Die Randerscheinungen einer Pandemie

blue and brown cake on black table Lesedauer 5 Minuten

Ich lebe in der Großstadt Berlin. Tagtäglich sehe ich deutliche Zeichen dafür, dass eine Vielzahl meiner Zeitgenossen mit so ziemlich alles sind, aber nicht vernünftig und verständig. Warum sie diese beiden, dem Menschen grundsätzlich gegebenen Fähigkeiten des Großhirns, Verstand und Vernunft, nicht zur Anwendung bringen o. sie derer beraubt wurden, hat vielerlei Gründe. Doch darauf will ich gar nicht näher eingehen. Ob es sich nun um Verkehrsteilnehmer, Leute, die ihren Müll in Grünanlagen entsorgen oder Hundehalter, die zwar den Kot in eine Plastiktüte packen, aber sie dann an einen Zaun hängen.

Mit Sicherheit ist es zweckmäßig darüber nachzudenken, was da in der Gesellschaft vor sich geht, damit dagegen gesteuert werden kann. Wenn man denn will! Da habe ich meine Zweifel. Aber selbst, wenn der Wille bestände, muss jeder erst einmal mit dem Vorlieb nehmen, was die Realität ist. Mit diesem geistigen Zustand von Teilen der Bevölkerung müssen wir derzeit leben und einen Umgang finden. Dies gilt für notwendige Maßnahmen zur Unterlassung weiterer Eingriffe in die Natur und das Klima, gleichsam beim Weg durch die weltweite (dies scheint bei einigen nicht anzukommen) Pandemie.


In der Pandemie gibt es viel zu beobachten, was nicht unmittelbar mit der Krankheit zu tun hat. Da wären die Künstler, die naturgemäß narzisstische Tendenzen aufweisen und den Zuspruch eines Publikums benötigen. Es brauchte eine Weile, aber irgendwann zeigten sich Entzugserscheinungen. Weiterhin die Zeiterscheinung, Prominente in Interviews zu Themen zu befragen, die sich weit jenseits ihrer Kompetenzen bewegen. Da muss man einem Jürgen Klopp Respekt zollen, wenn er in einem Interview auf die Frage nach seiner Meinung über Maßnahmen in der Pandemie gefragt wird und den Reporter an Mediziner verweist. Dies wäre auch für einen jungen Fußballer, wie Joshua Kimmich ratsam gewesen. Ich käme nicht auf die Idee bei einem juristischen Problem einen Friseur nach Rat zu fragen.

Interessant hat sich beim Thema Impfen die Rhetorik entwickelt. Während sich bei einem Teil Freude und Begeisterung über einen Impfstoff breit machte, wurden andere von dem Begriff “Gentechnik” getriggert. Ich unterstelle, dass sich die meisten der hierdurch Empörten beim alltäglichen Einkauf nicht die Liste der Inhaltsstoffe auf der Rückseite der Verpackungen durchlesen oder die Nummern der Zusatzstoffe dekodieren, geschweige denn sich Gedanken über das machen, was die geschlachteten Tiere zu fressen und gespritzt bekamen. Dabei macht es einen logischen Unterschied, ob ich mich gegen die gentechnische Veränderung des Erbguts einer Pflanze oder eines Tieres wende, oder ich mich mit Viren, die nicht einmal Lebewesen sind, auseinandersetze. Jeder, der sich mit Impfen auseinandersetzt, müsste theoretisch ein wenig erleichtert sein, weil endlich die Risiken einer Verunreinigung durch die Zucht auf tierischen Material noch weiter minimiert werden können. Immerhin war dies über Jahrzehnte ein schwerwiegendes Argument von Impfgegnern.

Bürger von Wohlstandsstaaten sind Meister des Verdrängens. Die meisten Krankheiten, die in Ballungsräumen der Schrecken der Menschheit waren, sind im Wesentlichen unter Kontrolle. Pest, Cholera, Lepra, Kinderlähmung, Diphtherie, Tuberkulose u.a. sind aus dem Blickfeld der meisten Leute verschwunden. Gleichermaßen ist der Bezug zum Tod verschwunden. Er findet allzu häufig nicht zu Hause statt und wenn wird der Leichnam zügig entfernt. Wer, wenn nicht beruflich dazu gezwungen, macht sich schon ein Bild von Intensivstationen oder einem Hospiz? Langes Leben erscheint als das Normale und wenn eine/r vor dem Erreichen des theoretisch möglichen Alters von durchschnittlich ca. 80 Jahren stirbt, heißt es, dass der Tod zu früh eintrat. Ob dies nun eine Drehtür für die nächste Inkarnation (Buddhismus) oder der Weg, wahlweise Hölle oder Himmel ist (Christentum, Islam) oder schlicht ein absolutes Ende, ist eine Frage des Glaubens. Es gibt weder eine richtige, noch eine falsche Zeit für den Tod. Mit der Geburt eines Lebewesens beginnt das Sterben, welches dann mit Tod endet. Tatsächlich starben die Menschen mangels medizinischer Versorgung früher deutlich vor dem biologisch theoretisch machbaren Alter. Und Impfen hat daran einen großen Anteil. Insofern sind all die Debatten über vermeintliche Langzeitfolgen eher ein klassisches “I. Welt -Thema”.

In der Debatte tauchte auch ein Konstrukt auf, was sich “verdeckte Impfpflicht” nennt. Durch die Regeln und einem sozialen Druck würden die Bürger so oder so quasi gezwungen werden. Und wenn? Wer in Deutschland lebt, steht ständig unter einem sozialen Druck, der mit der Erziehung beginnt und sich später durch Werbung, Berechtigungen und Sozialleistungen im erwachsenen Alter fortsetzt. Impfen, ein solidarischer Akt, weil erst eine hohe Prozentzahl (weltweit!) Geimpfter wirksam diejenigen schützt, welche sich nicht impfen lassen können, ist nun der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt? Dies ist wahrlich grotesk. Der Philosoph Rüdiger Precht, betonte kürzlich in einem Podcast, kein Impfgegner zu sein, setzte aber diverse widersprüchliche “ABER” entgegen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sich nicht jeder impfen lassen konnte, weil schlicht nicht genug Impfstoff vorhanden war, wären die Regeln korrekt gewesen. Nun seien aber genug Impfdosen vorhanden und der Staat sei nicht dafür da, jeden vor sich selbst zu schützen. Ich finde es arg befremdlich, dass er geflissentlich übersieht, dass wir es mit einer weltweiten Pandemie und nicht mit einer Epidemie zu tun haben. Demnach muss ein wenig weiter gedacht werden.

Außerdem erneuert er die alte Argumentation, die in den 90ern seitens Impfgegner aufgebaut wurde. Die griffen in die Kiste mit den Krankheiten, deren Ursache noch nicht zufriedenstellend geklärt ist. Autismus, plötzlicher Kindstod, Pseudokrupp, Neurodermitis, wurden bei ihnen Langzeitschäden nach Impfungen. Beweisen konnten sie es nicht, aber dies war denen egal. Rüdiger Precht stimmt den “klassischen” Impfungen zu, doch mutmaßt nun mögliche Spätfolgen bei den neuen Impfstoffen. Hierzu sinniert er über die Risiken für das Immunsystem von Kindern. Exakt dies wird auch seitens der Gegner (zumeist Homöopathen/innen, Heilpraktiker/innen) bezüglich der anderen Standardimpfungen vorgetragen. Man wird dies auf einen längeren Zeitraum nicht klären können. Wie soll man 10 Jahre später eine Kausalität herstellen? Überdies kommen noch die zahlreichen Schadstoffe durch die Belastungen der Luft, Wasser, Boden, hinzu.

Fraglich ist, wie ich die Gefährlichkeit einschätze. Den weltweiten Berichten nach will man bei Coronanicht volle Packung bekommen. Aus nie geklärten Gründen hatte ich als Kind böse Hustenanfälle und hab das auch weitervererbt. Ich weiß, was es heißt, ständig zu husten und deshalb keine Luft zu bekommen. Aber gut, vor der Gefahr die Augen zu schließen ist äußerst menschlich. Obwohl man sich fragt, was Mediziner und Krankenhauspersonal noch tun müssen, um die Leute davon zu überzeugen, dass es sich nicht um einen harmlosen grippalen Infekt handelt. Hinter der Ignoranz und dem Verweis auf den sozialen Druck scheint ein Muster zu sein. Allem, was den Leuten nicht in den Kram passt, sie nicht mehr im Verhältnis zu vielen anderen Ländern auf diesem Planeten, nahezu obszönen Lebensstil pflegen lässt, wird damit begegnet. Klima, Energieverbrauch, Produkte, Müll, alles wird zur vermeintlichen Panikmache, religiösen Verhalten usw. Auch einer dieser Effekte, die ich zur Genüge aus meiner polizeilichen Vergangenheit kenne. “Ach, so schlimm wird es schon nicht kommen!” Also wird erstmal mit wenig Personal und Material begonnen, um dann richtig Schiffbruch zu erleiden. Die daraus gelernt haben, müssen dann Spott und Häme über sich ergehen lassen, wenn sie mit einem großen Aufgebot ausrücken und sich ausnahmsweise alles im unteren Level abspielt. Doch wie wäre es ausgegangen, wenn es doch geknallt hätte und zu wenige eingesetzt gewesen wären?


Bei der Pandemie stellt sich die Frage nicht. Jeder konnte die Auswirkungen in den Ländern verfolgen, die schlicht wenig unternehmen konnten. Bei den anderen genannten Sachverhalten stellt sich die Frage, vorausgesetzt man lässt sich nicht blenden oder verdrängt alles, weil man sich in der trügerischen Sicherheit eines reichen Landes wähnt, ebenfalls nicht. Alle Alarmsignale, auch die bezüglich nicht zu kontrollierender Kriege zur Sicherung von Ressourcen, stehen auf Rot. Eine kleine Provokation hier, da, ein kleiner Vorstoß, ein schwelender Cyberkrieg, dort ein noch begrenzter, aber unübersichtlicher Stellvertreter – Krieg. Dies lässt den Beobachter nicht wirklich ruhig bleiben. Und von einer Perversität kann man blind ausgehen. Die entsprechenden Strategen bei den Nachrichtendiensten haben mit absoluter Sicherheit die Reaktionen in den jeweiligen Ländern analysiert und ihnen die Schwachstellen der Gegner gezeigt. Teilbereiche der deutschen Gesellschaft lassen sich schon mit harmlosen Dingen zuverlässig instabil machen. Da geht noch einiges mehr und die Wirkung wird breiter werden. Wenn ich eine echte stabile demokratische Gesellschaft haben will, muss ich alles dran setzen, mündige und verständige Bürger zu sozialisieren. Bei uns passiert genau das Gegenteil. Habe ich nicht ausreichend davon, bleibt mir nur noch der soziale Druck, die Regulierung im Rahmen der geltenden Gesetze oder der manipulative Einsatz der üblichen Kampagnen im Zusammenspiel mit Prominenten. Doch leider sind die noch auf dem alten Trip, bei dem die Vernunft ausgeschaltet werden soll, in dem sie gegen Bezahlung irgendwelche Produkte in die Kamera halten.

Gut und böse, falsch oder richtig?

Lesedauer 5 Minuten

Stellen Sie sich einen Mann um die 30 – Jahre vor, der an einer Bushaltestelle in Berlin steht. Es ist Spätsommer. Eigentlich hat dies keine Bedeutung, aber bei ihm fällt auf, dass seine Jacke für die Jahreszeit viel zu warm ist. Er ist nicht sonderlich groß, beinahe etwas klein. Dunkle Hautfarbe, krauses schulterlanges schwarzes Haar, welches auf den Schultern aufliegt und ein Bart, wie ihn heutzutage jeder zweite Berliner Hipster trägt. Vielleicht ist er ein Flüchtling? Oder er wartet noch auf einen Aufenthaltsstatus? Möglicherweise hat er nur diese eine Jacke auf der Flucht retten können? Im Dorf hatten sie vielleicht gesagt, dass es besser ist, eine Jacke zu haben, die man ausziehen kann, als Kälte leiden zu müssen.

Er steht da einfach und wartet. Ab und wann murmelt er etwas vor sich hin. Es klingt nach einer Mischung zwischen griechisch, arabisch, manche Worte fast ein wenig vertraut, auf jeden Fall ist es kein Deutsch. Was macht er da? Sie haben Zeit. Vielleicht warten sie selbst auf einen Bus. Der Mann schaut sich die vorbeiziehenden Menschen an. In seinem Blick ist Neugierde, manchmal eine Spur des Unwillens, aber niemals auffällig. Einem osteuropäischen Bettler fasst er sanft an die Schulter, sagt etwas Unverständliches zu ihm, woraufhin dieser weiter geht. Ihr Bus kommt, sie steigen ein und vergessen den Mann für einige Zeit.

Am nächsten Tag erfahren sie aus den Nachrichten, dass ein Mann wütend in die Berliner Zentrale der CDU stürmte und rief: “Ihr seid keine Christen. Ihr habt den Namen missbraucht. Ihr betet Götzen an.” Nachdem er kurze Zeit randaliert hatte, konnte er von Sicherheitskräften überwältigt werden, die ihn dann an die Polizei übergaben. Augenscheinlich ein verwirrter religiöser Fanatiker. Sie schauen sich das Bild des Täters an und müssen feststellen, dass es der Mann von der Bushaltestelle ist. Woher konnte der mit einem Mal deutsch? Nach ersten Ermittlungen ist er vermutlich illegal in Deutschland. Jedenfalls war es bisher unmöglich zweifelsfrei seine Identität zu ermitteln.

Ich denke, die Geschichte würde in ihrem Gedächtnis schnell wieder zu den anderen Anekdoten des Lebens gehören. Was wäre, wenn da ein anderer randaliert hätte? Ein deutscher Mann gleichen Alters. Seit längerer Zeit unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Schon seit Jahren wuchs am Stadtrand eine Sekte christlicher Ausrichtung heran. Frauen und Männer, seltsame Figuren, die wöchentlich als Gruppe durch die Innenstadt ziehen und die Passanten mit religiösem Gefasel belästigen. Würden sie die Geschichte dann an irgendjemanden erinnern? An einen ihn wohlbekannten religiösen Extremisten, der von der Staatsmacht argwöhnisch beobachtet und am Ende von einer Vertrauensperson an jene verraten wurde? Ein verpeilter Spinner, der weder das Finanzamt, Banken, noch Geschäftemacher leiden konnte? Der alle anzählte, die das Wort Gott aussprachen, aber nicht nach den Vorgaben der Bibel lebten und handelten?

Ja, richtig, Jesus, nach christlicher Erzählung, tatsächlich oder eingebildeter Sohn Gottes, aber mit aller Wahrscheinlichkeit eine echte einstmals lebende historische Persönlichkeit. Ein kleiner Nordafrikaner mit dunkler Hautfarbe und krausen Haaren. Glaubt man an Gott, könnte er ihn jederzeit als jungen Brandenburger neu inszenieren. Ein Extremist, der nach relativ kurzer Zeit in der Psychiatrie oder in einer Justizvollzugsanstalt landen würde.


Was wäre mit einem Typen, der auf öffentlichen Plätzen etwas über die Schädlichkeit des wirtschaftlichen Wachstums erzählte? Ja, sogar die Leute dazu auffordern würde, nichts mehr zu kaufen. Journalisten der BILD würden herausbekommen, dass dieser Heuchler reiche Eltern hat, selbst in allem nur erdenklichen Luxus aufwuchs. Und nun will er den Leuten etwas über den bösen Kapitalismus und Verzicht erzählen? Ein Salon – Kommunist, der leicht reden hat, weil er jederzeit das Erbe seiner Eltern antreten kann. Sollte er es schaffen trotz widriger Umstände alt zu werden, wäre die Häme groß, dass ausgerechnet er, der stets dazu aufforderte keine Tiere zu töten, nach dem Verzehr von Fleisch an einer Lebensmittelvergiftung verstarb. Nein, auch Buddha bekäme 2021 keine Chance.


Welche Reaktionen würde ein alter Mann erzeugen, der von ein Zeit spräche, in der die alte Ordnung des Lebens zerstört ist? Der die Mächtigen für ihr eitles Gebaren tadelt, sie davon überzeugen will, alles von sich zu geben, um dem eigentlichen Ziel des Lebens zu folgen? Der behauptet, dass Krieg, egal aus welchem Grund er geführt wird, immer falsch ist und es besser ist selbst zu sterben, als andere zu töten? Ein Dichter, der seine Botschaften in seltsamen Reimen verfasst, die zum Beispiel so lauten:

Dreißig Speichen umgeben eine Nabe,
In ihrem Nichts besteht das Werk.
Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen.
In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk.
Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde.
In ihrem Nichts besteht der Kammer wert.
Darum: Was ist, dient zu Besitz.
Was nicht ist, dient zum Werk.

Ein Freak, der sich zu viele Gedanken macht? Die Worte schrieb vor etwas mehr als 3000 Jahren der Chinese Lao Tze, dessen Weisheiten für eine große Zahl Menschen einen religiösen Charakter haben. Oder was wäre mit einem Konfuzius, der ähnliches von sich gab? Ein Mann, der damals schon sagte: „Von Natur aus sind die Menschen einander ähnlich. Durch die Erziehung (die Unterweisung) entfernen sie sich voneinander.“ Für diese Erkenntnis haben in der Neuzeit Sozialwissenschaftler lange Jahre gebraucht.


Was wahr und falsch ist, richtig oder falsch, wer ein Weiser ist oder ein verirrter Spinner, ein Extremist oder der Zeit voraus, bestimmen nicht wir im Hier und Jetzt, sondern die Menschen in der Zukunft. Wenn es überhaupt etwas gibt, was uns zu Lebzeiten dabei helfen kann, diesbezüglich eine individuelle Entscheidung zu treffen, müssen wir sehr tief in uns hineingehen und erfassen, was wir mit Worten nicht ausdrücken können. Das Ergebnis lautet dann: Es fühlt sich irgendwie falsch oder unbehaglich an. Hingegen fühlt sich anderes richtig an, obwohl es vielleicht sogar in irgendeinem Gesetz verboten ist. Ich glaube, die Tiere, welche sich selbst als Menschen bezeichnen, hatten zu allen Zeiten und besitzen immer noch diese Fähigkeit, aber es gab immer Epochen oder Regionen, in denen dieses, in sich Hineinhorchen, unterdrückt wurde oder nicht dem Zeitgeist entsprach. Meinem Gefühl nach sind gute Zeiten davon geprägt, dass die Leute diesem Innern folgen. In schlechten Zeiten wird es in ein Verlies gesperrt.

Der Psychologe, Professor, Kommunikationswissenschaftler (alles kann man bei ihm nicht aufzählen) Friedemann Schulz von Thun entwickelte das Konzept des Inneren Teams. Es geht davon aus, dass in jedem Menschen mehrere “Seelen”, im Sinne von Zuständen, leben. Je nach Situation können sie sehr unterschiedlich sein. Bei einer Entscheidung wollen sie alle berücksichtigt werden. Der Mann, der Vater, der Egoist, das Kind in einem, der Jurist, der Erwachsene, Mitfühlende, usw. Wird einer dieser Zustände aus irgendwelchen Gründen stets unterdrückt, wird sich dies eines Tages rächen. Bei einer Vorlesung ging mir durch den Kopf, dass die Unterdrückung allzu oft aufgrund des Zeitgeistes, zahlreicher Manipulationen und etwas, was wir Sozialisation nennen, erfolgt. Ich bin mir darüber klar, dass das in der Tiefenpsychologie ein alter Hut ist, aber in dieser Vorlesung sprang es mich förmlich an.

Schaue ich mich um, lese die Nachrichten, höre, was Politiker, einflussreiche Leute, von sich geben, drängt sich mir häufig das Bild eines Häschers auf, der in mir im Auftrag eines Herrschers Leute meines inneren Teams in Ketten legen will. Ich soll nicht in die Verlegenheit kommen mit denen zu sprechen, weil sie mir etwas über dieses tiefe Innere zu sagen hätten. Ja, da gibt es Leute in mir, die mit dem Urteil Extremist, Radikaler, Spinner, schnell bei der Hand sind. Doch ich höre auch den Widerspruch der Eingesperrten. Undeutlich, schwer zu verstehen, aber sie sind da und in ruhigen Minuten frage ich mich, warum und von wem sie dort eingesperrt wurden oder ich es wenigstens ohne nennenswerten Widerspruch zuließ. Ich glaube, mir geht es dabei wie vielen anderen, nur ist sich nicht jede oder jeder dessen bewusst.


Die Freischärler der Konservativen Revolution – The Republic

Lesedauer 7 Minuten

Vorab eine Anmerkung zum Titel. Im Gegensatz zum CSU – Mitglied Alexander Dobrindt bin ich mir der Bedeutung des Begriffs u. des historischen Hintergrunds der Konservativen Revolution durchaus bewusst. (siehe auch hierzu ein umfassendes Essay von Thomas Meyer beim Deutschland Funk,2018) Meyer beendet sein verlinktes Essay mit:

“… Es wird schwierig werden, sehr schwierig sogar, soviel sollte klargeworden sein. Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Die Bewährungsprobe des demokratischen Deutschlands kommt noch!”

Hierbei stimme ich ihm in Gänze zu.

Armin Petschner-Multari gründete kürzlich die Plattform “The Republic” mit dem Ziel eine “konservative Gegenbewegung” zu initiieren. In der Stuttgarter Zeitung ist hierzu am 21.10.21 zu lesen:

Mit seiner Agentur will er nun offenbar etwas mehr Beinfreiheit nutzen um eine Art Gegenöffentlichkeit aufzubauen. „Wir bedienen die Logik der Plattformen, das machen andere auch.“ Also eine Art Guerillatruppe für die C-Parteien? „Wir wollen für konservative Positionen werben, die ein oder andere Schlagzeile produzieren und Debatten für uns entscheiden.“ Viele Unterstützer seien mittelständische Unternehmer, die ihre Sicht zur Sprache kommen lassen wollten. Auch Politiker hätten Unterstützung zugesagt.

Soweit alles in Ordnung. Aber was ist die Logik der Plattformen? Dies lässt sich nur mit einem Blick auf die Seite https://www.therepublic.de/ beantworten. Wäre ich Ausländer, überkäme mich nach einem groben Überblick der Eindruck, dass der sich der deutsche Durchschnittsbürger in einer Defensive befindet, wenn nicht sogar kämpfend auf dem Rückszugsgefecht von der letzten Verteidigungslinie, verzweifelt wartend auf die entsetzenden Truppen, in Gestalt der Plattform, die das Blatt beim Kampf zwischen Gut und Böse im letzten Augenblick wenden. Die Armeen von Mordor, mit Rekrutierten aus allem, was das Böse zu bieten hat, nämlich Umweltaktivisten, Autonomen, GRÜNEN, Sozialdemokraten, Greenpeace, dem “Öffentlich rechtlichen Rundfunk”, Feministen, Gewerkschaften, Minderheitenvertretungen, Gesellschaftskritikern, Künstlern, Literaten, sind auf dem Vormarsch und das letzte Aufgebot der Union schaut besorgt auf das Schlachtfeld. In dieser bedrängten Situation kann man schon mal die Geister der Toten bemühen.

Vor wenigen Tagen schrieb ich einen BLOG – Post zum Thema Zapfenstreich und erwähnte das Zitat aus längst vergangener deutscher Geschichte: “Das Vaterland darf jedes Opfer fordern.”  Auf der Plattform ist es etwas ausformuliert und ausgeschmückt:

Im Gegenteil, die Bundeswehr und so auch jeder einzelne Soldat hat diesem Staat geschworen, treu zu dienen und dessen Recht und Freiheit tapfer zu verteidigen. Dieser Staat, der seine Soldaten ausgeschickt hat, genau das immer wieder zu tun – für das Wohl der Bundesrepublik Deutschland wie selbstverständlich persönliche Belange hinten an zu stellen, die eigene persönliche Unversehrtheit bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens in die Waagschale zu werfen, für die Sicherheit des eigenen Vaterlandes und die seiner Bürger einzutreten, so auch in Afghanistan – muss nun aber auch klar dieser perfiden und anmaßenden Argumentation entgegentreten: Zum Schutz und zur Wiederherstellung der Ehre der Soldaten der Bundeswehr!

Quelle: https://www.therepublic.de/blog/verkommenheit-hat-ein-tolerantes-diverses-und-wokes-gesicht/ 22.10.21/10:26 Uhr

Ich behaupte, dass der Militarismus, die Bundeswehr und ihre Bestimmung,  in Deutschland aus nachvollziehbaren historischen Gründen ein sensibles Thema ist. Normalerweise gehört es zum guten Ton der älteren Generation ein wenig Nachsicht walten zu lassen. Die bisher auf der Plattform aktiven Autoren haben schon ein wenig Abstand zur deutschen Nachkriegsgeneration und erst Recht zur Kriegsgeneration. Andersherum ist es in Deutschland Teil der Verantwortung, die die deutsche Staatsbürgerschaft mit sich bringt, die Erinnerung und die Schlussfolgerungen zweier Weltkriege weiterzugeben. Einfach mal so, völlig undifferenziert und “unverschämt” mit der Kritik umzugehen, geziemt nicht für jemanden mit deutscher Staatsbürgerschaft.

 

Diese Art von fehlender Empathie, der Nichtanerkennung von militärischen Leistungen und Opfern und der mangelnden Bereitschaft sich mit individuellen Schicksalen von Soldaten auseinanderzusetzen, galt bislang nur für die Soldaten der Großvätergeneration und Soldaten der Wehrmacht – einer verratenen Generation, die sich nicht mehr wehren kann. Diese wurde und wird fortgesetzt als Verbrechergeneration verunglimpft und damit jedes institutionelle aber auch individuelle Gedenken vermieden. Neu ist, dass auch pauschal der Bogen der Kritiker bis zu den Soldaten und Opfern der Bundeswehr gezogen wird. Es war schon anmaßend und anrüchig einem 19-jährigen Soldaten, der vor Moskau im Winter 1941 fern der Heimat erfroren ist, dieses Gedenken und die Achtung vor seinem Opfer zu verweigern, dies aber nunmehr auch auf die Soldaten, die im Chara Darah oder in Baghlan für Deutschland gefallen sind, zu übertragen, ist kaum noch aushaltbar!

Am folgenden Tag war er nicht mehr auf der Seite zu finden. Irgendjemand hatte wohl erkannt, dass da dann doch zu viel “Sprengstoff” enthalten war. Allerdings zeigt sich hier deutlich, welches Geisteskind hier am Werk ist. All die differenzierten Debatten über die Rolle der Wehrmacht beim Holocaust und mindestens Zuarbeit an die SS scheint an dem/der Verfasser/in vorbeigegangen zu sein.

Ich will für diese Plattform gar nicht zu viel Zeit verschwenden. Zunächst ist sie eine unter zahlreichen. Angeblich soll mal wieder Friedrich Merz seine Finger mit im Spiel haben. Ein alter Bekannter, wenn es um PR Kampagnen mit fragwürdigen Methoden geht. Besorgniserregend ist etwas ganz anderes.

Zu meiner Grundschulzeit hatten diverse Themen der aktuellen Zeit schlicht keine Relevanz. Ich hatte eine Mitschülerin aus Griechenland, einen Mitschüler aus der Türkei und einen aus Sri Lanka. Unser Umgang miteinander war von gegenseitiger Neugierde geprägt und soweit ich das verfolgen konnte, machte alle ihren Weg, der bei dem einen aus anderen Gründen bereits früh tragisch endete. Die Gnade der Geburt als West – Berliner verschonte einen weitestgehend vor religiösen Auseinandersetzungen. Später gab es unter den meisten eine stille Übereinkunft, der nach alle innerhalb der Einmauerung Lebenden einigermaßen miteinander klarkommen und alles von jenseits der Mauer skeptisch betrachtet wird. Das rechte Spektrum existierte, hatte es aber niemals leicht.

Heute, in einer Gesellschaft, die von vielerlei Nationalitäten, Herkunftsländern, unterschiedlichen Aussehen, diversen Kulturen und Religionen geprägt ist, sieht es anders aus. Neue Aufgabenstellungen erfordern neue Antworten und Lösungen. Es ist eben nicht die seitens der Gestrigen geforderte Gemeinschaft, sondern eine Gesellschaft. Selbst beim Begriff Konservativ bedarf es einer genaueren Betrachtung. Mit der eigentlichen Bedeutung, der Besinnung auf alte Werte ist es nicht getan. Z.B. war das Berlin der 20er – Jahre aufgeschlossen, fortschrittlich und Magnet für Progressive aller Nationen. Es bedarf eines Fixpunktes, auf den man sich bezieht.

Deutschtümliches Einigeln, Nationalismus, das Festhalten an längst überholten Werten, die eher Verirrungen des 20. Jahrhunderts sind, ein Leugnen der Eigenarten, die den Faschismus in Deutschland einen fruchtbaren Boden anboten, gelten allgemein als konservativ, doch wird man den Leuten, die sich an denen orientieren, welchen das vergangene Deutschland stets die kalte Schulter zeigte, nicht gerecht. Dies würde bedeuten, den Philosophen, Intellektuellen, sozialdemokratischen, kommunistischen, anarchistischen Vordenker einer freien Welt, damals avantgardistischen Künstler, des Dadaismus, Kubismus, Ex – u. Impressionismus, posthum nochmals Unrecht anzutun. Außerdem legte man sie auf diese Art ins Grab mit ihren Widersachern und Peinigern. Schlimm genug, wenn moderne faschistoid Denkende, wie Anhänger der AfD, dies mit Heinrich Heine tun, oder Querdenker mit Anne Frank und den Geschwistern Scholl.

Die Welt steht, gerüstet mit alten Werkzeugen, Denkmodellen, vor völlig neuen Aufgaben. So als ständen verzweifelte Techniker vor einem havarierten Reaktor und einige Schlaumeier rufen einen 90 – jährigen Mechaniker für Druckkessel herbei. Das kostet wertvolle Zeit, die niemand hat. Wobei ein Kessel vielleicht gar nicht einmal das falsche Bild ist. Es brodelt gewaltig und der Druck wird höher.

 

Allzu selten nehmen wir, ich schließe mich dabei ein, die Rolle des neutralen Beobachters oder gern auch Beobachterin, ein. Noam Chomsky nennt dies die Alien – Perspektive. In nahezu allen europäischen Staaten nehmen die Proteste aus allen Richtungen zu. Augenscheinlich sind die politischen Systeme nicht dazu in der Lage befriedigende Antworten zu geben. Es ist der innige Wunsch, dass es möglich ist, mittels parlamentarischer Demokratie eingebettet in eine kapitalistische Weltwirtschaft friedliche Lösungen zu finden, die größt mögliche Freiheiten garantieren. Aber irgendwo scheint der Wurm drin zu sein. Es gilt den Fehler zu lokalisieren.
Besonders in Deutschland ist zu beobachten, dass die Anhänger des “Konservativismus” ab dem Moment Aufwind bekamen, wo den Deutschen langsam ins Bewusstsein rückte, dass die liebgewordenen Annehmlichkeiten des “German Way of Life” in Gefahr geraten.

Aus der anderen Richtung melden sich die zu Wort, die gerade diesen auf den Prüfstein legen.

Du bist jemand, wenn Du einen Arbeitgeber findest, dem Deine Arbeitskraft und Deine erlangten Kompetenzen eine Entlohnung wert sind. Hierfür gehst Du zum Friseur, ziehst Dich “akzeptabel” an und machst ein Foto, welches Dich von Deiner besten Seite zeigt. Hast Du diesen Arbeitgeber gefunden, kannst Du ein eigenständiges Leben führen und Dir Konsumgüter zulegen, die Dir eine gesellschaftliche Anerkennung verschaffen. Im eigentlichen Sinne eigenständig ist das nicht, da es von der Gunst des Arbeitgebers abhängig ist. Wirklich frei auch nicht, weil Du an den Konsum, die Banken und dem Streben nach mehr gebunden bist.

Als Beobachter sehe ich, dass gerade Jüngeren eine vermeintlich selbstverständliche Welt vorgegaukelt wird. Dies und jenes hat man halt als schnödes Mitglied der Gesellschaft. Hast Du es nicht, wird es schleunigst Zeit, dass Du das änderst. Jeder Ältere weiß, wie sich einige Youngster umschauen werden, wenn ihnen ihre Kredite, windigen Aktiengeschäfte oder Geschäftsideen um die Ohren fliegen. Einige sehen auch, wo sie der “anständige” Weg hinbringen wird. Es ist keine attraktive Vorstellung nach Jahrzehnten ordentlicher Arbeit Pfandflaschen zu sammeln oder sich von ebenfalls schlecht bezahlten Leuten den Hintern abwischen zu lassen. Wen wundert es, wenn einige versuchen, mangels anderer Möglichkeiten eine risikoreiche Abkürzung zu nehmen, die allzu häufig vor dem Richter landet. Ein anderer Weg besteht darin, sich diesem Modell von Anfang zu verweigern und es im Zweifel zu bekämpfen.

Begleitet wird dies alles von einer Erstarrung des Modells. Die globalen Folgen werden schlicht ignoriert. In der Psychotherapie gibt es ein Motto: Du kannst nicht innerhalb eines Umfelds gesunden, welches für Deine Krankheit verantwortlich ist. Das Geschehen um uns herum ist schlicht krank. Dabei ist es egal, ob es um den Klimawandel, die Vermüllung und Verpestung des Planeten oder der Umgang mit anderen Lebewesen ist. Was diverse Leute nicht daran hindert, es alles mit Methoden zu behandeln, die die Krankheit verursachten.

Zurück zur Plattform “The Republic”.  Die Macher/innen sind blutjung und dies ist das an sich wirklich gruselige. Das Vergangene erfüllt sich mit ihnen den Wunsch der Ehrung eines Lebenswerks, ohne sich die schrecklichen Irrtümer eingestehen zu müssen. Ja, der lang andauernde heimische Frieden und die Befreiung von der Angst eines neuen kommenden Krieges auf eigenem Grund und Boden, ist ein Verdienst. Allerdings haben hierfür andere auf dem Planeten einen hohen Blutzoll erbracht. Der herrschende Wohlstand hat zwei deutschen Generationen ein gutes Leben beschert. Doch spätestens ab Ende der 70er Jahre war bekannt, zu welchem Preis dies stattfindet und es wurde der breiten Bevölkerung verschwiegen. Nun gerät alles in Bewegung und die Alten sehen sich naturgegeben überfordert.

Die Modelle der Vergangenheit inklusive ihrer Fehlentwicklungen haben ausgedient. Heute 30 – jährige Frauen und Männer müssen sich Gedanken über neue, innovative und progressive Lösungen machen und bitte nicht bewundernd die abgetragenen Kleider und Anzüge der Alten anziehen. Deutschland ist schon angestaubt genug. Eine alte Weisheit besagt, dass wer in die Fusstapfen eines anderen tritt, ihn nicht überholen wird.

The Republic ist die Aufforderung auf der Stelle zu treten, den Kapitän zu bestechen, sich bis zum Untergang des Kreuzfahrtschiffes alles vom Oberdeck der I. Klasse beim Champagner – Cocktail anzusehen und festzustellen: Man bin ich froh den Untergang der Titanic nachempfinden zu können.

 

 

Anarchismus, ein böses linksextremes Gespenst?

Lesedauer 9 Minuten

Ich behaupte mal eine ganz gute schulische Ausbildung erfahren zu haben. Vieles, was ich später in der Ausbildung meiner Töchter vermisste, war bei uns noch enthalten. An meinem Gymnasium, auf dem Papier alt – humanistisch, weil Latein und Alt – Griechisch angeboten wurde, gab es eine spannende Mischung stockkonservativer Lehrer und Restbestände der 68er. Im Leistungskurs Politische Weltkunde ging es oftmals hoch her und es wurde durchaus kontrovers diskutiert. Eine Besonderheit war unsere Schülerzeitung, die 2021 jeden Verfassungsschützer auf den Plan rufen würde. Aber ein Thema kam meiner Erinnerung nach, außerhalb der Schülerzeitung, nie zum Tragen. Die Geschichte des Anarchismus ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Lediglich der Spanische Bürgerkrieg mit dem Schwerpunkt der Rolle der deutschen Nationalsozialisten nahm wenige Stunden ein. Es erschöpfte sich mit Guernica, Pablo Picasso, Legion Condor, mehr war da nicht. Ich kann mich weder an eine Behandlung der Mexikanischen Revolution, noch an die Unruhen in den USA, die Vorgänge um Sacco und Vanzetti oder die Internationalen Brigaden in Spanien, inklusive Pariser Kommune, Barcelona, erinnern. Ich hörte auch nie etwas über die Motive der anarchistischen Bewegung “Propaganda der Tat” oder was hinter den anarchistischen Anschlägen auf Könige, Adlige und Regierungsvertreter stand, geschweige, was unter einem “Anarchosyndikalismus” zu verstehen ist. Ebenso nichts über “Anarchistische Banden” in Frankreich und was deren Mitglieder antrieb. Individualist, Illegalist, Anarcho – Syndikalist, Plattformist, christlicher Anarchist, Anarcho – Primitivist, keine dieser Bezeichnungen mit samt der dazugehörenden Haltungen und Personen, waren zu keiner Zeit ein Thema.

Ohne jemanden böse Absichten unterstellen zu wollen, lief es auf eine zahme, aber vorhandene kritische Betrachtung des Kapitalismus und dialektische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus hinaus. Auf dem Niveau des Unterrichts wäre z.B. durchaus eine kurze Erwähnung der Auseinandersetzung zwischen Bakunin und Karl Marx mit der späteren Folge der Spaltung der ehem. Internationale möglich gewesen. Sei es, dass die Lehrer und Lehrerinnen selbst nichts darüber wussten oder es der vorgegebene Lehrplan einfach nicht hergab, es wurde ausgeblendet. Dabei lässt sich die jüngere Geschichte der BR Deutschland nur verstehen, wenn man wenigstens die Grundzüge der anarchistischen Bewegung kennt. Ohne sie bleibt die Geschichte der RAF, der Deutsche Herbst, vollkommen unverständlich.

Ich hätte damals auch um einiges besser die “Russische Revolution” und die spätere Entwicklung der Sowjetunion verstanden. Von einem Machnow, der eine anarchistische Armee anführte, den Bolschewiki zur Seite sprang, während Lehnin längst die Politik verfolgte, alles jenseits der Bolschewiki auszuschalten, erfuhr ich erst lange nach der Schulzeit. Auch, dass Trotzki alles dran setzte, die Anarchisten auszumerzen, und dann zusammen mit Lehnin so ziemlich alles aufbaute, aber nicht den seitens der Anarchisten geforderten libertären Kommunismus, folgerichtig die Anarchisten nach dem Sieg der Roten Armee über die anarchistische Armee in der Ukraine, Kronstadt und die Machnowschtschina Truppen in Sewastopol (Schwarze Flagge mit weißem Totenkopf) in Gefängnissen verschwanden oder gleich hingerichtet wurden, begriff ich viel später.
Kapitalistischen Machthabern konnte dies nur recht sein. Bis heute packen sie alles in eine große Schublade mit der Aufschrift: “Nicht öffnen, böser Dämon Kommunismus!” Drinnen prügeln sich Marxisten, Maoisten, Stalinisten, Trotzkisten, Bolschewisten und eben die zahlreichen Facetten des Anarchismus. Richtig absurd wird es spätestens, wenn das heutige Russland als kommunistischer Staat statt als Staatskapitalismus bezeichnet wird. An dieser Stelle denke ich auch an die Unterstützung, die Franko im spanischen Bürgerkrieg seitens Stalin erhielt. Ich glaube, einigen Zeitgenossen, die sich in Deutschland als Linke bezeichnen, täte die Auseinandersetzung mit diesem geschichtlichen Verlauf auch ganz gut.

 

Verfolge ich die aktuellen politischen Statements innerhalb Deutschlands, scheint es mir nicht alleine so zu gehen. Auffällig finde ich dabei, dass in Griechenland, Spanien, vornehmlich in den alten Hochburgen Galicien, Katalonien, Baskenland, Frankreich, mit dem Anarchismus völlig anderes umgegangen wird. Mit einer gewissen Böswilligkeit könnte man unterstellen, dass dies auch durchaus gewollt ist. Vielleicht geht es ja tatsächlich, frei nach Proudhon formuliert, immer um den Kampf zwischen Hierarchie und Freiheit. Mich muss man diesbezüglich nicht überzeugen.

Die geschickteste Taktik ist es, sich mit dem Denken des Gegners auseinanderzusetzen. Der 8-stündige Arbeitstag, Urlaub, Gewerkschaften, Gemeinschaftseinrichtungen, soziale – u. gesundheitliche Absicherung der Arbeitenden, Abschaffung der Todesstrafe und das Streikrecht, Wahlrecht für alle, Gleichberechtigung der Frauen, waren von Anfang an grundlegende Forderungen der Anarchisten. Mit dem gesteuerten Entgegenkommen gelang es den oberen Positionen in der Hierarchie ihr Level beizubehalten und den Anarchisten sozusagen das Wasser abzugraben. Denen weiter unten geht es ein wenig besser und sie finden sich mit der immer noch bestehenden Ungerechtigkeit ab. Ab jetzt ist die Kritik mit dem Begriff “Neid” diffamiert.

Seit über 100 Jahren werden Anarchisten, diffamiert, inhaftiert, zusammengeschossen oder hingerichtet. Sie kämpften gegen den Ku-Klux-Klan, Großgrundbesitzer, gnadenlose Industrielle, gegen die hässlichste Erscheinungsform des Kapitalismus, den Faschismus, dennoch finden sie in Deutschland heute kaum eine Beachtung. Ist es doch der Fall, dann lediglich mit der Einordnung in die Schublade Linksextremismus und autonome Gruppen. Ein bemerkenswerter Umstand, wenn man die feministischen, anti – rassistischen, anti – militaristischen und pro – Arbeiterrechte Forderungen bedenkt. Seitens des medialen Mainstreams und staatlicher Institutionen wird mehrheitlich die alte Rhetorik gefahren, in der stets die “Propaganda der Tat” (u.a. in Verbindung mit der Stadtguerilla u. RAF) eine Rolle spielt oder es wird an Ängste wie Sicherheits – u. Ordnungsverlust appelliert.

Die Propaganda der Konservativen, der politischen Elite, der Bourgeoisie und dem Kapital, ist in Bezug auf den Anarchismus ein großes Thema. An einem Beispiel fiel mir dies besonders deutlich auf. Ganz aktuell im zurückliegenden Geschehen vor der Wahl wurde wieder einmal das angebliche Zitat:

“Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn.”

bemüht. Der Zitatforschung nach (u.a. hier nachzulesen https://quoteinvestigator.com/2014/02/24/heart-head/) stammt es nicht von Churchill und auch nicht, wie populär (u.a. in diversen Zeitungen, so auch in der ZEIT) von George Clemenceau. Aber es gibt bei Clemenceau eine Geschichte, die passend sein könnte. Nachdem, was ich über ihn gelesen habe, muss der Mann bei seinen Entscheidungen recht radikal vorgegangen sein. In der Grundtendenz sympathisierte er mit den Anarchisten (sonst hätte er beispielsweise nicht Emile ZOLA unterstützt) und hatte für die Konservativen seiner Zeit, wenig übrig. Trotzdem scheute er sich nicht, den Protest von Bergbauarbeitern mit Militär niederschlagen zu lassen. Dieser richtete sich gegen die Betreiber einer Mine, in der ein Brand ausbrach und versiegelt wurde, obwohl noch Leute unter Tage waren. Aber ich fand keine Quelle, in der deutlich wurde, warum er sich dazu entschloss. Anarchist heißt nicht irrational zu handeln oder gewaltfrei zu leben. In der Geschichte stürmt ein Mann in sein Büro und teilt Clemenceau empört mit, dass sein Sohn den Kommunisten beigetreten ist. Dieser soll geantwortet haben: “Mein Herr, mein Sohn ist 22, wenn er nicht den Kommunisten beiträte, würde ich ihn ablehnen. Ist er mit 30 immer noch dort, werde ich es tun.”

In 1944 the industrious anecdote collector Bennett Cerf presented an entertaining tale featuring Georges Clemenceau:

An excited supporter burst into the private chambers of the old tiger Clemenceau one day and cried, “Your son has just joined the Communist Party.” Clemenceau regarded his visitor calmly and remarked, “Monsieur, my son is 22 years old. If he had not become a Communist at 22, I would have disowned him. If he is still a Communist at 30, I will do it then.”

Quelle: https://quoteinvestigator.com/2014/02/24/heart-head/

Was bedeutet diese Aussage aus seiner Perspektive in seiner Zeit? Zu seiner Zeit bestand zwischen Kommunisten und Anarchisten ein heftiges Spannungsfeld. Er sagte diese Worte nicht aus der Sicht eines Konservativen, sondern aus der Sicht eines dem Anarchismus seiner Zeit aufgeschlossenen Mannes. Dies ergibt ein völlig anderes Bild, als es seitens deutscher Konservativer gezeichnet wird.

Ein weiteres Stilmittel der Propaganda ist für mich die Verallgemeinerung, bei der völlig undifferenziert die Begriffe “extrem” und “radikal” verwendet werden. Im Ursprung ging es um die Überwindung der autoritären Strukturen der Monarchie. Später um die Autorität einer Regierung, einer politischen Elite oder einer faschistischen Diktatur. Noch weiter heruntergebrochen, um die Überwindung hierarchischer Machtstrukturen, hin zur Selbstorganisation der Bürger mit einer Bestimmung von unten nach oben, also einer Umkehr. Wie dabei vorzugehen ist, wird seit den Ursprüngen heftig diskutiert. Innerhalb dieses Zeitraums, gab es immer wieder völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Extrem und radikal zu betrachten funktioniert nur mit einem Bezugspunkt. Widerstandskämpfer im Dritten Reich waren unter diesem Gesichtspunkt “Linksradikale”, genauso wie die Anarchisten der Spanischen Republik. Sie griffen zu extremen Mitteln (Waffengewalt), um sich gegen die zu wehren, welche die maximale Autorität (ebenfalls extrem) eines faschistischen Regimes favorisierten.

Extrem/radikal steht dialektisch “gemäßigt” gegenüber. Stelle ich mir dies alles auf einer Strecke vor, habe ich die Eckpunkte “Absolute Autorität” und am anderen Ende “Absolute Freiheit”. Wobei absolute Autorität einfach zu definieren ist, als der Freiheitsbegriff, der aus der Natur der Sache heraus im Zusammenleben seine Grenzen erfährt. Gemäßigt ist dann ein wenig Zustimmung in Richtung Autorität mit Zugeständnissen an die Freiheit der Bürger. Bei diesem Modell ständen sich Konservative und Marxisten sehr nahe, während die Anarchisten sich weit dem anderen Eckpunkt annähern würden. Wie sehr die Marxisten die Anarchisten ablehnen, lässt sich am ehesten mit einem Artikel beschreiben, den ich letztens in einem Buch mit dem Titel: Philosophisches Wörterbuch, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1965, fand, beschreiben. Unter Anarchismus steht dort:

Anarchismus |griechisch| – kleinbürgerliche pseudo – revolutionäre Ideologie, die jede gesellschaftliche, vor allem staatliche Organisation und Autorität ablehnt und in extrem individualistischer Weise nur die Willenshandlungen der Einzelpersönlichkeit, anerkennt.

Es folgt eine seitenlange Abhandlung, die irgendwie versucht den Bogen zu bekommen. Deutlich kürzer könnte man sagen: Du sollst keinen Gott neben der KP oder im Falle der DDR, neben der SED haben. Nur bewiesen die Kommunarden der Pariser Kommune, die Spanier während der Spanischen Revolution und die Teilnehmer der Mexikanischen Revolution, dass diese Aussage unhaltbar war und immer noch ist. Freiheit ist, was nicht unbedingt dem Namensgeber Karl Marx anzulasten ist, nicht das Ding von Marxisten. Obwohl es zu der Spaltung der I. Internationalen passt, während derer Bakunin die Antiautoritäre Internationale ausrief, passt. 

Immerhin dauert die Diffamierungspropaganda ausgehend vom Kapital und den Kommunisten (Marxisten) schon über 100 Jahre an. Es ist nachvollziehbar, dass sie fest in den Köpfen verankert ist. Ich habe nicht einmal ansatzweise den Anspruch ihr entgegenzutreten, mir genügt vollauf den eigenen Kopf befreit zu haben.

Bei einer Tagung wurde der US -amerikanische Linguist Noam Chomsky und sich selbst als Libertärer Sozialist (Unterform des Anarchismus) mit Sympathien für den Anarchosyndikalismus gefragt, was denn dieser Anarchismus eigentlich wäre. Chomsky bezeichnete ihn als eine Form des menschlichen Denkens, die keine Ideologie ist, sondern Teil der menschlichen Natur ist. Immer wenn eine Person, Institution, Macht ausübt, Weisungen erteilt, bedarf es einer Legitimation hierfür. Demokratische Wahlen können ein Mittel sein. Fraglich ist jedoch, wie es mit der Realität aussieht. Hierzu vertritt Chomsky die Position, dass seitens der politischen Elite eine Desinformation der Bevölkerung praktiziert und beim Wähler das Irrationale erweckt wird.

Er und andere Philosophen sprechen davon, dass wir mittlerweile im Zeitalter des Anthropozän, dem vom Menschen selbst gestalteten, leben. Yuval Noah Harari beschreibt hierzu passend den Wechsel des Homo sapiens zum Homo deus, der durch biologische, genetische und digitale Eingriffe, die “Schöpfung” beeinflussen kann. Auch dies bedarf Entscheidungen. Zum Beispiel stellt sich die Frage: Was und in welchem Umfang wollen wir davon?
Ist es ratsam, dies einer kleinen Elite zu überlassen, die über die Mittel verfügt, die Ratio auszuschalten? Zumal innerhalb der kommenden Jahre die Situation entstehen wird, dass sich Vermögende biologische und genetische Eingriffe leisten können, während große Teile der Erdbevölkerung mit anderen Sorgen zu kämpfen haben. Wir koppeln die Macht der Entscheidung an Eigentum. Je mehr Eigentum jemand hat, desto größer ist seine Macht, politische Richtungsentscheidungen zu treffen oder dem Geschehen die gewünschte Richtung zu geben. In früherer Zeit geschah dieses ohne den Umweg einer Wahl. Der Adel und der Klerus hätten nicht im Traum daran gedacht, sich bei politischen Entscheidungen, Krieg oder nicht Krieg, mit dem gemeinen Volk auseinanderzusetzen. In Deutschland fand gerade eine Wahl statt. Längst hat sich das von Chomsky in den USA kritisierte Gebaren bei uns etabliert. Entweder wurde alles auf die Wirkung von Personen, inklusive Diffamierung, abgestellt oder die Themen wurden derart mit nebulösen Aussagen verstellt, dass der normale Bürger nicht mehr folgen konnte. Interessant finde ich an der Stelle, dass ausgerechnet ein Robert Habeck, der sich bestens mit den Schriften Chomskys u.a. namhaften Kritikern auskennen dürfte, dabei mit machte.

Anarchismus bedeutet nicht Chaos und die vollständige Abwesenheit einer Führung. Es geht um kleinere Organisationseinheiten, in denen unmittelbar bestimmt werden kann, die sich wiederum mit anderen vernetzen. Führungen ergeben sich temporär aus dem jeweiligen Thema. Eigentum ist der Besitz gegenüber gestellt. Arbeitende und Schaffende sind gemeinsame Eigentümer dessen, was zur Produktion des Notwendigen benötigt wird. Für mich ist es immer wieder unverständlich, wenn in Deutschland beim Thema Eigentum ein Aufschrei durchs Land geht. Als wenn ein Interesse daran bestände, jemanden seine Couch, den Fernseher oder den Kleinwagen wegzunehmen. Die wenigsten haben nennenswertes Eigentum. Weder gehört ihnen die Wohnung, die Fahrzeuge sind Eigentum der Bank, noch irgendetwas am Arbeitsplatz wirklich ihres. Sie verwechseln allzu häufig Besitz, also dem worüber sie zeitweilig verfügen mit Eigentum. In Deutschland steckt den Leuten der Staatskapitalismus der DDR im Nacken. Hier nochmals zur Erinnerung, Kommunisten marxistischer Ausrichtung, haben nichts mit Anarchisten gemein und standen sich mehrfach gewaltsam u.a. in Spanien und Russland gegenüber.

Anarchismus steht in einem engen Zusammenhang mit persönlicher Verantwortung und gegenseitiger Solidarität. Aktionäre, ein Management, welches den vorgenannten Rechenschaft schuldig ist, sind einer Belegschaft und der Region gegenüber nicht verantwortlich. Es macht einen Unterschied, ob ich mich an eine von oben her gegebene Vorgabe halte oder selbst den Erfolg und die Notwendigkeiten sehe. Nach der spanischen Revolution 1936 und den innerhalb von drei Jahren errungenen Erfolgen der Republik kann auch niemand mehr von einer Utopie sprechen, sondern muss die Möglichkeit akzeptieren. Nicht der Anaorchosyndikalismus scheiterte damals, sondern die Faschisten besiegten ihn militärisch, um die alte Ordnung wieder herzustellen.

Ich glaube, die wenigsten haben eine Vorstellung davon, wer in der Geschichte alles selbst Anarchist war oder mit der Idee sympathisierte. Oscar Wilde, Émile Zola, George Orwell, Albert Camus, William Godwin (Vater von Mary Shelley (Frankenstein)), B. Traven (das Totenschiff), Tolstoi, George Orwell, u.a. (weitere hier) Diese Liste berühmter Denker, Literaten, sollte nachdenklich machen und die eine oder andere eingepflanzte negative Konnotation überdenken lassen.

 

Überall herrscht derzeit mehrheitlich das Irrationale, Individualismus und die Verantwortungslosigkeit. In den Ländern, wo historisch die Anarchisten zeitweilig die Geschicke bestimmten, herrschten Verhältnisse, die mit denen der aktuellen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland unvergleichlich sind. Dies brachte die Arbeiter zusammen, ließ sie solidarisch im Elend handeln und motivierte zur eigenen Weiterbildung. Weltweit betrachtet, existieren diese Verhältnisse durchaus noch, aber nicht in Deutschland. Ansätze sehe ich in den Quartiersmanagements und bei Einrichtungen, wie der Tafel. Hier findet eine Selbstorganisation unter Einbeziehung von Regierungsstellen statt. Dies entspricht ein wenig den Ansätzen der heutigen Spanischen Anarchosyndikalisten. In einem anderen Bereich gibt es Leute, die sich im Rahmen von Graswurzelbewegungen organisieren und Gruppen, die sich der Transformation zu Post – Kapitalistischen Lösungen verschrieben haben, die nebenbei, ganz im Sinne der alten Anarchisten, Alternativen zum Geldsystem anbieten.

Die Geschichte hat bewiesen, dass es gefährlich, wenn nicht sogar unmöglich ist, dem Kapitalismus und der damit einhergehenden Hierarchie auf der gesamten Breite die Stirn zu bieten. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass große Teile der Bevölkerung eine passende Konditionierung erfahren haben. “Diskussionen u. Debatten sind nett, aber am Ende muss einer den Hut aufhaben u. entscheiden.” Im Prinzip eine Kapitulationserklärung bzw. Armutszeugnis für den Homo sapiens. In einer Dokumentation über den Spanischen Anarchismus in Barcelona sagte ein Zeitzeuge: “Vieles war für uns völlig neu, zumal große Teile von uns keinerlei Bildung hatten und Analphabeten waren. Aber es ergab sich und funktionierte.” Ein entscheidender Punkt war dabei sicherlich, dass sie offen auf die Sache zugingen. Ähnlich sieht es mit dem Eigentumsbegriff aus. Bei Deutschen klingeln sofort die Alarmglocken und das Gespenst der Enteignung und Landreform spukt in den Köpfen herum. Dabei sind z.B. viele Gartenkolonien oder ganze Gemeinden “kollektiv/kommunal” organisiert, in dem größere Maschinen, die nicht alltäglich genutzt werden, allgemein zur Verfügung gestellt werden. Oder ich denke dabei an die Lastenräder, die sich jeder kostenlos mieten kann. Wer weiß, vielleicht bin ich zu pessimistisch.

Ergänzung 20.10./21:00 Uhr
Der spätere Sozialdemokrat Herbert Wehner, startete einst als Anarchist, sah aber keine Option mit dieser kleinen Gruppierung seine Ideale zu verwirklichen. Hieraufhin landete er im Sog der Kommunisten und musste diese Entscheidung teuer bezahlen.

Legalize it

shallow focus photography of cannabis plant

Lesedauer 6 Minuten

doctors smoke it
nurses smoke it
judges smoke it
even lawyer, too
so you’ve got to …
some call it tamjee
some call it the weed
some call it marijuana
some of them call it ganja
never mind, got to…

Bob Marley, Legalize it

Before this year’s German parliamentary elections, the legalization of cannabis was a topic of discussion, and consequently, it is now being debated again in public. The juvenile judge Müller has put himself in front of the movement. If a German judge is already standing up for something, it’s time to join in.

I have written an article about this in German. Since I know that acquaintances who do not understand German are also interested in this, I am trying to get a translation.

Drugs have accompanied humans since their existence. Consumption can even be observed in animals, primarily primates. All drugs affect the brain in some way and temporarily alter behavior, perception and body sensation. According to rather arbitrary criteria, starting around the time of the Opium War, some drugs were declared illegal substances while others remained legal. A Puritan movement in the USA, which went down in history as Prohibition, failed completely. Today, it remains the most striking example of the impossibility of banning drugs. Nevertheless, a drug war has been raging for decades, and users of illegal substances are persecuted by the police. A cannabis or pot smoker is fined for the active ingredient THC, while people who inhale the neurotoxin nicotine or drink the toxic liquid and liver poison ethanol have nothing to fear.

Other drugs, such as cocaine, heroin, once developed as medicine, ended up on the banned list. Again, there are various medicines that work identically, are gladly given by doctors, but do not cause the slightest offence. Heroin addiction is brutal and devastating. I do not want to question this at all. I just don’t understand why a person who is sick is forced into illegality, procurement crime and prostitution. Deterrence through punishment? If the condition of addicts is not repulsive enough, punishment will not change it.

During the war years of the Second World War, large parts of the German population were under the influence of Pervitin. “Panzerschokolade, Hausfrauen – Pralinen, Stuka – Tabletten” was the name given to the amphetamine. The drug was useful to the Nazis and thus allowed. With a certain sarcasm, this raises the question of whether this principle is still followed today. For example, it should be noted that cocaine has become accepted in all major cities. In nightlife, cocaine is as easy to buy as a beer. In the “better” bars, there is de facto no repression at all, while in a nearby park, dealers of small amounts are arrested. Cocaine also has a firm place in conjunction with another drug, alcohol. Being able to drink a lot of alcohol and still remain sane is a tradition in European culture. Cocaine reliably helps with this, which is why it has a lot of appeal in business circles and in the political scene. To someone with a trained view, the symptoms are not hidden in interviews and talk shows.

There is no human society without drugs and there never will be. So why are they banned? The decisive factor is how they are dealt with. If parents today don’t want to leave the education about drugs, their risks and in case of doubt about the best way to take them to a dealer, they have to do it themselves. On the contrary, prohibitions only arouse interest. The dealer issue has another effect in the context of illegality. Dealers are shrewd businessmen. They don’t have just one drug in stock, but a whole bellyful of substances. Adolescents who actually only wanted to smoke weed get small bags of pills, a few grams of heroin or cocaine. The taste of the forbidden can be very tempting. In this way, cannabis, for which there is no evidence that it makes heroin attractive, indirectly becomes a first-time drug. However, I have never met anyone since the age of 16 who did not drink alcohol before smoking cannabis.

If I follow the official statements of some police unionists and party representatives, they either really have no idea or they must have smoked really bad dope. For example, the tweets of Rainer Wendt (German Police Union) describe LSD or mushroom trips, but this has nothing to do with the effect of weed or hash smoked in moderation. I also don’t understand why the police unions let themselves be used by the proponents of prohibition. They should rather think about the predicament they put a large part of their members in. The number of consumers alone gives an idea of how many of them are in the police service. And if you take a closer look at the working conditions, you’ll see that there are a lot more drugs involved. Anyone who assumes that only alcoholics are on the police force must be very naive indeed.

Two principles apply to drugs: It is not the drug that seeks the user, but the user seeks the one that suits him. From this comes the second principle. Show me which drugs are predominant and I will know how your society is organized. Some people push themselves up so that they can withstand the pressure to perform and are not left behind at speed, others can no longer stand it and decide to slow down. A lot has to do with the biochemical reward system of the human brain. Success, the praise, the goal scored, the jubilation, the promotion, the higher annual salary, the new car at the door, all this triggers a kick. But you have to do a lot for it, throw yourself into the hamster wheel (That’s what we call daily work stress in Germany) and the feeling is short-lived. With drugs like alcohol, cannabis, amphetamines, it’s easier and faster. None of this is healthy or passes the body without a trace. Incidentally, this also applies to the hamster wheel. Remarkably, the banned cannabis, of all things, carries fewer risks than nicotine or alcohol, both of which are cellular poisons. Some cry out at this point, “But they’ve found that it can cause psychosis.” Yeah, so what? Ever observed teenage hard drinkers? Spoken to them later as adults? Or seen children where the mothers abused legal alcohol during pregnancy? The topic of discussion is not: everyone should use drugs from now on at the direction of the health insurance company because it is so healthy. It’s about the lifting of a ban and the end of criminalization.

The discussion is long overdue. 2021 means that at least one generation of “stoners” will have reached retirement age and be approaching 80. Woodstock was in August, 1969! The old 68ers (a German student movement in the late sixties) are sitting in their retirement home smoking pot and still dreaming that something will change. So what? The slogan: “Don’t walk on the grass, smoke it!”, is also more than 30 years old. If cannabis actually had terrible consequences, we would have known it by now. Yes, it may induce a certain sluggishness or over-relaxed state of mind in some. But that’s more cliché than overwhelming reality. But anyone who uses it as an argument has already lost. I then quickly calculate what alcohol costs us. Traffic accidents, accidents at work, acts of violence, treatment costs, addiction consequences, crime, the list is long. As I said before, cannabis has long been widespread among the population. There is not an “evil” wave coming our way, it is a matter of adjusting the laws to reality, or better yet, correcting something that has always been wrong.

It’s no secret that the puritans, religious zealots, determine events in the USA from time to time. For a long time, there were no major problems with cannabis. Except maybe the fact that Mexican immigrants had marijuana in their luggage and were demonized with it. (North Africans/hash, Indians/hash, South Americans/cocaine, you know the drill.) Until Prohibition failed (among other things, they feared at the time that workers would lose their efficiency – and that’s not possible under capitalism!). The head of the Prohibition office was then unemployed in one fell swoop. But then Harry J. Anslinger started with massive propaganda attacks against narcotics, especially cannabis. I would not be surprised if he was advised by Edward Bernays, a very active propaganda specialist at the time. And who is surprised that already at that time there was talk about a “hatchet attack” of a teenager on his parents triggered by cannabis. This hardly ever happens in the USA. In 2021, there will be a new edition in the German media. However, the axe was exchanged for a knife. What follows after Anslinger is history, which everyone can read about.

Heroin and pot came to Berlin – West in the luggage of the Allies. They knew no other way to help themselves than to initiate criminal prosecutions. The consequences were horror. Child prostitution, dead pushers in train station toilets, corruption, destroyed families, misery, everything you can imagine. Only methadone brought relief. Already at the beginning of the 80s, weed was smoked at every party, in every youth club and high school playground. Later, with the techno movement, the amphetamine flood came along. As far as I have witnessed, cocaine then spread from the mid-80s via the red light milieu into the chic scene and was at some point everywhere. Fact: All the investigations, prison sentences, millions of hours, raids, observations, brought nothing but ruin.

The prohibition originates from a time when there was a dominant social group that held the belief that the citizen would be impressed by prohibitions. But these were also the ones with “No sex before marriage!”, “Onanism is harmful!”, “The doctrine of evolution is blasphemy”, “Homosexuality is dangerous”, i.e. the hardcore – version of the Junge Union (youth organization of the German conservative party CDU). I think legalization and a fundamental reformation of drug policy is the only feasible way and a logical reaction to reality. Some may think that there are more important issues. This then overlooks the fact that it is a domino that triggers many things in its wake. Probably some are afraid exactly of these consequences, because among others the loss of authority belongs to it.

Translated with the help of DeepL – Translate