Boomer Widerstand
Wer beim Reisen in Hostels unterkommt, wird als über 50 Jähriger nicht an Gesprächen mit jungen Leuten um Anfang 20 bis Mitte 30 vorbeikommen. Mit meinem Geburtsjahrgang 1966 bin ich streng genommen kein «Boomer», sondern wenige Tage außerhalb der Kategorie. Besonders in Gesprächen mit Deutschen zerreißt es mich bisweilen förmlich. Es beginnt bereits damit, dass sie die Entwicklung meiner Generation, als eine Gesamtdeutsche wahrnehmen. Hätte ich noch Haare, würden sie mir ausfallen, wenn mich eine junge Brandenburgerin mit ihren Eltern vergleicht. Berlin – West? War da mal was? Richtig zu kochen beginnt es in mir, wenn diese junge Generation davon fabuliert, dass sie im Gegensatz zu meiner viel politischer aufgestellt sei. Ach ja? Friedensbewegung, Anti AKW Bewegung, die Anfänge der Hausbesetzerzeit, das Aufkommen der Autonomen Bewegung, Reagan – Demo, der Kampf gegen die sich wieder zeigenden Rechtsradikalen, rechte Skin Heads, Republikaner und noch einiges mehr. Mit einem gewissen Stolz können meine Altersgenossen und ich behaupten, dass mit SLIME, Ärzte, DEVO, Dead Kennedys, letzte Überlebende einer gesellschaftlichen Contra – Bewegung auf der Bühne stehen.
Gerade diejenigen, welche heute Mitte 30 sind haben sich bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Love, Peace, Techno ist gescheitert und hat vielen die Birne weich werden lassen. Das Leben eine Party? Warum nicht? Aber politisches Engagement ist das nicht und verhindert vor allem keine Fehlentwicklungen, die der Freiheit des Individuums entgegenstehen. Im Gegenteil, jede Bewegung wird im Kapitalismus früher oder später gekauft. Sich dem zu widersetzen erfordert einigen ermüdenden Widerstand, der von intensiver Arbeit an sich selbst begleitet wird.
Ich mag Frauen wie Jutta von Ditfurth (68) nicht. Unter Umständen verfolgen wir sogar bisweilen gleiche Ziele, aber sie tappt schlicht ahnungslos durch ein System, welches sie in den Grundzügen nicht verstanden hat. Sie ballert auf selbsterschaffene Dämonen, während sich die real existierenden Hintermänner schlapp lachen. Letztmalig tat sie dieses, als sie mutmaßte, dass gezielt Beamte mit rechtstendenziöser Ausrichtung in Connewitz eingesetzt wurden. Sie muss in ihrer Gedankenwelt ziemlich weit von der Realität eines Berufslebens und den Strukturen einer deutschen Behörde entfernt sein, wenn sie auf solche Ideen kommt. Ich erwähne sie, weil sie massiv Kritik an der Extinction Rebellion (XR) äußerte. Zentrale Punkte waren dabei ein angeblicher Sektencharakter und die mangelnde Abschottung gegen rechte Kräfte. Damit leistete sie wieder einmal genau den Falschen einen Bärendienst.
Es dauerte gar nicht lange, bis sich die Konservativen das Gründungsmitglied Roger Hallam vornahmen, weil er angeblich den Holocaust und einiges mehr relativieren würde. Sie blendeten dabei geflissentlich aus, dass der Mann Brite ist und diesbezüglich in seinen Vergleichen eine vollkommen andere Sozialisierung hat, denn ein Deutscher. Ihm lag daran, die brutalen und in seiner Vorstellung in die Erdgeschichte eingreifenden Vorgänge, entsprechend einzusortieren. Der Mann ist mit Sicherheit weit davon entfernt, ein Rechter oder gar Anhänger des Nationalsozialismus zu sein.
In einem Punkt muss ich ihm zustimmen. Jeder kommt bei der Betrachtung der Entwicklung zu seinen eigenen Schlüssen. Ersehe ich die Veränderungen im Klima als Folge von der Entwicklung der westlich industrialisierten Staaten und dem damit in Verbindung stehenden erdumspannenden Wirtschaftssystem, werden ganze Gesellschaften, mit dem Motiv eigenen Wohlstand und Macht zu erhalten, in einem bisher nie da gewesenen Ausmaß vernichtet. Folge ich diesem Gedanken, erfährt der Holocaust in seinem bisherigen geschichtlich rückwärtsgewandten Alleinstellungsmerkmal, in der Zukunft unter Umständen eine Ablösung. Nur eine Horrorvision wären Länder, die sich Abschotten und an den Grenzen alle ankommenden Klima Flüchtlinge töten, in Lagern ihrem Schicksal überlassen oder sie bereits im Vorfeld mit militärischen Mitteln bekämpfen. Die Anfänge sind bereits erkennbar.
Wie auch immer, bereits heute geschehen Ereignisse, die mit den Geschehnissen in den 80ern nicht mehr vergleichbar sind. Seien es die Toten in den nordafrikanischen Wüsten, im Mittelmeer, Lager in denen Menschen dahin vegetieren, dass erneut aufkommende imperiale Verhalten der USA, der kaschierte Kolonialismus der Chinesen, die geostrategischen Interventionen Russlands, und ein Deutschland, welches sich wie ein Putzerfisch verhält, der die Wale von Essenresten befreit. Dies mögen alles Dinge sein, die von Boomern ausgehen. Aber das Problem haben die Jungen und damit haben sie auch alle Rechte, dagegen massiv vorzugehen. Wir leben längst wieder oder immer noch, in einer Zeit, die in den 60ern und 70ern ähnlich diskutiert wurde. Es wird Gewalt ausgeübt! Militärische Interventionen sind vom jeweiligen Staat ausgehende Gewalttaten. Menschen in Lager einzusperren ist Gewalt. Zum Erhalt des eigenen Wohlstands andere auszubeuten, ist Gewalt.
In den benannten Jahrzehnten wurde festgestellt, dass der Gewaltbegriff niemals allein betrachtet werden kann, sondern sich immer gegen Etwas richtet. Im Zweifel gegen Gewalt, die von anderen ausgeht. XR und Fridays for Forture, sind nahezu gewaltlose harmlose Bewegungen. Bisher hat niemand von Ihnen die in Betracht zu ziehenden Firmen attackiert. Kein Rüstungskonzern, kein Energieriese, kein Thinktank, musste nennenswerte Schäden verbuchen. Ein paar niedliche Blockaden, Demonstrationen, eher eloquente Reden, haben ein paar Steilvorlagen für Greenwashing PR Aktionen geliefert – das war’s. Die seitens der Bürgerschaft und der Konservativen als linksextrem einsortierten Gruppen, taumeln mehr oder weniger trunken und irrational in der Gegend herum. Eher infantile Persönlichkeiten sabotieren Züge, liefern sich Scharmützel mit der Polizei und die Bürger dürfen sich am Kleinkram ereifern. Dabei ist nicht die Reaktion des Bürgertums entscheidend, sondern was tatsächlich passiert ist.
Aktuell kursiert im Netz das Video eines ehemaligen Martial Arts Kämpfers u. Ex – Polizisten der Bundespolizei. Der 36 Jährige präsentiert sich als kampferprobter investigativer «Lonely Wolf», der sich dahin traut, wo andere nicht mehr hingehen. Nachdem er sich im Video selbst ausreichend als aufgestandener Underdog gewürdigt hat, beginnt eine Video Reportage über die Berliner Rigaer Straße. Alles im Tenor einer niemals da gewesenen skandalösen Entwicklung.
Wahrscheinlich hätte sich der Mann beim Anblick der Mainzer Straße Ende der 80er zu Travis Bickle in Taxi Driver entwickelt. Ich will damit nicht sagen, dass die Durchgeknallten in der Rigaer ignoriert werden sollten, aber es wäre gut, die Kirche ein wenig im Dorf zu lassen. Da haben wir in Berlin schon ganz andere Sachen erlebt. Gesellschaftliche Umsturzentwicklungen sind von denen selbst nicht zu erwarten, eher von denen, die sie für genau das Entgegengesetzte missbrauchen. Der gute Mann bekommt meinen Respekt, wenn er sich mit einem ähnlichen Video dem Drogen- und Waffenhandel im afghanischen Grenzgebiet ausgehend von Tschetschenen und Albanern widmet. Oder wie wäre es für den Anfang mit einer aufgesetzten Langhaarperücke und einem Spaziergang in Rostock – Lichtenhagen. Wenn er verdeckt investigativ unter High – Risk Bedingungen arbeiten will, habe ich jede Menge Tipps.
Mir geht es nicht um den berühmten «Schwanzvergleich», wenn es um politischen Protest gegen die bestehenden Verhältnisse und weltweiten Geschehnisse geht. Doch ich weiß eins: Es passiert mit absoluter Sicherheit zu wenig und vor allem werden konsequent die falschen Ziele angegangen. Ich freute mich, als es hieß, die Revolutionäre Mai Demo wird zum Villenspaziergang. Genau da gehört sie hin und nicht in den Kiez. Aber irgendwie wurde das auch wieder nichts.
Vielleicht unterliege ich bei der Erinnerung dem klassischen Fehler, dass einiges in Vergessenheit geraten ist. Aber wenn ich mir die Geschichte Berlins ab den 20ern anschaue, gab es da einige handfeste Revolten, die dem Anlass gerecht wurden. Die benannten Prozesse verdienen aufgrund ihrer Schwere durchaus heftigen Protest und nicht ein paar Milchbubis die mit erschreckenden politischen und gesellschaftlichen Minimalkentnissen ein wenig Randale machen. Und ein paar Schüler, die sich dem Unterricht verweigern, werden wahrlich nicht dem weit reichenden Thema Klima und den damit in Verbindung stehenden dystopischen Folgen gerecht.
Das Bürgertum hat sich warm und wohlig eingerichtet. Die bekommen bereits einen hysterischen Anfall, wenn ein Kinderchor! über eine Oma singt. Für mich das Zeichen überhaupt, wo die Deutsche Gesellschaft steht. Kein Kinski, der auf der Bühne den Erlöser gibt, keine Publikumsbeschimpfung a la Peter Handke, kein Fritz Teufel, nein, ein Kinderchor. Ein Intendant, der bei diesem Schwachsinn quasi im Galopp den Schwanz einklemmt. Mit dieser tumben Ansammlung von Spießern ziehen wir in die kommenden schweren Jahre? Gute Nacht, Marie!
Wäre ich ein Neoliberaler Politiker, würde ich den Clans und den paar Hausbesetzern monatlich einen Geschenkkorb senden. Niemand spielt ihnen besser in die Karten. Zwei Dinge müssen geschehen. Die kleinen Unterbereiche der Gesellschaft (Communities) müssen stabilisiert bzw. organisiert werden, damit es schwerer wird Ablenkungsmanöver zu starten und so die frei werdenden Kräfte in den Protest gegen die Fehlentwicklungen münden zu lassen. Dann können die Talente junger Männer wieder für die Gesellschaft eingesetzt werden, anstatt dass sie sich aufpumpen und posend durch soziale Brennpunkte laufen.
Wir jungen Boomer haben teilweise nicht alles falsch gemacht. Wir haben vielleicht an der einen oder anderen Stelle verloren. Das kann passieren. Ob ihr es besser könnt … der Beweis ist noch zu erbringen. Teile von Euch erscheinen mir ungeeignet.