Von Rot zu Schwarz

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“Für mich ist das Thema Enteignung schon eine Rote Linie. Ich möchte nicht in einer Stadt leben, die das Signal sendet, hier wird enteignet“, sagte Giffey in dem Interview. Da sie selbst im Osten Deutschlands groß geworden sei, habe sie erlebt, was Enteignung für die Menschen bedeute sowie für den Zustand und die Entwicklung einer Stadt. “Ich glaube nicht, dass Enteignungen an dieser Stelle der richtige Weg sind. Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum, keine Frage. Wir brauchen Investitionen in Infrastruktur. Wir brauchen aber auch einen effektiven Mieterschutz. Enteignungen gehören aus meiner Sicht nicht zum Instrumentenkasten”, so Giffey.

https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/beitraege/berlin-giffey-enteignung-spd-linke-gruene-rote-linie.html

Gestern beim Kochen hörte ich das Interview mit Frau Giffey und es hatte sich spontan mit einem Appetit erledigt. Weite Teile des Interviews waren üble Kinnhaken für jede/n ältere/n Genossen/in aus der ehemaligen West – Berliner SPD.

Wahlkampf ist Wahlkampf und der politische Schlagabtausch gehört dazu. Wohnungen, Bauen und Stadtgestaltung sind weltweit untrennbar Bestandteil jeder Stadtpolitik. Großstädte haben ihr eigenes Flair, welches aus ihrer Geschichte entstanden ist. Paris fühlt sich anders an, wie London und Barcelona ist nicht Neapel. Amsterdam ist eigen, genauso wie Rom eine eigene Ausstrahlung hat. Berlin hatte bei den Touristen aus anderen Großstädten lange den Ruf, sich eine attraktive lebendige Innenstadt erhalten zu haben. Eine Innenstadt mit Menschen, die dort nicht nur zur Arbeit in blankgeputzte Gebäude verschwinden, sondern auch dort leben, ihre Brötchen kaufen, ihren Kiez erleben, in die Kneipe gehen und den Feierabend erleben. Beim allgemein herrschenden System besteht immer die Gefahr, dass eine attraktive Metropole ins Visier der Spekulanten gerät. An der Stelle ist es die Aufgabe der Politik, sich als Volksvertreter dem entgegenzustellen und eben nicht die Interessen der Spekulanten zu vertreten. Man kann trefflich darüber diskutieren, wie man dieses anstellt.

Die jüngere Geschichte Berlins ist nicht die der Spekulanten, sondern zunächst die der Arbeiter, die im Zuge der Industrialisierung von überall her nach Berlin strebten. Wie in Manchester und anderen Arbeiterstädten entstanden im Zuge der industriellen Ausbeutung der Menschen Arbeiterviertel mit ihren Mietskasernen. Gleichsam wurde Berlin zum Treffpunkt der Intellektuellen, der Bohemiens, Dichter, Denker, Musiker, Literaten, aus ganz Europa. Sie waren der Tross, den die Armut der Arbeiter nach sich zog. Revolution, Arbeiterbewegung, Kampf um Gerechtigkeit, Entwicklung neuer besserer Gesellschaftsmodelle, all das fand in Berlin statt. Dann kamen die Nationalsozialisten und Berlin lag in Trümmern. Letztens zum Jahrestag des Mauerbaus wurde mal wieder retrograd diskutiert, wie es dazu kommen konnte. Die Konservativen machen es sich traditionell einfach und zeigen mit dem Finger pauschal auf die Linken. Nun, die Hellsten waren sie noch nie. Mit den Innovationen und progressiven Ideen, die in allen Bereichen in den Anfängen des 20. Jahrhunderts von Berlin ausgingen, hatten sie wenig zu tun. Während die Arbeiter bei Siemens, Osram, Krupp usw. die anstehende Mobilmachung des Kapitals zu einem zweiten großen Krieg bereits rochen, klatschte das Bürgertum den Nationalsozialisten noch Beifall. Egal, bei der Diskussion zum Mauerbau wird gern ausgeblendet, dass es in diesen Tagen zu einer Zäsur bei den Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten und anderen Strömungen kam. Viele alt gediente Kommunisten drehten der Partei den Rücken zu und arrangierten sich schweren Herzens mit der SPD. Die SPD, welche sich in Weimar mit dem Bürgertum arrangierte und die Arbeiter zusammenschießen ließ. Sie favorisierte eine Light – Version des Kapitalismus. Das Kapital und das Bürgertum darf oben bleiben, wenn die unten genug zum Leben bekommen und bessere Arbeitsbedingungen erhalten. In Ost – Berlin übernahmen die alten Gefolgsleute der Bolschewiki, von Lenin und seinem blutrünstigen paranoiden Gefolgsmann Stalin. Die Truppe, welche weltweit alle anderen Strömungen bekämpften. Auch das war die Mauer: der Kampf gegen diejenigen, welche sich gegen Stalin und seine Diktatur stellten. Am 17. Juni 1953 rebellierten die Arbeiter nicht gegen das Bürgertum oder das Kapital, sondern gegen Ulbricht und seine Bande.

Soweit eine arg verkürzte Geschichte von Berlin. Hinzufügen gäbe es noch die Entwicklung Berlins aus den 90ern, eine Epoche die vom Begriff “Berliner Sumpf” geprägt wurde und in dem Gerichtsurteil mündete, demnach man ungestraft Teile des damaligen Senats als “Kriminelle Vereinigung” bezeichnen darf. Den Todesstoß versetzte ausgerechnet die SPD, die an allem sparte, wo nur gespart werden konnte. Doch nicht nur dies, es wurde zusätzlich das sprichwörtliche Tafelsilber verscherbelt. Neue Heimat, Berliner Stadtreinigung, Wasserbetriebe, Wasserstadt Spandau, falsche Auf – und Abwertungen von Immobilien, kriminelle Geschäfte mit Immobilienmaklern, Vetternwirtschaft, die Liste ist zu lang, um sie vollständig zu nennen.
Wer mehr darüber wissen will, dem empfehle ich das Buch “Warten auf die Sintflut. Über Cliquenwirtschaft, Selbstbedienung und die wuchernden Schulden der Öffentlichen Hand – unter besonderer Berücksichtigung unserer Hauptstadt – Mathew D. Rose.”

Am Beispiel Berlins diagnostiziert der Journalist Rose eine Krise der deutschen Demokratie, ausgelöst durch Inkompetenz und Korruption innerhalb der politischen Klasse. Während das Parlament (in Bund und Ländern) eher einem Wartesaal karrierehungriger Parteiangestellter und weniger einem Forum seriöser Debatte gleiche, habe sich die politische Klasse mit der Wirtschaftselite zum Nachteil von Staat und Gesellschaft verbündet. „Nirgendwo ist dieser Prozeß so sichtbar wie in Berlin“ (9), schreibt Rose. Das Ergebnis sei eine völlig verschuldete Stadt. Zu erklären sei dies keineswegs allein mit den Folgen der Wiedervereinigung, wie es von den Berliner Politikern immer wieder zu hören sei. Diese hätten sich schlicht nicht um die Finanzen ihrer Stadt gekümmert in der Hoffnung, der Bund werde es schon richten. Verschärft worden sei die Situation durch sehr kostspielige Projekte, Geschäfte und Postenschiebereien der Politiker vor allem von CDU und SPD, für die am Ende der Steuerzahler aufkommen müsse.

https://www.pw-portal.de/rezension/22333-warten-auf-die-sintflut_25475

Frau Giffey, bis vor kurzem noch sehr bürgerlich Doktorin, behauptet von sich im “Osten” groß geworden zu sein und deshalb zu wissen, was eine Enteignung ist. Dabei ist erst einmal recht nüchtern festzustellen, dass sie beim Fall der Mauer 11 Jahre war und im Brandenburger Nest Briesen mit 2881 Einwohnern 1997 ihr Abitur machte und dann die politische Ochsentour startete. Für mich klingt dies nicht nach einer Frau, die die Geschichte und das Leben in der DDR erlebte, sondern wohl mehr vom Hören – Sagen kennt. Dieser Umstand an sich gereicht nicht zur Kritik, dies passiert erst, wenn man auf dicke Hose macht und sich damit schmückt.

Es sei den Berliner Konservativen aus der CDU/FDP verziehen, wenn sie die für ihr Klientel ergaunerten Vorteile mit einem Kampfbegriff wie “Enteignung” verteidigen. Tatsächlich, und das wissen die auch, ist das Wort “Vergesellschaftung” ausnahmsweise mal kein Euphemismus, sondern trifft den Kern. Damit ist der Vorgang noch nicht zwingend erfolgreich und richtig, aber immerhin zu diskutieren. Selbstverständlich geht es um einen alten ideologischen Streit. Überlasse ich die Gestaltung der Stadt dem “Freien Markt” oder greife ich regulierend, stellvertretend für jeden einzelnen Bürger ins Geschehen ein. Klar ist auch, dass man in einer Metropole an einige unangenehmen Effekten schwer vorbeikommt. Nach dem Krieg mussten sich die Stadtplaner etwas einfallen lassen um die Weddinger Arbeiterfamilien aus den Elendskasernen herauszubekommen. Sie ließen die Hochhaussiedlungen am Stadtrand erbauen. Und bei allen sozialen Problemen, die dort heute herrschen, sind die lange nicht mit dem zu vergleichen, was auf dem alten Wedding los war. Doch was passiert heute? Wenn es nach den Konservativen geht, würden sie gern alle sozialen Probleme an den Stadtrand verschieben. Aus dem Blick, aus dem Sinn. Flüchtlingsheime findet man in Berlin nicht am Zeltinger Platz, Mexiko Platz, am Wannsee oder in Köpenick. Obdachlose, Trinkermilieu, Drogen Szene, soll sich gefälligst am Stadtrand herumtreiben und nicht dem Bürgertum den Spiegel vor die Nase halten, zumal Investoren abgeschreckt werden könnten. Nebenbei auch nichts Neues. Der Humboldthain am Gesundbrunnen war einst ein schicker Tierpark und Flaniermeile am Rand des “Roten Wedding”. Die Empörung der Bürger ließ nicht lange auf sich warten, als die Tagelöhner den Park für sich entdeckten. Witzigerweise hielt eines Tages im nahegelegenen Bahnhof ein Sonderzug mit einem speziellen Fahrgast, der lange Zeit in Berlin lebte, auf dem Weg nach Russland: Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin.

Natürlich schwingt bei allem ein wenig der ideologische Streit über das Ausmaß von Gerechtigkeit, Aufbau der Gesellschaft und der ganze Kram mit. Wie kann an dieser Stelle eine Spitzenkandidatin der einzigen Partei, die noch ein halbwegs nennenswertes Gegengewicht darstellt, in einem Interview mehrfach die Ideologie weit von sich weisen? Was soll das? Was wird aus einer Partei ohne eine ideologische Meta – Ebene? Eine Firma, ein Unternehmen, eine Agentur, etwas was sich ins wirtschaftliche Netzwerk einpasst und auf Profit ausgerichtet ist. Mit mehr oder weniger offen auftretenden Sponsoren, Nutznießern, Profiteuren. Wieder eine alte Nummer, an der die alte SPD beteiligt war. Dieser Kuschelkurs führte in den 20ern zur Spaltung der linken Strömungen. Liebknecht, Thälmann, Luxemburg, machten dabei nicht mit.

Wie kann es passieren, dass die Parteispitze einen Kampfbegriff der Konservativen “Enteignung” aufgreift und gegen Teile der Genossen/innen verwendet? Was geht in der Führungsriege einer “linken” Partei vor, wenn sie die Spitzenkandidatin über die Leute referieren lässt, die “etwas Eigenes haben wollen” und man doch für die Politik machen müsse. Wen meint sie? Die Bewohner der Wasserstadt, die neu entstehenden Brennpunkte in Siemensstadt, Spektefeld, Rudolf – Wissel – Siedlung, Märkisches Viertel, Thermometer – Siedlung, Badstraße, Brunnenstraße, Pankstraße, die Platte, Hellersdorf, Marzahn, teilweise im bundesweiten Vergleich mittlere Städte. Ich denke nicht, dass die mal eben 300.000 EUR für eine Eigentumswohnung locker machen.

Gut, ich mag links sein, aber ich habe auch meine Feindbilder im sog. Linksspektrum. Die DDR und die russische KPD sind meines Erachtens ein Verrat an Millionen Toten, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpften. Es dauerte gar nicht lange, bis ich nach 1989 skeptisch wurde. Die Brüder und Schwestern hatten teilweise bemerkenswerte Denkmuster. Ein System, innerhalb dessen das Anschwärzen des Nachbarn Vorteile verschaffte, Opportunismus die einzige Option für einen Aufstieg war, die Geschichte der Arbeiter und Industrialisierung propagandistisch entstellt wurde, hatte wenigstens die meiner Generation sozialisiert. In dem Fall ein spannendes Wortspiel. Und dann setzt man mir eine Kandidatin vor, die von den tollen jahrelangen Leistungen der ehemals in der DDR ausgebildeten Lehrer/innen spricht. Einzelne Leistungen will ich niemanden in Abrede stellen. Dennoch habe ich es mit Leuten zu tun, die dem alten System offensichtlich treu ergeben waren und brav die Direktiven der DDR – Führungsclique in den Unterricht transportierten. Ich habe da ganz eigene Erfahrungen mit Lehrern/innen meiner eigenen Kinder machen müssen. Meine Nackenhaare stellen sich heute noch hoch, wenn ich an eine Begrüßung mit “Muttis und Vatis” an einer Oberschule denke.

Passend zum Zeitgeist

In der Politik ist es wichtig, den unteren Unmut so weit wie möglich zu sedieren. Dies erkannten die konservativen SPD Mitglieder, die in der Parteigeschichte nahezu immer die Oberhand hatten, schon sehr früh. Die vielfach bemühte Schere darf nicht zu weit auseinandergehen und wenn doch, darf es niemand merken. Gleichzeitig ist es notwendig die Mehrheit der Habenichtse unter Kontrolle zu behalten. Wenn die anfangen zu revoltieren, kommt man schnell selbst unter die Räder und verliert den eigenen schönen Lebensstandard. Ein Wehner, der aus seinem Dienstbungalow den Fernseher mit den Worten “Dafür werde ich vom Deutschen Volk” nicht bezahlt, ist Geschichte. An der Stelle muss ich Frau Giffey vermutlich zustimmen. Es geht nicht mehr um Ideologie. Partei ist spätestens im Senat eine Frage der persönlichen Karriere, des Einflusses und der Macht.

Mir tut dabei immer die Basis leid. Da sitzen die kernigen Charaktere, die etwas bewegen wollen. Vielen sieht man an, wo sie herkommen und für wen sie einstehen.

Ich habe den Abend nicht vergessen, als einer von der Basis das Buch des Vorsitzenden Raed Saleh hochhielt und zum Titel “ICH” bemerkte: “Mehr hat auf das Cover nicht mehr gepasst! Mehr muss ich nicht sagen.”
Durch die Bank weg ist es im Berliner Senat beliebig geworden und die Wahl wird daran nichts ändern. Doch in einer stellvertretenden Parteiendemokratie bleiben wenige legitime Alternativen. Um so empörender, wenn der angesprochenen Basis die Stimme genommen wird. Den Leuten in den Quartiersmanagements, denen an der Tafel, in den Siedlungen, sozialen Brennpunkten. Warum sollten die noch die SPD wählen? Eine Partei, die ohnehin nur verspricht, dass sie für ausreichend herunterfallendes Brot von der Tafel des Schlossherrn sorgt, wenn ich doch gleich die Dienerschaft unterstützen kann, welche unmittelbar einflüstern.


Ausgebildet zum Beobachten, Ermitteln, Zusammenfügen

In einem Gedankenaustausch meinte kürzlich jemand zu mir, dass eine linksorientierte Haltung kombiniert mit Ex – Kriminalpolizei ungewöhnlich wäre. Dies ist eine dieser aus der Luft geholten Erzählungen der Leute, die sich mit einem Weißwein in der Hand oder inmitten von mit linker Deko plakatierten Wänden furchtbar intellektuell über die Welt austauschen. Wo kann man besser die Schere zwischen Arm und Reich kennenlernen? Wer sieht die Schwächsten im sozialen Elend leiden? Wann lernt man ehesten den rasanten Abstieg in einer Gesellschaft kennen? Welche Leute sehen die politische Elite, wenn die Öffentlichkeit längst weg ist? Was verschafft Einblick in alle Ebenen einer Gesellschaft? Hat jeden Tag übergreifend mit allen erdenklichen Charakteren zu tun? Wer kennt den Ausdruck in den Augen der Machtinhaber, der unausgesprochen sagt: “Du Wurm kannst mir gar nichts! Komm mir jetzt nicht mit der Herrschaft des Volkes und diesem ganzen Quatsch.” Habenichtse trifft man nicht in Bars, Clubs oder Galerien, sondern dort, wo ständig eine Streife vor der Tür steht.

Die Kripo wird häufig als Mittel der Macht gesehen. Unterschätzt wird dabei die Situation des Beobachters. Ich denke, die Mehrheit aller Polizisten wird mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass man die Fäulnis von etwas was mächtig in die falsche Richtung gehende riechen kann. Aber Riechen ist in diesem Falle der von Blinden abgetastete Elefant, bei dem mir jeder eine andere Beschreibung geben wird und woran erkannt wurde, dass es einer ist. Wer im Job steckt, darf sich nur sehr beschränkt die Frage stellen, warum etwas passiert, stattdessen sich mit Verhindern, Bekämpfen und Sühne beschäftigen. Wer zu häufig nach dem Grund für alles fragt, landet beim Psychiater. Die Lösungsvorschläge beziehen sich stets auf ein sehr beschränktes Feld. Ein OK – Ermittler im Wirtschaftsbereich stellt Forderungen in Sachen Geldwäsche und Steuerstraftaten, eine aus dem Bereich Raub, stürzt sich auf die Clans und die Fachleute für Osteuropa schauen auf den Menschenhandel.

Wer raus ist, hat die Muße darüber nachzudenken, was das für ein gesamtes Bild ergibt und wie es entstanden ist. Wie passen all die einzelnen Puzzle – Steine zusammen? Gibt es Muster? Festgelegte Spiele mit Regeln, Teilnehmern und Zielen? Selbstverständlich ist mit rüderer Vorgehensweise, mehr Repression, einer starken Führung, umfangreicherer Überwachung viel beizukommen. Aber ist es nicht die Behandlung der Beulenpest mit immer stärkeren Salben gegen die Beulen, statt sich mal den Virus näher anzusehen?
Durch Corona haben wir uns alle ein wenig mit Viruserkrankungen beschäftigt. Man weiß, dass es Leute gibt, die zwar infiziert sind, aber keine Symptome zeigen. Und wir haben gelernt, dass sich dies auch ändern kann. Ganz besonders gefällt mir der Umstand der möglichen Infizierung eines Geimpften, allerdings mit einem lindem Verlauf der Krankheit.

Ich übertrage dies Mal auf mein Thema. Wenn es sich beim Virus um irgendetwas mit Macht, Gier, Kapital, handeln würde, könnte es durchaus infizierte Personen geben, die noch keine schlimmen Anzeichen haben. Doch ein wenig sieht man es ihnen als geübter Beobachter doch an. Vor allem, wenn man genug mit voll ausgebrochener Krankheit kennt. Einstmals von “unten” zu kommen ist dabei absolut keine Impfung, sondern oft eher eine Prädisposition. Wer sich aus der Ohnmacht nach oben gestrampelt hat, lernte in dieser Zeit die Zugeständnisse der Macht an ihre Diener zu genießen. Und Strampeln funktioniert bekanntlich nur mit den Füßen nach unten. Ich habe die Arroganz derjenigen, welche per Geburt in anderen Ligen spielten, immer zu schätzen gewusst. Da weiß man wenigstens woran man ist und kann sich einstellen.

Summa summarum halte ich bei Polizisten, wenn sie etwas länger dabei sind und irgendwann ein wenig Abstand zum Unmittelbaren haben, eine sogenannte linke Position gar nicht für ungewöhnlich. Dieses theoretische Hintergrundrauschen, was sich in etwas skurrilen Diskussionen, entfleucht aus soziologischen Laboren, muss man hinnehmen. Die Diskussionen können sie gern mal mit Mitgliedern einer spanischen Kooperative führen, die versuchen neue Wege zu gehen. Aber ich hätte gern eine Aufzeichnung davon. Was ich meine ist das unmittelbare Leben, von dem viele in Berlin mehr als genug haben.

Die haben von denen, die ihnen eine Stimme im Senat versprechen und sich dafür von einer Partei aufstellen ließen, die angeblich für sie steht, etwas anderes verdient. Über eine SPD Führung die ein Plebiszit von unten vorn herein ohne mit der Wimper zu zucken einfach mal abtut und sich an den Kampfbegriffen des Kapitals orientiert, muss ich erstmal hinwegkommen. Das ist in einem Superwahljahr, in dem gleichzeitig die Weichen im Bundestag gestellt werden, eine harte Nummer.

Die bösen Anarchisten

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Anarchie ist der Wunsch nach Herrschaftslosigkeit und auch der Wunsch, selber nicht zu herrschen.

Heinrich Böll

Anarchist steht in der populären Auseinandersetzung für Gewalt, Chaos, Kontrollverlust. Anarchisten sind quasi das personalisierte Böse. Dies war nicht immer so. Auf die anarchistischen Bewegungen (Individualisten, Anarcho – Syndikalisten, Plattformisten, christliche Anarchisten, Anarcho – Primitivisten, Libertäre, Linkslibertäre) gehen die Erfindung des Generalstreiks, die Errichtung von Volkshäusern, Volkstheatern, Selbsthilfeeinrichtungen von Arbeitern, Revolutionen und der Kampf gegen die unmenschliche Ausbeutung der Arbeiter während der Industrialisierung hervor. Der weltweite Blutzoll, ob nun in den USA, Südamerika (z.B. Revolution in Mexiko, Kampf gegen die Fruit Company), im Spanischen Bürgerkrieg, im Widerstand gegen die Faschisten, Stalinisten, Bolschewiki, u.v.m., war hoch. Große Persönlichkeiten gehören zur Bewegung. Camus, Chomsky, Bakunin, Mühsam, Dario Fo, Ginsberg, Emma Goldman, Proudhon, Stirner, B. Traven, Tolstoi, Oscar Wilde, um nur eine kleine Auswahl zu nehmen. Dichter, Denker, Revolutionäre, Philosophen, Autoren, Feministinnen, Aktivisten/innen.
Ich selbst hab es nur zu einem angeblichen Behörden – Anarchisten gebracht, weil mir ein Kriminaldirektor mangelndes Vertrauen in Vorgesetzte vorwarf, die von oben her mehr Überblick haben. Ich antwortete, dass dies die berühmte Geschichte mit dem Tellerrand wäre, manch einer aber soweit über den Tisch schwebt, dass ohne Fernglas der Teller nicht zu sehen ist und dann immer noch mit Mühe. Prompt bezeichnete er mich als gefährlich und subversiv. Ich halte dies für ein Lob.

Allerdings sehen sich auch immer wieder Leute als Anarchisten, die sich nicht an die weisen Worte des Friedensnobelpreisträgers Heinrich Böll halten. Sie wollen mittels Revolution die Herrschaftsverhältnisse austauschen. Ein Umstand der direkt in einen alten Streit mündet. Zum Beispiel werfen Marxisten, was auch immer man darunter verstehen mag, den Anarchisten vor, keinen Weg oder Plan für die Überwindung der bestehenden Verhältnisse zu haben. Für mich hat hierzu Saul D. Alinsky * immer noch die beste Antwort. Ihm nach ist es nur machbar, wenn man die breite Masse hinter sich bekommt und wenn schon nicht überall, dann doch wenigstens in regionalen Kommunen. Gewaltsame Revolutionen, insbesondere wenn sie nicht von großen Mehrheiten getragen werden, legitimieren letztlich Konterrevolutionäre zu gleichen Mitteln zu greifen. Und Steine werfende Straßenkämpfer verschrecken das Bürgertum wie eine Schafherde, sodass es in Richtung derer rennt, die Dienen und Herrschen für die einzig probate Lösung halten.


/*Bei irgendjemanden habe ich mal gelesen, dass er keinen gesellschaftskritischen Text für lesenswert hält, wenn nicht mindestens einmal Alinsky erwähnt wird. Hiermit habe ich den Soll erfüllt.


Alle Anarchisten sind vereint im Misstrauen gegenüber Herrschaft, Macht, Autorität, Hierarchie, Kapitalismus. Dies brachte und bringt ihnen keine Freunde, sondern oftmals Todfeinde ein. Endlos lang ist die Liste der Hingerichteten, in Gefängnissen gestorbenen, Gefolterten, bei Straßenkämpfen und Krieg von der Polizei, Faschisten, Stalinisten, Bolschewiken, Schlägertrupps von Konzernen, Milizen, erschossenen oder zu Tode geprügelten.

Das Schubladenmodell der Konservativen

Es ist mehr als absurd, wenn Anarchisten/innen egal welcher Ausrichtung mit Personen wie Lenin, Trotzky, Stalin, Ulbricht, Honecker in Verbindung gebracht werden, weil sie immer in unmittelbarer Feindschaft zueinander standen. Nicht einmal Marxisten und Anarchisten finden zueinander. Wobei bei Marx immer noch anzumerken ist, dass er sich noch zu Lebzeiten die Frage stellte, was denn ein Marxist sein soll. Während die einen lediglich die eine Herrschaft gegen die andere Herrschaft austauschen wollen, warnten Anarchisten immer davor, dass die erhaltene Macht der Herrschaft selbst aus dem engagiertesten Revolutionär einen Despoten werden lässt. Als die Sowjets zur Schau den russischen Anarchisten Kropotkin beerdigten, ließen sie ausschließlich für die Teilnahme tausende Anarchisten frei, die danach wieder ins Gefängnis mussten. Wieder einmal zeigt sich die wahre Funktion des Labels links für alles, was sich jenseits von rechts befindet. Aus der Sicht eines Anarchisten ist es eine zur Verteidigung der Herrschaft benutzte Vereinfachung. Wie formulierte es Hitler?

Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen auf die Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll.

Adolf Hitler

Seit einigen Jahren sind die Konservativen, angeführt von der CDU/CSU, FDP, wieder dazu übergegangen wieder die Erzählung vom linken Schreckgespenst zu bemühen. Dabei ist links einfach alles, was ihre ureigenste Überzeugung, nämlich die Notwendigkeit einer festen gesellschaftlichen Hierarchie, die Herrschafts – und Machtverhältnisse sichert, gefährdet. Menschen werden bei ihnen niemals von der Idee her gleichberechtigt sein. Das Individuum muss sich bei ihnen die Rechte, die Anerkennung, das Gewicht der Stimme erarbeiten. Paradoxerweise sind sie dabei gar nicht so weit von denen entfernt, die sich einst selbst zu “realen Sozialisten” oder “Mehrheitler/russ. Bolschewiki, einer straff hierarchisch organisierten Kaderpartei, erklärten. Nun ja, in Moskau kann man bereits seit 30 Jahren in mehreren McDonalds – Filialen einen Burger bestellen. Gleichsam ist es auch die Erzählung aus den Anfängen der alten Demokratien, in der Reiche mehr Einfluss haben sollen, denn die Armen. (z.B. in der Verfassung der USA über die Ausgestaltung des Kongresses). Um all dieses herum ist eine feine und sehr wirksame Rhetorik gesponnen. Weist jemand in Deutschland auf wirtschaftliche Missverhältnisse bei der Verteilung hin, wird das Wort “Neid” eingebracht. Neid ist negativ behaftet und soll zum Stillschweigen verdammen. Dabei geht es nicht um einen destruktiven Neid, sondern um einen tief im Menschen verankerten Gerechtigkeitssinn, den er mit allen Primaten gemeinsam hat.

Immer mal wieder kommt das Menschenbild zum Vorschein, in dem lediglich Anreize, die sich aus Unterschieden und Konkurrenz ergeben, den Menschen zum Handeln antreiben. Ein sehr armseliges und die eigene Spezies diskriminierendes Bild. Siedler, Sippen und viele andere Lebensmodelle haben das Streben nach einem gemeinsamen Handeln und Gestalten bewiesen. Erst wenn eine erhebliche Distanz zwischen Produktivität, dem Erzeugnis und vor allem den gewonnenen Nutzen, der heutzutage oftmals gänzlich ausbleibt, wird es schwierig. Allerdings muss manchen zugestanden werden, dass sie es niemals anders kennenlernten. Sie kennen Anerkennung, Identität, gegenseitige Hilfe, Zuneigung, Zufriedenheit ausschließlich als käufliche oder verkäufliche Produkte. Aber nur, weil sie es nicht kennen, ist damit nicht bewiesen, dass es nicht auch anders geht bzw. das von ihnen erlernte, eine Perversion des Lebens ist. Dennoch sind ihre Panikattacken verständlich, da sie aus ihrer Sicht glauben, alles zu verlieren.

Egal, welche der gängigen Gesellschaftssysteme betrachtet werden, immer geht es um Hierarchien mit Über – und Unterordnungsverhältnissen. Und diejenigen welche die Macht innehaben, werden alles dran setzen, diese zu behalten. Im Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes steht geschrieben: “Alle Macht geht vom Volke aus!”. Wenn per Definition Volk die Gemeinschaft aller Personen auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik sind, klingt dies beinahe ein wenig nach Anarchie. Allerdings ist alles in ein System eingebettet innerhalb dessen wie auch immer erlangtes Geld zu Macht und Einfluss führt, was wiederum auf die Politik einwirkt und somit Herrschaftsverhältnisse herstellt.

Für mich ist das Reizvolle an anarchistischen Modellen die weit verbreitete Unfähigkeit jenseits von Hierarchien zu denken, so als ob feste Über – und Unterordnungsverhältnisse mit ungleicher Verteilung der aus einer Gemeinschaft hervorgegangenen Produkte ein feststehendes Naturgesetz wäre. Dabei gab und gibt es immer mal wieder funktionierende anarchistische Gemeinschaften. Allerdings auch welche, die scheiterten oder niemals über einen längeren Zeitraum eine Chance bekamen, weil sie von wütenden reaktionären Kräften zusammengeschossen wurden (siehe u.a. Pariser Commune, Münchner Räterepublik, Spanien in der Zeit vor und während des Bürgerkriegs)

Über andere Herrschen zu wollen, zu bestimmen, mehr zu besitzen, mehr zu verdienen, sind bewusste Entscheidungen, ebenso wie das Gegenteil. Gleiches gilt für die Unterordnung und dem Streben, ein System aufrechtzuerhalten, welches die Personen welche sich für Macht – und Herrschaftswillen favorisiert.

Ich unterscheide zwischen Führung, Leitung und Herrschen bzw. Macht. Führen bedeutet für mich andere Menschen zum Erfolg zu führen oder Wissen, Fähigkeiten, mehrerer Personen zu koordinieren. Dafür bedarf es keiner Machtmittel, einer höheren Stellung oder eines Mehrverdienstes, sondern eine natürliche menschliche Autorität und Kompetenz für das jeweilige Aufgabengebiet. Dafür bedarf es natürlich ein passendes Umfelds, einer geeigneten Kultur im Umgang miteinander. Hierbei ist es fraglich, ob Menschen hierzu sozialisiert werden müssen oder vielmehr ein Unterlassen der Austreibung eines angeborenen Sozial – und Konfliktlösungsverhaltens gefordert ist. Basierend auf der Behauptung, dass Menschen nicht anders können und ohne alles zum Stillstand käme, konzentrieren wir uns bisher auf Konkurrenz zueinander, Leistung, Kampf, Aufstieg und Status. Wirtschaft ist längst nicht mehr das Streben nach einem Auskommen und Sicherung des zum Leben Notwendigen, sondern alles ist auf einen Wettbewerb ausgerichtet. Noch einmal: Dies sind die Ergebnisse von Denkmodellen, in denen viel aus alten Zeiten eine Rolle spielt. Sei es die christliche – protestantische Forderung nach einem arbeitsamen gottgefälligen Menschen, ein längst überholter Sozial – Darwinismus oder wilde Theorien über die Leistungsfähigkeiten von Völkern und Rassen. Selbst die alten römischen und griechischen Philosophen, jedenfalls die, welche sich die Herrschenden der Neuzeit herausgriffen, sind dabei. Es ist auffällig, dass die meisten Satiriker, die Missstände der antiken Gesellschaften anprangerten, lediglich verkürzt und entstellt ins 19. Jahrhundert und folgend übernommen wurden. Mein Paradebeispiel ist hierfür immer Horaz mit “Carpe diem”, korrekt übersetzt “Pflücke den Tag” und damit stark hedonistisch geprägt, während es eben nicht “Nutze den Tag”, im Sinne der Volksweise “Was Du heute kannst besorgen, verschiebe nicht auf Morgen” bedeutet. Leuten, die seine Texte nicht kennen, empfehle ich in diesem Zusammenhang die Ausführungen des Römers Seneca über die Lebenszeit und wie sie bereits im alten Rom verschwendet wurde. Was er vor zweitausend Jahren beschrieb, ist erschreckend aktuell.

Selbstverständlich ist die Anarchie, mit all ihren unterschiedlichen Konstruktionen eine Utopie im klassischen Sinne. Also eine positive Annahme, wo es hingehen könnte. Nicht in einem modernen Verständnis von etwas Guten, aber nicht erreichbaren. Ich sehe die Geschichte als einen Entwicklungsprozess bei dem die Menschen dank eines Großhirns und der Möglichkeit zu überliefern bzw. zurückzuschauen von vorhergehenden Fehlentwicklungen lernen können. Dabei ist zu berücksichtigen, was als eine Fehlentwicklung betrachtet wird.
Manch einer schaut auf das Geschehen und kommt zum Ergebnis, dass es heute mehr Menschen gut geht, als noch vor 100 Jahren. Gut, und wie vielen geht es trotz eines größeren Wissens immer noch schlecht, leben quasi als Sklaven, verhungern, verdursten und sterben in Kriegen? Inwieweit ist das Aktuelle eine Momentaufnahme und welche Folgen sind realistisch bei der eingeschlagenen Richtung zu erwarten? (‘Aktuell leben auf der Erde 854 Millionen Unterernährte, denen 789 Millionen Fettleibige gegenüber stehen; interessanterweise hat die gleiche Zahl keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser. Quelle: https://www.worldometers.info/de/, laut Schätzungen leben ca. 40 Mio. Menschen in Sklavenartigen Lebensverhältnissen, Quelle: https://www.globalcitizen.org/de/content/these-5-countries-58-worlds-slaves/; im reichen Deutschland lebt laut Bertelsmann – Stiftung, jedes 5. Kind unter 18 Jahren in Armutsverhältnissen, insgesamt waren 2018 18,7 % der deutschen Bevölkerung von relativer Armut im Vergleich zu anderen Einkommen betroffen, gem. des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen 10 % der reichsten Deutschen 56 % des Gesamtvermögens, welches etwa bei 15 Billionen US – Dollar liegt (4. Platz in der Weltwirtschaft/ Zahlen 2019)

Ist es nicht unlogisch etwas für die Zukunft zu favorisieren, was mehrere Kriege, Elend, Verderben und einen Zustand des Planeten hervorgebracht hat, der eher beklagenswert ist, denn einen glücklich stimmen kann? Entbehrt es nicht einer gewissen Logik, etwas anzustreben, was Gerechtigkeit, friedliches und bewusstes Zusammenleben beinhaltet? Wer die herrschenden und auch die vorhergehenden Verhältnisse in der Sowjetunion, später Russland, China oder wegen meiner auch in der DDR für Kommunismus oder Sozialismus im Sinne des alten theoretischen Unterbaus und dahinterliegenden Ideen hält, ist ein Narr. Diktatur und Staatskapitalismus trifft es schon eher. Auf jeden Fall durch und durch organisierte Hierarchien mit allen negativen Begleiterscheinungen.

Wie man seinen Friseur nicht fragen sollte, ob man einen neuen Haarschnitt benötigt, ist es wenig ratsam, jemanden der aus einer Hierarchie Nutzen zieht, nach der Notwendigkeit ihrer Existenz zu fragen. Im aktuellen Wahlkampf erleben wir, wie Analysten stets davon sprechen, was die jeweiligen Kandidaten/innen tun müssen, um die Wahl zu gewinnen. Mir kommt es vor, als wenn Verkäufer gegenseitig beim Verkauf eines Produkts miteinander konkurrieren und der Gewinner hat am Ende glücklich gegen einen Verdienst sein Erzeugnis unter die Leute gebracht. Rein theoretisch könnte man erwarten, dass sich erwachsene Stellvertreter eine Aufgabenstellung ansehen, sich auf ein Ziel einigen und über die Wege zur Erfüllung diskutieren. Wohlgemerkt bedeutet diskutieren Argumente auszutauschen, sie gemeinsam zu bewerten und daraus zusammen eine Strategie zu entwickeln. Eben jene Vorgehensweise ist eine der Grundlagen jedes anarchistischen Modells. Hingegen meint eine Debatte, sich und seine Überzeugungen mit der Hoffnung auf den Zustrom möglichst vieler Anhänger darzustellen. Wenn in Deutschland das Wort Minderheitenregierung fällt, stehen regelmäßig alle Alarmlichter auf dem Status “Panik”.

Was wäre die Folge? Nun, die Minderheit müsste Überzeugungsarbeit leisten und die restlichen Parlamentarier dürften nicht wie bockige Kinder auf Standpunkten verharren. Ein alter Grundsatz besagt, dass man schon aus der Bedeutung des Wortes heraus nicht über Standpunkte diskutieren kann, sondern wie bereits erwähnt nur über die Vorgehensweise beim geplanten Erreichen eines Ziels. Im bestehenden System kommt kein Politiker daran vorbei, sich mit den Interessen derjenigen auseinanderzusetzen, die Profite einfahren und damit Vermögen begründen. Damit einher geht die Ansicht, dass nur diese Leute Arbeitsplätze und damit verbundenen Wohlstand schaffen können. Die Rechnung geht regelmäßig nicht auf. Konkurrenz und Wettbewerb erfordern die Reduzierung der Produktionskosten. Um dies zu verstehen, muss man nicht Volkswirtschaftslehre studiert haben. Die Fortschreitende Technisierung und Digitalisierung lässt physisch anwesende Arbeiter und Angestellte immer unrentabler.

Selbst das Argument, dass die Digitalisierung neue Arbeitsplätze erzeugt, zieht auf Dauer nicht, weil auch dieser Bedarf irgendwann gesättigt ist und vor allem ein internationales Ausweichen einfacher macht. Irgendwann ergibt sich daraus ein Dilemma, weil der Konsum im Binnenmarkt zurückgeht und auf Dauer, die anderen sich auch nicht den grenzenlosen Export gefallen lassen, der wiederum sie schädigt. Bei alledem ist noch nicht berücksichtigt, welche Folgen dies alles sonst noch nach sich zieht. So wie die Industrialisierung ihre Ressourcen und Rohstoffe forderte, tut dieses die Digitalisierung und die Umstellung der Energieerzeugung ebenfalls. Edelmetalle, Lithium, seltene Erden, übersteigen demnächst den Hunger nach Öl. Hinsichtlich des Zustands der Erde ein Fall vom Regen in die Traufe. Auch wenn sich alle den Prozess gegenseitig schön rechnen, in dem sie z.B. den Wasserverbrauch für ein Kilogramm Rindfleisch bei 15.500 Liter Wasser ansetzen, während eine langlebige Autobatterie bei ca. 80.000 Liter liegt. Ich würde mal als Laie behaupten, dass alles zusammen ein Gesamtproblem ergibt. Wieder einmal ein Prozess, der von den Profiteuren und nicht von den in der Hierarchie unten stehenden Betroffenen gesteuert werden wird. Egal, es soll mir nicht darum gehen, welche Folgen was haben wird, sondern darum, wer am ehesten von Vernunft und Verstand gesteuert an die Themen herangeht.

In Anbetracht des Umstands, dass in den vergangenen hundert Jahren zuverlässig militärische, boykottierende oder polizeiliche Interventionen stattfanden, wenn die Betroffenen ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen, scheinen deren Interessen nachrangig zu sein.

Man muss dabei gar nicht so weit in ferne Länder schauen. Die jüngere deutsche Geschichte bietet auch Beispiele. 1985 wurde seitens der CSU und der Deutschen Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK) nach vorhergehenden 10 Fehlversuchen beschlossen, in der Oberpfalz/Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage zu errichten. Nach anfänglicher positiver Resonanz stolperten die Anwohner und Vertreter über ein Detail im Bauplan: Einen 200 Meter hohen Schornstein. Ihnen wurde erläutert, dass der für die breitflächige Verteilung der entstehenden giftigen und strahlenden Abbauprodukte da wäre. Damit hatte sich die Nummer für die Anwohner erledigt und die Geschichte nahm ihren Lauf. Der Bau sollte gegen den Protest der Bürger vorgenommen werden. Menschen, die sich niemals hätten vorstellen können, einmal mit der “Obrigkeit” in Konflikt zu geraten, standen mit einem Mal im Tränengasnebel den Hundertschaften der Polizei gegenüber. Der damalige bayrische Innenminister Karl Hillermeier meinte dazu recht unbekümmert, dass rechtzeitig gewarnt wurde und man sich dort eben nicht aufzuhalten habe. 1989 endete für die Oberpfälzer der Kampf und das Problem wurde nach Frankreich/La Hague verlegt, wo man jahrelang radioaktive Rückstände ins Meer leitete und irgendwann einen signifikanten Anstieg der Leukämie – Fälle feststellte. Der Landrat Hans Schuierer sagte später: “Wackersdorf ist ein Muster- und Lehrbeispiel, was in einem Demokratie- und Rechtsstaat nicht passieren darf, aber es ist auch ein Musterbeispiel dafür, was in einer Demokratie möglich ist.” Ich kann da wenig Demokratie erkennen. Demokratisch wäre die Akzeptanz der Entscheidung von gewählten Volksvertretern in der bayrischen Landesregierung gewesen, so wie es Hillermeier forderte. Immerhin wurde über mehrere Jahre versucht mittels massiver Staatsgewalt die Entscheidung durchzudrücken. Vor diesem Hintergrund ersehe ich die Bekundungen einiger Politiker F – J. Strauss als leuchtendes Vorbild zu sehen sehr skeptisch. Jedenfalls bewerte ich den Widerstand in Wackersdorf durchaus als einen anarchistischen Prozess.

Ganz nebenbei gründete sich in dieser Zeit auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten, die bis vor zehn Jahren immer wieder Missstände aufzeigten. Ich denke, manch ein Polizist, der sich “wütend” über Ende Gelände, die Proteste um den Hambacher Forst, aufregt, sollte mal an einige Ereignisse in den 80ern denken und vor allem den nachfolgenden Verlauf berücksichtigen.

Wer als Politiker/in oder öffentlich wirksame Person, alles jenseits von rechts in eine große Kiste wirft und dämonisiert hat dafür in der Regel ihre/seine Gründe. Es ist die nackte Angst vor Machtverlust und die hat nach diversen psychologischen Studien hochgradige Folgen. Anarchie ist der größte anzunehmende Feind, was vieles rund ums Thema erklärt. Da nehmen sich alle, quer durch die gängigen politischen Weltbilder, nichts. Aber wie erwähnt, die Leute haben sich daran gewöhnt. Es wird für künftige Generationen schwierig werden eigenverantwortliche Mitstreiter zu finden, die gewillt sind mit viel Aufwand, Reden, Diskutieren, Überzeugungsarbeit, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Die an dem wenig Interesse haben, leisteten, so viel Respekt muss sein, jahrzehntelange erfolgreiche Arbeit.

Es bewahrheitet sich, was einige Philosophen, Autoren, Gesellschaftskritiker bereits in den ausgehenden 60ern kommen sahen. In der deutschen Politik wird den Wählern regelmäßig etwas versprochen, um mit einer Wählerstimme bezahlt zu werden. Wohlstand, Wachstum, Sicherheit, grenzenlose Freiheit, kurz um ein komplettes Sorglos – Paket. Parallel wurde seitens der Gesellschaft nahezu alles der staatlichen Verwaltung und Regulierung übergeben. Alles, was nicht irgendwo verboten ist, ist zulässig. Gewissen, Pflichten im Zusammenleben mit anderen, Eigenverantwortlichkeit, kommt dabei nicht vor. Zusätzlich ist alles zur Ware geworden. Seien es angeblich wichtige christliche Kulturgüter, Konfirmation, Ehe, Weihnachten, Ostern oder einfach Aufmerksamkeiten, Anerkennung menschlicher Größe, Ausdrücke von Sympathie.

Was dabei auf der Strecke blieb, ist der Mensch, welcher wirklich innere Freiheit fühlt und damit auch ein Gespür für die Freiheit anderer Lebewesen entwickelt, und sie genau aus diesem Grunde nicht beherrschen, benutzen, instrumentalisieren, will.

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Das irrationale System

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“Wir müssen zwischen Spiritualität im Allgemeinen, die darauf abzielt, uns zu besseren Menschen zu machen, und Religion unterscheiden. Die Annahme einer Religion bleibt optional, aber ein besserer Mensch zu werden ist wesentlich.”

Matthieu Ricard, Buddhistischer Mönch u. Molekularbiologe

Die Tatsache meiner Geburt, die Zeit und den Ort konnte ich mir wie alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten nicht aussuchen. Gleichsam ergab sich mit Zeit und Ort ohne mein Zutun vieles andere. Die medizinische Versorgung, die wirtschaftlichen Umstände und das System in dem ich künftig leben würde. All diese Voraussetzungen waren bereits da.

Genauso hätte es statt Deutschland oder der Kontinent Europa, Afrika werden können. Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, alles andere wäre auch möglich gewesen. Als Nachwuchs in einem indigenen Stamm, hätten mir meine Eltern beigebracht, wo und wie ich Nahrung finde, die Landschaft lese, mich orientiere und wie ich mit der Natur lebe, ohne zu sterben. Ich erinnere mich an einen Bericht des Survival – Experten Rüdiger Nehberg. Er schilderte, wie er mit einem Stamm im Dschungel unterwegs war und nicht mehr weiter konnte. Er kam sich ziemlich klein vor, weil ihm ein kleiner Junge den Weg zurück zum Dorf zeigen musste. Der konnte sich im Gegensatz zu ihm am Aussehen der Bäume orientieren.

In Deutschland müssen Eltern, Schule und Umgebung den Kindern andere Sachen beibringen. Teile davon nennen wir Sozialisation. Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Menschen miteinander leben und damit das funktioniert, ist dem Ganzen ein System hinterlegt. Zumindest sieht so die Theorie aus. Auf jeden Fall basiert dieses System auf niedergeschriebenen und informellen Regeln und Sanktionen, die von Menschen erdacht und aufgestellt wurden. Damit ist schon einmal etwas Wesentliches klar: Menschen haben diese Regeln erdacht! Im Idealfall würden sie auf rationalen, logischen, verständigen und von Urteilskraft geprägten Aspekten beruhen.

Jeder junge Mensch wird eines Tages die Worte zu hören bekommen: “Das ist so, finde Dich damit ab und hör auf ständig zu diskutieren!”

Wer diese Lektion beherzigt befindet sich auf der sicheren Seite. Anderenfalls wird es kompliziert. In diesem bei uns uns installierten System lautet eine der mächtigsten und gleichzeitig gefährlichsten Fragen: “Warum ist das so und nicht anders?” In vielerlei Hinsicht genügt unser System eben nicht den oben genannten Kriterien. Es ist überall irrational und bedient niedere Instinkte, Motive und rudimentäre Verhaltensmuster. Wie wir immer mehr erfahren müssen, bringt uns dies an den Rand des Untergangs. Bereits in vergangenen Zeiten hatten dieses Problem mittlerweile untergegangene Hochkulturen. Doch bisher geschah dies aufgrund des technischen Entwicklungsstandes regional begrenzt. Wenn z.B. die Bewohner alter Millionen Städte zu sehr die Ressourcen ausbeuteten, verschwanden sie einfach und sind heute Betrachtungsgegenstand von Archäologen.

Autorität, einst eine Bezeichnung, die mit Weisheit, Wissen, Lebenserfahrung, Können, verbunden war, ist bei uns allzu häufig vom Konto – Stand, institutionell oder simplen Status durch Geburt ersetzt. Macht, früher die Akzeptanz anderer, dass eine oder einer versuchen darf Ideen durchsetzen, ist zum Selbstzweck geworden, bei dem es nur noch um das Herrschen über andere geht. Geld, welches das Leben durch den Ersatz des beschwerlichen Tauschhandels vereinfachen sollte, hat sich zu einem Fetisch entwickelt, der über den Menschen und seine Bedürfnisse gestellt wird. Das immer mehr haben wollen, über Jahrtausende hinweg in Religionen, Weisheitslehren, Riten, schlecht angesehen, verpönt, geächtet, zur Sünde erklärt, ist zur Basis des Systems gemacht worden. Dabei dachten sich unsere Vorfahren bestimmt etwas dabei. Wir können nicht einmal in Anspruch nehmen, dass das eben alles so ist und der Mensch diesen Verhaltensmustern ausgeliefert ist. Wäre es an dem, würden Angehörige indigener Völker, die Opfer unseres Systems sind, nicht Gegenteiliges leben und auf unseren Irrsinn hinweisen.

Die Behauptung, dass der Mensch zum Fortschritt und dem Streben nach immer mehr quasi verdammt ist, stellt kein Naturgesetz dar, sondern ist lediglich eine Aussage, die sich als unwahr erweist, wenn es nur einen einzigen Menschen gibt, der nicht danach lebt. Historisch und in der Gegenwart gab und gibt es ganze Völker, die anders leben. Womit die Behauptung widerlegt ist. Es besteht damit die Möglichkeit eine bewusste rationale Entscheidung zu treffen.

Einer Person, die die Autorität zur Entscheidung aufgrund von jahrelangem Opportunismus und gefälligen Entscheidungen zur Begründung ähnlicher Autorität höher gestellter Personen erlangt hat, zu folgen, ist absurd. Rational wird es, wenn dieser Person nach verständiger und vernünftiger Prüfung die Sach – und Fachkompetenz zur Lösung einer Aufgabe zugetraut wird. Bei uns läuft es anders. Eine der ersten Lektionen, die ein junger Mensch in unserem System erlernt. Eine weitere, nicht minder irrationale Lektion ist die weit verbreitete Maxime: “Alles ist erlaubt, was nicht in einem Gesetz verboten ist.” Sie ist das Ergebnis eines Prozesses, in dem innerhalb aller Lebensbereiche staatliche Institutionen mit Regulierungen beauftragt wurden. Der Verlust selbst verständig, vernünftig und verantwortlich zu handeln ist noch das geringste Problem. Die völlige Übertragung der Verantwortung auf gesetzgebende Institutionen legitimiert jeden Asozialen auf noch nicht regulierten Neuland schädlich zu handeln. Außerdem bedeutet es den Verlust der Freiheit. Wir spüren dies gerade in der Pandemie. Teile der Bevölkerung haben den Bezug zu echter Freiheit verloren. Das Tragen einer Maske oder eine Impfung sind rationale verantwortliche Entscheidungen, die für ein Zusammenleben notwendig sind. Anders: Mit allem, was nicht nur mich alleine betrifft oder schädigt, werde ich zum Teil der Allgemeinheit. Alles werde ich niemals vermeiden können und einiges muss hingenommen werden, weil der Mensch fehlbar ist. Doch Masken und eine Verweigerung der Impfung, insofern keine Prädispositionen vorliegen, ist ein vorsätzlicher asozialer Akt.

Ich möchte noch zwei weitere Beispiele für die Irrationalität des Systems anführen. Die Geschichte der atomaren Waffenentwicklung geht u.a. auf Physiker zurück, die genau wussten, welches Monster sie schufen. Wie so häufig in der Geschichte lautete das Ergebnis ihrer Überlegungen: Wenn wir es nicht tun, machen es andere. Unvernünftige schließen von sich auf andere und am Ende wird beschlossen, in die Vorlage zu gehen. Faktisch kommen sie an eins nicht vorbei: Sie waren die Ersten und kein anderer! Dabei ist es egal, ob die anderen es tatsächlich getan hätten. Im nächsten Zug erreichte das atomare Wettrüsten, dass der Einsatz des Waffenarsenals die Erde zigfach zerstören kann. Einmal würde völlig ausreichen. Mit Ratio hat dies nichts zu tun.

Weltweit produzieren Hersteller unter Freisetzung schädlicher Emissionen und immensen Energie – und Wasserverbrauch, was das natürliche Lebenssystem und damit die Grundlage von allem ebenfalls mannigfaltig schädigt bzw. zerstört, Produkte, die zu großen Teilen nicht zum Leben benötigt werden und nur von einem Bruchteil der Weltbevölkerung genutzt werden können. Wenn die Produkte nicht mehr funktionsfähig sind oder ihre Bestimmung verloren haben, werden sie nochmals schädigend entsorgt. Damit die Hersteller dies unterlassen wird entweder gefordert, dass der Verbraucher, oftmals vom Hersteller selbst in Richtung Konsum manipuliert, den Kauf/Verbrauch einstellt oder dem Hersteller für das Unterlassen von der Gemeinschaft Geld gegeben wird. Wenn irgendwo in einer Bar vier Schläger alles kurz und klein Hauen, ein paar Tage später zwei finster drein schauende Typen erscheinen und vor weiteren Belästigungen bezahlten Schutz anbieten, nennen wir dies eine Schutzgelderpressung. Im Falle der Hersteller, sprechen wir von Marktwirtschaft, Handelsabkommen, Wettbewerb und ähnlichen Humbug, dabei ist es simples irrationales globales asoziales Verhalten und jeder Beteiligte, ist Mittäter.

Neuerdings hat unser System einen neuen Dreh erfunden. Aus allem wird eins herausgegriffen. Das CO2, lediglich ein Teilproblem, soll reduziert werden. Der Energieverbrauch an sich wird nicht infrage gestellt. Die bestehende und künftig gesteigerte Energiebedarf soll aus der Elektrizität kommen, die mit das Klima nicht schädigenden Verfahren erzeugt wird. Ein Haken ist hierbei die Speicherung der erzeugten Energie. Die bisher vorhandenen Speicheroptionen sind alles andere als unschädlich. Hierzu muss man sich nur die Vorgänge in der Atacama Wüste ansehen. Wie die industrialisierten Staaten sich auch Drehen und Wenden volkstümlich gesagt wird mit dem Arsch eingerissen, was vorn gebaut wurde.

Was fehlt, ist die rationale Einsicht: Unsere Lebensart ist schädlich. Sie ist die Wurzel von allem Übel.

Immer wieder ist zu lesen, dass es dieses oder jenes früher auch schon gab und die Erde sich trotzdem weiter drehte. Die Entwicklung des Menschen, die irgendwann entstandene Dominanz der Siedler gegenüber den Nomaden, die Entstehung von Massengesellschaften, die Industrialisierung und die Kolonialisierung, das Atomzeitalter, sind Abschnitte eines Prozesses. Ich kann nicht von Geschehnissen vor 1000 Jahren auf die Auswirkungen eines späteren Abschnitts schließen. Wer dies unternimmt versucht sich zu beruhigen und verschließt die Augen. Auch das ist irrational. Wer mit 250 km/h über die Autobahn rast und sich damit beruhigt, dass bis zu diesem Zeitpunkt auch immer alles gut ging, vor allem wenn man zuvor einen VW Käfer mit 120 km/h Spitzengeschwindigkeit bei Rückenwind fuhr, hat einiges nicht verstanden.

Von Kindesbeinen an werden wir darauf getrimmt, das Irrationale als gegeben und richtig hinzunehmen. Doch damit wird es nicht rational und im Innern spürt jeder, das da etwas nicht richtig ist. Nur, wie soll man es ändern? Die Auswirkung ist eine instinktive Ohnmacht. Das Gefühl, dem ausgeliefert zu sein ohne etwas dagegen tun zu können. Die Folgen sind weitreichend und ziehen sich quer durch das gesamte gesellschaftliche Leben. Wie der oder die Einzelne dies kompensiert ist unterschiedlich, doch die Wurzel ist identisch. Besonders gut ist es bei den Jugendbewegungen zu beobachten. Vieles läuft auf die Frage hinaus: Was zum Teufel macht ihr Älteren da? Die Angesprochenen reagieren nicht mit rationalen Gegenargumenten, wie auch, wenn es keine gibt, sondern entweder mit dem Verweis auf den Fetisch Geld oder diffamierend. Leistungsverweigerer, Chaoten, Gören, Träumer, Naivlinge, Alternativ, linksversifft und ähnlich lauten die Bezeichnungen. Sie sollen erst einmal verzichten, dann könne man sie für voll nehmen.

Dabei gilt es festzustellen, dass der aktuelle Status des Planeten nicht denen anzulasten ist, sondern den Älteren. Gleiches gilt für das System inklusive der benannten Modalitäten, die es Herstellern möglich macht, die Verantwortung von sich zu weisen und dem Verbraucher aufzubürden. Weiterhin haben die Älteren sie bisher dahingehend sozialisiert und ihnen die “schöne” Welt des Konsums vorgesetzt. Außerdem haben wenige Ältere gegen die Manipulationen, die Bedürfnisse erzeugen, welche es ohne die Hersteller gar nicht geben würde, rebelliert. Ich denke, die meisten, welche heftig auf Neubauer, Thunberg, FFF u.a. reagieren, fühlen sich in ihrer Ohnmacht, mit der sie sich ein Leben lang irgendwie arrangierten, ertappt. Es ist eine ähnliche Reaktion wie nach dem Dritten Reich und Niedergang der DDR. Was kritisiert ihr uns? Ihr wart nicht dabei und könnt nicht sagen, ob ihr rebelliert hättet. Die Aussage ist korrekt! Rational ist sie jedoch kein Widerspruch gegen eine aktuelle Rebellion. Mit Sicherheit ist fraglich, ob die in voller Tragweite sehen, wo die Forderungen hinführen. Deshalb sind die Forderungen nicht falsch.

Utopie hat bei uns einen negativen Beigeschmack. Meiner Meinung nach völlig zu Unrecht. Utopien sind nichts anderes als die Ausformulierung von Zukunftszielen. Hingegen sind Dystopien Hochrechnungen für ein möglicherweise eintretenden Zustand, wenn keine Kurskorrekturen vorgenommen werden und alles seinen Lauf gelassen wird. Eine Utopie ist das Ergebnis einer rationalen Überlegung: Da wollen wir hin! Nun müssen wir schauen, wie wir dahin kommen. Sich einfach treiben zu lassen, sich ohne Kompass und Plan von technischen Innovationen in die Zukunft geleiten zu lassen, sich der Gier und den Manipulationen über das Belohnungssystem des Gehirns hinzugeben, kommt einem Kontrollverlust gleich und führt geradewegs ins von Naturwissenschaftlern prognostizierte Verderben.