3 April 2022

Das Primitive setzt sich immer durch, weil wir auf Droge sind.

Lesedauer 5 Minuten

Nichts schaltet den Verstand und die Vernunft so zuverlässig aus, wie Triebe und Sucht, wobei die Unterschiede sehr fließend sind.

Aus meinen Notizen

Sehe ich mir Dokumentationsfilme über unsere nächsten Verwandten, die Bonobos an, fasziniert mich jedes Mal die Ähnlichkeit im Verhalten. Es kommt mir vor, als wenn alles, was einem beim menschlichen Verhalten komplex und verworren erscheint, auf etwas Einfaches reduziert wird. Stelle ich mich längere Zeit auf eine Straße, setze mich in ein Café oder flaniere durch ein Einkaufszentrum, unterscheidet sich das Geschehen lediglich in Nuancen von dem, welches bei einer Horde Bonobos zu beobachten ist. Imponiergehabe, das Verhalten, die Körperhaltung der Männer, wenn sie auf andere Männer treffen, die Blicke der Frauen, die Bewegungen von Teilgruppen in der Menge, die Mimik, usw., usw. Oftmals springt es einen förmlich an. Wie sollte man das Formen des Körpers in Sportstudios anders interpretieren? Oder Leggins, mit denen aller Welt der Hintern präsentiert wird? Schminke, aufdringliche Parfüms, übermäßig ins Auge springender Schmuck, überdimensionierte Fahrzeuge, all dies sind affige Überbleibsel.

Die meisten Gesellschaften verfügen über feste hierarchische Strukturen. Fraglich ist immer, welche Charaktere mit welchen Mitteln ganz nach oben kommen und von dort aus über andere bestimmen können. Die einzig logische Methode dies herauszubekommen scheint für mich das Betrachten des Ergebnisses zu sein. In vielen Epochen war es ein wichtiges Kriterium, zu gegebener Zeit die richtigen Berater/innen um sich herum zu scharen und auch noch auf diese zu hören. Sie waren die “Tenzing Norgay’s” auf dem Weg nach oben. Alexander der Große hatte einen Aristoteles an der Seite. Was ihn, nach dem Stand der Dinge der Geschichtsforschung nicht an einigen Missetaten und Gräueltaten, hinderte. Die Stoiker, allen voran Seneca, warfen Aristoteles ein Scheitern auf der ganzen Linie vor. Laotze, Konfuzius, berieten ihrerseits chinesische Kaiser. Dies sind nur einige Beispiele aus der Antike. In der Moderne sind diese Berater augenscheinlich gegen sogenannte PR-Berater ausgetauscht worden. Wobei ich damit nicht den Herrschern und Herrscherinnen der Antike propagandistisches Geschick absprechen will. Alexander der Große war einer der ersten, der die Wichtigkeit der Ikonografie erkannte und überall Statuen von sich aufstellen ließ und sein Gesicht auf Münzen prägen ließ. Wer weiß, auf welche Ideen er heute käme. 

Ich glaube nicht, dass sich die Menschen früher so sehr von den heutigen unterschieden. Sie werden nicht schlauer und auch nicht weniger anfällig für Propaganda gewesen sein. Hierfür spricht einiges, was in der Geschichte passierte. Viel spannender finde ich, dass die Leute in den modernen Staaten von heute nichts dazu gelernt haben. Unablässig wiederholt sich der gleiche Mist. Ich bin in den vergangenen Jahren ein Fan von Star Trek geworden. Gene Roddenberry versteckte von Anfang an jede Menge Gesellschaftskritik. Eine Sache taucht immer wieder auf: Die lernende Menschheit, so als ob man sie in einem einzigen vereinen könnte. Auch wenn ich immer dafür bin, zu differenzieren. Nicht alle machen bei dem Wahnsinn mit. Viele haben gute Ideen und Ansätze. Und was können Indigene in Südamerika für den Kram, den die Leute in den Industriestaaten verzapfen? Aber ich denke, es ist klar, was gemeint ist. Die Lernfähigkeit der Bevölkerungen in den Industriestaaten ist unterirdisch. Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine erleben wir, dass der Lerneffekt der beiden Weltkriege gegen Null strebt und die Bevölkerungen der Industriestaaten es nicht vermocht haben, sich Führungen zu installieren, die sie vor der Wiederholung schützt. Keine göttliche Macht hat Typen wie Nixon, Johnson, Reagan, Charles de Gaulle, Franco, Busch, Idi Amin, Mao, Bokassa, und wie die Kriegsherrn, Diktatoren, selbsternannte Weltpolizisten noch alle hießen, an die Spitze gesetzt. Es gab schlicht keine entschlossenen Mehrheiten, die sie stoppten. Und auch ein Putin wurde nicht als Diktator geboren. Allerdings passt er in Hinblick auf das Primitive wie die Faust auf’s Auge. Wer lässt sich schon als halbwegs zivilisierter Mensch und politischer Anführer mit nackten Oberkörper auf einem Pferd ablichten? Macht-Freaks, die sich mit erlegten Bären oder Elefanten präsentierten, waren bereits grenzwertig, aber es gibt immer einen, der nochmal eins obendrauf setzt. Also, woran liegt es? Warum setzen sich Intelligenz, Charisma, Weisheit, nicht durch? Wenn jetzt jemand von mir eine Antwort erwartet, muss ich denjenigen enttäuschen. Ich hab keine! Ich habe da so meine vagen Vermutungen, mehr aber auch nicht.

Eins ist sicher. Die aktuelle Ausgestaltung des Kapitalismus ist auf eine Verblödung der Massen ausgerichtet. Vernunft, Verstand, werden zugunsten des Primitiven, der affigen Überbleibsel, ausgeschaltet. Ein gutes Beispiel kann derzeit jeder in Deutschland beobachten. Es gibt schlicht kein einziges rationales Argument für eine Autofahrt mit über 130 km/h. Alles darüber ist eine kostspielige Triebbefriedigung und irrational. Im Grunde ist das auch völlig OK. Jeder soll seine Triebe befriedigen, wie er will.  Allerdings haben wir uns auf Beschränkungen geeinigt. Wir untersagen zum Beispiel Pädophilen oder Vergewaltigern ihre Befriedigung. Grundsätzlich ist die Grenze dann erlangt, wenn andere geschädigt werden. Im Kleinen funktioniert dies ganz gut, bei den größeren Sachen schwächelt es. Beispielsweise ist es eine Form der Triebbefriedigung, in den Skiurlaub zu fahren. Wenn Schnee liegt und es die natürlichen Hänge hergeben, ist dagegen wenig einzuwenden. Liegt keiner und Schneekanonen kommen zum Einsatz oder ganze Landschaften werden mit Sprengstoff passend gestaltet, wird es eng. Es stellt sich dann auch die Frage, wie man einem brasilianischen Holzhändler untersagen will, den Regenwald niederzumachen. Immerhin ist er davon wirtschaftlich abhängig. Der deutsche Zahnarzt in einem der längst trocken gelegten Skigebiete wohl eher weniger. Bei Autofahrten sieht es nicht anders aus. Mit einem Tempolimit wird dem triebgesteuerten Fahrer der Spaß vermiest. Warum? Erstens, weil er unnötig Benzin verbraucht und damit anteilig die Sanktionen zur Bekämpfung eines Diktators unterwandert, zweitens die Luft mehr verpestet als es Not tut, und drittens denen, die vernünftig fahren, auf den Zünder geht. Es nervt einfach, im Rückspiegel ständig auf die heranfliegenden Spinner achten zu müssen. Die da hinter dem Steuer sitzen oder sich rüde in den Social Media äußern, sind bedauernswerte Opfer. Sie wurden nicht geboren und fanden nach dem Abstillen Geschwindigkeit, schnelle Autos und Kick geil. Das wurde ihnen von Leuten beigebracht, die an ihnen Geld verdienen. Ich schrieb es letztens schon: Ich war auch mal ein Junkey! Allerspätestens nach drei Wochen Urlaub, war ich auf Adrenalin-Entzug.

Ich glaube, ein Teil der Antwort ist: Wir sind auf Droge und werden bereits als Kinder angefixt. Unser Gehirn hat ein Belohnungssystem. Wir brauchen den täglichen Schuss in Form von Anerkennung, Bestätigung, Macht, Adrenalin, Konsum. Alle! Selbst unsere Dealer sind abhängig, die meisten wahrscheinlich noch mehr, als die Normalbürger. Aber welcher Abhängige kommt auf die Idee, den Dealer zu killen? Nur einer, der darin die Chance sieht, seine Position zu verbessern. Ich war mal eine Weile selbst auf Entzug. Die erste Zeit war geprägt von Rückfällen. Es war schwer, sich damit abzufinden, einfach nur zu sein. Noch heute überkommt es mich manchmal. Wie bei jedem anderen Süchtigen steigt bei mir der Druck, wenn ich wieder mit meinem alten Milieu in Kontakt komme. Richtig clean fühlte ich mich an Orten, wo die Leute weniger hart an der Droge hingen oder sich wenigstens anders ihre Dosis holten.

Wer mal mit klassischen Abhängigen zu tun hatte, kennt das Verdrängen des Rationalen. Und exakt diesen Effekt beobachte ich um mich herum jeden Tag. Ehrlicherweise muss man da meistens gar nicht weit Ausschau halten. In meinem Fall gibt es nichts, was mich davon abhält, bei Wind und Wetter noch eine Schachtel Zigaretten aufzutreiben. Doch dies ist eine offensichtliche Sucht. Auf die Allgemeinheit bezogen sind die subtilen Drogen, die auf das Belohnungssystem einwirken, in der Wirkung deutlich verheerender, zumal man sich ihnen kaum entziehen kann. Zu erkennen, dass etwas nicht stimmt, ist nicht schwer. Sprechen Vernunft und Verstand gegen etwas und alle machen es trotzdem, muss etwas anderes im Spiel sein. Dann kommen all die verqueren Argumentationen, Ausflüchte, wackligen Rhetorikfiguren zum Tragen.

Ich begann mit den Bonobos. Auch deren Gehirn steht unter dem Einfluss von Hormonen, die das Belohnungssystem mit sich bringt. Rein theoretisch ist unser Großhirn so weit entwickelt, dies bei uns zu erkennen und mittels der gegebenen Fähigkeiten die Ratio regulierend einsetzen könnten. Die meisten cleanen Drogenabhängigen, die ich kenne, haben mir gesagt, dass einem erfolgreichen Entzug die persönliche Bankrott-Erklärung vorausgehen muss. Davon sind wir noch weit entfernt. Noch besteht die Gier und wenig Interesse, etwas zu verändern. Und noch etwas anderes kommt hinzu. Ein Süchtiger erkennt den anderen Süchtigen! Die sich nach oben lanciert haben, haben stetig gedealt, um sich die eigene Sucht finanzieren zu können. Die wissen ganz genau, wie sie kleinere Pusher bei der Stange halten.


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Verfasst 3. April 2022 von Troelle in category "Gesellschaft

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