Jeder hat die Pflicht sich selbst zu entscheiden

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In der Ukraine tobt ein Krieg. Wieder einmal stehen in Europa zumeist Männer vor der Entscheidung ob sie dem Ruf der Herrschenden folgen. Gestern lernte ich einen 30-jährigen russischen Feuerwehrmann aus Moskau kennen. Er ist in Sachen Krieg nicht unerfahren. Er erlebte das Bombardement während des Jugoslawienkriegs in Belgrad. Erstmalig hörte ich von ihm, dass damals auch Phosphor-Bomben abgeworfen wurden. Ob dies nun so war oder nicht, ist irrelevant. Persönlich glaube ich es nicht. Für die ausgewählten Ziele war das gar nicht notwendig und meines Wissens handelte es sich um Marschflugkörper, die Belgrad trafen.

Als er erkannte, wo die Reise mit der vermeintlichen militärischen Übung hingeht, verließ er sein Land. Zurück blieb seine Familie. Derzeit tarnt er seine Abwesenheit mit Reisen. Erneut war er in Serbien, Ungarn, Rumänien und nun ist er in Istanbul. Seine Familie, seine Töchter, sein kleines Enkelkind und seine Frau sitzen in Moskau. Weder seine Eltern, die Schwiegereltern, noch die Ehefrau sind mit seiner Entscheidung einverstanden.

Es ginge doch um Russland. Er habe die Pflicht für das Vaterland zu kämpfen und außerdem müssten die Schwestern und Brüder in der Ukraine befreit werden. Unterwegs traf er auch Deutsche, die meinten, es wäre falsch, dass die NATO die Nazis in der Ukraine unterstützen würden. „Wer Phosphor-Bomben wirft, will nicht befreien, sondern zerstören!“, sagte er zu mir. Aber wisse auch nicht, wie es weitergehen soll. Überall sah er flüchtende Ukrainer. Die müssten nicht einmal ein Pass besitzen. Eine Fotografie würde ausreichen. Als Russe würde es für ihn immer schwieriger ein sicheres Land zu finden.

Bis zu seiner Erzählung wusste ich nicht, dass russische Deserteure, was er de facto ist, in Deutschland kein Asyl bekommen. Möglicherweise würde sich dies ändern, wenn sie ihn offiziell zögen. Doch dann wäre es zu spät. Ausnahmsweise fühlte ich mich an die deutschen Immigranten im Vorfeld des II. Weltkriegs erinnert. Hätten sie erst die Sachen packen sollen, nachdem die GeStaPo sie zufällig nicht antraf? Erst nach dem Gespräch erfuhr ich, dass gemäß der Europäischen Union von einem Staat durchaus die Teilnahme an einem Krieg erwartet werden kann. Der Krieg an sich ist kein Verbrechen. Das Desertieren wird erst zum Asylgrund, wenn Kriegsverbrechen begangen werden sollen. Beim Überfall Deutschlands auf Polen wäre demnach einem Wehrmachtssoldaten ein Asylantrag verwehrt gewesen. Erst die Erschießung polnischer Juden hätte diesen Weg eröffnet. Nur wäre er mit Sicherheit zwischenzeitlich wegen Befehlsverweigerung standrechtlich erschossen worden. Nein, ich muss das alles nicht mehr verstehen. Na ja, ich kenne es. Wie hieß es bei der Polizei immer? „Das Leben ist kein Wunschkonzert!“ Und an meinem Gymnasium hing neben dem Musikraum eine Gedenktafel mit dem Spruch: „Das Vaterland darf jedes Opfer fordern.“

 

Es gibt in Deutschland diesen Hype um den verstorbenen Alt-Kanzler Schmidt. Quasi eine Ikone, der gern zitiert wird, als wenn er seine Worte von Gott empfangen hätte. Der meinte in einem später geführten Interview zur Entführung der Lufthansa Maschine und seiner Rolle: „Ich hatte als Offizier in der Wehrmacht gelernt, Leute an der Front in den Tod zu schicken.“ Als ich das vernahm, brach ich innerlich mit ihm. Dann doch lieber ein Willy Brandt, der sich dazu entschied, rechtzeitig zu verschwinden. Ein Umstand, den ihm konservative Politiker in den 60er-70ern Jahren nachtrugen. Denn viele von ihnen hatten sich anders entschieden. Mir geht es darum, dass auch Schmidt als junger Mann eine Entscheidung traf und sich mit der Aussage rechtfertigte, dass das halt in dieser Zeit so war. Andere trafen andere Entscheidungen, somit bestand die Möglichkeit. Immerhin ging eine seiner Lehrerinnen in den Widerstand. Im Nachhinein sprach er von einem inneren Widerstand gegenüber dem Nationalsozialismus. So ergeht es derzeit auch diversen jungen Russen.

Der Russe fragte mich viel über meine Familie. Bisher hatte ich die Parallelen nicht erkannt. Wie war das mit meinen Großvätern zum Ausbruch des Krieges? Der eine war mehr oder weniger unpolitisch. Aber er hatte Glück. Er war kein Mitglied der NSDAP, aber gezogen wurde er. Er landete bei der Marine. Doch unmittelbar nach der kurzen Ausbildung auf einem U-Boot ging er in Kriegsgefangenschaft. Dann auch noch nach Südfrankreich. Besser konnte man es in dieser Zeit kaum treffen. Zumal auf ihn nicht Frau und Kind warteten.

Der andere hatte es schwerer. Er war Mitglied der KPD. Sie entzogen ihm die Staatsbürgerrechte, trotzdem sollte er oder vielleicht gerade deshalb, in den Krieg ziehen. Angeblich soff er sich den Magen kaputt und wurde wieder nach Hause geschickt. Überprüfen kann ich das nicht. Aber laut seinem Wehrpass war er ein ziemlich mieser Soldat und da steckte Kalkül dahinter. Irgendwie eine ähnliche Lage, wie die, in der sich der junge Russe befindet.

Dann wollte er wissen, wie meine Meinung dazu wäre. Ich antwortete ihm mit Jean-Paul Sartre. „Wir werden alleine geboren, wir sterben alleine und wir entscheiden allein über Leben und Tod. Jemand sagt Dir, Du sollst den Abzug ziehen, aber Du drückst ab. Nicht Deine Frau, nicht Deine Kinder, nicht Dein Offizier und auch nicht Putin. Du ganz allein. Du musst über Dein Leben oder Sterben entscheiden, so wie Du auch entscheiden musst, ob Du töten willst, für was auch immer. Es ist Dein Gewissen und Dein Leben, welches Du zu Ende leben musst.“

Ich sagte dies zu ihm, weil es meine feste Überzeugung ist. In meinem Job musste ich bereit sein zu töten. Und ich wusste stets, wofür ich es tun würde und wann nicht. Ohne zu zögern hätte ich jederzeit einem Terroristen direkt in den Kopf geschossen. Hingegen wäre jeder entwichene Sträfling entkommen. Irgendwann hätte ihn schon jemand eingefangen. Deshalb empfinde ich für alle GrePos, die bereit waren auf einen flüchtenden DDR Bürger zu schießen tiefste Verachtung. Er muss wissen, ob er glaubt, was Putin und Konsorten von sich geben oder nicht. Und wenn er es glaubt, muss er wissen, ob es gerechtfertigt ist dafür zu töten und ob es ihm wert ist, dafür in den vermutlich sicheren Tod zu gehen. Im letzteren Fall kann er seinen Töchtern nichts mehr von sich und seinen Gründen erzählen. Das werden andere übernehmen. Ebenso kann er auf ein Überleben setzen. Gut, aber da er bereits für sich beschlossen hat, dass da eine faule Nummer passiert, wird er mit seiner Kriegsteilnahme zum Verbrecher.

Während wir sprachen gesellte sich ein Ukrainer zu uns, der ursprünglich aus Amur kommt. Der sieht es fatalistisch. Es ist ein Job sich gegenseitig zu töten. Viele Russen sind bitter arm und sehen eine Chance durch die Armee ein wenig Geld zu verdienen. Auf der Seite der Ukrainer, sind sich viele junge Männer nicht sicher, ob sie wirklich für eine eigene Nation kämpfen. Auf jeden Fall verdienten eine Menge Leute sehr viel Geld damit und ein Soldat bekommt von ihnen quasi ein Gehalt, ein schlechtes, aber immerhin ein wenig, bezahlt. Zum Ende hin setzte sich auch noch ein Südafrikaner in meinem Alter dazu. Ich fragte ihn nicht, aber einer seiner Elternteile muss weiß sein. Der Typ war noch zynischer und sarkastischer wie ich es grundsätzlich bin. Ziemlich offen meinte er: „Mein Land macht gerade ganz gute Geschäfte mit Russland. Die Entscheidung bei einem Krieg ist davon abhängig, welche Optionen Du hast. Kannst Du daran verdienen, bist Du dafür, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Du kämpfen musst, hau ab!“

Ich stimme ihm aus einer realistischen Perspektive zu. Krieg ist gut für das Geschäft, jedenfalls solange Du nicht allzu nah dran bist. Finde ich mich damit ab, in einer Welt zu leben, die von einem globalem Kapitalismus geprägt ist, läuft es darauf hinaus. Krieg ist ein Geschäft und das Töten ist eine Dienstleistung. All das idealistische Gedöns rundherum ist Unfug. Vaterlandsliebe, Patriotismus, Hilfestellung, Heldentum, all das sind im Kapitalismus lediglich Werbesprüche derjenigen, die daraus Gewinn schlagen.

Ich denke, der Abend hat dem jungen Russen (aus meiner Perspektive) eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben. Aus meiner Sicht traf er bisher die richtigen Entscheidungen. Im Zweifel soll er Frau und Kinder verlassen. Ich lernte bereits eine Menge anderer Männer kennen, die aus weit weniger nachvollziehbaren Gründen das Weite suchten. Lese ich, was einige deutsche Politiker und Politikerinnen von sich geben, schlimmer noch, was diverse Zeitgenossen in den Social Media an Kommentaren ablassen wird mir schlecht.

Eine Berufsarmee finde ich fair. Jeder, der dort hingeht, entscheidet sich unter bestimmten Voraussetzungen andere zu töten, zu verstümmeln oder alles kaputt zu machen. Dafür bekommt er, neuerdings auch sie, von den jeweiligen Interessenträgern, meistens den Herrschenden, Geld. Mit dem anderen Kram sollen sie mich in Ruhe lassen. Wir haben alle Dreck am Stecken. Mal mehr oder weniger unmittelbar. Die Zeiten, in denen unbescholtene, hart arbeitende Mönche, von Wikingern überfallen wurden, sind vorbei. Kriege sind ein Geschäft, bei dem wirtschaftliche Interessen konkurrieren und Dienstleister alles dafür Notwendige liefern. Und Soldaten/innen gehören dazu.

In Deutschland werden aktuell nur zwei Standpunkte akzeptiert. Entweder man befindet sich auf der „guten“ Seite und ist für Waffenlieferungen und den Versuch, die Russen zurückzutreiben, oder man ist dagegen, womit man zum „Freund“ Putins wird. Mir ist das zu simpel. Ich stehe nicht vor der Entscheidung für etwas zu töten oder zu sterben. Wäre es an dem, würde ich die Fragen stellen: Wofür? Für wen? Warum?

Was passiert nach dem Krieg und es wird hoffentlich ein danach geben. Der junge Russe bestätigte mir, was ich schon vermutete. Viele sind bitter arm und hoffen ein wenig Geld zu verdienen. OK, das Risiko, am Ende leer auszugehen ist hoch. Auf der ukrainischen Seite sieht es anders aus. Mit den Deportationen, Vernichtungsschlägen, Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen, erzeugten sie etwas, was über die Verteidigung hinaus geht. Siegt Russland, ist die ukrainische Bevölkerung verloren. Die ehemaligen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus, angeführt von einem ebenfalls blutrünstigen Diktator Stalin, führen sich auf, wie es einst die Deutschen, abgesehen von der Vernichtung der Juden, in Russland taten. Unter Umständen wären dies für mich Gründe, in den Kampf zu ziehen.

Waffen zu liefern ist letztlich eine halbherzige Lösung, die der Sorge vor einem Atom-Krieg geschuldet ist. Wäre Russland keine Atommacht, gäbe es nur eine Antwort: Befriedung/Intervention innerhalb eines UN-Mandats. Doch was bringt das alles, wenn es am Ende nur die Vorgeschichte für den nächsten Krieg ist, den Mächtige anzetteln und ihn von ohnmächtigen Leuten austragen lassen? Ist es dann nicht besser, für jeden mit den passenden Möglichkeiten, das Weite zu suchen? Dies ist meine Befürchtung. Beidseitig sterben und töten die Soldaten für eine Geschichte, die im dunklen Hintergrund passiert.

Das WIR als Tarnkappe

Lesedauer 12 Minuten

Vorab: Immer mal wieder bemängeln Leute, die ab und wann meinen BLOG lesen, dass die Beiträge zu lang sind. Ich antworte an dieser Stelle: Für sie persönlich und das ist auch völlig OK und nachvollziehbar. Ich hab selbst Schwierigkeiten, längere Texte zu lesen. Besonders, wenn es keine unterhaltsame, spannende Geschichte ist. Ich schreibe hier nicht, um zu unterhalten. Mich treibt nicht einmal ein Sendungsbewusstsein an. Ich stelle klar, wo ich nicht gedenke mitzumachen und welche Schlüsse ich aus meinen Beobachtungen ziehe. Wenn ich damit jemanden zum Nachdenken anrege – gut! Wenn nicht – auch gut. Ist jemand neugierig, wie ein “gelernter” ehemaliger Kriminalbeamter die Welt sieht – prima, dann ist hier jede Menge Stoff. Aus dem nachfolgenden Text wird deutlich werden, für wie wichtig es halte, sich dem WIR zu entziehen und eine ICH – Position zu beziehen. Und auch, wenn es etwas morbide klingt, ich schaffe mir hier meinen eigenen Nachruf. Wie ich das meine, wird im Text ebenfalls erkennbar. Mit dem, was ich hier schreibe, werde ich greifbar und niemand kann sagen, dass ich widerspruchslos mitgemacht habe. Und das funktioniert oftmals nicht in wenigen schnell geschriebenen Worten – und Hey, andere schreiben Bücher mit 600 und mehr Seiten.

Allgemein heißt es, dass Deutschland am 8. Mai 1945 von den Nazis befreit wurde. Für mich klingt dies, als wenn sich jemand einen Parasiten einfing und damit zum Arzt ging. Es wird nicht besser, wenn es heißt, dass die Deutschen befreit wurden. Immerhin waren die Nationalsozialisten Deutsche. So wie auch viele, die sie einsperrten, in Lager deportierten, quälten, töteten, deutsche Staatsbürger waren.
Nur eben mit der ihrer Auffassung nach falschen Haltung, spirituellen Ausrichtung oder Lebensart. Manche sagen auch, dass Europa von der Barbarei befreit wurde. Barbaren waren für die Griechen ursprünglich alle Völker, die nicht ihre Sprache sprachen. Später bezogen sie die Bezeichnung zusammen mit den Römern auf alle Völker, bei denen sie der Meinung machen, dass sie kulturell niedriger entwickelt waren. Im gewissen Sinne erscheint mir in diesem Kontext die Bezeichnung korrekt. Allerdings besaß Deutschland vor den Nationalsozialisten eine Kultur. Die passte nicht ins Konzept. Alles Intellektuelle, Empfindsame, Gefühlvolle, musste der kalten Maschinerie weichen.

Brutalität, furchtbare Taten, Massaker, Schändungen, ganze Landstriche entvölkern, taten auch schon andere zuvor. Allein der 30-jährige Krieg, die Eiserne Zeit, brachte einiges mit sich. Aber vieles war bei den Nationalsozialisten neu. Krieg zu führen, andere Länder zu überfallen, den Versuch zu unternehmen ein Imperium aufzubauen, ist kein historisches Alleinstellungsmerkmal. Alle anderen als Minderwertig zu betrachten, eine frei erfundene Rasse und einen kompletten Überbau zu erschaffen, war dann doch eine Innovation. Selbst Cäsar zollte den Galliern und anderen unterworfenen Stämmen in seinem Werk “De bello Gallico“, seinen Respekt.
Doch diese Rassenideologie funktionierte nicht einfach mit der Machtübernahme. Hierzu gab es eine Vorgeschichte, eine Entwicklung, die vor den Nationalsozialisten begann. Erst wähnte sich ganz Europa anderen überlegen, kolonialisierte, missionierte, beutete aus und versklavte andere Menschen, weil sie die für minderwertige Rassen hielten. Die Nationalsozialisten setzten eins obendrauf und behaupteten, dass es eine einzige Herrenrasse gäbe, die allen anderen überlegen wäre.
Die Neuen Rechten beziehen sich auf die Konservativen der Weimarer Republik, die am Ende selbst Opfer der Nazis wurden. Was sie meiner Meinung nach noch nicht verstanden haben, ist die Tatsache, dass sie mit ihrem Weltbild die Grundlagen schufen, die die Nationalsozialisten konsequent umsetzten. Ein Effekt, den einige nie verstehen werden. Wer etwas fordert, ein Gebilde entwickelt, Wünsche äußert, sollte sich der Folgen bewusst sein, denn es könnte eine Umsetzung erfolgen.
Heute sehen wir dies in der Flüchtlingspolitik. Konservative reden von geschlossenen Grenzen, kontrollierte Einreise, Zurückweisung von Menschengruppen, denen nach aktueller Gesetzgebung die Einreise nicht erlaubt ist. Was sie allerdings offen lassen, sind die eintretenden Folgen, wenn jemand konsequent durchzieht, was sie da in die Mikrofone sprechen. Sie wollen gewählt werden und reden den Leuten zu Munde, aber die Verantwortung wollen sie nicht übernehmen. Faktisch setzen sie Entwicklungen in Gang, deren Verlauf sie nicht kontrolliert bekommen.

Und sie tun noch etwas anderes, was vielleicht noch schlimmer ist. Stellvertretend für andere Konservative sagte der CDU Politiker Jens Spahn in einer Talkshow, dass es an der Zeit wäre, die Regelungen für Asyl und Flüchtlingsaufnahme zu überdenken. Deutschland ist als Mittelstaat geografisch von sicheren Ländern umgeben. Aufgrund der Drittstaatenregel, demnach kein Anspruch auf einen Aufenthalt besteht, wenn der/die Geflüchtete oder Asyl beantragt, über eben eins dieser sicheren Länder kommt. Der deutsche Staat zahlt an andere Länder, damit die Flüchtlinge aufnehmen und Asyl gewähren. Weitere Gelder fließen in die Überwachung des Mittelmeers und vorgeschaltete Lager in Nordafrika. Wegen meiner könnte man dies noch als eine Art von Kostenbeteiligung sehen. Wie auch immer man es nennt, es geht um Geld und um die Angst einiger deutscher Mitbürger, Wohlstand und Sicherheit zu verlieren. Flüchtlinge mit einem Namen und einer Identität werden zum Kostenfaktor. So ist das eben auf dieser Welt. Wirst Du am falschen Platz geboren, hängt an Deinem Zeh gleichzeitig ein Preisschild.

Du bist ein Gegenstand, der Lager-, Transport- und Unterhaltskosten verursacht. Nicht mehr Amos Achebe, aus Nigeria, sondern der Flüchtling, der in einem nordafrikanischen Sammellager die industrialisierten Staaten in Europa pro Tag 3 US-Dollar kostet. Dein Preis steigt, wenn Du es lebend bis nach Europa schaffst. Zum lukrativen Geschäft wirst Du, wenn Du in Süden Europas quasi als Sklave auf einer der Obstplantagen arbeitest. Kurzum: Die Entmenschlichung, die Wegnahme der Würde, findet wieder statt. Und wie mit Menschen umgegangen wird, die zur Sache, zum Kostenfaktor, werden, zeigten uns die Nationalsozialisten.

Niemand wird Herrn Spahn in etwas fernerer Zukunft mit grauenerregenden Bildern in Verbindung bringen, die sich an geschlossenen Grenzen zu Europa abspielen. Wobei in Moria längst die Zukunft begonnen hat. Außerdem blicken wir längst auf eine Generation, die in Lagern geboren wurden und nichts anderes kennen. Es wird heißen, WIR, die Europäer, beschlossen und handelten. Ich nicht, meine Freunde nicht und auch sonst niemand, den ich zu meinem näheren Umfeld zähle. Alle anderen habe ich nach und nach erfolgreich aus meinem Sichtfeld entfernt. Sie, die verbliebenen Freunde, und ich werden mit eingegliedert, während die wirklich verantwortlichen Personen im WIR aufgehen.

Haben alle Deutschen aus der NS-Zeit ihre Lehren gezogen?

Die Sozialisation, die ein in Deutschland geborener Mensch erfährt, birgt ein hohes Risiko, dass am Ende ein/e Technokrat/in herauskommt, die/der alles konsequent, bis ins letzte Detail, buchstäblich und präzise den Vorgaben, Regeln, Gesetzen, folgend, umsetzt. Die Buchstaben des Gesetzes, der Order, der Regel, stehen für diese Leute über dem Menschen. “Ich befolgte nur die Vorgaben und da stand eindeutig, so effizient wie möglich, die größte mögliche Anzahl nummerierter KZ-Insassen zu töten.”
Das Problem bei der Auseinandersetzung mit den Ursachen besteht im Horror des Geschehenen. Es ist schwierig darauf hinzuweisen, wo einiges hinführen kann, weil jeder sofort sagen wird: “Das wollen Sie doch wohl nicht mit den Nationalsozialisten vergleichen!”

Ein Beispiel: Wenn ich einem gut ausgebildeten deutschen Schutzpolizisten den Befehl erteile, er soll an einer Stelle Posten beziehen und bis zur Ablösung dort ausharren, wird er es tun. Selbst wenn er bei halbwegs vorhandenen Verstand erkennt, dass etwas nicht stimmen kann. Ich erlebte, dass einer den Auftrag bekam, eine aufgefundene, aber nicht brisante Mine zu bewachen. Irgendwie ging dies in den Wirren des gesamten Einsatzgeschehens unter. Am Ende stand der 9 Stunden später immer noch da. Diese Form von Gehorsam kann bei falschen Voraussetzungen böse in die Hose gehen.
Gleichfalls einfach ist es, Menschen und Lebewesen, zum Gegenstand einer Regelung werden zu lassen. Heute, mehr denn je, weil alles zu abstrakten Datensätzen mutiert. In deutschen Behörden dienen Beamte unter der Bezeichnung Sachbearbeiter.
Ich habe über die Herkunft dieser Bezeichnung lange nachgedacht. Positiv gesehen, könnte man von der Notwendigkeit einer Neutralität ausgehen. Die/der Beamte bearbeitet eine Akte, somit tatsächlich eine Sache. In ihr befinden sich Berichte, Vermerke, Zeugenaussagen, Gutachten, Anträge, zu einem Geschehnis bei dem Menschen, Lebewesen, involviert sind. Kriminalbeamte sollten nicht gegen einen Menschen ermitteln, sondern ein Geschehnis betrachten und die Rolle der einzelnen handelnden Personen skizzieren. Konjunktiv! Wie auch immer, am Ende liegen auf dem Schreibtisch Akten, da ist es schwierig jeden Tag neu zu realisieren, dass in jeder dieser Akten lebende Wesen eine Rolle spielen.

Einige deutsche Mitbürger haben in den letzten Jahren eine interessante Gesetzestreue entwickelt. Plötzlich sind bereits geringe Regelverstöße kriminelle Handlungen. Mit einem Mal werden die Buchstaben des Gesetzes exzessiv ausgelegt. Wenn jemand eine Straße blockiert, wird er gleichsam zum Killer, weil ein Rettungsfahrzeug nicht durchkommt. Natürlich gilt dies nicht, für die notorisch in der zweiten Spur haltenden, Falschparker, die Straßen so eng werden lassen, dass die Feuerwehr nicht mehr hindurchkommt. Auch nicht für diejenigen, welche im Berufsverkehr mit einem Blechschaden mittig stehen bleiben und lange Staus verursachen. Nein, es gilt nur für die Leute, die mit der Blockade ihrem Gewissen folgen. Selbst die schon seit Jahrzehnten auf deutschen Straßen vorherrschende Aggressivität wird nun zur gerechtfertigten Notwehr. Es ist eine irrige Annahme, dass die Verkehrsteilnehmer/innen erst durch die Blockaden aggressiv wurden. Die empörten Verkehrserzieher, verkappten Schläger, Wichtigtuer, gab es schon zuvor. Jetzt haben sie ein Ventil! Neu ist: Ihnen wird seitens größerer Teile der Bevölkerung und Medien Beifall geklatscht. “Die müssen mal richtig vor den Kopf bekommen. Einfach mal mit dem Auto drüber fahren. Das ist die Notwehr eines ordentlichen Deutschen. Das sind Sektenmitglieder, die müssen eingewiesen werden.” Selbst eine SPD Politikerin, Frau Spranger, teilt der Öffentlichkeit mit, dass endlich das Gewahrsam auf 5 Tage verlängert werden muss, damit die endlich mal abgeschreckt werden. Niemand wird sie namentlich benennen, wenn eines Tages andere, die sich ihrem Gewissen verpflichtet fühlen, für 5 Tage zur Abschreckung weggesperrt werden. Im Unterschied zur nationalsozialistischen Schutzhaft kommt immerhin ein/e Richterin ins Spiel. Wo in Teilen unsere Justiz aktuell steht, ist nicht mehr sicher. Dafür sind zu viele seltsame Gestalten in der Hierarchie aufgestiegen. Diejenigen, welche über die AfD öffentlich bekannt wurden, signalisieren ein Dunkelfeld, sonst wäre der Aufstieg nicht möglich gewesen.
Fazit: Wenn es gegen die “Richtigen” geht, jene welche die deutsche Ordnung gefährden, ist der deutsche Mob schnell mobilisiert und Sozialdemokraten vergessen schon mal ihre Herkunft.

WIR” nehmen dies tagtäglich hin. Obwohl wir wissen könnten, dass ohne diese Konzeptionen, ein Drittes Reich niemals möglich gewesen wäre. Oder was ist mit dem Holocaust? Er wurde bis ins letzte Detail dokumentiert. Sachbearbeiter führten Listen mit Namen, den geraubten Habseligkeiten, den Vermögenswerten. Die Konzentrationslager wurden ordentlich geplant, Mittel genehmigt, nach Dienstanweisungen konstruiert und ebenfalls mittels Anweisungen bewacht. Deutsche Sachbearbeiter dokumentierten ohne Skrupel, schlechtes Gewissen, technokratisch, den blanken Horror, welchen sie nicht als solchen empfanden. Denn es handelte sich um die gute deutsche Ordnung.

Das Versteckspiel der Täter in Sachen ökologischer Kollaps und Klimakatastrophe

Künftige Generationen werden nicht sagen, Herr Wissing sah Autobahnen für wichtiger an, als ökologische Strukturen, Herr Lindner, hielt an einer längst überkommenen und sich als negativ erwiesenen Haltung fest und versuchte rhetorisch das Recht auf Gier herzuleiten, wobei er gleichzeitig völligen Unfug daher redete. Vielleicht wird er in der einen oder anderen Erzählung als Lachnummer auftreten, wie man es im Nachgang mit einem Lübke tat. Merz, Dobrindt, Bär, werden in der Menge all derjenigen untergehen, die am Anfang des 21. Jahrhunderts die neuen Mittel der Digitalisierung für die Macht erhaltende Propaganda exzessiv nutzten.

Doch einzeln werden sie, schon deshalb, weil sie keine Alleinstellungsmerkmale aufweisen, im Schatten von Trump, Johnson, Putin, u.a., in der Menge untergehen. Keiner wird all die Wirtschaftsstrategen namentlich benennen, die bis zum letzten möglichen Zeitpunkt darauf setzten, dass sie die Folgen der kommenden Klimakatastrophe von den wenigen Vermögenden fern halten. Wenn die Jünger/innen des Neoliberalismus auch die letzte Gesellschaft durch Spaltung und gegenseitige Kämpfe zerstört haben, werden die Leute zurückschauen. Aber werden sie auch Namen benennen? Oder allgemein von den Neoliberalen, Republikanern, sprechen?
Sie werden von den Europäern, den Deutschen, den Bewohnern der nördlichen Hemisphäre oder westlichen Industriestaaten sprechen. Nicht einmal aktuell sind die Leute im Allgemeinen fähig, konkrete Personen zu benennen. Von den Politikern, der Politik, dem Establishment, der Wirtschaft, dem Bürgertum, den Boomern, ist die Rede.
Denen, die sich dagegen stellen, mit allem nicht einverstanden sind, wird damit nicht der nötige Respekt erwiesen und diejenigen, welche sich an ihrer Macht berauschen, sich als Menschen im Mittelpunkt des Geschehens sehen und alles andere ihnen zur Verfügung zu stehen hat, wird damit die Verantwortung genommen. Zu Lebzeiten wird sie niemand zur Rechenschaft ziehen können und nach ihrem Tod sind ihre Namen vergessen oder irrelevant.

Nun behaupten Leute, die im Dritten Reich lebten, dass sie nichts wussten. Unter sozialen Druck traten sie der NSDAP bei, weil es halt nicht anders ging. Bei vielen anderen Dingen sagen sie: “Das war die Zeit und wir wussten es nicht besser.” Oder sie reden vom einfachen Wehrmachtssoldaten, der seinen Befehlen gehorchte und tat, was Soldaten so tun, wenn sie in den Krieg ziehen.
Ich bin 1966 geboren und mit diesen Erzählungen aufgewachsen. Ich lernte Männer kennen, die ihre Ausbildung auf einer Eliteschule (NAPOLA) bekamen, sprach mit Frauen, die beim BDM (Bund Deutscher Mädel) Karriere machten, sah die Auswirkungen russischer Kriegsgefangenschaft, hörte, wie sich einige in die eigene Tasche logen. Aber ich hatte auch Kontakt zu Frauen und Männern, die sich in unterschiedlicher Art und Weise dagegen stellten. Dies ist entscheidend. Erstens, konnte man sich offensichtlich entziehen und eine andere Entscheidung treffen und zweitens, gab es unter den Deutschen nachweislich solche und solche. Womit fest steht: Einige wurden befreit und andere erlitten eine Niederlage. Außerdem gibt es kein “WIR“, sondern jeder musste und konnte seine eigene Wahl treffen. Philosophisch gesehen, ein alter Hut.

Dieses WIR, die Deutschen, den Vorgaben eines Staates folgen, Befehlen zu gehorchen, ist eine Tarnkappe. Die gleiche Tarnkappe, die in anderen Zusammenhängen die Aufschrift “Menschheit”, oder “Wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit” trägt. Entweder ich konnte nicht anders, weil ich Opfer der Gruppendynamik wurde, die sich u.a. in Gruppenmoral, sozialen Druck und Sozialisation äußerte, ich wurde manipuliert, ich war ein kleines Licht oder der Mensch ist halt so, wie er nun einmal ist. Im Falle der Nationalsozialisten war es am Ende ein Mann: der Führer! WIR … wir, das gemeine Volk konnten nichts dafür.

Das “Wir” beraubt uns der Bezeichnung “Mensch”

Aber was macht den existenziellen Unterschied zwischen einem Tier und einem Menschen aus? Meiner Auffassung nach: Das ICH! Die Fähigkeit, sich selbst als Individuum zu erkennen und eigene Entscheidungen treffen zu können. Selbst mich in eine Gruppe einzuordnen, ist eine eigene Entscheidung. Gern wird dies als passiver Akt gesehen. Ich wurde der Gruppe zugeordnet.
Nein! Du hast es geschehen lassen und bist geblieben. Ja, diese oder eine andere Entscheidung, werden Folgen nach sich ziehen. Bei der einen wirst Du unter Umständen getötet, landest selbst im Lager oder fristest das Dasein eines Ausgestoßenen. Die andere führt zu einer Karriere, Anerkennung durch andere, ein bequemes Leben oder einfach nur zum nackten Überleben.
Wie auch immer, es bleibt eine individuelle Entscheidung, für die man möglicherweise zur Verantwortung gezogen wird. Selbst Tote, auch wenn es sie nicht mehr interessiert, sind davon nicht ausgenommen. Einige werden nachträglich zum Helden, anderen zu Monstern. Allerdings in sehr seltenen Fällen für die breite Masse erinnerlich. Ich gehe in fremden Städten und Kulturen häufiger über Friedhöfe. Das ist keine morbide Ader in mir, sondern ich denke dabei über die Lebenden nach. Stets frage ich mich beim Anblick der alten prunkvollen, übelst verwitterten, Grabstätten, was die Leute sich dabei zu Lebzeiten dachten.

Wie man es selbst mit dem eigenen Ruf nach dem Tod hält, ist ebenfalls individuell. Was schert es den Toten, wenn auf einem Stein die Gravur zu lesen ist: “Hier wurden die Überreste des KZ-Kommandanten Egon Müller vergraben.” Oder im Gegenzuge: “Hier ruht der einfache Soldat Peter Müller, der beim Versuch zu desertieren, erschossen wurde.”

Vor dem Tod kommt das Leben. Es macht viel aus, wofür man sich entscheidet, wenn man sich die Frage stellt: “Was mache ich aus diesem mir gegebenen Leben?” Will man als Individuum ein einzigartiges Leben führen, einen Namen tragen, oder zum Teil einer Gruppe werden und damit eine Sammelbezeichnung akzeptieren? Viele wählen den zweiten Teil, sie erkennen es nur nicht.
Ich denke, dies hängt damit zusammen, dass die Gruppenzugehörigkeit Teil der menschlichen Grundprogrammierung ist. Ein Freispruch ist das für mich nicht. Denn neben dieser Grundprogrammierung verfügen wir über etwas, was nicht nur in der Lage ist, sie zu erkennen, sondern auch dagegen wirken kann: das Großhirn! Womit ich wieder da bin, was einen Menschen vom Tier unterscheidet.

Will ich ein menschliches Leben führen, muss ich das Großhirn, mit all seinen Fähigkeiten zum Einsatz bringen. Ansonsten bin ich biologisch betrachtet ein Mensch, aber in Bezug auf die Lebensführung, ein Tier. Immerhin noch ein Lebewesen und keine Sache. Einigen Zeitgenossen mag selbst dies egal sein. Damit wir uns nicht falsch verstehen, für mich ist nicht das Kriterium entscheidend, was einer oder eine tut, ob ich dies positiv oder negativ bewerte, sondern mein Punkt ist die individuelle Entscheidung, die Vorwerfbarkeit bzw. Zurechnung der daraus resultierenden Folgen. Die Verantwortung lässt jemanden zum Menschen werden.

In einem Chat, innerhalb dessen ich mit jemanden aus einer Polizeigewerkschaft über die Klima-Aktivisten diskutierte, führte ich an, dass diese ihrem Gewissen folgen. Die Gegenseite meinte: “Und? Kommen die deshalb in den Himmel?” Keine Ahnung, ich glaube nicht an ein Paradies oder Himmel. In erster Linie folge ich der Logik der Wechselwirkung. Mein Handeln muss darauf abgestellt sein, wie ich mir die Welt, in der ich lebe, gestaltet sehen will. Ja, darüber hinaus glaube ich tatsächlich daran, dass alle Lebewesen im Unterschied zu Gegenständen etwas in sich tragen, was den gegenständlichen Körper überdauert. Aber das ist Nebensache. Die Aktivisten/innen werden die Welt nicht retten. Doch für die Zeit, innerhalb derer ihr Dasein in diesem Körper stattfand, haben sie ein selbstbestimmtes menschliches Leben geführt.

Jeder Mensch will sich wohlfühlen. Das hat die Natur so eingerichtet. In unserem Innern besteht ein komplexes Belohnungssystem, welches über Hormone gesteuert wird. Aus der Logik ergibt sich, dass wir uns nach einer Wohlfühlphase, ständig auf ein Neues unwohl fühlen und etwas dagegen unternehmen wollen. Es beginnt mit Durst, Hunger, geht weiter mit Sorgen, Ängsten, den Bedürfnissen nach Nähe, Anerkennung, sozialer Zugehörigkeit, usw.
Der Nationalsozialismus bot einigen ein fertig geschnürtes Paket an Befriedigung an. Wer es haben wollte, brauchte nur zugreifen, außer man hatte von Geburt an die falsche Glaubensrichtung. Die lästige Verantwortung konnte nach oben abgegeben werden, es gab eine Gruppenzugehörigkeit, Anerkennung, Identität, ein Versorgungsversprechen, klare Linien, was positiv und negativ ist, Macht, ein Versprechen in der Hierarchie aufsteigen zu können, das wohlige Gefühl, besser zu sein als andere.
Meine Betonung liegt auf: Wollen und zugreifen! Die Leute mussten der NSDAP beitreten. Das ist ein aktives Handeln. Es gibt kein passives Mitläufertum. Selbst wer nicht ideologisch überzeugt war, verhinderte mit dem Parteieintritt negative Folgen. Während hingegen andere sie in Kauf nahmen.

Immer wieder wurde uns, den Sprösslingen der Nachkriegsgeneration gesagt, dass wir nicht wissen könnten, wie wir uns in dieser Zeit entwickelt hätten. Bei den meisten von uns waren es die Großeltern, die das Dritte Reich über den vollen Zeitraum erlebten. Stimmt, es wird immer Spekulation bleiben. Aber man kann gut erkennen, welche Charaktere anfälliger sind und welche eher resistent sind. Wer eine eigene Identität ausbildet, benötigt keine Nationale und wird sich auch selten so etwas wie einem Patriotismus oder Nationalismus hingeben. Eine stabile in sich ruhende Persönlichkeit benötigt keine ständigen Konkurrenzen, muss sich nicht ständig messen und verspürt nicht den Drang ständig zu bewerten. Gleichfalls sind solche Charaktere dazu in der Lage, sich jenseits fremder Moralvorstellungen, mit einem eigenen ethischen Kompass durchs Leben zu navigieren.

Einzig könnte man anführen, dass eine derartige Persönlichkeit erst einmal herausgebildet werden muss und es Gegenstand der faschistischen und damit auch nationalsozialistischen Ideologie ist, eben genau dieses zu verhindern. Gut, nehme ich hin. Mir geht es auch nicht um Vorwürfe, sondern vielmehr darum, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Unter dem Strich ist für mich der deutsche Nationalsozialismus das ultimative katastrophale Ende des Denkmodells “WIR“.

Wie gern sich die Leute hinter einem “WIR” oder allgemeinem Plural verstecken, erlebe, höre, lese, ich jeden Tag. “Man macht, man tut, man unterlässt!“, “Die Menschheit kann nicht anders. Oder sie ist halt, wie sie ist!”, “Wir als Industrienation können nicht anders.” Dabei ist es recht simpel, den Gegenbeweis zu erbringen. Ich muss nur einen einzigen Menschen finden, der sich anders entschied und danach handelte.

Leider scheinen in großen Teilen der deutschen Gesellschaft die Lehren aus den Folgen des Nationalsozialismus nicht angekommen zu sein. Bereits vor Jahrzehnten wiesen Soziologen und Psychologen darauf hin, dass sich die Entwicklung, in der das Individuum immer mehr in Gruppen aufgeht, gefährlich auswirken kann. Ebenso die Tendenz, immer mehr gesellschaftliche Aspekte dem Kommerz, der Wirtschaft, den Konzernen, zu überlassen. Die Verantwortung des Individuums geht mit einem Gewissen einher. Ein Handeln nach Profit, Renditen, gesteigerten Wohlstand zu bewerten, hat nichts mit Gewissen zu tun.

Der Nationalsozialismus ist Historie und es wird ihn in der alten Form nicht mehr geben. Geblieben sind die Grundlagen, die DNS der deutschen Gesellschaft, die Haken und Ösen, welche Hitler und Goebbels erkannten und meisterlich anwendeten. Irgendjemand hat mal gesagt, die Deutschen sind der Demokratie oder wenigstens etwas, was danach aussieht, zugewandt, solange es ihnen gut geht. Ich behaupte, dass es eine echte Chance gab, die von konkret benennbaren Leuten aus unterschiedlichen Gründen sabotiert wurde und wird.
Dass Frauen und Männer, wie Wissing, Lindner, Merz, Dobrindt, Bär, Buschmann und diverse andere die Amerikanisierung der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung forcieren, wozu auch der massive Einsatz von Propaganda zwecks nackten Machterhalt gehört, ist offensichtlich. Als man den Godfather der modernen Propaganda Edward Bernays fragte, ob er zustimme, dass Goebbels seine Methoden umsetzte, musste er zustimmen.
Meiner Auffassung entwickelt sich alles in Richtung einer Dystopie, die nicht passieren müsste, wenn man aus der letzten Katastrophe die entsprechenden Lehren gezogen hätte. In dieser werden die letzten Individuen von der Bildfläche der Gesellschaften verschwinden und es wird tatsächlich nur noch ein “WIR” geben. Wer noch als Individuum leben will, wird sich etwas Schlaues einfallen lassen und einen guten Platz finden müssen.

Timemachine

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2018 machte ich mich erstmals auf den Weg. Nach der transmongolischen Bahn, Mongolei und China, erreichte ich Chiang Mai in Thailand. Ich kam im Just Chill Inn unter. Nicht die beste Adresse, aber sehr günstig. Ich schlief dort zusammen mit einem Neuseeländer , einem Spanier und einer Türkin am Boden eines 16 qm Zimmers in der dritten Etage.

Drei Jahre zuvor war ich bereits einmal für zwei Tage in Chiang Mai gewesen. Aber das zählt nicht. Dort im Just Chill Inn begann etwas Neues. Wahrscheinlich schon vorher. In meinem Buch die Wanderung Vol. II ende ich mit dem Versprechen an mich selbst, zu reisen und mir die Welt anzusehen. Die Fahrt mit der Bahn ordne ich als Anfahrt ein. Ein wenig despektierlich, immerhin ist es eine der längsten Bahnstrecken der Welt. In der Mongolei wusste ich noch nicht so recht, wie mir geschieht und der kurze Aufenthalt in China war ein Horrortrip durch eine Dystopie.

Ich vergesse nicht, wie ich 2018 bei meiner Ankunft in Chiang Mai durchatmete, weil mich die Grenzbeamtin anlächelte. Alles war wieder bunt, freundlich, überall spielte schräge Musik. Im Just Chill In zu landen, war nicht geplant. Ich schaute auf den einschlägigen Portalen nach und nahm das erst beste Hostel in der Altstadt. 5 Jahre! In der Zeit ist viel passiert. Trauriges, interessantes und vor allem der Start in ein anderes Leben. Ich musste mich von wichtigen Menschen in meinem Leben verabschieden.

Als ich nun nach Chiang Mai zurückkehrte, wollte ich eigentlich nur schauen, ob es das Just Chill In noch gibt. Ja, und es hat sich wenig verändert. Allerdings empfing mich die ominöse Frau im Hintergrund. 2018 war es ihr Ex-Mann, ein ziemlich durchgeknallter Typ, der manchmal von ihr sprach.

Sie teilte mir einen Privat-Room im III. OG des Hauses zu. Ich ahnte, dass es sich um das alte Zimmer handelte. Nun liegen die Matratzen übereinander und bilden ein Doppelbett. Mehr hat sich nicht geändert. Selbst ein alter Kleiderständer ist noch da und an die ausgeleierte Verlängerungssteckdose konnte ich mich auch erinnern. Zum Zimmer gehört ein Balkon. Dort saßen wir abends und sprachen über uns und die Welt. Der Spanier wollte in ein Kloster im Norden. Ich überließ ihm deshalb meine warmen Sachen, die ich in der Mongolei benötigte.

An einem dieser Abende, sagte der Neuseeländer, gebürtiger Inder, zu mir: „Manche Leute leben auf ihrer Couch. Andere leben in ihrer Straße, Stadt, ihrem Land. Manche kennen ihren Kontinent. Ich lebe auf dem Planeten Erde.“ Seither dachte ich unzählige Male über diese Worte nach. An ihnen hängt eine komplette Lebenshaltung.

Wenn ich in den letzten Tagen das Zimmer betrat, sah ich sie vor meinem geistigen Auge wieder. Wie der Neuseeländer nachts online Englisch unterrichtete. Nie vergesse ich, wie ich davon wach wurde und er in diesem Moment sagte: „Die Affen rasen durch den Wald und jagen die Wölfe.“ Oder, dass der Spanier, er stammte von der Insel Ibiza, ständig davon sprach, dass ihm zu warm wäre. Die Türkin, ebenfalls Lehrerin tauchte immer erst am späten Abend auf.

Wie auch immer, es sind gute Erinnerungen, die wieder kommen. Heute endet meine Zeit hier. Ich denke, dass es das letzte Mal war. 2018 startete ich hier. Dieses Mal komme ich aus dem Süden und bin auf dem Weg nach Norden. Die nächste Station ist Pai. Zurück in die Natur und den Dschungel in den Bergen. Danach geht es nochmals zurück nach Chiang Mai, um von dort aus den Flieger nach Istanbul zu nehmen.

Während ich dies hier in einem Café schreibe, laufen vornehmlich alte sonnengegerbte alte Männer aus Europa und den USA an mir vorbei. Sie sind hier gestrandet. Ich wurde letztens gefragt, ob ich nicht auch irgendwo in der Gegend bleiben will. Nein! Ich habe meinen Modus, ganz im Sinne des Neuseeländers gefunden. Ich habe eine Base, die ich schätze und wohin ich gern zurückkehre. Aber dies hindert mich nicht daran, den Rest Welt auf meine Art zu erkunden. Bukowski schrieb hierzu: „Wenn da Morgens niemand ist, keine mit Dir schimpft, wenn Du spät nach Hause kommst, Du jederzeit hingehen kannst, wo Du willst … wie nennst Du das? Freiheit oder Einsamkeit? Derzeit, nenne ich es in meinem Fall Freiheit. Bei den alten Männern hier, bin ich mir nicht sicher.