10.000 Dinge und ein Rucksack

Ich schrieb bereits über das Ereignis, welches ich nochmals aufgreifen möchte. Kaum etwas prägte mich in den letzten Jahren, wie die Tage auf einer Insel in einer kleinen Bambus-Hütte. Ich landete da nicht zufällig. Mein Inneres suchte danach und mehr oder weniger unbewusst näherte ich mich jeden Tag ein wenig mehr. Im Nachhinein kommt mir alles schlüssig vor. Bevor ich dort den ersten Tag nächtigte, schwirrten in meinem Kopf viele Schlagwörter und Fragen herum. Achtsamkeit, bewusstes Leben, Selbstbestimmung, Befreiung von Manipulationen, Rückbesinnung und die mich quälende Frage: „Was benötigst Du in Deinem Leben tatsächlich?“
Mir ist bewusst, dass das ein exklusives Erlebnis ist. Aus unterschiedlichsten Gründen können sich wenige einfach den Rucksack überwerfen und auf den Weg machen. Aber wenn nichts wirklich dagegen spricht, kann ich jedem empfehlen mal darüber nachzudenken. Es ist eine Option von vielen anderen.
Ein kleiner Vorlauf: Im Oktober 2018 entschloss mich, mit der Transmongolian Bahn von Moskau in die Mongolei zu fahren. Von dort reiste ich über China nach Südostasien, wo ich von Hostel zu Hostel zog. Bis es mich dann auf eine kleine Insel im Süden von Thailand verschlug. Eigentlich gab es zwei Hütten. Die eine bewohnte ich im Norden von Laos, inmitten einer Selbsthilfe-Organisation der indigenen Hmong. Rückblickend entwickelte sich unterwegs ein Prozess, innerhalb dessen die beiden Hütten zwei markante Punkte sind, welcher heute noch andauert.


Verlust, Verzicht, Notwendigkeit, Bedürfnis – Freiheit
An der erwähnten Frage hing mehr, als mir in dem Moment, in dem sie mir erstmals gestellt wurde, bewusst war. Wer ständig das Gefühl hat, etwas vorenthalten zu bekommen, ist unweigerlich frustriert. Indirekt ergibt sich auch die Überlegung, was man tun muss, damit sich dies ändert. Weiterhin erfordert die Antwort eine eingehende Analyse, inwieweit die Ansprüche ans Leben in einem selbst entstanden oder sie von den unterschiedlichsten externen Positionen suggeriert wurden.
In diesen Tagen wird in Deutschland viel über Verzicht gesprochen. Ein Despot versucht der restlichen Welt seinen Wille aufzuzwingen. Sein Plan beinhaltet unter anderen den seiner Analyse nach dekadenten im Überfluss lebenden Industriegesellschaften im wahrsten Sinne des Wortes den Hahn abzudrehen. Er geht davon aus, dass diese nicht ohne ihr luxuriöses Leben bestehen können und es zu Unruhen kommt, die wiederum politische Anführer dazu zwingen einzulenken. Nach anfänglichen Solidaritätsbekundungen bestehen gute Chancen für einen Erfolg. Seit 1945 versprach jede Regierung dem prosperierende Bürgertum eine Steigerung der Wirtschaftskraft und Mehrung von Eigentum. Solange sie dafür sorgten, wurde ihnen eine Generalvollmacht ausgestellt. Sie durften zum Einhalten des Versprechens mit jedem auf der Welt, inklusive Despoten, korrupten Regierungen, Verbrechern, lukrative Geschäftsbeziehungen eingehen. Bis heute war das ungefährlich, weil niemand die Idee verfolgte und über die Mittel verfügte, das eigene Land anzugreifen. Alle restlichen Folgen konnten stets mit ein wenig Makulatur übertüncht werden. Man zahlte Entwicklungshilfe, die mehr oder weniger wieder den Despoten zu Gute kamen oder nahm ein paar Flüchtlinge auf. Oder wie im Falle der Industrienation Deutschland geschehen, wurde an andere Geld überwiesen, damit die sich um die lästigen Folgen kümmern. Im gleichen Zuge praktizierten einige ein uraltes Ritual. Bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels wurde sinnbildlich ein Ziegenbock mit den Sünden des Volks beladen und in die Wüste geschickt. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte ist es bösartig, dass ausgerechnet die deutschen Juden selbst zum Sündenbock wurden, mit dem von den Nationalsozialisten innere Einigkeit hergestellt werden sollte. Nachdem die Gastarbeiter ihren Job erledigt hatten, übernahmen sie die Funktion des Außenfeindes, der die innere Einigkeit des Bürgertums wieder herstellte. In den letzten Jahren mussten die Flüchtlinge dafür herhalten.
Aus mir noch nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, passte den Industriestaaten das imperiale Gebaren Putins nicht ins Konzept. Ich denke, dass im Hinblick auf die von der Klimakatastrophe ausgelösten territorialen Veränderungen die Claims absteckt werden und sich Russland entgegengesetzt zu alten Absprachen zu weit bewegt. Darauf folgt wie im Wilden Westen die passende Antwort und ganz nebenbei kann auch noch von vielen Versäumnissen abgelenkt werden, die die uns bekannte Welt an den Abgrund bringt. Zeitenwende kann so oder so interpretiert werden. Für mich gab es eine Zeit des Handelns, die aus Gründen nicht für die notwendigen Weichenstellungen, sondern zum Stillen des gerade akuten Hungers, genutzt wurde und nunmehr eine, in der mit den Folgen des Unterlassens gelebt werden muss.
All dies betrifft eine Mehrzahl an Menschen. In der Hütte war ich alleine und betrachtete mich als Individuum, welches für einige Tage aus der Menge herausgefallen war. Jeder unterliegt dem Druck der Gesellschaft in der er oder sie lebt. Es ist eine Gruppendynamik auf oberster Ebene. Jede Gruppe entwickelt nach und nach ein Gruppendenken und eine Gruppenmoral. Das einzelne Mitglied macht dabei mit oder wird zum Außenseiter. Eine Rolle, die kaum jemand aushält. Meist finden sich die Außenseiter schnell zu einer neuen Gruppe zusammen. Das kapitalistische System ist perfekt darin, diese Gruppen zu managen. Kaum haben sich die Außenseiter zusammengefunden, werden sie analysiert und bekommen die passenden Produkte angeboten. Mit Plaketten, Motto-Shirts, vermeintlicher Underground-Kleidung, lassen sich Millionen verdienen. Freiheit, ist eins der vielfach verwendeten Stichworte in der sich selbst als solche getauften “Freien Welt”. Theoretisch ist es möglich sie zu erreichen, doch die meisten scheitern am dafür notwendigen Kraftaufwand. Über zwanzig Jahre arbeitete ich in Teams. In dieser Zeit lernte ich viel über die genannten Effekte. Gute Führungskräfte holen sich mindestens eine/n ins Team, die/der “anders” ist und geben der/demjenigen ausreichend Raum und Schutz. Wie frei eine Gesellschaft wirklich ist, zeigt sich daran, wie einfach es denjenigen gemacht wird, die vom Mainstream abweichen. Ich persönlich halte die Bezeichnung “Querdenker” für Humbug. Schaut man sie sich genauer an, sind sie letztlich die Starrsten in der ohnehin schon trägen Gesellschaft. Sie wollen, dass alles beim Alten bleibt und voller Hass reagieren sie auf jene, welche neue Wege gehen oder zumindest Veränderungen und die Notwendigkeit einer Reaktion erkennen. Veränderungen und Ereignisse zu ignorieren ist kein “Querdenken” im Sinne einer abweichenden Überlegung inklusive anderer Bewertung der Fakten. Eher würde ich dieses Verhalten freundlich formuliert als eine Angstreaktion bezeichnen und Angst, Stress, Panik, machen bekanntlich dumm, weil sie das Großhirn ausschalten.
Bemerkenswert sind auch die Reaktionen auf den “offenen” Brief, welcher in der Zeit mit dem Titel “Waffenstillstand Jetzt!” veröffentlicht wurde. Zwischen den Zeilen wird eine klare Sicht auf den Zustand der Welt ausgedrückt. Die industrialisierten Staaten handelten während ihrer gesamten Existenz noch nie nach ethischen Maximen. Wachstum, Wohlstand und Überfluss waren und sind die Ziele, für die alles geeignete unternommen wird. Insofern sind alle Bekundungen, dass es bei den Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine, der längst erweitert geführt wird, um ethische und moralische Aspekte geht, albern. Doch wer will sich dieser Tatsache stellen, wenn man es gewohnt ist, sich irgendwie ins rechte Licht zu stellen. Entwicklungshilfe, Befriedung von Failed States, Kampf gegen den Terrorismus, Hilfszahlungen, werden als kollektiver Altruismus verkauft. Selbstverständlich hat alles nichts mit der eigenen Wirtschaft, Ressourcenbedarf, Wohlstand, zu tun. Entsprechend wütend sind die Reaktionen auf den Brief. Krieg ist der ultimative negative Konfliktverlauf. Am Ende des Verlaufs steht der gemeinsame Sprung in den Abgrund. “Wenn ich schon sterbe, nehme ich noch ein paar meiner Gegner mit.” Wir stehen bereits nur noch mit einem Bein am Rand, das andere befindet sich über dem gähnenden Schlund. Wer den Konflikt verursacht hat, werden vielleicht mal die Überlebenden analysieren.
Verzichten kann ich nur, wenn ich eine Wahl habe. Mir ist etwas zugänglich bzw. steht mir zur Verfügung und ich nehme es mir oder ich verzichte. Benötigen, kommt aus einer anderen Richtung.
Entweder geht es um Gegenstände, die ich für erforderlich erachte oder mir widerfährt etwas, dem ich für mein Leben eine Notwendigkeit beimesse. Ich kann nicht auf Lebensnotwendiges verzichten. Tue ich es, werde ich zugrunde gehen. Etwas weniger gravierend wäre das Notwendige für eine Handlung. Steht es mir nicht zur Verfügung, werde ich keinen Erfolg erzielen. Dabei finde ich bemerkenswert, dass in Deutschland verzichtet werden kann. Logischerweise muss dann mehr vorhanden sein, als nötig ist. Nun gut, oftmals geht es nicht um das Lebensnotwendige, sondern jene Aspekte, die einen befriedigen oder glücklich sein lassen.
Sämtliche Bedürfnisse, die über ausreichend Nahrung, Trinken, sichere Obdach im Schlaf, vor der Witterung schützende Kleidung und soziale Kontakte hinausgehen, gehen über die Lebensnotwendigkeit hinaus, womit sie von unserer Haltung abhängig sind. Je höher ich die Latte hänge, um so mehr steigt die Wahrscheinlichkeit unzufrieden bzw. unbefriedigt zu bleiben. In Videos von Vera Birkenbühl[1]https://vera-birkenbihl.de/ lernte ich, wie wichtig es sein kann, sich Worte, vor allem wenn sie zusammengesetzt sind, genauer anzuschauen.
In [unzu]frieden und unbe[fried]igt geht es um den inneren Frieden. Demnach steigt die Chance hierfür, desto weniger un[nötige], also Bedürfnisse, die mich beim Ausbleiben der Erfüllung nicht in Not bringen, anmelde. Unsere Gesellschaft ist davon geprägt, dass bei uns mittels Manipulation alle paar Meter Bedürfnisse erweckt werden. Praktischerweise ist auch gleich jemand zur Stelle, der sie gegen Geld befriedigen kann. Oder es wird von Politikern*innen versprochen, dass sie uns im Falle einer Wahl glücklich machen werden. Ob sie dies tatsächlich bewerkstelligen können, ist unsicher.
Meistens stellt sich heraus, dass das ganze Gerede der Opposition rein desaströs angelegt war und ausschließlich der eigenen Wahl diente. Für alles andere müssten sie von der Grundlinie der Politik abweichen. Das System und der Aufstieg der industrialisierten Staaten basiert auf Gier. Ein ethisch korrektes Handeln ist darin nicht vorgesehen bzw. gar nicht möglich. Um den Rohstoffbedarf zu decken und geostrategische Vorteile zu sichern, müssen an Despoten, korrupte Politiker, Ausbeuter, Konzerne mit eher fraglichen Konzepten, Zugeständnisse gemacht werden. Robert Habeck musste kleinlaut einräumen, dass Qatar mit Sicherheit kein idealer Ressourcen-Lieferant ist, aber immerhin nicht Putin heißt. Ohne billige asiatische Arbeitskräfte, ausgebeutete Bergleute, die die notwendigen Rohstoffe für die Elektronik aus der Erde holen, Kriege, in denen bei uns produzierte Waffen oder ihre Bauteile verbraucht werden oder Länder, die rücksichtslos Erdgas, Erdöl, Rohstoffe, fördern, steht bei uns alles still. Hinzu kommt, dass das Dogma Wachstum nur über stetigen Konsum, Verbrauch, umzusetzen ist.
Ich schrieb, dass das Versprechen Glück lautet. Ist Glück an materielle Befriedigung gekoppelt? Für, Haus, Fahrzeug, Urlaub, Wohnungs- oder Hausausstattung, Gartengestaltung, exklusives Essen, muss gearbeitet werden und oftmals müssen Kredite herhalten. Die wenigsten produzieren etwas, womit sie sich identifizieren können. Alles Vergängliche ist halt eines Tages unbrauchbar, verbraucht oder plötzlich uninteressant, aus der Mode gekommen. Demnach lautet das Versprechen anders: Wir werden alle notwendigen Weichen stellen, damit eine Stabilität gebende Menge die Gier befriedigen kann und die weniger verdienenden nicht allzu hungrig sind. Bei den Liberalen heißt das anders. „Wir wollen Anreize schaffen, damit sich Leistung wieder lohnt.“ Letztlich eine Form der Dressur. Wer „Männchen“ macht, bekommt vom Dompteur ein Leckerli. Angeblich sollen Deutsche um die 10.000 Gegenstände besitzen. Das klingt erstmal sehr viel, kommt aber schnell zusammen. Ich wollte immer mal nachzählen, aber nach knapp 1000 gab ich auf. So oder so, es ist definitiv zu viel. Hingegen war der Inhalt meines Rucksacks, der mich immerhin durch Russland, die Mongolei, Laos, Kambodscha, Thailand, Malaysia begleitete, ziemlich überschaubar. Das meiste überflüssige war den verschiedenen Klimazonen geschuldet. Außerdem hatte ich für Notfälle ein kleines Zelt, Isomatte und Schlafsack dabei.

Armut, relative Armut, Reichtum, Glück, Überfluss, Dekadenz
Erst während ich an diesem Beitrag hier schrieb, fielen mir die Klippen dieses Beitrags auf. Ich lernte in der Vergangenheit, was es bedeutet, wenn der Monat noch sehr lang ist und das Konto nichts mehr hergibt. Ebenfalls kenne ich die Situation, wenn man den Kindern als Familienvater alles ermöglichen will. Was ich nicht selbst erfuhr, lernte ich in der Rolle eines Elternsprechers. Mich schockierte mehrfach, wie unmäßig die Forderungen gut situierter Eltern im Vergleich zu denen wirkten, die kaum die Schulbücher und Kleidung der Kinder zahlen konnten. In meinem Text könnte unbeabsichtigt die Botschaft gelesen werden, dass denen mit weniger unter Umständen etwas Gutes widerfährt. Weniger ist ziemlich relativ zu sehen. Ich denke, es gibt ein zu wenig und ein zu viel. Nicht ganz unerheblich ist dabei die Freiwilligkeit. Außerdem hängt vieles davon ab, was man für das Geld und all den Besitz leisten muss. Wie auch immer, die Gefahr der Arroganz ist immer gegenwärtig. Hierzu ein Beispiel: Die Kinder der Hmong können Dank der Einrichtung eine Schule besuchen. Sie verfügen über kein Papier, Ordner, Mitschriften oder ähnliches. Wie früher bei uns, schreiben sie auf Schiefertafeln, die am Ende wieder gesäubert werden. Sie spielen und reparieren teilweise mit Macheten Gegenstände, die bei uns auf dem Müll landen. Die Folgen sind eine phänomenale Merkfähigkeit und eine faszinierende Kreativität. Zur Geschichte gehört aber auch, warum sie dort sind. Ihr Volk unterstützte einst die US-Army im Vietnam-Krieg und fiel damit bei den regierenden Kommunisten in Ungnade. Dieser Krieg wurde, wie alle anderen Kriege, ebenfalls nicht aus den vorgeschobenen Gründen geführt. Die Kinder sind Waisen, weil ihre Eltern an bei uns lapidaren Infektionen verstarben. Trotz allem wirkten sie auf mich sehr glücklich. Armut, relative Armut, Genügsamkeit, Bescheidenheit, Reichtum, Glück, finanziell gut aufgestellt oder Überfluss, Dekadenz, sind in Anbetracht der Ungerechtigkeiten auf der Erde schwierig zu klärende Begriffe. Relative Armut? Welche Relation nehme ich? Die innerhalb eines Nationalstaats oder einer Region auf der Erde? Oder ist Armut nur dann gegeben, wenn nicht ausreichend zum Überleben da ist? Mit Sicherheit gibt es Millionäre, die sich für bescheiden halten, weil sie sich statt einer Villa ein gängiges Einfamilienhaus bewohnen. Andere sprechen von Genügsamkeit, wenn sie nicht jeden Tag Fleisch konsumieren oder einen Urlaub im Ausland auslassen und zur Ostsee fahren. Zu diesem Thema führte ich in Vientiane, der laotischen Hauptstadt, mit einem Australier und einem Inder einen interessanten Dialog. Beide verwiesen auf zahlreiche Beispiele, in denen Menschen mit dem, was in einem “reichen” Land wie Deutschland unter Armut läuft, ein sehr glückliches erfülltes Leben führen. Am Ende einigten wir uns darauf, dass wir bei einer globalen und philosophischen Betrachtung die nationale relative Armut verwerfen müssen. Viel wichtiger ist es, den Menschen an sich, tatsächliche Notwendigkeiten, die daraus resultierenden Bedürfnisse und die Folgen, welche sich aus der Übererfüllung ergeben, zu betrachten.
Mit weniger glücklich zu sein, ist bei uns in Deutschland nicht gerade populär. Ich erlebte dies einmal anders. Ein Vorgesetzter sagte dem versammelten Team: „Ich kann ihnen alles wegnehmen. Aber ich sage ihnen voraus, dass sie trotzdem herausfahren werden, im Zweifel mit dem eigenen Fahrrad. Warum? Weil sie für die Sache leben!“ Seine Worte kamen uns nicht wie eine leere Drohung vor. Von einem anderen hörten wir: „Immer wenn Sie mehr fordern, sollten sie mir zunächst beweisen, dass mit mehr Ausstattung auch bessere Arbeit geleistet wird.“ Eine perfide Rhetorik.
Der andere appellierte an ganz andere Triggerpunkte. Wir waren stolz darauf, mit wenig den maximalen Erfolg zu erzielen. Auch das passt ins aktuelle Zeitgeschehen. Ich hörte bisher von keiner/m Politiker*in: „Herr Putin, und wenn es noch so kalt wird und wir kein Gas haben, weichen wir nicht von unserer Haltung ab. Sie haben keine Ahnung, wie viel Jacken und Decken es bei uns gibt.“ Stattdessen ergehen sich alle in Beschwichtigungen oder Gejammer. Angeblich befindet sich Europa im Konflikt mit einem gefährlichen Despoten. Da passt es nicht recht, wenn der die Butter rationiert und alle schreien, als wenn es demnächst nicht einmal mehr Brot gäbe.
Ich denke, ein großes Thema ist die Ungerechtigkeit. Manche könnten durchaus mit dem zur Verfügung stehenden zufrieden sein, wenn nicht andererseits eine finanzielle Oberschicht im Übermaß lebte. Nach dem, was Verhaltensforscher bisher über Menschen wissen, ist uns der Gerechtigkeitssinn angeboren. Dazu gehören auch die negativen Verhaltensmuster gegenüber denen, die über mehr verfügen. Evolutionär ist dies recht zweckmäßig. Im Gegenzuge müssen die mit mehr bedachten ständig Begründungen finden, warum sie dies verdienen. Dazwischen schwingt immer noch der Zustand “glücklich”, der definitiv nichts mit mehr als notwendig zu tun hat. Inwiefern der Zustand mit der Verteilung korreliert, bin ich mir persönlich unsicher. Man kann die Ungerechtigkeit für sich selbst ausblenden, aber funktioniert dies auch, wenn man Menschen begegnet, die erheblich weniger als das Lebensnotwendige zur Verfügung haben, während sich andere für 500 Dollar ein Wässerchen gönnen, dessen irrer Preis über die mit Swarovsky-Steinen besetzte Flasche bestimmt wird?
Architekt des eigenen Lebens
Bis zur Zeit in der Hütte fühlte ich mich wie ein Flipperball, der von einer Bande an die nächste prallte und immer mal wieder einen neuen Kick bekam, der wieder zurück ins Spiel beförderte. Wahrscheinlich war das auch so. Aber nur, weil ich mich dafür hergab. Dass ich alleine der Architekt meines Lebens bin, war noch nicht zu mir vorgedrungen. Blicke ich zurück, tat ich das meiste, weil ich es von anderen übernahm. Ich erzog meine Kinder, in dem ich ihnen sagte und verdeutlichte, was mir als korrekt und richtig verkauft wurde. Es war ein gutes Gefühl, als Familienvater für eine Familie finanziell zu sorgen. Das streichelte mein Ego. Mit 20 Jahren lebte ich den Traum, dass man für eine Verbesserung der deutschen Gesellschaft lediglich die CDU/CSU, FDP, politisch in die Defensive drängen müsste. Der Rest würde sich dann nach und nach von alleine ergeben. Ich gebe zu, dass das ziemlich naiv war und diverse Faktoren aussparte. Doch ohne diese Haltung wäre es mir sicherlich nicht eingefallen, in den Staatsdienst zu treten. Da war dieser Glaube an eine eher sympathische Mehrheit in der deutschen Gesellschaft. Mit der Polizei stand ich nach meinem Dafürhalten auf der richtigen Seite. Meiner Vorstellung nach trat ich für die „Schwachen“ gegen die „Stärkeren“ an und verschaffte ihnen bei Ungerechtigkeiten Genugtuung. Wobei ich niemals ernsthaft über schwach und stark bzw. woher ich die passende Interpretation her hatte, nachdachte. Keinesfalls wäre ich auf die Idee gekommen, oftmals das willfährige Werkzeug der Macht, also der Stärkeren zu sein. Eine Menge hat das mit den unterschiedlichen Aufgabenbereichen der Polizei zu tun. Heute noch bin ich davon überzeugt, dass Skrupellosigkeit, Gewaltbereitschaft, Gier, Respektlosigkeit, Egoismus, einen starken Gegenpart benötigen.
Erfolgreich blendete ich dabei aus, wie stark ich dabei einem Wahrnehmungsfehler unterlag. Bei einem Räuber, der mit einer Machete eine junge Kassiererin in einem Drogeriemarkt bedroht, ist alles klar. Selbst wenn sich der Typ in einer Notlage befindet, rechtfertigt dies nicht die Traumatisierung der jungen Frau. Bei einem skrupellos handelnden Miethai, der das Gesetz hinter sich weiß, was wiederum andere Gierschlünde verzapften, sieht es anders aus. Ähnlich verhält es sich mit all den Leuten, die in die Politik gingen, um ihre Hybris gegenüber anderen auszuleben und sich in Lebensbereiche einmischen, in den sie nichts zu suchen haben. Schwierig sind all die Regeln, die uns im Leben begegnen. Mir fällt dabei spontan die Situation an einer Ampel ein. Leuchtet sie rot, darf man bekanntlich die Straße nicht queren. Eine durchaus zweckmäßige Regel. Doch wie verhält es sich mit dem Fußgänger, der nächtens an einer verwaisten Kreuzung steht? Kümmert er sich nicht um die Ampel, handelt es sich um einen Verstoß. Aber sie einzuhalten, erscheint nicht wirklich intelligent. Sie zu befolgen, wird zu einer Prinzipienfrage. Dazu gibt es einen netten Witz: „Stehen nachts in Bangkok zwei sich fremde Männer an einer roten Ampel. Sagt der eine zum anderen: << Na, auch Deutscher?>>“ In den letzten Tage schrieb ich einige BLOG-Beiträge zum Thema Cannabis. Warum sollte ich mich als Erwachsener irgendwo völlig alleine sitzend an das Verbot halten? Und was ist mit dem Polizisten, den es wider Erwarten doch in meine Nähe verschlagen hat? Wenn er alles richtig machen will, muss er handeln.
Ein weiterer Aspekt ist die Komplexität der Prozesse in man eingebunden ist. Es ist schwierig die eigene Rolle oder die Folgen der Handlungen einzuordnen. Was weiß der Buchhalter eines Konzerns darüber, welche Folgen seine Unterschrift nach sich ziehen wird? Vielleicht ist sie ein kleiner Baustein dafür, dass an einer fernen Stelle ein indigener Stamm von Söldner zusammengeschossen wird. Wenn man bereits einfach ermitteln kann, dass das eigene Handeln zum Bestandteil eines miesen Geschehens wird, ist vorher schon einiges falsch gelaufen.
Jeder halbwegs verständige und vernünftige Mensch weiß, dass es unklug ist, alles zu machen, was nicht verboten ist. Wer sich nicht umbringen will, kommt nicht auf die Idee aus dem Fenster zu springen, nur weil es nicht verboten ist. Um das Cannabis-Thema nochmals aufzugreifen: Das Essen von Pflanzen ist grundsätzlich nicht verboten. Jeder darf Tollkirschen, Fliegenpilze, Eisenhut oder Engelstrompete züchten und einmalig essen. Es gibt hierfür keinerlei Verbote. Hierfür bedarf es keiner Regeln, weil die meisten Menschen um die Schädlichkeit wissen. Aber warum folgen die Menschen Leuten, die nach dem Prinzip handeln: Alles, was nicht verboten ist, darf gemacht werden. Sollten sie nicht fragen, ob ihr Handeln sie selbst oder andere schädigt, unabhängig davon, ob es in einer Regel oder Gesetz verboten ist? Investmentbanker, Konzerne, Finanzspezialisten, Erdölförderer und diverse andere stellen genau diese Frage nicht. Nicht selten steht dahinter: Heute nützt es, schädlich wird es erst morgen und wer weiß schon, was in der Zukunft passiert.
Richtig kompliziert wird es, wenn man selbst zur Überzeugung kommt, dass sich die Gesellschaft in einer Art und Weise verändert, die ein größtes Unbehagen bereitet, und man in der Rolle des Polizisten ausgerechnet gegen die antreten soll, welche einem aus der Seele sprechen.
Allgemein wird Polizisten*in eine Neutralität abgefordert. So wie ich das sehe, funktioniert dies nur, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. In einer Schieflage muss sich der selbstbestimmte Mensch entscheiden. Das Dasein als Mensch steht weit über der des Polizisten. Abgesehen von der deutschen Geschichte, zeigt sich dies weltweit immer wieder. Seien es Cops in den USA, russische Polizeieinheiten, chinesische Polizisten oder wo auch immer, sie alle folgen einerseits einem beruflichen Ethos und anderseits werden sie unter Umständen die Handlanger von Schurken. In der sich aktuell abzeichnenden internationalen Lage muss sich jeder in dieser Tätigkeit und damit verwandten Berufen genau hinterfragen, wo er oder sie steht. Ich erinnere nochmals daran, dass weltweit Menschen verdursten, während sich andere für 500 Dollar eine simple Flasche Wasser einverleiben.

Vor den Tagen in der Hütte sah ich vieles, was mir dieses besagte Unbehagen bereitete. Der letzte Tropfen war ein Erlebnis auf einer griechischen Insel. Dort lief ich zunächst am Strand entlang und sah die Überreste von Schlauchbooten und überall im Gebüsch hingen Rettungswesten, zumeist in Kindergrößen. Danach schaute ich mir ein altes Gebäude an. Es stellte sich heraus, dass es ein altes Verwaltungsgebäude war. Der Innenhof des quadratischen Gebäudes versank im dunklen Schatten. Trotzdem war gut ein großer Haufen mit Schuhen zu erkennen. Neugierig sah ich genauer hin. Da entdeckte ich die Besitzer der Schuhe. Sie saßen dicht gedrängt auf dem Boden von Verliesen und schauten stumpf durch die Gitter. Ausnahmslos handelte es sich um dunkelhäutige Männer. Die Rettung wäre ein Kamerateam und ein Regisseur gewesen, der „Cut“ ruft. Dann wäre es eine Filmszene aus einem Historienfilm gewesen, in dem die dunkle Vergangenheit des Sklavenhandels aufgegriffen wurde. Aber nichts davon war gegenwärtig. Was ich da sah, war die bittere Realität und ich konnte nicht mehr sagen, dass ich nichts von alledem wusste. Aus einem anderen Land zu stammen, brachte mich auch nicht weiter. Immerhin hat Deutschland seinen Anteil am Geschehen. An diese Szenerie denke ich immer, wenn ich irgendwo diese widerlichen Kommentare von Landsleuten lese, in denen sie davon schreiben, dass man schließlich nicht die Welt retten könne. Dies berechtigt niemanden dazu, dieses anderen unschuldigen Lebewesen anzutun. Ich schreibe bewusst nicht Menschen, weil ich es auch bei anderen Lebewesen nicht vertreten kann und nicht zu den Humanisten gehöre, die den Homo sapiens ins Zentrum von allen Geschehen stellen.
Seither habe ich anderen Flüchtlingen aufmerksam zugehört und mir ihre Geschichten erzählen lassen. Mir ist das Stanford-Experiment bekannt und ich kann mir gut erklären, wie es zu verschiedenen Prozessen kommt. Doch ich bin nicht der Einzige und diverse Verantwortliche stünden in der Pflicht, den Effekten entgegenzuwirken. Tun sie es nicht, ist dies mehr als bedenklich und geht in die Richtung von Hannah Arendts „Die Banalität des Bösen“, die ich bereits bei der Komplexität und dem Buchhalter bemühte.
Ich hörte mir auch die Prahlereien der Täterseite an. Für mich sind sie am Ende auch nur Opfer eines sich immer mehr verselbständigenden Systems. Eins, in dem Habgier, Prahlerei mit toten Gegenständen, Ellenbogen-Mentalität, Rücksichtslosigkeit, Anspruchsdenken, Identifikation über Besitz und nationaler Zugehörigkeit, Körperkult, sowie die Betrachtung von allem als Produkt, gegenüber allem anderen favorisiert wird, wenn nicht sogar anderes Verhalten der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Das Werteverständnis ist vollkommen zu dem verschoben, was allgemein als Ethik bezeichnet wird. Ich kenne genügend Leute, die durchaus anders leben, doch im gleichen Zuge entgeht mir nicht, wie sie seitens Politiker*innen, Publikationen und Mainstream veralbert werden.
Hierzu gehören für mich alle Aktivisten*innen, die sich bei FFF, Letzte Generation, engagieren ebenso dazu, wie auch alle, die auf den Meeren Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten. Folgen diese Menschen ihrer Überzeugung, der nach vieles nicht verbotenes gemacht wird, was aber extrem schädlich ist, Menschen ertrinken zu lassen, ein Verbrechen ist, komme sie nicht daran vorbei, selbst Regeln zu brechen. All die Gegenkampagnen und Empörungen geben Aufschluss darüber, wo das Problem liegt. Fadenscheinig werden Schwangere, die nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gelangen, Rettungsfahrzeuge, die im Stau stecken bleiben oder Arbeitnehmer, die nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen, vorgeschoben. Ich weiß: Alles und jeder ist wichtig! Diesen Lebensmodus lebte ich selbst lange genug. Faktisch passiert überhaupt nichts, wenn jemand zu spät zur Arbeit kommt und eine nachvollziehbare Begründung vorbringen kann. Im schlimmsten Fall kommt es zu Verzögerungen. Meine jüngste Tochter wollte auch nicht warten und wir landeten im Stau, bis der Taxifahrer auf den Bürgersteig auswich, nur damit ich lernte, dass Kinder nicht herausfallen. Ich bin über 20 Jahre mit Sonder- und Wegerechten durch Berlin gefahren. Deshalb maße ich mir an, jedem/r schimpfenden Rettungswagenfahrer*in ein paar Fragen zu stellen, wenn er/sie nicht in der Lage ist, einem Stau auszuweichen oder kreativ die volle Straßenbreite zu nutzen. Was ist dies alles im Verhältnis zu dem, wofür die Aktivisten*innen kämpfen? Das Kind der Schwangeren wird keine angenehme Zukunft erwarten, wenn nicht umgehend etwas passiert. Die Lage ähnelt der eines Schülers, welcher bis kurz vor dem Abitur nicht lernte und sich drei Wochen vor den Prüfungen mächtig ins Zeug legen muss. Einfacher wäre es gewesen, kontinuierlich zu arbeiten. Aber drei Wochen vor Ultimo bringt ihn diese Lebensweisheit auch nicht mehr weiter. Da ist dann vorbei mit Party, Gaming und wichtige Probleme mit den Kumpels wälzen.
Zu Werten gehört die Betrachtung, was einem wichtig ist. In meinem Leben waren jede Menge Sachen wichtig. Rechtzeitig zum Tatort zu gelangen, eine Zielperson, die möglicherweise einen Terroranschlag plant, nicht aus den Augen zu verlieren, mehrere Kilogramm Rauschgift aus dem Verkehr zu ziehen, informiert zu sein, die E-Mails gelesen zu haben, die Steuer zeitgerecht abzugeben, den Dienstausweis oder die Schlüssel nicht zu verlieren, die Übergabe an das nächste Team, pünktlich trotz Übermüdung zum Dienst zu erscheinen, sich um die Probleme der Kollegen und Kolleginnen zu kümmern, usw., usw.. Als 2011 von Tim Bendzko „Nur noch kurz die Welt retten!“ veröffentlicht wurde, fragte ich mich, woher der Typ mich kannte.
Irgendwie bin ich spät dran
Fang schon mal mit dem Essen an
Ich stoß’ dann später dazu
Du fragst: „Wieso, weshalb, warum?“
Ich sag: „Wer sowas fragt ist dumm.“
Denn du scheinst wohl nicht zu wissen was ich tu
‘ne ganz besondere Mission
Lass mich dich mit Details verschonen
Genug gesagt genug Information
[Refrain]
Muss nur noch kurz die Welt retten
Danach flieg ich zu dir
Noch 148 Mails checken
Wer weiß was mir dann noch passiert
Denn es passiert so viel
Muss nur noch kurz die Welt retten
Und gleich danach bin ich wieder bei dir
Perfide Rhetorik
Vieles von dem, was ich oben schrieb, manifestierte sich in meinem Kopf, während ich dort in der Hütte meine Zeit verbrachte. Ich bin dankbar, dass ich die Lektion anders erteilt bekam, wie es vielen anderen widerfuhr. Trotzdem ist der Schaden groß genug. Im Nachhinein weiß ich es besser und vor allem habe ich gelernt, die wirklich wichtigen Dinge von anderen zu unterscheiden. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern und nur um das Verständnis bitten, dass ich es nicht besser wusste. Was ich damals noch nicht sah, waren die Folgen für den weiteren Lebensweg. Leute mögen es nicht, wenn man die Dinge, die ihnen wichtig sind, weniger beimisst, als sie es tun. Der Respekt, genügt in der Regel nicht, sie wollen eine Zustimmung und häufig auch, dass man sich dazu passend verhält.
Gerade ich bin einer der Ersten, die das verstehen. Immerhin forderte ich ständig die Anerkennung ein, dass ich mich für furchtbar wichtige Angelegenheiten hergebe und dass dabei Opfer nicht ausbleiben. Und alles, was mich und meine Umtriebe betraf, sah ich auf einem anderen Level. Wenn ich heute den Begriff „systemrelevant“ lese, überkommen mich gemischte Gefühle. Kein Mensch ist eine Insel und kann für sich alleine betrachtet werden. Auch die Kinder, die oder der Lebenspartner/in, Freundschaften, gehören zum System. Zu den Pflegekräften, Polizisten, Feuerwehren, Soldaten*innen, Lehrer*innen, Kassierern*innen, gehört jeweils ein Umfeld, welches sie beeinflussen.
Im Zuge der Corona-Pandemie meldeten sich einige Wortführer, die darauf hinwiesen, dass diejenigen welche weit über ihre Grenzen hinaus gehen, ungewollt die perfide Politik unterstützen. Ohne sie ginge es nicht und alles würde kollabieren. Durch ihre Mehrarbeit ermöglichten sie die Einsparungen und Gewinnmaximierung. Ich kenne diesen Effekt von der Polizei sehr gut. Wenn die Gewerkschaften die Überstunden kritisieren und Forderungen nach gesetzlichen Regelungen stellen, melden sich zügig diejenigen, welche auf die Stunden, wenn sie auch mies bezahlt werden, angewiesen sind. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass alles zusammenbricht, wenn die Stunden nicht geleistet werden. Dies könne man doch nicht wollen, denn es ginge um Leben, Kriminalität und ein mögliches Chaos. Dies funktioniert auch mit den Tafeln, Quartiersmanagement, Pflegediensten, ehrenamtliche Arbeit usw.. Gingen alle gezahlten Steuern an allgemein akzeptierte Bedarfsträger, gäbe es eine gerechte Steuerlast, und bereicherte sich niemand an Kranken, Alten und Schwachen, gäbe es damit weniger Probleme. Dann könnte man von einer Kompensation ausgehen, weil nicht genug Mittel vorhanden sind. Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Tatsächlich kompensieren alle Genannten die übermäßige Entnahme einer kleinen Gruppe und ermöglichen denen dies. Ich bin schon vor langer Zeit zur Überzeugung gekommen, dass es an der Zeit ist, dies endlich an die Wand zu fahren. Es würde kurzfristig Opfer geben. Doch wie sollte sich sonst etwas ändern? Für mich bedeutet dies, dass ich nichts zur Rettung beitragen werde. Ich darf nichts dazu beitragen, aber ich bin nicht verpflichtet, es zu verhindern. Die Zeiten sind vorbei. Bis auf die gesetzliche Pflicht, die Vorbereitung eines Angriffskriegs, gemeingefährliche Handlungen, insbesondere das Freisetzen ionisierender Strahlen, anzuzeigen, ist nichts geblieben.
Ich schaute auf meinen Rucksack, in dem sich alles befand, was ich zum Leben benötigte. Hätte die Notwendigkeit bestanden, für meinen Lebensunterhalt zu arbeiten, wäre noch Werkzeug hinzugekommen. Viel Arbeit wäre es nicht gewesen. Die Hütte war sehr günstig und das Essen inklusive Getränke kostete ebenfalls nicht viel. Mit einfachsten Arbeiten hätte ich das Geld schnell aufgebracht. Bei über 35 Grad im Schatten benötigt man auch nicht sonderlich viel Kleidung und waschen im Meer reichte völlig aus. Wozu lagen bei mir zu Hause 25 Messer, Gabeln und Löffel? Zwei Services mit allem Schnickschnack? Zig Jacken, Hosen, Hemden, T-Shirts, Schuhe, unzählige Bücher, die ich seit Jahren nicht mehr anfasste, Urkunden aus allen Lebensabschnitten, die Aufzählung ist lang. Wie waren all diese Sachen nach meiner Scheidung, bei der zeitweilig nicht mehr übrig geblieben war, als was in einen Bettbezug passt, zu mir gekommen? Beim Versuch einiges wieder loszuwerden, erscheint es mir komplizierter, wie sie anzuhäufen. Den überwiegenden Anteil kauft niemand mehr, Spenden kommt auch nicht infrage, weil die wenigsten den Kram gebrauchen können, aber zum Wegwerfen ist vieles zu schade, weil es weder kaputt noch lädiert ist. Es ist kompliziert und ziemlich luxuriös.
Doch auch wenn es Gedanken aus einer begünstigten Position heraus sind, sehe ich Allgemeingültiges. Selbstverständlich richtet sich das Notwendige danach, wo ich mich befinde. Was soll ich in Nähe des Äquators mit einer warmen Jacke? Ebenso kann ich mein Mobiliar auf das Mindeste reduzieren, wenn sich das Leben weitestgehend außerhalb stattfindet. Da lernte ich einiges von den Nomaden in der Mongolei. Auch in den Jurten gibt es Dekoration. Doch jedes Teil will gut überlegt sein, wenn man nach einem Monat alles abbauen muss. Lese ich von Leuten, die sich darüber auslassen, dass genug individuell ist und manche halt mehr benötigen um Zufriedenheit zu erlangen, denke ich mittlerweile: “Ihr Narren, habt nichts verstanden. Ihr denkt freie Menschen zu sein, dabei seid ihr an totes Material festgekettet. Die Krux ist dabei die natürliche Begrenztheit, in deren Folge die Mehrheit durch Eure Gier unterversorgt ist. Vollkommen unnötig, weil dieser Überfluss objektiv nicht einmal den Nutznießern etwas bringt.”
Hierzu abschließend noch eine kleine Begebenheit. Über einen Musiker, den ich in einem Hostel traf, landete ich auf einem Konzert in einem Luxushotel. In einer Pause traf ich beim Rauchen auf den Besitzer einer dänischen Fischverarbeitungsfabrik. Die Übernachtung kostete ihn pro Tag 350 EUR. Das Hotel lag nicht direkt am Meer, weshalb er zusammen mit seiner Ehefrau zum Strand den Shuttleservice benötigte. Alternativ gab es natürlich einen Pool. Das Buffet sollte der regionalen Küche ähneln, wirkte aber mehr wie der übliche internationale Standard. Auch wenn er versuchte seinen , Neid zu verbergen, triggerten ihn meine 15 EUR mit Meeresblick und 10 Meter bis zum Wasser inklusive 5 EUR für frische regionale Küche. Das nach ihm suchende Luxusgeschöpf mit Brillant-Collie verbesserte es nicht. Vermutlich muss ich nicht beschreiben, dass mir in diesem Augenblick die Rolle des abgerissen gekleideten Abenteurers und Badguys gefiel.
Aktuell gehe ich es anders an, als ich es zuvor tat. Eine meiner ersten Handlungen zu Hause war das Wegwerfen von wahrlich fraglichen Gegenständen. Ehrlicherweise war trotzdem immer ein wenig Trennungsschmerz dabei. Die Erinnerungen von einem Gegenstand abzulösen ist gar nicht einfach. Die pure Logik, dernach die Erinnerungen im Kopf stattfinden und mit dem Gegenstand nicht verschwinden, ist dabei nicht hilfreich. Damit hörte ich bis auf Weiteres auf. Nunmehr sortiere ich die Sachen, die ich für funktional wichtig erachte. Ich glaube, dass mir dann die Trennung von den übrig gebliebenen Sachen einfacher fällt. Mal sehen! Auf keinen Fall gibt es für mich ein weiter so wie bisher.
Quellen/Fußnoten
↵1 | https://vera-birkenbihl.de/ |
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