3 September 2023

Deutsche Kleingärtner

clay garden figurines Lesedauer 4 Minuten

Corona ist nicht vorbei, aber nicht mehr Thema No.1. Der russische Angriff auf das Nachbarland Ukraine dauert an. Viel zu lange, um noch wirklich interessant zu sein. War noch was? Artensterben, weltweit durch die anthropogenen Klimaveränderungen bedingte extreme Wetterereignisse, fortschreitende Zerstörung des globalen ökologischen Systems … alles richtig, passiert aber ohnehin. Faschistoides Denken breitet sich in Europa wieder aus. Na ja, vielleicht bedarf es wieder Zucht und Ordnung, denn Deutschland ist in Gefahr … sagt jedenfalls der Merz.

Moment! Eins war da noch. Richtig … die jährliche Hauptversammlung des Kleingartenvereins! Ich gebe zu, dass ich ein glühender Fan des Wirkens von Eric Berne bin. “Spiele Erwachsener”! Ein großartiges Buch zu einem genialen Ansatz, das menschliche Verhalten zu analysieren. Für ein Spiel bedarf es Spielregeln, eines vorgegebenen Ablaufs, Spieler und einem Ziel. Fehlt ein einziges Element, kommt es nicht zum Spiel bzw. ist es beendet.

Ich könnte mir gut ein Brettspiel mit dem Namen “Kleingartenverein” vorstellen, welches ähnlich wie MONOPOLY funktioniert. Bei mir fliegt noch eine Abwandlung mit dem Namen “Junta[1]https://de.wikipedia.org/wiki/Junta_(Spiel) herum. Dort muss man in einer Bananen-Republik, als Oberhaupt einer Familie, so viel Entwicklungsgelder außer Landes bringen und auf persönliche Konten transferieren, wie nur irgendwie möglich. Jeder Spieler ist ein Oberhaupt und zieht Zusatzkarten. Dazu gehört zum Beispiel der Innenminister, welcher als einziger verdeckte Attentäter einsetzen kann. Den sollte man nicht verärgern. Egal, wirklich ein nettes Spiel, vor allem wenn sich Gruppen bilden, die in der Küche geheime Absprachen treffen.

Zurück zu “Kleingartenverein”. Wie beschrieben stelle ich mir ein Brettspiel vor, bei dem die Mitspieler mit Figuren über das Spielfeld ziehen und dabei auf Punkten zu Handlungen, wie z.B. “Ziehe eine Ereigniskarte” oder “Ziehe eine Figurenkarte”, aufgefordert werden. Am Ende könnte mit einem Sieg der “Deutsche Vereinsmeierei Preis” verbunden sein.

Auf jeden Fall gehört zu den Figuren der “Vorstand”. Psychologisch ein unglaublich interessanter und ergiebiger Charakter. Wer diese Rolle spielt, muss ein wenig sadomasochistisch veranlagt sein. Einerseits müssen die Mitglieder jeglichen grenzdebilen Müll, der mündlich, zumeist aber anonym schriftlich, an sie herangetragen wird, ertragen. Urheber sind Vereinsmitglieder, die die Kolonie als die Kernzelle des “Deep States” sehen und die Vorstandsmitglieder mindestens auf dem Niveau eines Paten der Camorra einordnen. Immerhin besitzen die Mitglieder die Macht, sich horrende Vermögensbeträge in Höhe 150,– EUR p.a., in die Tasche zu stecken. Aber wie das so ist mit Masochisten: Sie haben auch etwas davon. Das wohlige Gefühl, dass da draußen Deppen herumlaufen, von denen sie sich unterscheiden, denn sie sind im Vorstand.

Sadistisch, weil sie die Macht innehaben, die jährliche Hauptversammlung (die könnte man mit einer Ereigniskarte einleiten) zu leiten. Anlässlich dieser können sie zurückschießen, in dem sie alle anderen Mitglieder daran teilhaben lassen, was ihnen so in den Briefkasten flattert. Aber nicht anekdotisch, sondern in voller Länge. “Sehet her, wie wir leiden müssen! Aber, hilft ja nichts, eine/r muss den Job ja machen” – ein Verhalten, welches mir von der Polizei her unangenehm bekannt vorkommt.

Es gäbe auch eine Vielfalt zu ziehender Strafkarten. “Die Hecke ist zu hoch, dies verstößt gegen § 1002 Abs. 25 Nr. 4, der Kleingartenverordnung. (natürlich satirisch gemeint, das Bundeskleingartengesetz hat nur 20 §§. Aber da hängt ein gewaltiger Rattenschwanz hinten dran.[2]https://www.gesetze-im-internet.de/bkleingg/BJNR002100983.html) Schämen Sie sich und setzen eine Runde aus.” Oder: “Sie haben statt einer Badestelle, einen Pool – Sie Bonze!-, reißen sie das Ding ab und leisten Sie 100 Arbeitsstunden.” Schön wären auch spezielle Karten, wie: “Sie vergaßen die heilige Formel, – … wir haben es hier noch sehr gut. Bei anderen wird genauer hingesehen!-in ihrer Rede einzubauen.

Wer sich ein wenig mit Verwaltungsrecht auskennt, kann sich in diesem Spiel richtig austoben. Verwaltungsakte, Anträge zur Geschäftsordnung, Besitz vs. Eigentum, Pacht, Bestandsschutz, Nutzungsbindung … Hallejulah und ein Gewieher des Amtsschimmels dazu.

International könnte das Spiel mit der Beschreibung: “The German lifestyle, a fun, entertaining game for young and old. Experience firsthand the lifestyle of German petit bourgeois”, vertrieben werden. Unfair ist es, hinterhältig internationales Publikum mit sogenanntem Migrationshintergrund ohne Zusatzinformationen ins Spiel einzubinden. Wobei … irgendwie gehört es dazu: “Als Vereinsmitglied sind Sie nach deutschen Recht verpflichtet an der Versammlung teilzunehmen!” – der Vorstand! Es ist urkomisch, nach 15 Minuten Dauer in die verzweifelten Gesichter zu sehen. “Die spinnen, die Deutschen!” OK, tragikomisch!

Ich denke, wenn man sich die Mühe machen würde, könnte man auf etwa 30 feste Spielrollen kommen. Ein paar Beispiele (bitte jeweils geschlechtsneutral verstehen):

  • Der oder die frustrierte bei den vergangenen Wahlen nicht gewählte selbsternannte bessere Vorstand und Experte/in, der an langen Feierabenden vermeintliche Munition gesammelt hat und viel Geld in die Werbung von Kombattanten investierte.
  • Die oder der vom Leben, Lebenspartner/in, der Gesellschaft, stets benachteiligte, aufrecht und ehrlich lebende Gartenfreund, der mühsam mittels Google Maps, Drohnenaufnahmen, nächtlichen Ermittlungen, Lärmgutachten, anonymisierten Schriftsätzen bis zum Bundespräsidenten, zusammengestellte Dossiers anfertigt und anlässlich des Ereignisses -Hauptversammlung-, endlich mal ein Mikrofon in die Hand bekommt und die ihm widerfahrende Ungerechtigkeit in die Welt hinaus schreien kann.
  • Die oder der Mitverschwörer/in, die sich bei gemeinsamen Grillabenden stundenlang ereifern und Dinge wissen, die ausgesprochen, jeden schockieren würden, aber sie es nicht tun. In etwa der Geheimdienst in der Bürgerwehr.
  • Der Vorstand der Vorstände, der Pate, der Paten … zumeist ein Mann, müde der Tatenlosigkeit, im Ruhestand, möglichst mit Außendienst, bei dem eine Art Spezialeinheit den verdächtigen Umtrieben (Bau von Schwimmbädern, Kathedralen, Hanfplantagen) nachgeht.
    Gemäß dem Handbuch für Anhalter durch die Galaxis ist die vogonische Dichtkunst[3]http://www.hborchert.de/vogone.htm unübertrefflich schlecht. Douglas Adams scheint zu Lebzeiten nie einen deutschen Kleingartenverband kennengelernt zu haben. Wenn, dann hätte er den Kommandanten des vogonischen Raumschiffs im Geiste der Figur eines “Über”-Vorstands angelegt.

Beim Schreiben wächst in mir die Idee, ein anonymes Schreiben aufzusetzen, in dem ich nachfrage, ob das mit der Atombunker-Anlage unter meiner Kolonie seine Richtigkeit hat und warum der Vorstand bevorzugt auf die Liste der wenigen Zugangsberechtigten für den Ernstfall, genommen wurde. Und an wen ich zahlen muss, damit ich auch einen Platz bekomme oder ob ich das mit den Baukosten des geheimen Zugangs in meinem Schuppen verrechnen kann.


Wie angeführt, kann die Liste deutlich verlängert werden. Was soll die/der Deutsche auch anderes zur Ablenkung tun? Alles andere bedeutete, sich mit dem aktuellen Weltgeschehen, Hunger, Elend, Verderben, Flucht, furchtbaren Schicksalen, der Zerstörung des Lebens, wie wir es bisher kannten, auseinanderzusetzen. Vor allem: Wie erschütternd, traumatisch, kränkend, wäre die Erkenntnis, mit der Existenz als deutscher Kleingärtner nicht im Zentrum des Universums zu stehen?

Mir fällt gerade auf, dass ich die besten Voraussetzungen mitbringe. Dipl.-Verwaltungswirt, pensioniert, 25 Jahre Berufserfahrung in Sachen verdeckte Aufklärung, Infiltration, Ausarbeitung strategischer Konzepte, Analyse anonymer Erpresserbriefe, plus 5 Jahre Sachbearbeitung. Ähm … Aus! Aus, böser Trölle, Pfui, Finger weg. Ich würde ja gern sofort den Rasen mähen, die Hecke stutzen … aber es ist Sonntag. Da darf man das nicht! Vielleicht liegt bei mir noch ein wenig feste Pappe herum, dann könnte ich das Spiel entwickeln. Lieber nicht. Hm … da wäre noch die Atombunker-Anlage.

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Verfasst 3. September 2023 von Troelle in category "Allgemein", "Gesellschaft", "Lifestyle", "Politik u. Gesellschaft", "Psychologie

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