Die Logik des Habens

Lesedauer 8 Minuten

„Wir werden die Welt schon in Ordnung bringen! Wir sind ja schließlich keine Menschen!“

Oscar, Elefant

Die Konferenz der Tiere, Erich Kästner

Es gibt diese Sprüche, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Einer lautet: “Schließ mal Deine Augen, dann weißt Du, was hier alles Deins ist!” Zumeist ist es die Antwort für einen aufmüpfigen Teenager, der mit einer alterstypischen Anspruchshaltung auftrumpfen will. Aber ich finde, da steckt noch mehr drin.

Nichts zu haben, ist unserer Gesellschaft undenkbar. Wer nichts hat, ist auch nichts! Eben dies ist auch eine Botschaft an den pubertierenden Teenager. Gleich gefolgt vom Ausspruch: “Solange Du Deine Beine unter meinen Tisch stellst, wird hier gemacht, was ich sage.” Die Jungen sollen erst einmal arbeiten und sich damit etwas erschaffen. Ist ihnen dies erfolgreich gelungen, dürfen sie auch mitreden. In jene Richtung gehen auch all die Kommentare, welche zu den jungen Aktivisten abgelassen werden, die sich aus Protest gegen die zögerlichen bis hin ausbleibenden Maßnahmen zur Abwendung der bereits stattfindenden ökologischen Katastrophe. Neu sind solche Aussprüche nicht. Bereits in der Zeit der legendären 68er hieß es: “Sollen diese langhaarigen Gammler doch erst einmal arbeiten.”
Das Prinzip “Haben” infrage zu stellen, bringt einem schnell den Ruf eines gefährlichen Spinners ein. Selbst ganz große Künstler sind davor nicht gefeit.

Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world… You…

John Lennon, Imagin

Andererseits steht nirgendwo geschrieben, dass sich in unserer Demokratie Leute erst äußern dürfen, wenn sie etwas haben oder einer Arbeit im bürgerlichen Verständnis nachgehen. In den USA sieht es ein wenig anders aus. Ich bin immer wieder schockiert, wer dort alles nicht wahlberechtigt ist. Allerdings ist es historisch nachvollziehbar. Von Anfang an war die Verfassung darauf ausgelegt, dass nur Habende zu bestimmen haben. Die Gründer, vornehmlich vermögende Männer, hielten Habenichtse zum einen für unfähig und zum anderen für das eigene Vermögen gefährlich. Folgerichtig unterteilt beispielsweise Saul D. Alinsky die Einwohner der USA in Have und Not-Have. Immerhin ist es bei uns wenigstens gesetzlich festgelegt, dass mittellose Deutsche auf der gleichen rechtlichen Stufe stehen, wie alle anderen. Ob es tatsächlich der Fall ist, dürfte mehr als fraglich sein. Tatsächlich beginnt es bereits beim Rechtsbeistand. Objektiv betrachtet, sind die Chancen vor Gericht für Leute, die sich teure Honorare leisten können, deutlich besser. Nicht anders sieht es mit der Würde des Menschen aus. Wer wegen Krankheit oder Alter nicht mehr produktiv ist, verliert sie schnell in einem auf Profit ausgerichteten Krankenhaus oder Heim. An all die Mitmenschen, die keine Bleibe haben, über kein Konto verfügen oder sich illegal in Deutschland aufhalten, möchte ich beinahe nicht denken, doch so sieht nun einmal die Realität aus.

Schaue ich über die Grenzen hinaus, besserte sich in den letzten Jahrzehnten die allgemeine Situation für die Einwohner in den Industrieländern, während gleichzeitig der Abstand zu allen anderen Ländern größer geworden ist. Global gesehen, sind sie die “Not-Have”, womit sie auch wenig mitzureden haben. Gut zu beobachten ist das bei all den Klimakonferenzen und dem Tross der Konzernvertreter, die sich in den Windschatten ihrer Marionetten hängen. Die pure Existenz erzeugt keine Ansprüche, sondern es müssen Geld und Eigentum dazu kommen. Als Nebeneffekt sind Tiere und alle anderen Lebensformen aus Sicht des Menschen de facto ohne Rechte, denn sie besitzen nichts, sondern werden als Eigentum oder Besitz betrachtet. Wenn ich einem Bauern eine Kuh wegnehme, ist es ein Diebstahl und keine Entführung, bei der ich in ihre Rechte eingreife. Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch steht dazu im § 90 geschrieben:

Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.

§ 90, BGB

Was sich in niemanden Eigentum oder Besitz befindet, ist quasi wertlos. Ein Vertreter eines Konzerns hat diesbezüglich zum Thema Wasser einmal gesagt: “Sauberes Trinkwasser ist ein Gut. Und wenn daran keiner Eigentum anmelden kann, wird es auch nicht geschätzt.” Gut, gleiches könnte auch von der Luft behauptet werden und da die Sache mit dem Wasser immer mal wieder zur Diskussion steht bzw. im gewissen Sinne in mehreren Regionen Konzerne das Wasser als Eigentum betrachten, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass das bezüglich der Luft, konkret dem Sauerstoff passieren wird. Erst der Grund und Boden, dann das Wasser und zum Schluss die Atemluft.

Es gibt auch im Gegensatz zu früheren Zeiten keine ethischen Richtlinien bezüglich des Habens und dem Erwerb. Was nicht explizit von Menschen mittels eines Gesetzes untersagt wurde, ist erlaubt und darf praktiziert werden. Wie und unter welchen Umständen etwas hergestellt wurde, welche Folgen aus der Produktion resultieren, wer damit was anstellt, ist (l)egal. Seien es Waffen, ihre Einzelteile, die erst zusammengesetzt werden müssen, billige Textilien, elektronische Geräte, produzierte Energie, Speichermedien, geförderte fossile Brennstoffe, Nahrungsmittel, die die Zerstörung kompletter Ökosysteme bedingen oder die Misshandlung anderer Lebewesen, wenn es nicht in einem Gesetz geregelt ist, ist alles erlaubt. Und zwar dem Lebewesen, welches Erfinder des Habens ist. Das Lebewesen, welches sich selbst über alle anderen Lebewesen stellte.

In unseren Gefilden ist das Haben allgegenwärtig. Die Auswirkungen zeigen sich nicht ausschließlich beim eigentlichen Haben, sondern auch darin, wie die Mitmenschen mit allem umgehen, was ihnen nicht selbst oder offensichtlich jemanden gehört. Die Stadt Berlin ist vermüllt, wo das Auge hinschaut. Nur wenige kämen auf die Idee, ihre eigene Wohnung, Garten oder Haus als Mülldeponie zu benutzen. Wer schmeißt schon seine Zigarettenkippen oder Kaugummis auf den Boden des Wohnzimmers? Oder ich würde ungern die Reaktion meines Nachbarn erleben, wenn ich meinen Sperrmüll auf sein Grundstück ablege. Im Park, im Wald, bei schwer einsehbaren Ecken, ist das etwas anderes. Bei der Überlegung, dass auch das allgemeine Stadtgebiet jemanden gehört, nämlich der Allgemeinheit, somit auch u.U. dem Müllentsorger, steigen die meisten aus. Gleichermaßen sieht es mit dem Wasser und der Luft aus.

Wie auch immer es gedreht und gewendet wird, das Prinzip “Haben” hat uns nichts Gutes eingebracht. Es hat sich ergeben und wir haben uns dem hingegeben, aber das ist keine solide Argumentation dafür. Wenn Leute zum Beispiel behaupten, dass niemand ein Interesse an Forschung, Innovation u.ä. entwickelt, wenn es den Anreiz des Verdienstes und dem damit verbundenen Haben nicht gäbe, ist dies eine Bankrotterklärung bezüglich menschlicher Daseinsqualität der Bewohner von Industriestaaten. Empathie, Solidarität, Tatendrang, Verwirklichung wären damit ausgeschlossen. Was war zuerst da? Der Mensch, welcher sich nur aufrafft, wenn es etwas zu verdienen gibt oder der, welcher den Antrieb der Verwirklichung innehat? Ist nicht die zuerst genannte Version ein vom System dazu erzogener Typ?
In der Gesellschaft wird nicht die Lebensleistung honoriert, schon gar nicht, wenn sie keine monetär sichtbaren Folgen nach sich zieht, sondern eben was am Ende an Haben hinten bei herauskommt. Wie will ich die Pflegeleistung aus der Sicht eines oder einer Gepflegten mit Geld bewerten? Die Freundlichkeit, den gezeigten Respekt, den Erhalt der Würde, ein wenig Glück trotz Schmerzen? Sind Zufriedenheit, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, als Individuum erkannt und wahrgenommen zu werden für eine Transformation in Güter geeignet?

Ich schaue auf die sogenannte deutsche Nachkriegsgeneration. Teile von ihnen haben das nationalsozialistische Denken überwunden. Sie lernten, mit anderen Nationen in Frieden zu leben, alte Vorurteile abzubauen. Dank ihnen sind Deutsche nicht mehr die Barbaren, die weltweit gehasst werden. Es galt die Trauma ihrer Eltern zu überwinden. Während in den Zeiten davor alles Intellektuelle und Kulturelle, was nicht unmittelbar den Zielen der Nazis und davor dem Kaiser diente, unterdrückt wurde, setzten sich damit auseinander. Doch was bleibt im Sprachgebrauch? Wirtschaftswunder, die Trümmer beseitigt und alles wieder aufgebaut, ein eigenes Haus gebaut, Kredite abgezahlt. Das ist traurig und wird der eigentlichen Lebensleistung nicht im Ansatz gerecht. Nach und nach treten sie aus diesem Leben ab. Es gibt nichts mehr aufzubauen. Alles steht wieder! Doch damit es nicht langweilig wird, haben wir ja immer noch den Wachstumsgedanken. Panik bricht aus, wenn die Wachstumsraten stagnieren. Erste Wirtschaftswissenschaftler/innen warnen vor den sozialen Folgen. Erneut läuft es auf ein Armutszeugnis hinaus. Wahrscheinlich nicht einmal unberechtigt. Wenn ich Drogenabhängigen ihren Stoff wegnehme, werden sie aggressiv und wenden sich denen zu, die ihnen einen nicht enden wollenden Zustrom neuer Konsummöglichkeiten versprechen. An irgendeiner Stelle hätten kluge Menschen die Notwendigkeit einer Änderung im Denken erkennen müssen. OK, einige taten es, aber sie scheiterten an der Rhetorik der Dealer.

Im Buch “Haben oder Sein” beschreibt Erich Fromm ziemlich plastisch drei unterschiedliche Herangehensweisen. Er nennt einen Dichter, der über die Schönheit einer Rose schreibt, sie pflückt und sich erhofft, mittels Betrachtung und Untersuchung Erkenntnisse über das Leben, das Göttliche und die Zusammenhänge des Lebens zu gewinnen. Aber unter dem Strich tötet er sie. Ein andere nimmt eine unscheinbare Blume am Wegesrand wahr und beobachtet sie beim Wachsen, wie sie blüht, die Blüte vergeht und sie danach wieder von vorn beginnt. Als Letztes benennt Fromm Goethe, der die Blume ausgräbt, ihr einen idealen Standort spendiert und sich dort an ihr erfreut. Der erste Dichter verkörpert das Haben, die beiden anderen verfolgen Alternativen.
Die drei Beispiele verdeutlichen auch unser Verhältnis zur Welt. Wir wollen in Besitz nehmen, was nicht funktioniert, jedenfalls nicht ohne Zerstörung. Sprachlich wird von der Natur gesprochen, als wenn sie etwas von uns separat existierendes wäre. Doch wir sind ein Teil, insofern ist der Besitz in unserem Verständnis unlogisch. Genauso unlogisch wie Formulierungen, die lauten: “Mit der Natur leben!” oder “Die Umwelt schützen”. Sie sind Ausdruck einer Hybris. Es gibt keine Welt um den Menschen herum. Faktisch gibt es eine Welt, in der wir alle leben und von der sich jeder ein anderes Abbild, jeweils einen Teilausschnitt, ins Innere projiziert. Ebenso bin ich, jeder, ein verschwindend kleines, aber deshalb nicht unbedeutendes Teilchen, der Natur. Allein der Umstand, wie wenig politische Anführer/innen, selbst wenn sie eine philosophische Ausbildung genossen, darauf achten, lässt mich nicht mit der Überzeugung leben, dass sich etwas ändern wird. Erst recht nicht, wenn ich diese weltweite Ansammlung von Despoten, Ich -Darstellern, Neurotikern sehe. Ob einer/r von denen jemals schlafen geht und sich vor Augen hält, was sie, jenseits von Menschenleben, noch alles zerstört haben? Es ist Teil des Denkens von Menschen aus Industriestaaten, an die Zahl menschlicher Opfer zu denken. Indigene sind da anders unterwegs. Ich las von der Geschichte, in der ein Elefantenbulle zwei Stammesmitglieder töteten und NGO’s anboten, das Tier töten zu lassen. Der Stamm wollte das nicht. Sie wiesen darauf hin, dass Wilderer bei Rodungsarbeiten einen seiner Gefährten getötet hatten und er nun nachvollziehbar gereizt war.

Irgendwo war letztens ein Artikel, in dem ein Soziologe zur Überraschung der Verfasserin des Artikel meinte, dass der Mensch an sich ein gutes Wesen wäre. Ich las lediglich den Aufmacher, weil ich mir dachte: “Was denn sonst?” Gut und Böse sind ohnehin Produkte des Großhirns. Böse ist im Allgemeinen alles Schädliche. Wäre der Homo sapiens, der spärlich behaarte Affe mit trockener Nase von Anfang an schädlich gewesen, gäbe es uns schon lange nicht mehr. Indigene leben als Teil der Natur und betrachten die Erde als etwas, was ihnen zusammen mit anderen Lebewesen zur Verfügung steht. Sie reden dabei nicht von Eigentum! In ihrem Sinne hat der Homo sapiens eine ebenso wichtige Funktion, wie alle anderen Wesen. Wir, die Bewohner der Industriestaaten sind vorsätzlich, wissentlich, egoistisch, schädlich unterwegs. Wenn dies böse ist, soll es wegen meiner so sein. Zumindest fallen mir keine Rechtfertigungen oder Entschuldigungen ein.

In meiner Schulzeit gehörte das Buch von Erich Kästner, “Die Konferenz der Tiere” noch zum Standardrepertoire des Deutschunterrichts. Darin geht es um nichts anderes. Die politischen Anführer der industriellen Staaten werden quasi vor ein Tribunal gestellt. Bezeichnend ist dabei, dass Kästner die Tiere, Kinder als Druckmittel, verwenden lässt. Heute stehen die “Alten” vor ihren Kindern und werfen ihnen vor, dass sie als Jugendliche mit Smartphones, Markenklamotten zur Demo gehen und auch ansonsten recht kapitalistisch unterwegs sind. Eine Frage! Wer hat es ihnen vorgelebt, sie dazu geformt und zugelassen, wie ein System des Habens sie nach dem dem ersten Schrei eingliederte? Wie sagte mein Vater immer zu mir? “Scheiße bauen kann passieren, aber man muss dazu stehen!”
Der vermeintliche “Terror”, der angeblich von all den Aktivsten/innen, FFF, Extinction Rebels, Letzte Generation, ausgeht, ist nichts anderes als, mit dem berühmten Finger in der Wunde zu bohren und das Geschrei des Bürgertums, das laute Leugnen eines erwischten Kindes. Letztens fragte mich ein aktiver Polizist, wie viel ich denen durchgehen lassen würde. Ich lernte bei der Polizei etwas ziemlich Überzeugendes. Prüfe zuerst die sachliche und örtliche Zuständigkeit. Beides ist nicht gegeben. Doch ich kann für mich eine Prognose erstellen. Wenn es weltweit bei dem Kinderkram bleibt, werden sie nichts verändern. Und mich vor dem Hintergrund des Geschehens auf der Erde über eine blockierte Straße aufzuregen, wäre mir echt zu peinlich. Wenn schon, empöre ich mich darüber, dass sich die Alten nicht mit ihnen solidarisieren. Richtig dumm sind jene, welche kritisieren, dass die auf diese Art nicht ihre Ziele erreichen werden. Verstehe ich es korrekt? Die Verzögerung und Abmilderung der jetzt stattfindenden Katastrophe, bis wir eventuell doch noch die Reife erlangen, anders zu leben, ist deren alleiniges Interesse? Ah! Ich vergaß die Logik des Habens. Sie -haben- Interessen und müssen deshalb entsprechend agieren. Und die anderen -haben- andere Interessen. Verstanden! Äh, bedingt …

Mitnehmende Bücher

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„Der Unterschied zwischen Sein und Haben entspricht dem Unterschied zwischen dem Geist einer Gesellschaft, die zum Mittelpunkt Personen hat, und dem Geist einer Gesellschaft, die sich um Dinge dreht.“

Erich Fromm

Philosoph u. Psychoanalytiker

Es passiert nicht häufig, dass mich ein Buch derart in den Bann zieht, sodass es vermag mein Denken tiefgreifend zu verändern. Aber es passiert. Zum Beispiel geschah es beim Lesen des Buchs “Siddhartha – Eine indische Dichtung”. Seither las ich es mehrfach und bei jedem Mal las es ein anderer Mensch, in einem anderen Lebensabschnitt mit neuen Erlebnissen. Gleichsam beeinflusste mich Rupert Lay mit seinem Buch “Führen durch das Wort”. Jetzt gibt es ein Drittes. Bereits seit mehreren Jahren setzte ich mich mit den Aussagen von Horkheimer, Marcuse, Adorno und Erich Fromm auseinander. Leider ist es nicht ganz einfach deren Texte zu lesen. Bei einigen Philosophen frage ich mich stets, für wen sie ihre Gedanken niederschrieben. Allerdings gilt dies auch für einige andere Autoren. James Joyce ist einer dieser Kandidaten. Ja, der Mann war genial und ein Buch aus der Sicht der Protagonisten zu schreiben, wie im Ulysses geschehen, ist wahrlich ein spannendes Unterfangen, aber es raubt dem Leser den letzten Nerv. Oder besser: Meinen! Doch irgendwann konnte ich es abhaken. Bei Sartre packen mich Wutanfälle. “Hättest Du mir dies alles nicht bereits vor 100 Seiten in einfachen Sätzen sagen können?” Nun, es gibt Leute, die seine Bücher lasen und freundlicherweise Zusammenfassungen hinterließen. Hurra! Sartre hielt scheinbar nichts von Schopenhauer. Von dem stammt nämlich die Aussage, dass es keine Kunst ist, wichtige Dinge möglichst kompliziert zu beschreiben, sondern Kompliziertes möglichst einfach darzustellen. Und genau dies hat Erich Fromm im letzten Buch vor seinem Tod geschafft (1976). “Haben oder Sein”, von einigen auch als die Bibel der 68er bezeichnet.[1]dtv, ISBN 978-3-423-34234-6, in nahezu jeder Bücherei zu leihen. Ich will hier keine Rezension abliefern. Es gibt bereits genug davon und jede/r Interessierte kann sie nachlesen. Hier will ich kurz beschreiben, was der allererste Effekt war. Es geht darum, wie sehr unser Leben, Denken und Sprache von einem System welches auf Haben ausgerichtet ist, geprägt wurde, statt eines Seins. Wir eignen uns alles Mögliche an, obwohl dies genauer untersucht nicht funktionieren kann. Mir war nicht bewusst, wie weit das geht. Fromm bringt u.a. den Unterschied zwischen Angst haben und sich sorgen, ängstigen, befürchten. Es ist ein Prozess und keine Aneignung. Jedenfalls sollte dies nicht der Fall sein. Ähnlich sieht es mit Erfahrungen aus. Ich blicke auf Ereignisse zurück, vergleiche sie mit einem aktuellen Geschehnis und prognostiziere einen wenigstens ähnlichen zukünftigen Verlauf. Eine klassische Falle oder auch Denkfehler. Was sich in der Vergangenheit abspielte, war das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels diverser Faktoren. Nunmehr haben sich viele Parameter verändert und ob meine Prognose eintritt, ist stark von meinem Verhalten und meiner unbewussten Steuerung abhängig. Oftmals kommt es zu dem, was “self-fulfilling prophecy” genannt wird. Die Gefahr diesen Denkfehler zu machen, steigt immens, wenn ich Erfahrungen als einen unveränderlichen Besitz betrachte.
Zwar geht es bei Fromm um eine Systemkritik, ich sehe es als eine auf die Psychoanalyse gestützte Abrechnung mit all den Ideen, die im Zuge der Industrialisierung für das Zusammenleben von Menschen erdacht wurden, doch zog mich dieser Teilaspekt in den Bann. Ich las mir diverse Texte auf meiner Seite durch und erschrak, wie häufig ich dieser Sprache, der damit in Verbindung stehenden Praxis des Denkens, verfiel. Darauf auszuweichen, dass ich beim Schreiben ein Rooky bin, dessen Ausdrucksweise unter dreißig Jahren Einfluss von Amtsdeutsch leidet, entlastet mich dabei nicht.

Nein, ich bin in die Falle getappt und über Jahre hinweg nicht mehr herausgekommen. Die Aufgabe ist nunmehr einen Ausweg zu finden, oder um im Bild zu bleiben, einen Ausbruch hinzubekommen. Das ist gar nicht einfach. Mich erinnert dies an die Verwendung des Pronomen “man”. Daran vorbeizukommen ist schwer und auch nicht immer notwendig. Doch die Häufigkeit ist nicht nur überflüssig, sondern beschreibt ebenfalls eine gedankliche Struktur. Es ist viel einfacher, sich dahinter selbst zu verstecken, in dem der Redner, die Rednerin, sich mit dem allgemein Üblichen vor sich selbst und anderen rechtfertigt, ohne jemals einen eigenen Gedanken zu verschwenden (Man macht es halt so!), oder es liegt am Unbehagen konkrete Personen zu benennen. An der Stelle fällt mir eine Anekdote ein. Einer meiner Vorgesetzten besuchte ein Kommunikationsseminar. Dort wurde eben dafür sensibilisiert. Wieder bei uns, sah er sich genötigt, wiederum den nächst höheren Vorgesetzten bei jedem zweiten Satz darauf hinzuweisen. Der ließ sich das nicht lange bieten, unterbrach die Sitzung und klärte lautstark hinter einer verschlossenen Tür, für alle Anwesenden hörbar, die Unterstellungsverhältnisse. Dabei fiel prompt der Satz: “So etwas macht man mit seinem Vorgesetzten nicht!” Die Entgegnung lautete folgerichtig: “Man vielleicht nicht, ich schon!” Ganz großes Kino!
Hierauf zu achten, ist für mich eine echte Lebensbereicherung. Wer genau tut dieses oder jenes? Warum mache ich es auch oder unterlasse es? Von wem stammt eine Aussage? Gerade in einer Zeit, die von Manipulationen und Propaganda geprägt ist, finde ich das wichtig. Ich hoffe, eigentlich bin ich mir sicher, dass sich das mit dem Haben ähnlich gestalten wird.
Im Buch steckt noch viel mehr. Bei vielem war ich dankbar von einem renommierten Psychoanalytiker und Philosophen in meinem Denken bestätigt zu werden. Meinerseits eine absolute Leseempfehlung. Alles, was er dort schreibt, ist bedrückend aktuell. Gedacht war es 1976, vier Jahre nach Veröffentlichung des Berichts vom Club of Rome, als eine Aufforderung zum Ändern, bevor es zu spät ist und die Katastrophe, vor der wir nunmehr stehen, abzuwenden. Geändert hat sich nichts, alles entwickelte sich, wie er es voraussah. Vom Sein ist wenig übrig geblieben und das Haben, hat sich endgültig durchgesetzt. Bereits 1976 mühte sich sich Fromm damit ab, dem Lesenden vermeintliche Naturgesetze aus dem Kopf zu treiben. Vielleicht fällt es heute einigen im Angesicht der Auswüchse einfacher, seiner Logik und Praxis des Denkens zu folgen. Für Leute, die nicht offen sind und nicht bereit, den Schutt der vergangenen 45 Jahre aus dem Kopf zu schaufeln, ist das Buch nichts.

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 dtv, ISBN 978-3-423-34234-6, in nahezu jeder Bücherei zu leihen.

Mein Kumpel Sidi

Lesedauer 6 Minuten

Ich trage eine Kette mit einer Buddha-Figur als Anhänger. Deshalb werde ich immer mal wieder gefragt, ob ich Buddhist wäre. Ganz einfach ist die Antwort darauf nicht. Wäre ich einer, müsste ich nach den Regeln leben und davon bin ich weit entfernt. Da es im Buddhismus nicht so etwas wie eine Taufe gibt, damit man kein Heide ist, sondern sich letztlich alles über die Lehre ergibt, ist man meiner Auffassung nach, streng genommen, kein Buddhist, wenn man sich nicht daran hält. Ich weiß, dass das in keinerlei Hinsicht eine offizielle Sichtweise ist. Aber um meine Haltung ein wenig zu beschreiben, schildere ich mal, wie ich mich dem Buddhismus genähert habe.

Bei historischen Persönlichkeiten stelle ich mir stets die Zeit vor, in der sie lebten. Unter welchen Umständen verbrachten sie ihren Tag? Wie haben sie gewohnt, gegessen, getrunken, geschlafen? In was für Häusern lebten sie? Gab es Toiletten? Wie lange benötigten sie, wenn sie von einem Ort zum nächsten mussten? Außerdem sind mir die sozialen Zustände, das Gesellschaftswesen und noch einiges mehr wichtig. Gelernt habe ich dies von meinem Kunstlehrer. Wenn wir ein Bild analysierten, beschäftigten wir uns auch mit dem Maler und seinen Lebensumständen. Hat man vor Augen, dass z.B. ein Rembrandt stetig mit seinen Finanzen jonglierte, zeitweilig seine Kinder als Witwer durchbringen musste und deshalb neben den Sachen, die er wirklich malen wollte, auch zu Auftragsarbeiten und zur Ausbildung mittelmäßig talentierter Sprösslinge reicher Familien gezwungen war, erschließt sich, warum einige Gemälde nicht der Qualität entsprechen, die man von ihm kennt. Oder wie muss sich ein Michelangelo gefühlt haben, als er über vier Jahre hinweg, hockend und über Kopf malend, im Schein einer Öllampe die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle erstellte? In der Moderne ist es faszinierend, wie sich zum Beispiel ein Picasso durchs Leben schlug. Was muss das für eine Truppe gewesen sein? Jacob, Modigliani, Apollinaire, Picasso, alles junge Künstler, in einer Art WG, die im Winter zum Heizen Bilder von Picasso verfeuerten.

Ich sehe keinen Grund, warum ich mich in dieser Art nicht auch Philosophen, Religionsstiftern, nähern sollte. Bereits als ich das erste Mal mit dem Buddhismus in Berührung kam, verwarf ich für mich die Bezeichnung Buddha und betrachtete den Mann Gautama Siddhartha, welchem ich eines Tages den Kurznamen Sidi gab. Überträgt man seine Lebensgeschichte auf Heute, ergibt sich folgendes Bild. Er wuchs als Sohn einer vermögenden Fürstenfamilie auf. Aber ein indischer Fürst dieser Zeit lebte nicht in dem Prunk, den sich Mitteleuropäer wegen ihrer eigenen Vergangenheit vorstellen. Insofern dürften all die Geschichten, den nach Sidi vollkommen von der restlichen Welt abgeschottet im Palast aufwuchs, Legenden sein. Er wurde verwöhnt und musste sich nicht um normale alltägliche Arbeiten kümmern. Als Hindu und Angehöriger der Kshatriya-Kaste war es seine vorbestimmte Aufgabe für das Wohl der Gemeinschaft zu sorgen, politische Entscheidungen zu treffen und sich um die Armen zu kümmern.

Ich denke, die psychologischen Grundbedingungen beim Heranwachsen haben sich über die Jahrtausende nicht verändert. Damals war es üblich, dass sich die jungen Männer einen oder mehrere Weise suchten, bei denen sie eine Art Lehrzeit verbrachten. Sidi wird dies auch getan haben und setzte sich dabei mit seiner Herkunft auseinander. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Vater sonderlich begeistert war, als sich sein Sohn den Brahmanen anschloss. Mehr oder weniger mittellos auf der Suche nach Wissen in der Gegend herumzuziehen, klingt nicht danach, was sich ein Fürst von seinem Thronfolger erwartet. Mich amüsiert dabei die Vorstellung, wie er angeblich monatelang unter einem Baum meditierte und kaum Nahrung zu sich nahm. Andere gesellten sich zu ihm und lebten ebenfalls in Askese. Dann stand er plötzlich auf. “Sorry Leute, ich habe mich geirrt! Extreme sind nicht gut und bringen nichts. Ich gehe dann mal ordentlich essen, wasche mich und schau dann mal, wie es weiter geht.” Als Asket, der sich seinetwegen monatelang quälte, wäre ich ganz schön sauer gewesen.
Trotzdem brachte er es irgendwie fertig, eine Gruppe Zuhörer um sich zu scharen, denen er von seinen Ideen, Erkenntnissen und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen erzählte. Guru, Lehrer, Verführer, Menschenfänger, Anführer, Weiser, ich bin mir nicht sicher, was die richtige Bezeichnung ist. Ich denke, dass das stark vom Standpunkt des Betrachters abhängt. Heute würden sie ihn als gefährlichen Anführer einer Sekte bezeichnen. Eine Sekte innerhalb des Hinduismus, die zum Konsumverzicht, Bescheidenheit, Besinnung auf das Wesentliche, der Aufgabe von Bindungen jeglicher Art, fordert. Vornweg ein Obdachloser, der auf Kosten seiner Anhänger lebt. Der Umstand, dass er ursprünglich ein Hindu war, ist wichtig. Wenn er Gehör finden und sich nicht in Konflikte verstricken wollte, kam er an Zugeständnissen nicht vorbei. Daraus erklären sich einige Widersprüche, wie zum Beispiel die Diskriminierung der Frauen in einigen Ausrichtungen des Buddhismus und der Status der Mönche. Bhikkhuni, im übertragenen Sinne buddhistische Nonnen, müssen sich im südlichen Theravada-Buddhismus auch jüngeren Mönchen unterordnen, während sie in Taiwan, Korea und Vietnam eine große Gruppe stellen und als ebenso lange existent gesehen werden, wie die Mönche.

Soweit ich das mit meinem Wissen überblicke, hat vieles im praktizierten Buddhismus nichts mit den Worten oder Idee Sidis zu tun. Zum Beispiel wurde der erste Dalai Lama von einem mongolischen Khan eingesetzt, weil der eine politische Struktur in Tibet aufbauen wollte. Obwohl die Annexion Tibets durch China nicht in Ordnung ist, kann nicht ausgeblendet werden, dass sich zuvor der Adel, gestellt von den Lamas, nicht gerade im Sinne des Buddhismus aufführte. Der Dalai Lama ist auch nicht, wie es viele in Europa glauben, der oberste Buddhist, sondern spiritueller und politischer Führer einer Untergruppe, die nicht nicht einmal wirklich groß ist.
Für mich bedeutet dies in der Konsequenz, dass es um den “Roten Faden”, die innere Logik in seinen Worten bzw. seiner Anschauung geht. Mit der hat er viele beeindruckt. Nietzsche und Schopenhauer wandten sich dem zu, Hesse schrieb Siddhartha – Eine indische Dichtung, Freud, Jung und Fromm, nahmen seine Denkrichtung auf. Dennoch sieht unsere westlich industrialisierte Welt völlig anders aus.
Aber auch in buddhistischen Ländern vermisst man die Auswirkungen seiner Lehre. Überall wo ich bisher war, buddhistische Tempel oder Klöster besuchte, setzte ich mich eine Weile hin und hielt ein Zwiegespräch mit meinem imaginären Kumpel Sidi. Mal haben sie ihn zu einer Art Erlöser gemacht, einem, der bereits einmal aus dem “Nichts” zurückkehrte und die wahre Lehre verkündete, und von dem man erhofft, dass er es nochmals tut, an anderen Stellen (z.B. Ulan Bator) ist er zu einem Schutzheiligen geworden, der über die Stadt wachen soll. Mit seiner Lehre, in der jeder Bestandteil des Ganzen ist und damit jeder Teil dessen ist, was als göttlich bezeichnet wird, hat dies wenig zu tun. In Thailand wundert sich der Besucher über einen buddhistischen König, der völlig durchgeknallt ist und dekadent in Saus und Braus lebt. Wer das laut ausspricht, wandert auf dem direkten Weg im Gefängnis. Wenn es Mönche, Frauen und Männer, gibt, die den Buddhismus leben, muss man in die abgelegenen ländlichen Gegenden gehen. In Myanmar kann es selbst dort schwierig werden. Der hetzende Mönch Ashin Wirathu ist eine bizarre Erscheinung, aber sein Einfluss reicht weit. Ich hab mal eine Rede von ihm gehört. Auch wenn ich kein Wort verstand, war klar, worum es geht. Einpeitschen, Aufhetzen und Gewalt!
Würden in buddhistischen Ländern Buddhisten tatsächlich nach der Lehre leben, sähen sie vollkommen anders aus.

Doch ist das mit irgendeiner anderen spirituellen Lehre oder Religion anders? Laotse und Konfuzius wären mit Sicherheit nicht Freunde der chinesischen Kommunistischen Partei, Jesus würde beim Anblick christlicher Länder sofort beidrehen und im Iran, Irak, Türkei, sowie diversen anderen muslimisch geprägten Regionen liefe ein Mohammed vor Wut schnaubend in der Gegend herum. Dabei gab sich Sidi zu Lebzeiten wirklich Mühe. Wissend, dass Wörter missverstanden werden können, fand er für nahezu alle Ausführungen Bilder und Gleichnisse. Da gab es wenig dran zu deuten. Ihm ging es auch nicht wie Konfuzius oder Laotse um ein unerreichbares Idealbild, welches trotz der Unerfüllbarkeit anzustreben sei. Sidi hat den Leuten unter dem Strich gesagt, welche Folgen diese und jene Verhaltensweisen logisch nach sich ziehen bzw. welche Gedankenfehler einem unterlaufen können. Wenn die “Erleuchtung” oder wenigstens ein halbwegs positives Karma ein Klassenziel ist, dürfen sich nach seinen Vorstellungen diverse Leute nicht wundern, wenn sie noch einige “Ehrenrunden” zu drehen haben.

Für mich ist der Buddhismus ein wenig mit dem Kater nach einer durchzechten Nacht zu vergleichen. Man wusste ganz genau, wie man sich am Morgen danach fühlen wird. Dennoch mussten es noch fünf Bier mit drei Schnäpsen sein. Mit dickem Kopf schwört man sich, nie wieder Alkohol zu trinken oder wenigstens deutlich weniger. Ein Vorsatz, der bis zur nächsten Party reicht. Wer weiß? Im Palast wird es auch Gelage gegeben haben. Vielleicht ist auch Sidi dabei einiges aufgegangen. Im Prinzip geht es beim Konsum, dem Anhäufen von Besitz, dem Festhalten immer ums Belohnungssystem des Gehirns. Da setzen Alkohol und Zigaretten auch an. Am Ende muss man zugeben, dass Sidi im Grunde genommen Offensichtliches aussprach, aber einem der naheliegende Spaß wichtiger ist. Trotzdem hat der Bursche immer recht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er neben mir steht und sagt: “Kann man so machen, sieht dann halt kacke aus!”

Angst,Mut,Dummheit,Dekadenz

grayscale photo of explosion on the beach Lesedauer 5 Minuten

Angesichts des Ukraine-Kriegs wird in letzter Zeit die Warnung vor einer Ausweitung des Krieges bis hin zur Eskalation in einen Atom-Krieg als Angstmacherei bezeichnet. Die Angst würde zur Manipulation der Bevölkerung genutzt werden.

Zunächst einmal ist es völlig richtig, dass Angst ein starkes Mittel für die Manipulation ist. Andererseits ist die Angst vor einer Gefahr nicht ohne Grund Bestandteil der menschlichen Emotionen. Doch wie immer gilt es erst einmal sauber die Begriffe auseinanderzuhalten. Was ist Angst und was ist Furcht? Bei DUDEN – Online steht hierzu:

In den Wissenschaften, die sich mit menschlichen Gefühlen beschäftigen, vorrangig in der Psychologie, gilt nämlich Angst per definitionem als eine Emotion, die unbegründet und somit nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist. Sobald etwas Konkretes im Spiel ist, seien es Spinnen, Flüge oder Prüfungen, sprechen die Fachleute von Furcht.[1]https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Angst-oder-Furcht

Ich muss mich also entscheiden, welcher Sprache ich mich bediene, der allgemeinen oder der fachsprachlichen. Da ich kein Psychologe bin, bevorzuge ich die Umgangssprache. Ergo mache ich keine Unterschiede zwischen der Furcht und der Angst. Viel wichtiger finde ich es, die Gefahr genauer zu betrachten. Gefahren und ihre Einschätzung sind das alltägliche Brot der Polizei. Deshalb gibt es dazu klare Definitionen. Es gibt folgende Arten:[2]https://juliandrach.com/gefahrenbegriffe/

Konkrete Gefahr:
Eine konkrete Gefahr ist eine Sachlage,
– die bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens
– im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt.
Erforderlich ist also das Aufstellen einer Diagnose (der Feststellung der gegebenen Umstände) und einer Prognose (Abschätzung der Fortentwicklung des Geschehens).

Abstrakte Gefahr:
Sachlage, aus der nach allgemeiner Lebenserfahrung im Einzelfall konkrete Gefahren entstehen können.

Gefahr in Verzug:
Sie liegt vor, wenn unmittelbar gehandelt werden muss, um den drohenden Schaden abzuwenden, welcher ohne ein Einschreiten eintreten würde. Maßgebend ist hier die ex-ante Betrachtung, das sofortige Einschreiten muss dem Handelnden (meist Polizei, Ordnungsamt und andere Ämter) nach pflichtgemäßer Prüfung der Sachlage also erforderlich erscheinen.

Anscheinsgefahr
Eine Anscheinsgefahr, welche aufgrund des Grundsatzes der Effektivität der Gefahrenabwehr eine „echte Gefahr“ im Sinne der einschlägigen Gesetze darstellt, liegt vor, wenn bei der Betrachtung der Sachlage ex-post aufgrund besseren Wissens erkannt wird, dass die Gefahrprognose ex-ante falsch war. Frei nach dem Motto, man kann sich mal irren und hinterher ist man immer schlauer.

Putativgefahr
Eine Putativgefahr liegt vor, wenn der/die Handelnde/n den Sachverhalt ex-ante schuldhaft falsch einschätzte/n und daher das Vorliegen einer Gefahr trotz unzureichender Anhaltspunkte annahm. Dabei muss es einem durchschnittlichen Beobachter möglich gewesen sein, die Situation korrekt einzuschätzen. Im Prinzip der klassische Fall einer harmlosen Spinne, die ihr Leben lassen muss, weil ein kreischendes Etwas durch die Wohnung rennt.

Dringende Gefahr
Eine dringende Gefahr liegt vor, wenn ein bedeutendes Rechtsgut gefährdet ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit des baldigen Eintritts der Gefahr vorliegt.

Gegenwärtige Gefahr
Bei der gegenwärtigen Gefahr hat die Schädigung bereits begonnen.

Unmittelbare Gefahr
Hier besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie ein enger zeitlicher Zusammenhang.

Erhebliche Gefahr
Wie die Bezeichnung schon vermuten lässt, muss hier eine konkrete Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut bestehen.

Demnach wird denjenigen, welche vor der Möglichkeit eines Atomkriegs oder Ausweitung warnen bzw. sich darum sorgen, die Angst vor einer putativen Gefahrenlage vorgehalten. Nun, unbenommen verfügen die NATO – Mitgliedsländer und Russland über Atomwaffen. In einem Polizeieinsatz käme dies einem Straftäter gleich, von dem ich ganz konkret weiß, dass er in seiner Buchte Sprengsätze aufbewahrt. Also würde ich meine Vorgehensweise darauf abstellen. Jetzt könnte jemand um die Ecke kommen und behaupten, dass das ein total lieber, friedlicher Zeitgenosse ist und die Dinger als Dekoration herumzuliegen hat. Für mich hätte diese Aussage keinerlei Bedeutung. Die Gefahrenlage ist nach verständiger Bewertung konkret und erheblich, woraus sich eine berechtigte Sorge ergibt, dass der seine Spielzeuge zündet. Und weil ich auch noch Angst davor habe, werde ich passende Ausrüstung anfordern, die Umgebung räumen lassen und mir sehr genau überlegen, was ich tue.
Fraglich ist, ob die Gefahr unmittelbar ist. Tja, da scheiden sich die Geister. Ich persönlich finde den russischen Umgang mit der Kernenergie und Atomwaffen etwas arg unbekümmert. Die Sowjetunion testete innerhalb von 40 Jahren im Gebiet von Semipalatinsk, Kasachstan insgesamt 456! Atomwaffen (340 unterirdisch und weitere 116 oberirdisch)[3]https://thebulletin.org/2009/09/the-lasting-toll-of-semipalatinsks-nuclear-testing/. Nicht, dass die anderen Atomstaaten keine Tests durchführten, aber kaum jemand in der hohen Zahl direkt vor der Haustür. Jahrzehntelang entsorgten sie den Atommüll in der Arktis. In Folge des Klimawandels rächt sich dies gerade. Was Russland allerdings nicht daran hindert, die größeren Städte mit Meereszugang mittels schwimmender Atomkraftwerke zu versorgen. Augenscheinlich scheinen die weniger Respekt vor der Strahlung und den Folgen zu haben. Diese Haltung bedingt augenscheinlich eine niedere Hemmschwelle beim Umgang mit Radioaktivität. Ich finde, dies ist ein durchaus zu berücksichtigender Faktor. Auf all das Gerede bezüglich der russischen Einsatzdirektiven von Atomwaffen gebe ich nichts. Entscheidend ist nicht, was der Westen als Bedrohung definiert, nichts anderes als eine Einschätzung der Gefahrenlage, sondern wie ein Putin nebst Militär, Geheimdienst, darüber denken. Ein echter Joker kann hierbei die chinesische Regierung sein, die an solchen Eskapaden hat keinerlei Interesse hat.

Aber einfach alles beiseite zu schieben, frei nach dem Motto: “Ging bisher immer gut, wird weiterhin gut gehen!”, halte ich für dummdreist. Hierfür sind viel zu viele unbestimmbare Parameter im Spiel. Der wird schon nicht “zünden”, weil er unter Umständen dabei selbst draufgeht, ist keine belastbare Aussage. Die Angst vor einem Atomkrieg ist bedingt durch die Existenz der Waffen und den garantierten Folgen nichts Irrationales, sondern durchaus vernünftig. Nur sehr dumme Menschen kennen keine Angst. Sie lässt einen vorsichtig handeln und lässt einen nochmals alles bedenken. Ja, wenn sie fachsprachlich ohne jeglichen Beleg ist, dann wird sie problematisch. Aber davon kann im konkreten Falle nicht die Rede sein.

Mir scheint, ein paar ganz ausgebuffte Propagandisten haben einen kreativen Move gefunden. Die banale Erkenntnis, dass mit mit dem Appell an irrationale Ängste viel verkauft werden kann, wird manipulativ als Beschwichtigung eingesetzt. Das gleiche Prinzip wird beim Klimawandel verfolgt. “Lasst Euch doch keine Angst machen! Die Ökofaschisten wollen damit lediglich ihre Ziele durchsetzen.” Selbst bei einer oberflächlichen Betrachtung eine lächerliche Aussage. Ich muss nur schauen, wer ein größeres Interesse, vor allem finanzielles hat. Da stehen dann besorgte, mittelmäßig bezahlte Wissenschaftler und Aktivisten einem Milliardenmarkt gegenüber. Nein, die Propaganda ist darauf ausgerichtet, Angst vor rational denkenden Zeitgenossen einzuflößen, damit der Konsum beständig anhält.

Aktuell läuft alles auf die Parole “Die oberste Bürgerpflicht heißt Ruhe bewahren.”, hinaus. Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert[4]Ich habs nachgelesen. Nein, er ist nicht der Namensgeber für die Spandauer Schulenburgstrasse. prägte sie, nachdem Napoleon die Preußen geschlagen hatte und sich abzeichnete, dass der Kaiser nach Berlin vorrücken wird. Mich amüsiert dabei, dass er dabei ausgerechnet vornehmlich die Bürger meines Bezirks, die Spandauer meinte, wo Napoleon wenige Tage später die Zitadelle besetzte.

Einige Jahre später wurde die Parole ein Bestandteil der Geschehnisse um die Karlsbader Beschlüsse herum, weil die Monarchisten Angst vor einer Revolution hatten. Klappe halten, Ruhe bewahren und der Obrigkeit alles Weitere überlassen.

Fairerweise muss ich zugeben, dass es derzeit kaum Alternativen zu einer Beschwichtigung gibt. Was allerdings völliger Quatsch ist, geht mal wieder auf das Konto der Konservativen. Die schreien Zeter und Mordio, weil nicht genügend Schutzbunker vorhanden sind. Erstens lassen sich nicht Millionen sicher unterbringen und zweitens bringt das bei einer Atombombe alles nichts, außer vielleicht eine Verlängerung der Lebenszeit um wenige Tage. Mal ganz abgesehen von den weltweiten Folgen danach. Wer neugierig ist, kann sich unter dem Link hier ansehen, welche Auswirkungen eine Tsar Bomb 50Mt bei einer Detonation über Berlin hat. Aber vermutlich hat eine CDU-Clique oder FDP-Seilschaft gute Kontakte zu Anbietern privater Bunkeranlagen. Für einen schmalen Taler bekommt man schon für ca. 10.000,– EUR einen atomsicheren Schutzraum für das eigene Haus.[5]https://www.bunker-bssd.de/Schutzraum-Atomsicher.

Wie auch immer, diejenigen, welche anderen zum Thema unbegründete Ängste vor einem Atomkrieg vorhalten, gehen mir ziemlich gegen den Strich. Es sind die üblichen Kandidaten, denen alles schnuppe ist. Klimawandel gab es schon immer, die Natur erholt sich schon wieder, die Tiere aus der Massentierhaltung existieren lediglich, weil sie exakt zu diesem Zweck geboren wurden, an den Gesetzen des Kapitalismus kommt auch Putin nicht vorbei, es ging immer irgendwie weiter, … Ich mag auch keine Bedenkenträger, aber zu nassforsch ist keine Alternative, zumal sie diesen Dumpfsinn nur deshalb von sich geben, weil sie Angst vor Einschränkungen haben und merken, dass es langsam eng wird.

Das Ende von Kriegen

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Wann endet ein Krieg? Mit dem letzten abgegebenen Schuss? Wenn er endgültig nur noch in Geschichtsbüchern eine Rolle spielt? Oder die letzten Hinterlassenschaften bereinigt sind? Diese Gedanken und einige mehr anlässlich des 8. Mai.

Die Frage stellte ich mir bei Fotografieren des Panzers. Er steht in Ho-Chi-Minh-Stadt im Vietnam Kriegsmuseum. Dort kann sich der Besucher alle Perversionen ansehen, die sich Waffenkonstrukteure bis in die 70er einfielen ließen. Und vieles davon liegt oder hängt noch im Dschungel von Laos, Kambodscha und Vietnam herum. Besonders gefährlich sind die kleinen Bomben in Form kleiner Metallbälle, die von den Streubomben jeweils über das Areal eines Fußballfelds verteilt wurden. Kinder spielen damit, infolgedessen ihnen die Arme weggefetzt werden oder Bauern entweder Opfer werden, weil sie in einer Hütte über einem Blindgänger eine Feuerstelle errichteten, oder sie im Reisfeld bei der Arbeit darauf stoßen. In Bäumen hängen heute noch Minen mit Fühlern aus Draht, die von unvorsichtigen Menschen oder Tieren ausgelöst werden.[1]Auf der Seite des Cope Visitor Centers wird die “Wiedergutmachungsarbeit” dargestellt.http://copelaos.org/.

Was ist mit den Folgen in den Köpfen? All die Traumatisierten geben durch ihr Verhalten den Krieg an die nächste Generation weiter. Neue Feindschaften entstehen zwischen den Menschen, die dann auf anderen Schlachtfeldern ausgetragen werden. Oder wie steht es mit den anderen Hinterlassenschaften? Tausende gesunkener Schiffe aus dem II. Weltkrieg verrotten auf dem Meeresboden und die Tanks werden langsam marode, sodass eine gigantische Ölkatastrophe bevorsteht. Hinzu kommt die versenkte Munition, die nach und nach giftiges Trinitrotoluol (TNT) in die Meere abgibt.[2]u.a. hier nachzulesen: https://nomennominandumdotblog.wordpress.com/2021/05/22/und-das-meer-weinte-schwarze-tranen/. Im Krieg werden nicht nur Menschen getötet, sondern die gesamte Flora und Fauna gleich mit. So gesehen ist der Zweite Weltkrieg noch lange nicht vorbei. Es folgten Napalm, radioaktive Munition, Fassbomben, weiterentwickelte Phosphorbomben. Die letzten Schüsse mögen gefallen sein, aber der Krieg dauert an. Ich sehe da auch nicht die Richtigkeit eines Begriffs, wie Kriegsfolgen. Eine Vielzahl von Waffen wird dazu konzipiert, die Bevölkerung durch Verstümmelungen zu terrorisieren. Und wenn heute Kinder, Frauen und Männer von den eingesetzten Waffen verstümmelt werden, machen sie genau, wozu sie konstruiert wurden.

Aktuell wird davon gesprochen, dass Russland den Krieg nicht gewinnen darf. Was ist ein Gewinn? Das seitens Putin angestrebte Ziel? Wie auch immer es konkret aussehen mag: Ist die vollständige Zerstörung der Ukraine ein Gewinn? Oder geht es um die Kontrolle? Haben nicht längst alle verloren? Wir, die Ukraine, Putin, Russland? Ganz abgesehen von der menschlichen Katastrophe, die durch das aktuelle Kriegsgeschehen stattfindet, sind die Auswirkungen von einem bisher nie dagewesen Ausmaß. Der Krieg wurde zu einem Zeitpunkt angezettelt, an dem sich die Industriestaaten ganz anderen Problemen widmen sollten. Am zurückliegenden 4. Mai hatte Deutschland ein Tag vor Frankreich den Erdüberlastungstag. Ab jetzt lebt die Nation hinsichtlich der vorhandenen Erdressourcen auf Pump in der Zukunft.[3]https://www.t-online.de/nachhaltigkeit/id_92123660/erdueberlastungstag-von-heute-an-lebt-deutschland-auf-pump.html. Im Hinblick auf den Krieg interessiert dies aber niemanden ernsthaft. Anstatt das wir erst einmal mittels Aufarbeitung und Beseitigung die vorangegangen Kriege beenden, wird einfach weiter gemacht. Selbst die Atomkraft mit dem hinreichend bekannten Entsorgungsproblem gerät wieder in den Fokus. Die Big-Player Russland, China, USA, EU, zeichneten sich bereits in der Vergangenheit nicht sonderlich durch ein Bewusstsein für das ökologische Geschehen aus. Es erscheint mir wie eine hanebüchene Veralberung, wenn beim Fracking ein Chemie-Cocktail in die Erde gepumpt wird, während seriöse Brunnenbohrer die Auflage bekommen, Bohrlöcher zu Vermeidung einer Verseuchung des Wasserleiters mit Mikolit (Ton-Pellets) abzudichten. Ein wirtschaftlich zerstörtes Russland wird einen Pfifferling auf die Vermeidung von Emissionen, Einbringen von Giftstoffen und Müll geben. In der Sowjetzeit entsorgten sie ihren Atommüll in die Arktis.[4]https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/politik/klimawandel-arktis-atommuell-russland-100.html Dabei sollte auch nicht verschwiegen werden, dass eine Menge deutscher strahlender Müll nach Russland verschoben wurde. Frei nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Der Ukraine-Krieg wird sehr lange dauern. Im klassischen und im erweiterten Sinne. Mir erscheint es, als wenn die letzte Chance zum Abmildern der sich bereits zeigenden globalen Katastrophe, verursacht von den Industriestaaten (Klima, Armageddon der Arten, Verseuchung des Planeten, Burnout der Erdressourcen), pulverisiert wurde. Harald Lesch sagte einmal, es gäbe keine Alternative zum Prinzip Hoffnung. Aber worauf sollen ich und andere hoffen? Wer soll sich der Dynamik entgegenstellen? Da helfen weder stabile Demokratien, noch tun es einzelne Personen. Überall geht um es Handlungszwänge. Die oder der hat dies veranstaltet, hieraufhin müssen die reagieren und den nächsten Zug machen. Ich erinnere mich an eine Fahrt in einem alten Wartburg mit Lenkradschaltung. So sehr ich mich auch bemühte, ich bekam bei der Karre keinen Rückwärtsgang hinein. Jeder Versuch brachte mich einen Meter weiter in Richtung einer Wand. Irgendwann gab ich auf. Ich stieg aus und schob das Ding rückwärts. Glaube ich daran, dass alle aussteigen und gemeinsam rückwärts schieben? Eher nicht!

Es wurde viel über die NATO, zurückliegende Kriege, Manipulationen, etc., diskutiert. Dies sind alles nette Analysen und Spekulationen. Den meisten ist vorzuhalten, dass sie behaupten zu wissen, welchen Verlauf eine andere Entscheidung bewirkt hätte. Wenn es darum geht, dass die USA ebenfalls Dreck am Stecken hat, kann ich dem nur zustimmen. Aber was bringt uns dies weiter? Jetzt findet die einzige Realität statt und es gilt eine allumfassende Mobilmachung zur Bekämpfung der genannten Katastrophen einzuleiten. Wegen meiner soll die komplette Weltgemeinschaft Russland den Hahn zudrehen, danach aber bitte sofort weitere Handlungen folgen lassen. Zum Beispiel der Weltgemeinschaft die Möglichkeit zu geben, stante pede gegen jeden Abweichler konsequent vorzugehen. Dazu gehört auch die sofortige Abschaffung aller Atomwaffen. Wenn sich auch nur ein Schritt in diese Richtung abzeichnen würde, hätte ich Hoffnung. Doch spätestens, wenn dümmliche Moderatorinnen und Moderatoren fragen, ob man eine Ökodiktatur haben will, schwindet sie. Bei einer Diktatur gibt es immer einen oder eine Gruppe, die Vorteile daraus ziehen. In dem Fall ist es aber das komplette Ökosystem der Erde. Rein theoretisch ist vieles machbar. Aber leider setzen die Industriestaaten weiter auf Kriege, deren Fortdauer nach Einstellen der aktiven Kampfhandlungen und Grundstrukturen, die noch aus grauer Vorzeit stammen, welche stetig in neue Katastrophen münden.
Wir setzen auf eine Konstruktion, die nachweislich kontinuierlich unbrauchbare, schädliche Gülle ausspuckt. Aber weil es nicht sein darf, dass seit Jahrzehnten Irrwege beschritten werden, wird aus der Gülle per Interpretation ein herrlicher nützlicher Dünger, mit dem das Wachstum gefördert werden kann, welches uns das Heil bringen wird. Nichts da! Gehen wir auf dem Pfad weiter, ist Sense. Irgendwann gibt es einen Krieg zu viel und ich glaube, der Ukraine-Krieg ist es. Keine Ahnung, wie es anderen geht. Aber ich schwanke derzeit zwischen Resignation, hysterischen Lachen und Defätismus. Vermutlich ist es besser, mich der Fraktion anzuschließen, die sich mit allem abgefunden hat und sich an Volksbelustigungen wie modernen Gladiatorenkämpfen von Fußball, Football, Rugby, Leichtathletik, erfreut. Alternativ, sich über einen gefallenen Nationalhelden Gedanken macht, dessen einziger Verdienst darin bestand, einen 56 bis 59,4 Gramm schweren Ball über ein Netz zu schlagen.

Vielleicht hatte der Mann, den ich in einer Klinik traf, doch Recht. Er saß in der Sonne auf einer Mauer und sah einem Schmetterling zu. Dazu sagte er mir: “Wir beide haben so viel Dreck gesehen, es ist an der Zeit den Rest des Lebens mit den schönen Sachen zu verbringen. Wir dürfen uns herausnehmen und es den anderen überlassen.” Ich fragte: “Und wenn die sich nicht darum kümmern?” Als er antwortete, sah er nicht einmal auf. “Soll nicht mehr unser Thema sein. Wir haben unser Ding gemacht und dabei gelernt, was wirklich wichtig ist. Jetzt sind die dran.” Nun ja, die Tatenlosigkeit der anderen muss ich halt aushalten lernen. Dazu gehört auch, dass jede Menge Frauen und Männer, auch in meinem Umfeld, über Waffenlieferungen, Kampf, Krieg, Tod, sprechen, die nicht einmal eine Waffe in der Hand hielten, geschweige denn für irgendetwas ihr Leben ins Spiel geworfen haben. (Anmerkung 9.5.: Es sind im Zusammenhang mit Kriegen sehr unterschiedliche Menschen involviert. Die Waffenentwickler, die Produzenten, die Arbeiter, welche die Waffen herstellen, politische Entscheidungsträger, welche allgemein über den Einsatz entscheiden, eine Bevölkerung, die Soldaten ins Feld schickt und eben die letzten in der Kette, die tatsächlich töten. Es verhält sich, wie mit der Todesstrafe. Einer oder eine muss am Ende die individuelle Schuld/negatives Karma auf sich nehmen und töten. Nach meiner Lebenshaltung töte ich entweder selbst oder lasse es. Andere damit zu beauftragen, halte ich für eine schwierige Angelegenheit. Würden in Kriegen konsequent alle eine Waffe in die Hand nehmen müssen, sähe unsere Welt anders aus. Für meinen Teil kann ich sagen, dass ich ein- bis zweimal an der Schwelle stand, mit meiner Waffe jemanden zu erschießen, so wie ich mir auch nicht sicher war, lebend aus der Nummer wieder herauszukommen. Ein Scheißgefühl!)


Wo geht denn die Reise hin? Diese Frage würde ich mir stellen, wenn ich in der Ukraine in der Deckung stände.

Da, wo ich lebe, liegt alles in Trümmern. Freiheit? Wessen? Meine? Wenn ich mir hier die nächste Kugel einfange, habe ich nicht viel davon. Die Freiheit von Europa? Am Arsch! Es wäre mir so etwas von egal, ob diese dekadenten Vögel in Freiheit leben oder nicht. Fraglich wäre auch noch, ob wir unter Freiheit etwas Ähnliches verstehen. Wer gewinnt am Ende? Einige, die sich vorher und auch nachher eine goldene Nase verdient haben. Wie heißt es immer so schön? Totalitäre Staaten sind immer ein Problem von denen mit einer anderen Meinung. In Deutschland hat ein geringer Prozentsatz überhaupt so etwas wie eine Meinung, für die es wert wäre zu sterben. Der da drüben, der die ganze Zeit auf mich ballert, weiß vermutlich auch nicht so richtig, warum er das macht. Ja, diese und ähnliche Gedanken gingen mir durch den Kopf.
Böse, wie es klingt: Der Ukraine-Krieg hat sich zu einem Hype entwickelt. Was hat denn der “arme” Putin getan? Wie jeder andere ordentliche Anführer einer Großmacht wollte er sich im Schnelldurchlauf um einen abtrünnig gewordenen Vasallenstaat kümmern. Seit 1945 ist dies ein gängiges, akzeptiertes Gebaren. Nicht, dass ich dies sonderlich toll finde, aber bisher hat dagegen kaum jemand etwas gehabt. Also, was ist diesmal anders? Es ist ein europäischer Krieg! Da gab es auch schon andere und warum hat der jetzt eine Sonderstellung? Ist es dieser Effekt, der bei Flugzeugabstürzen auftritt? 150 Passagiere sind tot, aber glücklicherweise war kein Deutscher dabei. Russland entwickelt imperiale Züge! Auch nichts Neues. Dass die damalige Sowjetunion, später reduziert auf Russland, ein fieser Staatskapitalismus mit imperialistischem Charakter ist, wussten schon die alten ukrainischen Anarchisten (Machnowschtschina) um Nestor Machno, bevor sie von Trotzki gemetzelt wurden.
Es muss etwas anders sein. Aber was? Verstanden habe ich dies noch nicht. Russische Oligarchen sind plötzlich böse Menschen. Was waren sie denn vorher? Honorige Besitzer von Fußballvereinen und Yachten? Es soll doch tatsächlich eine mit dem Staat verwobene russische Organisierte Kriminalität geben. Wurde dies bisher vorteilhaft ignoriert? Überraschenderweise soll es gar ein Agentennetzwerk quer durch alle Industriestaaten geben. Plötzlich werden die alle verfolgt. Dem FBI wusste bereits lange vorher, wer sich da alles im Trump-Tower versammelte. Putins Kontakte zu den russischen Bruderschaften sind ebenfalls hinreichend bekannt. In den 90ern wurde von einer “Weißen Mafia” und einer “Roten Mafia” gesprochen. Erstere waren ordentlich gelernte Schwerkriminelle und die anderen schafften Staatsgelder außer Landes. Besonders die Gruppe “Jelzin” tat sich dabei hervor. 1998 war Russland zahlungsunfähig und sah sich genötigt, private Konten einzufrieren. Die Nummer haben sie auch schon durch. Ich will gar nicht fragen, was die Machenschaften der russischen Oligarchen wesentlich von denen aus dem Westen unterscheidet. Oder was ist mit Erdogan? Ich finde nicht den Aufhänger, was am Überfall auf die Ukraine besonders ist. Möglicherweise ist es der Punkt, dass die russische Armee in den ersten Tagen versagte. Dass sich die russischen Soldaten aufführen wie eine Soldateska darf zumindest niemanden wundern, der den Abzug der Russischen Truppen aus Deutschland beobachtete. Es ist nun einmal eine Armee, die aus gebrochenen, kaputten Typen besteht. Spätestens im Tschetschenien Krieg war alles klar. Hat aber auch niemanden gekümmert. Irgendwo hat die Nummer einen Haken. Egal, da draußen fliegen die ersten Schmetterlinge.