2018 – persönlicher Rückblick

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2018 liegt in den letzten Zügen. Für mich persönlich war eine Menge los in diesem Jahr. Ich habe meinen Dienst bei der Polizei quittiert, bzw. wurde ich in den Ruhestand versetzt. Damit ist ein neuer Lebensabschnitt angebrochen. Ich habe mir Lebenszeit geschenkt. Lebenszeit ist für mich zu einem wertvollen Gut geworden, von dem ich lediglich eine unbekannte Menge besitze. Damit kann ich den Wert nicht bestimmen. Im schlimmsten Fall besitze ich nur sehr wenig, im besten Falle ist noch ausreichend vorhanden. Dieses Unwissen ist eine der existenziellen Angelegenheiten des Lebens. Wären wir unsterblich oder wüssten etwas über den Zeitpunkt des Abtretens, lebten wir in einer gänzlich anderen Welt.
Jedem, der dieser Seite folgt und sich derzeit in einer schwierigen Lage befindet, kann ich ans Herz legen, darüber mal nachzudenken. Alles, womit ich mich beschäftige, ist eine Investition. Ich kann diese Zeit verschwenden oder sie achtsam nutzen. Jeder Mensch, mit dem ich mich treffe, bedeutet eine Zeitinvestition. Jeder interessante oder auch dämliche Post in einem sozialen Netzwerk, ist eine Ausgabe, die überlegt sein will. Ich muss mich jeden Tag entscheiden, ob ich die Zeit für Herumärgern, Zorn, Wut oder auch Hass verwende. Es ist eine Entscheidung, nicht mehr und nicht weniger. Nicht unser Umfeld ist dafür verantwortlich, sondern wir selbst.
2018 habe ich mir angewöhnt, jeden Menschen als Spiegel meiner selbst zu sehen. Warum und wie, sind wir in Kontakt gekommen? Welche Wege bin ich gegangen, dass die logische Konsequenz war, auf einen Menschen dieser Art zu treffen? Außer meiner Eltern, sind alle Menschen um mich herum ein Ergebnis meines Lebenswegs, meiner Entscheidungen und Persönlichkeit. Egal, was auch immer passiert, wenn keine Konformität zu meinen Vorstellungen besteht, muss ich dies in Beziehung zu meinem Verhalten setzen.

Durch Kontakte entsteht Kommunikation, und aus dieser entstehen Handlungen, aus denen sich wiederum komplette Geschehensabläufe generieren. Zusätzlich passieren lauter Sachen, die schlicht passieren und oftmals keinerlei Kausalität zueinander haben. Jedoch ist mein Gehirn nicht dazu in der Lage, dieses Fehlen zu akzeptieren und zieht alles zu einer Geschichte zusammen. Auch das galt es 2018 zu überdenken. Bestehen wirklich die Kausalitäten, die Du immer angenommen hast?

2018 habe ich auch verstanden, dass ich ein Teil des Ganzen bin, und es dadurch auch einer von mir wird. Ich konnte nur das werden, was ich bin, weil die anderen existieren. Wogegen sollte man protestieren, wenn nichts da ist? Wie kann ich begreifen, was einem Menschen wehtut, wenn ich nicht selbst verletzt wurde? Mir ist bewusst geworden, wie viele glückliche Umstände mein Leben begleitet haben, an denen ich keinerlei Anteil hatte. Ich wurde in einem reichen Land geboren und bekam eine Chance. Mein Pass ermöglicht mir das Reisen durch zig Länder. Ich bin relativ gesund. Zsa Zsa Gabor meinte mal, wer mit über 50 ohne Schmerzen erwacht, sollte prüfen, ob er tot ist. Meine Kinder sind gesund und verfügen über einen brillanten Verstand. Ich habe eine Lebensgefährtin, auf die Verlass ist. Wer, so wie ich, auf unzählige Traveller in den unterschiedlichsten Ländern trifft, lernt, wie selten das ist. Meine Eltern leben noch und ich stand in jungen Jahren nicht alleine da.
Bis 2018 habe ich ein Leben geführt, welches mir die Chance gegeben hat, diese Dinge zu erkennen. Nicht jedem Menschen ist das vergönnt. 2019 kann ich ein Leben mit dieser Erkenntnis führen und jetzt in diesem Augenblick sieht es danach aus, dass ich auch noch etwas davon habe.

2018 habe ich auf Reisen viel Not, Elend und Armut gesehen. Leider musste ich auch erkennen, dass wir uns einer Wende nähern. Realistisch betrachtet, werde ich davon nur die ersten Auswirkungen erleben, die bösen Sachen kommen erst später. Meiner Beobachtung nach, sind weltweit zu viele Faktoren entstanden, als das die bestehende Lebensart aufrecht erhalten werden könnte. Die Armen dieses Planeten werden irgendwann gar nicht mehr anders können, als den Kampf gegen das Establishment aufzunehmen. Die Dekadenz der verwalteten Wohlstandsgesellschaft wird dem wenig entgegenzusetzen haben. Der IQ der Massengesellschaft sinkt rapide und die digitale Revolution macht einen großen Teil der Menschen zur taktisch benutzbaren biologischen Masse. Je größer die Not eines Menschen ist, umso mehr ist er auf seine Intelligenz angewiesen. Steigt der Wohlstand, verschwindet diese Notwendigkeit.
In den bereisten asiatischen Ländern habe ich ausschließlich in Arm und Reich gespaltete Gesellschaften gesehen. Indigene Völker werden gnadenlos ihrer Lebensgrundlagen beraubt.
Getrieben von Gier wird der Mensch dies nicht ändern. Die wenigen Jungen, die sich dagegen auflehnen, werden vom Staat bekämpft. In vielen Bereichen ist mein alter Berufsstand Polizei nicht mehr Dienstleister der Gesellschaft, sondern zu einem verlängerten Arm der Macht geworden, die diese Macht nicht mehr zum Guten benutzt, sondern zum eifersüchtigen Erhalt eben jener. Der G20 und der Hambacher Forst haben mir persönlich gezeigt, wo die Reise hingeht. In Frankreich sieht es nicht viel besser aus. Wir haben das Recht auf gewaltfreie Lösungen aufgegeben. Wenn etwas zerstörerisch auf das Gemeinwohl einwirkt, muss es mit Gewalt bekämpft werden. Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Polizei, wenn sie einen Widerstand bricht.

Der Klimawandel ist nicht länger eine ausschließlich mit tabellarischen Werten messbare Erscheinung, sondern ein für jedermann sichtbarer Fakt. Ob die Mongolen Opfer des «White Death» werden, die Korallenriffe sterben, sich die Arten verringern oder nie gesehene Starkregenfälle während der Regenzeit uralte Landschaften zerstören … es ist nicht zu übersehen. Auch das habe ich 2018 gesehen.

In der Summe war es für mich ein ereignisreiches Jahr, in dem ich viele interessante Menschen kennengelernt habe. Mongolische Nomaden, Hill Tribies, Sea Gypsis, Traveller, alte Hippies, Abenteurer, junge Menschen und alte Menschen von allen sieben Kontinenten. Ich wurde darin bestätigt, dass der andauernde Drogenkrieg einer der beknacktesten Kriege ist, die jemals geführt wurden. Überhaupt habe ich gesehen, das Kriege nicht mit dem letzten Schuss enden, sondern sich über Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte in das Bewusstsein einbrennen und die verwendeten Waffen, noch Jahre danach töten.

Mir wurde vor Augen geführt, wie schädlich das Leistungsdenken, und unsere Arbeitswelt ist. Der Mensch an sich, will sein Umfeld, egal wie wenig er hat, kreativ gestalten. Außerdem will er arbeiten. Ein Schmied, ein Konditor, ein Zimmermann, ein Kunstschlosser, kann sich mit seinem Beruf bis zum Lebensende beschäftigen, ohne jemals in Depressionen zu verfallen. Erst die Abspaltung vom Erschaffenen bzw. die Missachtung der Dienstleistung bringt Probleme mit sich. Seit Beginn der Industrialisierung dauert dieser Prozess an und wird noch üble Folgen haben. Missachtung ist ein Synonym für mangelnden Respekt.

In der Wohlstandsgesellschaft schwindet der Respekt. Dabei ist es egal, ob es sich um Menschen, Lebenswerke, das Leben oder Dinge handelt. Gleiches passiert während der Kriege und in bitterer Armut. Mir selbst ist unterwegs viel Respekt entgegengebracht worden. Meistens war es eine Folge meines Verhaltens. Andersherum habe ich unzählige Touristen gesehen, die alles dran setzten, diesen Respekt nicht zu verdienen. Sie benutzen die Länder, in denen sie ihre Ferien verbringen, wie Prostituierte. Das Penetrieren ohne Respekt, verschafft ihnen maximalen Lustgewinn.

Positiv war 2018 für mich als Mensch. Für die restliche Entwicklung war es ein Jahr innerhalb einer Ära, für die nachfolgende Generationen ihre eigene Bezeichnung finden werden. Vielleicht eines der Jahre in der Epoche der sterbenden Gesellschaftssysteme am Vorabend zur Epoche der Vernunft. Auch wenn ich selbst nur an die Fähigkeit zur Vernunft beim Einzelnen glaube und sie der Gesellschaft abspreche. Ich betone Fähigkeit! Damit habe ich nicht geschrieben, dass der Mensch vernünftig ist. Es bedarf harter Arbeit, diesen Zustand zu erreichen. Auch die Freiheit kann uns nicht einfach per Gesetz zugesprochen werden. Wir sperren uns im Geist selbst ein bzw. lassen uns durch Moral, Konventionen, Manipulationen, Denkfehler, Traditionen, Religionen, diese Freiheit des Menschen, die nicht über Gesetze geregelt werden kann, wieder nehmen.

2018 war auch das Jahr der Diskussionen über Migration. Übel fand ich den Satz: «Migration ist kein Menschenrecht!» 200.000 Jahre hat sich der Mensch Plätze zum Leben gesucht. Wurde es ungemütlich oder waren die Ressourcen verbraucht, zog er weiter. Dies war ihm möglich, weil er über Intelligenz verfügt. An einem Platz zu verharren, an dem man entweder nur dahin vegetieren kann oder zum Sterben verurteilt ist, könnte man auch als doof bezeichnen. Vielen aus den Wohlstandsgesellschaften ist diese freie Platzwahl möglich. Den Armen verweigern wir dieses, damit wir eine Wohlstandsgesellschaft bleiben. Anders: Wir bestimmen über die Möglichkeiten eines Lebewesens aus materiellen Erwägungen. Allgemein nennt man dieses einem Wesen die Würde zu nehmen oder erst gar nicht zuzugestehen. Millionenfach machen wir das mit Tieren, vor denen wir jeglichen Respekt, vor allem dem damit verbundenen Leben verloren haben.

Nun gut … ich selbst werde diesen Abend am Strand mit einem Glenmorangie, einer Havanna und vermutlich einigen Sea Gypsies verbringen. Zumindest würde ich mich freuen, wenn ich für ein paar Stunden in ihrer Mitte akzeptiert werde.

Bye Bye … Facebook

Lesedauer 6 Minuten

Ich lebe mein Leben und du lebst dein Leben.
Ich bin nicht auf dieser Welt, um deinen Erwartungen zu entsprechen –
und du bist nicht auf dieser Welt, um meinen Erwartungen zu entsprechen.
ICH BIN ich und DU BIST du –
und wenn wir uns zufällig treffen und finden, dann ist das schön,
wenn nicht, dann ist auch das gut so.

Fritz Perl, Gestaltgedicht

Zum 1.1.2019 werde ich nach reiflicher Überlegung meinen Facebook Account löschen. Ich könnte dies heimlich still und leise machen. Doch ich habe mich aus mehreren Erwägungen heraus, dagegen entschieden und möchte hier über beides, Abschalten und die Form, einige Worte schreiben.

Als Facebook aufkam, war ich neugierig. Ich begann mit einem Account unter einem falschen Namen. Ich wählte damals den Namen Jason Borowski. Das ist der Name von Jason Bourne in den Originalbüchern von Robert Ludlum. Hinzu kamen später einige Fake Accounts, die ich dienstlich verwendete. Damals hatte ich das Spiel «Facebook» noch unter Kontrolle, besser, ich kontrollierte das Geschehen. In den 90gern trieb ich mich in einigen Newsgroups herum. Neben fachspezifischen Gruppen, die durchaus informativ waren, gab es dort auch schon eine Menge Blödsinn, der mich ein wenig an das aktuelle Facebook erinnert. Doch Blödsinn wäre noch kein Grund, das Spiel abzuschaffen.
Facebook hatte für mich zeitweilig eine besondere Funktion. Die mich näher kennen, wissen darum, dass ich über Jahrzehnte hinweg aus beruflichen Gründen «nicht identifizierbar» bleiben wollte und musste. Eine Verbindung zwischen Abbild und Namen, wären nicht zuträglich gewesen. Diese Verbindung herzustellen, war für mich eine innere Befreiung. Mit einem individuellen Paukenschlag beendete ich damit auch eine berufliche Karriere. Doch das war eher ein Spezialfall.

Warum posten Menschen etwas bei Facebook? Es mag dafür unterschiedliche Gründe geben, doch Meistenfalls läuft es auf Anerkennung hinaus. Das ist erst einmal nicht negativ. Anerkennung ist für ein soziales Wesen wie den Menschen eine existenzielle Notwendigkeit. Ich möchte, dass mich andere Menschen eines sozialen Gefüges erkennen, sehen und letztendlich als Gruppenmitglied anerkennen. Diesem Gedanken folgend ist ein Post nichts anderes, wie eine Art Bewerbung bei einer nicht fest abgegrenzten Gruppe, der ich zugehörig sein will.
Selbst wenn ich einen kritischen Post unter den Beitrag eines anderen setze, tue ich dies nicht, um denjenigen zu beeinflussen, sondern ich will meiner Gruppe etwas zeigen. Seht her, ich stehe dem Thema oder der Aussage dieses Vollpfosten kritisch gegenüber. Die Annahme einer Einflussnahme ist töricht. Niemand überdenkt seine Haltung ernsthaft, weil er bei Facebook kritisiert wurde und ändern können wir bekanntlich immer nur einen Menschen, nämlich uns selbst.

Wenn ich unter diesem Aspekt die Beiträge aus meiner sogenannten Timeline lese, komme ich zu folgenden Ergebnissen:

  1. Der hinter FB liegende Algorithmus ist mittels Analyse zum Ergebnis gekommen, dass die mir gezeigten Beiträge entweder von einer Gruppe stammen, der ich wahrscheinlich beitreten möchte oder sie zu meiner bereits vorhandenen Gruppenzugehörigkeit passen.
  2. Die Postings sind Ausdruck dessen, worüber sich die Menschen definieren und womit sie sich bei Leuten bewerben. Im realen Leben machen wir das auch. Unsere Kleidung, die Wortwahl, was wir beim Kennenlernen erzählen oder verschweigen, gehört alles zur Anbahnung einer Bindung.
  3. Demnach stehe ich zu einer Vielzahl von Menschen in Verbindung, die sich über ihre Freizeitgestaltung (Diskotheken, Vergnügungen, Barbesuche u.ä.) und dem Zeigen, mit wem sie dieses tun, definieren. Es scheint ihnen wichtig zu sein, jedem zu zeigen, wen sie kennen und das sie für viele Menschen ein Sympathieträger sind. Kurzum: Sie sind demnach gute, nette, sympathische Menschen. Dann wären noch die erwähnenswert, die mir ihr Essen zeigen. Eigentlich zeigen sie mir nicht ihr Essen, stattdessen teilen sie mit, in welchen tollen Restaurants sie speisen, dass sie nicht wie der letzte Spießer immer ein und dieselbe Pizzeria aufsuchen, sondern weltoffen und Bohemien sind.

  4. Eine spezielle Kategorie sind die Aufreger. Ungewollt und vermutlich auch unbewusst, geben sie mehr über sich und ihr Inneres preis, denn sie vermuten. Ein Beispiel hierzu. Mehrere dieser Leute posteten letztens ein Video von einem älteren bärtigen Mann, welcher sich in einer mitteleuropäischen Fußgängerzone abwechseln mit ein und derselben Hand den Hintern und das Gesicht wusch. Zur Herkunft des Videos, dem Ersteller, den Ort, zur Person des Mannes gab es keine Informationen. Die Aufreger stellten diese Fragen auch nicht. Für sie war klar, dass es sich um einen Flüchtling islamischen Glaubens handeln müsse. Im gleichen Zuge beschworen sie gefahren für unsere Kultur herauf.

a) Wer hat nichts besseres mit seinem Leben anzufangen, als dieses Video zu drehen?
b) Wer sagt mir, dass es sich nicht um einen Obdachlosen oder einen psychisch Kranken handelt, der entweder verwirrt ist oder einfach glücklich ist, sauberes Wasser gefunden zu haben?
c) Warum erzeugt dieses Video bei jenen Kommentatoren Zorn, statt sie Mitleid aus den Gründen unter b) ableiten?
d) Bei wem wollen Sie sich bewerben und wie sieht diese soziale Gruppe aus?

Bemerkenswert finde ich auch die Leute mit merkwürdigen Zusatzinformationen bzw. Satzkonstruktionen. Meiner Meinung nach haben wir z.B. solange ein gesellschaftliches Problem mit der Homosexualität, wie Beschreibungen mit «Obwohl» beginnen oder die Ausrichtung überhaupt erwähnenswert befunden wird. Gleichermaßen sieht es mit unserem «Fremdeln» aus. Letztens postete eine Freundin ein Ereignis, bei dem sie in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde und der von ihr getroffene Fußgänger das Weite suchte. Er wird seine Gründe gehabt haben. Sie ergänzte: Er war nicht blond – und scherzhaft: Ich habe nicht mit dem Mercedesstern gezielt. Informationen, die obsolet sind, und etwas offenbaren. Mit Sicherheit kein Rassismus, dafür kenne ich die Verfasserin zu gut. Sondern: In diesem Land läuft einiges aus dem Ruder und was das ist, erklärt sich zwischen den Zeilen. Auch das ist eine Abgrenzung und Bewerbung zugleich. Klappe halten für Relativierer, Nachdenker und Gutmenschen – Einladung an die eher populistisch ausgerichteten Zeitgenossen.

Ich habe mal nachgelesen, in wie vielen meiner eigenen Postings und derer meiner Freundschaften offene Fragen vorkommen. Die Tendenz strebt gegen Null. Fragen sind entweder ein rhetorisches Führungsmittel oder ein echtes Interesse an Thema oder Person. Weder ich noch die anderen interessieren sich offensichtlich füreinander, sondern es geht um Eigendarstellung. Auch hierzu ein Beispiel aus jüngster Zeit. Meine aktuelle Reise ist nicht einfach ein Urlaub, sondern für mich ein Weg, um mir über einiges im Leben klar zu werden. Ein paar Ereignisse, besonders wenn es um Gespräche mit für MICH interessanten Menschen, ging, erwähnte ich. Zumeist las ich Kommentare, in denen es darum ging, denen ich entnahm dass die Schreiber dies alles bereits erlebt hatten, die wiedergegebenen Biografien ohnehin für zweifelhaft fanden und meine Gedanken eher seltsam wären. Dies ging so weit, dass mir geraten wurde, meine Ernsthaftigkeit wieder gegen mehr Spaß einzutauschen. Spaß habe ich unterwegs ohne Ende. Doch ich bin nicht auf einer Vergnügungstour oder in einem Cluburlaub. Ein paar Sachen gingen in der Vergangenheit schief und ich versuche zu verstehen, wo die Abbiegungen waren, die ich nicht hätte nehmen sollen. Jedoch handelt es sich nicht um eine Selbstfindung, denn wer, wo und was ich bin, weiß ich längst. Ich will wissen, welche Faktoren mich zum Abweichen von der eigenen Linie brachten. Die Betrachtung von Facebook und meinem eigenen Verhalten dort, ist dabei recht aufschlussreich.

Facebook konfrontiert mich in schöner Regelmäßigkeit mit Themen und Aussagen, bei denen ich den inneren Ärger schwer unterdrücken kann. Ich gebe zu, die “Meinung” des einen oder anderen innerhalb meines Bekanntenkreises hätte ich besser nicht erfahren sollen. Wie in einer guten Partnerschaft, sollten man vielleicht nicht alles von und über den anderen wissen. Manch einer mag damit in seinem Bekanntenkreis umgehen können oder legt Wert auf andere Attribute, mir sind Menschenbild, Umgang und Lebensführung ein Bedürfnis. Facebook hat einige demaskiert. Damit sind sie für mich nicht zu schlechten Menschen geworden, aber eine Bindung wäre mir zu viel des Guten. Wir haben schlicht einen anderen Way of Life. Ein Hippie wies mich letztens darauf hin, dass “Take it Easy” nicht mit leichter Lebensweise übersetzt werden kann, sondern sich auf die Bedeutung bezieht, die man einer Sache für das eigene Leben bei misst. Ein kleiner, doch bedeutungsvoller Unterschied.

Facebook ist zu einem Steuerungs- und Manipulationsinstrument geworden, dem man sich selbst bei aller Aufmerksamkeit schwer entziehen kann. Ich stimme alten Internet Gurus in voller Breite zu, wenn sie von einer Gefahr sprechen. Es ist bisweilen nahezu unfassbar, wie selbst Menschen, die man gut zu kennen glaubte, Kampagnen auf den Leim gehen. Selbst Menschen, mit denen ich jahrelang zusammen arbeitete, denen ich immer einen scharfen analytischen Verstand unterstellte, fallen auf simpel überprüfbare konstruierte oder verfälschte Geschichten herein. Schlicht, weil bedient wird, was sie glauben wollen und in ihr geistiges Universum passt. Für mich selbst stelle ich fest, dass es mir nach dem Ausstieg aus der «Mühle» immer einfacher fällt, dem zu entkommen. Vielleicht liegt es daran, dass ich wieder Ressourcen aktivieren kann, die ich zuvor dem Stress opferte. Doch die anderen sind mir egal. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich vermutlich beizeiten Fragen gestellt. Wie erwähnt tat ich das nicht.

Neben der Betrachtung meines Verhaltens und anderer bei Facebook stellte ich fest, dass mir sehr wichtige Menschen, die eben dort nicht präsent sind, aus dem Fokus geraten sind. Ein interessanter und zugleich erschreckender Umstand. Das Abschalten gehört zu meinem Plan, mich wieder mehr um die zu kümmern, an denen ich wirklich ein Interesse habe. Bei Facebook kursieren immer wieder diese Ketten – Kommentare. «Wenn Du wirklich … bla, bla, bla … dann hast Du diesen Text bis zum Ende gelesen … bin gespannt … bla, bla, bla.» Ist das nicht armselig und gleichzeitig bedauernswert? Das Problem erkannt und einfach weitergemacht.

Ich denke, wer ein echtes Interesse an meiner Person hat, wird keinerlei Probleme haben, mit mir im Kontakt zu bleiben. Andersherum gilt dies auch. Unsere Welt ist derart vernetzt, da geht es gar nicht anders. Selbst Freunde in Übersee können heute anders erreicht werden und wenn sie einen wirklich treffen wollen, gibt es immer noch diese Mailfunktion.

Doch ich schrieb es schon einmal an anderer Stelle: Lebenszeit ist für mich zu einem persönlichen wertvollen Besitz geworden. Jede Ausgabe will gut überlegt sein. Wenn man das liest, könnte man meinen ich habe schreckliche Botschaften erhalten. Keine Sorge, dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil, ich fühle mich besser, als mit 40. Mir ist aber der Wert von Lebenszeit bewusstgeworden. Und bei Facebook kann ich diese Lebenszeit genauso gut in den nächsten Mülleimer treten. Mir ist durchaus bewusst, dass manche sich nach diesem Text auf den Schlips getreten fühlen. Ein unumgänglicher Faktor. Vielleicht löst sich auch die eine oder andere Bindung – doch wie im eingehenden Zitat erwähnt: Dann ist das so. Und ich habe beim Auswerten meines Accounts sehr wohl zur Kenntnis genommen, wer mir und wem ich Fragen gestellt habe.

In diesem Sinne

(Die Seite wurde gerade frisch bezahlt … da geht es wie gehabt weiter. Gruß an Dich Horschi.)

Der Fischer

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Trotz dessen, dass ich in einer Großstadt geboren bin, blicke ich auf viele Naturerlebnisse zurück. Ich wanderte durch die Pyrenäen, übernachtete in der Wildnis, lernte Wälder kennen, habe beim Kuhstallausmisten geholfen, war beim Schlachten eines Schweins zugegen, bin drei Tage auf einem Kutter mitgefahren, habe beim Werfen von Welpen zugesehen und war bei einer Jagd dabei.  Bei solchen Erlebnissen gehen mir immer dieselben Gedanken durch den Kopf.

Vor einigen Tagen hatte ich einen Fischer gefragt, ob er mich mal mitnehmen könne. Ich hatte mir eine Bootstour vorgestellt. Es sollte ganz anders kommen. Gestern sagte er mir, dass ich zu 16:00 Uhr, Ebbe, bereithalten sollte. Bewaffnet mit einem Eimer, mehreren kleineren Fischnetzresten, fünf ca. einen halben Meter langen Ästen und einem Messer zogen wir los. Er mit Flipflops, ich mit Badeschuhen an den Füssen. Eine halbe Stunde liefen wir über den frei gelegten Meeresboden. Seegras, Muscheln, Korallen, glitschige scharfkantige Felsenabschnitte folgten aufeinander. Ich konnte mir keinerlei Reim darauf machen, was wir eigentlich suchten.

An der Wasserkante angekommen, zeigte er plötzlich auf einen im Boden steckenden Ast. Er hockte sich hin und begann unendlich langsam und behutsam an einer dort befestigten Angelschnur zu ziehen, die in ein Loch hineinreichte, welches etwa dem Durchmesser einer normalen Kaffeetasse entsprach. Plötzlich erkannte ich, wem unser Interesse galt. Langusten! Wenn das Wasser sich zurückzieht, verschwinden sie wie Krebse im Sand. Während die Krebse einen markanten Sandkranz hinterlassen, sind die Löcher der Langusten scharf abgegrenzt oder man kann einen Sandkranz erkennen, in dem sich ein kleineres Loch befindet.
Nach und nach wanderten wir von einer Falle zur nächsten. Zu seiner Enttäuschung, waren an diesem Tag nur kleinere Exemplare, männliche Tiere, wie er mir erläuterte, ins Netz gegangen. Deshalb hielten wir Ausschau nach weiteren Löchern. In zwei Stunden fand er zehn und ich eines.

Der Abenteurer Rüdiger Nehberg berichtete mal von seinem Aufenthalt bei einem Stamm in Brasilien, der ihn zur Affenjagd mit nahm. Da er mit den Eingeborenen im Dschungel nicht mithalten konnte, bat er darum, wieder zum Dorf zurückkehren zu können. Die Indios konnten nicht nachvollziehen, dass er als erwachsener Mann anhand der Bäume nicht den Weg zurückfand. Am Ende stellten sie ihm ein Kind an die Seite, welches ihn zurückbrachte.
Ich habe keine Ahnung, an welchen Punkten sich mein Fischer in der weiten Ebene orientierte, doch zielstrebig steuerte er seine Fallen an. Dazwischen fand er noch die Zeit Oktopusse auszumachen, die er mit einem Haken aus ihren Löchern holte. An den neu entdeckten Löchern installierte er neue Fallen. Ich habe offensichtlich verlernt, in einer natürlichen Umgebung markante Punkte auszumachen. Besondere Felsen, Berge, einzeln stehende Bäume mögen noch funktionieren, aber in diesem Chaos aus Steinen, Korallen und Wasserpfützen, war ich überfordert.

Zum Bau der Fallen stopfte er die Netzreste hinein, band sie an einem der mitgebrachten Stöcke fest und legte einen Stein auf das Loch. Die Languste verfängt sich mit den Scheren am Netz und kann dann so herausgezogen werden. Simpel, aber sehr effektiv.
Heute um 05:00 Uhr, noch in der Dunkelheit ging es erneut hinaus. Wobei ich pünktlich war, jedoch mein Fischer erst eine halbe Stunde später erschien. Ich glaube, er hatte nicht damit gerechnet, dass der Tourist sein Wort hält. Alleine wäre ich überall gelandet, aber mit Sicherheit nicht bei den Fallen. Selbst im Dunkeln fand er seinen Weg. Und wieder landeten einige Oktopusse im Eimer. Die Fallen gaben vier Langusten her. Die Beute landete am Ende bei der Köchin und soll heute Nachmittag mein Salat werden.

Unterwegs erzählte er mir, dass er niemals ein Haus oder Land besessen hat. Sein Leben fand früher ausschließlich auf dem Meer und dem Boot statt. Heute wäre das anders. Durch die Touristen könne man in der Hauptsaison nicht mehr Fischen. Die Fischer verdienen in dieser Zeit ihr Geld mit den Rifftouren. Langusten wären immer noch ein einträgliches Geschäft, weil die Chinesen für das Kilo umgerechnet 50 EURO bezahlen. Mir erklärte sich dadurch die Armut vieler Inselbewohner. Wer keinen Job in den Luxusresorts oder den Agenturen bekam, musste irgendwie die Hauptsaison überstehen. Damit war mir auch plötzlich klar, warum ich die Einheimischen ständig am Strand sammeln sah. Krebse, Muscheln und Oktopusse sind in dieser Zeit das Hauptgeschäft. Selten bring mal einer aus den wenigen freien Fischgründen, einen heiß begehrten Barrakuda mit nach Hause.
Er berichtete auch davon, dass er den letzten Tsunami auf Schiff erlebt hatte. Sein Glück war, das Koh Mook, im Gegensatz zu Krabi nicht mehr die volle Wucht abbekam. Ich verstand von seinem Englisch und den wilden Gesten nicht viel, aber die Dramatik der Situation kam ausreichend herüber.

Ob es nun damals in den Pyrenäen die Hirten waren, die mir vor machten, dass man auch mit heruntergetretenen Latschen und einem Lederranzen in den Bergen überleben kann oder der Fischer, sie gemeinsam zeigen mir, wie sehr ich mich als Städter vom echten menschlichen Leben und seinem Überlebenskampf entfernt habe. Ich habe keine Zahlen, lediglich eine diffuse Vorstellung davon, wie hoch der Anteil der Menschheit ist, der in urbanen Gebieten der Wohlstandsgesellschaft lebt. Jedoch eins ist klar, dieser Teil lebt in einer virtuellen Welt. Blöderweise ist es aber genau jener Teil, der über die Geschicke dieses Planeten entscheidet. Diejenigen welche in, mit und von der Natur leben haben keinerlei Möglichkeiten an den Entscheidungen zu partizipieren.

Es gibt in unserer virtuellen Welt einen großen Abstand zwischen der politischen Führung und den Menschen, welche die alltäglichen Widrigkeiten meistern müssen. Hinzu kommt der Abstand zwischen Landwirten und Handwerkern zu Dienstleistern. Wie groß und unermesslich ist dann der Abstand zwischen dem Fischer und den politischen Führern, die über sein Schicksal bestimmen? Menschen, die außerhalb der Universität und ihrem Büro, niemals etwas anderes vom Leben kennenlernten? Wir blicken schon kopfschüttelnd auf sie, weil sie niemals in einen Arbeitsprozess eingebunden waren und es gar nicht besser wissen können. Was mag dem Fischer beim Anblick dieser Persönlichkeiten durch den Kopf gehen?

 

Inselgedanken …

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Warum jagen Hunde in Deutschland Katzen, während sie dies auf einer Insel im Süden von Thailand nicht tun? Fressen die Ameisen den Tausendfüßler, oder ist es genau anders herum? Sind große Kakerlaken einzeln lebende Insekten? Warum krabbeln große Einsiedlerkrebse bis ins Landesinnere? Was machen die da? Was sind das für leuchtende Punkte nachts im Meer? Algen? Bakterien? Warum ist der Sonnenuntergang in der Nähe des Äquators so kurz?

Das alles sind Fragen. Auf keine dieser Fragen, mal abgesehen vom Sonnenproblem, habe ich Antworten. Fragen gehören zu den komplexen philosophischen Themen und Suche nach Definitionen Erkenntnis, Wahrheit, Gewissheit, Meinung, Erkenntnisgewinnungsprozess und vielem mehr. Es gab mal eine Zeit, da machten sich Menschen Gedanken. Sie dachten darüber nach, wie sie miteinander kommunizieren können. Sie machten aus ihren Auseinandersetzungen eine hohe Kunst. Sie diskutierten, debattierten, entwickelten rhetorische Kunstformen, erörterten die möglichen Fehlerquellen, die zu Missverständnissen führten und setzten dies alles immer in Bezug zur menschlichen Wahrnehmung. Wer ist dieser Mensch? Wie verhält es sich mit dem, was er wahrnimmt? Gibt es universelle Wahrheiten?

Wir schreiben das Jahr 2018. Die Römer landeten nach und nach in der Dekadenz. Ihre Zeit war vorbei. Die barbarischen Stämme übernahmen. Eines Tages wurde ihnen das Chaos zu bunt, und mehr ungewollt, gründeten sie neue Reiche. 2018 ist alles, was jemand von sich an Tönen absondert eine Meinung. Egal, wie irre und weit hergeholt die Zusammensetzung der Worte auch sein mögen, am Ende ist es die Meinung von jemanden. Erkenntnisse und Wahrheiten werden nicht mehr voneinander unterschieden. Inhaltschwere Worte sterben. Zum Beispiel verwendet kaum noch jemand das Wort «Alterozentrik». Zwei oder mehr Menschen treffen aufeinander und packen ihre Erkenntnisse auf den Tisch, um aus dem gegenseitigen Abgleich die Fehler zu ermitteln und daraus eine erweiterte Erkenntnis zu ermitteln.

Die meisten verfügen auch nicht mehr über die Fähigkeit, Fragen zu stellen. Sie wissen, sie haben eine Meinung, einen Standpunkt, eine Erfahrung aus der sie alles restliche ableiten, eine Wahrheit, zu mehr reicht es nicht. Sie haben die Fähigkeit des Denkens verloren, welches ihnen Einsichten in die eigene Fehlbarkeit ermöglichen würde. Kaum einer verfügt noch über eigene Erkenntnisse. Das meiste davon wurde konsumiert. Jemand, der daraus Kapital schlagen will, hat ihnen etwas erzählt und sie haben es übernommen. Ich tue mich schwer mit dem Wort Dummheit. Ich will gar nicht so weit gehen und die Kommentare der Zeitgenossen in den Social Media heranziehen. Zwei Geschichten der letzten Tage ließen mich in Bezug auf Menschen wieder einmal mit lauter Fragen zurück.

Ein einheimischer Fischer und Bootsführer, gerade mal 170 cm hoch, drahtig, und ca. 60 kg schwer, fuhr mit einer Gruppe Touristen, die sich aus wohlgenährten (freundlich ausgedrückt) Deutschen, Polen, Briten und Italienern zusammensetzte auf das Meer hinaus. Es herrschte kein Sturm, aber der Wind reichte, um einige Wellen zu erzeugen. Beim bestiegenen Boot handelt es sich um ein Longtailboot. Die schmalen Holzboote haben am Heck einen in alle Richtungen ausrichtbaren Dieselmotor, mit dem eine Schiffsschraube angetrieben wird, die sich am Ende einer 5 Meter ins Wasser gesenkten Stange befindet. Der Bootsführer bewegt zum Steuern kein Ruder, sondern wuchtet den Motor in die passende Richtung und je nach Wassertiefe senkt oder hebt er die Stange. Oftmals werden mit diesen Booten auch Frachten transportiert. Die Bootsführer achten sehr genau auf die Ausbalancierung der Fracht, da eine Schieflage stundenlange Schwerstarbeit zur Folge hat.

Die beschriebene Touristengruppe interessierte dies alles gar nicht. Sie verteilten sich in dem Boot nach sozialen Kriterien. Die beiden Polen, 80 – 90 kg, hatten auf Backbord noch eine Besprechung, während sich die graziösen Polinnen auf Steuerbord die neuesten Schminktipps gaben. Der Italiener (ca. 90 kg, 190 cm) war frisch verliebt und erklärte seiner leichtgewichtigen Ragazza das Meer. Weitere Beschreibungen dürften nicht notwendig sein. Keinem von ihnen interessierte der gegen die Wellen ankämpfende kleine Insulaner. Abends war der arme Kerl vollkommen fertig und beschrieb mir die Dusseligkeit seiner Fahrgäste. Sie zu Verteilen entspricht nicht seinem Wesen. Niemals würde er auf die Idee kommen, den Farangs Anweisungen zu erteilen. Dummheit? Ignoranz? Entfernung von den Dingen, auf die es wirklich ankommt? Dekadenz?

An einem anderen Tag beobachtete ich ein Pärchen aus den Niederlanden, die es sich an einem Strand gemütlich machten. Der Strand kann nur durch den Dschungel oder mit einem Kajak erreicht werden. Die Flut treibt jeden Tag allerlei Plastikmüll in den hinteren Bereich, so dass sich dort ein breiter Haufen gebildet hat. Beim Schnorcheln fanden sie im Wasser zwei große Plastikflaschen. Immerhin holten sie diese aus dem Wasser heraus. Was nun? Ich erwartete, dass sie die Flaschen ins Kajak legen und bei der Rückgabe des Boots den Müll an passender Stelle entsorgen. Sie zuckten mit den Schultern und warfen sie auf den Haufen zu den anderen Flaschen. Das hätte die Flut auch alleine hinbekommen. Vermutlich erwarten sie, dass die Einheimischen diesen Haufen am entlegenen Strand reinigen. Das sie, die Touristen, für diese Flaschen maßgeblich verantwortlich sind, kommt ihnen nicht in den Sinn. Ich selbst packte dann einige Flaschen in einen Beutel und nahm sie auf der Rücktour mit.

Die beiden Verhaltensweisen lassen sich auf vieles, was derzeit passiert, hochrechnen und anwenden. Was habe ich von solchen Mitmenschen in Europa zu erwarten? Niemand stoppt diese Prozesse. Selbst wenn die Menschen aus der Wohlstandsgesellschaft mal ohne die Masse unterwegs sind, in der sie dem Effekt der Deindividuation unterliegen, funktioniert im Oberstübchen nichts mehr. Nichts von dem, was ich aus der Ferne in den Social Media und Nachrichten lese, hat noch etwas mit Vernunft zu tun. Manchmal überkommt mich eine dystopische Gewaltfantasie. Es müsste jemand eine globale Katastrophe erzeugen, die uns mit einem Schlag aller technischen Errungenschaften berauben würde. Die Folgen wären anfangs verheerend. Doch es würde sich zeigen, wer als Mensch wirklich seinem Ruf gerecht wird und in schwierigen Situationen überlebensfähig ist. Die Insulaner würden sich kurz schütteln und nach einer Woche, wäre alles in Butter. Das Chaos in Europa würde die Bevölkerung auf ein Drittel reduzieren. All die Leute, die bis zu diesem Zeitpunkt dachten im Besitz von Wahrheiten, eigener Erkenntnisse und Wissen zu sein, schauten in eine schwarze Zukunft.

Der kleine Bootsführer hat mich zu einer Angeltour eingeladen. Kokosnüsse öffnen, ist seiner Auffassung nach, nicht eine meiner Kernkompetenzen. Dabei hätte er mir nur eine gerade Machete geben müssen. Mit so einem Krummsäbel aus dem Stahl einer alten Bombe kann ich nicht arbeiten. OK, er braucht zum Abschaben der Kokosflocken nur fünf Minuten, ich eine gepflegte halbe Stunde. Wenn der wüsste, wie ich mich beim Angeln anstellen kann … Aber irgendetwas wird er schon noch finden, wo zu ich tauge.

Gibt es noch Trauminseln?

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Bestimmt gibt es sie noch irgendwo. Doch wenn sie einer entdeckt, sollte er die Koordinaten tunlichst für sich behalten. Der Tourismus wird sonst alles innerhalb weniger Jahre zerstören. Die Bewohner werden sich verändern, der Strand wird zur Müllkippe, überall werden Motorroller herum rasen und die Speedboote werden die Riffe zerstören. 

Meine erste Insel auf dieser Reise hieß Koh Lipe. Freunde schwärmten von der Ursprünglichkeit und den wenigen Touristen. Wenig? Nun, das dürfte eine Frage der Relationen sein. Genauso verhält es sich mit den Preisen. Im Vergleich zu anderen Zielen waren sie günstig, in Relation zu anderen Gebieten in Thailand, war das Preisniveau eher hoch. Trotz alledem ist die Insel ein fantastischer Ort. Das Wasser ist warm und glasklar. Bereits nach wenigen Metern kann man Schnorcheln und zwischen den noch lebenden Korallen eine große Vielfalt an Fischen bewundern. Aber die Bewohner der Insel müssen in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Touristen gesammelt haben. Selten habe ich erlebt, dass Menschen derart gnadenlos dem Geld hinterher waren, wie dort. Kaum stand das Getränk auf dem Tisch, wurde Cash eingefordert. 

Die Krönung erlebte ich mit einem jungen Kellner in einem Resort. Ich hatte mich dort mit zwei Freundinnen getroffen. Sie übernahmen die Rechnung, da ich kein Bargeld dabei hatte. Beim Begleichen wurde ein Bier übersehen. Grundsätzlich war das kein Problem. Die beiden hatten sich kurz in ihren Bungalow zurück gezogen und ich wartete am Tresen. Der Kerl am Tresen fragte nach dem offen gebliebenen Bier. Ich erläuterte ihm, dass ich auf die beiden warten würde und er dann sein Geld (2,68 EUR)bekäme. Er nickte, rannte aber plötzlich weg. Ich ahnte, was er vor hatte. Wenige Minuten später kehrten meine Freundinnen wieder zurück. Wie ich es angenommen hatte, war er zu ihn gerannt und hatte meine Worte überprüft. Meine bösen Blicke konnte er nicht verstehen.

Aber es geht auch anders. Derzeit befinde ich mich auf der Insel Koh Mook. Bisher ist diese Insel von Luxusresorts und unzähligen Beachbars verschont geblieben. Wieder einmal habe ich bei der Auswahl meiner Unterkunft unverschämtes Glück gehabt. Das Garden Beach Resort lebt durch die omnipräsente Chefin “Dada”. Ihre Familie stammt von der Insel. Früher lebten sie vom Kautschuk und vom Kaffee. Kautschuk, einst eine einträgliche Geldquelle, kann heute niemanden mehr ernähren. In vergangenen fünf Jahren sind die Preise durch die Aktivitäten der großen Konzerne zusammen gebrochen. Beim Kaffee sieht es nicht viel anders aus. Dada führt ihren Gästen jeden Tag um 17:00 Uhr die alte traditionelle Herstellung von Kaffee vor. Die gesamte Beere wird in einem Sud gekocht, bis ein zäher Brei entsteht, der dann geröstet wird. Hierbei wird der Kaffee karamellisiert. Die großen Bruchstücke werden anschließend zu einem Pulver gestampft. Jenes zieht sie dann mit einem Stofffilter durch heißes Wasser. Das Ergebnis ist ein fantastisches Gebräu.

Dada erzählte mir, dass sie vieles nicht für das Geld tun würde. Nachdem ich mitbekommen habe, wie einige Backpacker über den Preis verhandelten, kann ich dies nur bestätigen. Sie will die Traditionen am Leben halten. Zum Resort gehört auch der “Skipper”. Er ist die Verkörperung eines auf  See lebenden Insulaners. Klein, drahtig, von der Sonne gegerbt und mit einer nie enden wollenden Energie beseelt. Vor zwei Tagen, unternahm er mit vier anderen Touristen und mir eine Bootstour zur Emerald Cave.

Bevor wir die Höhle anfuhren, gab er uns die Gelegenheit an einigen Stellen zu den zahlreichen Riffen herunter zu tauchen. Im Wasser verwandelte sich der Skipper schlagartig zum leidenschaftlichen Fischer. An einer Stelle gab er mir zu verstehen, die Stelle im Wasser zu markieren, weil er einen Calmar gesichtet hatte. Mit der Geschwindigkeit eines Olympioniken schwamm er zum Boot zurück, ergriff die Harpune und erlegte unser Mittagessen. Ich gebe zu, dass ich weder den Calmar unter Wasser gesehen hatte, noch ihn jemals wieder gefunden hätte. Mit dem gleichen scharfen Blick entdeckte er im Wasser Meeresschildkröten.

Die  ca. 80 Meter lange Höhle kann nur bei Ebbe durchschwommen werden. Sie führt zu einer Lagune, die früher von Piraten als Rückzugsort genutzt wurde. Wer mal in der Gegend sein sollte, darf sie nicht auslassen. Das Erlebnis ist wahrlich toll. Für ein wenig zusätzliches Amüsement sorgten einige Touristen, die mit dem Kajak anrückten. Auf Höhe des Boots rief ich ihnen zu: “Sorry it’s closed.” Ohne jegliche Nachfrage drehten sie bei. Da half alles Hinterherrufen nicht mehr. Solltet ihr Euch aufgrund eines merkwürdigen Umstands auf die Seite hier verirren: SORRY!

Ich habe jetzt schon eine Menge auf der Reise erlebt. Nun merke ich, dass ich Bedarf habe, das bisher Geschehene zu verarbeiten. Hierfür habe ich einen guten Platz gefunden. Ich bemühe mich, dem Druck alles sehen zu müssen, zu widerstehen. Mein ursprünglicher Plan bestand darin, mir diverse Inseln anzusehen. Den habe ich verworfen. Es mag sein, dass es noch schönere Inseln gibt. Aber schön ist schön und ich mag den Platz hier. Warum sollte ich hin – und her “schippern”? So etwas wie diesen Platz habe ich gesucht. Mein VISA für Thailand endet am 20.12., dann werde ich gezwungenermaßen nach Malaysia weiter ziehen. Doch ich bin bereits am Überlegen, ob ich nochmals versuche 2019 zurück zu kehren. Theoretisch müssten die Bestimmungen dies erlauben.

Gespannt bin ich auch auf meine Rektionen in einem islamisch geprägten Land. Im Süden von Thailand besteht eine Mixtur aus Buddhismus und Islam. Man merkt dies spätestens beim Versuch ein Bier zu kaufen. Dada ist angeblich auch eine Muslimin. Ich weiß nur nicht, ob sie jenseits des Alkoholverbots auch noch andere Regeln kennt. Sämtliche Reliefs im Resort entstammen dem Buddhismus bzw. Hinduismus. Der Skipper macht auf mich auch nicht den Eindruck, dass er in seinem Leben jemals eine Moschee von innen gesehen hat. Einige Meter vom Resort entfernt stehen Pfahlbauten von Fischern. Dort habe ich einige Männer beten sehen. Bis auf die Kopftücher deutet bei den Frauen nichts auf Islam hin.

Aber einiges kann ich jetzt bereits sagen, die mit dem Kopftuch sind deutlich distanzierter im Wesen, als die Buddhistinnen. Na mal sehen, wie sich das in Malaysia auswirkt. Ich vermute, die Regeln einer Buchreligion nehmen einiges an Lebensfreude. Gleiches kann man auch in stark katholisch ausgerichteten Regionen beobachten.