Legalisierung

Vor der diesjährigen Wahl wurde die Legalisierung von Cannabis thematisiert und folgerichtig wird nun darüber erneut öffentlich diskutiert. Der Jugendrichter Müller hat sich vor die Bewegung gestellt. Wenn sich schon einmal ein deutscher Richter für etwas starkmacht, ist es Zeit mitzuziehen.
Drogen begleiten den Menschen seit seiner Existenz. Selbst bei Tieren, vorrangig bei Primaten, ist der Konsum zu beobachten. Alle Drogen wirken in irgendeiner Form auf das Gehirn ein und verändern temporär das Verhalten, die Wahrnehmung und das Körpergefühl. Nach eher willkürlich erscheinenden Kriterien wurden ab etwa der Zeit des Opium Krieges manche Drogen zu illegalen Substanzen erklärt, während andere legal blieben. Eine Puritanerbewegung in den USA, die als Prohibition in die Geschichte einging, scheiterte auf voller Breite. Sie ist heute noch das eindrücklichste Beispiel für die Unmöglichkeit Drogen zu verbieten. Dennoch tobt seit Jahrzehnten ein Drogenkrieg und Konsumenten illegaler Substanzen werden von der Polizei verfolgt. Ein Cannabis oder Haschraucher bekommt eine Strafe für den Wirkstoff THC, während Leute, die das Nervengift Nikotin inhalieren oder die toxische Flüssigkeit und Lebergift Ethanol nichts zu befürchten haben.
Andere Drogen, wie Kokain, Heroin, einst als Medikament entwickelt, landeten auf der Verbotsliste. Auch hier gibt es diverse Medikamente, die identisch wirken, gern von Ärzten verschrieben werden, aber nicht den geringsten Anstoß erregen. Die Heroinsucht ist brutal und vernichtend. Dies will ich gar nicht infrage stellen. Mir erschließt sich nur nicht, warum ein Mensch der krank ist, in die Illegalität, Beschaffungskriminalität und Prostitution gezwungen wird. Abschreckung durch Strafe? Wenn der Zustand von Fixern nicht abstoßend genug ist, wird es eine Strafe nicht ändern.
In den Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs standen große Teile der deutschen Bevölkerung unter dem Einfluss von Pervitin. “Panzerschokolade, Hausfrauen – Pralinen, Stuka – Tabletten” wurde das Amphetamin genannt. Die Droge war den Nazis nützlich und damit erlaubt. Mit einem gewissen Sarkasmus wirft dies die Frage auf, ob nach diesem Prinzip heute noch verfahren wird. Beispielsweise ist festzustellen, dass sich Kokain in allen größeren Städten durchgesetzt hat. Im Nachtleben ist Kokain so einfach zu kaufen wie ein Bier. In den “besseren” Bars findet de facto keinerlei Repression statt, während ein paar Meter weiter in einem Park Kleindealer festgenommen werden. Kokain hat auch in Verbindung mit einer anderen Droge, dem Alkohol, einen festen Platz. Viel Alkohol trinken zu können und trotzdem bei Sinnen zu bleiben hat in der europäischen Kultur Tradition. Kokain hilft dabei zuverlässig, weshalb es in Geschäftskreisen und in der politischen Szene viel Anklang findet. Jemanden mit geschultem Blick bleiben die Zeichen in Interviews und Talkrunden nicht verborgen.
Es gibt keine menschliche Gesellschaft ohne Drogen und es wird niemals eine geben. Also warum werden sie verboten? Entscheidend ist der Umgang damit. Wenn Eltern heutzutage die Aufklärung über Drogen, deren Risiken und im Zweifelsfall bezüglich der besten Einnahme nicht einem Dealer überlassen wollen, müssen sie es selbst tun. Im Gegenzuge wecken Verbote erst das Interesse. Die Sache mit dem Dealer hat im Zusammenhang mit der Illegalität noch einen weiteren Effekt. Dealer sind gewiefte Geschäftsleute. Die haben nicht die eine Droge vorrätig, sondern einen ganzen Bauchladen an Substanzen. Heranwachsende, die eigentlich nur mal Gras rauchen wollten, bekommen dort auch kleine Tüten mit Pillen, ein paar Gramm Heroin oder Kokain. Der Geschmack des Verbotenen kann sehr verlockend sein. Auf die Art wird Cannabis, bei dem es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass es Heroin irgendwie attraktiv macht, indirekt zur Einstiegsdroge. Allerdings ist mir seit dem 16. Lebensjahr noch nie jemand begegnet, der vor Cannabis – Rauchen nicht Alkohol trank.
Verfolge ich die offiziellen Statements einiger Polizeigewerkschaftler und Parteivertreter, haben die entweder tatsächlich keinerlei Ahnung oder die müssen echt übles Zeug geraucht haben. Zum Beispiel beschreiben die Tweets von Rainer Wendt LSD oder Pilz – Trips, doch mit der Wirkung von in Maßen gerauchten Gras oder Hasch hat das nichts zu tun. Mir hat sich auch nicht erschlossen, warum sich die Polizeigewerkschaften überhaupt vor den Karren spannen lassen. Wenn, dann sollten sie lieber überlegen, in welche Bredouille sie einen großen Teil ihrer Mitglieder bringen. Denn allein die Menge der Konsumenten lässt erahnen, wie viele davon im Polizeidienst sind. Und schaut man sich die Arbeitsbedingungen etwas näher an, stellt man fest, dass noch ganz andere Drogen eine Rolle spielen. Wer davon ausgeht, dass bei der Polizei nur Alkoholiker unterwegs sind, muss wahrlich sehr naiv sein.
Bei Drogen gelten zwei Grundsätze: Nicht die Droge sucht den Konsumenten, sondern der sucht sich die zu ihm passende. Hieraus ergibt sich der zweite Grundsatz. Zeige mir, welche Drogen vorherrschen und ich weiß, wie Deine Gesellschaft unterwegs ist. Die einen pushen sich auf, damit sie dem Leistungsdruck standhalten können und bei der Geschwindigkeit nicht abgehängt werden, die anderen halten dies nicht mehr aus und entschleunigen sich. Vieles hat mit dem biochemischen Belohnungssystems des menschlichen Gehirns zu tun. Erfolg, das Lob, das geschossene Tor, der Jubel, die Beförderung, das höhere Jahresgehalt, der neue Wagen vor der Tür, all dies löst einen Kick aus. Aber man muss viel dafür tun, sich ins Hamsterrad stürzen und das Gefühl ist nur von kurzer Dauer. Mit Drogen wie Alkohol, Cannabis, Amphetaminen, geht das einfacher und schneller. Nichts von alledem ist gesund oder geht am Körper spurlos vorüber. Nebenbei gilt dies auch für das Hamsterrad. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet das verbotene Cannabis weniger Risiken mit sich bringt als Nikotin oder Alkohol, die beide Zellgifte sind. Einige schreien an der Stelle auf: “Aber die haben festgestellt, dass es zu Psychosen kommen kann.” Ja, und? Schon mal jugendliche harte Trinker beobachtet? Die später als Erwachsene gesprochen? Oder Kinder gesehen, bei denen die Mütter in der Schwangerschaft legalen Alkohol missbrauchten? Das Diskussionsthema ist nicht: Alle sollen ab sofort auf Anweisung der Krankenkasse Drogen konsumieren, weil es so gesund ist. Es geht um die Aufhebung eines Verbots und dem Ende der Kriminalisierung völlig unbescholtener Mitbürger.
Die Diskussion ist längst überfällig. 2021 bedeutet, dass mindestens eine Generation “Kiffer” das Rentenalter erreicht haben und auf die 80 Jahre zugehen. Woodstock war im August, 1969! Die alten 68er sitzen kiffend im Altersheim und träumen immer noch davon, dass sich etwas ändert. So what? Der Spruch: “Don’t walk on the Gras, smoke it!”, ist auch schon über 30 Jahre alt. Wenn Cannabis tatsächlich furchtbare Folgen hätte, wüssten wir es längst. Ja, es mag bei einigen eine gewisse Trägheit oder überzogene Entspanntheit nach sich ziehen. Doch das ist mehr Klischee, als die überwiegende Realität. Aber wer damit zu Felde zieht, hat schon verloren. Ich rechne dann schnell vor, was uns der Alkohol alles kostet. Verkehrsunfälle, Arbeitsunfälle, Gewalttaten, Behandlungskosten, Suchtfolgen, Kriminalität, die Liste ist lang. Wie gesagt, Cannabis ist längst in der Bevölkerung weit verbreitet. Da kommt nicht eine “böse” Welle auf uns zu, sondern es geht um die Anpassung der Gesetze an die Realität oder besser noch die Korrektur von etwas, was immer falsch war.
Das in den USA immer mal wieder die Puritaner, religiösen Eiferer, die Geschehnisse bestimmen ist kein Geheimnis. Lange Zeit gab es mit Cannabis keine größeren Probleme. Außer vielleicht den Umstand, dass mexikanische Einwanderer Marihuana im Gepäck hatten und damit dämonisiert wurden. (Nordafrikaner/Hasch, Inder /Hasch, Südamerikaner/Kokain, man kennt das.) Bis die Prohibition scheiterte (u.a. befürchteten sie damals, dass die Arbeiter ihre Leistungsfähigkeit verlören – u. das geht im Kapitalismus mal gar nicht!) Der Leiter des Prohibitionsbüro war danach quasi auf einen Schlag arbeitslos. Doch dann startete Harry J. Anslinger mit massiven Propaganda – Attacken gegen Betäubungsmitteln, allen voran Cannabis, durch. Mich würde nicht wundern, wenn er dabei von dem zeitgleich sehr aktiven Spezialisten für Propaganda Edward Bernays beraten wurde. Und wen überrascht es, dass schon damals von einer “Beilattacke” eines Jugendlichen auf seine Eltern ausgelöst durch Cannabis die Rede war. Kommt ja sonst in den USA kaum vor. 2021, gibt es dann in den Medien eine Neuauflage. Allerdings wurde das Beil gegen Messer ausgetauscht. Was folgt ist Geschichte, die jeder nachlesen kann.
Heroin und Gras kamen nach Berlin – West im Gepäck der Alliierten. Man wusste sich nicht anders zu helfen, als Strafverfolgungen einzuleiten. Die Folgen waren der Horror. Kinderprostitution, tote Fixer auf Bahnhofstoiletten, Korruption, zerstörte Familien, Elend, alles was man sich vorstellen kann. Erst Methadon brachte Erleichterungen mit sich. Bereits zu Beginn der 80er wurde auf jeder Party, in jedem Jugendclub und Oberschulhof Gras geraucht. Später kam mit der Techno – Bewegung die Amphetamin – Schwemme hinzu. Soweit ich das miterlebt habe, verbreitete sich dann ab Mitte der 80er Kokain über das Rotlichtmilieu in die Schickeria und war irgendwann überall. Fakt: All die Ermittlungsverfahren, Haftstrafen, Millionen an Stunden, Razzien, Observationen, brachten nichts außer Verderben.
Das Verbot stammt aus einer Zeit, in der es eine dominante Gesellschaftsgruppe gab, die die Auffassung vertrat, der Untertan würde sich von Verboten beeindrucken lassen. Dies waren aber auch die mit “Kein Sex vor der Ehe!”, “Onanie ist schädlich!”, “Die Evolutionslehre ist Blasphemie”, “Homosexualität ist gefährlich”, also die Hardcore – Version der Jungen Union. Ich halte die Legalisierung und eine Grundlegende Reformation der Drogenpolitik für den einzig begehbaren Weg und eine logische Reaktion auf die Realität. Manch einer mag meinen, dass es wichtigere Themen gibt. Dabei wird dann übersehen, dass es sich um einen Dominostein handelt, der vieles nach sich auslöst. Vermutlich haben einige exakt vor diesen Folgen Angst.