22 März 2019

Travelling

Lesedauer 7 Minuten

Wie zu erwarten war, fragen mich einige nach meiner Rückkehr aus Asien, ob ich an mir eine Veränderung feststelle. Eigentlich müsste ich die Gegenfrage stellen: «Bemerkst Du eine?» Aber ich denke, dafür bin ich noch nicht lange genug zurück.

Die Frage ist wahrlich nicht einfach zu beantworten und an der einen oder anderen Stelle sehr privat bzw. intim. Ich kann sagen, dass ich Armut gesehen, erlebt und gelebt habe. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch mit dem Unterschied zwischen Armut und einem einfachen Leben auseinandergesetzt. Da besteht ein Unterschied. Ich finde, am deutlichsten kann das am Schicksal der Moken in der Andamanensee, den Hmong im Norden von Laos und den mongolischen Nomaden beschrieben werden. Die Moken und ähnliche Völker lebten hauptsächlich auf dem Meer, hatten aber auf den Inseln Basen, die sie abhängig von der Wetterlage und Regenzeit aufsuchten. Landbesitz war für sie irrelevant. Sie legten an, suchten sich auf den Inseln die besten Stellen aus und die Welt war in Ordnung. Ein einfaches, aber passendes und glückliches Leben. Mit dem Massentourismus kamen die Ressorts. Die Investoren nahmen Grundstücke in Besitz. Selbstverständlich Filetstücke mit weißen breiten Stränden und günstigen Strömungsverhältnissen. Mit dem Leben auf der See wurde es durch die Errichtung von Naturschutzgebieten, Tauchern, schnorchelnden Schwimmern, sterbenden Riffen und Reduzierung des Fischbestands immer schwieriger. Ihre Häuser stehen nun an den ungünstigen Stellen. Um sich Geld zu verdienen, müssen die Bootsbesitzer für Agenturen arbeiten oder sich als Personal in den Ressorts verdingen. Jetzt leben sie in Armut.

Die mongolischen Nomaden gehören zu den ersten Opfern des Klimawandels. Der «weiße Tod» rafft mit 50 Grad unter Null die für das Überleben notwendigen Viehherden dahin, die im Sommer bei 40 Grad über Null in der verdorrten Steppe nichts zu fressen finden. Deshalb müssen viele der Nomaden in die Städte, vornehmlich nach Ulanbataar ziehen, wo sie nicht gelitten sind. Sie leben an der Peripherie in Ger – Siedlungen, die ich als Slums anersehen würde. Trinkwasser beziehen sie aus Automaten, die ich später auch in Bangkok in den Randbezirken und in Chinatown sah. Über die Abwasserregelung will ich gar nicht nachdenken. Das ist nicht mehr das einfache Leben in der Steppe, sondern bittere Armut in einem Land der Dritten Welt. Außerdem gibt es draußen in der Steppe illegale Minen, in denen Verhältnisse wie in alten Filmen über Glücksritter im südamerikanischen Regenwald herrschen. Die Prostitution und die Kriminalität hat die Mongolei fest in den Krallen. 60 % der von großen internationalen Minenbetreibern geschürften Gewinne werden von denen einbehalten. Der Rest versickert in Korruption und bei bezahlten Lakaien der Minenbetreiber.

Die Hmong sind im Vietnamkrieg zerbombten Laos, die ärmsten der Armen. Ich habe alte Bilder gesehen, auf denen sie ein stolzes Volk waren. Das hat sich erledigt. Ständig werden Kinder und Bauern von den Hinterlassenschaften des Kriegs zerfetzt oder verstümmelt. Kriege enden nicht mit den aktiven Kämpfen. Der Vietnamkrieg ist in Laos in einigen Regionen immer noch die Gegenwart. Das stimmt einen nachdenklich.
Die Tage, welche ich bei ihnen verbrachte, prägten sich mir ein. Besonders werde ich niemals das Bild eines kleinen Jungen vergessen, der stolz mit einem kaum noch zu erkennenden Kinderfahrrad auf den Felgen durch die Gegend ackerte. Ich habe auch nicht vergessen, dass die nicht einmal, Papier und Stifte für die Schule hatten. Mir hat sich auch eingeprägt, dass einige der Kinder Waisen waren, weil die Eltern an simplen Entzündungen verreckt sind, die hier bei uns jeder Hausarzt an der Ecke erfolgreich behandelt.

Der Trip war für mich auch eine Betrachtung des Buddhismus. Ich bin an das Thema nicht unvorbereitet herangegangen. In der Mongolei lernte ich den tibetisch ausgerichteten Buddhismus und in Laos bzw. Thailand die zweite große Richtung kennen. Wie bei allen Organisationen, die mit einer Religion zu tun haben, habe ich eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen dem Anspruch bzw. der Idee und der praktischen Umsetzung kennengelernt. Die Klöster in der Mongolei, die zwischen den phallisch in den Himmel ragenden Hochhäusern der Minengesellschaften, Banken und Investmentfirmen liegen, zeigen in merkwürdigerweise die Gier, welche es nach den Worten des Buddhas zu überwinden gilt. Die Anhäger, welche Geschenke in die Klöster tragen und dabei quasi über Alkoholleichen der Nomaden steigen, wirken wie ein christlicher Ablasshandel.

Für mich selbst habe ich die gesehenen Klöster als eine Manifestation einer Idee und einer Praxis des Denkens, und nicht als Tempel für einen Personenkult um Gautama Siddharta, bezeichnet als Buddha, genommen. Die halbwegs brauchbar überlieferten Worte sind gnadenlose logische universelle Gedankengebilde und Schlussfolgerungen. Gier und das daraus entstehende Leid treibt die Menschen vor sich her. Dieses unstillbare Bedürfnis mehr zu haben, denn zum Leben notwendig ist. Wie groß der Unterschied zwischen absoluter Notwendigkeit und Dekadenz ist, wurde mir durch die Hmong und dem Leben in Deutschland vor Augen geführt. Mir ist auch bewusstgeworden, wie zerstörerisch diese Gier ist und wie sehr Menschen unter unserem Lebensstandard leiden müssen. Das hat mich in meinem Denken radikalisiert und zu einem flammenden Gegner des Kapitalismus gemacht. Doch Buddhismus bedeutet auch den Grundsatz: «Du bist ein Teil des Ganzen und damit ist es auch ein Teil von Dir!», anzuerkennen. Gleichfalls die Erkenntnis, dass jede Begegnung ein Spiegelbild ist, in dem Du erkennst, wer Du selbst bist.

Es ist auch ein Leben des Innehalten und den Augenblick als das eigentliche Leben zu begreifen. Ich habe mir Vieles aus den sogenannten Körben des Pali – Kanon durch den Kopf gehen lassen und mich damit auseinandergesetzt. Besonders haben mich zwei Sachen geprägt.
Buddha soll seine Schüler gefragt haben, wie sich ein hinzugezogner Heiler verhalten soll, wenn er einen Mann behandeln soll, der von einem vergifteten Pfeil getroffen wurde. Soll der nach dem Namen des Bogenschützen forschen, das Material des Bogens analysieren, nach dem Grund für die Schussabgabe suchen oder den Pfeil herausziehen und ein Antidot gegen das Gift geben. Wie oft versuchte ich, den Namen des Schützen zu ermitteln, statt uns um den getroffenen zu kümmern?
In einem anderen Gleichnis fragten die Schüler, wie sie sich verhalten sollten, wenn sie jemand wegen ihrer Praxis kritisierte oder verunsicherte. Der Buddha fragte hierzu, ob ein Maler ein Bild in die Luft malen könne. Die Schüler verneinten dieses. Hieraufhin forderte der Buddha sie auf, schlicht keine innere Leinwand anzubieten, dann könne auch niemand sein falsches Bild in ihnen hinterlassen. Einfach, logisch und verständlich!
Niemand braucht einen externen übergeordneten Gott. In uns ist alles, was mit dem Leben und seiner Besonderheit zusammenhängt bereits vorhanden. Diese Gedanken repräsentieren für mich die buddhistischen Tempel. Und ich besuchte Zahlreiche davon.

Im islamisch ausgerichteten Malaysia wurde mir in Gesprächen mit Muslimen bewusst, wie dumpf – und blödsinnig unsere Auseinandersetzung mit dieser Religion ist. Wir werden nach einem von uns nicht beeinflussbaren Zufall per Geburt auf irgendeinen Platz auf der Erde gesetzt. Einem Malaien ergeht es nicht anders, als einem Deutschen. Wenn an Deinem Geburtsort gerade Islam angesagt ist, bist Du halt Muslim und wenn Du in München geboren wirst, wird es wahrscheinlich der Katholizismus. Die meiste Zeit Deines Lebens geht die Religion Dir am Arsch vorbei. Interessant wird sie meistens erst in persönlichen Krisen. Ein Mensch der in solchen Situationen Antworten sucht, kann sich in Büchern mit der Philosophie beschäftigen, sich mit dem Pfarrer oder einem Iman unterhalten. Was macht man, wenn der Geburts – und Lebensort einer ist, wo es kaum Bücher oder Alternativen gibt, aber eine Moschee? Das sind alles natürliche Prozesse. Wenn wir am Fließband Krisengebiete produzieren, müssen wir uns nicht wundern, wenn Heerscharen von Menschen auf die Suche nach Antworten gehen und sie in den Religionen bekommen. Ich erfuhr in diesem Zusammenhang auch, dass deren Magen viel empfindlicher auf die Gräueltaten der Daesh reagieren, denn meiner. Aber ich habe auf gut Deutsch beim gemeinsamen Film schauen auch deren «Pissigkeit» über die Darstellung der Muslime in Hollywoodstreifen nachvollziehen können. Was soll man als Malaie beim Film «Blackhawk Down» denken, wenn man zusammen mit den Pakistanis zum Blauhelm – Kontingent gehörte, welches die Amis heraus holte?

Vielfach war ich entsetzt und beschämt über das Benehmen von Touristen aus den westlich industrialisierten Ländern. Besonders die Brut, welche sich Nachkommen schimpft, erzeugte bei mir Fremdschämen. Fairerweise muss ich aber eingestehen, dass die sonnengegerbte Zombie – Kolonie Deutscher und Schweizer auf Koh Samui alles toppte. Deutsche, die mir etwas von der Notwendigkeit einer Integration erzählen wollen, kann ich von jetzt an nur noch auslachen.

Keines der von mir bereisten Länder würde ich persönlich als gelobtes Land bezeichnen. Ganz im Gegenteil, in keinem der Länder möchte ich dauerhaft wohnen. Ich könnte mich weder mit den politischen Verhältnissen in Laos oder der Mongolei anfreunden, obwohl die Laoten den Kommunismus ganz gut auf die Reihe bekommen, und dafür wo sie her kommen, haben sie eine Menge erreicht – wenn da nicht ihre gefräßigen Nachbarn die Chinesen wären. Aber hierzu gab mir ein Osteuropäer etwas zum Nachdenken auf den Weg. «Du hast vollkommen recht mit Deiner Kritik an den Chinesen, aber erklär mir mal, was ihr mit den Rumänen macht.»
Ich kann nichts mit dem Königskult und der zur Schau gestellten Unterwürfigkeit der Thailänder gepaart mit ihrer aufdringlichen Geschäftstüchtigkeit anfangen. Ebenso wäre die betonte «Komm ich heute nicht – vielleicht morgen – vielleicht aber auch gar nicht – Haltung» der Malaien auf Dauer nichts für mich.

Ich habe die noch bestehenden freien Rahmenbedingungen und den hohen Ausbildungs – bzw. Bildungsstand meines Freundeskreises in Deutschland als etwas nicht selbstverständliches Schätzen gelernt. Traurig machte mich der Umstand, dass in Deutschland dies alles möglich ist, doch von sehr wenigen genutzt, nicht gewürdigt und vor allem nicht verteidigt wird. Die zahlreichen Gespräche mit Travellern aus allen Teilen des Planeten eröffnete mir tiefe Einblicke in deren Lebenswelt und ihre Probleme. Auch dabei schnitt Deutschland für Teile der Bevölkerung häufig gar nicht schlecht ab. Unser Problem besteht einfach darin, dass die Dumpfbacken immer aufmüpfiger werden und die gesellschaftliche Herrschaft anstreben. Ein weiteres, vielleicht noch viel größeres Problem ist die immer größer werdende Dekadenz.

Mir begegneten in den Gesprächen stets die Begriffe open – und narrow minded. Ein interkontinentales Phänomen und Problem. Bei US Amerikanern und Australiern entnahm ich ihren Erzählungen, wir alt dieses Problem bereits ist und schon seine Wurzeln in einer Zeit hat, in der die Europäer die beiden Kontinente besiedelten. Protestanten und Calvinisten haben ihre Spuren hinterlassen und damit das Alte Land nicht dem Teufel in die Hände fällt, schicken sie die Evangelikalen über den Großen Teich.

Ja, die Reise hat Veränderungen zur Folge. Ich bin radikaler, gelassener, offener für Offenes geworden und verschlossener gegenüber den Dingen, die ich nicht mag. Ich habe für mich gelernt, dass sich meine Heimat in mir selbst befindet und nicht in einem Land. Ich achte mehr auf Ideen, denn auf Personen. Gleichzeitig schätze ich den Wert des Individuums und gebe nichts mehr auf Einsortierungen, wenn sie derjenige nicht durch den Beitritt bei einer Partei und bekundeter Gruppenzugehörigkeit selbst formuliert. Junge intelligente Leute haben mir viel über die Wertigkeit verschiedener Sprachen und der Ausdrucksmöglichkeiten in der jeweiligen Sprache vermittelt. Gerade Deutsch erscheint mir für meine Zwecke erstrebenswert, während ich anderen Bereichen Englisch für deutlich anpassungsfähiger halte. Französisch, Spanisch und Italienisch haben für mich den gleichen Stellenwert, wie Deutsch – nur bin ich dort halt kein Muttersprachler.

Überhaupt hat sich mein Umgang mit Menschen verändert. Wenn man als Mensch einmal verstanden hat, dass man der Architekt seines Umfelds ist und wie wirksam die Wechselwirkungen sind, außerdem das Umfeld dadurch zum Abbild des Selbst wird, beginnt das große Sortieren. Ich gebe zu, in meinem Fall besteht im Abbild deutlicher Nachbesserungsbedarf.

Unter Travellern gibt es die Regel, dass man irgendwann einen Punkt erreicht, an dem man an sein Ursprungsland und seine Herkunft nicht mehr gebunden ist, weswegen nach einer gewissen Zeit den Rucksack wieder auf dem Rücken landet. Ich glaube zu wissen, was damit gemeint ist. Es hat etwas mit Unabhängigkeit, Freiheit und der Tatsache zu tun, dass man gelernt hat, mit sich alleine klar zu kommen. Ich werde sehen … aber erst einmal habe ich ein paar sehr interessante Gespräche zu führen und mein Leben in Deutschland zu organisieren. Die Straße wird noch eine Weile auf mich warten müssen.


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Verfasst 22. März 2019 von Troelle in category "Politik

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