Jeder hat seinen Preis


Jeder Mensch hat seinen Preis, – das ist nicht wahr. Aber es findet sich wohl für jeden ein Köder, an den er anbeißen muss.
Kürzlich wurde ich gefragt, wie es meiner Auffassung nach zur Korrumpierung von Polizisten*innen kommt. Im folgenden Gespräch irritierte mich einerseits, wie wenig Vorstellungen diesbezüglich bestehen und anderseits merkte ich, dass ich gar nicht so einfach eine Antwort geben konnte, wie ich mir dies anfangs vorstellte.
Ein Problem dabei ist mal wieder, was man darunter versteht. Als Berufsanfänger in den 80ern gehörte es zur gängigen Praxis, dass die Mitglieder der “Kriminalpolizeilichen Sofortbearbeitung” (offiziell Dir VB I) von namhaften Bestattern geringwertige Kugelschreiber, kleine Kalender und Klemmbretter geschenkt bekamen. Die Zielrichtung war eindeutig. Dort beschäftigte Beamte*innen kamen oft in die Verlegenheit mit Angehörigen in der Wohnung zu sitzen und die fragten natürlich nach, ob man nicht einen guten Bestatter kennen würde. Korruption oder zu vernachlässigendes Gebaren innerhalb des ganz normalen Wahnsinns?
Einige Jahre später traf ich auf einen Kollegen, der in so ziemlich keinem Laden am “Kudamm” seine Zeche zahlen musste. Es gipfelte in einer Nacht, in der plötzlich Prostituierte unter dem Tisch verschwanden und tun wollten, was man in der Situation halt erwartet. Ich weiß nicht, welche Gegenleistungen er hierfür erbrachte. Ich denke, dass er weg sah, wenn mal wieder 1 kg Kokain über den Tresen ging. Auf jeden Fall war ich gewarnt, dass da einiges um mich herum statt fand, was mir nicht behagte. Ab dieser Zeit lernte ich das sogenannte Berliner Nachtleben mit all seinen schillernden Seiten kennen. Es gab Bordelle mit Pool, in dem sich Politiker und Staatsanwälte tummelten. Table-Dance-Bars, in denen Kollegen ihre Junggesellenabende feierten, zahlten, aber ihnen sicher nicht entging, dass dort auch der Prostitution nachgegangen wurde. Etwas besser verdienende Beamte aus dem Höheren Dienst charterten Boote und feierten dort Parties, zu denen auch “Größen” des Milieus mit zahlreichen Frauen auftauchten. Korruption oder einfach nur “Berliner Sumpf”?
Zu dieser Zeit nahm rund um die Polizei die Digitalisierung Fahrt auf. Nur bei der Polizei tat sich wenig. Deshalb taten sich einige Dolmetscher*innen zusammen und stellten eigene Rechner auf, die auch von Ermittlern*innen genutzt wurden. Korruption oder der Sache dienlich? Zumindest wurden die Beamten*innen über Jahre hinweg suspendiert. Ich führte auch ein Verfahren wegen des “Inverkehrbringens von Falschgeld”. Hierbei spielten hervorragend gemachte Dollar-Noten eine Rolle. Sie waren qualitativ derart hochwertig, dass der Secret Service bei einem Scheingeschäft mit 50.000 EUR einsteigen wollte. Ich gebe zu mit allem gerechnet zu haben, aber nicht mit einem Besuch der für Korruption zuständigen Ermittler*innen, die mich darauf hinwiesen, dass dies Korruption wäre.
Sich zum schmalen Sold der Gehaltsstufen des Höheren Dienstes mittels Vorträgen ein wenig etwas dazu zu verdienen ist erst einmal auch keine Korruption. Sie könnte es werden, wenn Vorstandsmitglieder einer einladenden Firma im Falle des Falles eine bevorzugte Behandlung erhalten oder Druck auf Ermittler*innen ausgeübt wird. Doch es wäre kleinlich, sich daran zu stören. Wir leben in einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft und das vermögenden Gesellschaftsmitgliedern andere Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, ist in einer solchen Struktur systemimmanent.
Eines Nachts versuchte mich ein Russe mit 100.000 EUR davon zu überzeugen ihn freizulassen. Den Betrag betrachtete ich als Beleidigung und eröffnete ein Verfahren. Gut, an der Stelle war der Tatbestand der Korruption eindeutig erfüllt.
Vor diesem Beitrag überlegte ich, wie ich für mich selbst Korruption definieren könnte. Dabei musste ich an Erlebnisse in Südostasien denken. Vielfach verzichten dort die Leute auf die Hinzuziehung offizieller Stellen, da sie genau wissen, dass diejenigen mit dem höchsten Zahlbetrag an die richtige Person, Recht bekommen. Ich erlebte die mehr oder weniger willkürliche Festnahme eines drogensüchtigen Bekannten. Zwar hatte er am konkreten Tag nichts unrechtes getan, musste aber befürchten im Zuge einer Blut- und Urinprobe wegen Drogenkonsums angeklagt zu werden. Ein Polizist bot ihm an, gegen Zahlung von Geld für eine “sauberes” Untersuchungsergebnis zu sorgen. Ein Angebot, welches er annahm. Mir ist auch eine üble Schlägerei in Erinnerung geblieben, an der ein Tourist und Einheimischer beteiligt waren. Die Einheimischen verzichteten auf eine Beteiligung der Polizei, weil sie genau wussten, dass sich der Tourist “freikaufen” würde. Also fanden sie eine andere Lösung – das Faustrecht. Läuft man in Thailand, Malaysia, Laos, mit offenen Augen durch die Gegend, sind überall Zeichen von Korruption zu sehen. Einige dürfen zum Beispiel bauen, wie es ihnen beliebt, während bei anderen strikt die Einhaltung der Auflagen eingefordert werden. In diesen Ländern ist die Korruption Teil der Bezahlung, wie in anderen Ländern das Trinkgeld zum Gehalt des Barpersonals gehört. OK, andere Länder, andere Sitten. Doch mir wurde dort bewusst, wie gefährlich Korruption werden kann. Spätestens als bei einem Windstoß eine unsachgemäß angepflanzte Palme umfiel und einen Einheimischen unter sich begrub, begriff ich es. Es ist etwas anderes, ob man aus der Ferne Berichte über zusammenstürzende Gebäude sieht, bei denen die Bauauflagen nicht eingehalten wurden, oder man 5 Meter von einem Toten entfernt an einem Tresen sitzt.
Wo fängt es an? Natürlich ist in Deutschland die Korruption gegenwärtig. Und wenn man nicht Ermittler ist, der handfeste Beweise beibringen muss, darf meiner Auffassung nach durchaus von sichtbaren Merkwürdigkeiten darauf geschlossen werden, dass da im Hintergrund einiges unsauber gelaufen sein muss. Seien es undurchsichtige Verhandlungsergebnisse mit Energiekonzernen, flüchtige Millionenbetrüger, Politiker*innen, die sich mit bemerkenswerten Statements zu Wort melden und dabei gleichzeitig Fototermine mit “Wirtschaftsgrößen” liefern oder aus dem Amt scheidende Frauen und Männer, die ein halbes Jahr später in passenden Aufsichtsräten auftauchen, die Symptome sind eindeutig. Ein anderer Begriff ist in diesem Zusammenhang passender: die Vorteilnahme.
Vieles, was als Korruption mit Bezug auf Polizei bezeichnet wird, ersehe ich mehr als etwas unscharf und profan formuliert “die Seite wechseln”. Und dafür gibt es diverse Gründe.
Es gibt kein menschliches Handeln ohne Motiv und die entstehen wiederum aus Bedürfnissen. Ein breites Feld der Psychologie. Selbst, wenn wir Bedürfnisse verspüren, tun wir nicht alles um sie zu befriedigen. Gesellschaftliche Regeln, Moral, Gesetze, setzen uns ebenso Grenzen, wie der persönliche ethische Kompass die Richtung vorgibt. Für Polizisten, ob nun Schutzpolizei oder Kriminalpolizei, sollte im Hinterkopf immer eins existieren: Ich bin anders unterwegs! Anders als Politiker*innen, Leute aus der Wirtschaft und aus den kriminellen Teilen der Gesellschaft.
In den modernen kapitalistischen Industriegesellschaften vollzieht sich dauerhaft eine Veränderung der Wertschätzung. Dieser Prozess dauert an und da ich kein Historiker bin, kann ich auch nicht festmachen, wann es genau anfing. Meiner Beobachtung nach wird heute deutlich weniger die Lebensleistung eines Menschen, das soziale Engagement, der Beitrag für die Gesellschaft, die von einer Person ausgehenden ideellen Werte, geachtet, als dies in meiner Jugend der Fall war. Der Geltungskonsum, die Definition der eigenen Person über vorzeigbaren Besitz, Statussymbole, ist gefühlt wichtiger geworden. Dies gilt auch für Tätigkeiten. Diverse Arbeitsfelder, die mehr Schein als Sein sind, genießen vor allem innerhalb der “einfachen” Masse, ein höheres Ansehen, als weniger einträgliche, aber für die Allgemeinheit wichtige Berufe. “Irgendwas mit Medien”, “Influencer”, “Berater”, “Experten”, windige Banker*innen, Immobilienmakler*innen, Juristen aller Couleur, Veranstalter*innen, Musiker*innen, PR Berater*innen, bekommen teilweise Unsummen zugeschoben, während Krankenpfleger*innen, Arbeiter*innen, Handwerker*innen u.v.a. mit geringen Beträgen bedacht werden.
Meiner persönlichen Lebenserfahrung nach, geben Leute, die wirklich etwas auf dem Kasten haben, nicht mit Statussymbolen an. Sie beschränken sich auf das Notwendige und oftmals zeigen sie das eine oder andere nur vor, um “Dümmere” zu beruhigen, weil die sonst mit ihnen keine Geschäfte machen würden. Je mehr “Blink Blink”, desto größer und protziger das Auto, überdimensionierter Haus und Garten, umso weniger steckt menschlich dahinter und zumeist auch nicht solide, legal, generiertes Vermögen. Wie auch immer man mein Denken bewerten mag: Wer über z.B. mehrere tausend Euro in ein normales Auto (kein Nutzfahrzeug!) investiert, leidet an einer Persönlichkeitsstörung.
Wie auch immer, es ist nun einmal, wie es ist. Auch Polizisten*innen wollen an dieser Gesellschaft teilhaben und sind damit den gleichen Verlockungen, Gefahren, Manipulationen, ausgesetzt wie alle anderen auch. Dazu gehört auch ein sich immer mehr durchsetzendes Lebensprinzip: “Möglichst viel schnelles, leichtes Geld, erlangen, ohne großartigen Aufwand dafür zu betreiben und am Konsum, vermeintlichen Glück, Spaß, zu partizipieren.” Ich wunderte mich nicht sonderlich, als mal eine Bankberaterin mir gegenüber erwähnte, dass ausgerechnet Polizisten*innen die mit am höchsten verschuldete Berufsgruppe ist.
Nur zahlen Banken irgendwann nicht mehr. Schon gar nicht für Kokain, Spielsucht, kostspielige Lebenspartner*innen, durchzechte Nächte, teure Urlaube, die noch zu den Raten für das Haus, falls vorhanden, hinzukommen. Es gilt ein weiterer Grundsatz: das Milieu und Nachtleben zieht! Alles erscheint unkomplizierter, weniger überfrachtet mit intellektuellen, emotionalen, ethischen, Überlegungen und Grenzen.
Meiner ganz persönlichen Erfahrung nach, sind gerade junge Polizisten*innen auf das, was da im Verlaufe ihres Lebens auf sie zukommt, nicht vorbereitet. Einige müssten sich von vielerlei verabschieden und zu einer Persönlichkeit heranreifen, die nichts mit dem gesellschaftlichen Mainstream zu tun hat. Hierzu gehören auch all die Fitnessstudios, der Wahn, sich körperlich umzugestalten, ein Leben auf der Überholspur zu führen und vor allem, die Nähe von diversen Leuten zu meiden. Die Betonung liegt auf “einige”! Die Mehrheit bekommt die Kurve und einiges kann irgendwann unter Jugendsünde verbucht werden. Doch es gibt diejenigen, welche immer weiter machen, um dann nach und nach in den Strudel hineingezogen zu werden.
In den vergangenen 35 Jahren erlebte ich, wie manche Schritt für den Schritt den Halt verloren. Fast immer spielte irgendwie das Nachtleben oder das Bedürfnis anders zu sein, als “kleinbürgerlich”, eine Rolle. Ich glaube die grobe Überschrift “Ausbrechen” passt am ehesten. Aber als Polizist*in auszubrechen bürgt Risiken und es ist fraglich, ob es dann nicht besser ist, die Berufswahl zu überdenken. Sich korrumpieren zu lassen ist eine Entscheidung und eine Frage der Persönlichkeit. Selbst bei einer Überschuldung gibt es immer noch andere Wege. Auch wenn ich mich erpressbar gemacht habe, kann ich immer noch den Weg nach vorne suchen und muss dann halt die Konsequenzen tragen. Und da hier immer noch Deutschland ist, sind die in der Regel überschaubar. Allerdings nur, wenn man Prestigeverluste hinnehmen kann.
Bei allem muss ich einräumen, dass ich bei der Kriminalpolizei auch Frauen und Männer kennen lernte, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur vom ersten Tag an nichts zu suchen hatten. Was mich bei einigen besonders irritierte war der Umstand, dass sie sich in der Hierarchie durchsetzten und mit wenigen Ausnahmen regulär pensioniert wurden. Allerdings hinterließen manche von ihnen eine Spur von Verzweiflung, menschlichen Schicksalen und gescheiterten Existenzen.
Die polizeiliche Hierarchie besitzt Vor- und Nachteile. Ein entscheidender Nachteil besteht darin, dass sie für Psychopathen*innen, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt und gebremst werden, das ideale Habitat sind. Ein Phänomen, welches in der freien Marktwirtschaft bereits länger bekannt ist und immer mal wieder Berater beschäftigt.
Der kanadische Kriminalpsychologe Robert D. Hare schreibt Psychopathen, einen oberflächlichen Charme, Eloquenz, ein überhöhtes Selbstbild, notorisches Lügen, manipulative Handlungen, mangelnde Reue, Empathie und die Unfähigkeit eigene Verantwortung zu übernehmen zu. Weiterhin sind sie schnell gelangweilt, somit stetig auf der Suche nach einem neuen Kick, leben gern auf Kosten anderer, können sich schwer beherrschen und neigen zu einem promisken Verhalten. Solche Persönlichkeiten trifft man häufig auch im kriminellen Milieu an. Finden diese zusammen, einmal in der Eigenschaft als Polizist*in und zum anderen als Kriminelle/r, wird es kritisch. Doch sind dies weniger Leute, die sich primär korrumpieren lassen, sondern eher welche, die innerhalb ihrer beruflichen Karriere Verhalten wie Drogenkonsum (zumeist Kokain und Alkohol), unverantwortlich in zweifelhaften Bars und Clubs verkehren und sich dort in ihrer Überheblichkeit für unantastbar halten. Ziehen sie andere mit hinein, werden dies Leute im Milieu bemerken und ihre Chance wittern.
Ich glaube, dass richtig “dicke” Geld kann man bei der Polizei durch Korruption nicht bekommen. Dennoch gibt es sie, aber selten in der simplen Version “Ich gebe Dir Geld und Du tust etwas für mich!” Eher geraten Leute in die Erpressbarkeit und sie ängstigen sich davor, durch Aberkennung des Beamtenstatus ihre Pension zu verlieren. Bei manch anderen muss man schlicht von Kriminellen mit Beamtenstatus sprechen. An der Stelle stimme ich dem vorangestellten Zitat von Nietzsche zu. Unverbindlicher Sex, neue Kicks, ein unverbindliches Leben, fragwürdige Bestätigungen und die gelebte Arroganz, Hybris über allen zu stehen, all dies können bei passender Persönlichkeit Köder sein.
Womit ich nicht übereinstimme ist das ständige Gerede von einer Parallelgesellschaft, deren Mitglieder per Korruption versuchen Einfluss zu nehmen. Die Gesellschaft entspricht einem System, aus dem nicht einfach ein oder mehrere Bestandteile entfernt werden können. Alles ist miteinander verzahnt. Ein Angler muss zur Beute passende Köder auswerfen. Immaterielles ist schlecht bis gar nicht geeignet, während materielle Zuwendungen deutlich besser funktionieren. Und dies liegt maßgeblich an den Regeln, nach denen unser System funktioniert. Spaßgesellschaft, unverbindliche Beziehungen, die Gier nach schnellen Geld, Anerkennung, all dies wirkt auf jeden in der Gesellschaft ein. Da bleiben schon mal beruflicher Ethos, althergebrachte Grundsätze, auf der Strecke.