Konflikte: ein komplexes Thema

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Anmerkung zum Titelbild: Das Poster habe ich früher bei Seminaren für Konfliktmanagement erstellt/verwendet. Ist schon ein paar Tage her, deshalb sind die Uniformen noch grün. Bis auf die Farbe hat sich aber nichts geändert.

Otto Fürst von Bismarck soll gesagt haben: „Konflikte werden zu Machtfragen; wer die Macht in den Händen hat, geht dann in seinem Sinne vor.“ Dieser Satz könnte 1:1 von einer leitenden oder einem leitenden Beamten aus dem Öffentlichen Dienst stammen. Egal, welches Thema man betrachtet, bei dem die Polizei eine Rolle spielt, ist der Begriff Konflikt nicht wegzudenken. Die Polizei an sich entstand aus der Tatsache heraus, dass es immer und überall Konflikte geben wird.
Selbst die Evolution ist streng genommen das Ergebnis von Konflikten. Das Gegenteil von Konflikten ist nicht Harmonie, sondern Stillstand. Harmonie ist das Ergebnis eines Lösungsansatzes. Das verwechseln viele, wenn sie darüber diskutieren. Amüsanterweise ist eine Diskussion nichts anderes als ein Lösungsweg für Konflikte, der im Gegensatz zu einer Debatte in Harmonie führen kann.
Mangelnde Übereinstimmungen in der Definition von Worten, ist einer von wesentlichen Faktoren, die eine beidseitig zufrieden stellende Konfliktbewältigung behindern. Insgesamt ist alles zu diesem Thema spannend und anspruchsvoll. Wer dort einsteigt, landet nahezu im uferlosen Wissen der Menschheit. Philosophen aller Epochen und Regionen haben sich damit beschäftigt, die Geschicke der Menschheit seit Anbeginn der uns zugänglichen Geschichte ist davon geprägt, jegliche Wissenschaft beruht darauf – und dennoch gehen viele Mitmenschen damit wenig sorgsam damit um. Womit bereits der nächste Konflikt formuliert wäre.

Bismarck formuliert eine von unzähligen Lösungen eines Konflikts: die Machtintervention. Eine gängige und ziemlich einfache Methode, die oftmals kurzfristig ein Ergebnis liefert, jedoch langfristig in Analogie zum Chinesischen Schachbrett unendlich viele neue Machtinterventionen notwendig werden lässt. Historisch musste das der Fürst selbst auch erkennen.
Durch verschiedene Ereignisse, die ich hier nicht näher ausführen kann, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die in der Sachbearbeitung der Berliner Kriminalpolizei ständig vorkommt. Ich nehme sie zum Aufhänger einiger Betrachtungen, die ich aufgrund meiner aktuellen Lebensphase mit einigen ehemaligen Kollegen erörterte.

Kriminalität ist in einem durch Regeln geordnetes Zusammenleben von Menschen ein notwendigerweise auftretendes Phänomen. Wer meinen BLOG verfolgt, kennt meine Sichtweise, in der ich den Menschen immer auch als einen nackten Affen ersehe. Nimmt ein Affe einem anderen eine Banane weg, ist das ein Diebstahl, der bestohlene Affe hat nur kein Wort dafür. Primaten besitzen einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Das genannte Verhalten widerspricht dem, also gibt es Stress. Kriminalität wird also immer auftauchen, wenn Menschen zusammenleben, sie ist letztlich nur eine Definition.
Wesentliche Verhaltensweisen, die unseren Instinkten und evolutionär entstandenen Strukturen widerspreche, haben wir dieser Definition untergeordnet. Ich unterstelle einer oder einem jungen Kriminalbeamten in der Anfangszeit der beruflichen Laufbahn ein natürlich ausgeprägtes inneres Verständnis für das Verhalten. Es besteht eine hohe Motivation, für Ruhe und Ausgeglichenheit auf dem Affenfelsen zu sorgen.

Alles was im Laufe der nachfolgenden Jahre kommt, ist eine kulturelle Sozialisation. Zum Beispiel haben sogenannte Silberrücken auf dem oberen Teil des Felsens mehr Rechte, als die in den unteren Bereichen. In der Natur sind sie stärker, haben das bessere Genmaterial, sind intelligenter und können die Gruppe schneller vor herannahenden Feinden warnen usw..
In einer komplexen kulturell geprägten Gesellschaft sind es andere Eigenschaften, die die Zuteilung von mehr Rechten einbringen. Im Prinzip geht es aber immer noch darum, innerhalb eines Umfelds, ehemals der Affenfelsen in der Savanne, heute zum Beispiel innerhalb einer Behörde überleben zu können. Es gelten halt andere Vorgaben, die Feinde sehen anders aus, die Gefahren sind anders, die Liste würde zu lang werden.
Eine der Fähigkeiten, die ein Silberrücken in der Behörde/Öffentlicher Dienst mitbringen muss, ist die Einsicht in die Tatsache, dass Kriminalität nicht bekämpft werden kann, sondern es sich de facto um eine Eindämmung oder Verwaltung handelt. Der Durchsatz mit kriminellen Verhalten ergibt sich in der Regel aus der Anzahl der Verbote und dem Grad der Ungerechtigkeiten. Eins ist klar, haben alle Affen genug Bananen, sinkt das Bedürfnis einem anderen eine wegzunehmen. Selbst der Bananenhaufen vor dem Silberrücken interessiert nicht, wenn alle rund und satt sind. Soll er sich doch überfressen. Jeder der in irgendeiner Situation mal Mangel an Ressourcen erlebt hat, kennt die aufkommenden Probleme bei der Verteilung. Erst die gebärenden Frauen, dann die Männer mit Verteidigungsaufgaben, dann die Kinder usw.. Diese Missverhältnisse und die daraus entstehenden Schwierigkeiten hat nicht die Polizei zu verantworten, sondern die politisch Beauftragten.
Wie Eindämmen funktioniert ist auch jedem bekannt. Ich brauche Leute, Material und Geld zum Kauf bzw. zur Entlohnung. Ist alles ausreichend vorhanden, kann ich einen sicheren Damm errichten. Ist das nicht der Fall, beginnt die Flickschusterei und irgendeiner muss darüber entscheiden, wo die Flicken wichtig sind und wo noch abgewartet werden kann. Und schon wird es wieder schwierig. Wo sind denn die Flicken wichtig?
Der Berufsanfänger wird, nach dem er sich einen Überblick verschafft hat, sagen: „Na da, wo der Damm droht durchzubrechen, dort wo die Wellen am höchsten sind, und erst recht an den Stellen, wo die Flut durchbricht.“ Diese Beurteilung der Lage ist selbstverständlich grundlegend falsch und viel zu einfach gedacht. Ich lasse es mal an dieser Stelle offen, wie es wirklich läuft.

Vor langer Zeit lernte ich eine junge Kriminalbeamtin kennen, die einem Menschenhändlerring auf die Spur gekommen war. Um diesen zu bekämpfen, in diesem Entschluss bestand der erste Fehler, war sie bereit viel Arbeit zu investieren. Da sie aber auch noch andere Aufgaben hatte, musste sie innerhalb ihres Mikrokosmos eine Priorisierung vornehmen. Sie beschloss mehr für den Kampf gegen die Menschenhändler zu investieren und dafür weniger Zeit in ihrer Auffassung nach geringer schädliche Sachverhalte entweder neben her laufen zu lassen oder sie an andere abzutreten. Darüber sprach sie mit ihrem Vorgesetzten. Der hatte von seinem Vorgesetzten einen vollkommen anderen Auftrag in der Tasche. Dieser Flicken war von oben her, als nicht wichtig katalogisiert worden.
Über allem schwebt nämlich ein Begriff: Subjektives Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Karl – Heinz und Elfriede interessiert in erster Linie der für sie sichtbare Laubeneinbruch beim Nachbarn, und nicht die vierzehnjährige Rumänin, die beim Eintreffen in Deutschland bereits die ersten fünfzig Vergewaltigungen hinter sich hat und dann als vermeintlich Volljährige Lolita im englischen Schulmädchenkostüm für 60 EUR vom 50 jährigen Nachbarn drei Gärten weiter gevögelt wird. Wenn man ihnen das so sagt, bekommen sie immer einen komischen Gesichtsausdruck, besinnen sich kurz und schimpfen dann auf die Flüchtlinge, die bestimmt auch die Laube aufgebrochen haben.
Das subjektive Sicherheitsgefühl ist die unsichtbare Hand, die am Wahltag die Hand führt. Subjektive Wahrnehmungen haben mit rationalen Betrachtungen und komplexen Schlussfolgerungen nichts zu tun. Aber sie bestimmen darüber, wie viel Geld für den Dammbau frei gemacht wird. Zahlt der Bürger für das Sicherheitsgefühl, bleiben auch ein paar wohl überlegt einzusetzende Cent für rational ermittelte Gefahren übrig. Im vorliegenden Fall für die Eindämmung der dem regulären Wirtschaftssystem ebenbürtigen Organisierten Kriminalität (OK) und ganz am Ende auch für das Kind aus Rumänien. Das die massive Eindämmung dieser seltsamen OK langfristig dazu führen würde, dass der Damm ein wenig entlastet wird und damit auch weniger Laubeneinbrüche stattfänden ist zu kompliziert. Der nackte Primat Mensch ist mit solchen Überlegungen in der breiten Masse überfordert.

Die junge Kriminalbeamtin sah das nicht ein und geriet dadurch in einen Konflikt. Subjektiv mit dem Vorgesetzten, tatsächlich mit einem dahinter steckenden komplexen System. An dieser Stelle wäre jetzt eine hohe professionelle Führungskompetenz gefragt. Kunststück! Der arme Mann hatte seinen Posten wie viele andere auch erlangt. Stets war er an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt gewesen. Brav hatte er die Sprache der Behörde auswendig gelernt und sie an den vorgegebenen Stellen angewendet. Stets hatte er das Eigenverständnis der Polizei propagiert und geriet damit auch niemals in Schwierigkeiten, weil die anderen es auch taten. Um ihn herum war es immer „ruhig“, wie es Vorgesetzte gern ausdrücken. Gemeint ist damit die Vermeidung von unnötigen Risiken, die nach außen (aus der Perspektive der Polizei) hin sichtbare Fehler zur Folge hätten haben können (die Zeitform ist absichtlich gewählt). Frau Koppers drückte es eleganter aus. Die Mitarbeiter müssen sich wieder mehr an die innere Räson halten, damit Schaden von der Behörde abgewendet werden kann. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass das von ihr stammt, sie hat es auch nur auswendig gelernt. Weiter unten spreche ich das Konfliktmodell von Glasl an. In einem verhärteten Konflikt wird eine Stufe erreicht, in der die Teilnehmer Imageverlust befürchten und sich externe Mittstreiter suchen. Die Behördenleitung versucht taktisch (und per Dienstanweisung) den Konfliktgegner (Mitarbeiter/Untergebenen)  von seinen Mitstreitern zu isolieren, um eine bessere Position bei der Beilegung mittels Machtintervention zu haben. Ein durchaus legitimer taktischer Zug, wenn man akzeptiert, dass die anderen auch nicht auf den Kopf gefallen sind. Wenn überhaupt, sollte die Intervention an eine Stelle weiter gereicht werden, die von beiden Seiten als neutral betrachtet wird.

Von Einfühlungsvermögen, Rhetorik, Dialektik, Herstellen einer Transparenz bezüglich der Gesamtzusammenhänge (wie auch, wenn man sie selbst nicht versteht), war bei seiner Stellenbesetzung niemals die Rede. Also griff er auf das Standardrepertoire zurück: Drohen, Brüllen, Machtmittel einsetzen. Alles Ausdrücke von Hilflosigkeit. Dieses Verhalten zeigte seine Wirkung bei der jungen Beamtin: Tränen, Frustration, psychosomatische Belastungen, Aggressionen – Hilflosigkeit.

Für mich war nach wenigen Minuten ersichtlich, dass der Konflikt weniger zwischen den beiden Bestand, sondern beide Opfer eines Systems geworden waren, dass solche Konflikte hervorbringen muss. Der Vorgesetzte hatte grundsätzlich nichts verkehrt gemacht, am Ende war die Wahl seiner Mittel falsch, doch er hatte grundsätzlich die gewünschte Botschaft des Systems überbracht. „Pass Dich an oder verzieh Dich, Du hast die Wahl.“
Dieser Konflikt ist harmonisch nicht lösbar. Mein Job war es, etwas zu tun, was ich häufiger tat. „Das System ist, wie es ist, Du wirst es nicht ändern, ich werde es nicht ändern. Aber es ist bereit, sich bei Dir für die Art der Übermittlung der Botschaft mit einer Beförderung zu entschuldigen. Genau dieses und nicht mehr, kann ich für Dich heraus handeln. Dein Vorgesetzter bekommt die Ansage, dass die Botschaft richtig war, doch Brüllen suboptimal ist.“

Ich bin zur Auffassung gekommen, dass vieles schlicht mit der Bereitschaft zu tun hat, sich kaufen zu lassen. Genau da liegt auch häufig der Grund für die schlechte Stimmung in der Polizei. Wenn ich schon bereitwillig meine Ideale und Vorstellungen an den Nagel hänge bzw. aufgebe, will ich dafür fair bezahlt werden. In meiner eigenen Einheit habe ich das über Jahre verfolgt. Über sehr lange Zeit hin, war die Stimmung besser, als in den restlichen Bereich der Polizei.
Unterschiedliche Laufbahnrichtungen und Dienstgrade zogen gemeinsam an einem Strang. Die Aufträge und Einsätze passten einfach zu den Idealen und entsprachen der Überzeugung: Da gehört definitiv ein Flicken hin! Dieses „Subjektive Sicherheit Prinzip“ hielt eines Tages auch dort Einzug. Wenig später meldeten sich die ersten Stimmen: „Für das Geld und den Dienstgrad? Never!“ Bezahlt uns ordentlich, damit wir Euren Blödsinn umsetzen oder ihr dürft Euch nicht wundern, wenn wir innerlich kündigen.

In der sogenannten Konfliktforschung ist das alles bekannt. Wie eine binomische Formel, die erst einmal in einer Gleichung erkannt werden muss, muss man sich die Situation genau anschauen. Die Forderung nach einer passenden Bezahlung, ist eine Win – Win – Situation. Ihr dürft weiter machen wie bisher und wir bekommen passendes Geld, dann wird alles gut. Der sich tatsächlich ablaufende Prozess orientiert sich an dem Modell des negativen Konfliktverlaufs nach Glasl. (siehe oben) Seinem Modell springen Konflikte von einer Eskalationsstufe zur nächsten. Vielfach wird fälschlich von Prozess gesprochen, der Phasen durchläuft. Das wäre ein anderes Modell. Auf den hierarchisch folgenden Stufen sind zugeordnete Interventionsmöglichkeiten möglich. Ich will niemanden mit allen Stufen langweilen. Wer sich das Modell ansieht, wird vieles wiedererkennen. Auf der 4. Stufe suchen sich die Konfliktgegner zum Beispiel Unterstützer und sind von der Sorge um Imageverlust getrieben (siehe Koppers). Mit der 4. Stufe sind Win – Win – Strategien nicht mehr anwendbar. Dies sollte jeder vor Augen haben. Im Falle der Schiesstrainer – Affäre ist der Konflikt quasi bereits gelöst. Legt man eine Win – Lose – Strategie darüber, wird man feststellen, dass Frau Koppers per Machtintervention gewonnen hat, Herr Klaus Kandt und die Betroffenen haben verloren und können nur noch in einen Ausverkauf ihrer Ideale einwilligen.

Auf der 8. Stufe kommt es zur Zersplitterung, die Gegner wollen miteinander nichts mehr zu tun haben. Schlussendlich landen alle auf der letzten 9. Stufe: gemeinsam in den Abgrund. Es ist völlig egal was passiert, gehe ich kaputt, reiße ich Dich mit.

Laut Bismarck kann der Mächtige es in seinem Regeln. Da bin ich mal gespannt darauf.

 


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Verfasst 5. Juni 2018 von Troelle in category "Uncategorized

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