Allen oder keinem!

Ich sehe diesen Mann quasi jeden Tag. Entweder wir laufen uns Morgens bei meinem täglichen Local-Coffee, Kopi, über den Weg oder ich komme an seinem kleinen Schmuckladen vorbei. Laden ist ein wenig übertrieben. Es ist mehr ein kleines Kabuff, in welches gerade einmal ein Stuhl und ein an die Wand geschraubtes Brett passen. Sein Alter ist schwer zu schätzen. Ich denke, er ist knapp über 60. Manchmal setze ich mich an den Tisch zu den Einheimischen. Meistens sitzen dort ein Musiker, er, ab und zu ein Typ, den keiner leiden kann. Dies liegt daran, dass er den Touristen immer erklärt, wie viel besser es doch in Thailand wäre. Heute erzählte er mir eine Geschichte, die mich zum Nachdenken anregte. Irgendwann in den 80ern kamen die ersten Touristen nach Langkawi. Zu meinem Amüsement beschrieb er sie, in dem er mit der Hand das alte Zeichen für Peace ☮ formte. Sein rundes, braunes, verwittertes Gesicht zeigte dabei einen Anflug von Verachtung. Aber keine bösartige, sondern mehr dieses: “Du weißt schon, solche Typen!”
Unter ihnen befand sich eine Britin. Sie erzählte stolz, dass sie sich in Laos 2 Monate lang um ein armes Kind vom Volk der Hmong kümmerte. Jeden Tag gab es ihm Essen, kaufte neue Kleidung und unterrichtete es in Mathematik und Englisch. Doch dann lief ihr Visum ab. Sie zog weiter und landete auf Langkawi. “Stell Dir vor, was Sie getan hat. Das Kind, ein kleiner Junge, viel zu jung, um etwas über die Welt zu wissen, lernte einen Menschen kennen, der ihm einen Monat lang ein anderes Leben zeigte. Nur um dann wieder zu verschwinden. Damit half sie nicht, sondern zerstörte das Kind! So etwas darf man nicht tun. Wenn sie in der Zeit mehreren Kindern geholfen hätte, wäre das etwas anderes gewesen. Dann entsteht keine Beziehung. Wenn, dann musst Du allen ein wenig Hilfe zukommen lassen. Wie soll das Kind verstehen, dass es nicht schuld daran ist? Es weiß nichts von Regierungen, Grenzen, Visa, und all diesen Dingen.” Während er sprach, wechselte sein Gesichtsausdruck. Die Erinnerung ließ es verfinstern. Wahrscheinlich kann ich mir etwas darauf einbilden, dass er mir die Geschichte erzählte.
Ja, diese Sorte Mensch hat keine Exit-Strategie. Sie halten sich für Philanthropen und denken, ihr Handeln wäre altruistisch. Dabei handeln sie zutiefst egoistisch. Für einen Monat wollen sie sich gut fühlen. Ihre Hilfe dient der Selbstbefriedigung. Ganz abgesehen davon, halte ich Altruismus immer für eine Lüge. Wir wollen uns gut fühlen und in der DNA des Menschen ist festgelegt, dass dies am ehesten darüber funktioniert, wenn wir als soziale Wesen einem anderen helfen. Im Prinzip ist das nichts anderes, als die Affen, die sich gegenseitig von Parasiten befreien. Also ist es ein Geben und Nehmen. Und im Fall der privilegierten Britin, mehr ein Nehmen, denn ein Geben.
Von der Britin schwenkte er um auf die wachsende Zahl der Hunde. “Das ist die gleiche Nummer. Sie kommen hierher, mieten ein Haus, sind ein halbes Jahr hier, machen auf Love & Peace, ängstigen sich und legen sich einen Hund zu. Dann verschwinden sie wieder und der Hund verwildert. Der Hund hat sich nicht ausgesucht hier zu leben oder gar geboren zu werden. Das ist nicht gut.” Mit diesen Worten stand er abrupt auf und ging.
Ich werde ihn heute Abend wiedersehen, weil ich bei ihm einen neuen Gürtel bestellt habe. Ich weiß mittlerweile, dass er selbst jahrelang Obdachlose in Indien unterstützte. Aber in einer anderen Art und Weise. Faszinierend ist dabei, dass er selbst kaum etwas besitzt. Es tut gut, wieder der Menschlichkeit zu begegnen.