Helden des Gewissens

Die Kapitänin eines Schiffs, welches zu einer Organisation gehört, die sich zur Aufgabe gemacht hat, wenigstens ein paar der täglich im Mittelmeer ertrinkenden Kinder, Männer und Frauen zu retten, hat eine Entscheidung getroffen. Zusammen mit ihrer Crew rettete sie 42 Menschen aus dem Wasser und machte sich mit ihnen auf den Weg nach Europa. Es folgte eine Odyssee, die viel über Europa, die dort existierenden Gesellschaften und die dort lebenden Menschen und die von ihnen gewählten politischen Führer aussagt.
In der FAZ wurde bereits am 29.1.2017 ein Artikel veröffentlicht, in dem stand:
« … die Rede ist von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“. Wörtlich heißt es demnach: „Authentische Handy-Fotos und -videos belegen die KZ-ähnlichen Verhältnisse in den sogenannten Privatgefängnissen.“ Augenzeugen sprachen laut dem Botschaftsbericht von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis – mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen. Mehr als 180.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr von Nordafrika nach Italien; beinahe 90 Prozent brachen von Libyen aus übers Mittelmeer nach Europa auf …»
Weiterhin stand im Artikel:
« … Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte der „Welt am Sonntag“: „In der jetzigen Lage ist es so, dass die Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt – das muss beendet werden, denn das Geschäftsmodell der Schlepper ist so einfach wie grausam: Flüchtlinge erkaufen sich für viel Geld einen Platz in einem kaum seefähigen Boot.“ Es gebe in der UN-Flüchtlingskonvention einen Anspruch von Schutzsuchenden gegenüber der Völkergemeinschaft, sagte der Minister. „Aber es gibt darin keinen Anspruch, hinzugehen, wo man will.“ De Maizière wirbt bereits seit längerem für Flüchtlingslager etwa in Nordafrika …»
Nichtsdestotrotz besteht ein europäischer Deal mit Libyen. Die Verhältnisse haben sich gemäß der Berichterstattung nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Sklavenhandel (21. Jahrhundert!), Folter, Vergewaltigungen, Tötungen, sind an der Tagesordnung. Menschen, die irgendwie eine Gelegenheit sehen, versuchen dieser Hölle über das Mittelmeer zu entkommen. Auf der anderen Seite existieren Menschen, die zum einen nicht verstehen können, warum jene Gepeinigten überhaupt geflüchtet sind, wieso sie sich diesem Lebensrisiko aussetzen und wie eine Kapitänin sich der Politik widersetzen kann, in dem sie die aus dem Wasser Geretteten und der Hölle entkommenen, nicht wieder an die Peiniger ausliefert.
Die Flüchtenden stammen aus Syrien, Eritrea, Somalia und Afghanistan. Die östliche Flüchtlingsroute wurde seitens der EU geschlossen, deshalb ersehen sie die Flucht über das Mittelmeer als letzte Option, dem Tod, der Folter, dem Verhungern, Verdursten oder Versklavung zu entkommen. Die dort an der Küste überhaupt noch ankommen, haben bereits die Hölle auf Erden hinter sich.
1939 verließ der ehemalige Luxus – Liner MS St. Louis mit ca. 1000 jüdischen Flüchtlingen den Hamburger Hafen mit Ziel Havanna. In Deutschland hatten die Nazis zu diesem Zeitpunkt bereits 6 KZ eingerichtet. Doch Kuba lehnte die Aufnahme der Flüchtenden ab. Auch die USA, zur damaligen Zeit selbst mit Antisemitismus infiziert, verhindert mit Militär – u. Polizeibooten ein Einlaufen in einem amerikanischen Hafen. Am Ende landen die Flüchtlinge in Antwerpen und Belgien, Holland, Frankreich und England mit Hilfe der Organisation Joint auf. Parallelen? In Spanien tobte der Faschismus unter Franco, in Italien regierte Mussolini und aus Deutschland stammten die dem Tod geweihten. Soweit ein kleiner Exkurs in die deutsche, europäische und globale Geschichte des zurückliegenden Jahrhunderts.
Doch was gehen uns schon die Afrikaner an? In einer Zeit, wo Flüchtlinge seitens einer Weidel mit arrogant hochgezogener Oberlippe als «Goldstückchen» oder allgemein als «Messermänner» diffamiert werden. Aber so weit muss ich gar nicht schauen. In den Kommentaren auf Twitter, Facebook, oder passenden Artikeln, sammeln sich jede Menge Leute, die ich bislang fern der AfD vermutete. Da wird über «erpresste Einreise», «institutionalisierter Schlepperei» oder «unbegrenzte Einreisebefürwortung linker Staatsfeinde» schwadroniert. Und immer wieder schwingt unterschwellig mit: «Wir können sie nicht alle retten!» Stimmt! Wird auch niemals passieren und möglich sein. Hundertausende sterben vorher, ersaufen im Mittelmeer, verrecken in der Wüste oder landen auf einem der Sklavenmärkte.
Die Sommerferien sind angebrochen. Die deutschen Urlauber schwärmen aus. Das Leben kann so schön sein. Sonne, Strand, Berge, Seenlandschaften laden zur Erholung. Europa, dieser gelobte Kontinent, von dem aus einst die Welt kolonialisiert wurde. Der Kontinent, von dem die Vorfahren kamen, die einst die Basis, für all die Dilemma, setzten. Ruhe und Erholung schafft die Möglichkeit, sich mit all den Dingen auf diesem Planeten auseinanderzusetzen. Mit einem kühlen Weizenbier und dem Smartphone in der Hand twittert es sich leicht.
Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, einige der Kommentare hier einzubetten. Doch ich merkte, wie mir beim Lesen die Galle hoch kam. Es gehört zu meiner persönlichen Verantwortung mir selbst gegenüber, es mit meiner Wut auf einige Menschen nicht zu weit kommen zu lassen. Aber ehrlich … ein nicht geringer Teil meiner deutschen Mitbürger raubt mir den Atem. Diese … sitzen irgendwo, stöhnen über ein paar Tage Hitze und maßen sich an, die Flüchtenden, die Kapitänin und die Seawatch Organisation zu kritisieren? Da ballt sich die Faust in der Tasche und der Gedanke: Du kannst sie nicht alle verprügeln – macht sich breit.
Ying und Yang … daraus besteht die Welt. Wir können sie nicht erfassen, ohne auch das Gegenbild zu kennen. Kapitänin Rackete, ihre Entscheidung und Handlungen bringen Licht in den Schatten, in dem sich die Kakerlaken der Gesellschaft verstecken. Der neueste Trend geht dahin, das Manöver im Hafen anzuprangern. Tja, wer eine Entscheidung dieser Art durchziehen will, muss es konsequent tun. Wer sich dem entgegen stellt, muss damit rechnen, dass der andere handelt. Ich finde dieses Gejammere über den Verstoß gegen Gesetze mittlerweile unerträglich. Jenseits aller Gesetze gibt es höher angesiedelte Aspekte des menschlichen Lebens, des Lebens überhaupt. Menschen, die sich daran orientieren, haben sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegen die niedrigsten und schädlichsten Verhaltensmuster des homo sapiens gestellt. Gut, dass es in jeder Epoche solche Menschen gegeben hat.
Manchmal muss man da auch nicht soweit schauen. Ich denke dabei zum Beispiel an Kapitän Paul Watson, der immerhin mehrere Walfangboote versenkte und dafür vom Time Magazin zum Helden des 20. Jahrhunderts erklärt wurde. Doch … Moment … da war noch etwas. Richtig! Watson wurde ausgerechnet in Deutschland festgenommen, entkam aber unter seltsamen Umständen. Ich denke dabei auch an GREENPEACE und die vom französischen Geheimdienst gesprengte Rainbow Warrior. Wer hielt sich da eigentlich an die Gesetze? Die Assoziation zu den Abhöraktivitäten seitens einiger Behörden bei den Seenotrettern ist nicht weit.
Nein, unsere Epoche ist nicht die übelste der Menschheitsgeschichte. Doch wir leben in einer Epoche, in der vieles bereits bekannt ist, weil die Geschichte die Schatten bereits ausleuchtete. Es sind eigentlich keinerlei Fragen mehr offen, zu welchen schädlichen Verhaltensweisen der Mensch fähig ist. Offen ist eher, welche guten Leistungen er vollbringen kann. Kapitänin Rackete hat das getan, was man von einer Kapitänin erwarten kann. Sie hat eine Lage bewertet, ihr Gewissen befragt, eine Entscheidung getroffen und sie gegen den Widerstand der Gewissenlosen umgesetzt. Mal ganz nebenbei … auch die Bootsführer des italienischen Zoll haben ihre Wahl getroffen, auf welcher Seite der Menschheit sie stehen. Das wird gern übersehen. Die Sache mit dem blinden Gehorsam haben wir ausreichend ausgeleuchtet.
Egal in welchen Land man dem Staat dient, das Gewissen kann Dir niemand abnehmen.
Wir schauen schwierigen Zeiten entgegen. Die grundlegendsten Eigenschaften des Menschen treten gegeneinander an. Gewinnt die Seite, für die Kapitänin Rackete steht, gibt es eine Hoffnung, bekommt die andere Seite die Oberhand, setzt sich der evolutionäre Selbstzerstörungsmodus des Großhirns durch. Empathie, Kooperation, gegenseitiges Helfen hat uns zum Vorteil gereicht. Das Gegenteilige wird uns wieder in der Versenkung der Erdgeschichte verschwinden lassen.
Es geht nicht nur um die Flüchtlinge, die Rettung aus der See, das Übertreten temporär existierender Gesetze, sondern um die inneren Voraussetzungen, die bei allen Entscheidungen eine Rolle spielen. In diesem anstehenden Kampf brauchen wir dringend Leute, die auf ihr funktionierendes Gewissen hören und auf Papier legalisiertes Unrecht am Menschen erkennen.
Es ist ebenso an der Zeit Farbe zu bekennen und deutliche Worte zu finden. Da findet eine absolut schwachsinnige propagandistische Zuordnung statt. In der Vorstellung diverser Gehirnakrobaten sind die Leute, welche auf der Seite der Kapitänin stehen, weich gespülte “linke” Theoretiker. Nun, für meinen Teil, lasse ich es darauf ankommen. Ganz im Gegenteil – im Gegensatz zu einigen Sesselfurzern habe ich eine vage Vorstellung davon, welche Zustände da auf dem Schiff herrschten. Ich habe auch eine Idee, wie es in Libyen aussieht. Ich sehe im Spiegel auch keinen, der jedem alles durchgehen lässt, da bin ich recht kampferprobt. Meiner Lebenserfahrung nach, sind die Menschen, welche die wenigste Zeit außerhalb ihrer Komfortzone verbrachten, die übelsten Schwätzer und Ignoranten. Kommt mal raus aus Euren Löchern und dann sprechen wir mal Klartext miteinander.
Sehr guter Bericht. Ich finde er ist noch zu harmlos, doch die meisten ist es doch egal. Schnell noch die Bildzeitung lesen und dann ab in die Sonne.