Offener Brief

Hallo liebes Netzwerk,
wie der eine oder andere von Euch bei “echten” Treffen jenseits der Virtualität mitbekommen hat, kämpft in meinem Umfeld ein junger Mann aus Palästina um sein Studium in Deutschland. Erst in der zurückliegenden Nacht, redeten sich viele aus meinem Umfeld den Kopf heiß, was wir tun könnten. Nicht nur dieses, nahezu alle fangen bei der Geschichte an zu zweifeln, ob dies noch alles seine Richtigkeit hat. Juristerei vs. Leben!
Ich kündigte gestern an, diesbezüglich einen offenen Brief zu formulieren, damit wir vielleicht doch noch eine Wende einleiten können, die über dem Betroffenen hinaus, uns – meinem Freundeskreis – , wieder den Glauben an die Gerechtigkeit zurück gibt.
Sehr geehrte/r Frau/Herr xxxx
das Schicksal eines jungen Palästinensers, der bei uns studieren möchte, letztlich aber an schwer nachvollziehbaren Formalien scheitert, lassen meinen Bekanntenkreis und mich nachhaltig an den bestehenden Verhältnissen in Berlin zweifeln. Deshalb möchte ich mich an Sie und weitere Vertreter der Berliner Politik bzw. zuständige Behörden mit der nachfolgenden Geschichte wenden:
Der junge Mann kam 2016, mit dem Wunsch Medizintechnik zu studieren, nach Deutschland. Zur Vorbereitung des Studiums begann er an einer Sprachenschule Deutsch zu lernen. Die notwendigen Gebühren wurden von ihm bzw. seiner Familie bezahlt. Gleichermaßen finanzierte er seinen Lebensunterhalt eigenständig. Nun sind die wenigsten Palästinenser Millionäre und müssen wie jeder andere einen Blick ins Portemonnaie werfen. Deshalb beschloss er, einen Teil der Kosten zu sparen und sich unsere Sprache jenseits des Unterrichts anzueignen.
Das Ergebnis ist beeindruckend. Neidvoll merken wir, dass viele von uns an der einen oder anderen Stelle ein wenig Nachhilfe vertragen könnten. Doch dieses nur am Rande. Jedenfalls versuchte er sein Glück zunächst an der FU Berlin, da dort im Gegensatz zur TU Berlin ein Testverfahren ausreicht, ohne dass ein ebenfalls gebührenpflichtiger Sprachtest vorgelegt werden muss. Leider reichte das Ergebnis nicht aus, um in das Kontingent ausländischer Studenten aufgenommen zu werden.
Vor einem zweiten Anlauf an der TU Berlin, reiste er zu seiner Familie nach Palästina. Uns erscheint es nachvollziehbar, dass ein junger Mann in dieser Lage, zu Hause um Rat bittet. Sein Besuch fiel genau in den Zeitraum, innerhalb dessen US Präsident Donald Trump Jerusalem anerkannte. Wie Sie wissen kam es dadurch in Palästina zu einer prekären Sicherheitslage. Er saß in Palästina fest, schlimmer noch, ihm wurde dort zeitweilig der Pass weggenommen. Keiner von uns ist ein Experte für den Nahen Osten. Aber wir sind alle ein wenig in der Welt herumgekommen und wissen, dass man ohne eine eigene Beteiligung zwischen die Fronten geraten kann. Immerhin bekam er nach einigen hin – und her seinen Pass zurück. Beinahe fluchtartig verließ er Palästina und reiste wieder nach Deutschland.
Deutsche Anmeldefristen sind wenig geeignet zur flexiblen Lösung menschlicher Schicksale. Mit meiner Unterstützung bemühte er sich, wenigstens alle Voraussetzungen für ein Studium zu erfüllen. Sprachtest, Anmeldungen und Weiteres absolvierte er mit Bravour.
Zwischenzeitlich hat er sogar Ausbildungs- bzw. Arbeitsangebote erhalten, die ihm aber alle aufgrund der ablaufenden Aufenthaltsfrist nicht von Nutzen sind. Die ihm entgegenschlagende Sympathie bewerte ich als deutliches Zeichen für das Potenzial dieses jungen Palästinensers.
Dann kam es zu einer Situation, die unsererseits niemand nachvollziehen kann. Seitens der Ausländerbehörde wurde ihm mitgeteilt, dass er mit seinem Eigenstudium gegen die Auflagen des VISA verstieß und somit illegal in Deutschland ist. Ich bringe es mal auf eine einfache Formel: Es ist bei uns nicht entscheidend, ob jemand unsere Sprache erlernt, sondern wie er es tut. Wie erwähnt, spricht der junge Mann, nach 1 1/2 Jahren fließend Deutsch.
In Folge dessen setzten wir alle Hebel in Bewegung. Zur Zeit laufen allerdings alle behördlichen Aussagen auf die oben erwähnte juristische Betrachtung hinaus. Damit wird die Diskrepanz zwischen einer menschlichen Bewertung und dem Handeln auf Basis abstrakter juristischer Betrachtung im größer.
An dieser Stelle möchte ich ein paar Worte verlieren, die gleichzeitig der Grund sind, warum ich diese Zeilen hier als «offenen» Brief schreibe, und sie nicht ausschließlich an Sie richte.
Der erwähnte Personenkreis, mit dem der junge Palästinenser in Kontakt gekommen ist, repräsentiert einen Querschnitt des Berliner Mittelstands. Polizeibeamte, Banker, Pflegekräfte, Handwerker und Studierende. Manch einer von uns blickt auf ein langjähriges Berufsleben zurück. Ich selbst bin Kriminalbeamter und Vater von zwei erwachsenen Töchtern. Wir haben in den zurückliegenden Jahren eine Unzahl Personen kennengelernt, die als aus dem Ausland stammende Kriminelle unser Staatssystem ausgebeutet haben. Wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass diese Kriminellen nicht des Landes verwiesen werden können. Gerade als Berliner müssen wir täglich auf ein Neues erleben, wie Familien, die der Mafia ähnliche Strukturen aufweisen, dem deutschen Rechtssystem die Grenzen der Funktionalität zeigen. Manch einer dieser Personen besitzt die Frechheit sich selbst als Paten zu bezeichnen, mit teuren Karossen durch die Stadt zu fahren und dennoch Sozialleistungen zu beziehen.
Auf der anderen Seite sehen wir einen jungen Palästinenser, der bisher keinerlei Hilfe in Anspruch nahm, hochintelligent ist und ernsthaft einen Beitrag leisten will. Für uns läuft es auf eine populistische Erfahrung hinaus: «Wer nur kriminell und ausgeschlafen genug ist, kommt bei uns durch, die Ehrlichen verabschieden wir wieder.» Vielleicht können Sie nachvollziehen, dass bei der Beobachtung des Schicksals jenes jungen Palästinensers, der innere Glaube an unser System auf dem Prüfstein steht. Es mag daran liegen, dass wir bisher selten hinter die Kulissen geschaut haben, unter Umständen ist das aber gut so.
Wir gedenken, diese Geschichte in die öffentliche Diskussion zu stellen. In einer Zeit der Politikverdrossenheit und immer mehr erstarkender Rechtspopulistischer Gesellschaftskreise ist es notwendig aufzuzeigen, welche Blüten die Hysterie und Ablehnung mittlerweile treiben. Gesetze sind unserer Auffassung nach für Menschen gemacht und dürfen nicht zum Selbstzweck verkommen, der Volljuristen Geld und innere Befriedigung beschert.
Noch ist das Ende der Geschichte nicht erreicht. Im April entscheidet sich, wie weit unser Vertrauen in ein System, welches wir beruflich teilweise jahrzehntelang vertreten haben, berechtigt war oder sich als Illusion erweist. Es geht dabei nicht mehr nur um das Schicksal des jungen Mannes, sondern auch um eine Symbolik.
Muss ein vielversprechender junger Mann, der alle Anlagen besitzt, die wir uns wünschen, letztlich an der Bürokratie und zu eng gefassten Vorschriften scheitern? Lässt sich hier nicht ein anderes Ergebnis herbeiführen, als das jemand mit diesem Potenzial ohne Perspektive bleibt? Können Sie dem jungen Mann und uns weiter helfen?
Ich bedanke mich im Voraus für das gezeigte Interesse.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Trölsch