Rudi … sie kapieren es einfach nicht.

Eine seltsame Diskussion kommt in Deutschland auf. Das Thema: die 68er! Zunächst fragte ich mich: Warum ausgerechnet jetzt? Dann erinnerte ich mich daran, dass die AfD hierzu vor einiger Zeit eine Kampagne startete. Die Reaktionären haben einen Kampf eröffnet. Sie wollen endlich wieder ihren konservativen Mief ausleben. Errungenschaften der zurückliegenden Jahrzehnte sollen wieder zurückgeführt werden. Die CSU Politikerin Dorothee Bär spricht gar von Anfeindungen, wenn eine Frau zu Hause bei den Kindern bleiben will, da war es doch vor der 68er Bewegung viel schöner. Ja, das waren noch Zeiten, als der Mann der Haushaltsvorstand war, Verträge nur von ihm abgeschlossen werden durften und er darüber bestimmte, ob sie einen Führerschein macht oder nicht. Unvergessen sind die Softpornos, in denen dem deutschen Biedermann die Sexualität des anderen Geschlechts erklärt wurde. (Läuft das bei der AfD eigentlich unter Früh – Sexualisierung?) Konnten die Bayern damals Musikladen sehen? Frau Bär hätte wahrscheinlich beim Anblick der Go Go Girls einen Herzkasper bekommen. Ich liebe es, wenn Stereotype passen. 1992 als Schülerin in der Metropole Bamberg der Jungen Union beigetreten … da steppt der Bär, wie wir Berliner sagen.
Wenn solche Dinge ein Mann sagen würde – gut, der hat dann irgendwo ein Problem – aber von einer Frau ausgesprochen, wird es schwer nachvollziehbar. Ich betrachte die Emanzipation der Frau als eine Bereicherung für die Männer. Persönlich habe ich keine Lust darauf, die Verantwortung für einen anderen erwachsenen Menschen zu übernehmen. Nein, liebe Frau Bär, die Zeiten des “Kinder/groß/ziehen” und sich danach von der Gesellschaft feiern lassen, bzw. sich von einem arbeitenden Mann aushalten zu lassen, sind vorbei. Doch dies war keine Bestrebung der Studentenbewegung in den Sechzigern. Das mag eine von vielen Folgeerscheinungen sein, aber sicherlich nicht die Idee. Es waren die Urteile von Richterinnen der jüngsten Zeit, die den Schwestern ins Buch schrieben: „In der heutigen Zeit und Lebensrealität, dürfen und können sich Frauen nicht mehr darauf verlassen im Falle einer Scheidung, bis zum Lebensende vom Mann versorgt zu werden.“ Die da die Urteile sprachen, waren keine 68er, sondern realistisch denkende moderne Frauen. Im Übrigen trat dieses Problem meistens im Bürgertum auf. Arbeiterinnen hatten davon selten etwas, sie mussten so oder so arbeiten. Das Papi zum Mittagessen zu Hause vorbei schaut und Mami die Kinder versorgt, kennt kaum ein Arbeiterkind.
Tatsächlich war es ein Kampf gegen alles, was den Konservativen lieb und teuer ist. Die Vordenker der Bewegung erkannten, dass diese tollen Sachen dazu geeignet sind, Deutschland stets auf ein Neues in eine Katastrophe zu führen. Unter anderen ging und geht es darum den Kopf aus der bürgerlichen Komfortzone zu stecken und sich mal ein wenig umzuschauen. „Ach was? So sieht die Welt wirklich aus? Dolles Ding … es gibt Menschen, die Hunger leiden, während wir Frankfurter Kranz zum Kaffee servieren. Schau mal Elfriede, dahinten in Vietnam, Kambodscha, Laos rummst es, obwohl die gar nichts angestellt haben.“
Doch darüber, wie verwirrt Konservative sind, will ich mich nicht auslassen. Was habe ich den 68ern zu verdanken? Mit Anfang Zwanzig setzte ich mich erstmals mit Rudi Dutschke und Daniel Cohn – Bendit auseinander. Wir merkten in den 80ern auch ohne Internet, dass auf der Welt etwas nicht stimmte. Wie kann es sein, dass bei uns warmes sauberes Wasser aus der Wand kommt, während an anderen Stellen der Welt Menschen verdursten? Warum haben wir Essen im Überfluss und in Afrika verhungern Kinder? Wie konnte es nach dem II. Weltkrieg einfach so weiter gehen? Korea, Vietnam, 6 – Tage -Krieg, Mittlerer Osten, Falkland usw.. ließen Fragen aufkommen. Eigentlich ist es doch ziemlich simpel. Wenn ich einen Motor habe, der ständig Aussetzer hat, muss etwas kaputt sein. Einem Autoverkäufer, der behauptet, das müsse so sein, zeigt man einen Vogel. Nichts anderes machen Konservative: Das hat alles seine Richtigkeit! Weiter machen, wie bisher. Für mich waren die Denker der Studentenbewegung der erste Zugang zu einer anderen Sichtweise. Immerhin erkannten die, dass da etwas nicht stimmt, und gingen auf Spurensuche. Sie suchten nicht nur in der Welt, sondern auch vor der eigenen Haustür. Daran habe ich partizipiert. Menschen, die wie diese Studenten dachten, unterrichteten mich am Gymnasium. Sie gaben mir zusammen mit meinen Eltern die ersten Werkzeuge, mit denen ich mich kritisch mit meiner Umwelt auseinandersetzen konnte.
Ich begriff, dass Diktaturen, Faschismus, Nationalsozialismus, nicht einfach vom Himmel fallen, sondern innerhalb von Gesellschaftsstrukturen wachsen. Die 68er, allen voran Dutschke, sagten mir: „Gesetze sind nicht nur Regeln zum Schutz des Menschen, sondern häufig auch das Instrumentarium der Herrschenden zur Steuerung der Untertanen.“ Nehme ich die klassischen Kerngebiete des Strafgesetzbuchs und des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinweg, ist da was dran. Konservative Regelkonformität, die das Leben bis ins Schlafzimmer hinein regelt, birgt demnach echte Gefahren, wenn die Falschen die Macht übernehmen. Obrigkeitsdenken, Hierarchien, Abtreten der eigenen Verantwortung an Institutionen, Aufgabe der Individualität zugunsten einer Volksmoral, Manipulierbarkeit mittels Propaganda, Über- und Unterordnungsverhältnisse, moralistisches Denken, Übersteigerung des eigenen Seins usw., all die kleinen Dinge, welche eine Diktatur und den meistens nachfolgenden Krieg zum Stillen des Machthungers, sind immer noch allgegenwärtig. Mit einem Volk, dass den Menschen als Individuum betrachtet, die Freiheit des Einzelnen respektiert und sich ab und wann auch mal gegen die Regeln der Mächtigen stellt, lässt sich keine brauchbare Diktatur zusammenbasteln. Ebenso wenig lässt sich eine aufbauen, wenn die Menschen sich nicht mehr ständig Mohrrüben vor die Nase halten lassen.
Ich kenne das von der Polizei. Alle sitzen in einem Raum und schweigen in Anwesenheit des hohen Besuchs von oben. Keiner will sich den Mund verbrennen. Auf die Art könnte die „Karriere“ (in der Regel bestehend aus drei Stufen) oder die Zugehörigkeit zur Dienststelle gefährdet sein. De facto sitzen dort im Raum lauter Beamte auf Lebenszeit, von denen niemand befürchten muss, am nächsten Tag an einer Discounter Kasse zu sitzen. Für eine der drei möglichen Beförderungsstufen schlucken die trotzdem alles, was ihnen vorgesetzt wird. Richtig pervers wird es, wenn Stellen ausgeschrieben werden. Kaum einer fragt nach, was er dort auf der nächsten Stufe in einem anderen Arbeitsumfeld machen muss. Hauptsache die Reise geht von A10 nach A11.
Die Studentenbewegung hatte viele Facetten. Eine, mit die wichtigste, war das Aufzeigen und die Deinstallation von Gesellschaftsstrukturen, die ein neues Autoritätsregime in Deutschland möglich machen. Wie wichtig das war, zeigt sich mir in der Entwicklung der Bundesländer der ehemaligen DDR. Leider wurde der Prozess 1989 abrupt unterbrochen.
Wie man allerdings in Bayern die AfD wählen kann, wenn doch die CSU als rechtspopulistische Partei zur Verfügung steht, ist mir persönlich schleierhaft. Aber seltsamerweise ticken in Europa die südlichen Teile der Staaten immer anders. Ich denke dabei z.B. an Südfrankreich und Süditalien. Die Nummer mit dem Nord – Süd – Gefälle habe ich noch nie verstanden. 2018 kommen die Konservativen verschreckt aus ihren bürgerlichen Wohnzimmern herausgerannt. Vermutlich haben sie ein Klopfen an der Tür gehört oder sie haben festgestellt, dass ihre ungezogenen Kinder, die Rechten, sich mal wieder daneben benehmen. Genau das habe ich vor einiger Zeit befürchtet: Wir müssen auf die Leute zugehen! Hmmm … in dem Ihr die Kampagnen der AfD aufgreift und Euch mal wieder diese rechtsdrehende Grippe einfängt. Ich sag‘ s mal so: „Euer Impfschutz ist abgelaufen.“ Und wisst Ihr, wer davor immer gewarnt hat? Richtig … die 68er. Anders herum ist die AfD aus den Konservativen selbst hervorgegangen und die ganz Rechten haben „Hurrah!“ gebrüllt. Endlich eine Partei ohne den braunen Schmuddelanstrich der NPD. Rechtsradikal ohne Holocaust – geniale Idee! Alles nochmal von vorne, quasi das verbesserte Modell.
Prinzipiell ist das nachvollziehbar. Aus Fehlern sollte man lernen. Einen zu klein geratenen Ösi mit Komplexen zum Führer zu machen, war ein echter Schrittfehler. Die Angelegenheit mit dem Holocaust, ist aus dem Ruder gelaufen. Aber die Gleichschaltung, die Identität als Deutsches Volk, das Unterbinden von Diskussionen und Kritik, das Zusammenpferchen und konzentrieren von Menschen in Lagern, hätte sich zu einem Erfolgsmodell entwickeln können. Man muss nur andere Bezeichnungen finden und ein neues Verkaufsmodell finden. Die 68er Bewegung hätte sich das nicht bieten lassen. Heute sind sie alt, satt, rund, und haben längst den Rasenmäher gegen das Transparent eingetauscht. Meiner Meinung nach ist das Problem der mangelnde Nachwuchs. Viel mehr Studenten, die angeblich geistige Elite der Bundesrepublik Deutschland, müssten auf die Straße gehen.
Aber die haben mehr mit ihrer Karriere bzw. austarierter Biografie zu tun. Bei einer derart schwachbrüstigen geistigen Elite muss sich niemand wundern, wenn die einfach strukturierten Konservativen Oberwasser bekommen. Nichts anderes sind sie. Sie brauchen ihre vorgegebene Moral und altbackenen Regeln als Geländer, an dem sie sich festhalten können. Warum sich anstrengen und selbst denken, wenn das ein anderer für mich erledigt. Echt Schade, dass es die 68er Bewegung nicht mehr gibt.
Anmerkung: Wegen einiger Zuschriften und Ereignisse weise ich vorsorglich darauf hin, dass ich nichts zur Diskussion stelle. Ich beschreibe mittlerweile nur noch meinen Standpunkt. Ich habe keine Lust mehr, über Banalitäten zu diskutieren. Wem das zu arrogant ist … bitte … nicht mein Problem. Es steht jedem frei, über mich zu denken, was er will. Ich tue es im Gegenzuge auch. Außerdem macht eine Diskussion nur dann Sinn, wenn mindestens zwei Menschen ein gemeinsames Ziel haben, sich aber nicht einig über den Weg dahin sind. Die Mehrheit der Menschen will mit mir über das Ziel diskutieren – ich sehe keine Veranlassung dazu, meinen mühsam erarbeiteten Standpunkt zu verlassen. Alle anderen freuen sich darüber, dass es mindestens einen zweiten Menschen gibt, der wie sie denkt.