Unter – o. überschätzte Überwachung?

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«Lass uns mal darüber lieber nicht am Telefon sprechen!»; «Ich schreibe hier auf WhatsApp lieber nichts dazu, hast Du Threema? Oder lass uns Treffen.»; «Hast Du das Auto hinter uns schon mal gesehen?»

Wenn ich diese Sätze von ehemaligen Kollegen aus traditionell lichtscheuen Arbeitsbereichen höre und lese, verwundert mich das nicht. Ich bin auch nicht erstaunt, wenn sie von Leuten kommen, die sich selbst für die Speerspitze der autonomen Bewegung halten. Doch das ist längst nicht mehr auf diese begrenzt.

Es gibt dieses unselige Zitat: «Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!»

Der Spruch gehört in die Kategorie der nicht zu einem Ursprung zurückverfolgbaren Aussprüche. Letztlich kann nur gesagt werden, wer sich dessen in der Historie für seine persönlichen Zwecke bediente. Logisch lässt sich ableiten, dass es entweder als Hinweis auf die eigene Unschuld gemeint ist oder die Rechtfertigung seitens eines Kontrollierenden darstellt. wird. Goebbels verwies in Genf mit einer leichten Abweichung darauf, dass das Deutsche Reich die Kontrolle der Weltöffentlichkeit nicht fürchten müsse, da nichts verborgen werde.

Fakt ist auch, dass wir immer das befürchten, was wir dem anderen zutrauen. Das hat nicht zwingend etwas mit seinen tatsächlichen Möglichkeiten zu tun.

Anders ausgedrückt, die mir solche Botschaften schicken, trauen dem Staat und seinen Vertretern, meist der Polizei, dem Verfassungsschutz und den Diensten einiges zu. Ich könnte im Stillen denken, dass sie sich ein wenig zu wichtig nehmen. Wer sollte an ihrem Kleinkram schon ein Interesse haben? Doch ich habe in letzter Zeit gelernt, dass Geschichten, bei denen ich abwinke, für andere durchaus interessant, wenn nicht sogar skandalös sind. Ich kann von meiner Gelassenheit nicht auf andere schließen.

Ich muss auch berücksichtigen, dass sich die Zeiten vollkommen verändert haben. Beispielsweise waren in meiner Anfangszeit im Genre, Telefonüberwachungen, Lauschangriffe, Observationen und der Einsatz von Verdeckten Ermittlern mit großen Aufwand, komplizierter Logistik und vielen Kosten verbunden. Man konnte sich recht sicher sein, dass das alles nur bei großen Fischen zum Einsatz kam, oftmals nicht einmal bei denen. Die Zeit der monströsen Videokassetten, schweren Kisten mit Tonbändern, sperrigen Ortungsgeräten aus der Schifffahrt, unübersehbaren Mikrofonen und Kabel, sind lange vorbei.

Nicht die technische Machbarkeit verhindert die unrechtmäßige oder übermäßige Anwendung, sondern die Gesetze und im Falle der Dienste die Kontrollorgane.

Anders: Früher konnte der Insider sagen, was technisch möglich ist und dass die Wahrscheinlichkeit der Überwachung bei Sachverhalten des unteren Levels gegen Null tendiert. Heute muss er darauf vertrauen, dass die Leute, welche die Kontrolle innehaben gerade aus laufen. Vertrauen ist eine äußerst schwierige Angelegenheit, die jeder mit sich selbst ausmachen muss. Mein Vertrauen beschränkt sich auf die menschliche Natur.

Ich lebe nach der Maxime: Menschen machen immer das, was sie können und ich zulasse.
Es gibt im Genre einige zu beachtende Grundsätze. Jede neue zur Überwachung geeignete Technik weckt Begehrlichkeiten bei den Anwendern und wird bei vorhandenen finanziellen Mitteln angeschafft und wenn nicht ausdrücklich verboten, eingesetzt. Das Sammeln von Daten ist ein Selbstläufer. Wer innerhalb des Bereichs arbeitet, hat einen Auftrag, den er unter Einsatz aller seiner Möglichkeiten zu erledigen versucht. Ethische, moralische oder politische Zukunftsperspektiven spielen dabei keine Rolle. Das ist nicht die Aufgabe des Anwenders, sondern der Politik. Konkret benannt: die Aufgabe der Legislative.

Wenn sich Gewerkschaftsvertreter in diesen Prozess einmischen, ist das de facto eine Aufhebung dessen und gefährlich! Kein Polizist wird einen Rückzieher machen, wenn er gefragt wird: «Was kann man damit anrichten, wenn es in die falschen Hände gerät?».

Beispiele für meine Behauptung gibt es in der jüngeren Geschichte genug. Besonders Verfahren rund um den Paragrafen 129a StGB spielten dabei immer wieder eine Rolle. In den Neunzigern war der BGH noch recht widerspenstig. Doch die sind lange vorbei. Wir leben in einer hysterischen Ära, die von Angst vor islamistischen Terroristen, unorganisierten ausländischen Straftätern, und von einer konservativen Offensive des Establishments geprägt ist. Verstärkte Überwachungen werden neuerdings sogar von den Parteien SPD, LINKE und GRÜNE eingefordert.

Die übersehen dabei einen entscheidenden taktischen Zug von mit Überwachungen betrauten Behörden. Die haben vorgefertigte Beschaffungs – und Gesetzempfehlungen in den Schubladen zu liegen und warten lediglich auf einen passenden Anlass. Der angeschafften Technik ist es egal, dass sie nach einem islamistischen Anschlag angeschafft wurde. Bevor sie verstaubt, wird sie auch woanders eingesetzt. Ein alter Hut. Nichts anderes passierte damals zu Zeiten der RAF. Fraglich ist die Geeignetheit zur Bekämpfung der “schweren Jungs”, aber darauf komme ich zurück.

Ermittler verweisen gern auf die mannigfaltigen Möglichkeiten der Wirtschaft. Es kann nicht bestritten werden, dass die Plattformen, Smartphone Hersteller und Mobilfunk Anbieter, bis hin zu jeder Versicherung mehr Daten besitzen, denn jede deutsche Behörde.

Schon vor 15 Jahren hörte ich von einem hohen Vertreter des BND die Worte: «Der beste Nachrichtendienst ist immer noch Google. Das Geheimnis besteht in der Auswertung der Informationen.»

Für mich sind sie die Wegbereiter der Akzeptanz für den transparenten Bürger. Jeder Algorithmus zur Ausspähung der Lebens – und Einkaufsgewohnheiten ist der Traum eines jeden Observanten. (Es heißt eigentlich korrekt Observator, die falsche Bezeichnung Observant hat sich aber merkwürdigerweise durchgesetzt. Ein Thema für sich, wenn man bedenkt, dass ein Observant sich den Ordensregeln in einem Kloster unterwirft.) Mach wir uns doch alle nichts vor. Auf Kurz oder Lang wird sich eine Art Social Ranking, wie es in China bereits gestartet wurde, auch bei uns durchsetzen. Gleichfalls wird die Übermittlung von Körperdaten an Krankenversicherungen mit der Gegenleistung eines Preisnachlasses nicht mehr lange auf sich warten lassen. Erste Vorstöße sind bereits im Gange und wenn es nach einem Politiker wie Spahn geht, gibt es nicht einmal einen Nachlass, sondern nur eine Preissteigerung bei Verweigerung. Auch ein auf Entfernung auslesbarer und mitzuführender Ausweis, der den legitimen Aufenthalt in Deutschland bescheinigt, ist nur eine Frage der Zeit.

Staat und Wirtschaft verschmelzen meiner Auffassung immer mehr und werden sich meiner Meinung nach in 20 Jahren nicht mehr voneinander trennen lassen. Snowden hat uns aufgezeigt, wie weit alles voran geschritten ist. Keine Email, kein Foren Beitrag, mittlerweile auch WhatsApp Nachrichten entgehen den Big Five. Laut einigen Publikationen hat der BND von dem USA die passende Software dazu erhalten und der hat sich wiederum verpflichtet, alle damit gewonnenen Informationen an die amerikanischen Dienste auszuhändigen. Bis 2001 war ECHOLON ein Internetgespenst, aber alle Gerüchte waren wahr. Mittels ECHOLON und Nachfolger sind die Big Five in der Lage, die gesamte Kommunikation abzufangen. Die können sogar von jedem den halbwegs genauen Standort herausbekommen, in dem sie den Sendemast, welches ein Mobiltelefon benutzt, bestimmen.

Anfang der Neunziger war ich auf einer Podiumsdiskussion mit dem Thema Geldwäsche. Der damalige Leiter des BND forderte damals eine verstärkte Einbindung des Dienstes in die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. Der ebenfalls anwesende Präsident des BKA wies ihn empört mit dem Hinweis zurück, dass man wohl kaum den größten illegalen deutschen Waffenhändler damit betrauen würde. Das waren noch Zeiten. Jüngst forderte Seehofer für den BND die Berechtigung 14 jährige überwachen zu dürfen – und alles blieb ruhig. Dies immerhin, nachdem in einer Reportage nachgewiesen wurde, dass der BND jahrelang über die Ukraine illegale Waffenlieferungen in Krisengebiete ermöglichte bzw. beauftragte.

Die CIA befindet sich im Besitz der mittelfristigen Daten und die NSA ist das Langzeitgedächtnis. Wer Vertrauen in den Staat besitzt, geht davon aus, dass der BND auf die dort gesammelten Daten keinen Zugriff hat. Daten klingt nebenbei immer ein wenig niedlich. Ich finde persönlich den Begriff Informationen über das Leben eines Menschen viel treffender.
Wenn von Deutschland gesprochen wird, ist in gemäßigten Kreisen i.d.R. von einem freien Land mit freier Meinungsäußerung die Rede. Ich kann sagen und schreiben, was ich will und es passiert mir nichts.

Wer so argumentiert, hat zumindest in Sachen Nachrichtendienst einiges nicht verstanden. Eine Aufgabe besteht darin Informationen aller Art zu sammeln, sie professionell nach bestimmten Gesichtspunkten auszuwerten und sie aufbereitet der Politik zur Verfügung zu stellen. Für einen Dienst ist so ziemlich alles interessant. Das Kaufverhalten, immer wiederkehrende Argumentationen und Rhetorik zu aktuellen Themen, die Ausstattung der Haushalte, was wird mehrheitlich gelitten und wo bestehen Aversionen in der Bevölkerung. Im Falle eines militärischen Einsatzes ist es unabdingbar notwendig, hierzu die Stimmung in der Bevölkerung zu kennen. Kommt eine Ablehnung auf, muss dagegen gesteuert werden. Wer dazu Näheres wissen will, empfehle ich das ein wenig betagten Buchs aus 2004: Wilhelm Dietl, Norbert Juretzko, Bedingt dienstbereit (Im Herzen des BND – die Abrechnung eines Aussteigers).

Auch hier ein kleiner historischer Verweis, der sich nicht auf Deutschland bezieht. Als sich die Schweden politisch dem Nachbarn Russland näherten, entsandten die Amerikaner U – Boote unter falscher Flagge, um eine verstärkte militärische Aktivität der Russen zu suggerieren. Damit sollte die Stimmung zum Nachteil der sozialistischen Regierung in der Bevölkerung beeinflusst werden. Mal schauen, was sie sich bezüglich der Gaslieferungen einfallen lassen.

Man darf gespannt sein. Die Meinungsfreiheit einzuschränken ist zweischneidig. Ich erfahre dann nämlich nichts mehr, worauf ich zeitnah mit einer passenden Kampagne reagieren kann. Das funktioniert nur in Ländern wie in China oder Russland, wo Wahlen ohnehin nur Makulatur wären oder sind. Das Ergebnis ist unter Umständen identisch, aber es ist schöner zustande gekommen.

Ich komme nochmals auf die anfangs geschilderten Aussagen zurück. Worum geht es in diesen Gesprächen? Meistens um kleinere Sauereien innerhalb der Polizeibehörde, die immer mal wieder vorkommen. Meiner Auffassung nach könnte in Berlin einen Monat lang keine Straftat stattfinden und die Polizei inklusive Innensenator würden es erst drei Monate vor lauter Selbstbeschäftigung mit internen Querelen nicht bemerken.
Selten um Dinge, bei denen ich selbst das persönliche Gespräch in einem von mir ausgesuchten übersichtlichen Lokal bevorzuge. Ich habe mich in meinem BLOG ein – bis zweimal vorsichtig zu den Untersuchungsausschüssen beim Berliner Senat geäußert. Meiner Beobachtung nach, gibt es da keine Geheimnisse die ein quasi konspiratives Treffen rechtfertigen würden. Ein ehrliches Ergebnis der Ausschüsse wäre: Hurra, wir haben uns selbst als Ursache gefunden. Auf die Akten bezogen, ist festzustellen, dass es eine politische Entscheidung war, das LKA ausbluten zu lassen. Die Verursacher haben sogar Namen. Diepgen, Wowereit, Sarrazin und Fugman – Heesing.

Das komplette Risikomanagement, die Priorisierung der Maßnahmen gegenüber den Gefährdern (Ein Begriff, der bisher keine Aufnahme im DUDEN gefunden hat, sondern nur im Amtsdeutsch existiert.) und das ständige Verändern der Bewertung der Erkenntnisse in den Berichten, um einen Delinquenten von Platz 10 auf Platz 1 zu hieven und Platz 1 nach unten fallenzulassen, ist schlicht dem personellen Mangel geschuldet gewesen. Da ist jetzt nichts wirklich geheimnisvoll. Das bundesweit jeder Sachbearbeiter seinen Kriminalfall für den wichtigsten hält, ist menschlich auch nicht sonderlich ungewöhnlich. Papier kann so was von geduldig sein. Wie gesagt, meine Gelassenheit ist nicht die von andereren Leuten.

Niemand muss mir mit den Opfern kommen. Opfer von Straftaten gibt es überall in Deutschland. Ob jemand sein tiefes Bedauern äußert und im Geiste bei den Angehörigen ist, hängt vom Opfer und der politischen Lage bzw. Nützlichkeit ab. Ich höre schon den moralischen Aufschrei. Zynismus! Blödsinn! Was da gefaselt wird, sind Textbausteine, die quasi automatisiert aus dem Mund purzeln.

Also, warum diese Hinweise auf die Unsicherheit der Verbindung und die Möglichkeit, dass sich ein fremder in die Angelegenheit einklinkt?

Ich würde mal behaupten mangelndes Vertrauen in den Staat und das Erkennen der Richtung, in die wir marschieren. Es genügt nicht mehr die tatsächlich passierte Straftat oder Geheimnisverrat, sondern es reicht aus, dass jemand die Gelegenheit, Fähigkeit und das Wissen hat. Das ist nicht nur bei den Sicherheitsbehörden der Fall, sondern ebenso bei Banken und Konzernen. Noch!

Ich stamme noch aus einer Zeit, wo Überprüfungen und Überwachungen dieser Art ausschließlich ab einer bestimmten Geheimhaltungsstufe durchgeführt wurden. Das hatte auch seine Richtigkeit. Danach schaute ich mir das ein paar Jahrzehnte lang an. Mit wenigen Ausreißern, die meistens aus der Profilierungssucht eines Anordnenden aus dem Höheren Dienst entstanden, konnte die Notwendigkeit einer Überwachung bejaht werden. In der alten Zeit war das häufig mit erheblichen Gefährdungen im Straßenverkehr und persönlichen Risiken verbunden. In nicht allzu ferner Zukunft wird es mit dem Einsatz von Hightech einfacher und sicherer werden. Damit sinkt aber auch die Schwelle. Der Vorteil besteht darin, dass nach langjähriger Pause, die der Hysterie vor dem islamistischen Terrorismus, geschuldet war, auch wieder Täter aus der Organisierten Kriminalität beobachtet werden können. Ausgerechnet dort befindet sich Deutschland in der Steinzeit.

Ich verweise auf die Italiener, die Kleinflugzeuge mit Hochleistungskameras gezielt zur Fahndung nach Mafiosi einsetzen. Die nehmen sich auch die Zeit, bei der Bekämpfung der Strukturen ganze Dörfer zu infiltrieren, um dann erst nach einem Jahr zuzuschlagen. Genau hier und vielleicht bei der Bekämpfung der Oberliga von erkannten Terroristen ist die Überwachung meiner Meinung nach wünschenswert. Da müsste sich ein Untersuchungsausschuss fragen: Warum haben wir so etwas eigentlich nicht? Vielleicht hat niemand ein Interesse daran? Denn die Ergebnisse könnten die Bevölkerung beunruhigen? Ich betone der Unterschied liegt in der Mobilität, die im Gegensatz zu Festinstallationen steht. Mobil bedeutet immer ein gezielter angeordneter Einsatz und nicht die Schleppnetzfahndung mittels öffentlicher fest installierter Kameras. Und den Plänen der EU nach, sind die nicht nur für die Aufzeichnung einer stattfindenden Straftat installiert, sondern künftig auch in der Lage verdächtige Bewegungen zu erkennen und eine autonome technische Observation durchzuführen.

Insider scheinen der Sache nicht über den Weg zu trauen. Die Prioritäten der Bundesrepublik Deutschland, liegen an anderen Stellen. Eine liegt augenscheinlich bei der Verdrängung der Kriminalität aus den Innenstädten. Auf Dauer und nach einer gewissen Etablierung dürften die meisten nicht mehr so dämlich sein vor einer Überwachungskamera herum zu hampeln. In den falschen Händen lassen sich dann von normalen Bürgern wunderbare Bewegungsprofile erstellen. Die richtig bösen Jungs wissen, wie sie unterhalb des Radars fliegen.

Aktuell stürzt sich alles auf das rechte Netzwerk in der Bundeswehr mit der Eigenbezeichnung Hannibal. Manch einer scheint ernsthaft Angst vor denen zu haben. Fakt ist, dass da ein paar sehr «überzeugte» Deutsche in der Gegend herum laufen, liegt in der Natur der Sache. Das der MAD, die nicht auf dem Zettel hatte, ist bei ihrem amateurhaften Auftreten mehr als unwahrscheinlich. Aber warum es ihnen mitteilen? Solange sie nicht wissen, dass einer mithört, kann man sie unter Kontrolle behalten. Diese Spinner technisch zu überwachen, ist nach meinem Dafürhalten, ohnehin Materialverschwendung, da gibt es deutlich bessere Optionen. Technik hat immer einen entscheidenden Nachteil. Ist der andere nicht doof, zeigt er mir genau die Sachen, die ich sehen soll, alles andere macht er außerhalb der Reichweite.

Eins bleibt auf jeden Fall über. Das ungewisse Kribbeln im Nacken, ob man gerade beim Popeln, Fremdgehen, Müll fallen lassen, Porno schauen oder dem Austausch über kleinere Sauereien oderwegen eines unbedarften politisch unkorrekten Spruchs beobachtet wird. Das betrifft jeden Bürger. Dieses Gefühl verändert den Einzelnen und insgesamt die komplette Gesellschaft im Verhalten. Die Unbedarftheit und die Lockerheit verschwindet peu à peu. In Asien hängen an allen Ecken Hinweisschilder auf CCTV – Kameras. Davon sind 90 % privat installiert. Auf dem letzten technischen Stand sind die nicht. Ich gehe allerdings davon aus, dass im Zweifel der Staat Zugriff auf die Aufzeichnungen hat. Mit den Kameras, die mit allen Schnick -Schnack aufgerüstet sind, die in deutschen Innenstädten installiert werden sollen, haben die nichts gemein.

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Photo by Kat Jayne on Pexels.com
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Massiv hat sich das bereits bei jungen Demonstranten ausgebreitet. Obwohl sie vollkommen harmlos sind und nicht einmal ansatzweise etwas verbotenes tun, geraten sie bei jedem Fahrradfahrer und unpassend gekleideten Passanten in Panik. Das ist nicht gut! Verdenken kann ich es ihnen aber nicht.

Auf der letzten Schülerdemo waren die Kameras der Polizei nicht zu übersehen. Ich finde die Frage berechtigt: Was machen die da auf einer Demo mit einem Durchschnittsalter von 16 Jahren? Ich weiß, dass die eher präventiv in Stellung gebracht wurden, ein Jugendlicher weiß das nicht. Deutschland ist in puncto Überwachung weit von anderen Staaten entfernt. Aber muss es soweit kommen, dass wir uns den anderen anpassen? Wir sollten doch wirklich unsere Lektion gelernt haben, wie schnell eine Entwicklung kippen kann und wir den Falschen ein Geschenkpaket übergeben. Ich wiederhole mich immer wieder … es gibt da einige, den traue ich nicht über den Weg.

Das hat nichts damit zu tun, dass ich sie per se für undemokratisch oder Freunde einer Autokratie halte. Ich befürchte, dass sie sich durch ein meiner Meinung nach überzogenes Sicherheitsbedürfnis verirren und am Ende sagen: «Das haben wir nicht beabsichtigt!» Sicherheit, Überwachung und Freiheit befinden sich in einem filigranen Verhältnis zueinander. Je mehr Sicherheit um so weniger Freiheit. Zuviel Freiheit ist nicht gut, gleichermaßen aber auch nicht die Reduzierung eines Risikos auf Null.

Polizei a.D. vs. System? Ein Widerpruch?

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Von einer wahrlich gut über meine Person informierte Frau bekam ich letztens die Worte zu hören: «Du kannst doch nicht, nach dem Du über 30 Jahre als Vertreter des Systems gearbeitet hast – dieses mit einem Mal anzweifeln.»

Diese Aussage ist meiner Auffassung nach symptomatisch in der öffentlichen Diskussion über die Polizei und ihre gesellschaftliche Rolle. Ich glaube, einige unterliegen da einem Irrglauben bzw. einem Missverständnis. Gar nicht wenige ergreifen den Beruf Polizist, weil sie eine gewisse Grundüberzeugung mit Geld verdienen kombinieren. Zumindest kenne ich sehr viele, die das Grundgesetz in seiner Ausgestaltung für eine gute, wenn nicht sogar die erstrebenswerteste Verfassung, für einen modernen Staat halten. Vieles wurde mir persönlich erst in der Ausbildung ab 1987 bewusst. Auch heute noch, stehe ich dazu, dass das was da steht, eine wirklich gute Sache ist.

Doch das Grundgesetz ist ein Rahmen. Die Gesellschaft, die Politiker, die Wirtschaft innerhalb dieses Rahmens ist eine ganz andere Nummer. Seit dem Inkrafttreten wurde an den Artikeln immer wieder herumgebastelt. Meistens war dies von erheblichen Protesten in der Bevölkerung begleitet. Gekümmert hat es am Ende niemanden und die Veränderungen standen. Meistens wurde mit der Veränderungen der Zeiten argumentiert und oftmals war es die Angst, welche benutzt wurde. Mich hat das schon immer fasziniert. Ich finde es anmaßend, Leuten die damals unter dem Eindruck des Nationalsozialismus, Krieg, Terror, etwas entwarfen, zu unterstellen, dass sie von einem Terror der heutigen Zeit nichts wissen konnten.

Ich glaube, es reicht für den Entwurf allgemein gehaltener Maxime vollkommen aus, um die Kontroll – und Überwachungssucht des Staats zu wissen. Man muss nichts über die technischen Möglichkeiten der Zukunft wissen. Die Annahme lautet: «Wenn etwas auf den Markt kommt, werden es bestimmte Persönlichkeiten auch nutzen wollen!» Ich stütze diese Behauptung unter anderen darauf, dass sich die europäischen Staaten immer mehr den Dystopien aus den Zwanziger und Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts annähern. Diese Entwicklung hat wiederum nichts mehr mit den Ideen der Schöpfer des Grundgesetzes zu tun.

Unmittelbar regelt das Grundgesetz nicht das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland. Es stellt lediglich Anforderungen an ein Wirtschaftssystem. Gelenkte und geplante Wirtschaftsstrukturen schließt es genauso aus, wie die allgemein als Raubtierkapitalismus bezeichnete vollkommene unkontrollierte freie Entfaltung. Das passt einigen, insbesondere den Global – Playern nicht in den Kram, weil sie dieses als Hemmschuh für Wachstum und Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland betrachten.

Meinem Empfinden nach, bekommen die Vertreter dieser Auffassung immer mehr Oberwasser. Dies hat gesellschaftlich tiefgreifende Folgen und betrifft auch jemanden, der einer in der Verfassung implementierten Säule, nämlich der Exekutive dient.
Im Grundgesetz steht auch nichts über die gesellschaftliche Entwicklung in eine verwaltete Gesellschaft. Wenn überhaupt ließe sich ein Verbot aus dem Passus, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, ableiten. Wer Menschen ihrer Individualität beraubt, sie in politischen Reden stets in Kategorien einsortiert, unter Begriffen zusammenfasst, Gesetze und Verwaltungsvorschriften erlässt, die dies tagtäglich forcieren, entzieht Menschen die Würde.

Es ist dem «einfachen» Bürger nicht vorzuwerfen, wenn er nach ständiger verbaler Beeinflussung durch eine politische «Elite», dies in sein Verhalten übernimmt. Doch die Elite verliert die Berechtigung diese Bezeichnung in Anspruch zu nehmen. Was ein großer Teil jenseits der von Ghostwritern und Beratern vorgebenen Texte für Bundestagsreden von sich gibt, ist absolut unterirdischer Populismus. Teilweise, nämlich dann wenn für einen Deutschen nicht zu Diskutierendes mit Euphemismen verschleiert wird, geht es ganz weit über den Rand des Grundgesetzes hinaus. Umzäunte und bewachte Auffangzentren außerhalb des Staatsgebiets sind im deutschen Sprachgebrauch immer noch Lager. Wenn überhaupt, könnte man auf deutschen Gebiet von einem Durchgangslager analog zu Friedland sprechen.

Es ist erbärmlich, wie sich das Establishment, allen voran die CDU/CSU gegenüber der AfD positioniert, wenn sie von denen behauptet, dass sie Unsägliches wieder hoffähig machen wollen. Aber beispielsweise, vertreten von der Jungen Union, von “Gleichschaltung” spricht. Dobrindt spaziert ebenfalls ein wenig durch die Geschichte und fordert die “Konservative Revolution”, aus der bekanntlich ein aus Österreich zugewanderter Politiker namens Adolf Hitler die NSDAP bastelte. Auch solche Dinge stoßen einem überzeugten Kriminalbeamten auf. Ich weiß nicht, wie oft ich bei Berichten überlegte, welche Worte ich verwende, um nicht einen vollkommen falschen Eindruck zu erwecken. Ich habe mir einige Gedaanken darüber gemacht, wie das mit der Gleichschaltung der Gesellschaft, unter anderen bei der Polizei, passieren konnte. Aber Herr Seehofer kämpft ja auch bis zur letzten Patrone.

Die Gesellschaft, die der Polizist dient, hat diese Menschen an die Spitze des Staats gesetzt! Freundlich ausgedrückt “ultrakonservative” die jeden Tag bewusst und vorsätzlich mit den niedrigen Instinkten der Masse spielen. Als ich bei der Polizei anfing, hatten sich gerade Leute wie Franz – Josef Strauss aus dem großen Geschehen verzogen. Innensenatoren, die sich nicht unter Kontrolle hatten, bekamen mächtig Gegenwind. Die Republik befand sich politisch im Aufwind und wurde langsam, trotz der Lethargie der Bonner Provinz und einem mehr als biederen Dauerkanzler, zu einem wirklich aufgeklärten modernen Staat. Die rhetorischen Propaganda – Kriege zwischen dem “Schwarzen Kanal” – Schnitzler und ZDF Magazin – Löwenthal, dienten fast nur noch der Erheiterung. Heute kommen mir die beiden vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehen wie blutige Amateure vor.

Mir ist in Gesprächen aufgefallen, dass gerade die Generation der heute 70 – 80 jährigen Bundesbürger, also die der Anfangszeit nach dem II. Weltkrieg, dies durchaus kritisch beäugt, während die Generation der 40 – 60 jährigen, eher unbesorgt damit umgeht. Ich empfinde beim Zuhören auch oftmals eine Abgestumpftheit der Sprecher. Sie leben innerhalb des Rahmens «Grundgesetz», aber sie leben nicht aktiv die Idee.

Den “Grünen” wird neuerdings vorgeworfen, dass sie eine Verbotspartei wären. Beginnen wird doch erst einmal damit, mit welcher Impertinenz, Respektlosigkeit und Arroganz “Hierarchiespazierer” wie Spahn, Lindner, Söder, Dobrindt u.a. auf normale Menschen eindreschen, die im Gegensatz zu ihnen eine echte Lebensleistung vollbracht haben und nun vor den Trümmern ihres Lebensentwurfs stehen. Es soll noch Menschen geben, die arbeiten und nicht ihr Leben nach der Karrieregeilheit ausrichteten.

Jedes Recht und jede Freiheit muss der auf Gier und Drang nach unbegrenztem Wachstum geprägten Wirtschaft abgerungen werden. Der Kapitalismus hofiert nun einmal diese im menschlichen Verhalten implementierten Phänomene. Bisher ging alles gut, doch langsam melden sich Zeichen am Horizont, dass das ganze aus dem Ruder gerät.

Die sozialen Spannungen werden größer. Die geringer Bedachten oder Verlierer werden an die Ränder der Städte gedrängt und verkommen dort zu verwalteter biologischer Masse. Es entstehen scharf abgegrenzte Eliten. Sicherheit – und Schutzbedürfnisse werden zur Frage des gezahlten Geldes. Wer es sich leisten kann, zieht in Häuserkomplexe mit eigenen Sicherheitsdiensten. Wohlhabende Bürger bezahlen private Security – Streifen, die gekleidet in Fantasieuniformen Quartiere beschützen sollen.

Statussymbole nehmen eine immer wichtigere Rolle ein. Hingegen sinken Persönlichkeit und Lebensleistung im Ansehen bzw. verlieren ihre gesellschaftliche Rolle. Parallel wird das Bedürfnis nach diesen Symbolen seitens der Werbung (Wirtschaft) befeuert. Alles Prozesse, die auch im Ostblock nach der Öffnung in den Neunzigern zu beobachten waren und auch heute noch dort deutlich gesehen werden können.

Parallel werden in der Gesellschaft der «Habenden» dekadente Diskussionen geführt, die mit der Lebensrealität der Menschen den Hochhäusern am Stadtrand, den Zonenrandgebieten oder strategischen innerstädtischen Spekulationsgebieten, nicht im entferntesten etwas zu tun haben. Auch dieser Spalt wird immer größer. Ich unterstelle einer großen Zahl prominenter “LINKER”, dass sie sprachlich und programmatisch zur ehemals als “Arbeiterklasse” bezeichneten Schicht, jeden Kontakt verloren haben.

Ich habe das beruflich in den vergangenen dreissig Jahren alles verfolgen können. Bereits in den Neunzigern dämmerte mir bei einem Aufenthalt in der damals noch bestehenden Tschechoslowakei, während meiner Zeit in Kommissariaten welche sich auf Organisierte Kriminalität durch Bürger aus Restjugoslawien und G.U.S. spezialisiert hatten, dass ich in eine Zukunft blickte. Als ich um 2000 von einer privaten Sicherheitsfirma in der Berliner Potsdamer Straße aufgefordert wurde, mit meinem Zivilwagen wegzufahren oder in Marzahn beim Betreten eines Hauses einen uniformierten Portier passieren musste, rundete sich mein Bild langsam ab.

Die nachfolgenden operativen Einsätze in den Siedlungen von Spandau, Neukölln, Marzahn, Hellersdorf bestätigten mich in allem, was ich oben formuliert habe. Noch übler sieht es in den «ärmeren» neuen Bundesländern aus. Was wir dort als Berliner verdeckt operierende Einsatzkräfte zu sehen bekamen, hat sich mir tief eingeprägt. Zeitweilig wähnte ich mich in der Dritten Welt. Wer dort auch noch Heime für Zuflucht Suchende aufstellt handelt meiner Meinung nach mit Vorsatz und will für seine Zwecke die Eskalation der Situation. Da steckt Kalkül dahinter.

Wer von einem Konsens der Gewaltlosigkeit, einer deutschen Leitkultur spricht, redet nicht über die Siedlungen, in Rostock, Frankfurt/Oder, Cottbus, Berlin, Magdeburg und anderen Gebieten. Wir steuern, wenn wir nicht längst schon angekommen sind, auf einen Zustand zu, in dem sich die glitzernden wirtschaftlichen Erfolgsmeldungen nur auf eine sich gern präsentierende Minderheit, beziehen, die das echte Bild verschleiern. Ich wehre mich dagegen, die Menschen, die dort abgehängt von allem sich sozial selbst überlassen sind, aufgrund ihres Verhaltens zu verurteilen. Wer dort nicht heranwächst, muss erst einmal das Gegenteil beweisen.

Der natürliche Lebensraum eines Kriminalbeamten ist genau an diesen schwierigen Plätzen. Exekutive bedeutet auch, für die Entscheidungen und Bestrebungen einer gewählten Regierung einzutreten und die Folgen zu sehen. Ich bin kein Verfassungsrichter, insofern steht es mir nicht zu, das Gebaren als verfassungswidrig zu bezeichnen. Aber ich erlaube mir ein persönliches Empfinden. Und das meldet mir, dass das mit Regieren im Sinne des Wohls für die Bevölkerung und der Menschlichkeit nichts mehr zu tun hat.

Alles ist darauf ausgerichtet: «Geht es der Wirtschaft gut, geht es auch dem Volk gut!» Ich mach mal eine andere Rechnung auf. Der Wirtschaft im Falle eines Konzerns oder Global – Players, um bei diesem namen – und gesichtslosen Begriff zu bleiben, geht es am besten, wenn wenig Gehälter gezahlt werden müssen, die Sozialabgaben gering sind, die Rente klein ist und maximale Gewinne erzeugt werden können. Der Wirtschaft, bezogen auf den inneren Markt und Wohlstand des Bürgers, geht es gut, wenn die Kaufkraft des Inländers hoch ist. Portugal hat das gerade erfolgreich vorgemacht. Wie es anders aussieht habe ich in der Mongolei gesehen. Schaut man sich die Innenstadt von Ulanbataar an, wähnt man sich in einen aufstrebenden Staat. Jeder Meter, der einem aus der Innenstadt entfernt, zeigt einem den Irrtum auf. Doch soweit muss man gar nicht reisen, wenn man in Berlin wohnt. Da gibt es diesen Effekt auch. Passend hierzu gehorcht die Berliner Polizeiführung den Vorgaben der «Habenden». Den neuen Konzepten nach, wird die Polizeipräsenz in der Innenstadt erhöht und damit am Rande ausgedünnt.

Die aktuelle Situation Hartz IV ist für mich ein Beruhigungsmittel. Die Leute bekommen genau die Zuwendungen, die sie halbwegs überleben lasssen und sie mit dem Druck versehen, bei Zuwiderhandlungen das auch zu verlieren. Anderenfalls bestände das Risiko, dass sie zur Revolte übergehen. Wie das ausgeht und aussieht erleben wir gerade in Frankreich. Die sind Deutschland nämlich auf dem Land, in den Banlieue und den Randgebieten um wenige Jahre voraus. Amüsanterweise (Zynismusmodus!) schreibt die Zentrale für politische Bildung dazu:

Seit drei Jahrzehnten stellen die benachteiligten Randgebiete der französischen Großstädte eine zentrale Herausforderung der französischen Innenpolitik dar. In den Banlieues prägen Arbeitslosigkeit, städtische Verwahrlosung und Gewalt den Alltag. Urbane Ausschreitungen erreichten 2005 ein erschreckendes Ausmaß. Experten warnen vor einer starken sozialen Segregation, wie sie in vielen US-Städten zu finden ist.

Ich habe mir das mal vor einigen Jahren in Paris angesehen. Als jemand, der in einer Berliner Hochhaussiedlung aufwuchs und dort ab und zu zum Zwecke der eigenen Erdung mal vorbei schaut, kam mir vieles merkwürdig bekannt vor. Im Gegenzuge bestätigte mir ein Sozialarbeiter aus Paris, der sich mal Berlin mit seinen Augen ansah, mein Gefühl. Aus Gesprächen mit Lokalpolitikern weiß ich auch, dass die das durchaus genauso sehen wie ich.

Gleiches spielt sich bei der Bekämpfung der Drogenszene ab. Man stelle sich vor, der «Görlitzer Park», wäre irgendwo am Rande von Marzahn oder Heerstraße – Nord. Kein Mensch würde sich dafür interessieren. In Berlin spielt sich immer das gleiche Spiel ab. Quartiere werden herunter gewirtschaftet. Dann kommen sie Studenten und Künstler auf der Suche nach günstigen Wohnraum. Die Gegend wird «hipp» und attraktiv für «Habende» mit alternativen aufgeklärten Lebensverständnis. Bevorzugt ziehen dann Anhänger der «Grünen», Kreative, Designer und Architekten in die Häuser. Die Mieten steigen und das Niveau hebt sich. Übrig bleiben die Fragmente vor der Tür. Obdachlose, Abhängige, das örtliche Trinkermilieu und Prostitution.
Dafür gibt es dann die Polizei, die jene Szene gefälligst woanders hin verdrängen soll. Meistens ins nächste Gebiet welches heruntergebracht werden soll.

Hierzu ein kleiner Exkurs in die Berliner Geschichte. Der Berliner Humboldthain wurde einst als eine Art Botanischer – und Zoologischer Garten für das Bürgertum errichtet. In direkter Nachbarschaft zum sogenannten Roten Wedding. Einem der Ausgangspunkte der Novemberrevolution 1918. Damals schon missfielen den Bürgern von Berlin die zahlreichen herumlungernden Obdachlosen und Schlafburschen. Deshalb forderten sie von der Polizei die Verdrängung. Irgendwie hat sich wenig geändert. Doch eins: Die kannten das Beruhigungsmittel Hartz IV noch nicht.

Das geschieht so lange, bis die Berliner Illusion in der Mitte frei von Störenfriede ist. Am Ende des Prozesses bleiben nur noch die Stadtränder. Hallo Paris, Hallo London, wir wären dann auch soweit.

Nein, ich habe immer versucht, für eine Gesellschaft einzutreten, die zum Rahmen Grundgesetz passt. Was jetzt passiert, hat damit nichts mehr zu tun. Entstanden ist ein System, welches nicht zum Rahmen passt. Und dagegen kann ich ohne jegliche Skrupel antreten – eben gerade, weil ich eine ganze Menge gesehen habe. Die Geschehnisse und das Gesehene im Polizeidienst treiben einen häufig vor sich her. Es ist absolut menschlich, dass man bei gleicher Informationslage zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Meins ist, dass Menschen nicht als das geboren werden, was sie irgendwann sind.

Viele Faktoren wirken auf die Persönlichkeit ein. Nach meiner Logik ist die Anzahl kranker, gewaltätiger, brutaler, egoistischer, asozialer Menschen eine Kennzahl für den Zustand der Gesellschaft. Dabei geht es weniger um Fallzahlen in Kriminalstatistiken, sondern wie man die Täter oder Einsatzsituationen persönlich erlebt. Eine Gesellschaft produziert ihre Problemfälle immer alleine. Der bürgerliche ausgestreckte Zeigefinger, bedeutet immer, drei Finger zeigen auf das Bürgertum und einer, der Daumen, auf die Machthaber, die sie gewählt haben. Immer nur auf den Täter zu schauen, sich auf Stereotype zu fixieren ist nachvollziehbar, ist meiner Meinung nach einen Schritt zu kurz gedacht.

Artikel 13/17

Lesedauer 5 Minuten

Artikel 13 oder neuerdings 17 ist für mich ein klassischer Fall der Vertrauensfrage. Meine Kenntnisse zur Thematik sind rudimentär. Man kann nicht alles wissen. Doch im Laufe der letzten Jahre bin ich immer wieder auf Internetseiten gestossen, denen ich aufgrund ihrer Berichterstattung und tiefgehenden Analysen schlicht glaube. Dazu gehört für mich, wenn es um Internetfragen geht, immer der Heise Verlag.Und die dort veröffentlichten Beiträge ließen bei mir einigen inneren Widerstand aufkommen.

Wenn Initiativen wie der Artikel 13/17 gestartet werden, meldet sich bei mir sofort die Frage, vor allem wenn die CDU involviert ist, wer verdient daran und wer ist die treibende Kraft im Hintergrund. Mein Vertrauen, dass bei der CDU irgendetwas passiert, was nicht der Wirtschaft und dort auch nur denen dient, die ohnehin schon satt sind, tendiert gegen Null.

OK, die großen Plattformen haben zwei Seiten. Auf der einen sind sie Teil des Systems und verdienen sich eine goldene Nase, auf der anderen Seite sind sie auch Teil des demokratischen Prozesses geworden. Viel Licht und auch viel Schatten. In erster Linie stieß mir auf, dass es sich doch letztlich um eine Spiegelfechterei handelt. Wer halbwegs versiert ist, umgeht alles und verschleiert seinen Standort oder nimmt Zugriff auf andere Server. Ergo wieder einmal eine Lösung, die ausschließlich die Masse der unbedarften Nutzer trifft. Da hat also jemand ein Interesse daran, nicht die Hoheit über die Massen zu verlieren. Wer könnte das sein? Die großen Verlagsgruppen springen einem da fast schon ins Gesicht.

Passend hierzu mischte sich der Axel Springer Verlag vertreten durch das Schlachtschiff BILD ins Geschehen ein. Seit mehr als dreissig Jahren verfahren die immer nach einem Muster. Protestler müssen von einer dunklen Seite – meistens den Kommunisten aus Russland – dieses Mal allerdings von Google gekauft worden sein. Der normale anständige Bürger protestiert nicht gegen eine Entscheidung der schwarzen bürgerlichen Volkspartei CDU. In der Rhetorik des Axel Springer Verlags waren auch die 68ziger, die Friedensbewegung, der Protest gegen die Atomkraft und Umweltschützer sämtlich eingekauft. Da war ich schon mit einem Bein auf der Straße.

Dann viel mir wieder ein, wie ich kürzlich auf dem Flughafen in Peking saß und versuchte Twitter, Facebook und Youtube aufzurufen. Zugegebenermaßen ein etwas naives Unterfangen. An diesem Tag fing ich mir eine Allergie gegen “Herumfummeln” von staatlicher Seite am Internet ein.

Da wäre dann noch die Seite der Urheber und Künstler. An dieser Stelle werde ich mal richtig böse und ketzerisch. Kunst ist zu großen Teilen eine Industrie geworden. Früher reichte es aus, wenn der Künstler starb, damit wenigstens sein Werk und Name bekannt wurde. Heute läuft es auf eine Prostitution hinaus. “Wem muss ich hier einen Blasen, damit meine Werke “vermarktet” werden?” Ich habe mal die Geschichte einer wirklich begabten jungen Frau mitverfolgt, die an einem Wettbewerb beim Giganten SONY teilnahm. Am Ende lief die Sache auf einen Vertrag hinaus, demnach sie für eine gewisse Zeit, nämlich in der sie vom Alter her erfolgreich hätte sein können, nirgendwo anders vorsingen konnte. Das Talent wurde de facto gegen kleines Geld vom Markt genommen, um andere, die bereits vermarktet wurden, zu schützen. Das Kunst – und Musikgeschäft ist schmutzig und dreckig, wie alle anderen auch. Die immer als Kleinkunst geschmähte, meistens von hervorragenden und beachtenswerten Künstlern gestaltete Gegenwartskultur, haben es schwer an der Kommerzmauer vorbeizukommen. Nicht wenige, die sich da auf die Seite der Initiatoren schlagen, haben längst ihre Seele verkauft. Abgesehen von denen, die sich vor den Karren spannen lassen.

Schaue ich mir die Printmedien und ihre Onlineportale an, kommt mir beim Lesen diverser Artikel, besonders wenn sie zu den Großen gehören, ebenfalls der Verdacht, dass auf “Zuruf” des Chefredakteurs im Sinne der Linie des Hauses etwas zusammengeschrieben wird. Mit Journalismus hat das nichts zu tun. Als ich das Buch über die Panama – Papers las, erschreckte mich, zu welchen nachrichtendienstlichen Mitteln investigative Journalisten, die ihr Handwerk noch ernst nehmen, heutzutage greifen müssen, damit ihre Story nicht vorher unter staatliche Sanktionen gerät.

Mir fiel auch wieder ein, welche Maßnahmen anläßlich einer Sendung des Satire – Magazins “die Anstalt” folgten, nachdem dort die Ballung der Medien in wenigen Händen angeprangert wurde. Nahezu prophetisch nahmen sie Fusion von DuMont und Madsack vorweg. Dies sind alles nur Teilaspekte für die gesamte Story, die sich im Hintergrund abspielt. Aus meiner Sicht wird es nahezu unmöglich, sich als Leser und Bürger noch halbwegs autonom eine Übersicht über politische Geschehnisse zu bilden. Nicht jeder hat die Zeit auf die Suche nach unabhängigen Medien zu gehen, sich mehrsprachig Artikel durchzulesen und zu analysieren. Aber es gibt z.B. Youtuber, die das tun. Verwenden sie dafür Artikel oder Medien in Sequenzen, die den “Großen” abgenommen wurden,um sie passend zu kommentieren oder bezüglich des Wahrheitsgehalts auseinander zu nehmen, könnte es künftig schwierig werden.

Vollmundig versuchten in den letzten Tagen die üblichen Verdächtigen, wie beispielsweise Herr Söder, Sedativa zu verteilen. Die kleinen Plattformen würde das nicht betreffen, und man würde in Deutschland eigene Regeln finden. Europa, Internet und nationale Regelungen – finde den Fehler. Ich glaube für CSU Politiker ist es bereits eine intellektuelle Leistung, wenn sie jenseits des eigenen egozentrischen Weltbildes die Landesgrenzen von Bayern in ihr Denken einbeziehen. Wenn es um Europa und globale Angelegenheiten geht, wird ihnen schlecht und sie brauchen eine Auszeit.

Kleine Plattformen bedeutet, dass sie sich kaum gegen die Rechtsanwälte der “Großen” wehren können. Immer wieder müssen wir erleben, wie mit von krimineller Energie gesteuerte sogenannte Abmahnrechtsanwälte ihr Unwesen treiben. Bösartig könnte man die Feststellung treffen, dass die übermäßig im deutschen Parlament repräsentierte Zunft der Juristen mal mit diesen zusammen im Hörsaal saßen. Aber ich bleibe bei den Juristen auf meiner Linie der individuellen Betrachtung. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass mir einige durchaus zustimmen, dass da mit einigen beim Studium im Kopf ein wenig etwas durcheinander geht.

Trotzdem bleibe ich bei meiner Grundauffassung, dass Berufe, die Juristen, im Marketing geschulte Leute, Wirtschaftsfachleute und Journalisten erfordern, sich wie Polizisten, ab und wann mal die Frage nach dem eigenen ethischen Anspruch stellen müssen und im Zweifel gehen sollten. Ich habe im Leben einige kennengelernt, die mir aus diesen Sparten sagten: “Für diese Verbrecher gebe ich mich nicht mehr her.” So läuft das Spiel nun einmal – ist auf Dauer keine gute Antwort im Leben.

Nach reiflicher Überlegung, ohne die seitens der CDU/CSU in Aussicht gestellten 450 EUR Demonstrationsgeld zu bekommen, entschloss ich mich auf der Demo mitzulaufen. Alleine die erlebte Ignoranz seitens der “Politischen Klasse”, die sich nicht mehr aus ihren Lobbyisten Kaffees und Bars heraustrauen, um mal das Gespräch mit den Demonstranten zu suchen, sie statt dessen mit Tweets und Aussagen in Interviews zu diffamieren, ist Grund genug auf die Straße zu gehen. Das ist absolute Formatlosigkeit!

Es stimmt, was in letzter Zeit auf Twitter mehrfach zur Sprache kam. Einige wenige “besorgte Wutbürger” laufen blökend und skandierend durch die Straßen und die Reaktion des Establishments lautet: “Die Politik muss die Sorgen und Ängste der besorgten Bürger bei PEGIDA, (zur Erinnerung: Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), ernst nehmen.” Tausende Schüler und hunderttausende, zumeist unter Vierzigjährige gehen mit intelligent und kreativ gemachten Schildern, die ihren Intellekt spiegeln, auf die Straße und die Herrschaften verstecken sich oder schicken die konservativen Propagandastrategen ins Rennen. Auf der anderen Seite werden Leute, die den Begriff Patriot nicht korrekt definieren können, einen poetischen Begriff aus dem Mittelalter verwenden und eine Religion offensichtlich für eine Infektionskrankheit halten, hofiert.

Ich sah auf der Demonstration einige, denen es nicht mehr nur um Artikel 13/17 ging. Es ging ihnen um eine abgekoppelte politische Klasse, die sich in Arroganz suhlt und sich hinter den weißen Mauern im Regierungsviertel versteckt. Ich hoffe nur, die als deinterressierte und dekadente Generation Z wird wach und wehrt sich.

 

 

 

 

 

 

Friday for Future

Lesedauer 3 Minuten

Eine illustre Mischung sammelte sich an jenem Freitag im Invalidenpark unweit vom Naturkundemuseum. Wer hat sich nur diesen seltsamen Platz für eine Demo ausgesucht? Er wirkt mehr wie zugeteilt, damit niemand gestört wird. «Hast Du eine Ahnung, ob die hier nur Antreten oder laufen die zum Kanzleramt?» Meine jüngere Tochter, selbst längst aus der Schule heraus, zuckte mit den Schultern. Also standen wir beide nebeneinander und harrten der Dinge. Am Beginn hatten sich vielleicht 200 Schüler und grob geschätzte 50 Unterstützer versammelt. Großeltern, Eltern oder einfach nur Sympathisanten. «Omas gegen Rechts!» Hielten zwei Frauen ein Pappschild nach oben, «Sag mal haben die das Schild an einem Teppichklopfer fest gemacht?», fragte mich meine Tochter. Ich musste grinsen. «Das nennt man problemlösendes Denken!» Ein paar alte Hippies in ihrer ganzen Farbenpracht hatten sich auch dazu gesellt. So schräg sie auch aussahen, echte Chucks, eine teure NIKON Kamera, Schmuck aus Thailand und Tibet, verrieten den Wohlstand. Einer hielt das Schild «GLOBAL 2000 las ich mit 15.»
«GLOBAL 2000? Ist das schon so lange her?»
«Ja, bin schon ein wenig älter. 1981 oder `82, weiß nicht mehr so genau. Du stammst doch auch noch der Zeit, oder?»
Ich nickte. «Ja, da war mal etwas.»
«Und? Meinst Du, wir müssen uns schämen, weil wir es verbockt haben?»
Kopfschüttelnd antwortete ich: «Nein, Gorleben, Mutlangen, Castor, Wendland, viele von unserer Generation haben eine Menge versucht. Wenn überhaupt haben wir nicht aufgepasst und die Typen mit den Digitaluhren, Aktenkoffer und Lederkrawatte durchkommen lassen. Das war allerdings ein Fehler. Karriere war halt nicht unser Ding.»

Meine Tochter stellte fest: «Die brauchen dringend einen Tontechniker!» Tatsächlich war der Ton mies und die Redner kaum zu verstehen. «Ich habe nichts gegen Motherfucker, aber niemand fickt Mutter Erde!», drang dann doch noch von einem Oberschüler durch die gequälte Box. Grundschüler, Oberschüler aller Altersklassen, mittlerweile an die 600 bildeten einen Pulk.
«Ich hätte ja auch einen Spruch.», sagte ich zur Tochter.
«Und?»
«Wir schwänzen nur die Schule, ihr die Schule des Lebens!»
«Klingt ganz gut.»
«AKK es ist nie zu spät zum Lernen!», reckte eine vielleicht dezent über Sechzigjährige nach oben.
Schulschwänzer? Ich sah nur Demonstranten. Überzeugt und engagiert. Die Aussage kann sich ohne hin nur eine oder einer einfallen lassen, der nichts mehr in seinem verbitterten verkalkten Gehirn hinbekommt. Wer schwänzen will, lässt die anderen demonstrieren und rennt nicht bei 10 Grad mit einem Pappschild in der Gegend herum. Eigentlich bezeichnend, dass Menschen, die offensichtlich lieber schwänzten, statt zu demonstrierten, jetzt mit über Fünfzig auf engagierter Politiker machen.

Am Rande sah ich einen jungen Mann der Flyer für eine App verteilte. Irgendetwas, was man auf sein Smartphone laden kann. Also selbstverständlich nur auf ein IPhone.
«Findest Du das OK, den Scheiß hier zu verteilen?»
«Ja, klar es geht doch um Umwelt
«Kapitalismus hast Du nicht begriffen oder?» Mit einem bösen Blick wandte ich mich ab. Einfach der falsche Ort eine derartige Diskussion zu führen. Die Schmeißfliegen des Kapitalismus. Alles wird zu einem Gut. Selbst der Protest und die Demonstranten werden zu Kunden.
«Kommt alle, nächsten Freitag kommt Greta. Wir machen das solange, bis jemand mit uns redet.» Sie werden nicht kommen. Jedenfalls nicht auf die Straße, da können sie nur verlieren. Das Format der sechziger Jahre, wo sie sich stundenlange Wortgefechte mit den Studenten lieferten, haben sie heute nicht mehr.
«Blöder Personenkult!», sagte ich zum Typen neben mir.
«Na ja, wenn es hilft?»
«Schon, aber das macht angreifbar. Es geht um die Sache! Diese Affen werden sich darauf als erstes stürzen. Das kennen sie, einem Leitaffen hinterherrennen, machen sie schon ihr ganzes Leben, bis der auf einer Banane ausrutscht und sie den Leitaffen ablösen können. Na, wir werden sehen.»

Nach zwei Stunden der Abbruch und Rückweg zum Bahnhof. An der Ampel stehend rollte die Blechlawine vorbei. In jedem Auto nur eine Fahrerin oder ein Fahrer. Die Abgase standen neben dem Stau. Ich drehte mir eine Zigarette. «Ist Dir was aufgefallen? Da hättest Du keinen um eine fertige Zigarette bitten können. Die da waren erfüllten alle das Klischee des Selbstdrehers.»
Meine Tochter lachte. «Stimmt!»
Ich schaute wieder auf den Verkehr. Das wird nichts werden, es mag einen Versuch wert sein, aber sie sind zu blöd. Neben uns lief eine Gruppe Pubertierender dumm im «Kanack» miteinander redend an der roten Ampel auf.
Meine Tochter schaute sie skeptisch an. «Manchmal frage ich mich, ob es wirklich eine gute Idee ist, für das Überleben zu kämpfen.»

Bisweilen liegen wir nicht weit auseinander. Alles in allem eine nette Demonstration mit deutlich Potenzial nach oben. Zu leise, zu brav, zu zurückhaltend unter Beobachtung des Staats. Eine Frage an meinen alten Arbeitgeber. Ein BeDo – Trupp bei einer harmlosen Schülerdemo? Die Direktion Einsatz mit Patches wie ein Pfingsochse und lauter Gebamsel am Einsatzanzug und Weste? Zwei Funkwagen und das stinknormale Ehrenkleid mit Mütze hätten es auch getan und einen besseren Eindruck hinterlassen. Da demonstriert die Zukunft und wir prägen sie mit.

Travelling

Lesedauer 7 Minuten

Wie zu erwarten war, fragen mich einige nach meiner Rückkehr aus Asien, ob ich an mir eine Veränderung feststelle. Eigentlich müsste ich die Gegenfrage stellen: «Bemerkst Du eine?» Aber ich denke, dafür bin ich noch nicht lange genug zurück.

Die Frage ist wahrlich nicht einfach zu beantworten und an der einen oder anderen Stelle sehr privat bzw. intim. Ich kann sagen, dass ich Armut gesehen, erlebt und gelebt habe. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch mit dem Unterschied zwischen Armut und einem einfachen Leben auseinandergesetzt. Da besteht ein Unterschied. Ich finde, am deutlichsten kann das am Schicksal der Moken in der Andamanensee, den Hmong im Norden von Laos und den mongolischen Nomaden beschrieben werden. Die Moken und ähnliche Völker lebten hauptsächlich auf dem Meer, hatten aber auf den Inseln Basen, die sie abhängig von der Wetterlage und Regenzeit aufsuchten. Landbesitz war für sie irrelevant. Sie legten an, suchten sich auf den Inseln die besten Stellen aus und die Welt war in Ordnung. Ein einfaches, aber passendes und glückliches Leben. Mit dem Massentourismus kamen die Ressorts. Die Investoren nahmen Grundstücke in Besitz. Selbstverständlich Filetstücke mit weißen breiten Stränden und günstigen Strömungsverhältnissen. Mit dem Leben auf der See wurde es durch die Errichtung von Naturschutzgebieten, Tauchern, schnorchelnden Schwimmern, sterbenden Riffen und Reduzierung des Fischbestands immer schwieriger. Ihre Häuser stehen nun an den ungünstigen Stellen. Um sich Geld zu verdienen, müssen die Bootsbesitzer für Agenturen arbeiten oder sich als Personal in den Ressorts verdingen. Jetzt leben sie in Armut.

Die mongolischen Nomaden gehören zu den ersten Opfern des Klimawandels. Der «weiße Tod» rafft mit 50 Grad unter Null die für das Überleben notwendigen Viehherden dahin, die im Sommer bei 40 Grad über Null in der verdorrten Steppe nichts zu fressen finden. Deshalb müssen viele der Nomaden in die Städte, vornehmlich nach Ulanbataar ziehen, wo sie nicht gelitten sind. Sie leben an der Peripherie in Ger – Siedlungen, die ich als Slums anersehen würde. Trinkwasser beziehen sie aus Automaten, die ich später auch in Bangkok in den Randbezirken und in Chinatown sah. Über die Abwasserregelung will ich gar nicht nachdenken. Das ist nicht mehr das einfache Leben in der Steppe, sondern bittere Armut in einem Land der Dritten Welt. Außerdem gibt es draußen in der Steppe illegale Minen, in denen Verhältnisse wie in alten Filmen über Glücksritter im südamerikanischen Regenwald herrschen. Die Prostitution und die Kriminalität hat die Mongolei fest in den Krallen. 60 % der von großen internationalen Minenbetreibern geschürften Gewinne werden von denen einbehalten. Der Rest versickert in Korruption und bei bezahlten Lakaien der Minenbetreiber.

Die Hmong sind im Vietnamkrieg zerbombten Laos, die ärmsten der Armen. Ich habe alte Bilder gesehen, auf denen sie ein stolzes Volk waren. Das hat sich erledigt. Ständig werden Kinder und Bauern von den Hinterlassenschaften des Kriegs zerfetzt oder verstümmelt. Kriege enden nicht mit den aktiven Kämpfen. Der Vietnamkrieg ist in Laos in einigen Regionen immer noch die Gegenwart. Das stimmt einen nachdenklich.
Die Tage, welche ich bei ihnen verbrachte, prägten sich mir ein. Besonders werde ich niemals das Bild eines kleinen Jungen vergessen, der stolz mit einem kaum noch zu erkennenden Kinderfahrrad auf den Felgen durch die Gegend ackerte. Ich habe auch nicht vergessen, dass die nicht einmal, Papier und Stifte für die Schule hatten. Mir hat sich auch eingeprägt, dass einige der Kinder Waisen waren, weil die Eltern an simplen Entzündungen verreckt sind, die hier bei uns jeder Hausarzt an der Ecke erfolgreich behandelt.

Der Trip war für mich auch eine Betrachtung des Buddhismus. Ich bin an das Thema nicht unvorbereitet herangegangen. In der Mongolei lernte ich den tibetisch ausgerichteten Buddhismus und in Laos bzw. Thailand die zweite große Richtung kennen. Wie bei allen Organisationen, die mit einer Religion zu tun haben, habe ich eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen dem Anspruch bzw. der Idee und der praktischen Umsetzung kennengelernt. Die Klöster in der Mongolei, die zwischen den phallisch in den Himmel ragenden Hochhäusern der Minengesellschaften, Banken und Investmentfirmen liegen, zeigen in merkwürdigerweise die Gier, welche es nach den Worten des Buddhas zu überwinden gilt. Die Anhäger, welche Geschenke in die Klöster tragen und dabei quasi über Alkoholleichen der Nomaden steigen, wirken wie ein christlicher Ablasshandel.

Für mich selbst habe ich die gesehenen Klöster als eine Manifestation einer Idee und einer Praxis des Denkens, und nicht als Tempel für einen Personenkult um Gautama Siddharta, bezeichnet als Buddha, genommen. Die halbwegs brauchbar überlieferten Worte sind gnadenlose logische universelle Gedankengebilde und Schlussfolgerungen. Gier und das daraus entstehende Leid treibt die Menschen vor sich her. Dieses unstillbare Bedürfnis mehr zu haben, denn zum Leben notwendig ist. Wie groß der Unterschied zwischen absoluter Notwendigkeit und Dekadenz ist, wurde mir durch die Hmong und dem Leben in Deutschland vor Augen geführt. Mir ist auch bewusstgeworden, wie zerstörerisch diese Gier ist und wie sehr Menschen unter unserem Lebensstandard leiden müssen. Das hat mich in meinem Denken radikalisiert und zu einem flammenden Gegner des Kapitalismus gemacht. Doch Buddhismus bedeutet auch den Grundsatz: «Du bist ein Teil des Ganzen und damit ist es auch ein Teil von Dir!», anzuerkennen. Gleichfalls die Erkenntnis, dass jede Begegnung ein Spiegelbild ist, in dem Du erkennst, wer Du selbst bist.

Es ist auch ein Leben des Innehalten und den Augenblick als das eigentliche Leben zu begreifen. Ich habe mir Vieles aus den sogenannten Körben des Pali – Kanon durch den Kopf gehen lassen und mich damit auseinandergesetzt. Besonders haben mich zwei Sachen geprägt.
Buddha soll seine Schüler gefragt haben, wie sich ein hinzugezogner Heiler verhalten soll, wenn er einen Mann behandeln soll, der von einem vergifteten Pfeil getroffen wurde. Soll der nach dem Namen des Bogenschützen forschen, das Material des Bogens analysieren, nach dem Grund für die Schussabgabe suchen oder den Pfeil herausziehen und ein Antidot gegen das Gift geben. Wie oft versuchte ich, den Namen des Schützen zu ermitteln, statt uns um den getroffenen zu kümmern?
In einem anderen Gleichnis fragten die Schüler, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie jemand wegen ihrer Praxis kritisierte oder verunsicherte. Der Buddha fragte hierzu, ob ein Maler ein Bild in die Luft malen könne. Die Schüler verneinten dieses. Hieraufhin forderte der Buddha sie auf, schlicht keine innere Leinwand anzubieten, dann könne auch niemand sein falsches Bild in ihnen hinterlassen. Einfach, logisch und verständlich!
Niemand braucht einen externen übergeordneten Gott. In uns ist alles, was mit dem Leben und seiner Besonderheit zusammenhängt bereits vorhanden. Diese Gedanken repräsentieren für mich die buddhistischen Tempel. Und ich besuchte Zahlreiche davon.

Im islamisch ausgerichteten Malaysia wurde mir in Gesprächen mit Muslimen bewusst, wie dumpf – und blödsinnig unsere Auseinandersetzung mit dieser Religion ist. Wir werden nach einem von uns nicht beeinflussbaren Zufall per Geburt auf irgendeinen Platz auf der Erde gesetzt. Einem Malaien ergeht es nicht anders, als einem Deutschen. Wenn an Deinem Geburtsort gerade Islam angesagt ist, bist Du halt Muslim und wenn Du in München geboren wirst, wird es wahrscheinlich der Katholizismus. Die meiste Zeit Deines Lebens geht die Religion Dir am Arsch vorbei. Interessant wird sie meistens erst in persönlichen Krisen. Ein Mensch der in solchen Situationen Antworten sucht, kann sich in Büchern mit der Philosophie beschäftigen, sich mit dem Pfarrer oder einem Iman unterhalten. Was macht man, wenn der Geburts – und Lebensort einer ist, wo es kaum Bücher oder Alternativen gibt, aber eine Moschee? Das sind alles natürliche Prozesse. Wenn wir am Fließband Krisengebiete produzieren, müssen wir uns nicht wundern, wenn Heerscharen von Menschen auf die Suche nach Antworten gehen und sie in den Religionen bekommen. Ich erfuhr in diesem Zusammenhang auch, dass deren Magen viel empfindlicher auf die Gräueltaten der Daesh reagieren, denn meiner. Aber ich habe auf gut Deutsch beim gemeinsamen Film schauen auch deren «Pissigkeit» über die Darstellung der Muslime in Hollywoodstreifen nachvollziehen können. Was soll man als Malaie beim Film «Blackhawk Down» denken, wenn man zusammen mit den Pakistanis zum Blauhelm – Kontingent gehörte, welches die Amis heraus holte?

Vielfach war ich entsetzt und beschämt über das Benehmen von Touristen aus den westlich industrialisierten Ländern. Besonders die Brut, welche sich Nachkommen schimpft, erzeugte bei mir Fremdschämen. Fairerweise muss ich aber eingestehen, dass die sonnengegerbte Zombie – Kolonie Deutscher und Schweizer auf Koh Samui alles toppte. Deutsche, die mir etwas von der Notwendigkeit einer Integration erzählen wollen, kann ich von jetzt an nur noch auslachen.

Keines der von mir bereisten Länder würde ich persönlich als gelobtes Land bezeichnen. Ganz im Gegenteil, in keinem der Länder möchte ich dauerhaft wohnen. Ich könnte mich weder mit den politischen Verhältnissen in Laos oder der Mongolei anfreunden, obwohl die Laoten den Kommunismus ganz gut auf die Reihe bekommen, und dafür wo sie her kommen, haben sie eine Menge erreicht – wenn da nicht ihre gefräßigen Nachbarn die Chinesen wären. Aber hierzu gab mir ein Osteuropäer etwas zum Nachdenken auf den Weg. «Du hast vollkommen recht mit Deiner Kritik an den Chinesen, aber erklär mir mal, was ihr mit den Rumänen macht.»
Ich kann nichts mit dem Königskult und der zur Schau gestellten Unterwürfigkeit der Thailänder gepaart mit ihrer aufdringlichen Geschäftstüchtigkeit anfangen. Ebenso wäre die betonte «Komm ich heute nicht – vielleicht morgen – vielleicht aber auch gar nicht – Haltung» der Malaien auf Dauer nichts für mich.

Ich habe die noch bestehenden freien Rahmenbedingungen und den hohen Ausbildungs – bzw. Bildungsstand meines Freundeskreises in Deutschland als etwas nicht selbstverständliches Schätzen gelernt. Traurig machte mich der Umstand, dass in Deutschland dies alles möglich ist, doch von sehr wenigen genutzt, nicht gewürdigt und vor allem nicht verteidigt wird. Die zahlreichen Gespräche mit Travellern aus allen Teilen des Planeten eröffnete mir tiefe Einblicke in deren Lebenswelt und ihre Probleme. Auch dabei schnitt Deutschland für Teile der Bevölkerung häufig gar nicht schlecht ab. Unser Problem besteht einfach darin, dass die Dumpfbacken immer aufmüpfiger werden und die gesellschaftliche Herrschaft anstreben. Ein weiteres, vielleicht noch viel größeres Problem ist die immer größer werdende Dekadenz.

Mir begegneten in den Gesprächen stets die Begriffe open – und narrow minded. Ein interkontinentales Phänomen und Problem. Bei US Amerikanern und Australiern entnahm ich ihren Erzählungen, wir alt dieses Problem bereits ist und schon seine Wurzeln in einer Zeit hat, in der die Europäer die beiden Kontinente besiedelten. Protestanten und Calvinisten haben ihre Spuren hinterlassen und damit das Alte Land nicht dem Teufel in die Hände fällt, schicken sie die Evangelikalen über den Großen Teich.

Ja, die Reise hat Veränderungen zur Folge. Ich bin radikaler, gelassener, offener für Offenes geworden und verschlossener gegenüber den Dingen, die ich nicht mag. Ich habe für mich gelernt, dass sich meine Heimat in mir selbst befindet und nicht in einem Land. Ich achte mehr auf Ideen, denn auf Personen. Gleichzeitig schätze ich den Wert des Individuums und gebe nichts mehr auf Einsortierungen, wenn sie derjenige nicht durch den Beitritt bei einer Partei und bekundeter Gruppenzugehörigkeit selbst formuliert. Junge intelligente Leute haben mir viel über die Wertigkeit verschiedener Sprachen und der Ausdrucksmöglichkeiten in der jeweiligen Sprache vermittelt. Gerade Deutsch erscheint mir für meine Zwecke erstrebenswert, während ich anderen Bereichen Englisch für deutlich anpassungsfähiger halte. Französisch, Spanisch und Italienisch haben für mich den gleichen Stellenwert, wie Deutsch – nur bin ich dort halt kein Muttersprachler.

Überhaupt hat sich mein Umgang mit Menschen verändert. Wenn man als Mensch einmal verstanden hat, dass man der Architekt seines Umfelds ist und wie wirksam die Wechselwirkungen sind, außerdem das Umfeld dadurch zum Abbild des Selbst wird, beginnt das große Sortieren. Ich gebe zu, in meinem Fall besteht im Abbild deutlicher Nachbesserungsbedarf.

Unter Travellern gibt es die Regel, dass man irgendwann einen Punkt erreicht, an dem man an sein Ursprungsland und seine Herkunft nicht mehr gebunden ist, weswegen nach einer gewissen Zeit den Rucksack wieder auf dem Rücken landet. Ich glaube zu wissen, was damit gemeint ist. Es hat etwas mit Unabhängigkeit, Freiheit und der Tatsache zu tun, dass man gelernt hat, mit sich alleine klar zu kommen. Ich werde sehen … aber erst einmal habe ich ein paar sehr interessante Gespräche zu führen und mein Leben in Deutschland zu organisieren. Die Straße wird noch eine Weile auf mich warten müssen.