22 November 2019

Reiseberichte

Lesedauer 4 Minuten

Oder: das Buch, welches einem anderen weichen musste.

Ich habe mich hier im BLOG bereits mehrfach über die Wirkung von langen Reisen und dem Schreiben ausgelassen. Kaum etwas hat mich in den letzten drei Jahrzehnten so verändert, wie diese beiden Aktivitäten. Das Schreiben führte zu einer Reflexion des Ich und die Menschen, welche ich beim Reisen traf, waren die notwendigen Spiegel.

Veränderung bedeutet, dass es ein davor und ein danach gibt. Begonnen habe ich mit einer gehöriggen Wut im Bauch. In meinem Fall ist das durchaus wörtlich zu nehmen. Ziemlich simpel ausgedrückt: Ich war im Arsch! Durch, ausgebrannt, von Depressionen geplagt und asolut ungeniessbar. Mit dem Einsteigen in den Waggon der Transsibirischen Eisenbahn entfernte ich nach und nach tausende Kilometer. Nicht nur physikalisch sondern auch mein Inneres gewann Abstand zum Leben davor. Heute würde ich sagen, ein frustrierter Bulle stieg ein und Monate später kam aus Bangkok ein an der Polizei immer noch interessierter Mann zurück, der kein Bulle mehr ist.

Ich verwende die Bezeichnung Bulle sehr bewusst. Die Polizei besteht aus zwei großen Teilen. Zum einen gehören die auf der Straße arbeitenden und der andere wird von denen gestellt, die aus dem Büro heraus Direktiven beschließen. Beide haben charakterlich wenig miteinander zu tun. Die Arbeit im Sumpf von Berlin ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Doch nunmehr ersehe ich die Zeit als eine Art notwendige Ausbildung, die mich dahin brachte, wo ich heute stehe. Erst gestern las ich im Tagesspiegel einen wirklich gut recherchierten Artikel über Sexualverbrecher, die nach langer Haftzeit Freigang aus der Sicherheitsverwahrung bekamen.

Ich habe solche Männer observiert. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich dabei oftmals eine Hasskappe auf hatte. So schwer es auch sein mag, sich dies vor Augen zu führen: Auch die haben eine Biogfrafie. Eine, die man in der Regel nicht haben möchte. Sie und ihr Verhalten sind ein Ergebnis von sehr vielen Dingen, die in der Gesellschaft schief gehen können. Trotzdem müssen sie ausgebremst werden. Dies steht nicht zur Diskussion. Aber sich damit auseinanderzusetzen, anhand ihrer Person das Menschliche nachzuvollziehen, halte ich für den Königsweg. Sie und einige andere, sind die Facette des Menschen, die wir nicht wahr haben wollen. Die Augen zu verschliessen bringt nichts. Jeder der uns begegnet ist ein Mensch, ein Exemplar der eigenen Spezies.

Unterwegs lernte ich die unterschiedlichsten Typen von mehreren Kontinenten in sehr verschiedenen Lebenssituationen, Umfeld und vor allem Zeitpunkten ihrer Biografie kennen. Ich denke, ohne die dreissig Jahre Dienstzeit bei der Polizei hätte dies so nicht funktioniert. Wahrscheinlich wäre ich nicht einmal an die Orte gelangt, die ich sah. Selbstverständlich lebte oder lebe ich unter Umständen immer noch in einer Blase. Der Begriff ist recht modern. Aber er gehört zu den wenigen, die ich sehr treffend finde. Ich der Deutsche, der knapp über Fünfzigjährige, Beamter, Mitteleuropäer, geprägt im unteren Teil des Mittelstands, geschieden, Vater, all dies formt das Denken. Aus diesen Wohlfühlzonen wurde ich mehrfach herausgerissen. Dies war recht heilsam. Gleichsam aber auch verstörend, verwirrend und es eröffnete neue Baustellen.

Gesellschaft ist ein Oberbegrifff. Deutschland strebte nach dem Dritten Reich eine pluralistische Gesellschaft an, die aus vielen kleinen unterschiedlichen Teilen besteht. Dabei bleiben Konflikte nicht aus. Dies war vermutlich eine der großen Aufgaben: Unterschiede aushalten und Konflikte lösen. Die allgemeinen Tendenzen nach dem Zusaammenschluss der beiden deutschen Staaten Bundesrepublik Deutschland und DDR deuten darauf hin, dass dies entweder gescheitert ist oder zumindest noch einige Zeit dauern wird. Hinzu kommt, dass Deutschland wieder an der alten Hybris leidet, aufgrund wirtschaftlicher Kraft, kulturell, politisch, ethisch, militärisch, eine globale Führungsrolle einnehmen zu müssen. Diejenigen welche ich sprach, waren davon nicht unbedingt begeistert, wenn es sie nicht sogar belustigte. Der kleine bunte Fleck auf dem Globus, mit einer verhältnismäßig überschaubaren Hauptstadt, einem international bekannten Fussballverein, wenigen Einwohnern, die in jeder Fremdsprache einen harten militärischen Akzent unterbringen, dreht mal wieder am Rad. Eins hat Hitler erreicht. Er hat Deutschland bekannt gemacht, sonst würden uns einfache Bürger in diversen deutlich größeren Staaten immer noch nicht kennen.

Ich kann mich mit diesen neuen Tendenzen in Deutschland nicht anfreunden. Mir geht dieses Selbstverständnis gehörig gegen den Strich. Besonders stieß mir dies in Thailand auf der Touristeninsel Koh Samui auf. Die Rentner und Babyboomer aus Deutschland und der Schweiz haben dort Kolonien errichtet, in denen sie ihr Brauchtum bei 35 Grad über Null fröhnen. Zusätzlich leben die meisten Männer dort aus, was ihnen intellektuell in der Heimat verwehrt wird, aber durchaus dem gängigen Mainstream entspricht. Deutschland ist eben nicht das Land der Soziologen, Intellektuellen und Aufgeklärten, sondern im überwiegenden Maße die piefige Provinz. Wir belächeln die US Amerikaner, deren Bildungsniveau mit jedem Kilometer Abstand zu den großen Städten rapide abnimmt. Sieht es bei uns wirklich so viel anders aus?

Ich begreife die Welt mittlerweile als ein Bühnengeschehen mit Schauspielern, die keine Regieanweisung haben und frei agieren. Jeder beinflusst mit seinem Spiel den anderen. Keiner der Akteure kommt an dem Umstand vorbei, dass das Spektrum seines schauspielerischen Talents von den Möglichkeiten des menschlichen Daseins begrenzt ist. Die Bühne und Kulisse wechselt beim Reisen, die Akteure sehen anders aus, doch in vielen Dingen gibt es Überschneidungen. Spannend wird es immer, wenn es diese nicht gibt. Dann basiert das Geschehen augenscheinlich nicht auf dem instinktiven Verhalten, sondern ist kulturell geprägt. Damit unterliegt es der Veränderlichkeit. Es muss nicht alles sein, wie es ist. Jemand hat beschlossen, dass es so sein soll.

Meine erlebten Geschichten stelle ich online. Vielleicht münden sie eines Tages doch noch in einem Buch. Das andere Buch endet mit einem Beschluss. Polizei – es war eine interessante Zeit. Als Autor, nicht zwingend als BLOGGER, endet für mich die Auseinandersetzung mit diesem biografischen Abschnitt. Die Gründe hierfür ergeben sich im Buch. Bezüglich der Veröffentlichung befinde ich mich noch in der Findungsphase. Ich werde hierzu berichten. Bis dahin … vielleicht ein wenig Freude mit den Reisegeschichten und möglicherweise erwecke ich ja die Lust, sich auch mal auf den Weg zu machen.

Ein französischer Straßenmusiker sagte zu mir: Wer niemals lange gereist ist und alles hinter sich ließ, hat nur die erste Seite des Buches über das Leben aufgeschlagen.

On the Road … (Vorwort)

Kapitel I – Ein verschwindendes Paradies


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Verfasst 22. November 2019 von Troelle in category "Buchprojekte

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