Auf Beobachtungsposten o. Alien Teil II

Unter der Überschrift In einer Bar mit Aliens beschrieb ich hier im BLOG schon einmal die Gesprächssituation mit einem Alien, dem ein humanoider Erdbewohner versucht, das Treiben auf der Erde zu erläutern. Doch ich denke, es bedarf keines Aliens. Der Versuch, alles einem Anführer eines indigenen Stammes im Amazonasgebiet zu erläutern, dürfte genügen. Wo sollte man anfangen? Es würde doch nichts bringen, gleich mit all den Kriegen, Diktatoren, Massengesellschaften, Nationalstaaten, Klimakatastrophen zu beginnen. Vielleicht gab es in der Geschichte der menschlichen Entwicklung tatsächlich den Zeitpunkt, an dem ein Stammesführer sagte: “Lasst uns gut überlegen, ob wir diesen Schritt gehen.” Dann spaltete sich die Entwicklung und manche gingen ihn und die anderen ließen es lieber bleiben. Letztens sah ich einen dreiteiligen Bericht über die Entwicklung des Kapitalismus. Die Urväter, allen voran Adam Smith, behaupteten vom Tauschhandel und der sich daraus entwickelnden Geldwirtschaft, eine natürliche menschliche Entwicklung. Anthropologen widersprechen dem bis heute vehement. Die Ausgangssituation sah anders aus. Die Menschen lebten in Gemeinschaften, in denen jeder beisteuerte, was gerade da war und zu dem die jeweiligen Mitglieder beitrugen, wozu sie fähig waren. Ich habe zwei Hühner und benötige ein Schwert, also tausche ich das eine gegen das andere, war eine europäische Idee, die exportiert wurde. Auch die Theorie, dass der heutige Kapitalismus seinen Ausgang in der Industrialisierung fand, ist mehr oder weniger widerlegt. Richtig Fahrt nahm alles mit der Entdeckung Amerikas, der Ausbeutung ferner Länder im Auftrag von Geldgebern und vor allem dem Sklavenhandel auf.
Ich müsste demnach einem Alien oder dem Stammesführer erst einmal die Notwendigkeit von der Abkehr der gemeinschaftlichen Bedarfsdeckung erläutern. Früher kamen Gemeinschaftsmitglieder von der Jagd zurück und teilten alles. Bei der Aufteilung wird es sicherlich Kriterien gegeben haben. Lebensalter, Frauen, Schwangere, Kinder, Jäger. Unter Umständen hat sich dies aber auch ganz einfach ergeben. Wo liegen die Vorteile, wenn jemand seine drei Fische verkauft, dafür so etwas wie Geld oder ähnliches erhält und dann in der Nachbarhütte neue Speere kauft? Vor allem: Welche Nachteile könnten sich daraus langfristig ergeben? Wäre man nochmals bei dieser Stunde Null dabei, wie würde man sich als modernes Mitglied eines Industriestaats dazu äußern?
Die Geschichte hat sich dahingehend entwickelt, dass Forscher aus Industriestaaten zu indigenen Völkern gehen und diese neugierig beobachten, weil sie die Ursprünge erforschen wollen. Wie wäre es andersherum? Was würde passieren, wenn die Beobachter entsendeten, die uns unter die Lupe nehmen? Bei uns wird von Entwicklung gesprochen und gemeint ist damit eine Verbesserung. Rein körperlich ist zwischen uns und den Indigenen nichts passiert. Sie verfügen über die identische Physis und geistigen Voraussetzungen. Entwicklung allein ist ein leerer Begriff, der nichts mehr bedeutet, als eine Transformation von einem Zustand in den nächsten. Also stellen sich die Fragen, woher wir kamen, wo wir gelandet sind und wohin es gehen soll. Und wenn wir eine Bewertung vornehmen wollen, müssen Kriterien bestimmt werden. Wir wissen mehr über die Zusammenhänge, die das Leben auf dem Planeten Erde ausmachen. Wenige Menschen unter Milliarden können unglaublich präzise Berechnungen durchführen und Vorgänge im Universum ableiten, die bei den meisten jede Vorstellungskraft sprengen. Es besteht ein umfassendes Wissen über körperliche Prozesse, den Aufbau und wie Krankheiten zu heilen sind.
Doch was passiert, wenn ich 30 durchschnittliche, deutsche Männer, Frauen, Kinder, Heranwachsende nehme und sie in einer Wildnis aussetze? Vielleicht würden sie nicht sterben, aber viel Moderne bliebe nicht. Das Mitglied einer modernen Industriegesellschaft ist nicht nur einzeln hilflos, sondern selbst als Gruppe kaum weiter als eine indigene Gruppe. Eher rückständiger, weil diese die wichtigen Sachen zum Überleben beherrschen. Wie ich es auch drehe und wende, gedanklich lande ich bei staatenbildenden Insekten. Ist dies ein Fortschritt in der Entwicklung? In den Grundanlagen ist der Mensch ein hoch entwickeltes Wesen, welches sich innerhalb der Massengesellschaften als Individuum weit unterhalb seiner Möglichkeiten bewegt. Nicht wenige verkümmern vollkommen und bräuchten in einer anderen Umgebung lange Zeit, bis sie wieder als Mensch agieren könnten.
Zu den bemerkenswerten Fähigkeiten des Homo sapiens gehören Beobachten und das Ziehen von Rückschlüssen. Aber beides ist nicht einfach, will gelernt sein, bedarf eines Trainings und setzt einiges Wissen über die Fehlbarkeit, die Beeinflussbarkeit des Großhirns und der Sinne voraus. Unter anderen wird dies in der Wahrnehmungspsychologie untersucht. Letztlich ein moderner Begriff für etwas, was Menschen seit tausenden Jahren praktizieren. Zum Beispiel tauschten griechische und römische Philosophen ihre Beobachtungen miteinander aus, ermittelten Gemeinsamkeiten und Unterschiede, und ersahen die Überschneidungen als eine mögliche Annäherung an die Realität. Sie taten dies, weil sie sich der Fehlerquellen bewusst waren. Die Beobachtung kommt lange vor der Bewertung und erst recht vor den Rückschlüssen. Ein intuitiver Fehler ist das voreilige Zusammenziehen von einzelnen Beobachtungen zu einer Geschichte. Einst war das mal überlebenswichtig, um sich schnell in Sicherheit zu bringen. Lieber einmal mehr eine falsche Kausalität erzeugt zu haben, als zwischen den Zähnen eines sich geschickt angenäherten Säbelzahntigers gelandet zu sein.
In unseren industriellen Massengesellschaften sind Wahrnehmungsfehler, das fehlerhafte Zusammenziehen des Beobachteten, die voreiligen Rückschlüsse, das darauf basierende Verhalten, zur Kultur geworden. Beispielsweise hören Leute auf den größten Dorftrottel, wenn seine Erzählung, in ihre eigene bereits bestehende innere Geschichte passt. Ich nehme mal die Pandemie und das Thema Impfen. Die Pharmakologie ist an sich erstmal nicht mehr als eine Wissenschaft, die von anderen ergänzt wird und vieles hervorbrachte. Rückblickend gehörten bereits die Heiler und Hebammen dazu. Auch die indigenen Völker verfügen über pharmakologisches Wissen. Ganz im Sinne des Kapitalismus ist die Vermarktung ein Geschäftsmodell. Während bei den Indigenen das Wissen unveräußerliches Allgemeingut ist, tauschen wir Wissen, Präparat, gegen Geld und machen es zu einem Teil des Markts. Im Ergebnis gibt es eine Pharmaindustrie, mit bezahlten Forschern, Herstellern, Aktionären usw. Allgemein wird davon ausgegangen, dass dies ein vollkommen logischer Prozess ist. Die Logik lautet: Wenn niemand Geld in die Forschung investiert, werden keine Medikamente entwickelt. In einem System mit Auflösung des gemeinschaftlichen Interesses ist dies korrekt. Was nicht bedeutet, dass dies in einem anderen System auch stimmig ist. Auf jeden Fall hat der Faktor Geld und Profit zu einigen Fehlentwicklungen mit konkret sichtbaren Skandalen geführt. Nun kommt der Fehler! Hat es mehrere Skandale gegeben, kann niemand sagen, dass die Angelegenheit Pandemie und Impfen nicht auch einer ist. Ergo ist davon auszugehen, dass alles eine Inszenierung ist. Folgt man dem, wären auch alle Herzschrittmacher, AIDS – Präparate, Blinddarmoperationen, eigentlich alle medizinischen Eingriffe, unter Umständen das Ergebnis einer Vorspiegelung falscher Tatsachen. Realistischer ist es, dass ein Dorftrottel mit seiner Story das Misstrauen bediente, welches sich aus einigen Skandalen entwickelt hat.
Aktuell sind die europäischen Gesellschaften und Politiker in den USA, Kanada, Australien, auf den Ukrainekrieg fixiert. Ich unterstelle einer Mehrheit der US-Amerikaner, dass sie von den Vorgängen noch nichts gehört haben. Ähnlich sieht es mit durchschnittlichen Asiaten, Indern, Pakistanis u.a. aus. Bisher wissen sie nichts davon, dass sich da möglicherweise ein Dritter Weltkrieg mit unabsehbaren Folgen anbahnt. Nicht einmal, wenn mit etwas Zeitverzug die Auswirkungen, wie Nahrungsmittelknappheit, Zusammenbrüche von Lieferketten, Finanzmärkten, ankommen. Wenn, dann werden dort vielfach eigene Erzählungen entstehen. Traditionell sind dort aufgrund von Erfahrungen an allem irgendwie die USA schuld. Selbst bei uns ist diese Erzählung weit verbreitet. Ob dies nun so ist oder nicht, vor allem im aktuellen Geschehen, ist nicht Teil der Beobachtung.
Aber wie könnte man dies alles dem erwähnten Stammesführer oder gar einem Alien erläutern? Da wäre erst einmal das komplexe System mit all den Verknüpfungen, Abhängigkeiten, Knotenpunkten und Endstellen, innerhalb dessen die Industriestaaten existieren. Man müsste irgendwie die innere Logik und die darauf basierenden Prozesse erläutern. Insofern dies überhaupt möglich ist. “Vor etwas mehr als 200 Jahren gab es zwei schottische Ärzte, welche aus ihrer Perspektive naheliegend, die Interaktionen von Menschen und die von ihnen gebildeten Gesellschaften als einen Blutkreislauf beschrieben. Dabei gingen sie zum einen von vollkommen falschen anthropologischen Voraussetzungen aus (was sie nicht wissen konnten), sie machten gedankliche Fehler, die schlicht dem damaligen Zeitgeist entsprachen, und sie wussten nichts über Klima, Schäden, die durch die Industrie entstehen und sie hatten keinen blassen Schimmer von den Folgen einer Verknappung an Rohstoffen und Überbevölkerung. Aber weil wir nun einmal sind, wie wir sind, haben wir immer weiter gemacht.”
Gleichzeitig müssten wir zugeben, dass innerhalb dieses Systems zahlreiche Kriege stattfanden und immer noch vorkommen, welche aufgrund des ungebremsten Vorantreiben der Weiterentwicklung zu immer mehr Zerstörungskraft der Waffen, ein Vernichtungspotenzial für das komplette Lebenssystem, also über das System der Industriestaaten hinaus, bekommen haben. Spätestens an der Stelle erwarte ich vom Stammesanführer oder dem Alien ein: “Seid ihr noch ganz dicht?” Eine Bewertung, die ihnen, aber nicht dem Beobachter zu steht.
Ich muss das System nicht interpretieren, analysieren oder an sich infrage stellen. An erster Stelle kommen die sichtbaren Beobachtungen. Es bestehen augenscheinlich komplizierte Abhängigkeiten, die es nicht möglich machen, ein Ereignis, wie den Ukraine-Krieg, zu isolieren. Mit den Naturwissenschaften kann nachgewiesen werden, dass das System der Industriestaaten zu einem bedrohlichen Anstieg der globalen Temperaturen führt, was wiederum ebenfalls nachweisbare Auswirkungen auf den gesamten Planeten hat. Weiterhin entstehen innerhalb des Systems von Menschen hergestellte Produkte, die die Lebenssysteme vergiften und zerstören. Parallel zum System der Industriestaaten bestehen weitere, die in Mitleidenschaft gezogen werden. Hinzu kommt, dass nur ein geringer Teil der Menschen innerhalb des Systems überhaupt wissen, wie die Zusammenhänge aussehen oder allein in der Lage wären, simpelste Maschinen zu bauen, geschweige denn eine komplizierte Sache wie einen Computer konstruieren könnten. Dies bedeutet, sie sind für das System entweder mehr oder weniger biologische Werkzeuge, wenn sie nicht eine rein verwaltete dahin vegetierende Masse sind, die nicht an der Gestaltung beteiligt sind.
Bei allem geht es nicht um ein, hätten wir dieses oder jenes getan, was könnten wir tun, sondern schlicht um ein: Das ist der Zustand! Danach gilt es diesen zu bewerten, ihn für schlecht oder gut zu befinden, sich für ein Beibehalten der grundlegenden Prinzipien zu entscheiden oder Änderungen mit neuen Maximen einzuleiten.
Ich kann mir in einem derartigen Gespräch noch eine ganze Menge mehr Fragestellungen vorstellen. Wie gesagt, es geht im Prinzip um einen zuvor entsandten Kundschafter oder bereits dort lebenden Informanten. Beim Entsenden besteht die Kunst darin, die richtigen Aufträge und Fragen mit auf den Weg zu geben. Wenn ich etwas über ein Lokal wissen will, weil ich dort demnächst essen gehen will, ist ein wiederkehrender Kundschafter, der mir lang und detailliert die Inneneinrichtung beschreibt, ziemlich wertlos. Beim Alien wäre es wahrscheinlich die pure Neugierde. Ich denke, ihn würde interessieren, warum von der gesamten Population der dominanten Spezies ein überschaubarer Anteil darauf versessen ist, den Planeten unbewohnbar zu machen und sich die Mehrheit nicht dagegen wehrt. Der Stammesführer wäre immerhin selbst betroffen. Wenn nicht er, dann wenigstens absehbare Folgegenerationen. Zynisch könnte man ihn darauf hinweisen, dass es mittlerweile zum System dazu gehört, nicht mitmachende Völker zu vernichten und sich in bester Gesellschaft befindet. Wenn ihm dies nicht gefällt, müsste er sich Waffen besorgen und den anderen den Garaus machen, womit er schnell den Weg der anderen beschreiten würde.
Dem Alien könnte auffallen, dass der Stammesführer und ein aktuell Krieg führender Putin einer Spezies angehören, somit alle grundlegenden Verhaltensweisen in beiden gleich angelegt sind. Die Befähigung zu einem Sozialverhalten, Kommunikation, Kooperation, Empathie, Aggression, Jagdtrieb, Fortpflanzungstrieb, Imponiergehabe, aber auch Verstand, Vernunft, finden sich sowohl als auch. Den Unterschied machen das System, die davon ausgehende Prägung und sich ergebende Möglichkeiten. Ich fände es spannend, einen Sentinelesen aus der Adaman-See oder Ayoreo, aus Südamerika zu fragen, ob er ein Interesse an einer Waffe hätte, mit der er auf einen Schlag die ihm bekannte Welt vernichten könnte. Oder wie er eine Nummer kleiner, eine Waffe beurteilen würde, mit der er auf große Entfernungen wahllos jemanden töten kann, den er noch nie in seinem Leben gesehen, gesprochen oder erlebt hat. Oder könnte ich ihnen etwas anbieten, was ihnen Annehmlichkeiten bieten könnte, aber für einige tausend Jahre vor sich hin strahlt und krank macht?
Ich glaube, ich würde dem Alien sagen, dass nicht meine Spezies an sich das Problem ist, sondern augenscheinlich ein spezieller Weg, den Teile eingeschlagen haben und durch die Organisation in Massengesellschaften, die im Aufbau gänzlich nicht dem entsprechen, wo die Spezies evolutionär steht, nicht mehr selbst die Dynamik stoppen kann. Einzelnen mag der Ausbruch gelingen, doch das ändert nichts mehr.
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