10.000 Dinge und ein Rucksack

Lesedauer 20 Minuten

Ich schrieb bereits über das Ereignis, welches ich nochmals aufgreifen möchte. Kaum etwas prägte mich in den letzten Jahren, wie die Tage auf einer Insel in einer kleinen Bambus-Hütte. Ich landete da nicht zufällig. Mein Inneres suchte danach und mehr oder weniger unbewusst näherte ich mich jeden Tag ein wenig mehr. Im Nachhinein kommt mir alles schlüssig vor. Bevor ich dort den ersten Tag nächtigte, schwirrten in meinem Kopf viele Schlagwörter und Fragen herum. Achtsamkeit, bewusstes Leben, Selbstbestimmung, Befreiung von Manipulationen, Rückbesinnung und die mich quälende Frage: „Was benötigst Du in Deinem Leben tatsächlich?“
Mir ist bewusst, dass das ein exklusives Erlebnis ist. Aus unterschiedlichsten Gründen können sich wenige einfach den Rucksack überwerfen und auf den Weg machen. Aber wenn nichts wirklich dagegen spricht, kann ich jedem empfehlen mal darüber nachzudenken. Es ist eine Option von vielen anderen.

Ein kleiner Vorlauf: Im Oktober 2018 entschloss mich, mit der Transmongolian Bahn von Moskau in die Mongolei zu fahren. Von dort reiste ich über China nach Südostasien, wo ich von Hostel zu Hostel zog. Bis es mich dann auf eine kleine Insel im Süden von Thailand verschlug. Eigentlich gab es zwei Hütten. Die eine bewohnte ich im Norden von Laos, inmitten einer Selbsthilfe-Organisation der indigenen Hmong. Rückblickend entwickelte sich unterwegs ein Prozess, innerhalb dessen die beiden Hütten zwei markante Punkte sind, welcher heute noch andauert.


Reich
Arm

Verlust, Verzicht, Notwendigkeit, Bedürfnis – Freiheit

An der erwähnten Frage hing mehr, als mir in dem Moment, in dem sie mir erstmals gestellt wurde, bewusst war. Wer ständig das Gefühl hat, etwas vorenthalten zu bekommen, ist unweigerlich frustriert. Indirekt ergibt sich auch die Überlegung, was man tun muss, damit sich dies ändert. Weiterhin erfordert die Antwort eine eingehende Analyse, inwieweit die Ansprüche ans Leben in einem selbst entstanden oder sie von den unterschiedlichsten externen Positionen suggeriert wurden.
In diesen Tagen wird in Deutschland viel über Verzicht gesprochen. Ein Despot versucht der restlichen Welt seinen Wille aufzuzwingen. Sein Plan beinhaltet unter anderen den seiner Analyse nach dekadenten im Überfluss lebenden Industriegesellschaften im wahrsten Sinne des Wortes den Hahn abzudrehen. Er geht davon aus, dass diese nicht ohne ihr luxuriöses Leben bestehen können und es zu Unruhen kommt, die wiederum politische Anführer dazu zwingen einzulenken. Nach anfänglichen Solidaritätsbekundungen bestehen gute Chancen für einen Erfolg. Seit 1945 versprach jede Regierung dem prosperierende Bürgertum eine Steigerung der Wirtschaftskraft und Mehrung von Eigentum. Solange sie dafür sorgten, wurde ihnen eine Generalvollmacht ausgestellt. Sie durften zum Einhalten des Versprechens mit jedem auf der Welt, inklusive Despoten, korrupten Regierungen, Verbrechern, lukrative Geschäftsbeziehungen eingehen. Bis heute war das ungefährlich, weil niemand die Idee verfolgte und über die Mittel verfügte, das eigene Land anzugreifen. Alle restlichen Folgen konnten stets mit ein wenig Makulatur übertüncht werden. Man zahlte Entwicklungshilfe, die mehr oder weniger wieder den Despoten zu Gute kamen oder nahm ein paar Flüchtlinge auf. Oder wie im Falle der Industrienation Deutschland geschehen, wurde an andere Geld überwiesen, damit die sich um die lästigen Folgen kümmern. Im gleichen Zuge praktizierten einige ein uraltes Ritual. Bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels wurde sinnbildlich ein Ziegenbock mit den Sünden des Volks beladen und in die Wüste geschickt. Vor dem Hintergrund dieser Geschichte ist es bösartig, dass ausgerechnet die deutschen Juden selbst zum Sündenbock wurden, mit dem von den Nationalsozialisten innere Einigkeit hergestellt werden sollte. Nachdem die Gastarbeiter ihren Job erledigt hatten, übernahmen sie die Funktion des Außenfeindes, der die innere Einigkeit des Bürgertums wieder herstellte. In den letzten Jahren mussten die Flüchtlinge dafür herhalten.
Aus mir noch nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, passte den Industriestaaten das imperiale Gebaren Putins nicht ins Konzept. Ich denke, dass im Hinblick auf die von der Klimakatastrophe ausgelösten territorialen Veränderungen die Claims absteckt werden und sich Russland entgegengesetzt zu alten Absprachen zu weit bewegt. Darauf folgt wie im Wilden Westen die passende Antwort und ganz nebenbei kann auch noch von vielen Versäumnissen abgelenkt werden, die die uns bekannte Welt an den Abgrund bringt. Zeitenwende kann so oder so interpretiert werden. Für mich gab es eine Zeit des Handelns, die aus Gründen nicht für die notwendigen Weichenstellungen, sondern zum Stillen des gerade akuten Hungers, genutzt wurde und nunmehr eine, in der mit den Folgen des Unterlassens gelebt werden muss.

All dies betrifft eine Mehrzahl an Menschen. In der Hütte war ich alleine und betrachtete mich als Individuum, welches für einige Tage aus der Menge herausgefallen war. Jeder unterliegt dem Druck der Gesellschaft in der er oder sie lebt. Es ist eine Gruppendynamik auf oberster Ebene. Jede Gruppe entwickelt nach und nach ein Gruppendenken und eine Gruppenmoral. Das einzelne Mitglied macht dabei mit oder wird zum Außenseiter. Eine Rolle, die kaum jemand aushält. Meist finden sich die Außenseiter schnell zu einer neuen Gruppe zusammen. Das kapitalistische System ist perfekt darin, diese Gruppen zu managen. Kaum haben sich die Außenseiter zusammengefunden, werden sie analysiert und bekommen die passenden Produkte angeboten. Mit Plaketten, Motto-Shirts, vermeintlicher Underground-Kleidung, lassen sich Millionen verdienen. Freiheit, ist eins der vielfach verwendeten Stichworte in der sich selbst als solche getauften “Freien Welt”. Theoretisch ist es möglich sie zu erreichen, doch die meisten scheitern am dafür notwendigen Kraftaufwand. Über zwanzig Jahre arbeitete ich in Teams. In dieser Zeit lernte ich viel über die genannten Effekte. Gute Führungskräfte holen sich mindestens eine/n ins Team, die/der “anders” ist und geben der/demjenigen ausreichend Raum und Schutz. Wie frei eine Gesellschaft wirklich ist, zeigt sich daran, wie einfach es denjenigen gemacht wird, die vom Mainstream abweichen. Ich persönlich halte die Bezeichnung “Querdenker” für Humbug. Schaut man sie sich genauer an, sind sie letztlich die Starrsten in der ohnehin schon trägen Gesellschaft. Sie wollen, dass alles beim Alten bleibt und voller Hass reagieren sie auf jene, welche neue Wege gehen oder zumindest Veränderungen und die Notwendigkeit einer Reaktion erkennen. Veränderungen und Ereignisse zu ignorieren ist kein “Querdenken” im Sinne einer abweichenden Überlegung inklusive anderer Bewertung der Fakten. Eher würde ich dieses Verhalten freundlich formuliert als eine Angstreaktion bezeichnen und Angst, Stress, Panik, machen bekanntlich dumm, weil sie das Großhirn ausschalten.
Bemerkenswert sind auch die Reaktionen auf den “offenen” Brief, welcher in der Zeit mit dem Titel “Waffenstillstand Jetzt!” veröffentlicht wurde. Zwischen den Zeilen wird eine klare Sicht auf den Zustand der Welt ausgedrückt. Die industrialisierten Staaten handelten während ihrer gesamten Existenz noch nie nach ethischen Maximen. Wachstum, Wohlstand und Überfluss waren und sind die Ziele, für die alles geeignete unternommen wird. Insofern sind alle Bekundungen, dass es bei den Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine, der längst erweitert geführt wird, um ethische und moralische Aspekte geht, albern. Doch wer will sich dieser Tatsache stellen, wenn man es gewohnt ist, sich irgendwie ins rechte Licht zu stellen. Entwicklungshilfe, Befriedung von Failed States, Kampf gegen den Terrorismus, Hilfszahlungen, werden als kollektiver Altruismus verkauft. Selbstverständlich hat alles nichts mit der eigenen Wirtschaft, Ressourcenbedarf, Wohlstand, zu tun. Entsprechend wütend sind die Reaktionen auf den Brief. Krieg ist der ultimative negative Konfliktverlauf. Am Ende des Verlaufs steht der gemeinsame Sprung in den Abgrund. “Wenn ich schon sterbe, nehme ich noch ein paar meiner Gegner mit.” Wir stehen bereits nur noch mit einem Bein am Rand, das andere befindet sich über dem gähnenden Schlund. Wer den Konflikt verursacht hat, werden vielleicht mal die Überlebenden analysieren.


Verzichten kann ich nur, wenn ich eine Wahl habe. Mir ist etwas zugänglich bzw. steht mir zur Verfügung und ich nehme es mir oder ich verzichte. Benötigen, kommt aus einer anderen Richtung.
Entweder geht es um Gegenstände, die ich für erforderlich erachte oder mir widerfährt etwas, dem ich für mein Leben eine Notwendigkeit beimesse. Ich kann nicht auf Lebensnotwendiges verzichten. Tue ich es, werde ich zugrunde gehen. Etwas weniger gravierend wäre das Notwendige für eine Handlung. Steht es mir nicht zur Verfügung, werde ich keinen Erfolg erzielen. Dabei finde ich bemerkenswert, dass in Deutschland verzichtet werden kann. Logischerweise muss dann mehr vorhanden sein, als nötig ist. Nun gut, oftmals geht es nicht um das Lebensnotwendige, sondern jene Aspekte, die einen befriedigen oder glücklich sein lassen.
Sämtliche Bedürfnisse, die über ausreichend Nahrung, Trinken, sichere Obdach im Schlaf, vor der Witterung schützende Kleidung und soziale Kontakte hinausgehen, gehen über die Lebensnotwendigkeit hinaus, womit sie von unserer Haltung abhängig sind. Je höher ich die Latte hänge, um so mehr steigt die Wahrscheinlichkeit unzufrieden bzw. unbefriedigt zu bleiben. In Videos von Vera Birkenbühl[1]https://vera-birkenbihl.de/ lernte ich, wie wichtig es sein kann, sich Worte, vor allem wenn sie zusammengesetzt sind, genauer anzuschauen.
In [unzu]frieden und unbe[fried]igt geht es um den inneren Frieden. Demnach steigt die Chance hierfür, desto weniger un[nötige], also Bedürfnisse, die mich beim Ausbleiben der Erfüllung nicht in Not bringen, anmelde. Unsere Gesellschaft ist davon geprägt, dass bei uns mittels Manipulation alle paar Meter Bedürfnisse erweckt werden. Praktischerweise ist auch gleich jemand zur Stelle, der sie gegen Geld befriedigen kann. Oder es wird von Politikern*innen versprochen, dass sie uns im Falle einer Wahl glücklich machen werden. Ob sie dies tatsächlich bewerkstelligen können, ist unsicher.
Meistens stellt sich heraus, dass das ganze Gerede der Opposition rein desaströs angelegt war und ausschließlich der eigenen Wahl diente. Für alles andere müssten sie von der Grundlinie der Politik abweichen. Das System und der Aufstieg der industrialisierten Staaten basiert auf Gier. Ein ethisch korrektes Handeln ist darin nicht vorgesehen bzw. gar nicht möglich. Um den Rohstoffbedarf zu decken und geostrategische Vorteile zu sichern, müssen an Despoten, korrupte Politiker, Ausbeuter, Konzerne mit eher fraglichen Konzepten, Zugeständnisse gemacht werden. Robert Habeck musste kleinlaut einräumen, dass Qatar mit Sicherheit kein idealer Ressourcen-Lieferant ist, aber immerhin nicht Putin heißt. Ohne billige asiatische Arbeitskräfte, ausgebeutete Bergleute, die die notwendigen Rohstoffe für die Elektronik aus der Erde holen, Kriege, in denen bei uns produzierte Waffen oder ihre Bauteile verbraucht werden oder Länder, die rücksichtslos Erdgas, Erdöl, Rohstoffe, fördern, steht bei uns alles still. Hinzu kommt, dass das Dogma Wachstum nur über stetigen Konsum, Verbrauch, umzusetzen ist.
Ich schrieb, dass das Versprechen Glück lautet. Ist Glück an materielle Befriedigung gekoppelt? Für, Haus, Fahrzeug, Urlaub, Wohnungs- oder Hausausstattung, Gartengestaltung, exklusives Essen, muss gearbeitet werden und oftmals müssen Kredite herhalten. Die wenigsten produzieren etwas, womit sie sich identifizieren können. Alles Vergängliche ist halt eines Tages unbrauchbar, verbraucht oder plötzlich uninteressant, aus der Mode gekommen. Demnach lautet das Versprechen anders: Wir werden alle notwendigen Weichen stellen, damit eine Stabilität gebende Menge die Gier befriedigen kann und die weniger verdienenden nicht allzu hungrig sind. Bei den Liberalen heißt das anders. „Wir wollen Anreize schaffen, damit sich Leistung wieder lohnt.“ Letztlich eine Form der Dressur. Wer „Männchen“ macht, bekommt vom Dompteur ein Leckerli. Angeblich sollen Deutsche um die 10.000 Gegenstände besitzen. Das klingt erstmal sehr viel, kommt aber schnell zusammen. Ich wollte immer mal nachzählen, aber nach knapp 1000 gab ich auf. So oder so, es ist definitiv zu viel. Hingegen war der Inhalt meines Rucksacks, der mich immerhin durch Russland, die Mongolei, Laos, Kambodscha, Thailand, Malaysia begleitete, ziemlich überschaubar. Das meiste überflüssige war den verschiedenen Klimazonen geschuldet. Außerdem hatte ich für Notfälle ein kleines Zelt, Isomatte und Schlafsack dabei.

Armut, relative Armut, Reichtum, Glück, Überfluss, Dekadenz

Erst während ich an diesem Beitrag hier schrieb, fielen mir die Klippen dieses Beitrags auf. Ich lernte in der Vergangenheit, was es bedeutet, wenn der Monat noch sehr lang ist und das Konto nichts mehr hergibt. Ebenfalls kenne ich die Situation, wenn man den Kindern als Familienvater alles ermöglichen will. Was ich nicht selbst erfuhr, lernte ich in der Rolle eines Elternsprechers. Mich schockierte mehrfach, wie unmäßig die Forderungen gut situierter Eltern im Vergleich zu denen wirkten, die kaum die Schulbücher und Kleidung der Kinder zahlen konnten. In meinem Text könnte unbeabsichtigt die Botschaft gelesen werden, dass denen mit weniger unter Umständen etwas Gutes widerfährt. Weniger ist ziemlich relativ zu sehen. Ich denke, es gibt ein zu wenig und ein zu viel. Nicht ganz unerheblich ist dabei die Freiwilligkeit. Außerdem hängt vieles davon ab, was man für das Geld und all den Besitz leisten muss. Wie auch immer, die Gefahr der Arroganz ist immer gegenwärtig. Hierzu ein Beispiel: Die Kinder der Hmong können Dank der Einrichtung eine Schule besuchen. Sie verfügen über kein Papier, Ordner, Mitschriften oder ähnliches. Wie früher bei uns, schreiben sie auf Schiefertafeln, die am Ende wieder gesäubert werden. Sie spielen und reparieren teilweise mit Macheten Gegenstände, die bei uns auf dem Müll landen. Die Folgen sind eine phänomenale Merkfähigkeit und eine faszinierende Kreativität. Zur Geschichte gehört aber auch, warum sie dort sind. Ihr Volk unterstützte einst die US-Army im Vietnam-Krieg und fiel damit bei den regierenden Kommunisten in Ungnade. Dieser Krieg wurde, wie alle anderen Kriege, ebenfalls nicht aus den vorgeschobenen Gründen geführt. Die Kinder sind Waisen, weil ihre Eltern an bei uns lapidaren Infektionen verstarben. Trotz allem wirkten sie auf mich sehr glücklich. Armut, relative Armut, Genügsamkeit, Bescheidenheit, Reichtum, Glück, finanziell gut aufgestellt oder Überfluss, Dekadenz, sind in Anbetracht der Ungerechtigkeiten auf der Erde schwierig zu klärende Begriffe. Relative Armut? Welche Relation nehme ich? Die innerhalb eines Nationalstaats oder einer Region auf der Erde? Oder ist Armut nur dann gegeben, wenn nicht ausreichend zum Überleben da ist? Mit Sicherheit gibt es Millionäre, die sich für bescheiden halten, weil sie sich statt einer Villa ein gängiges Einfamilienhaus bewohnen. Andere sprechen von Genügsamkeit, wenn sie nicht jeden Tag Fleisch konsumieren oder einen Urlaub im Ausland auslassen und zur Ostsee fahren. Zu diesem Thema führte ich in Vientiane, der laotischen Hauptstadt, mit einem Australier und einem Inder einen interessanten Dialog. Beide verwiesen auf zahlreiche Beispiele, in denen Menschen mit dem, was in einem “reichen” Land wie Deutschland unter Armut läuft, ein sehr glückliches erfülltes Leben führen. Am Ende einigten wir uns darauf, dass wir bei einer globalen und philosophischen Betrachtung die nationale relative Armut verwerfen müssen. Viel wichtiger ist es, den Menschen an sich, tatsächliche Notwendigkeiten, die daraus resultierenden Bedürfnisse und die Folgen, welche sich aus der Übererfüllung ergeben, zu betrachten.


Mit weniger glücklich zu sein, ist bei uns in Deutschland nicht gerade populär. Ich erlebte dies einmal anders. Ein Vorgesetzter sagte dem versammelten Team: „Ich kann ihnen alles wegnehmen. Aber ich sage ihnen voraus, dass sie trotzdem herausfahren werden, im Zweifel mit dem eigenen Fahrrad. Warum? Weil sie für die Sache leben!“ Seine Worte kamen uns nicht wie eine leere Drohung vor. Von einem anderen hörten wir: „Immer wenn Sie mehr fordern, sollten sie mir zunächst beweisen, dass mit mehr Ausstattung auch bessere Arbeit geleistet wird.“ Eine perfide Rhetorik.
Der andere appellierte an ganz andere Triggerpunkte. Wir waren stolz darauf, mit wenig den maximalen Erfolg zu erzielen. Auch das passt ins aktuelle Zeitgeschehen. Ich hörte bisher von keiner/m Politiker*in: „Herr Putin, und wenn es noch so kalt wird und wir kein Gas haben, weichen wir nicht von unserer Haltung ab. Sie haben keine Ahnung, wie viel Jacken und Decken es bei uns gibt.“ Stattdessen ergehen sich alle in Beschwichtigungen oder Gejammer. Angeblich befindet sich Europa im Konflikt mit einem gefährlichen Despoten. Da passt es nicht recht, wenn der die Butter rationiert und alle schreien, als wenn es demnächst nicht einmal mehr Brot gäbe.
Ich denke, ein großes Thema ist die Ungerechtigkeit. Manche könnten durchaus mit dem zur Verfügung stehenden zufrieden sein, wenn nicht andererseits eine finanzielle Oberschicht im Übermaß lebte. Nach dem, was Verhaltensforscher bisher über Menschen wissen, ist uns der Gerechtigkeitssinn angeboren. Dazu gehören auch die negativen Verhaltensmuster gegenüber denen, die über mehr verfügen. Evolutionär ist dies recht zweckmäßig. Im Gegenzuge müssen die mit mehr bedachten ständig Begründungen finden, warum sie dies verdienen. Dazwischen schwingt immer noch der Zustand “glücklich”, der definitiv nichts mit mehr als notwendig zu tun hat. Inwiefern der Zustand mit der Verteilung korreliert, bin ich mir persönlich unsicher. Man kann die Ungerechtigkeit für sich selbst ausblenden, aber funktioniert dies auch, wenn man Menschen begegnet, die erheblich weniger als das Lebensnotwendige zur Verfügung haben, während sich andere für 500 Dollar ein Wässerchen gönnen, dessen irrer Preis über die mit Swarovsky-Steinen besetzte Flasche bestimmt wird?


Architekt des eigenen Lebens

Bis zur Zeit in der Hütte fühlte ich mich wie ein Flipperball, der von einer Bande an die nächste prallte und immer mal wieder einen neuen Kick bekam, der wieder zurück ins Spiel beförderte. Wahrscheinlich war das auch so. Aber nur, weil ich mich dafür hergab. Dass ich alleine der Architekt meines Lebens bin, war noch nicht zu mir vorgedrungen. Blicke ich zurück, tat ich das meiste, weil ich es von anderen übernahm. Ich erzog meine Kinder, in dem ich ihnen sagte und verdeutlichte, was mir als korrekt und richtig verkauft wurde. Es war ein gutes Gefühl, als Familienvater für eine Familie finanziell zu sorgen. Das streichelte mein Ego. Mit 20 Jahren lebte ich den Traum, dass man für eine Verbesserung der deutschen Gesellschaft lediglich die CDU/CSU, FDP, politisch in die Defensive drängen müsste. Der Rest würde sich dann nach und nach von alleine ergeben. Ich gebe zu, dass das ziemlich naiv war und diverse Faktoren aussparte. Doch ohne diese Haltung wäre es mir sicherlich nicht eingefallen, in den Staatsdienst zu treten. Da war dieser Glaube an eine eher sympathische Mehrheit in der deutschen Gesellschaft. Mit der Polizei stand ich nach meinem Dafürhalten auf der richtigen Seite. Meiner Vorstellung nach trat ich für die „Schwachen“ gegen die „Stärkeren“ an und verschaffte ihnen bei Ungerechtigkeiten Genugtuung. Wobei ich niemals ernsthaft über schwach und stark bzw. woher ich die passende Interpretation her hatte, nachdachte. Keinesfalls wäre ich auf die Idee gekommen, oftmals das willfährige Werkzeug der Macht, also der Stärkeren zu sein. Eine Menge hat das mit den unterschiedlichen Aufgabenbereichen der Polizei zu tun. Heute noch bin ich davon überzeugt, dass Skrupellosigkeit, Gewaltbereitschaft, Gier, Respektlosigkeit, Egoismus, einen starken Gegenpart benötigen.
Erfolgreich blendete ich dabei aus, wie stark ich dabei einem Wahrnehmungsfehler unterlag. Bei einem Räuber, der mit einer Machete eine junge Kassiererin in einem Drogeriemarkt bedroht, ist alles klar. Selbst wenn sich der Typ in einer Notlage befindet, rechtfertigt dies nicht die Traumatisierung der jungen Frau. Bei einem skrupellos handelnden Miethai, der das Gesetz hinter sich weiß, was wiederum andere Gierschlünde verzapften, sieht es anders aus. Ähnlich verhält es sich mit all den Leuten, die in die Politik gingen, um ihre Hybris gegenüber anderen auszuleben und sich in Lebensbereiche einmischen, in den sie nichts zu suchen haben. Schwierig sind all die Regeln, die uns im Leben begegnen. Mir fällt dabei spontan die Situation an einer Ampel ein. Leuchtet sie rot, darf man bekanntlich die Straße nicht queren. Eine durchaus zweckmäßige Regel. Doch wie verhält es sich mit dem Fußgänger, der nächtens an einer verwaisten Kreuzung steht? Kümmert er sich nicht um die Ampel, handelt es sich um einen Verstoß. Aber sie einzuhalten, erscheint nicht wirklich intelligent. Sie zu befolgen, wird zu einer Prinzipienfrage. Dazu gibt es einen netten Witz: „Stehen nachts in Bangkok zwei sich fremde Männer an einer roten Ampel. Sagt der eine zum anderen: << Na, auch Deutscher?>>“ In den letzten Tage schrieb ich einige BLOG-Beiträge zum Thema Cannabis. Warum sollte ich mich als Erwachsener irgendwo völlig alleine sitzend an das Verbot halten? Und was ist mit dem Polizisten, den es wider Erwarten doch in meine Nähe verschlagen hat? Wenn er alles richtig machen will, muss er handeln.
Ein weiterer Aspekt ist die Komplexität der Prozesse in man eingebunden ist. Es ist schwierig die eigene Rolle oder die Folgen der Handlungen einzuordnen. Was weiß der Buchhalter eines Konzerns darüber, welche Folgen seine Unterschrift nach sich ziehen wird? Vielleicht ist sie ein kleiner Baustein dafür, dass an einer fernen Stelle ein indigener Stamm von Söldner zusammengeschossen wird. Wenn man bereits einfach ermitteln kann, dass das eigene Handeln zum Bestandteil eines miesen Geschehens wird, ist vorher schon einiges falsch gelaufen.

Jeder halbwegs verständige und vernünftige Mensch weiß, dass es unklug ist, alles zu machen, was nicht verboten ist. Wer sich nicht umbringen will, kommt nicht auf die Idee aus dem Fenster zu springen, nur weil es nicht verboten ist. Um das Cannabis-Thema nochmals aufzugreifen: Das Essen von Pflanzen ist grundsätzlich nicht verboten. Jeder darf Tollkirschen, Fliegenpilze, Eisenhut oder Engelstrompete züchten und einmalig essen. Es gibt hierfür keinerlei Verbote. Hierfür bedarf es keiner Regeln, weil die meisten Menschen um die Schädlichkeit wissen. Aber warum folgen die Menschen Leuten, die nach dem Prinzip handeln: Alles, was nicht verboten ist, darf gemacht werden. Sollten sie nicht fragen, ob ihr Handeln sie selbst oder andere schädigt, unabhängig davon, ob es in einer Regel oder Gesetz verboten ist? Investmentbanker, Konzerne, Finanzspezialisten, Erdölförderer und diverse andere stellen genau diese Frage nicht. Nicht selten steht dahinter: Heute nützt es, schädlich wird es erst morgen und wer weiß schon, was in der Zukunft passiert.

Richtig kompliziert wird es, wenn man selbst zur Überzeugung kommt, dass sich die Gesellschaft in einer Art und Weise verändert, die ein größtes Unbehagen bereitet, und man in der Rolle des Polizisten ausgerechnet gegen die antreten soll, welche einem aus der Seele sprechen.
Allgemein wird Polizisten*in eine Neutralität abgefordert. So wie ich das sehe, funktioniert dies nur, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. In einer Schieflage muss sich der selbstbestimmte Mensch entscheiden. Das Dasein als Mensch steht weit über der des Polizisten. Abgesehen von der deutschen Geschichte, zeigt sich dies weltweit immer wieder. Seien es Cops in den USA, russische Polizeieinheiten, chinesische Polizisten oder wo auch immer, sie alle folgen einerseits einem beruflichen Ethos und anderseits werden sie unter Umständen die Handlanger von Schurken. In der sich aktuell abzeichnenden internationalen Lage muss sich jeder in dieser Tätigkeit und damit verwandten Berufen genau hinterfragen, wo er oder sie steht. Ich erinnere nochmals daran, dass weltweit Menschen verdursten, während sich andere für 500 Dollar eine simple Flasche Wasser einverleiben.


Spuren am Strand

Vor den Tagen in der Hütte sah ich vieles, was mir dieses besagte Unbehagen bereitete. Der letzte Tropfen war ein Erlebnis auf einer griechischen Insel. Dort lief ich zunächst am Strand entlang und sah die Überreste von Schlauchbooten und überall im Gebüsch hingen Rettungswesten, zumeist in Kindergrößen. Danach schaute ich mir ein altes Gebäude an. Es stellte sich heraus, dass es ein altes Verwaltungsgebäude war. Der Innenhof des quadratischen Gebäudes versank im dunklen Schatten. Trotzdem war gut ein großer Haufen mit Schuhen zu erkennen. Neugierig sah ich genauer hin. Da entdeckte ich die Besitzer der Schuhe. Sie saßen dicht gedrängt auf dem Boden von Verliesen und schauten stumpf durch die Gitter. Ausnahmslos handelte es sich um dunkelhäutige Männer. Die Rettung wäre ein Kamerateam und ein Regisseur gewesen, der „Cut“ ruft. Dann wäre es eine Filmszene aus einem Historienfilm gewesen, in dem die dunkle Vergangenheit des Sklavenhandels aufgegriffen wurde. Aber nichts davon war gegenwärtig. Was ich da sah, war die bittere Realität und ich konnte nicht mehr sagen, dass ich nichts von alledem wusste. Aus einem anderen Land zu stammen, brachte mich auch nicht weiter. Immerhin hat Deutschland seinen Anteil am Geschehen. An diese Szenerie denke ich immer, wenn ich irgendwo diese widerlichen Kommentare von Landsleuten lese, in denen sie davon schreiben, dass man schließlich nicht die Welt retten könne. Dies berechtigt niemanden dazu, dieses anderen unschuldigen Lebewesen anzutun. Ich schreibe bewusst nicht Menschen, weil ich es auch bei anderen Lebewesen nicht vertreten kann und nicht zu den Humanisten gehöre, die den Homo sapiens ins Zentrum von allen Geschehen stellen.
Seither habe ich anderen Flüchtlingen aufmerksam zugehört und mir ihre Geschichten erzählen lassen. Mir ist das Stanford-Experiment bekannt und ich kann mir gut erklären, wie es zu verschiedenen Prozessen kommt. Doch ich bin nicht der Einzige und diverse Verantwortliche stünden in der Pflicht, den Effekten entgegenzuwirken. Tun sie es nicht, ist dies mehr als bedenklich und geht in die Richtung von Hannah Arendts „Die Banalität des Bösen“, die ich bereits bei der Komplexität und dem Buchhalter bemühte.
Ich hörte mir auch die Prahlereien der Täterseite an. Für mich sind sie am Ende auch nur Opfer eines sich immer mehr verselbständigenden Systems. Eins, in dem Habgier, Prahlerei mit toten Gegenständen, Ellenbogen-Mentalität, Rücksichtslosigkeit, Anspruchsdenken, Identifikation über Besitz und nationaler Zugehörigkeit, Körperkult, sowie die Betrachtung von allem als Produkt, gegenüber allem anderen favorisiert wird, wenn nicht sogar anderes Verhalten der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Das Werteverständnis ist vollkommen zu dem verschoben, was allgemein als Ethik bezeichnet wird. Ich kenne genügend Leute, die durchaus anders leben, doch im gleichen Zuge entgeht mir nicht, wie sie seitens Politiker*innen, Publikationen und Mainstream veralbert werden.

Hierzu gehören für mich alle Aktivisten*innen, die sich bei FFF, Letzte Generation, engagieren ebenso dazu, wie auch alle, die auf den Meeren Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten. Folgen diese Menschen ihrer Überzeugung, der nach vieles nicht verbotenes gemacht wird, was aber extrem schädlich ist, Menschen ertrinken zu lassen, ein Verbrechen ist, komme sie nicht daran vorbei, selbst Regeln zu brechen. All die Gegenkampagnen und Empörungen geben Aufschluss darüber, wo das Problem liegt. Fadenscheinig werden Schwangere, die nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gelangen, Rettungsfahrzeuge, die im Stau stecken bleiben oder Arbeitnehmer, die nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen, vorgeschoben. Ich weiß: Alles und jeder ist wichtig! Diesen Lebensmodus lebte ich selbst lange genug. Faktisch passiert überhaupt nichts, wenn jemand zu spät zur Arbeit kommt und eine nachvollziehbare Begründung vorbringen kann. Im schlimmsten Fall kommt es zu Verzögerungen. Meine jüngste Tochter wollte auch nicht warten und wir landeten im Stau, bis der Taxifahrer auf den Bürgersteig auswich, nur damit ich lernte, dass Kinder nicht herausfallen. Ich bin über 20 Jahre mit Sonder- und Wegerechten durch Berlin gefahren. Deshalb maße ich mir an, jedem/r schimpfenden Rettungswagenfahrer*in ein paar Fragen zu stellen, wenn er/sie nicht in der Lage ist, einem Stau auszuweichen oder kreativ die volle Straßenbreite zu nutzen. Was ist dies alles im Verhältnis zu dem, wofür die Aktivisten*innen kämpfen? Das Kind der Schwangeren wird keine angenehme Zukunft erwarten, wenn nicht umgehend etwas passiert. Die Lage ähnelt der eines Schülers, welcher bis kurz vor dem Abitur nicht lernte und sich drei Wochen vor den Prüfungen mächtig ins Zeug legen muss. Einfacher wäre es gewesen, kontinuierlich zu arbeiten. Aber drei Wochen vor Ultimo bringt ihn diese Lebensweisheit auch nicht mehr weiter. Da ist dann vorbei mit Party, Gaming und wichtige Probleme mit den Kumpels wälzen.

Zu Werten gehört die Betrachtung, was einem wichtig ist. In meinem Leben waren jede Menge Sachen wichtig. Rechtzeitig zum Tatort zu gelangen, eine Zielperson, die möglicherweise einen Terroranschlag plant, nicht aus den Augen zu verlieren, mehrere Kilogramm Rauschgift aus dem Verkehr zu ziehen, informiert zu sein, die E-Mails gelesen zu haben, die Steuer zeitgerecht abzugeben, den Dienstausweis oder die Schlüssel nicht zu verlieren, die Übergabe an das nächste Team, pünktlich trotz Übermüdung zum Dienst zu erscheinen, sich um die Probleme der Kollegen und Kolleginnen zu kümmern, usw., usw.. Als 2011 von Tim Bendzko „Nur noch kurz die Welt retten!“ veröffentlicht wurde, fragte ich mich, woher der Typ mich kannte.


Irgendwie bin ich spät dran
Fang schon mal mit dem Essen an
Ich stoß’ dann später dazu
Du fragst: „Wieso, weshalb, warum?“
Ich sag: „Wer sowas fragt ist dumm.“
Denn du scheinst wohl nicht zu wissen was ich tu
‘ne ganz besondere Mission
Lass mich dich mit Details verschonen
Genug gesagt genug Information

[Refrain]
Muss nur noch kurz die Welt retten
Danach flieg ich zu dir
Noch 148 Mails checken
Wer weiß was mir dann noch passiert
Denn es passiert so viel
Muss nur noch kurz die Welt retten
Und gleich danach bin ich wieder bei dir


Perfide Rhetorik

Vieles von dem, was ich oben schrieb, manifestierte sich in meinem Kopf, während ich dort in der Hütte meine Zeit verbrachte. Ich bin dankbar, dass ich die Lektion anders erteilt bekam, wie es vielen anderen widerfuhr. Trotzdem ist der Schaden groß genug. Im Nachhinein weiß ich es besser und vor allem habe ich gelernt, die wirklich wichtigen Dinge von anderen zu unterscheiden. Ich kann die Vergangenheit nicht ändern und nur um das Verständnis bitten, dass ich es nicht besser wusste. Was ich damals noch nicht sah, waren die Folgen für den weiteren Lebensweg. Leute mögen es nicht, wenn man die Dinge, die ihnen wichtig sind, weniger beimisst, als sie es tun. Der Respekt, genügt in der Regel nicht, sie wollen eine Zustimmung und häufig auch, dass man sich dazu passend verhält.

Gerade ich bin einer der Ersten, die das verstehen. Immerhin forderte ich ständig die Anerkennung ein, dass ich mich für furchtbar wichtige Angelegenheiten hergebe und dass dabei Opfer nicht ausbleiben. Und alles, was mich und meine Umtriebe betraf, sah ich auf einem anderen Level. Wenn ich heute den Begriff „systemrelevant“ lese, überkommen mich gemischte Gefühle. Kein Mensch ist eine Insel und kann für sich alleine betrachtet werden. Auch die Kinder, die oder der Lebenspartner/in, Freundschaften, gehören zum System. Zu den Pflegekräften, Polizisten, Feuerwehren, Soldaten*innen, Lehrer*innen, Kassierern*innen, gehört jeweils ein Umfeld, welches sie beeinflussen.
Im Zuge der Corona-Pandemie meldeten sich einige Wortführer, die darauf hinwiesen, dass diejenigen welche weit über ihre Grenzen hinaus gehen, ungewollt die perfide Politik unterstützen. Ohne sie ginge es nicht und alles würde kollabieren. Durch ihre Mehrarbeit ermöglichten sie die Einsparungen und Gewinnmaximierung. Ich kenne diesen Effekt von der Polizei sehr gut. Wenn die Gewerkschaften die Überstunden kritisieren und Forderungen nach gesetzlichen Regelungen stellen, melden sich zügig diejenigen, welche auf die Stunden, wenn sie auch mies bezahlt werden, angewiesen sind. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass alles zusammenbricht, wenn die Stunden nicht geleistet werden. Dies könne man doch nicht wollen, denn es ginge um Leben, Kriminalität und ein mögliches Chaos. Dies funktioniert auch mit den Tafeln, Quartiersmanagement, Pflegediensten, ehrenamtliche Arbeit usw.. Gingen alle gezahlten Steuern an allgemein akzeptierte Bedarfsträger, gäbe es eine gerechte Steuerlast, und bereicherte sich niemand an Kranken, Alten und Schwachen, gäbe es damit weniger Probleme. Dann könnte man von einer Kompensation ausgehen, weil nicht genug Mittel vorhanden sind. Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Tatsächlich kompensieren alle Genannten die übermäßige Entnahme einer kleinen Gruppe und ermöglichen denen dies. Ich bin schon vor langer Zeit zur Überzeugung gekommen, dass es an der Zeit ist, dies endlich an die Wand zu fahren. Es würde kurzfristig Opfer geben. Doch wie sollte sich sonst etwas ändern? Für mich bedeutet dies, dass ich nichts zur Rettung beitragen werde. Ich darf nichts dazu beitragen, aber ich bin nicht verpflichtet, es zu verhindern. Die Zeiten sind vorbei. Bis auf die gesetzliche Pflicht, die Vorbereitung eines Angriffskriegs, gemeingefährliche Handlungen, insbesondere das Freisetzen ionisierender Strahlen, anzuzeigen, ist nichts geblieben.

Ich schaute auf meinen Rucksack, in dem sich alles befand, was ich zum Leben benötigte. Hätte die Notwendigkeit bestanden, für meinen Lebensunterhalt zu arbeiten, wäre noch Werkzeug hinzugekommen. Viel Arbeit wäre es nicht gewesen. Die Hütte war sehr günstig und das Essen inklusive Getränke kostete ebenfalls nicht viel. Mit einfachsten Arbeiten hätte ich das Geld schnell aufgebracht. Bei über 35 Grad im Schatten benötigt man auch nicht sonderlich viel Kleidung und waschen im Meer reichte völlig aus. Wozu lagen bei mir zu Hause 25 Messer, Gabeln und Löffel? Zwei Services mit allem Schnickschnack? Zig Jacken, Hosen, Hemden, T-Shirts, Schuhe, unzählige Bücher, die ich seit Jahren nicht mehr anfasste, Urkunden aus allen Lebensabschnitten, die Aufzählung ist lang. Wie waren all diese Sachen nach meiner Scheidung, bei der zeitweilig nicht mehr übrig geblieben war, als was in einen Bettbezug passt, zu mir gekommen? Beim Versuch einiges wieder loszuwerden, erscheint es mir komplizierter, wie sie anzuhäufen. Den überwiegenden Anteil kauft niemand mehr, Spenden kommt auch nicht infrage, weil die wenigsten den Kram gebrauchen können, aber zum Wegwerfen ist vieles zu schade, weil es weder kaputt noch lädiert ist. Es ist kompliziert und ziemlich luxuriös.

Doch auch wenn es Gedanken aus einer begünstigten Position heraus sind, sehe ich Allgemeingültiges. Selbstverständlich richtet sich das Notwendige danach, wo ich mich befinde. Was soll ich in Nähe des Äquators mit einer warmen Jacke? Ebenso kann ich mein Mobiliar auf das Mindeste reduzieren, wenn sich das Leben weitestgehend außerhalb stattfindet. Da lernte ich einiges von den Nomaden in der Mongolei. Auch in den Jurten gibt es Dekoration. Doch jedes Teil will gut überlegt sein, wenn man nach einem Monat alles abbauen muss. Lese ich von Leuten, die sich darüber auslassen, dass genug individuell ist und manche halt mehr benötigen um Zufriedenheit zu erlangen, denke ich mittlerweile: “Ihr Narren, habt nichts verstanden. Ihr denkt freie Menschen zu sein, dabei seid ihr an totes Material festgekettet. Die Krux ist dabei die natürliche Begrenztheit, in deren Folge die Mehrheit durch Eure Gier unterversorgt ist. Vollkommen unnötig, weil dieser Überfluss objektiv nicht einmal den Nutznießern etwas bringt.”
Hierzu abschließend noch eine kleine Begebenheit. Über einen Musiker, den ich in einem Hostel traf, landete ich auf einem Konzert in einem Luxushotel. In einer Pause traf ich beim Rauchen auf den Besitzer einer dänischen Fischverarbeitungsfabrik. Die Übernachtung kostete ihn pro Tag 350 EUR. Das Hotel lag nicht direkt am Meer, weshalb er zusammen mit seiner Ehefrau zum Strand den Shuttleservice benötigte. Alternativ gab es natürlich einen Pool. Das Buffet sollte der regionalen Küche ähneln, wirkte aber mehr wie der übliche internationale Standard. Auch wenn er versuchte seinen , Neid zu verbergen, triggerten ihn meine 15 EUR mit Meeresblick und 10 Meter bis zum Wasser inklusive 5 EUR für frische regionale Küche. Das nach ihm suchende Luxusgeschöpf mit Brillant-Collie verbesserte es nicht. Vermutlich muss ich nicht beschreiben, dass mir in diesem Augenblick die Rolle des abgerissen gekleideten Abenteurers und Badguys gefiel.

Aktuell gehe ich es anders an, als ich es zuvor tat. Eine meiner ersten Handlungen zu Hause war das Wegwerfen von wahrlich fraglichen Gegenständen. Ehrlicherweise war trotzdem immer ein wenig Trennungsschmerz dabei. Die Erinnerungen von einem Gegenstand abzulösen ist gar nicht einfach. Die pure Logik, dernach die Erinnerungen im Kopf stattfinden und mit dem Gegenstand nicht verschwinden, ist dabei nicht hilfreich. Damit hörte ich bis auf Weiteres auf. Nunmehr sortiere ich die Sachen, die ich für funktional wichtig erachte. Ich glaube, dass mir dann die Trennung von den übrig gebliebenen Sachen einfacher fällt. Mal sehen! Auf keinen Fall gibt es für mich ein weiter so wie bisher.


Quellen/Fußnoten

Kompliziert statt einfach

close up photo of cannabis plant Lesedauer 4 Minuten

Als in den USA am 15.12.1933 die Prohibition endete, saß ein Barkeeper neben einem Telefon und wartete auf einen Anruf. Kaum klingelte das Telefon, goss er sich einen Highball ein und trank legal Alkohol. Jedenfalls wird die Geschichte so erzählt. Fortan konnte man in den Bars, wo ohnehin illegal getrunken wurde, wieder legal trinken. Fertig!
2022. Sogenannte Experten, selbsternannte Fachleute, Psychiater*innen, Psychologen*innen, Politiker*innen, die zu allem ihren Senf dazu geben müssen, Lobbyisten*innen, sie alle debattieren wild darüber, wie man denn eine Legalisierung von Cannabis hinbekommt. Die Textbausteine lauten: Studien A-X hätten ergeben, der Jugendschutz muss gewährleistet werden, der Schwarzmarkt muss unterbunden werden, die Verbraucher müssen vor Beimengungen geschützt werden und ganz besonders wichtig ist die Reglementierung des THC-Gehalts. Lese und höre ich das alles, bekomme ich Kopfschmerzen. Was da erzählt wird, ist ein Schauermärchen. Eins, in dem Cannabis-Konsum ein sich neu verbreitender Trend wäre. Guten Morgen! In Deutschland wird spätestens seit den frühen Siebzigern Cannabis, damals noch zumeist in Form von Haschisch konsumiert. Ab Anfang der 80er wurden in jedem besseren Tabakladen die notwendigen Utensilien wie Longpapers, Bongs, Grinder, pp. verkauft. Dies mit Sicherheit nicht als Dekoration. Wer Cannabis raucht, kann in der Regel gut einschätzen, wie viel er/sie raucht und welche Wirkung er oder sie haben will. Ist es zu viel, geht es ab ins Bett und Schlafen ist angesagt. Kein Übergeben, kein Zoff mit anderen Leuten, kein Getorkel nach Hause, einschlafen auf Parkbänken oder ähnliche Auswirkungen, die beim Alkohol eine Rolle spielen. Ja, man kann es übertreiben und es werden sich langfristig Folgen einstellen. Wie dies halt mit Substanzen so ist, die man sich dauerhaft zuführt. Jugendliche schlucken heutzutage Pillen, probieren LSD (ACID) aus und schlucken Pilze (Magic Mushrooms), versuchen es mit Tramal (besonders gern, wenn sie Leistungssport betreiben), Tilidin, oder trinken alle im Handel erlangbaren Spirituosen (bevorzugt Wodtka, Captain Morgan, Bier). Jugendliche finden immer einen Weg.
Ich bete es in jedem Beitrag zum Thema wie ein Mantra: Wer einen vernünftigen Umgang mit Drogen erreichen will, muss zwei Dinge leisten. Eine ehrliche und aufrichtige Aufklärung ermöglichen und an die Faktoren herangehen, die besonders Jugendliche Drogen nehmen lässt. Dies gilt insbesondere für die, welche erheblich ins Bewusstsein eingreifen. An die Umsetzung des zuletzt genannten glaube ich nicht. Denn die Faktoren sind nahezu identisch mit denen, die Erwachsene tablettensüchtig, alkoholabhängig werden lassen bzw. psychosomatische Krankheiten verursachen. Bleibt am Ende die Aufklärung! Ich bin ja nun auch schon über die 50, aber eins weiß ich ziemlich genau. Kein Jugendlicher oder Heranwachsender lässt sich von einem Polizisten, einem gealterten Sozialpädagogen, oder spießigen Apotheker etwas über Drogen erzählen. (Bitte wahlweise die Frauen einsetzen). Gealtert deshalb, weil wir alle wissen, wie es läuft. Wer nicht mehr an der unmittelbaren Front unterwegs sein kann, wird auf die Tour durch die Schulen geschickt.
Die Illegalität des Cannabis hatte nicht nur Nachteile. Rund herum ist eine Subkultur entstanden, die sich mannigfaltig von der Kultur der klassischen deutschen Alkohol-Kultur unterscheidet. Cannabis-Raucher sind eher selten in konservativen Studentenverbindungen, klassischen Eckkneipen, in Weinstraßen oder auf Bierfesten anzutreffen. Ich befürchte, dass da das Problem liegt. Es ist nicht uninteressant, wer sich da im Bundestag, wie äußert. Schnaps, Champagner, Bier sind in Ordnung, weil sie der „Leitkultur“ entsprechen, während diese ganzen vermeintlichen Exoten nebulös und gefährlich sind. In dieser Art und Weise kann aber nur jemand denken und sprechen, der früh aus der Lebensrealität der restlichen Zeitgenossen separiert wurde. Willkommen im Ablauf einer deutschen politischen Karriere, vor allem wenn sie in der Union oder bei der FDP, SPD, stattfindet.
Ich bleibe dabei: Zweckmäßig ist einzig und allein eine unkomplizierte sofortige Legalisierung, die schlicht und ergreifend eine Reaktion auf die tatsächlichen Verhältnisse in der Gesellschaft darstellt und sich nicht an den Wunschvorstellungen von Leuten orientiert, die sich in einer Blase befinden. Keine Droge ist harmlos! Aber auf die Gefahren mit Verboten zu reagieren, ist absoluter Humbug. Wie sollte man dies konsequent durchziehen? Fliegenpilze im Wald vernichten? Alle Gläser in der Küche prüfen, ob da auch wirklich harmlose Pilze drin sind? Tollkirsche? Die Tabletten von Mama in der Schublade? Farben? Klebstoff? Mir fallen noch ein paar mehr ein, aber ich will niemanden auf blöde Ideen bringen. Wird es nicht konsequent durchgezogen, muss eine Begründung erfolgen, warum diese Substanzen verboten sind und andere wiederum nicht. Bei Cannabis geht es um eine an sich völlig harmlose Pflanze, den Hanf, welche auch noch sehr nützlich und ansehnlich ist. Alkohol selbst zu brennen, bringt einige Risiken mit sich. Es beginnt mit einer explodierenden Destillationsapparatur und geht weiter mit Fusel bzw. Methanolanteilen, die blind machen. Was auch immer ich mit der Hanfpflanze anstelle, abgesehen von Schnapsherstellung, bleibt es ungefährlich. Beim Konsum kommt noch die Alkoholvergiftung dazu. Das Suchtpotenzial ist auch höher. Also bei meiner Prüfung müsste der Alkohol verboten werden. Dass das nicht funktioniert, wissen wir. Aber wie kommt man dann auf die Idee, dass es bei Cannabis klappt? Bisher bin ich auch noch nicht auf die Idee gekommen, das Personal der Apotheke meines Vertrauens nach dem besten Grappa, Whiskey oder Rotwein zu befragen. Gleiches gilt für Zigarren!

Wie verhält es sich mit dem Jugendschutz? Gibt es neuerdings Aufklärung über die Folgen und Gefahren von Hochleistungssport? Oder bezüglich dessen, was sich junge Männer in Fitnessstudios antun und 20 Jahre später Orthopäden und Physiotherapeuten beschäftigt? Warum sind eigentlich so viele Heranwachsende bis über beide Ohren verschuldet? Wie sieht es mit den Ursachen für Essstörungen, Selbstverletzungen und Suiziden aus? Oder wann hört man jüngeren Engagierten endlich mal zu, wenn sie von ihren nicht unberechtigten Ängsten vor einer Zukunft mit Extremwetterereignissen, Artensterben und Verpestung der Erde sprechen? Warum werden die nicht vom Establishment zum Gespräch eingeladen? Habe ich bei Corona und notwendigen Ausbau der Schulen mit Belüftungsanlagen etwas verpasst? Nein, liebe Leute, ihr ergeht Euch im Bundestag in Phrasen und die wenigen, welche wirklich an das glauben, was sie von sich geben, sind mehr als naiv. Unter dem Strich geht es, um was es immer geht! Geld, Business, Vermarktung! Bei großen Teilen einer Generation, die Politikern*innen nicht einen Zentimeter über den Weg trauen, ist dies kontraproduktiv. Doch es gibt ja auch noch die anderen, die bereits angekommen sind. Nun, um die muss sich keiner Sorgen machen. Jedenfalls noch nicht jetzt. Kokain, Alkohol und psychosomatische Kliniken kommen bei denen erst später.
Die Legalisierung von Cannabis ist wahrlich nichts Weltbewegendes. Mit Flüchtlingsströmen, gesellschaftlichen Umbrüchen, sich immer mehr verdichtende Krisen, eine Welt, die sich völlig neu sortiert und dabei extrem gefährliche Spannungen erzeugt, ein Ökosystem Erde, welches künftig vom menschlichen Design abhängig sein wird, kann Cannabis nicht konkurrieren. Aber mal vorsichtig nachgefragt: Wenn ihr dabei schon eine schlechte Figur macht, wie wollt ihr den anderen Kram stemmen?

Noch ein kleiner zynischer Nachtrag. Cannabis hat schon vielen traumatisierten Veteranen gut geholfen. Davon wird es in nächster Zeit mehr geben. Hinzu kommen traumatisierte Grenzbeamte, die die Festung Europa verteidigen müssen und mit dem Elend nicht klarkommen. Da tun sich doch ganz neue Optionen auf.

Vorbei?

sea turtle swimming underwater Lesedauer 8 Minuten

Vorab: Ich habe ein sehr schwieriges Verhältnis zu Beerdigungen. Zumindest gilt dies für hiesige Bräuche. Jetzt mögen sich Mitleser des BLOG fragen, wer denn ein gutes hat. Ich weiß es nicht. Mir fällt hierzu nur der alte Kultfilm „Harold und Maude“ ein, in dem sich die betagte Maude und Harold, der exzentrische junge Mann, bei ihren regelmäßigen Besuchen von Beerdigungen kennenlernen. Für mich beginnt es bereits mit den begleitenden Formulierungen. „Jemanden wird die letzte Ehre erwiesen!“ Oder: „Wir nehmen hier Abschied von …!“ Dass den „Hinterbliebenen“ wildfremde Menschen, aufrichtiges Beileid zuteilwerden lassen, macht es nicht besser.

In erster Linie sind Beerdigungen Veranstaltungen für die Lebenden. Gleiches gilt für Gräber und ihre Gestaltung. Der oder die Verstorbene hat mit alledem nichts mehr zu tun. Damit sind sie auch eine Auskunft an die restlichen Teile der Welt über einen selbst. Jeder muss sich überlegen, wie er oder sie mit dem Tod umgehen und welche Form sie im Umgang mit der Zeit danach finden. Mich dabei in ein Korsett der Erwartungshaltung anderer pressen zu lassen, ist mir zuwider. Gerade in den zurückliegenden Tagen hörte ich wieder einmal zu oft: „Das macht man so, dies gehört sich so und dies ist eben unsere Kultur!“ Meine Herangehensweise ist eine völlig andere. In der heutigen Zeit habe ich die Möglichkeit Ideen, Vorstellungen, Philosophien, einer kompletten Erdbevölkerung kennenzulernen. Also kann ich mir aus alledem das mir am schlüssigsten Erscheinende heraussuchen und auch übernehmen. Menschen errichteten früher riesige Steingräber. Andere verbrannten ihre Toten auf Flüssen oder Schiffen. Über lange Epochen hinweg mussten gleich die noch lebenden Frauen und das Gefolge sterben. Jetzt wühlen Heerscharen von Archäologen in der Erde und buddeln aus, was die Vorfahren mühsam unter Steinen verdeckten. Gäbe es Zeitreisende aus diesen Epochen, würden die das bestimmt nicht lustig finden. Zeitweilig besuchte ich gern Friedhöfe. Dort stehen monumentale Grabanlagen mit Statuen und prunkvollen Mausoleen. Botschaften an die Nachwelt, die besagen: „Schau, ich war ein toller, wichtiger Mann oder Frau und konnte mir dies hier leisten.“ Dumm nur, dass selbst längere Recherchen zu diesen Personen, keinerlei Ergebnisse liefern. Mit dem Wirken war es also weit weniger gut gestellt, als mit dem zusammengerafften Vermögen. Andere, die zu Lebzeiten arm waren und eher bescheidene Gräber bekamen, sind heute noch bekannt.
Schau ich mir frische Gräber an, fallen mir stets als Erstes die Trauerkränze und die Blumen auf. Auf den bereits nach zwei Tagen unansehnlich aussehenden Schleifen stehen die Namen der Leute, die ihre Trauer bekunden wollen. In meiner Wahrnehmung steht da: „I was here! 2022!“ Wozu? Warum muss ich anderen Leuten mitteilen, dass ich dort am Grab stand oder nicht vergessen habe rechtzeitig beim Blumenhändler einen Kranz zu bestellen? Ich war da oder nicht, das muss ich mit mir selbst ausmachen. Selbst wenn ich nicht da war, sagt dies noch nichts über mein Verhältnis zu dem – oder derjenigen aus, dessen/deren Körperreste entsorgt werden.
Bei Christen hält ein/e Geistliche/r eine spirituelle Rede. Sie soll den Lebenden Trost spenden. Das klappt aber nur, wenn die Zuhörer auch Christen sind. Weil dies viele erkennen, werden nunmehr häufig Reden von professionellen Grabrednern/innen gehalten. Da die zuvor nichts mit den Verstorbenen zu tun hatten, sind sie auf die Informationen angewiesen, die ihnen zugespielt werden. Im Ergebnis halten sie eine Rede darüber, wie die Informanten sich wünschen, dass die Verstorbenen in Erinnerung bleiben. Ob dies im Einklang mit dem steht, was die zu Lebzeiten selbst wollten, kann niemals geklärt werden. Umgehen kann man dies nur, in dem man seine eigene Grabrede verfasst, die dann verlesen wird. Die wenigsten haben die Gelegenheit dazu. Ich könnte heute eine schreiben und sie hinterlegen. Doch was weiß ich darüber, was in den nächsten Jahren, wenn es für mich gut läuft, noch alles passieren wird? Wenn ich senil bin oder mein Kopf von Schmerzen benebelt ist, kommt auch nichts Wünschenswertes bei heraus. Außerdem ist es ziemlich egal. Was ich in 56 Jahren nicht gesagt habe oder gehört wurde, macht auf dem letzten Meter auch nichts mehr aus. Hinzu kommt die alte Grundregel, dass es mir als Mensch nicht gegeben ist, den Eindruck bei anderen zu hinterlassen, den ich mir wünsche. Jeder macht aus mir in seinem Kopf, was er oder sie für richtig halten. Womit sich auch ergibt, dass da der Körper, die Hülle eines Menschen, verabschiedet wird, dessen Bedeutung für jeden der Anwesenden eine andere war.


Der Tod ist eines der existenziellen Themen, wenn nicht sogar das Thema, des menschlichen Daseins. Er ist zusammen mit der Geburt der einzig sichere Eckpunkt des Lebens. Alles, was dazwischen stattfindet, ist unsere Biografie. Mit 21 Jahren schaute ich bei einer Obduktion zum ersten Mal auf eine Leiche. Der Anblick wirkte irreal. Schaue ich in mich hinein, ist davon das Detail geblieben, wie der Pathologe an den Rippenbögen herumschnitt. Mein Kopf blendete aus, dass da ein menschlicher Körper lag und schaltete auf Rinderrippen um. Es folgten diverse weitere in unterschiedlichsten Situationen. Einige Male sah ich auch Menschen sterben. Eines Tages begriff ich, welches Geschenk mir damit gemacht wurde. Im Gegensatz zu anderen, die dies alles niemals sahen, musste ich mich mit dem Tod unmittelbar auseinandersetzen. Beruflich bedingt blieb es nicht aus, dass ich die unterschiedlichsten Verwesungsstadien kennenlernte. Dabei bekommt man eine Lektion über die Vergänglichkeit. Seltsamerweise fällt einem dies beim Anblick eines menschlichen Leichnams deutlicher auf, als beim Anblick eines toten Tieres. Ich muss dabei an eine Geschichte denken, die über Buddha übermittelt wird. Einigen Mönchen verdrehte eine junge, schöne Frau den Kopf. Sie starb früh an einer Krankheit und wurde im Innenhof ihres Hauses aufgebahrt. Buddha soll einen der Mönche aufgefordert haben, ihn zu begleiten. Doch er verschwieg, dass die Frau bereits einige Tage tot war. Vermutlich geschockt stand nun dieser Mönch im Innenhof. Buddha machte ihm anhand der verwesenden Leiche klar, wie töricht es sei, sich in den vergänglichen Körper zu verlieben.
Anhaften an vergänglichen oder flüchtigen Dingen, Ereignissen, ist im Buddhismus der Dreh- und Angelpunkt der Lehre. Jeder, der sich an diesen Sachen orientiert, anhaftet, wird eines Tages durch den Verlust Leid erfahren. Deshalb gilt es, sich davon zu lösen und sich auf das Ewige und Bleibende zu konzentrieren. Immer, wenn ich einen toten Körper sah, kam in mir eine Frage auf. Was führt dazu, dass die Moleküle, Mineralien, Stoffe, aus denen der Körper besteht, nicht nur zusammen halten, sondern uns als etwas Lebendiges erscheinen?
Hierzu möchte ich noch ein anderes Gleichnis, welches mich in diesem Zusammenhang seit Jahren beschäftigt, anbringen. Wenn ich in einen Tonkrug hineinschaue und darin nichts entdecken kann, werde ich ihn als leer bezeichnen. Doch genau genommen, ist dies nicht der Fall. Immerhin befinden sich darin Unmengen an Molekülen, die ich mit meinen Sinnen nicht wahrnehmen kann. Selbst der Tonkrug an sich ist trügerisch. Physikalisch gesehen ist alles, einschließlich meines Körpers, eine Ansammlung von Energiefeldern mit fließenden Übergängen. Allerdings sprengt dies unsere Vorstellungskraft. De facto ist der Krug ein Versuch, etwas aus dem Ganzen zu separieren und in ihm zu deponieren. Versuch, weil es logisch betrachtet nicht funktioniert. Alles, inklusive jedes Menschen, ist ein Teil vom Ganzen und damit ist das Ganze auch ein Bestandteil von jedem Einzelnen. Zerstöre ich den Tonkrug, verteilt sich, was sich zuvor in ihm befand, aber es ist nicht weg. Warum soll ich den Körper eines lebenden Wesens nicht mit dem Tonkrug vergleichen? Ist das, was den Körper leben ließ, weg, weil er zerfallen ist? Wie verhält es sich mit der Idee, die überhaupt zur Herstellung des Krugs führte? Die Leere machte den Krug erst zu dem, was er war: ein Gefäß!


Was ist überhaupt Leben? Wir sind technisch dazu in der Lage Maschinen zu bauen, die über Sensoren mindestens so viele Informationen erlangen können, wie wir es mittels unserer fünf Sinne tun. Mittels Programmen können sie dazu befähigt werden, diese Informationen für Handlungen zu benutzen. Der Dalai Lama Gyalwa Rinpoche hat zum Thema Leben einmal gesagt, dass alles diese Bezeichnung trägt, was sich aus einem eigenen Antrieb heraus bewegt. Die Maschine hat diesen Antrieb nicht. Die Programmierer haben es vorgegeben. In einem Lebewesen passiert mehr. Triebe, wie Hunger, Fortpflanzung, das Bestreben zu überleben und Emotionen bestimmen das Verhalten. Und all dies ist bei jedem Individuum unterschiedlich ausgeprägt. Ich stelle mir dies wie eine Art die Zeiten überdauernde Formel vor, die immer weiter entwickelt wird und deren temporäre Ergebnisse für uns als lebender Körper sichtbar werden. Dabei ist mir ziemlich egal, wie das bezeichnet wird. Auf jeden Fall überdauert es den Körper. Im Buddhismus gibt es dazu das Bild der Kerze. Man nimmt eine neue Kerze und entzündet sie an einer fast heruntergebrannten. Wenn man sich dieses Bild visualisiert, bekommt man ein Verständnis dafür, was mit Inkarnation gemeint ist.
Gräber und Beerdigungen sind für mich irrelevant, wenn überhaupt sind für mich ein symbolischer Platz oder Ereignis für ein Zwiegespräch im Innern. Mich vom Anhaften an einen vergänglichen Körper zu befreien, war ein wichtiger Schritt in meinem Leben, der mir völlig neue Gedanken ermöglichte. Er war das, womit es mir einfacher gemacht wurde, das Wesen wahrzunehmen. Gleichsam verstellte er mir auch den Blick auf das wirklich relevante. Egal, um wen es dabei geht, immer ist entscheidend, welchen Teil des Wesens ich für mich in Anspruch nahm. Mal ist es der Freund, die Freundin, die Lebenspartnerin, die Mutter oder der Vater. Jeder der Genannten ist unendlich viel mehr gewesen und wird sein, als mir möglich ist zu sehen oder sah. Kürzlich starb meine Mutter. In meiner Weltanschauung endet damit die existenzielle Rolle, die sie in meinem Leben einnahm. In meinem Geist bleibt sie existent. Außerdem bleiben die Prägungen und Veränderungen, die wir gegenseitig erfuhren. Das, was ich hier als Wesen bezeichne, bleibt und wird noch lange Zeit in diesem Universum wirken. In welcher Form und Gestalt, kann ich nicht wissen. Im Prinzip hat sich nicht viel verändert. Anderen erschien sie bisher als Kollegin, Freundin, Ehefrau, Nachbarin, Beraterin, usw.

Nocheinmal zurück zu Beerdigungen. Was da zelebriert wird, ist mir definitiv zu körperlich und wird nicht ansatzweise einem Lebewesen gerecht. Es ist eine gruselige Vorstellung, dass Eheleute nebeneinander liegen und einen langen friedlichen Schlaf geniessen. Ähnlich verstörend finde ich die christliche Aussicht, an einem imaginären himmlischen Platz alle wieder zu sehen, die ein gutes christliches Leben führten oder gegenteilig an einen Ort zu gelangen, wo sich alle herumtreiben, die eben dieses nicht taten. Dabei erinnere ich mich an Odysseus, der in der Unterwelt auf die frustrierten Kämpfer von Troja trifft. Wer braucht denn so etwas? Mal ganz davon abgesehen, dass da diverse logische Fehler eine Rolle spielen. Was ein guter Platz ist, dürfte sehr individuell sein und wer den verdient, erscheint ebenfalls subjektiv. Sorry, Moses, Griechen, Römer, Ägypter, ehemalige Bewohner des Gebiets von Euphrat und Tigris, ich kann da nicht folgen. Was sich Konfuzius, Lao Tze und Buddha zurecht legten, erscheint mir einleuchtender.


Bei aller Trauer darüber, nicht mehr unmittelbar mit meiner Mutter sprechen zu können, spürte ich, wie bei der Beerdigung dennoch ein Lächeln über mein Gesicht glitt. Ich durfte das alles Überdauernde einen Zeitabschnitt lang in der Rolle eines Sohnes erleben. Kurz war ich versucht, mal wieder Zugeständnisse zu machen, um anderen nicht die Veranstaltung madig zu machen. Doch ich denke, es gibt wenige Ereignisse im Leben, die so persönlich sind, wie der Tod unmittelbarer Angehöriger, insbesondere wenn es um eigene Kinder oder die Mutter geht. Mit einigem Abstand betrachtet, saß ich da inmitten von Freundschaften, Bekannten und Menschen, die sie sich auserwählt hatte. Ich, der Sohn, war der oder das Einzige, was sie sich nicht aussuchen konnte, sondern ein Produkt ihrer selbst. Einer Bekannten schrieb ich: “Wenn Du als überzeugter Buddhist einer mitteleuropäischen Beerdigung beiwohnst und Dich auch noch zu erkennen gibst, läufst Du schnell unter dem Verdacht, ein verstrahlter Hippi zu sein, der zu Hause mit Joints und Räucherkerzen um sich wirft.” Einen Buddha stellen sich viele gern in den Garten. Doch fragt man die Aufsteller nach Inhalten und der tiefergehenden Logik, kommen wenige Antworten. Wie auch, wenn die Statue in einem Garten vor einem Einfamilienhaus steht, welches die Bewohner in Besitz genommen hat, während sie glauben, dass es genau anders herum ist. Als ich in einer schwierigen Lebenspahse feststeckte, sagte meine Mutter zu mir: “Junge, bewahr Dir Deinen Glauben und orientiere Dich daran.” Wir sprachen niemals intensiver darüber, aber ich denke, dass sie gut verstand, welche Haltung in mir herangereift ist.
Am Ende folgte ich dem Weg und vermied es, dem Vergänglichen noch mehr davon hinzuzufügen. Wenn wir eine schöne Blume sehen, gibt es die Möglichkeit, sie zu pflücken und sie damit dem Verfall zuzuführen oder wir lassen sie an Ort und Stelle, damit wir sie dort bewundern können. Meine Mutter war keine Freundin von Schnittblumen. Ich brauchte eine Weile, bis ich dies genauso sah und verstand. Auch habe ich mir erspart, meinen Namen auf einer Schleife prangen zu sehen, die ein paar Tage später auf dem Müll landet. Ein Symbol gönnte ich mir. In einigen buddhistischen Ausrichtungen symbolisiert die Schildkröte den Begleiter in die neue Erscheinung. Jetzt sitzt neben ihren körperlichen Überresten eine Nachbildung und stellt meine Hoffnung dar, dass sie eine ein wenig unbeschwertere sichtbare Hülle und Dasein erfährt und ein Teil von ihr, lebt in mir weiter.

Moderne Welt

white skeleton figurine on black laptop computer Lesedauer 7 Minuten

Mein Vater ist seit kurzem Witwer und teilt das Schicksal vieler Männer der bürgerlichen Nachkriegsgeneration. Zeitlebens verließ er sich auf das kaufmännische und buchhalterische Können seiner Frau. Computer, Digitalisierung, die neuesten rückwärts eingesprungenen Rittberger bei Bankensicherungssystemen zogen in den Jahren an ihm vorbei. Ihm genügte es, seine EC-Karte in einen Automaten zu stecken, eine vierstellige Nummer einzugeben und das Ding gab ihm Geld. Bei allen anderen Sachen musste er halt zu Hause vorstellig werden. Wie er mit der Haltung in den 80ern und 90ern durch die Polizei kam, ist mir ein Rätsel. Vielleicht nicht ganz. Ich habe noch die Rufe meiner ehemaligen Kollegen im Ohr. „Trölle!“, hieß es dann immer mit einem leicht verzweifelten, dezent aggressiven, Unterton. An irgendeiner Stelle war mal wieder jemand an einem Rechner oder Drucker gescheitert. Auf die Art und Weise kann man auch viel über die angeblich widerlegte Frustration-Aggression-Theorie lernen.
Bereits seit längerer Zeit betrachte ich das Meiste in diesem Zusammenhang als ein groß angelegtes Spiel. Von meinem Vater kann ich das nicht verlangen. Bereits in der Jugend faszinierte es mich, wie er verrenkt unter der Decke klebend eine persönliche Beziehung zu einer Schraube aufbauen konnte, die ein sadistisch-perverser Designer für eine Deckenlampe vorgesehen hatte. Dies ist nur eins von vielen Beispielen für die Dinge, die nachhaltig meine Lebenshaltung prägten. Aus unerfindlichen Gründen neigen Mitglieder moderner industrialisierter Gesellschaften dazu, sich das Leben maximal zu verkomplizieren. Alles muss versteckt sein, möglichst unsichtbar montiert werden und darf das Auge mit der Existenz nicht stören. So als ob es einem peinlich wäre, dass man dem Universum wieder einmal eine Ausgeburt des Großhirns unterwuchtete. Egal, vielleicht gibt es ja tatsächlich Designer, die abends am Tresen sitzen und sich stundenlang darüber amüsieren, wie weltweit Handwerker an ihren Konstruktionen verzweifeln. Bei den Konstrukteuren von Motoren bin ich mir sicher. Warum sollten sie sonst stets neue unzugängliche Plätze für Zündkerzen finden?
Zurück zu den Problemen der neuen Welt oder besser gesagt, in die Zeit der „Digitalen Revolution“. Bisher konnte ich meinen Vater nicht davon überzeugen, dass der Mensch Computer jenseits der Wissenschaft ausschließlich einsetzt, um Probleme zu lösen, die wir ohne sie nicht hätten. Beispielsweise entdeckte ich auf seinem Rechner ein Finanzmanagement-Programm. Ich gebe zu, dass ich so etwas auch mal hatte. Es dauerte eine Weile, bis ich die Hintergründe verstand. Haushaltsbücher gelten als antiquiert. Ich fand mal eins meiner Großmutter. Oben stand, wie viel mein Großvater in der Lohntüte nach Hause brachte, darunter folgten simple Eintragungen über die Ausgaben. Miete, Strom, Milch, Butter, Brot, Belag, Getränke, fertig. Keine Aktien, Depots, Abschreibungen, Sonderausgaben, Werbungskosten, Außenstände bei der Krankenkasse, Rücklagen oder ähnlich verwirrende Dinge. Das Buch ist weder sexy, hip, noch cool. Also machten sich Programmierer ans Werk. Theoretisch kann jetzt jeder mit diesen Programmen nachvollziehen, wie viel Prozent die Nahrungsmittel, das Vergnügen, die Toilettenartikel, ausmachen. Es ist auch nachvollziehbar, wie sich das über das Jahr entwickelte. Oder man kann bestimmen, welche Ausgaben steuerlich relevant sind. Mal ganz abgesehen davon, dass sie dies beim Normalbürger nie sind, weil in der unteren Mittelschicht kaum einer über die Pauschalbeträge kommt. Aber man darf träumen. Genau genommen sind diese Programme zeitraubende PC-Spiele. Etwas philosophischer formuliert, liefern sie eine grafische Darstellung des inneren Zustands „Haben“. De facto benötigt er dieses Programm wie eine singende Einhorn-Figur aus rosafarbenen Plüsch. Leider sperrte es aufgrund einer Fehlbedienung den online-Zugang für die Bank.
Man mag meinen, dass dies kein gravierender Vorgang ist. Tausende geben jeden Tag eine falsche PIN ein. Eben! Damit gehen sie den Banken auf den Zünder. Kaum freuten sich all die Dagobert Ducks über die fantastischen Kostenersparnisse, die sich aus der Freisetzung der teuren Angestellten ergaben, begannen die Kunden online zu nerven. Immer wieder bewundere ich die Genialität Douglas Adams. Im „Anhalter durch die Galaxis“ zeigen sich die Gorgonen verwundert, weil die Erdbewohner nicht rechtzeitig Widerspruch gegen Zerstörung der Erde einreichten. Parallel kämpft einer der Protagonisten um die Unversehrtheit seines Hauses, welches für eine Umgehungsstraße geopfert werden soll. Mitgeteilt wurde dies mittels eines Aushangs im Keller des Rathauses, hier wiederum in einem verschlossenen Raum, für dessen Öffnung ein Antrag notwendig ist. Webpräsenzen von Banken sind ähnlich strukturiert. Alles was verkauft werden soll springt einen an. Mit drei Tasten und zwei Klicks ist der Deal abgeschlossen. Will man einen Kontakt herstellen, wird es schwieriger. Zur Auswahl standen der telefonische Support, ein WhatsApp-Kontakt (extrem bedenklich), eine KI, die den Namen nicht verdient, da sie nur FAQ beantworten kann und einige Formulare, die seltsamerweise nur auf den Kauf weiterer Produkte bezogen sind.
Zunächst rief er selbst bei der Bank an. Sie, die Beraterin und er, der Mann aus der Zeit vor der Digitalen Revolution, sprachen sauber aneinander vorbei. Hilfreich wäre die Klärung gewesen, von welcher Art Gerät jeder spricht. Am Ende war der Zugang wieder dicht. Ich kenne nicht den Masterplan der Sparkasse Berlin, aber am Geld der Senioren scheinen die Verantwortlichen nicht interessiert zu sein. Ich weiß! Sie sind am Geld, richtig formuliert an den Datensätzen, die Geld darstellen, interessiert, aber nicht an diesen lästigen verfallenden Blutsäcken, die nichts mehr generieren, sondern nur noch empfangen. Demnächst, jedenfalls wenn es nach den Ferengis (Mein Vater weiß natürlich nicht, was ein Ferengi ist, aber ohne es zu wissen, kennt er sie doch, weil man Politiker*innen der CDU/CSU/FDP, nicht besser darstellen kann) geht, wird das Geld für die Rente treubrav an Blackrock übergeben. Der Investment-Gigant, soll dann mit einer weiteren europäischen Rentenkasse spielen dürfen.
Also machte ich mich an die Angelegenheit. Ich selbst bin bei einem anderen Institut. Mir fällt es leicht, mit den entsprechenden Apps auf dem Smartphone zu agieren. Aber kann ich das von einer älteren Generation erwarten? Ich denke nicht. Weil ich mir nicht ganz sicher war, was die eigentlich in Sachen online-Banking auf dem Portal wollten und außerdem das richtige Gerät benötigte, stellte ich mich in die Schlange vor der Sparkassen-Filiale. Jedem, der ein wenig Zeit hat, kann ich diese Erfahrung empfehlen. Mit mir zusammen standen dort in der prallen Sonne ca. 20 mehr oder weniger verzweifelte Rentner und Rentnerinnen. Ich bereitete mich innerlich auf erste Wiederbelebungsmaßnahmen vor. Vor uns stand ein typischer Berliner Sicherheitsmann. Schwarzes Hemd, schwarze Jeans, Schuhe von einem bekannten Sicherheitsausstatter und rudimentär der Sprache mächtig, die die Rentner vor ihm sprachen. Immer mal wieder grüßte er knutschend junge kräftige tätowierte Männer, die an allen vorbei zu den EC-Automaten gingen. An den Schaltern spielten sich menschliche Tragödien ab. Es ist nicht schön, wenn man alte Männer in Tränen ausbrechen sieht, weil sie mit dem Humbug überfordert sind. Grotesk wird es, wenn man dabei den Kontrast an den Automaten beobachtet, wo sich merkwürdige Gestalten ihr Geld holen.
Endlich an der Reihe nickte der Angestellte nur mitleidig. Was ich schilderte, war sein täglich Brot. Allerdings konnte er mir nicht das passende Gerät verkaufen. Hätte er dies getan, ergäbe sich daraus für die Bank ein Haftungsanspruch, deshalb müsse man es online kaufen. Über die App, zu der ich keinen Zugang habe, würde sich das Ding ganz leicht kaufen lassen. Zwischenzeitlich rief mich mein Vater an. Bei einer großen Bank in seiner Nähe böten sie ihm einen Seniorenberater an. Zu meiner Begeisterung beschloss er dorthin umzuziehen.
Doch da wäre noch die Sache mit den Konto-Auszügen. Eigentlich simpel, wenn man sich in Berlin befindet und einen Berliner Automaten benutzt. Weilt man in einer anderen Stadt, mögen einen die Sparkassenautomaten nicht. Jetzt ritt mich der Teufel. Auf einem Samstag, zur Primetime, also nachdem alle Hundebesitzer nochmals ihre Lieblinge ausgeführt hatten, 5 Minuten nach Beginn des traditionellen deutschen 20:15 Uhr Fernsehprogrammbeginn, zu der Zeit, in der die Wasserbetriebe die geringste Auslastung haben, rief ich die Hotline an. Es dauerte 30 Minuten, bis sich eine freundliche Dame meldete. Ihr schilderte ich mein hochkomplexes Anliegen, welches manche Absolventen der Betriebswirtschaftslehre nicht regeln können: „Können Sie bitte meinem Vater, Inhaber des Kontos xy, einen Ausdruck des letzten Monats übersenden?“ Theoretisch wäre dies möglich, aber über das online-Banking sei dies viel einfacher. Yeap! Aber nicht, wenn es gesperrt ist. Also bot sie mir die Entsperrung an. Mein müsste hierfür nur eine seiner letzten Abhebungen oder Zahlungen, auf den Cent genau und mit Nennung der Transaktionsnummer benennen. Außerdem noch Geburtsdatum, Kartennummer, Schuhgröße, Essgewohnheiten der Großmutter … Was folgte, war eine kleine Eskalation. Da half auch nicht die Erklärung, dass die arme Frau auch nur ein Opfer der Ferengis und der Digitalen Revolution ist.
Ich schrieb bereits, dass mich der Teufel ritt. Unabhängig vom Anruf hatte ich bereits eine online-Lösung gefunden. Dachte ich! Die Sparkasse hat zwischenzeitlich eine eMail gesandt, dass sie leider Anfragen dieser Art nicht bearbeiten kann, weil sie den Absender nicht verifizieren können. Grundsätzlich wäre das kein Thema, weil sie ja einen Brief absenden. Aber sie wären kein Geldinstitut, wenn sie für den Ausdruck nicht satte 5 EUR berechnen würden.

Ich lehne mich mal weit hinaus. Bei mir ist ein abgebrochenes und ein abgeschlossenes Studium, jahrelange EDV-Erfahrung, diverse Zusatzausbildungen für computergesteuerte Spezialtechnik im Hintergrund. Im Gegenzuge wirft mir kein Installateur Werkzeug und ein Handbuch an den Kopf, damit ich meinen Kram alleine erledige und verlangt auch noch Geld von mir. Ich schrieb hier von Rentnern und Leuten, die sich jenseits der 70 bewegen. Das ist nicht fair und trifft auch nicht die Realität. Viele sind mit alledem überfordert. Hinzu kommen die, welche nicht darüber reden wollen und so tun, als ob sie klar kämen. Eines schönen Tages wird alles sehr simpel sein. Und damit wird es dann richtig gefährlich. Nur noch Insider wissen dann, was im Hintergrund passiert. Damit gibt es dann gar keine Chance mehr sich gegen die eine oder andere Sauerei zu wehren. Vermutlich gebe ich mich einer Illusion hin. Was da wie und warum passiert, weiß ich nicht. Jetzt in diesem Augenblick schreibe ich auf einem Laptop, der über ein WLAN online ist und mit dem ich einen Text schreibe, der aussieht wie früher auf der Schreibmaschine, tatsächlich aber eine Ansammlung von kryptischen Codezeichen ist, von denen ich nichts verstehe. 70 % von dem, was auf dieser Seite geschieht, verstehe ich nicht. Ich bin nicht einmal dazu in der Lage Werbung so einzublenden, dass ich damit Geld verdienen könnte.
Bei Geld bin ich ohnehin raus. Bitcoins, Aktien, Börsenkurse, Finanzprodukte, Tagesgeldkonten, haben mich niemals interessiert und heutzutage will ich damit nichts mehr zu tun haben. Ich weiß, dass da eine Menge Dinge passieren, die nichts Gutes erbringen. Dieses Wissen reicht mir völlig aus. Ich hege einen bösen Wunsch. Meiner Erfahrung nach, gehen alle hochkomplizierten Prozesse eines Tages böse schief, während einfache recht zuverlässig funktionieren. Wie schön wäre es doch, wenn den Freaks irgendwann alles um die Ohren fliegt. Es gäbe dann bedauernswerte Opfer, aber die Überlebenden und nachfolgenden Generationen wären die Gewinner. Im alten Chaplin Film gerät der Protagonist zwischen die Zahnräder einer Maschine. Die Revolution der mechanischen Maschinen ist Vergangenheit, jetzt haben wir es mit der Digitalisierung zu tun. Erich Fromm beschrieb die Moderne als eine Zeit, in der die Menschen alles tote und seelenlose lieben, während sie das Lebendige vernachlässigen. Er sagte dies vor ca. 50 Jahren. Ja, ich kann dem nur zustimmen.

Immer noch illegal

shallow focus photography of cannabis plant Lesedauer 8 Minuten

In Sachen Cannabis ist die aktuelle Ampel-Koalition mit einem großen Wählerversprechen angetreten: Wir werden Cannabis legalisieren. Allerdings scheint bisher nicht einmal eine Entkriminalisierung in Sicht zu sein. Ich erwartete nichts anderes. Ein Land, in dem sich selbst der Verkauf gängiger Schmerzmittel kompliziert gestaltet, tut sich schwer damit. Wenn ich in Polen an einer Kasse stehe und dort Aspirin neben Ibuprofen liegen sehe, frage ich mich stets, ob deutsche Zeitgenossen und Genossinnen mit politischen Gestaltungswillen, ihre Mitmenschen für besonders dämlich halten, oder sie ihre Rolle ein wenig zu erzieherisch anlegen.
Ich kann mich seit meiner Jugend an keine Zeit erinnern, in der Drogen nicht irgendwie eine Rolle spielten. Auf den Partys wurde mit der Pubertät Alkohol getrunken und die ersten Joints gingen herum, als ich um die 16 Jahre war. Mit Mitte der 80er kombinierten die ersten Freunde Kokain, MDMA, XTC, Alkohol und Cannabis. Jetzt wo ich nochmals die Zeit Revue passieren lasse, fällt mir ein, dass zwei Mitschüler bereits in der 7en Klasse Klebstoff schnüffelten. So viel ich weiß ist einer von beiden „abgedriftet“ und der andere wurde später Drogenberater. Einige Grundregeln lernte ich in all den Jahren: „Nicht die Droge sucht sich den Konsumenten, sondern es läuft andersherum.“ Gleichsam gilt: „Ob jemand süchtig wird, ist in der Persönlichkeit begründet und hat sekundär etwas mit der Substanz zu tun.“ Nunmehr bin ich Vater von zwei erwachsenen Töchtern. Aus Überzeugung heraus begann ich bei beiden recht früh mit einer offenen Aufklärung über Drogen. Mir war dabei immer bewusst, dass diese Verbotsfaselei im günstigsten Fall unbeachtet verhallt; im schlechtesten kontraproduktiv ist. Ich sagte ihnen Dinge wie: „Ihr werdet Alkohol trinken, das ist sicher. Aber wenn ihr trinkt, gebt dem Zeug eine Chance für die Wirkung. Ein Glas, warten, kurzer Body – u. Gehirnscan, dann kann es weiter gehen. Wenn ihr andere Drogen nehmt, bleibt dabei niemals alleine und Finger weg von den Sachen, die ein Chemiestudent im 4en Semester zusammen kocht.“ So weit ich noch einen Einblick in ihr Leben habe, scheint mein Plan aufgegangen zu sein. Ich halte nichts von Wunschvorstellungen, die sich jenseits der realistischen Verhältnisse befinden. Insofern es mir möglich war, beschrieb ich ihnen die Wirkungen der in unseren Breitengraden kursierenden Drogen. Mir wurde in der Jugend eine Menge Humbug erzählt. Cannabis, LSD, Captagon, XTC, Kokain, Heroin, wurden zum bösen Einheitsbrei, während Alkohol, kontrolliert eingenommen, durchging. Erst mein Onkel, schwer heroinabhängig, sagte mir eindringlich: „Alles begann mit dem ersten Bier!“ Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, vielleicht der Reiz einer Welt jenseits des als spießig empfundenen Elternhauses, ein Eindruck, der oftmals aus dem Versteckspiel gegenüber den Kindern resultiert, die Flucht vor einem Leben, welches einem seitens der Gesellschaft aufgedrückt wird, aber ziemlich unmenschlich wirkt, sind beim Einstieg die wichtigen Faktoren. Aber auch die Frusttoleranz, die Fähigkeit, mit Kummer, Trauer, Liebe, Emotionen, umgehen zu können, gehören dazu.

Das Einnehmen von Drogen unter Strafe zu stellen, ist ein bemerkenswertes Konstrukt. Immerhin schädigt sich jeder mit der Einnahme ausschließlich selbst. In allen anderen Gesetzen geht es immer darum, mittels Strafandrohungen Schaden von anderen abzuwehren oder bereits entstandenen zu sühnen. Nun gut, das passt zur Geschichte des Verbots. Nachdem religiöse Eiferer im Schulterschluss mit Industriellen am Alkoholverbot gescheitert waren, erschien plötzlich eine komplette US-amerikanische Behörde gegenstandslos. Der Alkohol minderte aus Sicht der Industrie-Bosse die Arbeitskraft der armen Männer und Frauen, die unter heute inakzeptablen Verhältnissen schufteten. Die Fanatiker sahen die Gottesfürchtigkeit gefährdet. Aber ein Al Capone begriff, dass das ein Kampf gegen die menschliche Natur werden würde und machte ein Geschäftsmodell daraus. Doch, wenn die kollektiv schwer in ihrer Persönlichkeit gestörten amerikanischen Evangelikalen und Rechts-Konservativen schon nicht den Alkohol verbieten konnten, gab es immerhin noch dieses böse Kraut, welches all die rauchten, die quasi den Gegenentwurf lebten. Wie immer in solchen Fällen wurde eine gigantische Propaganda-Kampagne gestartet. Bis heute wirkt sie nach. Cannabis-Raucher/innen sind faul, langsam, desinteressiert, vergesslich und sind schwer für Anstrengungen zu begeistern. Mit anderen Worten, der Albtraum des kapitalistischen Bürgertums. Während bei den Trinkern und Trinkerinnen die Werbebranche beidbeinig ins Geschäft sprang und den Alkohol zu einem Elixier des Erfolgs, Genussmittel und angeblichen Kulturgut werden ließ, dämonisierte man Cannabis. Die jährliche Krönung einer Cannabis-Königin, Messe-Verköstigungen mit aufgedonnerten Hostessen und Männern in abgewetzten Anzügen, sonst Alkoholiker, an der Stelle dann Hardcore-Bong-Raucher, die die Vorzüge der frischen Ernte anpreisen, sind schwer vorstellbar. Die Pflanze passt einigen anderen über das Rauschmittel hinaus nicht ins Konzept. Sie ist ein Multitalent und greift in mehrere Geschäftszweige hinein. Die Fasern sind in diversen Anwendungsbereichen synthetischen Produkten ebenbürtig und darüber hinaus kein schädlicher Eingriff in die Ökologie.
Ich denke, beim Verbot gehen einige miteinander Hand in Hand. Da wären die Missionare und Missionarinnen, welche davon beseelt sind, dem Rest der Welt ihre Vorstellungen aufzudrücken. Sie sind in die Politik und in die Ämter gegangen, um hierfür die notwendigen Machtmittel zu bekommen. Ich habe noch nie verstanden, was Menschen antreibt, die sich in die ureigensten Belange anderer einmischen. Solange jemand mit seinen Handlungen bei sich bleibt, kann sie/er tun und lassen, was sie/er will. Relevant wird es erst, wenn ein/e zweite/r involviert ist. Wer Drogen nehmen will, soll es tun und wer sich das Leben nehmen will, kann dies auch machen. Alledem geht eine lange Geschichte voraus.

Drogen lassen sich niemals getrennt von den gesellschaftlichen Prozessen betrachten. Noch heute ist es in vielen Kreisen ein Zeichen von Stärke, wenn man große Mengen Alkohol verträgt. Alkoholkonsum ist an der Stelle ein Spiel. Mitspieler sind die Trinkenden, das Barpersonal und die kritisierenden Mitmenschen. Man trifft sich, trinkt, baut Mist, der später als lustige Suffgeschichte verkauft wird, erwacht und holt sich den Ärger der Leute ab, die einen verkatert ertragen müssen. Oder es handelt sich um das ungezwungene Gespräch nach dem strengen Protokoll, bei dem endlich mal Tacheles gesprochen wird. Wer keinen Alkohol trinkt, wird schräg angesehen. Im Gegenzuge habe ich noch keine „Kiffergelage“ erlebt, bei dem ein Wettstreit über die Anzahl der gerauchten Joints oder Bongs ausbrach. Kokain taucht meistens in Kombination mit Alkohol auf. Es ermöglicht ein Trinken weit über das normale Limit hinaus. Das passt wunderbar zum Lifestyle der Hedonisten. Schneller Erfolg, hartes Business, schnelles Geld, keine Moral oder Ethik, immer auf der Autobahn unterwegs. Am besten noch mit dem Laptop im Zug schnell die Präsentation vorbereiten, die Aktienkurse verfolgen, sich bei der Frau entschuldigen, schnellen unkomplizierten Sex mit Gleichgesinnten, eben alles, was in einigen Kreisen als Erfolgsnummer gilt.

Wenn man sich mit Befürwortern der Drogenkontrolle unterhält, lohnt es sich, sie ein wenig intensiver auszuleuchten. Warum sehen sie sich dazu berufen, eine Unterscheidung vorzunehmen und auch noch unter dem Deckmantel andere schützen zu wollen, ein Verbot erlassen? Ein Verbot, welches Geldstrafen, Haftstrafen, jede Menge Ärger, Beschädigung des Images, Zerstörung beruflicher Laufbahnen und Biografien, nach sich zieht. Ganz nebenbei auch Verbote, die erst einen Anreiz bedingen. Ist dies alles wirklich ein Schutz? Wenn ich einem Jugendlichen, dem ich das Rauchen verboten habe, eine Ohrfeige gebe, erreiche ich dann etwas? Wäre nicht die Frage, warum es dazu gekommen ist und welche Motive den Antrieb gaben, viel besser? Und ist die verbietende Person Abstinenzler? Ich erlebte mal Michel Friedman bei einem Vortrag vor Freimaurern. Das Thema lautete: Angst! Er sagte dort: „Meine Angst vom Rauchen Krebs zu bekommen, wird von der Angst übertroffen, wie ein Nichtraucher zu werden.“ Die Haltung kann ich nachvollziehen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber oftmals neigen die zur Intoleranz und einem penetranten Sendungsbedürfnis. Kaum einer lebt in einer industrialisierten Gesellschaft ein wirklich dem menschlichen Wesen und seiner Gesundheit zuträgliches Leben. Da mische ich mich bei denen auch nicht ein.
Menschen sind in der Regel nicht echte Altruisten. Aus allem, was wir tun, ziehen wir in irgendeiner Form unsere Befriedigung. Sei es nur, dass ich einem anderen Menschen helfe, um mich damit besser zu fühlen. Ich kann es aber auch lassen und mir damit suggerieren, was ich doch für ein harter Hund bin, der emotional über den Dingen steht. Die sich da ihn Verboten ergehen, wollen sich auch die Befriedigung für ein Bedürfnis einholen. Gleiches gilt für Regulierungen. Bereits die Option, dies überhaupt tun zu können, setzt sie ein bis zwei Etagen über die anderen. Meiner Erfahrung nach, ein ziemlich starker Antrieb. Insofern die Notwendigkeit besteht, weil es das soziale Leben zu regeln gilt, lasse ich mir das gefallen. Aber nicht, wenn es um das pure Selbst geht. Mir wäre neu, dass sich diese Leute um andere Belange ähnlich umfassende Gedanken machen. Die Entfremdung, die immer komplizierte werdende Suche nach einer Identität, dem tatsächlichen Wirken in der Gesellschaft, die Reduzierung von Stress, der ernstgemeinte Ansatz, die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten anzugehen, welche Millionen von Menschen in ein Leben treiben, welches als äußerst ungesund zu bezeichnen ist, sparen sie aus.

Prohibition funktioniert ausschließlich über Macht, Machtmittel, Gewaltausübung, willkürlicher Auswahl, und mittels Zeitgenossen, die bereit sind, damit zu arbeiten. Deshalb muss ich mir beide Seiten anschauen. Es erscheint mir fraglich, ob diejenigen, welche sich dazu berufen fühlen, frei von bedenklichen Störungen sind. Wären sie es, gelte ihr Anspruch einer Überzeugungsarbeit, der Veränderung der bedingenden Faktoren und der realistischen Hinnahme der menschlichen Natur. Drogenkonsum zu verbieten kommt einem Gesetz gleich, in dem bei Strafe die Onanie untersagt wird. Dabei auch noch ausgerechnet den wahrlich schädlichen Alkohol und Nikotin zu erlauben, ist schlicht absurd.
All die ganzen Studien zum Thema Drogen sind meiner Auffassung nach Müll. Ein voll entwickelter Mensch weiß um die Schädlichkeit von Giften. Bereits Paracelsus formulierte die berühmten Worte: “Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift.” Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.” Sei es nun Cannabis oder Alkohol, von einer völligen Unschädlichkeit auszugehen, passiert vermutlich sehr wenigen Menschen. Oftmals sind bei Drogen Doppelwirkungen bekannt. Mal wünscheswerte positive bzw. u.U. heilende Wirkungen, andererseits schädliche die Gesundheit gefährdende. Auch ohne Arzt oder Wissenschaftler zu sein, vermute ich einen schwierigen Nachweis, was denn nun im Leben eines Menschen zum Beispiel konkret eine Psychose auslöste oder den Nährboden bereitete. Rein subjektiv betrachtet erscheint mir der Alkohol als eine der übelsten Drogen. Ob legal oder illegal, ist er recht schnell verfügbar und bietet beim Missbrauch, schnell die erwünschte Wirkung an, die relativ einfach aufrecht erhalten werden kann. Kurz: Je nach Problemfeld schießt er die Leute zuverlässig ab. Heroin bedarf einer gewissen Überwindung und die Wirkung ist zeitlich ziemlich begrenzt, so dass ein neuer Schuß notwendig wird. Aber wie auch immer geht es beim Missbrauch stets um das ausklinken. Ein Therapeut fragte mich mal, ob mir mal die Ähnlichkeiten zwischen einem Säugling und einem Alkoholiker aufgefallen sind.
Sich mit Cannabis völlig aus dem Rennen zu nehmen, ist eher schwierig und wäre nicht meine erste Wahl. Dabei fällt mir bei Cannabis-Konsumenten immer wieder die hohe Anzahl Intellektueller, hervorragend ausgebildeter Leute und die damit verbundene Empathie auf. Doch auch bei Cannabis sollte man wissen, was man da tut. Etwas schräg ist die offizielle Bewertung im Verhältnis zu Alkohol. Mir ist die egal. Jugendliche Trinker sind mit absoluter Sicherheit in jeder Hinsicht gefährdeter, abgesehen von anderen aufputschenden Drogen, als alle anderen. Was sie in Gefahr bringt, der Verkehr, die Aggressivität, die Enthemmung oder die toxische Wirkung ist dabei irrelevant. Verbote bringen weiterhin eine Dynamik mit. Ganz praktisch erlebte ich das in Malaysia. Die Underground-Szene der Jüngeren, welche sich durch die restriktiven Bedingungen der muslimisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft, exzessiv Drogen zu wenden, bevorzugen i.d.R. Cannabis. Durch die Verfolgung kommt es entweder zu einem Mangel oder sie weichen aus Angst vor gezielten Urin-Kontrollen auf andere Drogen aus, die nicht getestet werden. Oftmals ist dies ein Cocktail aus heimischen Pflanzen, Pilzen und Medikamenten. Der Weg zum Heroin ist dann nicht mehr weit. Therapieeinrichtungen existieren fast gar nicht und wenn doch, wird meistens die Droge durch religiösen Fanatismus eingetauscht. Zwischen Drogenmissbrauch und dem genannten reiligiösen Fanatismus ist ein schmaler Grat. Begründet ist dies in der Ursache für den Missbrauch. Die Religion soll Antworten geben und den Druck aus der Seele nehmen.

Mir erscheint eine gesellschaftliche Analyse und Behebung der den Missbrauch bedingenden Misststände deutlich zielführender, als Repression und Prohibition. Sag mir, welche Drogen in einer Gesellschaft bevorzugt konsumiert werden und ich erzähle Dir, wie der Zustand des jeweiligen Systems aussieht. Ein gewisses Maß an Konsum wird es immer geben. Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, dass über eine Analyse hinaus auch Änderungen angestrebt werden. Viel einfacher ist die Repression und Geld lässt sich damit auch ganz gut verdienen. Ebenso wachsen in unserem Gesellschaftssystem stetig Charaktere heran, die sich mangels natürlicher Autorität und Überzeugungskraft, über institutionell vergebener Macht definieren und sich durch die beschriebenen willkürlichen Verbote, über andere erheben. Ehrlicherweise muss ich anfügen, dass ich mittlerweile davon überzeugt bin, dass ein beklagenswerter Zustand eingetreten ist, der Änderungen äußerst gefährlich werden lässt. Große Anteile der Gesellschaft haben sich daran gewöhnt und verlernt, anders zu leben. Was nicht verboten wurde, ist erlaubt und kann nicht schädlich sein. Über Jahrzehnte hinweg wurde in beiden deutschen Staaten auf unterschiedliche Art und Weise alles an die Institutionen und deren Verwaltungen übergeben. Parallel wirkt auf alle seit Jahrzehnten ein Kanon von Manipulationen ein. Aber gut, meine Haltung zum Kapitalismus und den Auswirkungen ist jedem, der ab und zu hier mitliest, hinreichend bekannt.

Die Cannabis-Lobby setzt auf den Kapitalismus. Ich bin da skeptisch. Bei einer Legalisierung verdienen Neue und alte Alte erfahren Einbrüche. Letztere werden sich zu verteidigen wissen. An der Prohibition hängt weltweit ein riesiger Apparat, der über Jahrzehnte gewachsen ist. Der gibt nicht einfach kampflos auf.