Jahresrückblick 2022

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Ich zögerte etwas. Doch einige Worte sollte mir 2022 doch wert sein. Es war ein bitteres, lehrreiches Jahr. Auf Details möchte ich verzichten. Ich bin ohnehin zur Auffassung gekommen, dass die einzelnen Ereignisse weniger von Bedeutung sind, als was man für die Zukunft daraus macht.

Jeder muss seine Haltung zum Leben finden. Existieren wir lediglich zwischen Zeugung und Tod? Ist der Körper eine Hülle, die etwas anderen als Hülle dient? Gibt es so etwas wie ein Jenseits? Nimmt man den Begriff Inkarnation wörtlich? Die Fleischwerdung von etwas, was bereits vorher existierte und nach dem Verfall des Körpers weiter besteht? Mit diesen Fragen setzte ich mich wieder einmal auseinander und gab mir selbst Antworten. Der Tod eines anderen Menschen ist immer auch eine Botschaft an die Lebenden. Das Leben, wie wir es sehen können, ist endlich. Der Körper ist vergänglich. Das, wovon wir uns verabschieden, sind die Aspekte, die wir sehen, empfinden, spüren, konnten. Keinesfalls ist es uns gegeben, den oder die Verstorbene/n in voller Gänze zu erfassen. Für einen war es die Mutter, für einen anderen die Ehefrau und wieder anderen eine Bekannte, Kollegin, Nachbarin. Und so unterschiedlich werden auch die Empfindungen sein, die jeder mit sich alleine ausmachen muss.

Als Lebender nehme ich im Leben anderer Menschen ebenso viele Rollen ein. Vater, Sohn, Ex-Kollege, Freund, Bekannter, womöglich manchmal der Feind, jemand der beeinflusst oder einfach nur vorüberzieht. Und innerhalb dessen bin ich der, den ich selbst sehe. Doch es ist mir nicht gegeben, auf der anderen Seite mein gewünschtes Abbild von mir zu erzeugen. Ich verwendete weiter oben das Verb “Verabschieden”. Ganz glücklich bin ich damit nicht. Wenn jemand stirbt, endet für mich die Zeit, in der ich dieses Wesen aktiv erlebte, bisweilen auch einiges projizierte, aber ein Abschied ist es für mich nicht. Eher hat sich dieses Wesen von mir verabschiedet und zieht weiter. Dass sich meine Mutter 2022 von mir verabschiedete, war das tiefgreifendste Ereignis. Ich schrieb, dass das Ereignis zweitrangig ist und primär die Überlegung ansteht, was dies mit einem macht.

Es hat mich erneut daran erinnert, dass ich selbst Vater bin. So seltsam es klingen mag, aber es gibt Augenblicke, wo ich übersehe, wie mich meine Kinder sehen. Ich denke, damit bin ich nicht alleine. An mir sehen sie, wie älter werden aussieht. Wie sie werden könnten, wenn sie nicht aufpassen. Auch an der Stelle gilt: Was ich einst tat, erfuhr oder lernte, ist weniger wichtig, als ich jetzt daraus mache. In der Vergangenheit zu leben ist verführerisch, zumal man sie kreativ erzählen kann. Hier und Jetzt, bekommen alle mit und können es beobachten.

Schaue ich in die Welt hinaus, passieren da lauter Dinge, die mir missfallen. Meine Lebenserfahrung sagt mir, dass ich nichts daran ändern werde. Einzig fraglich ist, wie ich damit bzw. in dieser Welt lebe. Wobei im gewissen Sinne eine Änderung möglich erscheint, nur ich dies niemals wirklich erfassen werde. Wie sich ein Verhalten meinerseits letztendlich tatsächlich auswirkt, werde ich nicht erfahren. Aber ich kann vorleben, wie ich es mir von anderen wünsche und dabei die Hoffnung hegen, einen winzig kleinen Beitrag zu leisten. Für mich ergibt sich daraus die Konsequenz, dass ich weitestgehend darauf verzichte, mich an diversen Vorgängen zu beteiligen.

2022 forderte wie bereits 2021 die Leute zum Handeln, Sprechen, Stellung beziehen, heraus. Einerseits ist das gut, andererseits war es erschütternd, was da alles zum Vorschein kam. Corona, Masken, Maßnahmen, Kritik an den Maßnahmen, der Diskurs über den Freiheitsbegriff, die Diskussionen über den Krieg, Waffen, Klima, die Rolle des Staatsbürgers, Ziviler Ungehorsam, Widerstand, Macht, Machtausübung, Machtmissbrauch, Diskussion bzw. Debatte über Werte innerhalb der Gesellschaft und in der internationalen Politik. Es gibt nicht mehrere Gesellschaften, sondern nur die eine, welche wiederum unterschiedliche Gruppen beinhaltet. Diese sind wiederum mit unterschiedlichen Möglichkeiten ausgestattet, auf gesellschaftliche Prozesse, Werte, Moral, Gesetze, einzuwirken, die dann wiederum die komplette Gesellschaft prägen.

Der Mensch, ausgestattet mit seinen geistigen Fähigkeiten, ist zu sehr vielen fähig. Jede Aussage, Handlung, Charakter, Idee, Vorstellung, zeigt uns, wozu und in welchem Umfang die Möglichkeiten reichen. Wie ich schon mehrfach in diesem BLOG schrieb, macht mir erst die Kenntnis von Dunkelheit möglich, das Gegenteil, nämlich die Helligkeit zu erkennen. Diverse Politiker/innen, deutsche und internationale, sich in Medien äußernde Zeitgenossen/innen, haben ein Verhalten an den Tag gelegt, welches ich als Ignoranz, Gier, Heuchelei, Machtgeilheit, dumm, verkommen, arrogant, empfand. Doch stets fragte ich mich, woran ich dies überhaupt erkennen konnte. Ganz einfach: Ich habe bereits an anderer Stelle das Gegenteil kennengelernt. Ein Umstand, der mich 2022 stets aufbaute. Der Mensch kann auch anders!
Der Mensch ist so oder so, ist eine inakzeptable Entschuldigung, die sich alle zurechtlegen, die nicht einmal den Versuch unternehmen, es anders anzugehen. Oder es sind diejenigen, welche nicht den Mut, die Kraft, aufbringen, eine eindeutige Stellung zu beziehen, weil sie dann mit sich selbst in Konflikt geraten. Stichwort: Gewissen! Der Mensch ist dazu fähig, eins zu entwickeln. Gemäß einiger Philosophen erwächst daraus die Verpflichtung, danach zu handeln. Da kann es kein Verstecken hinter Gesetzen, einem demokratischen Prinzip, Folgsamkeit oder temporären gesellschaftlichen moralischen Konzept geben. Ziemlich drastisch erlebten wir dies 2022 bei den zumeist jungen Aktivisten, aber auch Wissenschaftlern, Intellektuellen, Eltern, Großeltern, die sich für das ökologische System engagierten. Einen großen Teil der Wut und Hass, der ihnen entgegenschlug, führe ich auf das Gefühl ertappt zu sein, zurück. Sehr viele wissen ziemlich genau, einige spüren es instinktiv, dass sie sich mit ihrer Bequemlichkeit, ihrer Dekadenz, Abkehr von Vernunft und Verstand, außerhalb des Bildes befinden, welches sie gern von sich abgeben würden.
Darauf hingewiesen zu werden, macht sie aggressiv und lässt sie sich benehmen, wie Pubertierende. Wenn dies “nur” vom allgemeinem Volk ausginge, wäre es zwar alarmierend, aber noch halbwegs erträglich. Doch bei uns und in anderen industrialisierten Staaten ist auch die politische Führung inbegriffen und das geht schief. Wenn die Führung dilettantisch, irrational, gierig, beleidigt, pubertär, dissonant, psychopathisch unterwegs ist, führt dies erfahrungsgemäß in die Katastrophe.

Ich selbst verabschiedete mich bereits vor Jahren von gut, böse, altruistisch oder egoistisch. Die Lektion bekam ich durch die Veränderung meines beruflichen Umfelds. Ich hatte 10 gute Jahre mit einem perfekt zusammen arbeitenden Team. Dann kamen neue Führungskräfte, die Gesellschaft wandelte sich, andere Werte, Vorstellungen, dominierten nach und nach. Hiermit änderte sich alles. Anfangs haderten wir mit der Situation. Dann wurde mir persönlich klar, dass wir unsere Zeit hatten und man uns schlicht ablöste. Ob das Neue nun besser, schlechter, effektiver, zweckmäßiger, war, stand nicht zur Debatte. Es galt eine Entscheidung für sich selbst zu treffen: Beim Neuen mitmachen oder sich für ein Gehen entscheiden. Ständig gegen halten, sich zu widersetzen, immer wieder auf ein Neues aufzubegehren, macht einen am Ende kaputt.
Dies wendete ich viel zu spät, jetzt auch im Jahr 2022, an. Es läuft anders. In diesem BLOG hier, habe ich mehrfach dargestellt, wie ich dazu stehe. So wie damals habe ich eine eigene Prognose. Wenn ihr die Einsätze auf diese Art angeht, mit den Leuten so umspringt, der restlichen Gesellschaft nicht verdeutlicht, was abgeht, werdet ihr keinen Erfolg haben. Ob ich Recht behielt oder nicht, kann ich hier nicht darstellen. Inwiefern meine Prognose für die nächsten Jahre stimmig ist, werde ich erleben. Doch ich habe nunmehr im Leben andere Aufgaben und werde meine Energie nicht nochmals für einen Kampf gegen Windmühlenflügel verschwenden. Insofern freue ich mich auf 2023, in dem ich nach meinen Möglichkeiten mein Ding durchziehen werde. Mit der allgemeinen deutschen Gesellschaft, sozusagen der neuen Leitkultur oder wie es manche nennen “allgemeinen gesellschaftlichen Konsens” will ich nichts mehr zu tun haben. Davon habe ich 2022 genug gesehen.

Man liest sich oder auch nicht. Im Kopf spuken noch zwei Bücher herum. Allerdings hab ich noch keine konkrete Vorstellung, wie ich sie umsetze. Na mal sehen. Auf jeden Fall hat sich nach einem statischen 2022 jede Menge Sehnsucht nach Ferne, interessanten Menschen aus anderen Kulturen und Abstand zur deutschen “Leitkultur” angesammelt. Außerdem stehen noch einige innere Konversationen mit einem gewissen Gautama Siddhartha an.

Kommt gut rein und passt auf Euch auf.


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Verfasst 31. Dezember 2022 von Troelle in category "Gesellschaft

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