worten:
«Am Anfang, also 2013, auch noch 2014 dachte ich, mit den gegebenen Ressourcen werde ich mit viel Mühe wohl auskommen. Mit dem Wissen von heute hätte ich gleich mehr Druck auf die Politik machen sollen, um Personal und Ausrüstung aufzustocken. Zitat: http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-polizeipraesident-klaus-kandt-wir-kaempfen-taeglich-mit-den-folgen-der-sparpolitik/20571228.html»

Wie gut, dass es da einen immer noch unermüdlich mahnenden kritischen Georg Schertz gibt:

«Auch Zahlen nennt er: „Heute sind weniger Polizisten auf der Straße als ich damals vor der Wende allein für West-Berlin hatte. Und wenn Beamte Verstärkung anfordern, bleiben sie doch immer in der Minderheit gegenüber immer größeren Täter-Gruppen. Das halte ich für unerträglich. Zitat: https://www.bz-berlin.de/berlin/ex-polizeichef-schertz-beklagt-unertraegliche-verrohung.“

Wohlgemerkt, der Mann ist nicht mehr im Amt, aber besitzt offenbar einen realistischeren Blick auf die Berliner Polizei, als der amtierende Präsident. Dies mag daran liegen, dass er sich in einer Stiftung immer noch für die Polizei engagiert.

Doch dank des Sohnes eines verarmten Gemüsehändlers im fernen Tunesien wird alles besser. Neue Einsatzkonzepte werden als die Heilsbringer verkauft, die bevor sie gelobt werden, erst einmal den Beweis antreten müssen, dass sie besser funktionieren. Der aktuelle Senat beweihräuchert sich mit der Anschaffung neuer Schusswaffen, obwohl die Anträge hierzu uralt sind. Die Schießstände werden modernisiert, sehr zügig, sonst könnte unter Umständen noch der Beweis bezüglich des Urzustandes festgestellt werden. Der jahrzehntelang verschleppte Prozess des Digitalen Funkeinsatzes, welcher immerhin bereits zur Fußball – WM vollmundig angekündigt wurde, ist wieder ein politisches Kampfthema.

Aber 2017 gab es noch mehr, als AMRI und die Schießtrainer. Polizisten, die man beim Anblick der Geschehnisse in Hamburg eher als zivile Soldaten bezeichnen mag, wurden in einer Barackenanlage beim Feiern vor dem Einsatz erwischt. Sie sollen sich mit Molotow – Cocktails und Steinplatten bewerfen lassen, aber an einen Zaun pinkeln ist moralisch verwerflich – eine verrückte Gesellschaft.
Ihr Verhalten wurde medial diskutiert, dass sie aber für eine widerliche Machtdemonstration missbraucht wurden, stand nicht zur Debatte. Interessanterweise wurde in der Diskussion auch angeführt, dass in einer solchen Anlage seltsame Verhaltensweisen vorprogrammiert sind. Ich frage mich dabei am Rande: «Wenn dieses schon für Polizisten gilt, was ist dann eigentlich mit traumatisierten Flüchtlingen, die dort Jahre ausharren?» Aber dieses nur nebenbei.
Kaum wurde es hierzu etwas ruhiger, tauchte eine Sprachnachricht auf und das Skandälchen um die Akademie kam ans Tageslicht. Nur wenige verstanden, dass das Problem nicht bei der Akademie liegt, sondern die Ereignisse dort nur eine sichtbare Hautreizung einer jahrzehntelangen Krankheit ist. Wie angeführt, brachen bereits 2009 die Direktionsleiter das Schweigen!
Ärgerlich ist dabei auch die Tatsache, dass die Mitverursacher sich mit dem warmen Deckmantel der Geschichte zudecken. Klaus Wowereit genießt seinen Ruhestand, Annette Fugmann-Heesing hat sich auf Steinkohle und Beratung des Öffentlichen Dienstes verlegt, Thilo Sarrazin findet Zeit, zum populistischen Erfolgsautor zu mutieren, und von Körting hört man gar nichts mehr. Vielleicht hat er mittlerweile verstanden, dass es keine gute Idee war, ausgerechnet mit der Salafisten – Hochburg «Al – Nur Moschee» auf Kuschelkurs zu gehen.

Wie kann man die Berliner Polizei bzw. den Öffentlichen Dienst verstehen?

Wenn man sich an den alten Ermittlergrundsatz des ermordeten italienischen Staatsanwalts Falcone hält, ist es eigentlich simpel: Folge der Spur des Geldes!

1994 wurde in Berlin das sogenannte «5 Säulenmodell» eingeführt. Verkauft wurde es als die große notwendige Reform, tatsächlich war es mehr eine Bastelarbeit mit Papier und Schere, die einige unliebsame Führungskräfte aus dem Weg räumte u. neue Seilschaft begründete. 1995 -97 durfte sich das Wirtschaftsberaterunternehmen «Mummert+Partner» um die Berliner Polizei kümmern. Dieses stellte fest, dass sich Berlin einen Führungswasserkopf leistete und viel zu komplizierte Hierarchiestrukturen besitzt. Neben diesen Erkenntnissen kamen die Prüfer auch zu Erkenntnissen, die sich aus den Unterschieden eines Betriebes in der Freien Marktwirtschaft und dem Öffentlichen Dienst erklären. Sicherheit und Prävention lassen sich nun einmal nicht zwingend marktwirtschaftlich analysieren. Sie fanden nämlich heraus, dass es zum Beispiel Spezialfahrzeuge gibt, die kaum bewegt wurden. Frage: «Haben sie dieses Material schon einmal eingesetzt?» Antwort: «Die stehen hier für den biologischen u. atomaren Katastrophenfall! Den Einsatz hätten sie bemerkt!» Gleichermaßen kritisch wurden die Einsätze beäugt. Die Prüfer konnten nicht nachvollziehen, dass auf einem Abschnitt nur ein Einsatzwagen zu einer Ruhestörung fuhr, während auf einem anderen gleich drei Wagen heraus eilten. Warum? Sehr einfach! Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine Gartenpartie handelt oder eine arabische Großfamilie eine Hochzeit feiert. Am Ende war es wenig überraschend, dass die Streifenwagen gestrichen wurden und der Wasserkopf blieb.

In Reaktion auf die Untersuchungsergebnisse wurde das Berliner Modell ins Leben gerufen. Für die Beamten ein Desaster, weil diverse Schichtzulagen wegfielen, häufigere Dienstantritte in der Woche erfolgten und das Arbeitsleben noch unübersichtlicher wurde. Parallel dazu wurden 2000 Stellen gestrichen. Dieser Umstand wurde zähneknirschend von der GdP zur Kenntnis genommen.
Im nächsten Zuge erfolgten die Zusammenlegungen von Abschnitten, verschont wurde ausschließlich der Bereich des Regierungsviertels – ein Schelm, wer dabei Böses vermutet. Alles wurde stets begleitet von wohlfeilen Texten, die dies als positive Reformen verkaufen sollten.

Zusätzlich wurde erheblich bei der Besoldung eingespart. Erst wurde das 13te Monatsgehalt nur noch anteilig gezahlt, dann gar nicht mehr. Urlaubsgeld und Zulagen folgten nach und nach. Endgültiger Motivationsablass war letztlich der Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters Wowereit, der den Zusammenschluss der Bundesländer bei der Besoldung zerschlug, welcher die mit am meisten mit Kriminalität belastete Stadt Deutschlands auf den letzten Platz der Besoldung verwies. Die daraus entstandenen Verluste sind nicht mehr aufzuholen. Nach Urteilslage des Bundesverfassungsgerichts besteht über Jahre hinweg eine Differenz zu anderen Bundesländern, die nicht verfassungsgemäß ist, anders formuliert: Das Land Berlin sitzt gegenüber seinen Beamten auf einem Schuldenberg. Wenn 2017 der Senat frohlockt endlich wieder Geld zu haben, dann wurde dieses Geld u.a. verfassungswidrig aus den Taschen der Bediensteten geholt.

Doch was schert einen Berliner Senat das Verfassungsgericht? Oder besser noch, die Richtlinien einer EU? Viele Beamte in einem sinnvoll geregelten Schichtdienst zu behalten ist kostspielig. Wie schön, wenn man sie im Zuge einer Rufbereitschaft nur anteilig bezahlen muss. Die modernen Kommunikationsmittel machen es möglich. Zum Thema Rufbereitschaften äußerte sich das VGH Baden Württemberg, im Urteil vom 26.06.2013 , Az. 4 S 94 /12 mit der Feststellung,

«Bei der Rufbereitschaft dürfen keine zeitlich engen Vorgaben von der Alarmierung bis zur Aufnahme des Dienstgeschäfts am Einsatzort erfolgen (der Beamte müsse nur „alsbald“ vor Ort sein, nicht „unverzüglich/sofort»
und
«Die Rufbereitschaft dürfe nur sporadisch und nicht mit einer prognostisch verlässlichen Regelmäßigkeit von Einsätzen unterbrochen werden.»

Über diese beiden Sätze kann jeder Sachbearbeiter des LKA Berlin, aus den Bereichen OK, Staatsschutz, Rauschgift und die Mitglieder des LKA 6 (MEK) nur herzhaft lachen. Wie kommt das Gericht zu solch wilden Feststellungen? Sie basieren auf den Arbeitsrichtlinien der EU, die zwar die Ausnahme Soldaten und Sicherheitskräfte kennen, aber stets darauf hinweisen, das Abweichungen die Ausnahme bleiben sollen. Wieder einmal geht es nur um Geld und Personal.

Die Polizei? Die gibt es nicht!

Wen wundert es da noch, wenn Polizisten im Einsatzdienst nach und nach ausbrennen? Diese Einschränkung habe ich sehr bewusst in diesen Satz eingebracht. 2017 wurde stets über die POLIZEI diskutiert. Die existiert de facto aber nicht. Es liegen Welten zwischen den unterschiedlichen Aufgabengebieten und den damit im Zusammenhang stehenden Belastungen. Die Unterschiede liegen nicht nur bei Schutz- und Kriminalpolizei, sondern mehr zwischen Beamten «an der Front» und denen im Büro. Wie immer in unserer Gesellschaft wird die körperliche Arbeit schlechter bezahlt, als der Dienst am Schreibtisch. Einem Schreibtischtäter ist es ziemlich egal, ob er eine brauchbare Taschenlampe hat oder er regelmäßig schießen gehen kann. Vor einigen Jahren wurde beispielsweise wegen Haushaltseinsparungen die Übungsmunition rationiert. Dies wurde am Schreibtisch sicherlich nicht bemerkt. Schichtdienst, Bereit- oder Rufbereitschaften gehen an Stabs – Mitarbeitern in der Regel vorbei. Bei sozialer Isolierung durch Überstunden und unregelmäßigen Dienstzeiten können die nicht mitreden. Die können auch nicht verstehen, welche Wirkung die Streichung einer Fahndungskostenpauschale hat. Wer hat schon Lust nach einem ereignisreichen Einsatz in Zivil minutiös für irgendeinen «Tinten – Urinierer» die Ausgaben aufzulisten? Und wieder wurde gespart.
Auch das zeigte sich 2017 wieder sehr deutlich. In der Berliner Polizei existiert eine Zweiklassengesellschaft. Die Bundespolizei, deren Besoldung deutlich höher angesiedelt ist, wurde vor 7 Jahren im Auftrag des BMI im Rahmen der BEERLAGE Studie (u.a. nachzulesen Deutsche Polizei 9/12, S.22) untersucht. Innerhalb der Studie wurde festgestellt, dass jeder 4te der Beamten im Einsatzdienst als «ausgebrannt» zu bewerten ist. Zur Erinnerung: Ausgebrannt ist eine nette Umschreibung für «von Depressionen geplagt!». Prof. Dr. Strohmeier von der TU Chemnitz stellte hierzu fest, dass 76 % Wochenend – Dienste, Überstunden, Schichtdienst und die mangelnde Vereinbarkeit des Berufs mit der Familie, als extrem belastend empfinden. NIEMAND wird in Berlin eine derartige Studie in Auftrag geben, man wahrlich kein Wahrsager sein, um das Ergebnis bereits vorher zu kennen.

Sollten die Zahlen in Berlin auch nur ansatzweise ähnlich liegen, fahren da draußen eine Menge belastete Leute mit Blaulicht und Schusswaffe durch die Straßen. Da muss sich keiner gesteigerte Sorgen um die Polizeischüler machen, die sind noch frisch. Bei einem Durchschnittsalter von Anfang 40 in der Berliner Polizei, sollte man sich eher Sorgen um die «Alten» machen. Lange «Strassenterrier» zu sein, formt den Charakter und die Bewertung von Gesten. Wenn die Polizeiführung 2017 zu Weihnachten Keksteigausstecher in Form eines Polizeisterns mit Begleitschreiben verschickt, mag das an den Schreibtischen gut ankommen, die Kommentare auf der Straße hören sich anders an.

Karten auf den Tisch!

Meiner sehr persönlichen Auffassung nach, hat Polizeipräsident Kandt 2017 eine riesige Chance vertan. Als ehemaliger Berliner Polizist, der auf Berliner Kosten in den höheren Dienst wechselte, um dann im Nachbarbundesland Karriere zu machen, hätte mit Dienstantritt klare Worte gegenüber der Politik finden können und dieses auch den Mitarbeitern mitteilen sollen. Alles was zur Zeit passiert, ist nur noch ein Zurückrudern. Es wäre unfair ihm die Zustände der Polizei anzulasten, da haben andere vor ihm viel mehr Zeit aufgewendet. Auch die Querelen seiner Besetzung sind ihm nicht zuzurechnen. SPD, CDU und LINKE haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfolgreich am Niedergang der Polizei beteiligt und sei es nur, in dem ein Diepgen Berlin finanziell an die Wand gefahren hat.

Doch warum erfolgte nicht von Anfang an eine saubere Bestandsaufnahme? Da stehen wir und so geht es nicht weiter! Trat da jemand engagiert mit einem Auftragspaket in der Tasche seinen Dienst an und prallte auf alte Seilschaften? An irgendeiner Stelle hätte in der hohen Politik jemand sagen müssen: Oh, Oh, wir haben die Polizei zu 100 % kaputtgemacht. Wir haben schlicht politisch komplett versagt. Da helfen auch keine schönen neuen Worte aus dem Management – Hiltrup Kauderwelsch weiter. Controlling, Kompetenzzentren, Akademie, Balanced Scorecard, Assessment – Center usw. werden uns nicht weiter bringen – die Amtssprache zur Fehlerbehebung ist immer noch Deutsch. Ausgerechnet ein ehemaliger Präsident, Georg Schertz, äußerte sich deutlich.

Was soll`s? Weihnachten und 2018 stehen vor der Tür!

Irgendwo zwischen diesem Theater geht das Leben im großen B weiter. Nächtens machen sich die osteuropäischen Profieinbrecher auf den Weg, die Großfamilien planen ihre alljährlichen Raubzüge in der Vorweihnachtszeit auf die Elektronikmärkte, einige deutsche Kriminelle hecken aus, wie sie mit brachialer Gewalt die gut gefüllten weihnachtlichen Geldtransporter erleichtern können, der eine oder andere treibt noch ein wenig Geld ein und unterschiedlichste junge Männer diverser Nationen radikalisieren sich ein wenig mehr. Die in Berlin laut Körting nicht existierende offene Drogenszene wir tagsüber ein wenig einbrechen gehen und die Polizei wird bis Mitte Januar wieder einmal unter Volllast stehen. Die Politiker gehen in die Pause, um sich 2018 wieder im Kreis aufzustellen, damit sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen können. Einige Schießtrainer werden brav ihre Medikamente nehmen, um die Schwermetalle aus dem Körper auszuleiten und viele Polizistenehen werden ihr letztes gemeinsames Weihnachten feiern.

Allen, die da draußen im Kalten ihren Job machen, eine verletzungsfreie und vor allem private konfliktfreie Zeit. Mein Statement dazu: Vielen wurde anfangs gesagt, dieser Beruf ist kein Job, sondern eine Berufung. Meiner Meinung nach, ist dieses gequirlter Quatsch. Es ist ein verantwortungsvoller Beruf, mit dem das Leben finanziert wird. Lasst es Euch weder physikalisch noch psychologisch nehmen, gerade Weihnachten sollte daran jeder mal denken. Den Außenstehenden sei gesagt, die auf der Straße geben alles, aber es lässt sich in einer Großstadt nun einmal nicht alles Verhindern, so ist das Leben! Und gerade den Polizeischülern sollte mal jemand sagen: «Alles der ganz normale Wahnsinn! 2018/19 kräht kein Hahn mehr danach, dazwischen gibt es wieder diverse Einsatzlagen, u.U. sogar Terroranschläge und neue Skandale. Genießt Weihnachten und lasst Euch nicht Bange machen. Nach der Ausbildung wird Weihnachten Luxus.»

 

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Verfasst 14. Dezember 2017 von Troelle in category "Allgemein", "Burnout", "Politik", "Politik u. Gesellschaft", "Polizei", "Psychologie

4 COMMENTS :

  1. By Marco on

    Kurz gesagt, hier wurde alles auf den Punkt gebracht. Politiker und Behördenleitungen kommen und gehen und wir kehren weiter mit abgenutzten Besen den Dreck von der Straße. Ich wünsche Die, allen Kollegen und eueren Familien ein frohes Weihnachtsfest.

    Ein Strassenterrier.

    PS Viel Freude beim Plätzchen backen.

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  2. By M. Wallert on

    1991 in Berlin, meiner Geburtsstadt, habe ich den Beruf des Polizisten in Berlin erlernt. Mit der beschriebenen Personaleinsparung nutzte ich die Welle in meine Heimat Niedersachsen zurück zu gehen. Warum, weil spätestens mit der Firma Mummert & Partner und dem vorgeschlagenem Leasing-Diensthund, mir klar war, wohin die Reise durch die Politik gebucht war. Hier lese ich viele Dinge, die ich vermutete und viele, die schlimmer sind, als ich vermuten konnte. Aber schon damals wurden „Ja-Sager“ in Führungspositionen gebracht und Querdenker kurz gestutzt.
    Ich wünsche alle Kollegen, dass sie es mit der öffentlichen Diskussion schaffen, das Ruder wieder in erträgliche Richtung zu bringen!!! Denn der Polizist, der sein Dienst macht, macht ihn mit dem was ihm die Politik zur Verfügung stellt! In Berlin wohl sehr wenig!

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  3. By Marina on

    Alle Jahre wieder ….. Immer gleiche Absichtserklärungen! Ich habe 42 Jahre Polizeidienst hinter mir und somit diverse Reformen erlebt. Immer als Verbesserung verkauft dienten alle unter dem Strich nur als Möglichkeit, Personal und Ressourcen einzusparen. Und immer wurde der Erfinder gelobt und befördert, bis auch dem letzten Schönredner klar wurde, dass wieder Mist gebaut wOrden war. Lediglich die Aufmerksamkeit der Medien zwingt die Führung, wenn auch in Form einer „Salamitaktik“ scheibchenweise einige (!) Versäumnisse zuzugeben. Nichts wird sich verbessern … dazu ist der Berg inzwischen zu hoch. Sisyphos lässt grüßen!

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  4. By Plaumann on

    Toller Artikel.
    Alles auf dem Punkt gebracht.
    So wie es dargestellt wurde,ist es richtig.

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