Alles ist Rassismus

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Wenn ich mich in den Social Media umschaue, sind die Tweets voll mit Hinweisen, dass dieses oder jenes rassistisch wäre. Manchmal sehe ich dies genauso, andere Male kann ich nicht nachvollziehen, was die Leute unter Rassismus verstehen. Na gut, dass ich aus einer anderen Epoche stamme, weiß ich nicht erst seit gestern. Und dass Soziologen/innen abgedrehten Kram von sich geben, der auf drei Sätze reduziert werden kann, ist auch nichts Neues.

Rassismus geht, zumindest wenn ich es richtige verstehe, nach heutigen Vorstellungen nur von oben nach unten. Also kann demnach ausschließlich als solcher benannt werden, wenn jemand aus einer objektiven Machtposition heraus, beispielsweise weil mehr Privilegien vorhanden sind, einen niedriger gestellten Menschen diskriminiert. Irgendwo las ich, dass bei der diskriminierten Person noch Eigenschaften hinzukommen müssen, für die sie nichts kann bzw. nicht veränderbar sind. OK! Mir scheint dies alles eine ziemlich intellektuelle Kopfgeburt zu sein. Doch es leuchtet mir ein, dass es belastend ist, wenn mir ständig Dinge unterstellt werden, nur, weil ich mich nicht in die Sonne legen muss, um eine attraktive Hautfarbe zu bekommen. Nein, ich will jetzt nicht alle rothaarigen Irinnen mit teigig weißer Haut diskriminieren.

Die Ablehnung oder auch die Zuneigung zu von meinem eigenen Aussehen abweichenden Menschen sind angeboren. Der Umgang mit anderen Kulturen, Lebenshaltungen, Anschauungen, von mir abweichenden sexuellen Neigungen bzw. Ausrichtungen ist erlernt. Gegen das Erste kann ich mich schwerlich wehren, aber ich kann es intellektuell überwinden. Beim Zweiten kann ich mich dazu entscheiden, meine Sozialisierung zu hinterfragen. Für beides bedarf es eines Motivs. Meine Motive bestehen darin, dass ich nicht einsehe, warum ich mir nicht aus der sich mir bietenden Vielfalt das für mich Beste herausnehmen kann und mich durch meine Sozialisierung beschränken sollte. Hierdurch meine Identität zu verlieren, ist ein mir fremdes Gefühl.

Aber geht es beim Rassismus darum? Erst Vorgestern saß ich an einem Tisch mit zehn Rentnern aus Österreich und Deutschland. So wie ich sie sehe, alles gescheiterte Persönlichkeiten. Unfähig, sich mit einer gleichberechtigten Frau auseinanderzusetzen, Anteile fremder Kulturen anzueignen, beschränkt im Denken und zumeist Alkoholkrank. Aber, im Verhältnis zu Thailändern, haben sie Geld in der Tasche. Geld, welches sie als gerechtfertigtes Ergebnis ihres zurückliegenden Arbeitslebens ersehen. Mit Mimik, Gestik, Äußerungen verraten sie, dass sie die bedienenden Thais nicht wirklich für ebenbürtig an ersehen. Was mich dabei ein wenig beruhigt, ist die Tatsache, dass dieses auf Gegenseitigkeit beruht und sie in den Augen der Thais, wandelnde Portemonnaies mit schlechtem Geruch, üblen Benehmen und minderbemittelte Volldeppen sind. Ich persönlich halte mich nicht dafür, kann aber bestätigen, dass man auch in Thailand mit ein paar Bieren schnell sein Geld loswird. Wie diese Typen das mit ihrer angeblich so schmalen deutschen Rente stemmen, ist mir ein Rätsel. Vielleicht ist die gar nicht so schmal?

Sind die Rentner Rassisten? Männer, die gut in die Epoche des alten Kolonialismus passen und im Prinzip eine neue Form dessen leben? Oder sind sie einfach harmlose, beschränkte Kleingeister? In Thailand eine jüngere Begleiterin zu finden, ist nicht schwer. Einmal als Opfer erkannt, wird man vermittelt. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass man dies schnell unterbinden kann, wenn sie einen als jemanden mit einer anderen Lebenshaltung erkennen. Und als geschickte Jägerinnen, wissen die ganz genau, wer Beute ist und wer nicht. Sie verfügen über die Macht der Intelligenz und die Fähigkeit, die Hybris, Arroganz, Beschränktheit für ihre Zwecke zu nutzen. Dem haben die Rentner wenig entgegenzusetzen. Ich sage nur: Sun Zi! Wenn der gegnerische General überheblich ist und sich in trügerischer Sicherheit wiegt, bestätige ihn und Du wirst die Schlacht gewinnen.

Ganz was anderes sind “Westerner”, die der Auffassung sind, dass diverse Menschen in anderen Ländern nichts auf die Reihe bekommen und sie deshalb ausbeuten. Dazu gehören immer mehrere. Wenige Ausbeuter und jene, die das mit sich machen lassen. Das in Europa konstruierte System des Kapitalismus ist bis ins letzte Detail ausgeklügeltes Konzept zum Ausbeuten größerer Gruppen durch eine kleinere Zahl an Menschen. Für mich ähnelt dies der Situation, als die römischen Kampfformationen auf die germanischen Stämme trafen, die sich ihrer Tradition entsprechend, wild, ungezügelt, todesmutig in den Kampf stürzten, während die Römer mit militärischer Perfektion agierten.
Viele Kulturen, Traditionen, Strukturen, haben gegen den Kapitalismus keinerlei Chancen. So unterstellten zum Beispiel Europäer am Anfang des 20. Jahrhunderts südamerikanischen indigenen Stämmen eine Arbeitsteilung und eine Form des kapitalistischen Handels. Sie gingen u.a. von Fischern aus, die für ihren Stamm fischen gingen und in einem Tauschhandel entlohnt wurden. Tatsächlich ging jeder fischen, der gerade nichts anderes zu tun hatte und der Fang wurde unter allen gerecht aufgeteilt. Aber für die Europäer war klar, dass der Tauschhandel und die Arbeitsteilung, sowie der Besitz am Fang etwas sei, was dem Menschen in die Wiege gelegt wurde. Willkommen in den Anfängen des Neoliberalismus. Sind diese Typen nun skrupellose Kapitalisten, die die “Wehrlosigkeit” fremder Kulturen ausnutzen oder Rassisten, die anders aussehenden Menschen unterstellen, zu dämlich für die Entwicklung einer Verteidigung gegen die Übernahme zu sein?

Also für mich sind richtige Rassisten die Leute, welche klar und deutlich zwischen menschlichen Rassen unterscheiden, die vermeintlich eigene als die hoch entwickelte ansehen und allen anderen Minderwertigkeit, mangelnde Intelligenz und Triebhaftigkeit unterstellen. Dies sind diejenigen, welche arg über ihren Gen-Pool echauffiert wären. Spontan fällt mir diese durchgeknallte Frau ein, der trotz einiger Revolutionen immer noch der Titel Fürstin zukommt. Gloria, Thurn und Taxis, gab von sich: “Der Schwarze schnackselt halt mal ganz gern.” Sie wird es wissen. Immerhin wuchs sie in Afrika auf. Oder ein Höcke, der sich erdreistet, in einer Rede von unterschiedlichen “Ausbreitungstypen” zu sprechen. Ja, so etwas ist wohl Rassismus.

Wie man alles andere nennt, kann man meiner Auffassung nach getrost irgendwelchen Technokraten überlassen, die für alles eine gedankliche Ablage benötigen. Stempeln, abheften und ins Regal stellen. Zeitweilig geht es nicht einmal, um einen tatsächlichen Handlungsablauf, sondern um Vorurteile, Unwissenheit, Voreingenommenheit, Klischees, Stereotype, Verallgemeinerungen, Schubladendenken. Und nochmals etwas anderes ist die gelebte Arroganz, Hybris, von Angehörigen eines Kulturkreises gegenüber einem anderen.”

Zum Beispiel leben in Malaysia drei große Volksgruppen, sogenannte echte Malaien, Orang Aslis (hierunter fallen alle indigenen Völker auf dem Gebiet von Malaysia), Chinesen und Inder. Die Mehrheit der Malaien sind Muslime. Die Chinesen sind zumeist Buddhisten o. Taoisten. Inder sind in der Regel Hindus und die Indigenen sind entweder konvertierte Muslime oder sie beten ihre Naturgeister an. Die muslimischen Malaien zahlen im Prinzip kaum Steuern, sondern nach der Scharia einen Betrag, der sich aus ihrem Besitz ergibt.
Gleichsam profitieren sie dadurch von möglichen Unterstützungen, wenn sie in Not geraten. Für Inder und Chinesen gilt dies nicht. Die zahlen Steuern und eine Versorgung außerhalb einer privaten, existiert für sie de facto nicht. Bei solch einem System bleiben Reibereien nicht aus. Verschärft wird dieses, durch die Suggestion der malaiischen Politiker, dass die Malaien eigentlich diejenigen sind, was Malaysia darstellt. Allerdings bezahlen sie ihre Staatsdiener, die vornehmlich Malaien im Sinne dieser Darstellung sind, ziemlich schlecht. Die Folge ist eine ausufernde Korruption und die gegenseitige Zuschreibung von Klischees. So sind die Malaien aus der Sicht der Chinesen und Inder häufig faul, träge, ungeschickt, während die Inder und Chinesen im Ruf stehen, skrupellose Geschäftsleute zu sein. Dennoch müssen die sich bei Geschäften, in denen es um Besitz geht, häufig malaiischer Strohleute bedienen. Aber immerhin kennen die sich wenigstens und wissen um die kulturellen Unterschiede.
Aber ist das, was die da miteinander ausfechten, Rassismus? In einem Amt kann es schon mal passieren, dass ein Malaie einfach an allen Wartenden mit indischer Familiengeschichte vorbeispaziert. Fragt man Malaien danach, finden die gar nichts dabei. So ist dies halt in Malaysia.

Eine ganz andere Geschichte spielte sich letztens ab, als der Dalai Lama einen Jungen vor sich hatte, ihm die Zunge herausstreckte und zu ihm gesagt haben soll: “Suck my tongue!” Auf Deutsch: “Lutsch meine Zunge!”
Die europäische Aufregung und deren kulturellen Ablegern, z.B. in den USA u. Australien eingewanderte europäische Gemeinschaften, war groß. Der spirituelle Führer der Buddhisten, dem Papst gleichkommend, als Kinderschänder. Das passte ins Bild der beschädigten katholischen Kirche. Schaut, die Buddhisten sind auch nicht besser. Da passte einiges nicht. Zunächst in der Dalai Lama nicht das spirituelle Oberhaupt der Buddhisten, sondern ausschließlich der in Tibet und Mongolei ansässigen Gelbmützen, eine von vielen Richtungen des Buddhismus. Dann ist er Tibetaner und dort ist das Herausstrecken der Zunge eine allgemein anerkannte Begrüßung. Bei “Suck my tongue!”, springt bei Europäern der pornografische Teil der Sozialisierung an und gehört wird “Suck, my Dick!”. Bei Pubertierenden gibt es dieses Stadium, in dem alles kichernd mit Sexualität in Verbindung gebracht wird. “Kerzen ausblasen! Ha, Ha, er hat Blasen gesagt.” Nun, niemand hat gesagt, dass die Pubertät erfolgreich beendet.
Ich will nicht sagen, dass der Dalai Lama vollkommen asexuell ist. Er sagte mal in einem Gespräch mit Gehirnforschern, dass beim Meditieren Zustände, wie bei einem Orgasmus erzeugt würden. Also muss er wissen, wovon er spricht. Aber bei den vielen Stunden, die er meditiert, dürfte bei seinem dichten Terminkalender kaum Zeit bleiben. Vermutlich hat er nicht einmal “Suck” gesagt. Denn in Tibet sagt man: “Iss meine Zunge”.
Doch die Empörten halten sich für richtig schlau. Der Mann hat sich entschuldigt! Mehr Schuldeingeständnis geht für sie nicht. Blöd ist nur, dass es so etwas wie Schuld im Buddhismus nicht gibt, auch nicht im Tibetischen. Was es aber gibt, ist das Bestreben, die Befindlichkeiten anderer Kulturen nicht zu verletzen, weil dies zum Bumerang wird. Wenn man eine Welt anstrebt, in der das kein Thema ist, sollte man es selbst unterlassen.

Mir ging bei alledem etwas anderes durch den Kopf. Europäer betrachten andere Kulturen, verstehen die nicht oder sind nicht bereit, deren Andersartigkeit, besonders wenn sie stark von den eigenen moralischen Vorstellungen abweicht, hinzunehmen. Das gab es doch schon mal. Richtig, im Denken der Kolonialisten und bei den christlichen Missionaren. Nacktheit, Riten, Initiationsriten, Stammesrituale bei kämpferischen Auseinandersetzungen, all dies wurde unter: “Die Wilden!” subsumiert und musste entweder bekehrt oder durfte als minderwertig, primitiv, rückständig, bezeichnet werden. Mit diesem Gedankenansatz las ich mir nochmals diverse Kommentare durch. Und richtig, genau darum ging es. Wir, die Europäer haben einen Konsens, was richtig und falsch ist, und das ist falsch. Mir dämmert dabei, wie manches Unverständliche aus der Kolonialzeit zustande kam. Erinnert sich jemand an diesen Kerl, der trotz Verbots versuchte zu den Sentinelesen Kontakt aufzunehmen und sie zu missionieren? Es ist ihm nicht gut bekommen. Sie haben ihn kurzerhand umgebracht.

Ist das Rassismus? Ehrlich, beim Dalai Lama, weiß ich es nicht. Er wird ja nicht angegangen, weil er Asiat ist. Auf jeden Fall halte ich es nicht für den richtigen Weg, in dieser Art heranzugehen. Im Netz meldeten sich einige Tibeter, die das Ganze völlig entkräfteten. Unter anderen wiesen sie darauf hin, dass es sich um einen Video – Ausschnitt handelt und stellten das komplette Material ins Netz. Wer genau hatte eigentlich kurz vor dem Besuch von Frau Baerbock in China ein Interesse daran, dass der Dalai Lama, diskreditiert wird? Nur mal so als gedankliche Anregung. Und der Missionar? Es gehört zu den unangenehmen Eigenschaften der Buchreligionen, dass ihre Anhänger jeder und jedem ihre Weltanschauung aufs Auge drücken wollen. Ich habe gerade mehrere Wochen Ramadan in einem muslimischen Land hinter mir. Alle paar Kilometer steht eine Moschee und irgendein Typ brabbelt von Morgens bis Abends in ein Mikrofon, um so die gesamte Gegend zu beschallen. Muslime meinen immer, ich solle mich nicht so haben, die Christen würden ständig Glocken läuten. Es ist schwer, einem Malaien die deutsche Lärmschutzverordnung zu erläutern. Ich bin ein Freund des Spruchs: “Religion ist wie ein Penis. Jeder Mann hat einen, aber man muss ihn nicht jedem zeigen.” Aber andere Leute zu bekehren, ist kein Rassismus und wird weit über die Buchreligionen hinweg praktiziert. Wobei ich es interessant fände herauszufinden, ob zwischen Christentum, Islam und dem Drang anderen, den selbst zusammengeschusterten Glauben an irgendetwas aufzudrücken, ein Zusammenhang besteht. Da war doch diese Diskussion über Karl May. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass bei ihm Winnetou grundsätzlich ein “Wilder”, der aber im tiefsten Herzen ein guter Christ war, und somit dann doch kein “Wilder” war. Deshalb muss man nicht gleich auskreisen. Die Bücher gibt es schon lange und die Filme sind auch nicht mehr die Neuesten. Aber eins gefiel mir bei der Diskussion. Ich besitze augenscheinlich die Staatsangehörigkeit eines Landes, in dem sich erwachsene Männer, angeblich Politiker, einem bockigen Grundschüler gleich, in einem 1965 erfundenen “Indianer-Kostüm” auf einer Bühne präsentieren. Präsentieren! Deutschland ist eine repräsentative Demokratie, was bedeutet, dass die mich vertreten und in die Welt ein Bild senden: “So sind Deutsche!” Och, Nö, bitte!


Bei Twitter schrieb jemand: “Die Buddhisten sind auch nicht besser.” Dahinter fehlt nur ein “Ätschibätschie, wusste ich es doch!” Geht es darum? Ich habe überhaupt nicht vor, den Dalai Lama zu verteidigen. Einiges, was der von sich gibt, ist wirklich ziemlich abgedreht. Jedenfalls für hiesige Verhältnisse. Und auch er hat so seine Schwierigkeiten mit einigen Riten im tibetanischen Buddhismus, die aus der Zeit in Tibet vor dem Buddhismus stammen. Aber er ist halt nicht der Papst und kann einfach mal so bestimmen.

Ein weiteres Beispiel. Am Strand von Langkawi, kam ich mit einem Rentnerehepaar aus München ins Gespräch. Nach einer Weile kamen wir auf meine Begleitung zu sprechen. Ich begleitete an diesem Tag die Ex-Frau eines malaiischen Bekannten und ihren gemeinsamen 6-jährigen Sohn zum Strand. Die beiden nahmen an, dass es sich um meine Frau und meinen Sohn handeln würde. Weit daneben! Ich erklärte ihnen die Konstellation. Zunächst meinten sie, dass es halt schwierig wäre, wenn er in Malaysia und sie in Deutschland leben würde. Ich erklärte ihnen, dass der Mann in Deutschland gelebt hätte. Nun schwenkten sie um. Die Arbeitsmoral und Lebensvorstellungen eines Malaien würden halt stark von den Deutschen abweichen. Wieder daneben. Er arbeitete damals und verdiente gutes Geld. Ich musste dabei daran denken, dass die Schwiegereltern meines Bekannten fragten, ob es denn in Malaysia richtige Straßen gäbe und er ziemlich trocken antwortete: Wir haben sogar Formel I Rennen!

Ich störe mich gar nicht so sehr an der Unterstellung, dass eine andere Haltung zum Verhältnis Arbeit und Leben existiert. Vielmehr sehe ich skeptisch, dass das eigne, als einzig optimale Lösung erachtet wird. Diese in einigen europäischen Staaten existierende Unart, sich über das Bruttosozialprodukt und allem, was zur Steigerung beiträgt, zu definieren. Ich schätze, wenn ich eine Ameise aus einem Ameisenhaufen befragen könnte, wäre die auch stolz auf den großen Hügel am Wegesrand. Doch mangels eines Großhirns kann ich sie nicht interviewen. Finde den Fehler!

Mal ganz davon abgesehen, möchte ich nicht arbeiten wie ein Vietnamese, Birmane oder ein Arbeiter aus Bangladesch. Sie haben leider niemals den Sprung in ein gemeinschaftliches Sozialsystem geschafft und das rein auf die Familie beruhende Absicherungskonzept überwunden. Im Prinzip sind sie mehr CDU/CSU, FDP, als manch einer sich das vorstellen kann. Wer die konsequente Umsetzung ihrer politischen Vorstellung kennenlernen will, sollte nach Asien reisen. Denn dort sind die Arbeiter noch Arbeiter und die Eigentümer der Produktionsmittel, des zugehörigen Landbesitzes und Immobilienbesitzes, die Chefs im Ring, ohne dass eine lästige Gewerkschaft dazwischen funkt.

Rassismus? Ich weiß nicht, ob da nicht mal wieder alles zusammengeworfen wird und letztendlich in der Belanglosigkeit mündet. Ich bleibe lieber bei Ur-Version. Rassismus ist für mich die Annahme, dass es beim Affen auf zwei Beinen mehrere Rassen gibt, die sich anhand körperlicher Merkmale, allen voran die Intelligenz, unterscheiden lassen. Eine These, die bemerkenswerterweise immer von Leuten aufgestellt wird, die entweder im Leben erfolglos sind und sich die wahren Gründe nicht eingestehen wollen, oder eine Rechtfertigung für das Ausbeuten anderer benötigen. Es gibt diese Rhetorik, in der es heißt, dass es keinen Rassismus gegenüber “Weißen” gibt.
Ach immer diese Soziologen mit ihren ständigen Umdeutungen. Ja, wenn ich den Begriff auf Machtverhältnisse trimme und global anwende, könnte es so sein. Und die allgemein verwendete Formulierung: “Gegenüber …”, indiziert, dass jemand aus einer Machtposition heraus agiert. Dass sich die Soziologen damit keinen Gefallen taten, kann meiner Meinung nach an einem Problem erkannt werden, welches sie als positiven Rassismus bezeichnen. Nämlich die Zuschreibung vermeintlich wünschenswerter Eigenschaften. Vor einiger Zeit sah ich mir ein Interview mit einem bekennenden Vertreter der Neuen Rechten an, in dem der Typ meinte, dass man sich gegen die Einwanderung von Asiaten wehren müsste, weil die im Durchschnitt intelligenter wären. Eine interessante Sichtweise. Gleichsam zeigt sie, worum es bei dieser Ansicht geht: Minderwertigkeitskomplexe. Ich glaube, Soziologen übersehen allzu häufig die Psychologie des Individuums.
Dieses Problem haben sie nicht alleine. Auf mich wirkt vieles wie der Versuch, für den eigenen Mist eine Entschuldigung zu finden. Zum Beispiel, wenn ich etwas über einen “strukturellen Rassismus” in der Polizei lese. Nicht der oder die Einzelne ist intellektuell überfordert, die Urinstinkte des Reptiliengehirns zu überwinden, sondern ist Opfer der strukturellen Gegebenheiten. Hm, dies könnte einigen gut in den Kram passen. Aber auch diese seltsame Konstruktion “struktureller Rassismus” kann lediglich funktionieren, wenn ich die ursprüngliche Bedeutung beliebig umdeute.

Eigentlich geht es um Macht, Routine und Vorurteile. Polizisten ist erlaubt, die staatlichen Regeln durchzusetzen. Ergo besitzen sie Macht über andere. Kaum ein Polizist/in fängt in dem Job mit der Haltung an: “Desto dunkler die Haut, umso verdächtiger!” Mal wieder ein kleiner Schwenk zurück nach Malaysia. Ein Bekannter vor mir, selbst sehr dunkler Malaie, wurde von der malaiischen Polizei mit seinem Scooter angehalten und festgenommen, weil er von den Klamotten her, Uhrzeit des Antreffens und Ort, in ihr Beuteschema: Drogenkonsument, passte. Sein Bruder meinte dazu: “Wenn Du Idiot ständig in diesen Klamotten herumrennst, musst Du Dich nicht wundern.”
Man kann sich das Leben auch kompliziert machen. Im Kopf eines Fahnders bilden sich im Laufe des Berufslebens Raster. Psychologie! Wenn ich mit zwei, drei Aktionen, Erfolg hatte, mache ich damit weiter. Billige Klamotten, von der Mode in Deutschland abweichend, scheinbar harmlos in der Gegend herumstehend, aber den Blick immer auf Handtaschen gerichtet: Taschendieb! Selbstverständlich kann es sich auch um einen vollkommen harmlosen Osteuropäer mit Interesse für Handtaschen handeln. “Deckelfrisur”, aufgepumpte Arme, geölter schwarzer Vollbart, dunkler Teint, zwischen 30 und 50 Jahre, in einem protzigen, geschmacklosen 7er-BMW sitzend: Clan-Mitglied. Es könnte auch der freundliche Mitarbeiter aus der Sparkassen-Filiale sein, der kein gutes Händchen für Autos hat. Ja, aber so funktioniert die Welt nicht. Wenn ich mit bunten Hippie-Klamotten, Flip-Flops, mit Ketten behängt, an einer Grenzkontrolle in Südostasien aufschlage, kann ich mir ziemlich sicher sein, dass die mich ein wenig genauer unter die Lupe nehmen. Und ich nehme es ihnen nicht übel. Die machen einfach nur ihren Job.

Ronald Miehling, der Schneekönig, lange Hamburgs erfolgreichster Kokain-Schmuggler, machte sich dies in den 80ern zunutze. Wochenlang beobachtete er die Zollkontrollen am Flughafen und notierte sich, nach welchen Raster die Leute herausgezogen wurden. Dann stellte er ein Team zusammen, in dem mehrere die Kriterien erfüllten. Die ließ er zuerst durch die Kontrolle laufen. Sie wurden aufgehalten und besetzten die Kontrollstellen. Dahinter kamen die Kuriere, welche nun unbehelligt kiloweise Kokain durch den Zoll brachten. Natürlich greift sich die Polizei im Alltagsgeschäft die Kleinen und oftmals die Falschen, weil das Raster nicht funktioniert. Die Schlaueren, die dicken Fische, bekommt man so nicht. Da müssen andere Methoden angewendet werden. Allein die Empörung erschließt sich mir nicht. Jedenfalls nicht in Deutschland. Ich behaupte nicht, dass das alles toll ist. Aber ich bin kein Träumer. Gute Polizisten sind gnadenlose Realisten. Nach der Art, wie unsere Gesellschaft funktioniert, ist es ein Fischteich, in dem sich Fried- und Raubfische in einem Gleichgewicht befinden. Immer mal wieder werden kleine Raubfische herausgefischt, damit sie nicht überhandnehmen. Große werden selten gefangen. Es muss Gründe geben, dass die lange unentdeckt heranwachsen konnten. Erst wenn sie unvorsichtig werden, haben die Fischer Erfolg. Wenn sich dies alles ändern soll, muss nicht die Polizei verändert werden, sondern die komplette Gesellschaft verändert werden. Das wird vorläufig nicht passieren!

Bleibe ich bei der Ur-Version, gibt es Rassisten auch unter Schwarzen, Asiaten. Viele Japaner halten sich beispielsweise für die Abkömmlinge eines anderen Vorfahren, als der Rest der Menschheit. Was die Malaien so treiben, habe ich geschildert. Im Übrigen halten die auch nicht sonderlich viel von den nach Malaysia flüchtenden Rohingya und die sind immerhin Muslime.
Wir verfügen über viele gute Worte, um ein Verhalten, Denken, eine Haltung zu beschreiben: Diskriminierung, Vorurteile, Stereotype, asoziales Verhalten, Hybris, Arroganz, Überheblichkeit. Aber warum sich das Leben schwer machen, wenn man doch einfach ein Schlagwort heraushauen kann?

Das Gute ist, dass ich mich damit nicht mehr herumschlagen muss. Ich schaue mir alles von außen her an. Selbst nach meiner Ur-Definition bleiben genügend Zeitgenossen/innen übrig, die eindeutig Rassisten sind und oftmals nicht einmal einen Hehl draus machen. Von den anderen oben genannten Charakteren will ich gar nicht erst anfangen. Eins dürfte doch klar sein. Ob es gefällt oder nicht, die Frauen und Männer an der Spitze der Gesellschaft sind die sichtbare Verkörperung der Prinzipien, die eine oder einen erfolgreich werden lassen. Wenn sich ein auf mich bösartig, selbstgefällig, vor Arroganz triefend, wirkender Mann, an die Spitze einer der größten deutschen Partei bugsieren kann, scheinen exakt die Eigenschaften förderlich zu sein. War das, was Friedrich Merz in einer Talkshow von sich gab, Rassismus? Er titulierte die Sprösslinge von Familien aus dem arabischen und vorderasiatischen Raum als kleine Pascha, denen mal die Spur eingestellt werden muss. Ich gehe davon aus, dass ihm völlig egal ist, wo jemand herkommt oder wie er aussieht. Hauptsache er spurt, macht seine Hausaufgaben, stört nicht den Unterricht und lernt, was man ihm sagt. Und später hat er sich gefälligst ruhig zu verhalten, regelmäßig für den Mindestlohn zu arbeiten und sich in die Ordnung der Gesellschaft einzufügen. Ansonsten ist Friedrich Merz bereit, für sein Lebenselixier Macht alles von sich zu geben, was deutsche Kleinbürger gern hören. Wenn er überhaupt etwas gestaltet, dann ist es die Absicherung der Strukturen, die Charakteren seiner Art, den Machterhalt ermöglichen. Und da befindet es sich bester Gesellschaft, die anderen haben nur ihre Gesichtszüge besser unter Kontrolle.

Oder was ist mit Weidel? Eine lesbische Rassistin? In Sachen Arroganz, Machtgeilheit, Selbstgefälligkeit, steht sie Merz in nichts nach. Aber wenn sie von Goldstückchen und Messermännern spricht, ist es eiskaltes Kalkül. Sie weiß, wie man heutzutage das Prekariat anzapft und den Pöbel mobilisiert. Auf jeden Fall halte ich sie für eine überzeugte Faschistin. Ich beziehe mich dabei auf die Erkennungsmerkmale, die Umberto Eco formulierte. Liest man sich seine 14 Merkmale des Ur-Faschismus durch und wendet sie an, wird man in nahezu allen deutschen Parteien fündig.

” Der Ur-Faschismus ist immer noch um uns, manchmal sehr unscheinbar gewandet. Es wäre für uns so viel leichter, träte jemand vor und verkündete: „Ich will ein zweites Auschwitz, ich will, dass die Braunhemden wieder durch unsere Städte marschieren.“ Das Leben ist nicht so einfach. Der Urfaschismus kann in der unschuldigsten Verkleidung wieder auftreten.

https://www.pressenza.com/de/2017/10/14-merkmale-des-ur-faschismus-nach-umberto-eco/

Der Rassismus an sich hat dabei eine rein funktionelle Rolle und ist Bestandteil des Werkzeugkastens der Propaganda, Demagogie. Daneben liegen Fremdenfeindlichkeit, Appelle an Existenzängste und der jeweils passende Buhmann für alles. Die Polizei wird dabei mit eingebunden. Doch zuerst sind es die Politiker, die die Ängste schüren, eine Gruppierung zum Buhmann erklären, um von anderen Schwierigkeiten bzw. Sauereien abzulenken, vermeintlich existenzielle Gefahren propagieren. Ihnen folgen die aufgehetzten Bürger, welche wiederum von der Polizei Maßnahmen erwarten. Das prominenteste Berliner Beispiel ist der Görlitzer Park. Anwohner und am anderen Deutschlands lebende Deutsche mokieren sich über Dealer, die oftmals eine dunkle Hautfarbe haben. Der Grund ist simpel. Das Leben in Deutschland ist teuer, arbeiten dürfen sie nicht, die Zuwendungen reichen nicht aus, also dealen sie. Wahrlich kein Problem, welches sich auf Berlin beschränkt. In allen größeren europäischen Städten tritt dieses Phänomen auf und im Verhältnis zu anderen Metropolen ist es in Berlin überschaubar. Aber das Thema wird gepuscht. Ich fände es viel spannender aufzudecken, wer und vor allem wie viel, dem Berliner Senat Geld abzockt, welches niemals bei den Flüchtlingen ankommt.
Wie auch immer, es wurde die Situation erzeugt, in der die Polizei gezwungen ist, die Dealer aus dem Park in andere Ecken von Berlin zu verdrängen. Dieses Spiel wird schon seit Jahrzehnten gespielt. Dies ruft wiederum diejenigen auf den Plan, die den Begriff “Struktureller Rassismus” bei der Polizei prägten. Nebenbei sind es häufig die gleichen Anwohner, die zuvor ein Eingreifen forderten. Komischerweise lassen sich die Dealer nicht mit gutem Zureden überzeugen. Noch lustiger ist dabei, dass dem Berliner Babystrich ein paar Jahre zuvor kurzerhand der Status “Kriminalitätsbelasteter Ort” genommen wurde. Der Strich ist noch da, aber die Immobilienmakler können ohne diesen schlechten Titel die Grundstücke teurer verkaufen. Ein Schelm, wer auf die Idee kommt, dass dies auch beim Park eine Rolle spielt. Sind die eingesetzten Beamten/innen, die im Auftrag handeln, Rassisten? Oder sind irgendwie beide, die Dealer und die Polizei, Schachfiguren, die von ganz anderen Leuten hin- und hergeschoben werden? Ich weiß nicht, wie sich manche Leute Polizeidienst vorstellen. Für meinen Teil kann ich sagen, dass es bei uns einen Standarddialog gab:

“Warum machen wir diesen Unsinn?”
“Halt die Klappe, ist Politik, angeordnet und bezahlt!”
“OK!”

Wer damit nicht klarkommt, muss den Job wechseln. Ich habe erlebt, wie vier zivile Streifen einen Monat lang eine Laubenkolonie beobachteten, weil bei der Tochter eines namhaften Politikers in den Geräteschuppen eingebrochen wurde. Gut, dass der Täter ein Urdeutscher Heroinabhängiger war. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn es sich um einen Nigerianer gehandelt hätte.

In meiner 30-jährigen Laufbahn erlebte ich genau drei waschechte Rassisten. Einer war gebürtiger weißer Südafrikaner, der andere landete später bei den GRÜNEN und der Dritte, ein mieser Typ, durch und durch, ist mit einem guten Dienstgrad pensioniert worden. Viele Kollegen wurden im Lauf der Jahre zu Misanthropen, aber das hat nichts mit Rassismus zu tun.

Die Büchse der Pandora steht offen

a person doing hand gestures while wearing a vr goggles Lesedauer 8 Minuten

Ich bin wahrlich kein Computer-Freak. Meine Kenntnisse sind oberflächlich und ich verstehe in etwa, worum es geht. Am ehesten würde ich das mit einem Autofahrer vergleichen, der über ein grundsätzliches Verständnis für Fahrzeugtechnik verfügt, vielleicht noch solange an Autos schraubte, bis unter der Motorhaube nur noch ein Block zu sehen war, fahren und im Notfall mal einen Reifen wechseln kann. Autos sind ein gutes Beispiel. Heutzutage setzt man sich hinein und jede Menge Fahrassistenten sollen dafür sorgen, dass das Fahrzeug auch bei schwerwiegenderen Fahrfehlern nicht in einen Unfall verwickelt wird. Aber jeder Fahrtrainer weist auf die Grenzen der Physik hin. An einem ermittelbaren Punkt, kann auch der Spurassistent nichts mehr ausrichten und die Blechkiste auf vier Rädern verselbstständigt sich. Es gibt wenige Autofahrer und Fahrerinnen, die im alten Sinne wirklich Auto fahren können. Sie setzen sich hinein und überlassen ihr Schicksal im Wesentlichen der Technik. Vor ein paar Jahren bin ich mal nach langer Zeit in einem VW Käfer, Baujahr 1972, durch den Schwarzwald gefahren. Da wurde mir dies wieder einmal bewusst. Es ist schon toll, was die heutigen Fahrzeuge an Komfort anbieten. Gleichsam erschreckend, wie schnell sie von außen her gehackt werden können. Wiederum aber nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass russische Hacker ukrainische Atomkraftwerke hackten und Versorgungskreise manipulierten.

In der jüngeren Vergangenheit wurden Computer-Programme immer umfangreicher und bieten den Nutzern nunmehr noch vor wenigen Jahren unvorstellbare Möglichkeiten. Wenige Spezialisten wissen, was da im Hintergrund passiert. Für die Anwender ist es auch irrelevant. Sie müssen wissen, welche Menüs sie benutzen müssen. Womit sich die moderne, digitalisierte Welt in zwei Lager spaltet: Die Wissenden und die versierten Anwender. Aber es gibt noch mehr Gruppen. Beispielsweise nutzen viele Anwender Office-Programme analog zu einer alten Schreibmaschine und andere können damit wirklich Texte verarbeiten. Nicht anders sieht es bei Programmen aus, mit denen Fotos und allerlei Medien bearbeitet werden können. Die breite Masse benutzt automatisierte Filter, die Fotos verschönern oder kleinere Filme entstehen lassen.

In meiner Generation mussten die Menschen lernen, von der analogen Welt auf die virtuelle Welt und die sich aus ihr ergebenden Möglichkeiten umzudenken. Mir wurde dies besonders deutlich, wenn ich für Vorgesetzte Präsentationen erstellen sollte. Ein Präsentationsprogramm soll den oder die Vortragende/n unterstützen und nicht ersetzen. Das bekamen die häufig nicht hin. An der Wand erschienen dann ganze Abhandlungen, die aus den Zuhörern, Mitlesende, werden ließen. Es dauerte auch lange, bis sich in Behörden durchsetzte, dass eine Textdatei eben kein Blatt Papier ist und anderes gestaltet werden muss. In meiner Branche passierte noch etwas anderes. Als ich in meinem Job das Laufen lernte, brachte man mir noch das Entwickeln von Filmen bei. Wir arbeiteten mit konspirativen Kameras und die speziellen Formate konnten nicht einfach in ein Labor gegeben werden. In dieser Zeit war ein Foto einfach ein Foto, und damit oftmals ein gutes Beweismittel. Manipulationen waren ziemlich einfach zu entlarven. Das änderte sich mit der Digitalisierung und Bearbeitungsprogrammen. Mit forensischen Programmen lassen sie sich immer noch aufdecken, aber halt nicht mehr so einfach.

Mittlerweile weiß nahezu jede/r, wie trügerisch ein Bild sein kann. Doch wissen ist nicht alles. Man muss auch bereit sein, Zweifel zu hegen. Und allzu oft wird bedient, was die Leute sehen und glauben wollen. Wenn es zu dem passt, was man erwartet, wird es schon so sein. Es kann nicht jeder so paranoid sein wie ich und grundsätzlich jedem digitalen Bild misstrauen. Ich möchte sogar behaupten, dass es eine ziemlich große Gruppe gibt, deren Mitglieder nicht einmal ansatzweise wissen, was bereits bisher möglich war. Dies kann auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen sein. Manchen ist es schlicht egal, so wie vieles völlig an ihnen vorbeigeht. Ein wenig despektierlich bezeichne ich sie als frei verfügbare biologische Masse, die je nach Zweck und Bedürfnis von Leuten, die sich mit alledem auskennen, benutzt werden kann. Andere sind schlicht zu alt, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Sie wurden lange vor der Digitalisierung geboren. Theoretisch können sie nur darauf vertrauen, dass es genügend Jüngere gibt, die sich dem Missbrauch entgegenstellen. Jedenfalls, wenn sie klug sind. Sind sie es nicht, werden sie zum Werkzeug derjenigen, welche sie böswillig manipulieren und dreschen ausgerechnet auf diejenigen ein, welche Kritik üben.

Teilweise kann ich ihnen dies aus vielerlei Gründen nicht vorwerfen. Nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen zu sein, steht vielem entgegen. Jetzt in diesem Moment, während ich hier schreibe, läuft hier ein kleiner Junge herum, der darauf wartet, dass seine Mutter wach wird. Dies tut er nicht, weil es dabei um sie geht, sondern er ohne sie nicht an das Smartphone mit seinen Spielen herankommt. Mit der analogen Welt kann er nichts anfangen. Mich hätte man in seinem Alter eine Weile suchen müssen, weil ich irgendwo fasziniert eine Ameisenstraße beobachtete. Auf der anderen Seite steht die Generation, die nicht mit PC-Spielen, Social Media, digitalen Nachrichten, wischen, klicken, scrollen, aufwuchsen und den ganzen Kram ziemlich dämlich finden. Etwas, was ich gut nachvollziehen kann.
Ein weiterer Punkt sind die mannigfaltigen gesellschaftlichen Veränderungen, die nicht ausschließlich auf die Digitalisierung, doch zumindest teilweise darauf zurückzuführen sind. Da wäre die Sprache zu nennen. Ganz simpel fängt es damit an, dass die ältere deutsche Generation, neben der französischen und spanischen, nur rudimentär Englisch lernten. Englisch ist in der digitalen Welt essenziell. Des Weiteren bedienen sich ausgerechnet jene, von denen gesellschaftliche Impulse ausgehen sollten, einer Sprache, die entweder aus Subkulturen stammt oder lediglich auf dem Campus verstanden wird.

Auch dies kenne ich aus meiner beruflichen Laufbahn. In Behörden beschäftigte Führungskräfte entwickelten sich passend zum Zeitgeist. Mit Neid schauten sie auf die schicken Frauen und Männer in der freien Marktwirtschaft, die sich hochtrabende Titel gaben und mit furchtbar wichtig klingenden Wörtern um sich warfen. Aus Fachdienststellen wurden Kompetenzzentren, Vorstellungsgespräche mutierten zu Assessment-Centern, aus Fähigkeiten wurden Skills und statt erklärt, wurde plötzlich gebrieft. Dies sind noch die harmlosen Begriffe. Mit Sachen, wie Balance-Scorekarten, will ich gar nicht erst anfangen. Ich nahm an diversen Besprechungen teil, bei denen ich genau wusste, dass 90 % der Anwesenden keinen blassen Schimmer von der Bedeutung der Worte hatten, die sie benutzten. Denn es ging nicht um die Inhalte, sondern im Vordergrund stand die Selbstdarstellung. Begriffe kann man sich gegenseitig an den Kopf werfen, wenn jeder weiß, was unter ihnen in Gänze zusammengefasst wird. Ist dies nicht der Fall, kann man sich das Gespräch auch sparen und einfach ein Bier trinken gehen.

Was sich zum Beispiel bei Twitter an “Sprachposern” versammelt, ist beachtlich. Ich erwähnte es bereits in einem Beitrag: Ich hab überhaupt nichts gegen das sogenannte “Gendern”. Für mich ist es an vielen Stellen nachvollziehbar, dass Frauen eine neue Epoche einleiten wollen, die endlich die Dominanz von Männern durchbricht. Aber bitte zweckmäßig und an den richtigen Stellen. Letztens las ich “Jemensch”, statt “Jemand”. Etymologisch ein ziemlicher Unsinn und eher geeignet, den berechtigten Anspruch ins Lächerliche zu ziehen. Wie auch immer, dies sei nur ein kleiner Abstecher gewesen.

Es gibt also Wissende, Nutznießer, die sich dieses Wissens bedienen, um ihre Arbeit zu verrichten und welche, die es dafür benutzen, um Teile der Gesellschaft in ihrem Sinne zu manipulieren. Es gibt die, denen alles egal ist und sich willfährig manipulieren lassen. Wiederum andere würden gern verstehen, aber sie werden von denen allein gelassen, die ihnen mit ein wenig Mühe und Engagement erklären könnten, was um sie herum passiert, aber sich arrogant in Kauderwelsch ergehen. Und es gilt zwischen Anwendern und Machern zu unterscheiden.

Ein neues Spielzeug für eine unreife Spezies

Innerhalb weniger Jahre ist die Entwicklung der “Künstlichen Intelligenz” erheblich vorangetrieben worden. Nunmehr sind darauf basierende Anwendungen für alle online oder auch auf dem eigenen Rechner nutzbar. Man kann mit “ihr” chatten und man bekommt auf der Basis der eingepflegten Daten Antworten. Oder mit einigen Anweisungen, Bilder generieren oder ganze Filme entstehen lassen. Ebenso ist es zukünftig möglich, eine Stimme analysieren zu lassen und sie für alles Erdenkliche benutzen. Spaßvögel könnten einen Film entstehen lassen, in dem Donald Trump und Marilyn Monroe die Hauptrollen spielen. Gleichzeitig ist alles möglich, was irgendwie kompromittierend sein könnte. Allerdings gibt es auch Programme, die den “Fake” schnell entlarven. So man denn will! Das ist keine Zukunftsmusik, sondern passiert jetzt und wird innerhalb kürzester Zeit immer ausgereifter werden.
Es ist die Situation eingetreten, die sich bereits seit längerer Zeit abzeichnet. Niemand kann mehr Bildern oder Filmen trauen. Ohne Wissender oder Urheber zu sein, ist man chancenlos. Es sei denn, Stellen, den man vertrauen kann, mischen sich ein. Hier kommt etwas Weiteres ins Spiel. Wem sollte man vertrauen können? Denen, die bereits mit weniger effizienten Mitteln auf Propaganda, Desinformation, Diffamierungskampagnen setzten?
In den vergangenen Monaten erlebten wir in Deutschland eine von der CDU/CSU, FDP, initiierte breite Kampagne, in der mittels Verfälschung der Aussagen des politischen Kontrahenten, der persönlichen Diffamierung, vollkommen jenseits der Sachthemen, die Rückeroberung der politischen Macht vorbereitet werden soll. Oder was ist mit der Strategie gegenüber den Protestanten zum Thema Klima? Auch hier wurden alle Register gezogen, statt sich mit der Sache auseinanderzusetzen. Da war die Kampagne, in der findige Köpfe erst Greta Thunberg zu einer angeblich religiösen Ikone stilisierten, folgerichtig die Diffamierung als Sekte nachgereicht und plötzlich deutsche Vertreterinnen als Sektenanführerinnen tituliert wurden. Was passierte in Lützerath? Eine Ausgangslage, die man so oder so hätte steuern können, wurde eskaliert, damit eine passende Gegenstimmung im Bürgertum entstand. Alles, damit sie sich zum eigentlichen Sachthema nicht positionieren müssen. Ebenso funktioniert die Strategie, bei der überall Verallgemeinerungen implementiert werden. Man muss Katja Kipping nicht mögen, aber sie sagte letztens wahre Worte. “Wenn immer allgemein von den Politikern/innen gesprochen wird, können sich diejenigen mit Machtfantasien und Bereicherungsabsicht in der grauen Menge verstecken.” Es hat auch funktioniert, jegliche Kritik am Kapital, Kapitalismus, Neoliberalismus, Klima-Politik, in eine große Sammelkiste mit der Aufschrift “links” zu packen. Darin tummeln sich mittlerweile Philosophen/innen, Naturwissenschaftler/innen, Ökologen/innen, Mediziner/innen, Intellektuelle, Anarchisten, Sozialisten, kritische Wirtschaftswissenschaftler. Alles ist “links”, also Kommunisten, die sind böse und wir wollen keine DDR. So lauten die Grunzlaute des Mobs.
Eine weitere signifikante Debatte ist die über die Legalisierung von Cannabis. Was da an falschen Studien veröffentlicht wird, welche fadenscheinige Rhetorik zum Tragen kommt, wie in Hochglanzmagazinen berichtet wird, ist atemberaubend. Würde McCarthy noch leben, klatschte er vor Begeisterung. Enttäuschen würde ihn allerdings, worum es mittlerweile tatsächlich geht. Die Legalisierung wird kommen, aber erst, wenn der Markt und Vertrieb seitens der Konzerne zu Ende geplant ist. Letztmalig erlebten wir eine ähnlich gelagerte Nummer beim Vertrieb der E-Zigaretten.
Kann man Leuten, die zu solchen Mitteln greifen, über den Weg trauen? Ebenfalls erlebten wir Personen des öffentlichen Lebens, die sich zum Teil der russischen Kriegspropaganda machen ließen. Und schaue ich über die Grenzen Deutschlands hinaus, wird es noch schlimmer. Diverse Staaten werden sich solche Chancen nicht entgehen lassen. Sei es nach innen, um die eigene Bevölkerung zu steuern oder nach außen über die Geheimdienste. Ich habe da Indien vor Augen, wo die Regierung ein eigenes Social Media Netzwerk betreibt und jede Menge Leute damit beauftragt sind, diese tendenziös zu füttern.

In den Anfängen des 20. Jahrhunderts stellten sich einige Schriftsteller die Frage, was passieren würde, wenn man bestimmten Charakteren Werkzeuge in die Hände gäbe, mit denen sie in Perfektion große Massen steuern und überwachen könnten. Die Charaktere änderten sich nicht und nun im 21. Jahrhundert sind die Werkzeuge vorhanden. Orwell, Huxley, konnten nur mutmaßen, wie sie aussehen würden. Heute kennen wir sie. Orwell irrte sich um 39 Jahre. Geschenkt und irrelevant. Es liegt alles auf dem Tisch und einige müssen nur noch zugreifen. Ich bin mir absolut sicher, dass sie es tun werden. Es sei denn, irgendwer oder irgendetwas zieht die Bremse. Die sich da bedienen werden, ersehen sich selbst nicht einmal als negative Erscheinungen. Sie sind so sehr davon überzeugt, dass sie den Durchblick haben, dass sie nicht nur Gutes tun, sondern sogar dazu verpflichtet sind. Exakt an der Stelle bin ich persönlich raus. Mir haben sich die Worte eines solchen Menschen eingebrannt: “Sie müssen darauf vertrauen, dass ihre Vorgesetzten über ein erweitertes Wissen verfügen und die richtigen Entscheidungen treffen.” Darauf ist der nicht alleine gekommen. So zu denken, wurde ihm innerhalb seiner Blase der Macht beigebracht. Denen, die jetzt die Augenbrauen hochziehen, sei gesagt, dass ich mich eine kurze Zeit mit Kommunikationstraining für Führungskräfte auseinandersetzte. In diesem Zusammenhang konnte ich meine eigenen Erfahrungen dazu sammeln, wie schnell sich viele in dieser Blase befinden und schlagartig über und mit anderen sprechen, als wenn die aus einer völlig anderen Welt stammten.

Es heißt: Wissen ist Macht. Für mich ist dies die berühmte halbe Wahrheit. Meistens genügt es vollauf, wenn ich das Talent und die charakterlichen Voraussetzungen mitbringe, dieses Wissen anderer für meine Zwecke zu nutzen. Im Zusammenhang mit den genannten Werkzeugen haben wieder mal einige damit Befasste den Augenblick verpasst, in dem sie sich hätten fragen sollen: “Was kann passieren, wenn diese Werkzeuge missbraucht werden?” Und selbst wenn sie diese Frage gestellt hätten, wäre jemand daher gekommen, der gesagt hätte: “Das liegt nicht in unseren Händen. Wir haben geforscht und entwickelt, was die Menschen daraus machen, ist ihr Ding.” Wir leben leider nicht in einem dieser Hollywood-Filme, in dem ein vernünftiger Held etwas entsorgt, weil es in den Händen der falschen Leute zur Katastrophe führen könnte.
Aber wie erwähnt, liegt dies in der Vergangenheit, jetzt ist es in der Welt. Ein weiteres Spielzeug in den Händen einer Spezies, die noch lange nicht dazu reif ist, damit umzugehen. Sich dem Traum hinzugeben, dass auch jene, die andere Haltungen einnehmen, sich dieser Werkzeuge bedienen können, ist nicht meins. Dafür sind die anderen zu skrupellos. Das Gesetz lautet: In einer Schlangengrube überleben nur Schlangen. Uns wird im Idealfall auch nicht die Isolation gelingen. Wenn in anderen Staaten damit Massen gelenkt werden, hat dies Auswirkungen auf uns und wir werden mit hineingezogen. Auch etwas, was sich bereits jetzt abzeichnet.

Heute war so ein Tag. Ich schaute mir Bilder von den Unruhen in Paris an. Da war eins dabei, welches eine vollkommen vermüllte Straße zeigte. Angeblich ein Ergebnis des Streiks. Fake? Realität? Ich kann es nicht beurteilen. Dazu müsste ich hinfahren. Zig Leute werden sich diese Frage nicht stellen und es auf Deutschland projizieren. Ja, es hat bereits angefangen …

Cheap-Cheap

Lesedauer 9 Minuten

Vor drei Jahren traf ich einen jungen Kerl aus Barcelona. Er war ein einfacher Bauarbeiter, der in Spanien keinen Job gefunden hatte und sich deshalb auf Reisen ging. Doch ich glaube, dies war nicht seine einzige Motivation. In Australien arbeitete er zeitweilig als Küchengehilfe. Bis zu dem Tag, an dem ihm der Restaurantbesitzer fragte: “Du bist doch Spanier? Dann kannst Du bestimmt gut mit Rindfleisch umgehen.” Schnell wurde er auf die Art zum gutbezahlten Restaurantleiter. Trotzdem zog es ihn eines Tages weiter. Also scheint ihn auch ein wenig die Abenteuerlust angetrieben zu haben.
Wir beide lernten uns in der Warteschlange der Grenzkontrolle nach Malaysia kennen. Ein Wort gab das andere und wir beschlossen uns gemeinsam ins gleiche Guesthouse zu begeben. Die Nummer mit dem “Cheap” ging schon am Fährterminal los. Auf der Insel Langkawi angekommen benötigten wir ein Transportmittel zu unserem Ziel Cenang Beach. Er wuselte herum und suchte etwas Passendes. Die regulären Taxen waren ihm zu teuer. Dazu muss ich erwähnen, dass eine Fahrt umgerechnet 5 EUR kostete und die Fahrt locker 15 Minuten dauerte. Zu meinem Entsetzen schickte er sich an, einen Busfahrer zu fragen, ob der uns mitnehmen würde. Problem: Der Bus war vollständig mit uniformierten jungen Polizistinnen in der Ausbildung besetzt. Bei der ganzen Aktion sagte er immer wieder: “I’m looking for a cheap solution.”

Das setzte sich im Guesthouse fort und wir beide landeten in einem Dorm mit 10 Leuten. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, aber dort lag man auf in Plastik eingepackten Matratzen und die Betten wackelten bedrohlich. Nach einer Nacht wählte ich die teurere Lösung und mietete einen Bungalow. Cheap-Cheap, so nannte ich ihn bereits nach dieser einen Nacht, bot ich an, gegen den Preis eines Betts im Dorm, bei mir zu schlafen.

Cheap!“, das setzte sich bei mir fest. Hört man den Gesprächen der Backpacker und anderen Reisenden aus den “Wohlfahrtsstaaten” zu, gibt es zwei Optionen. Entweder, ein Platz ist “Cheap” oder zu teuer, also “expensiv”. Inwiefern dies mit dem Lebensstandard, der wirtschaftlichen Lage des jeweiligen Landes zu tun hat und was das für die Leute bedeutet, kümmert sie dabei wenig. Ich erinnere mich dabei an die Zeit, in der wir als junge Erlebnisorientierte nach Prag fuhren und dort für umgerechnet 30 Pfennig ein Bier bekamen. Oder als wir West-Berliner nach dem Fall der Mauer auf dem Schwarzmarkt Deutsche Mark in Ostmark zu einem Kurs von 1:50 tauschten, um dann mit dem Geld in den ehemaligen DDR-Bonzen-Läden die Sau herauszulassen. Ich habe auch nicht vergessen, wie einige der Meinung waren, in normalen Clubs den dicken Maxen spielen zu können, um dann von den Jungs aus Prenzelberg ordentlich auf den Zahn zu bekommen. Ähnliches erlebte ich auch in einer polnischen Grenzstadt.

Ich bin nicht mehr der junge Kerl von damals. Meine Gedanken gehen heute deutlich weiter. Sich als “reicher” privilegierter Typ in einem armen Land zu bewegen, ist nicht ganz unproblematisch. Wenigstens sollte man sich dessen bewusst sein. Für mich gibt es da eine fließende Grenze zwischen Reisen und einer Situation, die ich als beinahe pornografisch bezeichnen würde. Heute hörte ich, wie sich eine Deutsche mit einem Italiener über die Länder unterhielt, in denen sie bereits waren und wie ihre weiteren Reisepläne aussehen. Bei der Deutschen ist Sri Lanka auf der Agenda, Sri Lanka. Ein Land, welches sich in einer bösen Krise befindet, in deren Folge Teile der Bevölkerung an Hunger und Not leiden. Reisende werden allerdings bevorzugt behandelt und bekommen zum Beispiel ansonsten rationierten Kraftstoff zu kaufen. Doch darum ging es in dem Gespräch nicht. Günstiges Essen, billige (cheap) Unterkünfte, aber zu wenige Kohlenhydrate bei der Ernährung, lauteten die Themen. Ich unterscheide konsequent zwischen einer anderen einfachen Lebensart und Armut. Unterernährung, der Mangel an sauberen Trinkwasser, fehlende medizinische Versorgung und seien es nur die althergebrachten Heilmethoden, die dort seit Urzeiten praktiziert werden, ist für mich definitiv Armut. Ob die Leute nun in offenen Hütten oder Zelten leben, halbnackt sind, alles mit Booten oder Handkarren transportieren, ist eine vollkommen andere Angelegenheit bzw. schlicht deren Lebensweise.

Nochmals anders ist die Ausgangslage der deutschen Rentner in Thailand. Sie gehen dorthin, weil sie sich dort ein Leben leisten können, welches sie zu Hause in Deutschland nicht finanzieren könnten. Die Thais wiederum setzen auf sie, weil sie zahlende Kundschaft sind. Klingt erst einmal nach einer Win-win-Situation. Ein wenig befremdlich ist es dennoch. Da arbeiten Leute ein ganzes Leben lang und am Ende genügt ihr Geld nicht für einen angenehmen Lebensabend. Jedenfalls für keinen, der den allgemeinen deutschen Vorstellungen entspricht. Doch bei den Thais sieht es nicht anders aus. Dort und in anderen südostasiatischen Ländern läuft die Versorgung über die Kinder. Ohne Kinder landen sie in bitterer Armut und werden auch nicht sonderlich alt. Für Thais sind mehrere Kinder existenziell. Bei nur einem besteht das Risiko, dass etwas schiefgeht, zwei, drei, vier, geben eine gewisse Sicherheit. Töchter, die sich von einem alten “reichen” Westerner aushalten lassen, sind quasi ein Lotto-Gewinn. Zumindest gilt dies für die Eltern. Fest steht auch, dass das, was Nordthailänder unter einem versorgten Lebensabend verstehen, nichts mit den deutschen Vorstellungen zu tun hat. Eine ganz andere Kategorie sind die Männer, welche ihre aktuell zulässigen 45 Tage Aufenthalt zur billigen Befriedigung ihrer sexuellen Triebe nutzen. Dagegen sind die Thais teilweise vorgegangen, woraufhin die Typen nach Kambodscha ausgewichen sind.

Aber egal, wie man es betrachtet oder welchen ethischen Kompass man benutzt, eins ist nüchtern festzustellen. Es funktioniert nur wegen des finanziellen Gefälles. Das Argument, welches einige vorbringen, demnach sie immerhin Geld ins ärmere Land bringen, kann ich nicht folgen. Dies würde auch mit einer Spende funktionieren. Genügend Hilfsorganisationen gibt es. Das ist ein ziemlich plumper Versuch, sich zum Philanthropen zu stilisieren. Tatsächlich geht es in erster Linie um den eigenen Vorteil. Ich dachte selbst kurzfristig über einen Abstecher nach Sri Lanka nach. Doch ich habe es verworfen. Ich bekomme dies nicht mit meinen Prinzipien in Einklang. Als ich Laos besuchte, war ich noch suchend und unerfahrener.

Meine Lebensart hier auf der Insel Langkawi oder in Thailand unterscheidet sich nicht sonderlich von der, die ich mir in Deutschland leisten kann. Ich miete mich nicht in Hotels ein, die ich mir sonst nicht leisten könnte. Gleiches gilt für Restaurants, in denen mich Meeresfrüchte einen Bruchteil dessen kosten, was ich in Berlin hinlegen müsste. Ebenfalls kaufe ich mir keine Cocktails, die in Berlin mein Budget sprengen würden. Meinem Gefühl nach, leiste ich mir, was sich hier die durchschnittlich verdienenden Leute auch kaufen können. Leute, denen es schlecht geht, gibt es immer und ich kann es nicht ändern. Was ich aber versuche, ist eine gewisse Fairness an den Tag zu legen. Ich zahle durchaus mal ein paar Ringit mehr für ein reguläres Taxi oder schau, dass ich eher die kleineren Business-Läden nutze und esse dort auch mal die Speisen, mit denen sie versuchen ein wenig mehr Geld zu verdienen, selbst wenn’s nicht unbedingt mein favorisiertes Gericht ist.

Cheap-Cheap, ist im Prinzip das deutsche “Geiz ist geil!” Ein Motto, auf das man nicht stolz sein sollte. Klar, wenn man nichts hat, ist man dankbar für die Dumping-Angebote. Obwohl auch hier ein Trick dahinter steht. So ist zum Beispiel das verlockende Angebot, dass ein Anbieter im Falle des Nachweises, den niederen Preis des Mitbewerbers anzunehmen, eine versteckte Kartellbildung. Anfangs sinkt der Preis. Doch das ändert sich. In einem Artikel des Magazins handelsblatt.com, wurde das Prinzip, welches auf der Spieltheorie beruht, ganz gut erläutert:

… Niedrigstpreisgarantien gehen darüber hinaus, indem sie versprechen, mit einem niedrigeren Preis eines Konkurrenten nicht nur gleichzuziehen, sondern diesen sogar zu unterbieten. Führt ein Unternehmen eine Niedrigstpreisgarantie ein und erhöht den Preis, so büßen die Konkurrenten Marktanteile ein, da sie aufgrund dieser Preisgarantie immer unterboten werden. Sie können ihre Marktanteile nur zurückgewinnen, wenn sie ebenfalls einen höheren Preis fordern. Niedrigstpreisgarantien sind also eine deutliche Aufforderung an die Konkurrenz, ebenfalls die Preise zu erhöhen. Ist ein Teil der Konsumenten nicht über die Preise der Unternehmen informiert, können Preisgarantien nach Erkenntnissen der amerikanischen Ökonomen David Hirshleifer zur Preisdiskriminierung genutzt werden und insgesamt wiederum zu höheren Preisen führen.

https://www.handelsblatt.com/finanzen/steuern-recht/recht/streitfall-des-tages-der-trick-mit-der-preisgarantie/6867000.html


Wenn es nach meinen “Freunden” den Turbo-Kapitalisten geht, sind alle Menschen “Homo oeconomicus“. Auch ein Begriff, der aus der Spieltheorie stammt. Und tatsächlich ist der Mensch dankenswerterweise anders oder kann anders sein, wenn er nicht dahingehend manipuliert wird. Der beste Nachweis dafür ist eins meiner Lieblingsexperimente aus der Spieltheorie. Von zwei Versuchspersonen wird einer, mit der Aufforderung das Geld zwischen beiden aufzuteilen, ein Betrag in Höhe von 50 EUR übergeben. Stimmt die andere Person der Aufteilung zu, können sie das Geld behalten. Im Falle eines Homo oeconomicus wäre zu erwarten, dass die andere Person sogar bei einer Teilung in 49,99/0,1 zustimmt, weil selbst der 1 Cent mehr ist, als zuvor. Frei nach: Besser als Nichts! In der Realität sieht es aber anders aus. Um so mehr die Aufteilung von 50:50 abweicht, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Person blockiert und beide leer ausgehen,

Für mich ist das ein Signal dafür, dass bei den Leuten, die mit dem Motto Cheap-Cheap unterwegs sind, etwas in die Schieflage geraten ist. Vielleicht liegt es daran, dass sie es aus den Heimatländern gewohnt sind, grundsätzlich übers Ohr gehauen zu werden. Klar gibt es auch hier deutliche Unterschiede. Ein aus Europa importiertes Bier kostet im Duty-Free Shop 3,50 RGT (79 Cent) und in einem kleinen Minimarkt 5 RGT (1 EUR). Dafür hat der aber auch 24/7 geöffnet, muss einen anderen Mietpreis zahlen, gibt einigen einfachen Menschen einen Arbeitsplatz und befindet sich in der Nähe der Guesthouses. Unter dem Strich wurden in Deutschland auf die Art nach und nach alle kleinen Dorfläden kaputt gemacht, infolgedessen die Leute gezwungen sind, mit Autos zum Einkaufen zu fahren und die Luft verpesten.

Ich halte es nicht für falsch, mit Tourismus ärmere Länder zu unterstützen. Doch da gibt es einige Klippen. Die Einheimischen haben überhaupt nichts davon, wenn die Touristen in den großen Hotelbunkern oder ummauerten “Reservaten” unterkommen. Das Geld fließt direkt in die Taschen der großen Globalplayer. Allzu selten verlassen die verwöhnten Touris die ihnen zugewiesenen Habitate und essen in einem der kleinen Restaurants im Hinterland. Ebenso wenig nehmen sie die Dienstleistungen der kleineren Anbieter in Anspruch. Für die “normale” Bevölkerung bleiben die Schäden und bei der allgemeinen ökologischen Lage, am Ende für uns alle.
Die großen Hotels benötigen eine deutlich ausgedehntere Infrastruktur, als die vielen kleinen Anbieter. Da ist die Entwässerung, der Mehrverbrauch an Wasser durch Pools, schicke Springbrunnen, Rasenflächen, Gartenanlagen und interne Angebote. Ich sehe das hier auf der Insel Langkawi. Bereits im Bau sind die Beton-Bauten ein ökologischer Horror. Das Geld landet überall, nur nicht zum Beispiel in der Entwässerung und Wiederaufbereitung. Vielfach sind Sammelcontainer aufgestellt, in denen die Feststoffe gesammelt werden, während alles Flüssige in der Landschaft oder über stinkende Kanäle im Meer landet. Dies bei stetig steigender Zahl an Betten. Da wirken nahegelegene “Schutzgebiete” für Mangroven-Wälder wie zu klein geratene Feigenblätter.

Nahezu alle Strände sind Mogelpackungen. Der Indische Ozean ist voll mit Müll. Steht der Wind ungünstig, landet der Müll aus der Straße von Malakka am Strand. Emsig sammeln diesen von der Kommune bezahlte Hungerlöhner oder im Bereich der Hotels, bei denen angestellte Bedienstete, ein. Auch eine Art der Beschaffungsmaßnahme. Auf einigen Inseln sah ich zu Ressorts gehörende Verbrennungsanlagen, die den Müll ohne Filter gnadenlos über hohe Schornsteine in die Luft jagen. Doch nicht jeder Müll kommt übers Meer. Überall werden Plastikpackungen, Strohhalme, Plastikflaschen, Schraubverschlüsse, Zigarettenfilter, unbekümmert in die Landschaft geworfen. Zu diesem teilweise unmittelbar auf den Tourismus zurückzuführenden Müll kommt der indirekte hinzu. Baumaterialien, Reifen, ausrangierte Jetskis, Scooter, Schmierstoffe, Dämmmaterialien, usw., verteilen sich überall.

Auch hier hinterlassen einem die “Cheaps-Cheaps” aus Europa mit Fragen. In Deutschland toben wilde Debatten über SUV, Verbrenner, Klimaneutralität. Hier wird als Erstes nach dem billigsten Scooter-Verleih gesucht. Es gibt auch keine Gewissensprobleme beim Leihen eines Jetskis, einem Tandem-Flug oder wenn man sich mit einem Fallschirm über das Meer ziehen lässt. Selbst ein Bekannter aus Berlin, hatte nichts Besseres zu tun, als sich einen derartigen Flug zu gönnen. Nun ja, fairerweise muss ich anmerken, dass viele ihre Sünden mit einer vegetarischen Ernährung ausgleichen (Zynismus: off). Gleichfalls ist es für sie unproblematisch, jeden Tag die Klima-Anlage auf 25 Grad zu stellen und klimatisierte Lokale zu bevorzugen.

Ich unterstütze den Protest in Deutschland. Selbst wenn die Protestierenden bigott sind und mit ihrer Lebensart selbst jede Menge Schäden anrichten, sind ihre Forderungen an sich völlig korrekt. Mir geht es nicht anders. Auch ich tue vieles, was nicht mit meiner Kritik deckungsgleich ist. “Die sollen erst einmal bei sich selbst anfangen!”, ist eine perfide Rhetorik, mit der nur vom eigenen Fehlverhalten abgelenkt werden soll. Anders: Das ist unterstes Buddelkastenniveau aus Kindheitstagen. Mama, die anderen Kinder haben aber auch! Solche Leute kann ich nicht für voll nehmen. Mich macht dabei etwas anderes nervös.
Auch die nachfolgende Generation ist im System und der von unterschiedlichsten Menschen geschaffenen Weltlage gefangen.
Ich halte Reisen für wichtig. Das Kennenlernen anderer Kulturen, Lebensweisen, Ansichten, gehört für mich zur Vervollständigung eines Lebens dazu. Jeder, der es tun kann, sollte es auch machen. Da schließe ich mich großen Denkern der Vergangenheit an und folge ihren Gedankengängen dazu. Ich hätte gern erneut ein anderes Reisemittel nach Südostasien gewählt, als ausgerechnet einen Flug. Doch die Weltlage lässt dies nicht zu. Zwischen Deutschland und Südostasien liegen einfach zu viele Staaten, die ich ungern, gar nicht oder nur unter Lebensgefahr passieren kann. Dafür können die Cheaps-Cheaps schon mal nichts.
Die Welt, in die sie hineingeboren wurden, das Denken, die Strukturen, die Lebensmodelle und die Wertvorstellungen, haben wir, die ältere Generation erschaffen und wir erhalten sie am Leben. Es ist unmöglich, auf alles im Einzelnen einzugehen. Fakt ist: Wir haben global die Kontrolle über das von uns erschaffene System verloren. Es hat sich verselbstständigt. Ob nun unter absolut in jeder Hinsicht unvertretbaren Umständen Produkte in Asien entstehen, die als Billigware in Europa landen oder Geräte produziert werden, die zur Profitmaximierung nicht nach ökologischen Gesichtspunkten konzipiert sind, Steuern hinterzogen werden, jeden Tag irgendwo eine ökologische Katastrophe stattfindet, weil gespart wurde, wo man nur konnte, es ist unter den gegebenen Umständen kein Einhalt mehr zu gebieten.

Zwar hat Christian Lindner mal wieder den Vorgel abgeschossen, doch letztendlich zeigt er mit seiner puren Existenz, seiner Funktion und Verlautbarungen, wo wir stehen. Nach ihm ist nicht Verkehrsminister Wissing verantwortlich, sondern die Bürger, welche einen Verkehrsausbau einfordern.
Ergo: Weder der Hersteller von Kriegswaffen, noch der Händler ist für den Bedarf verantwortlich, sondern diejenigen, welche damit Kriege führen. Nicht die Billigproduzenten tragen Verantwortung, sondern die Käufer, welche sie kaufen. Auch die Hersteller von Geräten, deren Komponenten und Rohstoffe von quasi Sklaven aus aller Welt zusammengebaut oder geschürft werden, sind verantwortlich, sondern die Käufer. Das lässt sich unendlich fortsetzen. Da sind meine Cheaps-Cheaps noch das geringste Problem und ein ganz kleines Symptom für eine wütende Krankheit.

Ich gebe zu, in meinem tiefsten Innern geht mir immer häufiger dieses ganze Gerede über Demokratie, Toleranz und Akzeptanz immer mehr auf den Zünder. Mich stört diese Ohnmacht gewaltig und ich suche eigene Strategien, damit ein Handling zu finden. Es ist gut, dass ich hier und damit weit weg vom Schuss bin. Ich weiß nicht, was ich aktuell jemanden an den Kopf werfen würde, die/der mir die Ohren mit der DDR oder Sozialismus zu sabbeln würde. Diese Quatschköppe kommen mir vor wie Grundschüler, die sich über einen Lehrer beschweren, der ihnen eine Ansage macht, weil sie sich benehmen wie ein Haufen Hühner auf LSD. Die Deppen, welche ständig infantil von Mehrheiten sprechen, die sich hierfür oder dafür ausgesprochen haben, sind auch nicht besser. Mehrheiten entstehen zum Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr durch Überzeugung, mit rationalen Argumenten, sondern sind das Ergebnis von Kampagnen. Spätestens Trump und der Brexit haben dies beeindruckend bewiesen. Schlussendlich arbeite ich mich hier jeden Tag wider besseres Wissen an dem oberflächlichen Gerede der Cheaps-Cheaps ab. Wir sitzen in einem Boot und sie verantwortlich zu machen, ist mir zu billig.
Die Nummer überlasse ich selbstgefälligen alten Säcken und Trullas in Deutschland, die die Protestierenden anpöbeln. “Geht doch erst mal arbeiten und fasst Euch an die eigene Nase.” Wie ich es immer sage: “Wer den Mund aufmacht und spricht, gibt einiges an Informationen über sich selbst preis.” Früher waren diese Typen, diejenigen, welche zu jedem Kritiker sagten: “Dann geh doch rüber, Du Gammler.”