Deutsche Flüchtlinge

” … ich kenne viele, die in den letzten zwei Jahren geflüchtet sind. Einige sogar nach Zypern in den türkischen Teil, weil sie da außerhalb der EU leben können.”
Werner, Deutscher Aussteiger, 58 Jahre, Rheinland-Pfalz
Werner machte vor zwei Jahren alles zu Geld und begab sich auf eine ungewisse Reise. Damit hat er bereits in den 90ern seine Erfahrungen gemacht. Damals fuhr er mit dem Rad von Berlin nach Singapur. Danach arbeitete er in leitender Stellung u.a. in Saudi-Arabien, Singapur, Malaysia, für einen Tech-Riesen. Doch dieses Mal war es nicht die Abenteuerlust, welche ihn antrieb, sondern die Flucht vor allem, was ihn in und an Deutschland stört. Und das ist eine ganze Menge. Vornehmlich geht es um die Pandemie und aller damit in Zusammenhang stehender Maßnahmen. Hierbei wiederum primär um die Impfung. Eben jene trieb seiner Aussage nach viele aus Deutschland weg.
Ich gebe zu, dass ich mich bisher denen anschloss, die Leute mit dieser Haltung nicht unbedingt für die schlauesten halten. Ich traf Werner in einer einfach zusammen gezimmerten Strandbar. Von dort aus kann man mit billigem Bier aus der Dose, untermalt mit Rock-Musik aus den 70ern&80ern den Sonnenuntergang beobachten. Während wir sprachen, kam noch ein weiterer Deutscher, Klaus (62 J.), aus München hinzu. Auch der war, allerdings aus beruflichen Gründen, schon lange nicht mehr in Deutschland. Seiner Erzählung nach war er lange Jahre CEO bei einem Tochterunternehmen von SIEMENS und deshalb viel unterwegs. Als die Pandemie ausbrach, beschloss er, mit seiner malaiischen Frau ein Haus auf der Insel Langkawi zu kaufen. Alles, was er zu sagen hatte, ging in die gleiche Richtung, wie Werners Ausführungen.
Nun, zumindest haben beide so etwas hinter sich, was man in Deutschland allgemein als eine erfolgreiche Biografie bezeichnet. Anders: Sie haben unter Beweis gestellt, dass sie nicht ganz doof sind. Was in mir die Frage aufkommen lässt: Was ist da passiert?
Impfgegner sind keine neue gesellschaftliche Erscheinung. Soweit ich das überblicken kann, ging es damit etwa zum Beginn der 80er los und wurde in den 90ern zu einem Thema innerhalb des gutsituierten Bürgertums. Unübersehbar steht diese Entwicklung im Zusammenhang mit der Renaissance der Homöopathie und diversen sogenannten alternativen Heilmethoden. Während zuvor nur einige Sparten-Verlage gutes Geld mit diversen Publikationen verdienten, ist mit der Digitalisierung eine nie dagewesene Möglichkeit der Verbreitung möglich. Der Szene wurde seitens der Pharmaindustrie in die Hände gespielt. Die Profite sind gigantisch und damit die Verlockung groß, alle erdenklichen Tricks, PR-Strategien, Bestechungen, anzuwenden. Im Gegenzuge wurde das propagandistische Wort “Schulmedizin” geschaffen, der viele skeptisch gegenüber stehen. Wie auch in anderen Bereichen ist ein stark ausgeprägtes Misstrauen entstanden. Staatliche Institutionen, Konzerne, Krankenhäuser, Ärzte, Politiker, stehen unter dem Verdacht, für Profite und Zuwendungen so ziemlich alles zu tun. In einer Art Kollateralschaden wurden die Wissenschaften gleichfalls in Mitleidenschaft gezogen.
Ich denke, bei einer genaueren Analyse müsste man dabei mehrere Aspekte berücksichtigen. Zum einen ist es tatsächlich an dem. Spätestens beim sog. Masken-Deal zeigte sich dies wieder. Ebenso signifikant war die Entwicklung in den Krankenhäusern und bei der Pflege. Allerdings kommt noch die allgegenwärtige Propaganda hinzu. Es gibt kaum noch einen gesellschaftlichen Bereich, innerhalb dessen rational, vernünftig, verständig und logisch argumentiert wird. Dabei besteht der Trend, alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, die einen Profit versprechen, zu stützen und alles, was sich eventuell negativ auswirken könnte, mittels Desinformation zu diskreditieren. Und wenn es der politischen Opposition nützlich ist, wird auch noch der übelste Unfug in die Mikrofone gesprochen. Dabei ist es egal, ob eine Maßnahme der amtierenden Regierung angezeigt ist. Hauptsache, man kann ihr wieder die Machtposition abringen, um dann selbst lukrative Pfründe zu erschließen.
Insofern ist es nicht einfach, ein Vertrauen zu entwickeln. Ich war über Jahrzehnte hinweg von Impfgegnern/innen und Heilpraktikern/innen umgeben. Insofern sind mir einige mehr oder weniger wissenschaftliche, oftmals pseudowissenschaftliche, Abhandlungen und Bücher bekannt. Im Prinzip läuft es immer wieder auf den gleichen Fehler hinaus. Auf Basis einer falschen Prämisse wird ein komplettes in sich selbst logisches, dennoch falsches, Konstrukt erzeugt. Zum Beispiel kam einst der Begründer der Homöopathie zur Auffassung, dass seine selbst erzeugten Tinkturen heilen würden, weil seine Patienten im Gegensatz zu denen, die zu anderen Ärzten gingen, nicht starben. Doch dies spielte sich in einer Zeit ab, zu der es besser war, keinen Arzt aufzusuchen, als sich den oftmals brutalen Behandlungen zu unterziehen. Dadurch, dass er selbst ihnen wirkungslose Wässerchen verabreichte, rettete er ihnen das Leben. Ich denke, moderne Impfgegner, Corona-Leugner, sind häufig niemals so tief in die Materie eingestiegen. Sie waren bereits zuvor nicht mehr bereit, die allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zu akzeptieren. Ich stimme zu, wenn jemand den Zirkus nicht verstehen kann, den diverse Leute um die eigene Gesundheit und die ihrer Kinder veranstalten. Doch hieraus zu schließen, dass dies bei Corona analog läuft, ist schlicht falsch. Ebenfalls falsch ist die Schlussfolgerung bezüglich der Virologen, der nach diese, mal solche und dann wieder andere Empfehlungen aussprachen, insofern Blödsinn von sich gaben. Nein, dies ist schlicht eine wissenschaftliche Vorgehensweise, mit der große Teile der Bevölkerung nichts anfangen können. Annahme, These, überprüfen, ob sie entweder falsch oder richtig ist, im Anschluss mit den ermittelten Richtigen weitermachen.
Bezüglich der Impfschäden ist mir persönlich eins suspekt. Kontakte von Aliens mit Erdbewohnern finden meistens ausgerechnet in den USA statt und auch nahezu ausschließlich dort, berichten Betroffene mit voller Überzeugung von rektalen Untersuchungen, die die Aliens bei ihnen vornahmen. Gegen Corona wurden zig Millionen Impfdosen gespritzt und nahezu ausschließlich in den entwickelten Industrieländern, klagen Leute öffentlichkeitswirksam über Impfschäden. Seltsam!
Wie auch immer, bezüglich der “Flüchtlinge” lassen sich auch einige auffällige Gemeinsamkeiten erkennen. Nahezu alle stammen aus dem etablierten, gut versorgten Bürgertum. Und sie alle haben einen Pass in der Tasche, der ihnen weltweit eine problemlose Einreise in die meisten Staaten ermöglicht. Allerdings bietet kaum ein Staat die Handlungsfreiheit, wie sie in Deutschland gegeben ist. Doch dieses ist den Leuten egal. Weder interessiert sie in Thailand das Gebaren des Königs, noch die Eigenarten des islamischen Rechts in Malaysia oder die Armut in vielen der von ihnen aufgesuchten Staaten. Politische Beteiligung, Teilhabe an der Gesellschaftsgestaltung, soziales Engagement u.ä., waren für sie in Deutschland auch kein Thema. Soziale Themen würden sie erst dann interessieren, wenn sie selbst betroffen sind. Bis dahin befinden sie sich auf dem Thron, von dem aus sie behaupten, alles richtig gemacht zu haben, während die armen Schlucker schlicht zu dumm waren. Grundsätzlich bin ich ohnehin sehr vorsichtig mit dem Urteil über Intelligenz. Nach einer alten Betrachtung, ich glaube, es war Alexander von Humboldt, sind wir Menschen eins der wenigen Wesen, welches nicht hochkomplexe Werkzeuge der Natur und von ihr bestimmt sind, sondern eigene Entscheidungen treffen können. Und darüber hinaus befähigt sind, dieses bewusste Handeln mit einer Sprache zu begründen.
Darum geht es: Wie kam deren Entscheidung zustande und welche Bedingungen mussten vorhanden sein, damit sie ihr auch Taten folgen lassen konnten? Ganz entgegengesetzt zu deren eigener Auffassung, ist ihre Entscheidung sich aus Deutschland herauszubewegen, die kognitive Fähigkeit zu besitzen, die notwendigen Mittel zu besitzen und in zig Länder einreisen zu können: Freiheit! Eine, die auf diesem Planeten nur wenige Menschen innehaben. Auch die Entscheidung, wem sie Glauben schenken, ist frei gewesen. Nicht zu übersehen ist auch die Wahlmöglichkeit. In diversen anderen Ländern konnten sich die Menschen mangels medizinischer Versorgung keine Impfung leisten. Ich für meinen Teil habe meinem Arzt, der Naturwissenschaft und der medizinischen Forschung vertraut. Des Weiteren setzte ich auf die Logik. Wenn erstmals in der Geschichte weltweit millionenfach geimpft werden und sich die Nebenwirkungen bei der eindeutigen Mehrheit in Grenzen halten, genügt mir dieses vollauf. Nicht denken zu können ist etwas anderes, als es nicht zu tun. Erneut eine Entscheidung!
Wer sich dazu entscheidet, ausschließlich an sich selbst zu denken, oder stets an der Oberfläche, dem rein Praktischen bzw. dem Konsum, zu bleiben, kann dies tun. Für mich ist dies kein menschliches Leben. Zumindest kein vollständiges, in dem alle Möglichkeiten ausgereizt werden.
All dies zusammen führte beim Sonnenuntergang zu einer seltsamen Konstellation. Ich sehe mich nicht als jemanden, der auf der Flucht ist, aber ich bin nicht undankbar für einen Abstand von diversen Bevölkerungsteilen in Deutschland. Unter anderen genau von jenen, die sich als Flüchtlinge aus Deutschland sehen, weil alles so schlimm geworden ist. Ich war klug genug, nur zuzuhören. Selbstverständlich kam auch das Thema Ausländerpolitik zur Sprache. Wobei da der Bayer eine überraschend vernünftig klingende Aussage machte: “Wenn Deutschland weiterhin hoch qualifizierte ausländische Arbeitskräfte so mies behandelt, wird es bald sehr dunkel. Wer sich z.B. zum Studium nach Frankreich, England oder in die nordischen Staaten begibt, erhält dort jede Menge Unterstützung. In Deutschland bekommen sie nur den Weg zur Ausländerbehörde beschrieben.” Zumindest teilweise stimme ich ihm zu. Allerdings finde ich, dass wir die anderen, also die nicht studierenden Ausländer auch nicht gerade zuvorkommend behandeln. Doch gleichfalls bin ich gerade nicht in Malaysia, weil die hier eine besonders gute Lösung fanden. Ganz im Gegenteil! Und nach allem, was ich hier so mitbekomme, sind die hier in Sachen Bürokratie mit Deutschland auf Augenhöhe. Aber die Korruption ist noch offensichtlicher und macht die Bürokratie gegen Geld einfacher. Gegen die passende Zahlung kann man sich hier fast alles erlauben. Wer kein Geld hat, steht vor schwer überwindbaren Problemen.
Hier auf der Insel gibt es eine Menge Einheimische, die im Verhalten sehr den beschriebenen Deutschen ähneln. Fürsorge, Mitverantwortung, soziale Hilfe, die über die Familie hinaus geht, bleibt allzu häufig auf der Strecke. Unter der Oberfläche findet ein ziemliches Hauen und Stechen statt. Teilweise ist dies sicherlich der Armut geschuldet. Wer einen Fehler macht, ist selbst schuld. Und vor allem muss jeder sehen, wo sie/er bleibt. Ich weiß nicht, ob dies immer der Fall war oder dies auch ein wenig mit den Veränderungen zu tun hat, die der Tourismus mit sich brachte. Seitens der offiziellen Behörden haben die Leute wenig zu erwarten. Aber wie gesagt: Wer keine Fragen stellt, bekommt keine Antworten und wer nichts infrage stellt, kriegt auch keine Probleme. Damit befinden sich die deutschen Flüchtlinge, wenn man sie dann mit dieser Bezeichnung durchkommen lässt, wieder auf der sicheren Seite. Schwierig wird es erst, wenn sie kein Geld mehr haben, aber dann springt die deutsche Sozial-Gemeinschaft für sie ein. Beim Bayern wird dies kein Problem sein, bei dem Radfahrer bin ich mir nicht sicher.