Passives Twitter
In letzter Zeit habe ich mich immer häufiger gefragt, warum ich mir so etwas wie eine Social Media Plattform antue. Dabei ist es egal, ob es um Facebook, dem Hochglanzmagazin für die breite Masse oder das etwas rüder angelegte Twitter geht. Wie begann eigentlich alles? Ich erinnere mich, wie mich in den 90ern die Freiheit des Internets begeisterte. Ich zeichnete Cartoons und wollte die tatsächlich veröffentlichen. Hierfür fuhr ich extra quer durch Deutschland zu Verlagen und unterbreitete meine Zeichnungen. Ohne Erfolg! Dann meldete ich ohne viel Aufwand das “Trollhaus” an und lud meine ersten Zeichnungen hoch. Auch wenn es bei einem bescheidenen Erfolg blieb, sahen meine Zeichnungen plötzlich über 200 Leute. Wie ich später einmal erfuhr, kam ich bis in einen Deutschunterricht in Südafrika. Die Website wandelte sich. Von einem Spaßkonstrukt wurde daraus langsam etwas wie eine kritische Seite mit Bildern zum Thema Polizei und Weltpolitik. Mit dem letzteren Thema brachte ich es sogar mal zu einer Veröffentlichung in einer großen Deutschen Zeitung.
Als dann Facebook aufkam, sah ich eine Möglichkeit meine Figur “Kommissar Emmes” einem breiteren Publikum darzubieten. Doch dabei blieb es nicht. Zunächst anonym bzw. einem Alias – Account kommentierte ich aktuelle Themen und verstrickte mich in Diskussionen. Oftmals äußerte ich mich zu Dingen, über die ich mich in meiner beruflichen Funktion bedeckt hielt. Bis zu dem Tag, an dem ich etwas für mich Befreiendes tat. Nach 30 Jahren brachte ich meinen realen Namen mit meinem Gesicht ins Netz. Zuvor tat ich alles, um Beruf, Namen und Gesicht, zum Schutz meiner Familie und meiner selbst aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Stets hatte ich dieses, trotz eines politischen Sendungsbewusstseins vermieden. Ein bekanntes Gesicht hätte mich schlicht in Schwierigkeiten mit ungewissem Ausgang gebracht. Doch dieser Lebensabschnitt war nun vorbei. Bei Twitter verfuhr ich ähnlich und benannte meinen Account mit meinem tatsächlichen Namen: Andreas Trölsch. Für meine Psyche war das nach all den Jahren wichtig.
Im deutschen Twitter dauert es gar nicht lange, bis man auf die Leute trifft, mit denen man sich teilweise dienstlich auseinandersetzte. In meinem Fall u.a. die äußerst “Rechten” und dem Gegenpart “Links”. Beide glauben, dass sie nichts miteinander zu tun haben. Ich betone, dass ich nichts von der vom Verfassungsschutz aufgestellten sogenannten Hufeisentheorie halte. Aber beide Seiten haben eine Gemeinsamkeit, die sie nicht leugnen können. Sie wurden in Deutschland so oder so sozialisiert und sie sind Menschen. Psychologisch ergeben sich daraus einige kalkulierbare Aspekte. Ich habe die beiden politischen Richtungen bewusst in Anführungsstriche gesetzt. Es macht einen Unterschied, ob jemand intellektuell wirklich faschistoiden oder auf der anderen Seite, sozialistischen, kommunistischen oder anarchistischen Gedankenmodellen folgt, oder einfach gruppendynamischen Effekten unterliegt. Leute, die ein Miteinander, die Wärme einer Gruppenzugehörigkeit suchen, ein Umfeld zur Profilierung gefunden haben, dort ihre unter Umständen schlechten biografischen Erfahrungen abarbeiten können, finden sich überall. Wo sie landeten, ist mehr eine Frage des Umfelds, in das sie hinein geboren wurden, als tatsächlich das Ergebnis von Lebenserfahrung. Genau diese landen häufig bei Twitter und agieren in der Regel hochaggressiv, absolut jenseits aller Diskussion, verstricken sich in Debatten, innerhalb derer sie der Welt ihren “richtigen” Standort mitteilen wollen und der Welt den Kampf angesagt haben. Amüsant ist dabei, dass niemand wissen kann, wer da gerade mit wem in welcher Situation schreibt. Die Ehefrau, welche sich fragt, wie sie in ihr Leben geraten ist, kommentiert nach einer Flasche Rotwein den Tweet eines Patienten in einer Klinik, auf den wiederum ein Dozent einer Universität antwortet, der sein Outing verpasst hat, antwortet, und ein 16 – jähriger Gamer gibt auch noch seinen Senf dazu. Aber es gehört zu den Merkwürdigkeiten des Internets, dass die Leute dies alles nicht auf der Rechnung haben. Sie schauen auf einen Kommentar, basteln im Innern eine imaginäre Person und ereifern sich. Damit wird jeder Tweet zu einer ungewollten Selbstauskunft.
Lesen Sie dieses oder jenes; Du musst; es ist doch ganz klar; wird gefolgt vom Hilfeschrei eines betrunkenen Trauernden, der verlassenen Freundin, der Narzisstin, die alles, was ihr jemals geschah, auf ihre Hautfarbe zurückführt, bis hin zum Plattenbaubewohner, den die Gesellschaft im realen Leben niemals eine Chance gab. Ich schaue darauf und sage zu mir selbst: “Welcome back my friend!” Von alledem wolltest Du weg und nichts mehr wissen. Jemand, von dem ich glaube, dass er das Potenzial für einen wirklich guten Freund hat, selbst ziemlich weit herumgekommen ist, sagte letztens zu mir: “Warum tust Dir das an? Setz Dich in einen Flieger, wir campen eine Woche auf einer Insel am anderen Ende der Welt, mit Wasserfall, Quelle, versorgen uns mit Fischen, lassen uns mit dem Schiff Reis, Bier und Zigaretten kommen, und alles ist gut.” Ja, warum eigentlich nicht? Jüngere messen Dich nicht daran, was Du irgendwann mal in Deinem Leben getan hast, sondern an den Schlussfolgerungen, die Du aus Deinem Leben gezogen hast.
Weg von all diesen Spinnern, die sich täglich in die eigene Tasche lügen. Menschen, die nicht müde werden, jeden zu Toleranz, Empathie, ethischen Verhalten aufzufordern, selbst aber die Engstirnigkeit in Person sind. Weit weg von Menschen, denen zum Thema Freiheit lediglich Konsum, Bereicherung, Leistung, Erfolg, der Weber – Grill und das Einfamilienhaus einfällt. Und, Sorry, ich kenne das Spiel, am Ende läuft es auf Gruppendruck und Erlerntes hinaus, so wirklich frei ist man in einem besetzten Haus auch nicht, da ist vieles aufgesetzter Mist. Wir sind halt alle nur Menschen. Ob jemand wirklich lebt, was propagiert wird, zeigt sich, wenn sie oder er alt wird und immer noch die Haltung innehat. Oder wie es Rainer Langhans mal über Joschka Fischer sagte: “Sie wollen doch jetzt nicht wirklich den Dicken ins Spiel bringen?” Ich kenne Polizisten, die mehr die Idee der Freiheit eines “Rockers” leben, als Mitglieder der Hells Angels und im Gegenzuge Besetzer, die ziemlich gute Staatsdiener abgäben, wenn man ihnen nur die Chance gäbe. Am Anfang oder in der Mitte der eigenen Biografie kann man viel erzählen.
Social Media haben unterschiedliche Funktionen. In meinem Fall war es der pure Masochismus. Ich brauchte den täglichen Schlag auf den Kopf, dass es all die Menschen gibt, die ich mir nicht ausdenken kann oder vielleicht besser gesagt nicht wahrhaben will. Doch es gibt auch die asiatische Weisheit, dass jeder Mensch sich nur in anderen Menschen spiegeln kann. Damit meine ich nicht nur den Umstand, dass es nicht in der Macht von einem selbst steht, die auf der anderen Seite erzeugte Wirkung zu kontrollieren, sondern auch, dass einem die Andersartigkeit zeigt, wer man selbst ist. Wie soll eine/r erkennen, was Dunkelheit ist, wenn sie/er niemals das Licht gesehen hat. Wissen geht in der heutigen Zeit verloren. Dazu gehört auch das Höhlengleichnis von Platon. Die drei gefesselten Männer schauen auf die vorbeiziehenden Schatten an der Wand und halten sie für die Realität. Einer wird befreit und bekommt die Chance, das komplette Setting zu erkennen. Da gibt es Fackeln, reale Personen, die die Schatten erzeugen und all dies könnten die Gefesselten, zum Blick auf die Wand verbannten Männer nur mittels einer Gedankenleistung erfassen. Woher kommt das Licht? Was passiert, wenn Licht auf einen Körper fällt, usw. Kommt der befreite Typ zu den gefesselten Männern zurück und erzählt ihnen vom tatsächlichen Geschehen, ist er ein arroganter Vogel, der sich einbildet, es besser zu wissen. Willkommen im Leben!
Aber all das bringt nichts. Viel Freude bei der Auseinandersetzung mit einem großen Teil der Zeitgenossen über das Höhlengleichnis. Das bringt alles nichts. Entscheidend ist, welche Konsequenzen daraus für das eigene Leben gezogen werden. Twitter, Facebook, sind die Höhlenwand. Beschränkt sich jemand auf das in Deutschland erlernte Denken, sind dies Fesseln und Höhlenwand zugleich. Meine persönliche Entscheidung ist gefallen. Ich schaue auf den Social Media weiter zu, aber werde mich dort nicht mehr aktiv einmischen. Hier, der BLOG, geht weiter. Ich habe Anfang der 90er mit dem “Permanent Personal Record” im Internet angefangen und ziehe das jetzt durch. Wer Kommentare abgeben will, so wie es zuvor bei Twitter stattfand – bitte hier. Dann werde ich auch antworten.