5 November 2022

Guter oder schlechter Egoismus?

high angle photography of people in ground Lesedauer 7 Minuten

Es ist mir ein Rätsel
Wir haben eine Gier, mit der wir uns arrangiert haben
Du denkst, Du musst mehr wollen, als Du brauchst
Bis Du alles hast, wirst Du nicht frei sein
Die Gesellschaft, verrückt, in der Tat
Ich hoffe, Du bist nicht einsam, ohne mich

Eddie Vedder, Society, Soundtrack zu: In to the wild

Ein Kommentar bei Facebook führte mich mal wieder zu Überlegungen zurück, die ich immer mal wieder anstelle. Egoismus ist ein bei uns traditionell negativ belegter Begriff. Aus meiner Sicht ist das falsch. Worum geht es denn? Ich mache mir ein Bild von der Welt. Wobei ich niemals ein Gesamtbild sehe, sondern lediglich einen Teil davon. Entweder, mir gefällt, was ich sehe, oder ich bin unzufrieden. Im nächsten Schritt kann ich mich dazu entscheiden, wie ich damit umgehe. Ist alles schön, besteht kein Handlungsbedarf. Im anderen Fall kann ich mich arrangieren, meine Ansprüche verändern oder versuchen, sie im Rahmen meiner Möglichkeiten zu verändern. Damit ist erst einmal notwendig zu erkennen und festzulegen, was mir eigentlich konkret missfällt. Was benötigt mein Ego?

Möglicherweise hadere ich mit dem Umgang der Menschen untereinander oder mir ist alles zu unruhig, aggressiv, intolerant. Oftmals wird es das eigene Schicksal sein, mit dem ich unzufrieden bin. Zu wenig Geld, Status, Gestaltungsmöglichkeiten. Zunächst kann ich mich selbst prüfen, wie angebracht meine Erwartungen sind. Unter Umständen habe ich überzogene Vorstellungen, die ich als menschliches Wesen niemals verwirklichen bzw. keinen legitimen Anspruch anmelden kann. An der Stelle wird es bei einigen kritisch. Sie fordern von der Welt mehr ab, als legitim ist. Dies ist eine Folge des Gedankens, dass der Mensch im Zentrum des Geschehens steht und sich alles um ihn herum abspielt. Diese Zentrierung findet auch im Kleinen statt. Eine Menge Zeitgenossen versuchen sich aus dem Gesamtgeschehen herauszunehmen, in dem sie sich ins Zentrum stellen und alle anderen haben ihnen quasi zuzuarbeiten. Doch das ist kein Egoismus, sondern Egozentrik!

Ich möchte ein ruhiges, friedliches, freies und ausgeglichenes Leben führen. Hierzu muss ich herausbekommen, was ich dafür in die Wege leiten muss. Wenn ich selbst in Saus und Braus lebe, während alle anderen um mich herum dahin vegetieren, darf ich mich nicht wundern, wenn es mit meinem Frieden schnell vorbei ist. Interpretiere ich Freiheit als etwas, was mich dazu berechtigt, alles Erdenkliche zu unternehmen, auch wenn es auf Kosten anderer passiert, ich sie schädige oder beschränke, werden die mir irgendwann wütend gegenüber treten. Dann werde ich Maßnahmen zur Verteidigung ergreifen müssen und es ist Essig mit der Ruhe. Also bedarf es für die Verwirklichung meiner egoistischen Ziele einer eingehenden Analyse, welche meiner Handlungen geeignet sind und welche genau das Gegenteil erzeugen. Demnach ist der reine Egoismus, die höhere Bewertung der eigenen Bedürfnisse, Ziele, Vorstellung, als die anderer Menschen nicht das Problem, sondern schwierig sind die dafür vollzogenen Handlungen und die mangelnde Weitsicht, wie sich das nach und nach fortsetzt.

So wie ich das sehe, lebe ich in einem Teil der von mir sichtbaren Welt, die von Leistung, Haben, Konkurrenz, überzogenen bzw. illegitimen Ansprüchen, ständigen gegenseitigen Beweisen, Bewerten, Messen und kognitiver Dissonanz geprägt ist. Alles Aufgezählte mündet meiner Beobachtung nach in einem Zustand, der sich mit meinen egoistischen Ansprüchen ans Leben nicht verträgt. Nun vermag ich aber nicht andere zu ändern oder sie davon zu überzeugen, endlich von diesem Treiben abzulassen. Eine alte Weisheit besagt: “Du kannst immer nur genau einen Menschen verändern: Dich selbst!” Die einzige Option, die mir bleibt, ist ein Handeln, welches wenigstens geeignet ist, die von mir erwünschten Ziele zu erreichen und alles zu unterlassen, was eher das Gegenteil hervorrufen wird. Eine Handlung kann auch das Herausgehen sein. Im Konfliktmanagement lernte ich, dass dies sehr wirkungsvoll sein kann. Verlasse ich das Konfliktfeld, gibt es keinen mehr, weil ein Part fehlt. Der oder die andere kann gern weiter sein Ding machen, aber ohne mich. Manch einer mag dies Konfliktscheu nennen und anmerken, dass sich dann auch nichts ändern wird. Gut, da bin ich sehr egoistisch. Im Buddhismus gibt es die Aussage: Führe Dein Leben, wie ein vermögender Reisender. Vermeide schlechte Begleitung, die Dich möglicherweise in einen Hinterhalt locken will und gehe nicht auf dunklen, unübersichtlichen Wegen. Um mit dem einen oder anderen reden zu können, müsste ich diese Maxime über Bord werfen. Ich bin lange genug mit üblen Zeitgenossen auf äußerst schwierigen Wegen unterwegs gewesen. Henry Miller stellte in einem seiner Bücher fest, dass es sinnvoller wäre, wenn alle Menschen erst einmal versuchen würden, selbst glücklich werden. Zufriedene und glückliche Menschen haben auf andere einen besseren Einfluss, als mies gelaunte Unsympathen. Ich denke da ist genauso viel Wahres dran, wie die Taktik, seine Kräfte dafür zu nutzen, das Gute zu unterstützen, statt sie beim Kampf gegen das Schlechte zu vergeuden. In der Regel stärke ich damit das Schlechte.

Egoismus hat auch immer etwas damit zu tun, was ich denn eigentlich für mich selbst anstrebe. Oftmals ist es der Wunsch besser gestellt zu sein, Macht über andere zu erlangen, möglichst viel zusammenzuraffen, die notwendigen Mittel zu besitzen, um von anderer Seite geweckte Bedürfnisse zu befriedigen. Zeitgenossen mit diesen Bedürfnissen, wissen ziemlich genau, was sie dafür anstellen müssen. Den meisten damit beseelten unterläuft ein entscheidender Fehler. Sie gehen davon aus, dass dies alle anderen auch wollen, woraufhin sie von sich auf andere schließen. Bis zur Egozentrik ist es dann nicht mehr weit. Reden ist immer verräterisch und noch mehr gilt dies für Leute, die Macht innehaben. Sie versuchen damit allem einen Drive zu geben, der ihnen gefällt. Wenn in der aktuellen Bürgergeld-Debatte Konservative darüber sprechen, dass die Leute ohne den Anreiz des Geldes nichts für die Gemeinschaft leisten würden, ist dies ein Rückschluss aus dem eigenen Verhalten. Aus ihrer egozentrischen Betrachtung heraus, kommt ihnen gar nicht in den Sinn, dass andere eventuell völlig anders unterwegs sind. Ich selbst habe diesen Fehler eine lange Zeit mit meinen Töchtern gemacht. Ich unterstellte ihnen präventiv, dass sie mindestens die gleichen Aktionen bringen, wie ich sie einst unternahm. Dabei übersah ich ihre Individualität und die Option, dass sie vollkommen andere Ideen verfolgen.

Im Ergebnis ziehe ich den Schluss, dass es für die Befriedigung meines Egos und was ich will, notwendig ist, alles zu stärken, was ich befürworte. Den notwendigen Kraftaufwand für die Veränderung der mir schädlichen erscheinenden Lebenshaltungen anderer kann ich mir sparen. Um ermitteln zu können, welche meiner Verhaltensweisen förderlich sind, bedarf es einer Alterozentrierung. Will ich Frieden, sollte ich darauf achten, was im Gegenüber los ist und wenigstens versuchen, mich in die Lebensrealität des anderen zu versetzen. Treffe ich auf Menschen, die innerlich vergiftet sind, werde ich sie meiden. In der Regel setzen sie alles dran, ihre Mitmenschen von der Richtigkeit ihrer Weltsicht zu überzeugen, der nach alle mehr haben wollen, dabei in Konkurrenz zueinander stehen und ausschließlich darüber zu motivieren sind. Ich habe mir dabei ein naturwissenschaftliches Prinzip zu eigen gemacht. Lerne ich auch nur einen einzigen Menschen kennen, der anders ist, habe ich den Beweis, dass Menschen zu anderem fähig sind. Ich kenne nicht einen, sondern einige! Leute, mit denen ich nicht zwingend sprach, sondern es lebten. Wenn die dann auch noch auf die Idee kamen, mit mir zu sprechen, war ich ziemlich stolz.


Aus dieser Haltung heraus unterstütze ich zumindest hier und in Kommentaren die Klima-Aktivisten. Egal, ob sie sich auf die Straße, an Häuser oder Gemälde kleben. Aus meiner Sicht sind sie die Guten. Tragisch empfinde ich die mangelnde Unterstützung seitens der betroffenen Altersgenossen/innen. Es sollten Hunderte sein, die die Straßen blockieren. Jede/r unter Dreißig sollte verstehen, dass es da ums eigene zukünftige Schicksal geht. Zum künstlichen Aufschrei bezüglich der verstorbenen Radfahrerin schrieb ich bereits einen Beitrag. Im Nachhinein wurde ich bestätigt. Die eingesetzte Rettungsmedizinerin hatte sogar das Spezialfahrzeug ab alarmiert. Die Boulevardpresse roch in diesen Tagen wieder einmal nach Pechfackeln, säuerlichen Mob, Teer und Federn. Ein besorgniserregender Vorgang. Wie oft musste bereits jemand sein Leben lassen, weil BILD und Konsorten aufhetzten?
Es gibt tatsächlich Leute, die den Klima-Aktivisten/innen einen negativ konnotierten Egoismus vorwerfen. Egoismus lasse ich allerdings gelten. Sie wollen für sich ganz persönlich eine Zukunft. Dem steht der Egoismus derjenigen entgegen, die im Hier und Jetzt gut leben wollen.

Bezüglich der Aktionen im Zusammenhang mit den Kunstwerken überkommt einen ein spontaner Schmerz. Allein schon, weil wir bereits in der Kindheit lernten, alte Werke zu ehren oder zu bewundern. Aber was geht da im Kopf vor? Vor langer Zeit stellte ein/e Malerin, Bildhauer/in die Fähigkeit der menschlichen Kreativität unter Beweis. Oftmals im Auftrag reicher Kaufleute, Fürsten oder hoher Geistlicher. Später kam der Egoismus dazu. Viele Künstler sind davon getrieben, sich und ihr Inneres auszudrücken. Dabei entstanden bemerkenswerte Werke und gleichzeitig eine Menge Zeug, welches nur teuer gehandelt wird, weil ein angesagter Name darauf steht. Picasso heizte zusammen mit Freunden das Atelier mehrere Winter mit Gemälden. Lange Zeit wären die Menschen niemals auf die Idee gekommen, alten Kram, wenn er nicht der Wissensweitergabe an die nächste Generation diente, aufzuheben. Ziemlich oft wurden Gemälde seitens der Obrigkeit zerstört und gleich noch zusätzlich die Maler ins Gefängnis geworfen. Bei jemanden wie Picasso könnte ich mir gut vorstellen, dass ihm die Aktionen gefallen würden. Wenn ich es richtig verstehe, geht es bei den Aktionen um das Erzeugen von Empörung, die das Thema Klima und die andauernde Untätigkeit dauerhaft am Köcheln halten soll. Das funktioniert auf jeden Fall. Und was ist schon passiert? Die Bilder selbst wurden nicht in Mitleidenschaft gezogen. Nicht einmal die Rahmen sind wirklich zerstört worden. Am Ende geht es mal wieder um schnödes Geld. Sollen sie es sich von einem Hansel holen, der Millionen dafür ausgibt, damit er es sich in den Tresor legen kann. Da finde ich den Anspruch der “Kleber” schon hochwertiger. Und die sich empören, sind zumeist Leute, die niemals ein Museum von Innen sahen, sich mit der Historie des Bildes beschäftigten, oder ohne Hirn und Verstand davor stehen und “Ah” und “Oh” machen. Mal schauen, was die machen, wenn es richtig losgeht.


Den Egoismus als etwas Negatives darzustellen, ist mit Sicherheit auch dem Denken einiger Ideologen geschuldet, die auf Volksgemeinschaften, Nationen und geeinte Gesellschaften setzen. Was soll ich als Mächtiger mit Leuten anfangen, die ihre eigenen Belange, Lebenshaltung und Überzeugungen für wichtiger erachten, als meine Vorgaben? Man stelle sich Soldaten vor, denen das eigene Leben wichtiger ist, als das Schicksal einer Nation. Egoismus ist ein wirksamer Schutz vor Burnout. Erst wer begreift, dass die Aufgabe der eigenen Bedürfnisse in die Krankheit führt, wird gesund leben. Einigen Arbeitgebern missfällt dies. Lieber sind ihnen austauschbare Leute und hoch technisierte Arbeitsplätze, an denen jeder die gestellten Aufgaben bewältigen kann, die ebenso ein dressierter Bonobo hinbekommt. Für mich gehen Egoismus und Freiheit Hand in Hand. Beides kann nicht ohne Verantwortungsübernahme und die Akzeptanz der Grenzen eines anderen, inklusive aller anderen Spezies funktionieren.
Oftmals wird dem Egoismus der Altruismus gegenüber gestellt. Für mich existiert der schlicht nicht. Es gibt kein menschliches Handeln ohne ein Motiv. Helfe ich einem anderen Menschen, beruhige ich mein Gewissen oder will mich gut fühlen. Das ist purer Egoismus! Warum auch nicht? Das Motiv zu helfen und sich daraufhin gut zu fühlen, ist tief in uns verankert. Wer dies nicht verspürt, sollte sich therapeutische Hilfe suchen. Wer sich beispielsweise auf die Straße stellt und “Absaufen” skandiert, hat ernsthafte Probleme. Ebenso wie jemand, der seine Befriedigung über Quälen, Schlagen, erlangt. Wenn mit dem Ego etwas nicht in Ordnung ist, dann wird aufgrund dieser Prämisse, auch der Egoismus zu etwas problematischen. Im Übrigen gilt dies auch für Leute, die sich bei Klimaaktivisten in Gewaltfantasien ergehen oder gar vor Ort gewalttätig werden. Eine Verzögerung über die Unversehrtheit zu stellen, gibt viele Informationen über den geistigen Zustand. Aber es gibt Hoffnung, weil man dagegen etwas tun kann. Ich spreche da aus Erfahrung.

16 September 2022

Schnell, schnell!

time lapse photography of brown concrete building Lesedauer 12 Minuten

Statt zu sagen: Sitz nicht einfach nur da – tu irgendetwas, sollten wir das Gegenteil fordern: Tu nicht einfach irgendetwas – sitz nur da.

Thích Nhất Hạnh, buddhistischer Mönch und Schriftsteller

Es ist eine banale Erkenntnis, dass das Leben in westlichen Industriestaaten deutlich schneller getaktet ist, als dies z.B. noch vor 100 Jahren vor sich ging. Die Verheißung hieß einst: Maschinen übernehmen die Arbeit der Menschen und die können sich dann um andere Dinge kümmern. Wobei sich da bereits die Frage eröffnet: Was sind denn diese anderen Dinge?
Schaue ich im eigenen Leben zurück, lebte ich gefühlt um ein Doppeltes schneller, denn ich es heute tue. Und schon wieder bin ich in einer Formulierungsfalle gelandet. Leben ist Leben! Man kann es nicht schneller leben. Präziser formuliert, will der Mensch, innerhalb der gleichen Zeitspanne mehr erledigen, wahrnehmen, verarbeiten, gestalten, kommunizieren. Begleitet wird das von der Überzeugung, dass ein Mensch dazu imstande ist. Ist das so?
Seit geraumer Zeit stehen uns technische Möglichkeiten zur Verfügung, die uns dabei unterstützen. Was war zuerst da? Der Wille mehr in eine Zeitspanne packen zu können oder die Technik? Ich denke, es war der Wille. Bei Wille denke ich sofort an Motivation. Die alte Phrase: “Zeit ist Geld!” wird allgemein Benjamin Franklin zugeschrieben, weil er diese Worte 1748 in einem Ratgeber für junge Kaufleute niederschrieb. Etwas tiefer schürfende Texte führen einen auf eine weitere Fährte. Allgemein werden die Worte zum Antreiben benutzt. Wer im Akkord arbeitet, kann viele Produkte herstellen, welche wiederum veräußert werden können. Ganz anders sieht die Interpretation aus, wenn man die Worte auf die Texte des Römers Seneca anwendet. Er fordert dazu auf, Zeit mit Geld gleichzusetzen. Eine Schatztruhe mit Münzen kann sich jeder vorstellen. Ist sie gut gefüllt, sind Ausgaben leicht. Oftmals ist man dazu geneigt, jedenfalls wenn man nicht geizig ist, das Geld auch für Dinge auszugeben, die absolut unnötig sind. Leert sich die Kiste allmählich, wird man bedächtiger. Die Wertschätzung wird immer mehr zum Thema. Seneca setzt die Münzen mit der Lebenszeit gleich. Ständig veräußern wir Sekunden, Minuten, für irgendwelche Aktionen. Wenige Menschen wissen den Schlaf zu schätzen, obwohl er der Gesundheit dient. Tatsächlich geben wir damit einige Stunden für unseren Körper aus. Unterhalten wir uns, geben wir Lebenszeit aus und kassieren gleichzeitig die Zeit eines anderen Menschen. Denken wir über etwas oder einen anderen nach, stellt dies eine Ausgabe dar. An der Stelle kritisiert Seneca, wie oft Zeit für Smalltalk ohne Inhalt verschwendet wird oder wie wenig Wertschätzung die Menschen für die Zeit aufbringen, die andere für sie investieren. Auch jetzt in diesem Augenblick gebe ich Zeit aus. Wenn ich den Text fertig habe, wird Zeit vergangen sein und was da am Ende herauskommt, ist ein Produkt, aber keins, welches ich gegen Geld verkaufen kann. Hieraus ergibt sich wiederum, dass ich dabei andere Aspekte heranziehen muss. Was hat für mich einen derart großen Wert, dass ich bereit bin, hierfür Lebenszeit zu veräußern? Andersherum investiert ein anderer Mensch beim Lesen Zeile für Zeile Lebenszeit. Eine Ausgabe, die ich wertschätzen sollte.

Klassische Produkte besitzen in der Regel die unangenehme Eigenschaft der Vergänglichkeit oder wir verlieren sie mit absoluter Sicherheit beim Sterben. Noch spannender wird es beim Thema Geld. Geld an sich, also gegenständlich, hat absolut keinerlei eigenen Nutzen. Der Nährwert eines Geldscheins ist nicht sonderlich hoch. Auch wenn ich Scheine verbrenne, komme ich nicht weit. Papier brennt schnell ab und ist für eine längerfristige Wärmeabgabe vollkommen ungeeignet. Münzen bestehen immerhin noch aus Metall, welches sich zu nützlichen Dingen umfunktionieren lässt. Erst durch die Ausgabe, den Tausch Ware-gegen-Geld, erfährt das Geld einen Wert. So lautete jedenfalls der Grundgedanke. Geld, welches nur noch digital existiert, sprengt alles. Ich treibe die Überlegung mal auf die Spitze. Bei uns ist ein großer Teil des Lebens ist davon bestimmt, dass für Geld gearbeitet wird. Vollkommen anders zu sehen ist die Zeit, welche für Arbeit an etwas verausgabt wird, was man selbst nutzt und in den Händen hält. Die Arbeitszeit, welche mit Geld entlohnt wird, führt im Prinzip zu einer Transformation. Schaue ich auf das Geld, sehe ich meine dafür benutzte Lebenszeit. Liegt das Geld auf dem Konto, schaue ich auf die Tage, Wochen, Monate oder bisweilen Jahrzehnte, die ich dafür hergab. Erst, wenn ich etwas kaufe, erfolgt eine weitere Umwandlung. Betrachte ich die neu gekaufte modische Jacke, ist dies u.U. jene Zeit, die ich nicht mit meinen Kindern verbrachte, mir nicht dafür nahm, um mich selbst zu regenerieren oder einfach mal alles baumeln ließ. Doch auch hier gibt es einen Haken. Manche Leute bekommen als Gegenleistung für einen halben Tag, gerade mal eine warme Mahlzeit und andere einen Betrag, mit dem sie sofort eine Luxuslimousine kaufen könnten.

Konsequent muss die Erkenntnis lauten: Bei dieser Konstellation hat die Lebenszeit des einen weniger Wert, als die eines anderen.

Theoretisch kann sich jemand, der für wenig Lebenszeit viel Geld bekommt, entspannt zurücklehnen und es sich leisten, nicht alles gleichzeitig zu machen. Nicht von ungefähr sagt man auch: Der oder die lässt das Geld für sich arbeiten. Gleichsam könnte sich so ergeben, dass finanziell gut gestellte Zeitgenossen genügend Zeit haben, sich über all die Aspekte des Lebens Gedanken zu machen, zu denen die anderen nicht kommen. Meinem Eindruck nach funktioniert dies nicht. Ganz im Gegenteil! Häufig sind es die, welche hart für jeden EURO arbeiten und erheblichen Zeitaufwand betreiben müssen, um über die Runden zu kommen, diejenigen mit den weiseren Aussagen. Wo ist der Haken? Mir scheint, dass es etwas mit der Wertschätzung zu tun hat. Eine Betrachtung, die auf dem direkten Weg in die Tiefen des menschlichen Daseins führt.

Ohne die Kooperation ist der Mensch nichts und wäre nicht einmal ansatzweise so weit gekommen, wo er heute steht. Angefangen bei der Horde, die einst durch die Gegend streifte, und später bei der ersten Arbeits- und Wissensteilung. Damit ist die gegenseitige Hilfe, Unterstützung, Kommunikation, voneinander Lernen, sehr weit oben angesiedelt. Dies gilt selbst beim Plündern. Was habe ich davon, wenn ich mir gewaltsam etwas aneigne, dessen Funktion ich nicht verstehe? Nur Völker, die dies verstanden, konnten sich weiter entwickeln. Griechen, Römer, Theben, Phönizier, Perser, Karthager, Makedonier, gründeten in der europäischen Antike große Reiche und machten sich darüber Gedanken. Nicht anders sah es in anderen Teilen der Welt aus. Immer schwang dabei auch die Überlegung mit, was einem mehr einbringt. Der Krieg oder der Frieden? Lange friedliche Phasen brachten stets Entwicklungsschübe mit sich. Und dazu gehörte auch, über das Dasein, das Wesen des Menschen, die Art und Weise, wie man die begrenzte Lebenszeit zufriedenstellend nutzt, nachzudenken. Schlicht, weil der Mensch in der Evolution etwas entwickelte, was er selbst als Denken bezeichnete. Rückschlüsse aus dem ziehen, was gesehen, gehört, gerochen und gefühlt wird. All diese Denkprozesse werden als Verstand definiert. Man nimmt seine Umwelt wahr und wertet sie passend aus. Hinzu kommt die Fähigkeit, nicht sinnlich Erfassbares anzunehmen, logisch abzuleiten oder für die Zukunft zu prognostizieren. Jenes nennen wir die Vernunft.

Aber welchen Wert bemessen wir diesen existenziellen Fähigkeiten bei? Vor allem, wie will man sie anwenden, wenn dafür gar keine Zeit bleibt? Wäre es nicht zweckmäßig, für die Fähigkeiten, welche den Menschen von anderen Spezies unterscheidet, Lebenszeit zu verwenden? Was unterscheidet uns sonst von einem Bonobo-Schimpansen, der den Entwicklungsstand eines vierjährigen Menschen erreichen kann? In einer dekadenten Wohlstandsgesellschaft komme ich grundsätzlich mit wenig Benutzung von Vernunft und Verstand durch. Bei sehr vielen Vorgängen verstehe ich überhaupt nicht, was da gerade passiert. Ich kann stundenlang auf einen modernen Motor starren und werde trotzdem nicht nachvollziehen können, was da in diesem kunstvoll zusammengeschraubten Wirrwarr aus Gummi, Metall, Kunststoff, vor sich geht. Erst recht nicht, wie dieser Laptop vor mir funktioniert, aus welchen Bestandteilen das Ding im Einzelnen besteht und wie es möglich ist, dass das Geschriebene im Internet landet. Ich benutze es einfach, ohne es zu verstehen. Die Überlegung ist simpel. Träte jetzt im nächsten Moment eine Dystopische Situation ein und ich wäre auf mich alleine gestellt, würde sich zeigen, über welche Fähigkeiten ich wirklich verfüge. Kann ich ein Feuer machen? Nahrung herbei schaffen? Mich mit anderen zusammen tun? Wäre ich vernünftig, empathisch, kooperativ genug, um in einem Zusammenschluss mit anderen Menschen agieren zu können?

Doch die Überlegungen gehen darüber hinaus. Welchen Wert bemesse ich persönlich meinem Dasein über den Tod hinaus bei? Ist es mir wichtig, wie die Menschen danach über mein Wirken denken oder es bewerten? Möglicherweise ist es mir egal. “Nach mir die Sintflut!”, wie einige sagen, denken und vor allem handeln. Oder was ist meinem Wirken in der Gegenwart? Erfüllt es mich oder gibt es mir eine Befriedigung, wenn ich in meinem Sinne Einfluss nehme? Einfluss nehme ich immer, dagegen kann ich mich nicht wehren. Egal was ich tue, es hat eine Wirkung, fraglich ist nur, wie es vonstattengeht und inwieweit ich eine Kontrolle darüber habe. Bin ich aggressiv unterwegs, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Aggression über mehrere Stationen fortsetzt. Maule ich die Kassiererin oder den Kassierer im Supermarkt an, wird das Folgen nach sich ziehen. Ich lege auf dieses immer mehr Wert. Was genau bewirke ich jetzt gerade?

Für diese Überlegungen benötige ich Zeit, die ich mir nehmen muss. So wie ich sie mir gönnen musste, um überhaupt auf diesen Stand zu kommen. Schenke ich dem Augenblick keinerlei Beachtung, werde ich auch nicht erkennen, was gerade passiert. Wer schnell “lebt”, reiht eine ganze Kette von Handlungen aneinander, ohne sich der Wirkung bewusst zu sein. Gleichzeitig kommt es zu jeder Menge Fehlern beim Denken. Das Gehirn erzählt sich innerhalb von Sekunden lauter kleine Geschichten, die immer weiter miteinander verkettet werden. Gern werden dabei Umstände miteinander verbunden, die objektiv nichts miteinander zu tun haben. Nimmt man sich die Zeit, nachträglich nochmals alles sauber auseinanderzunehmen und zu analysieren, nennen wir diesen Prozess “Nach/denken”, woraufhin eventuell andere Ergebnisse zustande kommen. Das meiste, was wir bei Mitmenschen als Dummheit bezeichnen, ist die Folge vom falschen Zusammenziehen mehrerer Ereignisse zu einer Geschichte, die schlicht unstimmig ist, aber leider die Basis für weitere Handlungen darstellt. Im Ergebnis steigt aufgrund der Schnelligkeit, dem übermäßigen Füllen eines Zeitraums mit Handlungen, die Gefahr Dummes zu tun oder verbal abzusondern. Dem lässt sich nur mit Nachdenken begegnen, ein Vorgang, wenn er sich auf das bezieht, was wir den lieben “langen” Tag so anstellen, als Selbstreflexion bezeichnet wird. Ich will davon nicht zwingend ableiten, dass hektische Menschen, Leute, die alles gleichzeitig machen wollen, sich stets “busy” geben, dumm sind. Aber die Wahrscheinlichkeit steigt an. Parallel wird es unwahrscheinlich, dass sich die Menschen selbst reflektieren.

Warum sie sich nicht die Zeit nehmen, steht auf einem anderen Blatt.

Bei einigen ist es die Gier. Andere sehen sich verpflichtet, von anderer Seite her gestellte Aufgaben bzw. Anforderungen zu erfüllen. Vielleicht sind es subjektive Existenzängste oder oftmals tatsächlich bestehende Gefahren, weil man z.B. sonst seinen Job verliert. Ebenso kann es das Heischen nach Anerkennung sein oder eine angenommene moralische Verpflichtung. Als Mensch komme ich nicht daran vorbei, ein gesundes Verhältnis zur Ausgabe meiner Lebenszeit zu finden. Unter gesund verstehe ich dabei eine dem Leben zuträgliche Taktung, mit anderen Worten zu einem Zustand der Ausgeglichenheit führt. Schaue ich in die Wildnis, kann ich eine ganze Menge ableiten. Prädatoren sind auf Effizienz angewiesen. Eine Löwin kann es sich nicht leisten, unzählige halbherzige Versuche zu unternehmen. Jeder neue Ansatz erfordert immense Energie und zu viele erfolglose führen zum Tod. Zur Steigerung der Chancen tun sie sich im Rudel zusammen. Im gewissen Sinne wird vorher genau überlegt und im Fall des Scheiterns ausgewertet. Die meisten kleinen, hektischen Lebewesen werden nicht sonderlich alt. Die ältesten Lebewesen des Planeten sind eher behäbig. Tiere in Gefangenschaft, die ausreichend und ihrer Art angepasst versorgt werden, sind vom nervenaufreibenden Beschaffen von Nahrung befreit, werden oftmals älter als ihre Artgenossen in der Wildnis. Dies gilt auch für diejenigen, welche kaum Fressfeinde zu fürchten haben. Verkürzend wirkt sich allerdings die Verkümmerung aus, wenn sie nicht wie gewohnt agieren können oder in Interaktion treten können. Auch für letzteres benötigen sie und auch wir: Zeit!

Zeit ist ein kostbares Gut, nicht komprimierbar und im Fall des Daseins eine unbestimmbare Größe. Was habe ich davon, wenn sie auf meinem Konto in Form einer Zahl dargestellt wird und ich die Transformation, die eigentlich eine Art bestimmungsgemäße Rückführung darstellt, zu einem Zeitpunkt in die Zukunft verschiebe, den ich u.U. gar nicht erlebe? Oder was ist mit der Zeit, die ich in Produkte investiere, von denen die Gesellschaft, in die ich hineingeboren wurde, behauptet, dass sie wichtig sind, während ich andere Prioritäten setze?
Letztens hatte ich darüber mit einer Frau einen interessanten Austausch. Unser Einstieg war die Frage nach dem Sinn eines Lebens und die Gefahr eines Suizids, wenn man eben diesen nicht mehr sieht. Vorab: Für mich gibt es keinen fremdbestimmten Sinn eines Lebens. Würde ich dies akzeptieren, müsste ich auch irgendjemanden die Definitionshoheit zugestehen. Was mache ich, wenn ich diese Definition nicht erfülle? Ist mein Leben dann sinnlos? Kann ich es dann nicht auch beenden? Meiner eigenen Vorstellung nach, ist keine Existenz, wie auch immer sie sich darstellt, aus dem Gesamten zu entfernen. Gäbe es nichts, was ich als böse ansehe, würde auch alles Gute wegfallen. Alles Negative, ist gleichzeitig geeignet, eine positive Gegenreaktion auszulösen. Selbst ein früher Tod erinnert andere Menschen an die mögliche Kürze des Lebens. Bei allem gilt: Es steht nicht in meiner Macht, hierüber die Kontrolle zu haben. Mir bleibt tatsächlich nur der Versuch, eventuell mit der eigenen Lebensart über die Gesetze der Wechselwirkung eine von mir erwünschte Richtung, Struktur, zu begründen. Ein Suizid setzt für andere eine Lösung in die Welt. Aber er wird nichts daran ändern, was mich mein Leben als nicht lebenswert empfinden ließ. Wenn ich den anderen zeigen will, dass es so ist, bitte, aber dies ist ohnehin bereits allgemein bekannt. Ergo, kann ich es auch lassen und weiter leben, um anderes auszuprobieren. Richtig kompliziert wird es bei Schmerzen. Beispielsweise wird im Buddhismus der dem Tod vorangehende Schmerz als eine Zeit für die Vorbereitung des nächsten Lebens betrachtet, während der plötzliche Tod eher unglücklich ist, weil der oder die Betroffene, das Leben nicht bewusst zu Ende brachte.

All diese Gedankengänge setzen voraus, dass ich in einem Leben mehr sehe, als wirtschaftliche Produktivität, Mehrung des allgemeinen materiellen Wohlstands, Erfüllung vorgefertigter gesellschaftlicher Vorgaben oder Ansprüchen, die andere an mich richten.

Der von der Gesellschaft ausgehende Druck ist immens. Hinsichtlich des Zeitmanagements bestehen Vorgaben, deren Erfüllung erwartet werden und wer sich dagegen stellt, muss dafür Kraft aufbringen. Hierfür ein alltägliches Beispiel. Wer einen Supermarkt betritt, soll darin Zeit verbringen, die irgendwann in Konsum mündet. Das ändert sich schlagartig, wenn die Sachen auf dem Laufband landen. Geschwindigkeit und Länge sind kein Zufall, sondern ein ausgetüfteltes Forschungsergebnis[1]https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/der-deutsche-testmarkt-das-hassloch-experiment-1.907694. Spätestens wenn das Geld von A nach B transferiert wurde, ist der oder die Kunde/in uninteressant. Die Leute sind darauf konditioniert. Hungrig nach Befriedigung hineingehen, Beute machen, befriedigt sein, bezahlen, schnell weg. Es ist interessant, wer in kleineren Märkten lautstark als Erstes die Öffnung einer weiteren Kasse fordert. Entweder es sind von ihren Kindern genervte Eltern oder Zeitgenossen mit oder nur Spirituosen im Einkaufswagen. Die einen wollen den Nachwuchs ruhig stellen und die anderen haben die tägliche Dosis schon vor Augen. Schwierig wird es, wenn ältere Leute, die noch auf die alte Taktung konditioniert sind oder körperlich nicht schneller können, ins Spiel kommen. Richtig übel sind Kandidaten, wie meine Wenigkeit. Registriere ich allzu ungehaltene Personen, die auch noch pöbeln, kommt bei mir die Rebellion zum Vorschein. Es ist nicht verboten, seinen Einkauf zu Dritteln und einzeln zu bezahlen oder lange das Kleingeld zu zählen, um dann doch mit Karte zu bezahlen. Schon dem Druck standzuhalten, bereitet mir Vergnügen.

Ähnliches lernte ich in letzter Zeit über Onlinebanking. Ein Konto eröffnet man heutzutage sehr einfach. Mit wenigen Klicks ist alles erledigt. Zack, Zack, hat die Bank Geld verdient. Um so komplizierter wird die Auflösung. Mich würde mal interessieren, wie viele Senioren aufgeben, nachdem sie sich stundenlang im Dschungel der Untermenüs verirrten. Auch das ist Druck. Es ist nahezu unmöglich, sich all der Onlineportale, Apps, Digitalisierung zu entziehen, die einzig einen Zweck erfüllen: Beschleunigung! Um so schneller und einfacher sich zum Beispiel eine Ratenzahlung abschließen lässt, desto unüberlegter wird die Ausgabe nebst ihrer langfristigen Folgen. Wer sich nicht übers Ohr hauen lassen will, muss ständig auf der Höhe der Entwicklung bleiben.

Entschleunigung, Achtsamkeit, Bewusstes Leben

All die oben genannten Begriffe haben in der breiten Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf. Das geht bei esoterischer Spinnerei los, zumeist als Modeerscheinung abgetan und spült viel Geld in Kassen von Therapeuten/innen. Gut, wenn es sich dabei nicht um Scharlatane handelt. Aus meiner Haltung und Sicht auf die Gesellschaft heraus ist dies nicht verwunderlich. In einer Zeit, die von Zahlen, Geld, Statistiken, Daten, bestimmt ist, sind diese Begriffe die Bezeichnungen für Schadprogramme. Machen wir uns nichts vor. Selbst mit Burnout-Patienten/innen, Depressiven, psychosomatischen Erkrankungen, lässt sich ein gutes Geschäft machen. Erst recht gilt dies für alles, was entweder beschleunigt oder die Grenzüberschreitung des dem Menschen möglichen Tempos ermöglicht. Die Grauzone zwischen illegalen “Drogenmissbrauch” (der in dem Fall streng genommen nicht einmal ein Missbrauch ist) und Medikamenten-Behandlung ist riesig. Jede Menge therapeutische Maßnahmen sind mehr Perversion, als wirklich hilfreich. Wie sonst sollte man die Aufforderung zu meditieren verstehen, damit man im Sinne der Gesellschaft mehr leisten kann? Wie viele Ärzte, Psychiater, Psychologen, versuchen Menschen zur Geschwindigkeit kompatibel umzugestalten?

Passend zum Thema Geschwindigkeit, tobt in Deutschland eine Debatte über ein Tempolimit, welches selbst US-Medienvertreter zum Staunen bringt. Was genau passiert eigentlich mit dem oder der Fahrer/in bei einer hohen Geschwindigkeit? Geht es wirklich um das schnellere Ankommen? Dies lässt sich überprüfen und das Ergebnis ist reine Mathematik. Selbst bei halsbrecherischer Fahrt, sind die Zeitgewinne nicht der Rede wert und ob ein Meeting zehn Minuten früher oder später stattfindet, ist objektiv egal. Wenn überhaupt Geschwindigkeit eine Rolle spielt, dann bei den Hochgeschwindigkeitstransfers im Finanzwesen. Etwa innerhalb des Intervalls zwischen 100 und 120 km/h steigt der normale untrainierte Mensch aus und Technik, Zufall, Glück, übernehmen. Es macht Klack im Kopf und der/die Fahrer/in schaltet ab. Befragte nennen dies oftmals Entspannung. Eine Alternative wäre, den Zug zu nehmen. Prompt sitzen viele dort vor einem Laptop und “nutzen” die Zeit, um Geschäftliches zu erledigen. Ich nehme für mich in Anspruch, dabei ein wenig mitreden zu können. Schlicht, weil beides Bestandteile meines Lebens waren. Was das bei mir verursachte, wird mir erst danach immer mehr bewusst. Alles passierte, mein Gehirn speicherte, der Körper speicherte, aber kaum etwas davon, drang wirklich in das mir zugängliche Bewusstsein vor. Dennoch ist, wie ich im Nachgang feststellte, alles da. Kaum befand ich mich in einer längeren, vom Körper erzwungenen Ruhephase, ging es mit den Flashbacks los. Mal in Form von plötzlich auftauchenden Erinnerungen, manchmal nur Bilder, Emotionen, die nicht im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Geschehen standen oder körperlichen Reaktionen, die unpassend bzw. zusammenhanglos erschienen. Wer nicht auf solche Selbstexperimente steht, sollte rechtzeitig die Notbremse ziehen.
Man muss es nicht gleich übertreiben, aber ich möchte anmerken, dass es im ZEN – Buddhismus eine schöne Betrachtung gibt. Wie lange dauert ein Leben? Exakt einen Atemzug. Der Mensch, welcher dazu ansetzte, ist beim Ausatmen ein anderer. Nach dieser Betrachtung ist ein Mensch, der sich am Tag nur einige Minuten Zeit des Bedenkens zugesteht oder meditativ den Synapsen ein wenig Ruhe gönnt, hektisch. Bedenkenswert ist ebenso, ob eine/r, die/der einfach nur dasitzt und denkt, wirklich untätig ist. Der vorhergehende Doppler ist gewollt. Folge ich den Vorgaben der Gesellschaft, in der ich lebe, müsste ich von Faulheit, Untätigkeit, ausgehen. Doch wie bewerte ich dann das Verhalten von Gläubigen, wenn sie längere Zeit beten oder buddhistische Mönche, wenn sie mehrfach am Tag stundenlang meditieren? Ist das auch Faulheit? Wie wäre es mit einem Vergleich zu jemanden, der sich 1,5 Stunden lang einen mehr oder weniger belanglosen Film ansieht? Ich sehe da Unterschiede.

Je enger das Leben getaktet wird, hektisch zu geht, Versuche unternommen werden, die Zeit zu komprimieren, um so mehr Lebensqualität, Bewusstsein, gehen verloren und Dummheit breitet sich aus. Mal ganz davon abgesehen, dass damit körperliche und geistige Krankheiten, Drogenkonsum und Aggressionen, gefördert werden. Wie bereits beschrieben, könnten all die tollen technischen Innovationen der Entschleunigung dienen. Tun sie aber nicht, weil eine andere Vorgabe herrscht. Ich sehe in der stetig zunehmenden Geschwindigkeit einen von mehreren Sargnägeln der Zivilisation. Sich seiner Handlungen bewusst zu sein, sich selbst zu sehen und einordnen zu können, sind unabdingbare Voraussetzungen des Einzelnen, um Mensch zu sein. Viele Einzelne bilden dann eine Gesellschaft, in der Vernunft, Verstand, Kooperation, Kommunikation, Bewusstsein, verantwortliches Handeln, einander ergänzen und erzeugen, was als Kultur und Zivilisation bezeichnet wird. Eine funktionierende Menge an Individuen, die nach funktionalen Regeln zuverlässig, produktiv, zusammen agieren, erinnert mich eher an einen Insektenstaat. Zumindest für mich selbst, strebe ich jeden Tag an, ein wenig mehr Tempo herauszunehmen. Einfach ist das nicht, da ich mich leider immer wieder in einem Kontext bewege, innerhalb dessen mir anderes aufgedrückt wird. Aber es ist besser geworden.



29 Januar 2021

Buch, BLOG – Web – Book

Lesedauer 2 Minuten

Seit meiner Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn plante ich ein Buch zu schreiben. Tatsächlich kamen zwei Skripte zusammen. Beide verwarf ich wieder. Ich traf mich mit Autoren, die erfolgreich Bücher veröffentlichten. Sie rieten mir, mich an Büchern im Handel zu orientieren. Es gab auch Aufforderungen meine Vergangenheit zu benutzen. Terror, Verdeckte Ermittlungen, Spezialeinheit, dies wäre doch interessant. Im ehemaligen Umfeld hofften einige auf den “Round-a-House-Kick” durch die Behörde. Ich habe über mich gelernt, dass das nicht mein Ding ist. Kritik, durchaus, aber nicht im Sinne eines sinnlosen Wütens.

Die Sparte Fiktion, Romane, liegt mir nicht. Genauso wenig, wie die Abteilung Humor. Jedenfalls noch nicht. Ich wurde auch gefragt, ob ich mir vorstellen könne, meine Erfahrungen rund um die Themen Burnout, Depressionen, die Rolle von Führungskräften mit meinen anderen Skills zu verbinden. Dazu kann ich sagen, dass ich eben aus diesem Grunde die Finger davon lasse andere in ihrer Lebensführung zu beraten. Es ist grundfalsch seine Erfahrungen auf jemanden zu übertragen. Es gibt einen möglichen Weg hinaus. Er sieht ein wenig aus, wie einer dieser alten Fitnesspfade durch den Wald, wo man an mehreren Stationen Übungen machen muss. Nur das dieser Weg Stationen hat, wo es Informationstafeln gibt, Passanten auf Bänken sitzen, mit denen Gespräche möglich sind und andere Stopps, an denen einem Frage gestellt werden. Dann folgen längere Strecken, auf denen Gelegenheit besteht, sich diese Fragen zu beantworten.

Ich selbst hab am meisten durch das Beobachten von Menschen gelernt. Eine wesentliche Erkenntnis. Nach dem Ausscheiden aus der Polizei war für mich zunächst alles Vergangene ein Tabu – Thema. Bis ich mich darauf besann, zwischen durchaus gutem Erlernten und fehlgeleiteten Denken zu unterscheiden. Über 20 Jahre lang Menschen in allen erdenklichen Lebenslagen zu beobachten, unsichtbar zu werden, sich anzupassen, legt man nicht wie eine alte Jacke ab. Fraglich ist, was man aus dem Gesehenen macht.

Bis zum Ausbruch der Pandemie bin ich gereist. Ich traf Leute aus Ländern von anderen Kontinenten, erfuhr von Biografien und Lebensmodellen, die mir bisher fremd waren, erkannte Unterschiede und machte mir meine Gedanken hierzu. Oder um im Bild zu bleiben: Ich absolvierte eine Station nach der anderen. Mehr Worte will ich dazu gar nicht verlieren. Das “Web – Book” hat ein Vorwort, in dem ich noch einiges hierzu voranschicke.

Die Bezeichnung Web – Book ist eine Eigenkreation, die sich in einem Gespräch in einem Hostel ergab. Ich sinnierte mit einigen darüber, wie sich das Lesen von Büchern verändert hat. Die meisten Hostels verfügen über eine kleine Bibliothek. Kaum ein Backpacker oder Reisender packt sich schwere Bücher ins Gepäck. Eine andere Option sind E-Books. Doch wenn ein Autor schon die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, warum dann nicht konsequent? Die Zeiten der begrenzten Netzabdeckung und horrenden Kosten für einen mobilen Datentransfer sind außerhalb von Deutschland vorbei. Ein BLOG oder ein Web – Book, in dem eine fortlaufende Geschichte, interaktiv und dynamisch, mit Einbettung von Musik, Bildern, Links, Tweets und vieles mehr, erzählt werden kann, erscheint mir eine logische Entwicklung.

Alles Weitere im Vorwort …. 

22 November 2019

Im Wendekreis des Zwiebelfisches

Lesedauer < 1 Minute

Teil I meines Buchprojekts ist abgeschlossen. Das vorläufige Manuskript steht. Immer wieder neu auf eine Fehlersuche zu gehen, bringt nichts mehr. Ich habe mein “Baby” ein paar Leuten zum Lesen gegeben und erwarte von denen noch ein Feedback. Danach werde ich auf die hoffnungsvolle Suche nach einem Lektorat und einem Verlag gehen. Wer etwas passendes kennt, darf sich gern – bitte – bei mir melden.

Vorab stelle ich den vorläufigen Prolog online, der eine Auskunft gibt, worum es geht. Ich ziehe nach dreissig Jahren Kriminalpolizei aus mehreren Perspektiven Bilanz. Darüber hinaus beschreibe ich, wie ich nach diesen Jahren, als gelernter Polizist, die Welt, die Gesellschaft und den weitere Werdegang von beiden einschätze. Für die berühmten Zeilen dazwischen habe ich mir das Ziel gesetzt, einen Einblick in das Innenleben eines Berliner Kriminalbeamten im Jahr 2019 zu geben. Mir geht es dabei weniger um die Auffassungen, sondern mehr um die Tatsache, dass bei der Polizei durchaus nachgedacht wird. Weit über die üblichen Klischees hinaus.

Wer meinen BLOG schon ein paar Male besucht hat, weiß um mein Fremdschämen, wenn sich Polizisten in merkwürdige politische Law & Order Positionen hinein begegeben, stets neue Gesetze, Techniken und Überwachungen einfordern. Eins kann ich vorab kund tun: Es sind keine Interna zu erwarten, die unbefugte Personen unnötig schlau werden lassen oder Anlass für neugierige Fragen geben könnten. Solche Aktionen überlasse ich Ausschüssen, Gewerkschaftlern und Personalräten. Dennoch gehe ich auf Dinge ein, die bereits an unterschiedlichsten Stellen beschrieben wurden. Da ich aber viele Hintergründe kenne, habe ich eigene Interpretationen. So genug der Ankündigungen von dem, was alles noch nicht online ist. Ich lasse lieber meine Worte sprechen.

Bereits beim Prolog bin ich für jeden Kommentar und kritische Auseinandersetzung offen. Denn hierfür habe ich dieses Buch geschrieben. Wie es weiter geht, wird sich noch zeigen.

zum Prolog =>

11 November 2019

Der schwarze Hund

Lesedauer 8 Minuten

Bei Twitter verfolge ich in letzter Zeit einen ermutigenden Trend. Menschen outen sich und sprechen offen über das Thema Depressionen. Neben ADS/ADHS, Hochsensibilität und einigen sexuellen Ausrichtungen eine der für mich am schwerst zu begreifenden Erscheinungsformen der menschlichen Psyche. Es gab sie schon immer, doch gerade innerhalb unserer Vorstellungen eines zur Gesellschaft konformen Lebens, wurden sie und der offene Umgang damit stets tabuisiert. Besonders mit der Einsortierung als Krankheit tue ich mich schwer. Wobei dies stark davon abhängt, wie man Krankheit definiert.


Wichtig!

Ich betone an dieser Stelle, dass ich weder ein Profi, noch ein Coach bin.
Sollte jemand im folgenden Text etwas entdecken, womit sie oder er sich identifizieren kann, rate ich dazu, sich einen professionellen Rat bei einem FACHARZT einzuholen. LEBENSBERATER, HOMÖOPATHEN mit PSYCHOLOGISCHER BERATUNG o.ä. Personen sind keine Ratgeber und machen unter Umständen alles noch schlimmer. Der Begriff Berater ist nicht geschützt und jeder Quacksalber kann sich ein Schild erstellen lassen.

Ich veröffentliche diesen Text als Botschaft für Betroffene: Du bist nicht allein! Du bist nicht falsch! Du hast nichts falsch gemacht!


Depression hat im Deutschen die äußerst missliche Konnotation mit unglücklich sein. Damit hat es wahrlich wenig zu tun. Die allgemeinen Beschreibungen machen es nicht besser. Ich würde Depressionen am ehesten mit: “Jemand hat den Stecker herausgezogen” umschreiben. Du weißt, dass Du dieses oder jenes tun solltest, aber irgendeine innere Instanz, die den notwendigen Impuls auslösen sollte, funktioniert einfach nicht. In unser Gesellschaft liegt der Schwerpunkt bei Aufgabenerfüllung, Leistung, Pflichterfüllung, Ordnung, Arbeit, Produktivität und ähnlichen Aspekten. Wer dies nicht tut, hat nach allgemeiner Vorstellung nicht gelernt, seinen inneren Schweinehund zu überwinden oder ist schlicht faul. Depressionen ereilen aber häufig genau die Menschen, die über Jahre hinweg äußerst diszipliniert, strebsam und leistungsorientiert lebten. Bis zu dem Augenblick, an dem ein Schalter umgelegt wurde. Ein alter Schulfreund meinte letztens: “Dann sitzt Du vor dem Bildschirm und plötzlich weißt Du nicht mehr, wie Du weiter machen sollst. Es fehlt einfach an allem. Aufstehen? Sitzen bleiben? Du schaust auf die Zahlen, Tabellen, den Text, und erkennst davon einfach nichts mehr, noch weniger kannst Du etwas damit anfangen.

Depressionen sind die direkte Fahrkarte in einen Teufelskreis. Der Betroffene rafft sich mühsam auf, mit äußerster Konzentration einige Formulare einer Versicherung, eines Bankinstituts oder einer Behörde auszufüllen, und bekommt diese prompt mit dem Hinweis auf eine schwachsinnige Formalität zurückgesandt. Einmal, zweimal, und eines Tages öffnet sie oder er die Post nicht mehr, was weitere Konsequenzen nach sich zieht. Innerhalb unseres Systems ein schwerer Fehler, der u.a. in Obdachlosigkeit, unverschuldete Finanznöte und ähnliche persönliche Katastrophen führen kann. Obwohl nahezu jeder weiß, dass unser Lebensalltag wenig mit dem zu tun hat, wofür der Mensch konstruiert wurde, akzeptieren wir nicht die Kapitulation der inneren Systeme. Der Mensch hat in unserer Gesellschaft die Option, sich quasi selbst reduzierend dem Leben anzupassen und das Inhumane still leidend, als unveränderbare Lebensrealität hinzunehmen oder sich innerlich daran zu reiben. Bereits der morgendliche Berufsverkehr hat nichts mit dem zu tun, wofür der Mensch evolutionär prädisponiert ist. Noch weniger hat die Distanz zwischen dem Hergestellten und der eigenen Leistung eine Verbindung zu unserer Natur. So engagiert sich der Einzelne bemüht, gegen seine menschliche Natur anzukommen, am Ende wird er irgendwie scheitern. Die Strategien sind mannigfaltig. Medikamente, Substanzmissbrauch, Verblödung über Konsum, Ablenkung in Fitnessstudios, Körpermodifikationen, Hingabe in die Verblödung, Religiöser Fanatismus, Ausleben von Aggressionen, Rückzug, Frustration oder eben die Depression.

Insofern habe ich ein Problem mit der Bezeichnung Krankheit. Ich selbst ersehe Depressionen als einen natürlichen vorgesehenen Abwehrmechanismus, wie den Fluchtreiz oder das Fieber zur Abwehr einer schädlichen Infektion. Grundsätzlich habe ich einen gesunden Menschen vor mir, wenn er wenigstens noch dazu in der Lage ist, mit Depressionen zu reagieren. Bei diesen Menschen hat das Abriegeln des Geistes noch funktioniert. Auf jeden Fall ist für mich richtungsweisend, dass die Depression eine Reaktion auf etwas ist. Wenn ich auf etwas reagiere, kann ich auf Spurensuche gehen, worauf sich die Reaktion bezieht! Das ist wichtig. Gegen die Depression an sich, hilft dies nicht, aber es eröffnet einen Lebensweg, der die bedingenden Einflüsse reduziert oder völlig in die Vergangenheit verweist. Ohne Hilfe ist dieser Weg nicht zu finden. Aus dem gleichen Grund, wie der Dumme nicht erkennen kann, einer zu sein. Ich glaube, einer der entscheidendsten Grundsätze ist das Erkennen der Reaktion, somit der eigenen Verhaltensmuster, auf die Umwelt. Die Realität ist, wie sie ist. Die Welt ist das Abbild, was der Mensch in seinem Kopf aus einer selektiven Wahrnehmung heraus, in seinem Geist erzeugt. Nicht die anderen, machen etwas mit einem, sondern man selbst lässt es zu! Wer Depressionen hat, fehlt die Kraft und die notwendige Struktur, die Verhaltensmuster und das daraus resultierende Umfeld zu analysieren.
Ein zentraler Faktor ist die Tatsache, dass sich die überwiegende Zahl der Menschen in einem beruflichen Umfeld befinden, welches sich schwer verändern oder gar wechseln lässt. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber es sollte eins sein. Die gesellschaftlichen Vorgaben erfordern eine Normierung des Menschen. Anders lassen sich diverse Arbeitsprozesse nicht regeln. Und jeder wird für sich alleine entscheiden müssen, wie gut oder schlecht er damit klarkommt.

Bezüglich der Arbeitszeiten wird seitens der EU beispielsweise vorgeschrieben[1]https://www.eu-info.de/europa-punkt/politikbereiche/arbeitszeit/

/dass einem Arbeitnehmer je 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden zusteht
/nach sechs Stunden eine Pause gewährt werden muss
/je Siebentageszeitraum ein freier Tag (genau 24 Stunden) vorgesehen ist
/die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschritten wird
/ein bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen gewährt wird

An der Stelle beginnt das medizinische Personal eines Krankenhauses, die Belegschaft einer Pflegeeinrichtung, ein Polizist, Soldat im Einsatz oder auch Feuerwehrbediensteter lauthals zu lachen. Schlicht, weil es mal wieder Ausnahmeregelungen gibt:

/Arbeitnehmer, die in Verkehrsmitteln tätig sind oder auf Offshore-Anlagen arbeiten
/Wach- und Schließdienste, bei denen es darum geht, den Schutz von Sachen oder Personen zu gewährleisten
/Tätigkeiten, die nicht aufgeschoben werden können, z. B. Pflegedienste von Krankenhäusern, landwirtschaftliche Tätigkeiten oder Presse- und Informationsdienste
/Arbeitnehmer bei vorhersehbarem übermäßigem Arbeitsanfalls, insbesondere in der Landwirtschaft, im Fremdenverkehr oder im Postdienst, sowie bei der Eisenbahn
/und nicht explizit aufgeführt: Alles, was irgendwie mit der Sicherheit und Bestand des Staats zu tun hat.

Zur Physiologie unpassende Arbeitszeiten, Schichtdienst, Druck, unsinnige Hektik, Stressfaktoren u.s.w.., sind in diversen Berufen fester Bestandteil des Arbeitsgeschehens. Doch egal wie es gedreht wird, der Mensch ist auf Dauer dafür nicht geeignet. Genau so wenig, wie er nicht für den Untertagebau, die Arbeit in biologisch -, chemisch -, strahlungsbelasteten Bereichen, das Fließband, usw. geeignet ist. Wir gehen ein Deal ein. Geld gegen Gesundheit! Oftmals wird der Fehler begangen, den Organismus anders zu betrachten, als den Geist. Das eine Strahleneinwirkung, übermäßiges schweres körperliches Arbeiten oder eine Luftverschmutzung auf längere Zeit nicht gut sein kann, sieht jeder ein. Die schädliche Wirkung von stupider eintöniger Arbeit, des Gegenteils, die permanente geistige Höchstleistung, soziale Anfeindungen, Ohnmacht in Hierarchien, die Förderung von dissozialen Persönlichkeitsstrukturen, als optimale Eliteeigenschaft, auf den Geist wird vernachlässigt bzw. gar nicht erst gesehen. Die Einheit zwischen Körper und Geist, die sich jeweils gegenseitig bedingen, wird ignoriert.

Dabei ist in der Medizin längst bekannt, dass der Körper jedes psychologisch relevante Ereignis quasi speichert. Ebenso sind die neurologischen Auswirkungen im Gehirn bekannt. Die Schaltzentrale Gehirn wird schlicht und ergreifend über Jahre hinweg falsch verkabelt, bis nichts mehr geht. Neurologen können diese Fehlschaltungen heutzutage mittels Gehirnscans nachweisen. Die Depression ist eben nicht eine mittels Veränderung des Denkens oder Lebenseinstellung veränderbare Reaktion des Organismus, sondern ein erreichter manifestierter Zustand. Niemand kommt bei einem Knochenbruch auf die Idee, dem Verletzten eine andere Sichtweise vorzuschlagen. Selbstverständlich kann auf die Spurensuche gegangen werden, wie es zum Bruch kam. Bei Glatteis mit dem Fahrrad zu fahren ist in der Regel keine gute Idee und man sollte es künftig unterlassen, aber erst einmal muss gerichtet und geschient werden. Niemand kann erwarten, dass der Verletzte ohne Behandlung nach drei Tagen Entspannung wieder zur Arbeit kommt.
Würde die berühmt berüchtigte Marktwirtschaft funktionieren, wäre dies der Augenblick den Taschenrechner anzuschalten. Wenn ich ein Arbeitsumfeld gestalte, welches Depressionen begünstigt, fällt der Beschäftigte über eine lange Zeit aus und verursacht überall Kosten: Im Betrieb, im Gesundheitssystem, in der Gesellschaft allgemein. Seltsamerweise reagiert da in diversen Arbeitsbereichen niemand. Genau genommen, müsste der Ansatz schon viel früher beginnen. Nämlich bei der Wertevermittlung in der Schule. Dort könnte den zukünftigen Arbeitnehmern und Dienstleistern ein gesundes Verhältnis zwischen Konsumbedürfnis, Leistungsanspruch, Selbstdisziplin, gesunder und notwendiger Egoismus, Sozialverhalten und ein Verständnis für den ursprünglichen Sinn von Arbeit vermittelt werden.

Arbeit ist an sich nichts Negatives, sondern der natürliche Schaffungstrieb eines Menschen, mit dem er zum einen sein Lebensumfeld gestaltet und zum anderen die Voraussetzungen für ein Überleben erzeugt. Essen, Trinken, sichere Unterkunft, Befriedigung des Sexualtriebs und die Anerkennung der eigenen Existenz durch andere Menschen. Die modernen Arbeitsverhältnisse lassen oftmals weder eine Gestaltung, noch eine Einsicht in das Erschaffene zu. Von einer Befriedigung der Bedürfnisse kann gar nicht die Rede sein, da rund um die Uhr von fremder Seite her, neue erzeugt werden.
In dieses System passt ein nicht mehr wie vorgesehen funktionierender Mensch schwerlich hinein. Es ist üblich, unproduktive Menschen mit negativen Begriffen zu belegen, sie zu diffamieren oder auszugrenzen. Entweder unmittelbar oder auf dem Umweg der Negierung. Seitens Politiker wird gern der Begriff Leistungsträger verwendet. So einer zu werden, soll erstrebenswert sein und ist förderungswürdig. Damit ist jeder, der kein Leistungsträger ist, minderwertig und eben nicht einer Unterstützung würdig. In den USA wird bei Prozessen, in denen es um tödliche Unfälle geht, eiskalt der Wert eines Menschen berechnet. Zur Ermittlung der Entschädigungssumme für die Angehörigen wird der Jahresverdienst mit der durchschnittlich zu erwartenden Lebensleistungszeit multipliziert. Kinder, Gebrechliche und Rentenbezieher sind quasi wertlos. Viel anderes sieht es bei uns auch nicht aus. Ein in einem Heim untergebrachter Pflegebedürftiger hat den Status eines biologischen Restkapitals, mit dem die Einrichtung einen Profit erzeugen kann. Ansonsten ist sie oder er volkswirtschaftlich eine Nullnummer und wird so auch behandelt.

Damit bekommt die Depression den Schamwert einer Geschlechtskrankheit. Gerade ehemalige so genannte Leistungsträger, die unter Umständen zeitweilig selbst mit dem Finger auf andere zeigten, finden sich in einer Misere wieder. Innerhalb des Systems ist totstellen oder der Rückzug nicht vorgesehen. Das Finanzamt will Auskünfte haben. Die Krankenkasse schickt Formulare zum Ausfüllen. Die Banken haben Fragen. Die GEZ fordert eine Selbstauskunft ein. Zwischen all den Briefen befinden sich zusätzlich Werbung, sinnbefreite Konsumentenangebote, Mitteilungen über Kostenanpassungen und vieles mehr. Wer sich in einer Depression befindet, bekommt diese Dinge kaum oder gar nicht geregelt. Möglicherweise reicht es gerade mal noch für ein Schleppen an den Arbeitsplatz und zurück. Wer Scham empfindet, wird erfinderisch und ist über lange Zeit dazu in der Lage, die Unfähigkeit einen Handlungsimpuls zu entwickeln, zu kaschieren. Paradox ist dabei, dass es dabei sogar zu erheblichen Mehrleistungen im Arbeitsbereich kommen kann. Dort werden einem die Entscheidungen abgenommen oder passende Vorgaben gemacht. Der gefährliche Ort ist das zu Hause. Dort, wo der Betroffene Eigeninitiative aufbringen muss. Hier ist der Zwinger für den bösen schwarzen Hund – wie ihn einst Winston Churchill umschrieb.

Fakt ist: Manch einer bekommt Depressionen und andere nicht. Das von mir hier im BLOG bereits mehrfach angesprochene BURNOUT ist grundsätzlich eine Depression. Manche Zeitgenossen haben den Bogen raus, um mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten oder den beruflichen Anforderungen gut umzugehen. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung eines EGOISMUS. Auch ein Begriff, der vorsätzlich traditionell mit einem negativen Beigeschmack versehen ist. Egoismus wird mit asozial gleichgesetzt. Eine grundsätzlich falsche Annahme. Es geht um das Recht, die eigenen Bedürfnisse und Angelegenheiten für wichtiger zu erachten, als die eines Fremden. Das schließt Handlungen zur Befriedigung der sozialen Bedürfnisse nicht aus, eröffnet aber das Bewahren eigener Rechte, die einem ein anderer nehmen will. Egoismus verträgt sich nicht gut mit dem Anspruch von Firmen, Politik, Institutionen, Religionsgemeinschaften, die eigene Person einem übergeordneten Prinzip unterzuordnen.

Gleichsam gehört dazu die Fähigkeiten des Ablehnens, des Nein – Sagen, der Verweigerung, das Voranstellen des eigenen Wohlbefindens gegenüber den Ansprüchen eines Arbeitgebers und das Aushalten von Unterschieden. Hinzu kommt ein gutes Gespür für berechtigte und unberechtigte Ansprüche, die an einen herangetragen werden. Die Depression ist meiner Beobachtung nach allzu häufig eine Art Abwehr eines psychischen Immunsystems gegen Viren, die genau zu dem oben gelisteten gesunden Persönlichkeitsmerkmalen konträre Informationen und Verhaltensmuster auslösen sollen. Wer die anderen Verhaltensmuster in seiner Grundsozialisation nicht erlernt hat oder im Arbeitsleben mit diesen Viren infiziert wurde, fährt praktisch mit einem Reifen ohne Profil bei Glatteis Fahrrad, und handelt sich den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bein – oder Armbruch ein.
In einem idealen Umfeld reagieren Vorgesetzte, Abteilungs – und Gruppenleiter, Verantwortliche für Arbeitsabläufe, politische Vordenker, verantwortungsvoll, und werden den unvernünftigen Ritt auf dem Glatteis nicht zu lassen. Nun, es gibt dieses Ideal nicht. Am Ende läuft es auf eine Selbstverantwortung hinaus.

Sind die Depressionen da, muss man sich auf eine sehr lange Zeit einstellen. Sie sind hinterhältig und lästig. Aus dem Nichts heraus springen sie einen an, verschwinden eine Zeit lang und kommen dann mal wieder zum “Hallo” sagen vorbei. Ich empfinde sie immer, wie eine Dauerunterzuckerung, die man zunächst selbst gar nicht merkt. Die Nerven liegen blank, die Gelassenheit schwindet, ich beginne anderen gegenüber ungerecht zu werden, alles geht schief und am Ende bekomme ich nichts mehr auf die Reihe, wenn doch, dann mit einem erheblichen von der Ratio gesteuerten Aufwand. Irgendwann ist alles egal und soll doch verdammt nochmal passieren – ich werde es nicht ändern – sollen doch alle machen, was sie wollen. Das Leben, der Tagesablauf, entzieht sich meiner Kontrolle. Manchmal denke ich mir, dass sich Frauen einmal im Monat so fühlen. Dumm ist nur, dass sich eine Depression locker einen Monat und länger festsetzen kann. Dann ist eine kritische Phase erreicht. Zwischendurch hat diesen Zustand jeder, aber die Länge und Intensität ist das Problem.

Wie eingangs erwähnt: Wer sich in diesen Ausführungen wieder erkennt, sollte sich meiner Meinung nach nicht schämen, sondern vielleicht sogar ein wenig stolz auf sich sein, dass sie oder er über ein funktionierendes Immunsystem verfügt, während andere nicht einmal mehr merken, was mit ihnen gemacht wird. Möglicherweise ist es eine Phase im Leben, die einem neue Optionen und Wege eröffnet, die man sich hätte niemals Träumen lassen. Es kann ein danach geben, vor allem, wenn man es nicht selbst künstlich verkürzt.

Bewertung: 5 von 5.
8 August 2018

Burnout Teil III

Lesedauer 14 Minuten

Bevor Sie den letzten Teil der drei BURNOUT Beiträge lesen, habe ich einige Fragen. Kennen Sie Bob Ross? Haben Sie bereits mehr als drei nächtlich ausgestrahlte Folgen Medical Detektivs gesehen? Sind Sie schon einmal bei einer Folge einer Serie im Sessel eingeschlafen und an der passenden Stelle der Wiederholung wach geworden? Liegt die letzte Leerung ihres Briefkastens mindestens drei Tag zurück? Haben Sie in den letzten Tagen, vor einer neuen Bierbestellung ausgerechnet, wie viele Stunden bis zum nächsten Dienstantritt sind? Liegen in der Wohnung mehr als drei ungeöffnete Briefe herum? Sind sie krank geschrieben?

Sollten Sie mit diesen Fragen etwas anfangen können, würde ich mich darüber freuen wenn Sie weiterlesen. Machen wir uns nichts vor: Die Zeit dazu haben Sie. Allen anderen wird der Beitrag vermutlich zu lang werden bzw. das Interesse fehlen.

Einer der miesesten Dinge bei einem BURNOUT ist der Begriff selbst und wie bereits in den anderen Teilen erläutert, die damit einhergehende Bezeichnung Krankheit. Wer sich in dieser Lebenslage befindet, kennt Krankheiten in Form von grippalen Infekten, Verletzungen, Zahnschmerzen pp.. Die anderen Sachen sind falscher Lebenswandel, Unvermögen, Urlaubsreife, kurzfristige Stressbelastungen, mangelnde Selbstkontrolle usw. Deshalb nannte ich es in TEIL I – II gesundes NOTLAUFPROGRAMM zum Schutz vor schlimmeren Folgen. BURNOUT ist eine lächerliche Bezeichnung, die von modernen Weicheiern erfunden wurde. Frei nach dem Motto: Irgendetwas muss ja auf dem Zettel stehen. So jedenfalls der allgemeine Tenor in Arbeitsbereichen, in denen es genau dazu kommt. Tatsächlich wird jeder im Berufsleben Stehende beim Lesen der Ankreuzteste einige Treffer haben.
Einige ziehen sich auch gern darauf zurück, dass es das früher schließlich auch nicht gegeben habe. Die Generationen davor haben einfach gearbeitet.

Ist das so? Ich sehe dies ein wenig anders. Die Durchhalteparolen der sogenannten Nachkriegsgenerationen sprechen dagegen. Durchhalten ist nicht zwingend Leben. Bereits der Römer Seneca kritisierte vor 2000 Jahren, dass die Mitbürger ihr Leben auf eine Zeit nach dem Arbeitsleben verschieben würden, ohne zu wissen, ob sie dieses Alter überhaupt erreichen würden. Wir leben schon seit geraumer Zeit in einem Umfeld, in dem eine andere Sicht auf das Leben für einige Wirtschaftsbereiche erhebliche finanzielle Verluste einbringen würde. Zu weit in die Vergangenheit zu schauen bringt glaube ich wenig. Ich beschränke mich auf das 1965 erschienene Lied: Mother Little Helper der Rolling Stones. Zumindest damals scheint schon einiges aus dem Ruder gelaufen zu sein.

Man kann sich trefflich streiten, wie ein erfülltes, gesundes, selbst bestimmtes Leben aussieht. Wer mit den eingehenden Fragen etwas anfangen kann, wird mir zustimmen, dass es so jedenfalls nicht aussieht. Ich selbst habe mir eine morbide klingende Regel zu eigen gemacht. Ich frage mich, ob das was ich gerade tue auch seine Berechtigung hätte, wenn ich wüsste, dass ich in den nächsten zwei Tagen sterbe. Anders: Ich habe den Tod zu meinem besten Ratgeber gemacht.

Vor einem Jahr habe ich  mir ein Experiment vorgestellt. Drei Probanden wird die Aufgabe gegeben, mittels eines durch Muskelkraft angetriebenen Generators eine lebenserhaltene Maschine mit Strom zu versorgen. Von der Maschine ist ein Patient abhängig. Im Wechsel von drei Schichten treten die Probanden in die Pedale und produzieren Strom. Jeweils nach einer Woche wird einer abgezogen, so dass nach zwei Wochen nur noch einer 24 Stunden lang treten muss, um den Patienten am Leben zu erhalten.

Dem letzten Probanden wird nach einiger Zeit bewusst, in welchen Dilemma er sich befindet. Hört er auf zu treten, stirbt der Patient. Letztlich ist aber auch klar, dass er die Nummer nicht auf ewig durchhält. Egal, wie es läuft, am Ende fühlt er sich schuldig. Er sitzt in der Falle. Entweder er steigt ab, weil er sein eigenes Leben voran stellt oder seine Kräfte versagen. 

Ich versuchte mit diesem fiktiven Experiment für mich selbst zu ergründen, wieso man nicht einfach geht und den ganzen Kram anderen überlässt. Warum überträgt der letzte Proband nicht die Verantwortung auf den Konstrukteur, der wissen müsste, dass der Patient nach Abzug der beiden anderen irgendwann sterben wird? Schließlich könnte er jederzeit mit der Begründung absteigen, dass das weitere Geschehen nicht in seiner Verantwortung liegt, sondern sich die Konstrukteure etwas einfallen lassen müssen.
Das alltägliche Geschehen um mich herum sieht für mich nicht viel anders aus. Da gibt es eine Gemeinschaft von Bürgern die verschiedenen Berufsgruppen sagt, dass von ihnen der Fortbestand der Gesellschaft abhängig ist. Krankenpflegern, Sozialarbeiter, Feuerwehrleute, Assistenz – Ärzten werden auf den Generator gesetzt, und jeden Tag machen wegen Sparmaßnahmen weniger den Job. Das eingesparte Geld versickert durch merkwürdige Lecks, wie zum Beispiel dem BER. Dieses sich gut oder schlecht fühlen kommt nicht von irgendwo her. Es gibt Gründe für die negative Bewertung des Absteigens. Komischerweise stellt man sich nicht die Frage, warum man nicht das eigene Leben höher bewertet, als das der anderen.

Auf der Suche nach den Gründen, musste ich an das den meisten bekannte Milgram Experiment denken. Ich finde, am nachdrücklichsten wurde es im Film I – wie Ikarus dargestellt. Ein Sonderermittler geht den wahren Hintergründen eines Attentats auf die Spur. Bei den Ermittlungen landet er auch in einem Institut, in dem psychologische Experimente durchgeführt werden. Er wird Zeuge eines dieser Experimente. Probanden, die zum Lehrer ernannt werden, sollen Schülern Verbindungen zwischen Bildern und Begriffen beibringen. Gibt der Schüler eine falsche Antwort, wird der Lehrer aufgefordert einen Stromschlag zu geben. Ohne seine Kenntnis, handelt es sich bei den Schülern um Schauspieler, die die Schmerzen simulieren. Die Stromschläge sind gestaffelt bis zur letalen Dosis. Soweit ist es sicherlich fast allen bekannt.

Im Film (Experiment bei 1:32) interveniert der Sonderermittler kurz vor der letalen Dosis, woraufhin er in den Versuchsaufbau eingewiesen wird. In einem folgenden Gespräch bringt er seine Fassungslosigkeit zum Ausdruck, dass die Lehrer bis zur letalen Dosis gehen wollten. Der Leiter des Instituts fragt ihn hingegen, warum der Ermittler erst zu einem derart späten Stadium eingriff. 
Das Experiment aus dem Jahr 1961 wurde mehrfach ausgewertet. Gängig ist die Interpretation, dass die Lehrer sich den anwesenden Versuchsleitern gegenüber verpflichtet fühlten, die als “Götter in weißen Kitteln” , eine übergeordnete Autorität einnahmen.

Später wurde das Experiment nochmals ein wenig abweichend interpretiert. Die Versuchsleiter repräsentierten ein höheres Gut: die Wissenschaft. Damit hätten die Lehrer weniger wegen der Autorität gehandelt, sondern sahen sich etwas Übergeordneten verpflichtet. Frei nach der Feststellung von Aristoteles: Das Ganze (im vorliegenden Fall das Höhere) ist mehr als die Summe seiner Teile.

Meiner Kenntnis nach, wurde der Begriff Burnout von Ärzten geprägt, die bei Patienten aus sozialen Berufen ähnliche Symptome beobachteten. Ich mache mir meinen eigenen Reim darauf. Eine Freundin von mir hat es meiner Auffassung nach auf den Punkt gebracht:

“Menschen in gesellschaftlichen Berufen haben einen Knopf für ein empathisches Programm. Jeden Tag wird der auf ein Neues gedrückt, bis er defekt ist.”
E., Sozialpädagogin

Zur Empathie kommen noch die “Strokes” (Streicheleinheiten) hinzu, die man sich in diesen Berufen holen kann. Ich persönlich halte Altruismus für eine Lüge. Menschen handeln immer mit einem Motiv, und wenn sie sich nur durch die gegebene Hilfe besser fühlen wollen. In meinem Beispiel befindet sich der Proband anfangs in der Situation etwas Gutes zu tun, welches ihm ein positives Gefühl gibt. Nicht mehr aufhören zu können und aus seiner Perspektive für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, macht ihn fertig.
Er wird bis zum bitteren Ende alles geben. Immerhin kann er dann noch behaupten, alles einem Menschen Mögliche getan zu haben. Leider ist er objektiv betrachtet ebenfalls zum Patienten geworden, der nichts vernünftiges mehr auf die Reihe bekommt. Die Lebenserfahrung sagt uns, dass der Patient nicht sterben wird, weil die Erfinder des Systems an der nächsten Ecke einen anderen Dummen finden.

Aus einer mittlerweile größeren Zahl von Gesprächen heraus habe ich entnommen, dass nahezu jeder, der in der Falle landete, über begünstigende Verhaltensmuster verfügte.

Alle hatten etwas mit Anerkennung, ursprünglichen Glauben an Idealen und Überzeugung vom Ganzen zu tun.
Mich selbst habe ich mehrfach gefragt, warum ich mich nicht an Henry Miller orientierte. Der betrachtete ein glückliches Ego als infizierend für andere. Er leitete daraus ab, dass alle erst einmal für sich selbst sorgen sollten, dann wäre die Folgewirkung auf alle betrachtet wirksamer, als wenn man ständig versuchen würde, anderen zu helfen. Entscheidend ist auf jeden Fall ein Überdenken der eigenen Verhaltensmuster. Denn immerhin haben sie sich schädigend ausgewirkt.

Wer aus einem BURNOUT eine Chance machen will, muss UMDENKEN, NACHDENKEN und nochmals ÜBERDENKEN. Von Kindheit an, werden uns Programme implementiert. Geboren werden wir mit dem riesigen Potenzial eines Menschen. Erziehung, Sozialisierung, berufliche Prägung, führen zur Eingrenzung. Jegliche vermeintlich eigene Erkenntnis und Maxime muss auf den Prüfstein gelegt werden. Was ist wirklich meins und was ist das Ergebnis von Manipulationen?

Wie äußert sich ein Burnout?

Soviel ich weiß, gibt es wie immer keine Standards. Für mich ist das Schreiben darüber eine sehr prekäre Angelegenheit, der ich mich aber stelle. Dafür habe ich individuelle Gründe. Mein Weg der letzten drei Jahre brachte mich mit Menschen zusammen, die an der gleichen Station strandeten.

Ich stellte bei mir selbst und bei den anderen ein auffälliges Desinteresse am Leben von Mitmenschen fest. Wer sein eigenes Leben kaum noch geregelt bekommt, entwickelt logischerweise ein Desinteresse. Beruflich fällt dieses weniger auf, im Privatleben ist das eher kontraproduktiv.

Es kommt ständig zu Fehlern, die oftmals etwas mit Gedächtnisleistungen zu tun haben. Zum Beispiel ist ein Polizist ohne ein halbwegs funktionierendes Kurzzeitgedächtnis ziemlich aufgeschmissen. Das kann soweit gehen, dass nach wenigen Schritten nicht mehr erinnerlich ist, warum man eigentlich losgelaufen ist. Physiologisch ist es noch da, nur wird es nicht benutzt, da der gegenwärtige Augenblick quasi nicht mehr existiert.

Entweder drehen sich die Gedanken um die Vergangenheit oder man denkt bereits an die nächsten Aufgaben. Am ehesten lässt sich das mit einer schnellen Autobahnfahrt vergleichen. Alles was auf gleicher Höhe passiert ist uninteressant. 50 Meter voraus ist wichtig und eventuell bestehen noch Erinnerungen an das Geschehen bei der Abfahrt. Im Umfeld führt dies zur berechtigten Kritik.  Die Leute um einen herum interpretieren das als Schusseligkeit oder “Verpeilt” sein.

Nach dem Dienst ist nur noch die Zeit vor dem Dienst. In der Zwischenzeit passiert nicht sonderlich viel Erwähnenswertes. Die Betroffenen stürzen sich lieber noch mehr in die Arbeit, anstatt sich dem meist bereits desolaten Privatleben zu widmen, welches von Konfrontationen an allen Fronten geprägt ist. Was will man dort, wenn es ohnehin nur Stress gibt?

In den vergangenen drei Jahren habe ich von zwei aus Afghanistan zurückkehrenden Soldaten (einer mit Gefechtserfahrung) und zwei ehemaligen Kollegen erfahren , dass sie einen Moment erlebten, in dem sich alles zuspitzte. Wer sein gesamtes Leben auf den Beruf ausgerichtet hat und sich komplett dem Direktiv des Arbeitslebens unterworfen hat, besitzt keine Kapazitäten für sein restliches Leben.
Polizisten und Soldaten wähnen sich in diesem Augenblick in der Rolle des von der Gesellschaft Ausgebeuteten, der ein Anrecht auf eine Gegenleistung für die erbrachten Opfer hat.
Nun, unser System funktioniert ein wenig anders. Jeder von uns ist eingebunden, und man kann sich dem nicht einfach entziehen. Finanzämter, Gebühreneinzugszentralen, Versicherungen, Ärzte, Dienstleister, Personalstellen, öffentliche Einrichtungen kennen wenig Erbarmen mit Menschen, die abtauchen und nicht mehr die Kraft aufbringen, lästige und bisweilen vollkommen unsinnige Nachfragen zu beantworten.
Jeder kann sich in einer solchen Lage glücklich schätzen, wenn er einen Lebenspartner hat, der das abfängt. Bei den genannten Fällen, war der längst weg. Kommt dann noch ein minimales Ereignis hinzu, wird es zum  berühmten Tropfen auf das volle Fass.
Der Betroffene fällt in eine tiefe schwarze Leere.

Alter, ich kam zurück von der Mission und da war nichts mehr. Selbst die Kohle war schnell weg. Ich stand auf dieser Scheiß Brücke. Wär kein Berufsverkehr gewesen, wäre ich gesprungen.

Olaf, Bundeswehrsoldat, 29 Jahre

Hinzu kommt bei vielen eine latente Scham, nichts mehr leisten zu können. Was man aus diesen Tag macht, ist der alles entscheidende Faktor für das Leben danach – und es kann im Anschluss ein deutlich Schöneres geben.

Ich schreibe hier über Leute, die sich ehemals in der Bezeichnung Leistungsträger sonnten. Die meisten Polizisten, die ich kenne, leben in der Illusion, ein anständiges Leben unter Beachtung der gesellschaftlichen Regeln zu führen. (Bei Lehrern ist das ähnlich. Die einen sollen Regeln durchsetzen und Verstöße ahnden, die anderen vermitteln sie und versuchen ein Verständnis dafür zu erzeugen.)

Wenn die bei der Scheidung alles der Alten zu schreiben und es so sein soll, dass ein Hauptkommissar kein Geld mehr hat … Bitte, dann werden wir mal sehen, ob sich als Gut erweist. Wenn ich in einer 200 EUR Buchte in Neukölln wohne, brauche ich kein Schloss mehr einzubauen. Dann brauchen die Penner wenigstens nicht die Tür einzutreten.

Karsten, PHK, 53 Jahre

Trölle, die haben uns verarscht. Es war alles nur eine riesige Verarsche. Was ich Ihnen aber richtig übel nehme, ist die Sauferei, die sie mir beigebracht haben.

Martin, PHM, ehemaliger Schießtrainer, 53 Jahre

Die strikte Regelkonformität, die unter Umständen Teil des problematischen Verhaltensmusters war, funktioniert aber nicht mehr. Regeln sind bei einem Polizisten ein völlig anderes Thema, wie bei anderen Berufsgruppen. Für fast alles gibt es eine Geschäftsanweisung. Eine der ersten Dinge, die ein Berufsanfänger lernt, ist das “Arsch an die Wand schreiben”, weil der normale Mensch diese nicht alle befolgen kann.

Burnout ist nicht ein Symptom, sondern ein Syndrom. Kraftlosigkeit, Stimmungsschwankungen, Aggressionen, Frustrationen, Depressionen, Traumatisierungen, psychosomatische Reaktionen, Schlafstörungen, durch Schichtdienst zerstörter Bio – Rhythmus, Anpassungsstörungen, Panikattacken, Veränderungen in den Gehirnstrukturen, erworbene bedingte Konditionierungen, die unkontrolliertes Verhalten auslösen, ergänzen sich zu einem ganzen Paket. Von den meisten Veränderungen merkt der Betroffene als Letzter etwas.
Gut wäre es, wenn Vorgesetzte dies bemerken. Ohne Groll möchte ich hier anmerken, dass da einiges in die falsche Richtung geht. Wie lange wurde im Führungswesen gebraucht, bis man feststellte, dass oftmals die dauerhafte Anwesenheit eines Mitarbeiters ein Warnsignal darstellt, während die Abwesenheit durchaus der Hinweis auf ein intaktes Sozialleben sein kann? Unpünktliches Erscheinen zum Dienst, wird eher abgemahnt, denn als Signal erkannt.
Noch heute werden verschuldete Beamte mit einer finanziellen Disziplinarstrafe oben drauf bekommt, statt dass ihm Hilfsangebote unterbreitet werden.

Ich glaube ohnehin daran, dass die Grundeinstellung ein nicht unwesentlicher Punkt beim Thema BURNOUT ist. Kulturell bedingt, wird in Deutschland dem Beschäftigten erst einmal Faulheit, Unwilligkeit und Böswilligkeit unterstellt, der es entgegenzutreten gilt. Es gibt tatsächlich Länder, in denen erst einmal das Gegenteil davon unterstellt wird und beim Auftreten dieser Verhaltensweisen, eine Spurensuche bei den Führungskräften beginnt. Davon sind wir bei uns weit entfernt, zumindest im leicht archaisch veranlagten Öffentlichen Dienst. Die Verwendung von Anglizismen aus der Betriebswirtschaftslehre macht eben noch keine moderne Führungskraft aus.

In nicht wenigen Arbeitsbereichen kann es nur eine vernünftige eigenverantwortliche Reaktion geben: “Sachen packen und verschwinden.” Denn diese Bereiche sind “Allesbrenner“. Sollen sich die Gestalter dieser Arbeitsbereiche doch einen anderen Idioten suchen. Auch hierzu möchte ich ein Beispiel anführen.

In meinem ehemaligen Dienstbereich gibt es ein Dienstzeitenmodell, welches keins im eigentlichen Sinne ist. Es nennt sich “Bedarfsorientierter Dienst”. Der Ursprungsgedanke war gut und richtig. Die Beamten versehen ihren Dienst bei besonderen Einsatzlagen ohne Berücksichtigung normaler Stunden- und Pausenregeln. Gleichzeitig sind sie hochflexibel Einsatzbereit und reagieren innerhalb weniger Stunden auf veränderte Lagesituationen. Wenn danach besondere Ruhephasen zwischen den Einsatzlagen folgen, kann das funktionieren. In einer Zeit, die von Misstrauen und Effizienz – Denken bestimmt ist, kommt es zur Ausnutzung des Beamten. Die Folgen sind verheerend. Früher konnte man jedes Teammitglied unangekündigt mitten in der Nacht anrufen und alle kamen eine Stunde später zur Dienststelle gerast. Die Reihen sind in den vergangenen Jahren verständlicherweise lichter geworden.

Die Ruhephasen werden im Denken der planenden höheren Etagen zu ineffizienten Leerzeiten, die es zu füllen gilt. Durch die Unterlassung einen Schichtdienst einzurichten, werden für den Haushalt ein paar EURO eingespart. Einer seltsamen Logik folgend, betrachten die Entscheidungsgremien diesen Dienst weniger belastend, als den Schichtdienst.
Der Beamte zahlt den Preis, in dem er oder sie vollkommen die Kontrolle über das Leben außerhalb des Dienstes verliert. Wie will man unter diesen Bedingungen in einem Verein mitarbeiten, sich für die Kinder in der Schule engagieren oder einfach mal einen  Tanzkurs mit dem Lebenspartner belegen.

Mein langes Verharren führte dazu, dass ich einen Überblick bezüglich der Entwicklung bekam. Ich möchte an dieser Stelle einen jungen ausgeschiedenen Kollegen zitieren:

Für meinen Teil habe ich zwanzig Jahre lang in einer Situation gearbeitet, in der ich lediglich 8 Stunden im voraus wusste, wann ich am nächsten Tag, inklusive der Wochenenden und Feiertage, arbeiten werde. 
Die europäischen Arbeitszeitregelungen werden dabei auch nicht eingehalten, da sie jede Menge Ausnahmen kennen. Amüsant war das bei einem psychologisch betreuten Bewerbungsverfahren. Ich musste einen Psychotest absolvieren, in dem ich nach meiner Lebensplanung gefragt wurde. Ich antwortete: Es gibt keine. Das zog einige Fragen nach sich. Ich beschrieb daraufhin meinen Alltag.
“Ich gehe nach 8 Stunden in die Dusche. Unter der Dusche erzählt mir ein Kollege, dass ich am nächsten Tag um 07:30 Uhr da sein soll. Auf dem Weg von der Dusche zum Spint hat sich alles wieder geändert. Nun heißt es 15:00 Uhr. Auf dem Weg nach Hause bekomme ich einen Anruf. Jetzt ist von 22:00 Uhr die Rede. Der nächste Tag ist ein Sonntag. Ich brauche sonntags eine halbe Stunde von zu Hause zur Dienststelle. Kurz vor dem Eintreffen bekomme ich einen Anruf, dass sich alles erledigt hat und ich wieder beidrehen kann.” Bitte, wie soll man ein solches Leben planen?

Ich betone: Ich hätte jederzeit gehen können. Da ist der Part der Eigenverantwortlichkeit für sich selbst. Aber ich bin nicht ohne Grund auf das Beispiel mit dem Generator gekommen. Außerdem macht es irgendwann keinen Sinn mehr zu gehen. Nach einigen Jahren hat man sich an dieses Leben gewöhnt und kann gar kein anderes mehr führen.

“Trölle, sie bedienen sich an uns, wie an einer Chipstüte. Wie ein Chips sollen wir nicht denken oder gar reden. Wir sind operative Beamte, aus ihrer Sicht sind wir das Letzte.”

F, 30 Jahre, POM a.D.

In einem zurückliegenden Beitrag über Konflikte in der Berliner Polizei erwähnte ich, dass es bei der Kriminalpolizei niemals um eine echte Bekämpfung, sondern um eine Verwaltung der Kriminalität geht. Es geht gar nicht anders.
Straftaten sind wie Unkraut. Sie werden den Garten niemals mit normalen Mitteln frei bekommen. Wenn Sie das schaffen wollen, brauchen sie Agent Orange oder Roundup. Leider vernichten sie damit alles und stehen am Ende vor einer Steppe. Wer das nicht frühzeitig akzeptiert, legt sich selbst einen gepflasterten Weg zum persönlichen Endpunkt. 

Die wenigsten in der Öffentlichkeit auftretenden “Debattierer” haben eine Vorstellung von Berufskriminellen oder wollen sie öffentlich kundtun. Wie heißt es so schön: Details würden die Öffentlichkeit beunruhigen. Fakt ist, abgehangene Persönlichkeiten aus Ländern, in denen Überleben ein echter Kampf ist, treffen auf eine Gesellschaft, deren Themen Sexismus, Rassismus, Gender – Ausgleich, die sexuellen Eskapaden von temporären Promis, sexuelle Belästigungen pp. sind. Die Lachen sich halb schlapp und ziehen ihr Ding durch. Beispielsweise plant ein russisches Bandenmitglied einen fünfjährigen Gefängnisaufenthalt in einem der reicheren europäischen Länder fest in seine Biografie ein. Das ist eben so. Wir kommen nicht daran vorbei es hinzunehmen. Wir können schlecht Gefängnisse wie ein Zoo gestalten, in dem jeder Gefangene eine Zelle bekommt, wie er es in seinem Heimatland zu erwarten hätte. Wie immer bringt Reichtum auch seine Problematiken mit sich. Der Hartz IV Empfänger in Marzahn muss sich vor diesen Tätern nicht fürchten. Zu ihnen wird er nicht kommen. Dann hätte er auch zu Hause bleiben können. Das ist das Problem der reichen deutschen Gesellschaft. Die Mitglieder wollen protzen, aber nicht den Preis dafür bezahlen. Mein Mitleid hält sich mittlerweile in Grenzen. Ich bedauere nur, dass ich knappe 30 Jahre brauchte, um das zu erkennen.

Jedem der diesen BLOG hier liest und sich in einer ähnlichen Situation befindet, wie ich es hier geschildert habe, möchte ich etwas mit auf den Weg geben. Niemand, der über Jahre hinweg Vollgas gegeben hat, ist davor gefeit in eine Lage zu geraten in der die Post nicht mehr geöffnet wird, die Beihilfe und die Arztrechnungen über den Kopf wachsen, der Lebenspartner das Weite gesucht hat und vieles mehr schief gegangen ist, wo man früher im intakten Zustand, mit den Finger drauf zeigte.

Die Psyche ist keine Maschine, sondern ein filigranes System.

Wenn man die Gelegenheit bekommt mit Kollegen wirklich offen zu sprechen, ist man erschrocken, wie viele in der Leere hängen und auf den beschriebenen Tag mit immer höherer Geschwindigkeit zu streben. Schon der alte Säufer und Autor Charles Bukowski stellte fest, dass es Tage gibt, an denen man denkt: Es geht nicht weiter. Dann lacht man darüber, weil einem einfällt, wie oft man das schon in der Vergangenheit dachte.

Geht es um die Polizei, ist das Geschrei in der Öffentlichkeit oft groß. Ich denke, das ist eine Art Tradition in Deutschland. Beim Fußvolk habe ich in 30 Jahren wenige wirklich faule Beamte kennengelernt. Es gibt sie, dass will ich nicht Abrede stellen. Ich erinnere mich an einen Kerl, der quasi sein Wohnzimmer samt, seines Fernsehers nachts ins Büro geschleppt hatte und sich jeden Tag dort einschloss, bis der Kommissariatsleiter die Tür eintrat. Aber diese Ausnahmen landen meistens nicht in der Presse. Die dort landen, sind diejenigen, welche weit über alle Grenzen hinaus gegangen sind.

Immer wenn ich etwas über vermeintliche Manipulationen, Mauscheleien, verschwundene Aktenvermerke oder Ähnliches lese, ergreift mich Traurigkeit, weil ich weiß, dass es wieder einen der Engagierten erwischt hat.


Immer mal wieder gibt es echte “Seitenwechsler”. OK! Das gehört zum Geschäft. Es werden immer Leute versuchen, einfacher ans Geld zu kommen. Intern ist der Druck wegen der desolaten Stellenlage extrem hoch. Bis zur Besoldungsgruppe A12 hängt sich kaum einer in die Seile, und meistens wollen die auch noch was werden. Ich denke immer: “Ihr werdet alt, aber nicht mehr …”, doch das ist deren Problem.”
Ich gebe zu, dass ich beispielsweise meinen Hauptkommissar noch recht einfach bekam. Heute müssen Leute bereits für A10 ein Assessment – Center durchlaufen.

Ich kann dem außenstehenden Leser nur raten: Glauben Sie nicht alles, was in den ersten Tagen über einen vermeintlichen Skandal in der Presse steht. 99,9 % aller Verschwörungstheorien sind vollkommener Blödsinn, weil sich niemand vorstellen kann, wie einfach manche Geschichten sein können. Die einfache Geschichte verkauft sich nur schlechter. Die Zeiten eines investigativen Journalismus in den gängigen Publikationen sind vorbei.

Vor ca. 20 Jahren befand ich mal in einer Situation, die aktuellen “Skandalen” ähnelt. Zwei Aussagen haben mich durch die Zeit gebracht. “Hast Du Dir als Polizist etwas vorzuwerfen?” und “In zehn Jahren interessiert das keine Sau mehr!”

So bitter, wie es klingt: Jeder innerhalb einer Besoldungsgruppe bekommt am Anfang des Monats den identischen Betrag auf das Konto überwiesen.

Um die Weihnachtszeit herum rief mich ein ehemaliges Teammitglied an, der zwischenzeitlich auf einer Stabsdienststelle “arbeitete”. Er wusste, dass ich mich ganz gut mit Textverarbeitungen auskenne. “Sag mal, wie bekomme ich in ein Dokument eine Bitmap oder wie das heißt eingefügt? Und gibt es da auch Weihnachtsmänner?”
“Du musst über Einfügen gehen. Ja, es gibt Weihnachtsmänner. Aber warum willst Du das wissen?”
“Der Direktionsleiter will es ein wenig nett machen und ich soll mit dem Beamer einen Weihnachtsmann an die Wand werfen.”
“Äh? Wie lange brütest Du bereits über diese Aufgabe?”
“Seit gestern Nachmittag!”

So geht’ s auch. Und der Kollege steht nicht in der Zeitung. Seine Wohnung wird nicht durchsucht. Ihm werden nicht die privaten Mobiltelefone abgenommen. Der bekommt keine Scheidungspapiere zugestellt … im Gegenteil, er wird sogar schneller befördert. Denkt mal drüber nach.

Das war der letzte Teil zum Thema BURNOUT. In nächster Zeit werde ich mich ein wenig mehr den Vorbereitungen meines Asientrips widmen. Hierzu werde ich natürlich berichten. Knappe 10.000 km mit dem Zug, da wird es auch die eine oder andere Gelegenheit zum Schreiben geben. Wer zum Thema noch Fragen an mich hat, kann sich bei mir gern persönlich melden.

5 August 2018

Burnout Polizei Teil II

Lesedauer 9 Minuten

Wer sich beginnt mit der Thematik BURNOUT auseinanderzusetzen und sich dabei im Speziellen mit der Berufsgruppe Polizei auseinandersetzt, findet weder in der Literatur oder im Internet brauchbare Untersuchungen. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Selbstverständlich ist das Thema weder auf diesen Beruf beschränkt, noch lässt sich die deutsche Polizei unmittelbar mit denen im Ausland vergleichen. Nicht einmal die Bedingungen in den unterschiedlichen Bundesländern sind gegenüber zu stellen. 

Ich betrachte das Thema als das Zentrum, um das sich diverse Satelliten bewegen. Seitens verschiedener Bundesländer und auch des Bundes wurden Untersuchungen in Auftrag gegeben. Alle Ergebnisse überschneiden sich in einer Aussage: “Ihr habt ein Problem!” Eine weitere besteht darin, dass der Untersuchungsgegenstand “Polizei” nicht funktioniert. Polizei ist ein Sammelbegriff, unter den sich mannigfaltige Berufsgruppen gliedern. Der im Führungsstab beschäftigte Beamte hat ein vollkommen anderes Berufsbild, wie ein Mitglied einer Dienstgruppe auf dem Abschnitt.

Deshalb zäume ich meine Betrachtungen aus einer anderen Richtung auf. Welche Bedingungen begünstigen ein BURNOUT bzw. welche Folgen können sich im Dienst ergeben.

Da wäre zunächst der Schichtdienst. Nahezu jeder Arbeitnehmer kritisiert Arbeitszeiten, die zur Unplanbarkeit des Lebens jenseits des Berufs führen. Umso unzureichender ein Personalansatz zur Bewältigung von Aufgaben ist, desto schwieriger wird die dienstliche Planung und damit auch die des Privatlebens. Die Folgen sind Konflikte in Beziehungen, reduzierter Kontakt zu Kindern und Abbruch von Freund- und Bekanntschaften. Meiner Beobachtung nach, entstehen daraus:

  • Entstehung eines isolierten Kontaktbereichs, in dem kein frischer Input vordringt. Negativspiralen entstehen und ziehen die Betroffenen herunter. Jeder mit Führungsaufgaben, der bei offenen Fenster die Gespräche der Raucher mithören kann, die sich vor der Eingangstür versammelt haben, kennt diese Spiralen. 
  • Die Einnahme einer Opferrolle. Subjektiv oder objektiv wird das eigene Leben für eine übergeordnete Sache geopfert. Bis zu einem gewissen Grad wird dies hingenommen, insbesondere wenn das Opfer einen persönlichen nachvollziehbaren Sinn ergibt. (Besondere Kriminalitätslagen, Ereignisse pp.) Handelt es sich um Standards, die mittels einer größeren Personalmenge kompensiert werden könnten, kommt Unmut auf. Schuldige werden gesucht. Die finden sich in der Behördenleitung, der Politik und der Behörde an sich. Selten erfolgt eine konkrete persönliche Zuweisung. Die Schuldigen sind abstrakte Wesen. Das liegt an der Ohnmacht. Denn es kann keine konkrete Person angesprochen werden.
  • Menschliche Probleme, auch die durch den ungeregelten Schichtdienst selbst entstandenen, werden ausschließlich untereinander besprochen, im Privatleben entwickelt sich Einsamkeit.
  • Eine andere Folge ist das Tunnel- oder Scheuklappendenken, welches auf Neudeutsch mit der Blase vergleichbar ist. Dies bezieht sich auch auf die Strategien des Problem- oder Aufgabenlösungsdenken. Innerhalb des Kollegenkreises bestehen akzeptierte Probleme, Emotionen, Schwierigkeiten und Lebensaufgaben. Im Gegenzuge existieren welche, deren öffentliche Preisgabe, sanktioniert wird. Gleichermaßen sieht es mit den Lösungsstrategien aus.

Hierzu ein Erlebnis aus meiner persönlichen Vergangenheit. Ein Kollege, der bereits mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich hatte, versuchte es nochmals. Er lernte eine Frau kennen, die bereits mehrere Kinder aus früheren Beziehungen hatte. Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation und den Widrigkeiten des Dienstes, engagierte er sich. Er übernahm sogar die Rolle eines Elternvertreters. Die Frau kam mit seinem Dienst nicht klar und suchte sich für die Abwesenheitszeiten einen Ersatz.
Er bekam es heraus und brach zusammen. In einem Nachtdienst, traf er auf einen Kollegen, der ihn auf sein trauriges Gesicht ansprach. Der Angesprochene brach hieraufhin in Tränen aus und erzählte seine Geschichte. Der eben noch mitfühlende Kollege beschimpfte ihn danach. “Ich dachte Dir ist etwas Schlimmes passiert. Dabei geht es nur um eine Frau! Geh mal ordentlich einen Trinken und dann ist gut.

Was ist da passiert? Traumata führen zur Abspaltung von Emotionen. Außerdem werden die Grenzen verschoben. Das persönliche Feld um einen herum zieht sich immer enger. Es werden nur noch Ereignisse akzeptiert, die unmittelbar den Kern der Persönlichkeit bishin des nackten Lebens betreffen. Wer ständig vom Elend der Gesellschaft umgeben ist, unzählige Schicksale anderer verfolgt hat, betrachtet die eigenen Belange als niederrangig. “Du hast nicht wirklich Probleme! Ich habe das Sachen gesehen …” Forciert wird dieses von eigenen Erlebnissen, in denen das eigene physikalische Leben konkret bedroht wurde. Was ist da noch eine gescheiterte Beziehung? Oder ein böser Brief von der Bank?

Verdrängen, Alkoholmissbrauch, Flucht in sportliche Aktivitäten, Extremsport, körperliche Modifikationen durch Bodybuilding pp. sind akzeptierte Bewältigungsstrategien. Unter Umständen aber auch der direkte Weg ins BURNOUT. Alle genannten Strategien haben nämlich ihre Grenzen, bzw. können bedingt durch Verletzungen oder Überlastungen unmöglich werden.

Hinter den kalten Zahlen, die fortwährend bezüglich der Defizite im Personal der Berliner Polizei veröffentlicht werden, stehen menschliche Schicksale und weitreichende Auswirkungen, die nicht erörtert werden. Der Bürger trifft unter Umständen auf einen Polizisten, der ein hohes inneres Frustration- und Aggressionslevel besitzt. Dies kann zu nicht vertretbaren Reaktionen führen. Ich will es ganz deutlich ausdrücken. Unter Umständen rennt da draußen einer oder eine mit 16 Schuss Munition in Waffe und Magazin in der Gegend herum, der bis oben hin mit Frust, Wut und Zorn angefüllt ist. Ich bin in diesem BLOG stehts ehrlich. Mir erging es so und ich zog meine Konsequenzen daraus. Meine Zündschnur war extrem kurz geworden. Ich konnte für mich und mein Handeln in Konfrontationen keinerlei Garantie mehr übernehmen.

In  Berlin – Neukölln wurde eine uniformierte Streife von Clanmitgliedern bedroht, weil sie es gewagt hatten, zu langsam vor ihnen zu fahren. Es kam zu erheblichen Widerstandshandlungen. Ich fragte mich, wie meine Reaktion ausgesehen hätte. Damals wäre ich ausgestiegen und hätte meine Waffe dem Angreifer an Kopf gehalten, außerdem wäre ich Bereit gewesen abzudrücken. Ich weiß, dass diverse Kandidaten diese Reaktion legitim betrachten. Das ist deren Problem, aber meinem grundsätzlichen Naturell entspricht dieses Verhalten nicht. 

Ich gebe zu, dass sich meine Haltung teilweise nicht geändert hat. Im Prinzip bin ich im Verlauf der Jahre zu einer entsicherten Waffe geworden. Doch im Gegensatz zu einigen anderen vertrete ich die Auffassung, dass ich dieses zu meinem persönlichen Way of Live machen kann, im Staatsdienst damit aber keinen Platz mehr habe. Meiner Meinung nach befinden sich viele Polizisten in einem individuellen Kriegszustand. In einem echten Krieg kann sich der Angegriffene in geeigneter Art und Weise verteidigen. Werde ich beschossen, ist es legitim den Gegner final zu bekämpfen. Diesbezüglich erscheint mir auch der Einsatz im Zuge von Interventionen der Bundeswehr oder der Blauhelme skurril. Mir persönlich leuchtet es nicht ein, warum z.B. angreifende Taliban mittels ungezielten Sperrfeuer abgewehrt werden sollen, anstatt gezielt zu schießen.In gesellschaftlich höher angesehenen Berufsgruppen, die mit menschlichen Schicksalen zu tun haben, besteht häufig die Möglichkeit einer Supervision. 

Der Polizist bekommt erst Hilfe, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Zum einen ist er nicht mehr in der Lage, das “normale” menschliche Abwehrverhalten zu Gunsten eines professionellen Handelns zu unterdrücken, zum anderen kommt es zu Folgen des dauerhaften Lebens entgegen der menschlichen Natur in Form von seelischen und psychosomatischen Erkrankungen. Begleitet werden sie oftmals von Drogenmissbrauch und desaströsen Lebenswandel.

Eine ähnliche Kausalität zeigt sich bei den belastenden Ereignissen, die nichts mit Angriffen sondern menschlichen Schicksalen zu tun haben. Trotz aller Erkenntnisse der Psychologie werden Berufsanfänger darauf nicht vorbereitet. Unterschiede zwischen Anteilnahme, Mitfühlen, Nachempfinden und professionellen Abstand in Verbindung mit Empathie werden nicht vermittelt. Die durchgehende Strategie lautet: “Pack es weg!” Noch heute raten manche Vorgesetzte nach den ersten Leichen zum “Bewältigungsschnaps”. Eine ernsthafte Auseinandersetzung wird nicht vermittelt.

Das kann in nahezu jeder Form schief gehen. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv. Ich habe in den zurückliegenden Jahren unterschiedlichste Entwicklungen verfolgen können. Vom Suizid bis zu brutalen Schlägereien, in denen ich den ehemals besonnenen Kollegen nicht wieder erkannte. Ich habe diese Verhalten niemals in Frage gestellt, geschweige denn auf Prozesse zurückgeführt, die mich selbst betrafen.

Warum sehe ich es heute anders?

Trotz der zehnjährigen Mitgliedschaft in der Konfliktkommission beim Polizeipräsidenten in Berlin, waren meiner Kenntnisse über die Vielfältigen Erscheinungsformen von Traumatisierungen “böhmische Dörfer”. Auch über Depressionen wusste ich für jemanden der Betroffenen helfen sollte, erschreckend wenig. Als ich beispielsweise etwas darüber las, dass man hellhörig werden sollte, wenn jemand teilnahmslos oder überzogen humoristisch über Lebensereignisse berichtet, die unbedarften Zuhörern einen Schauer über den Rücken jagen, fühlte ich mich, wie vom Blitz getroffen. Im Dienst hieß es dazu immer: “Das darfst Du denen da draußen alles gar nicht erzählen.” Tat man es doch, wurde man auf Partys schnell zum unterhaltsamen Sonderling. Meine Freundin bedankt sich heute noch für das Bild, welches ich in ihrem Kopf erzeugte, als ich von einem Kind erzählte, welches von seiner Mutter auf eine heiße Herdplatte gesetzt wurde. Sie haben es jetzt auch im Kopf. Vielleicht sollten sie an dieser Stelle über ein Weiterlesen in diesem BLOG verzichten.

Bei der Konfliktkommission traf ich auf mehrere Menschen, die seitenweise über ihre Rechnungen schrieben, die sie noch mit der “Behörde” und diversen Vorgesetzten offen hatten. In Ihrem Kopf drehte sich unentwegt ein Kreisel. Das sind Hilferufe! Ihrer Auffassung ist etwas mit ihnen geschehen. Sie sind auf der Suche nach einem Verantwortlichen, der gefälligst Farbe bekennen soll und einer Bestrafung zugeführt gehört. Sie haben sich in die Passivität zurückgezogen und betrachten ihr Leben als ferngesteuert. Die eigenen Anteile, die dazu führten, dass sie diese Fernbedienung in fremde Hände gaben, sind vollkommen aus dem Blickfeld geraten. (Motto des BLOG’s: Ehrlichkeit! Ich habe früher davon auch einige Seiten geschrieben.)

Unwissenheit über die Folgen von Traumatisierungen, die gegenseitige Befeuerung von multipel Traumatisierten, die damit einhergehende subjektive Empfindung der Normalität (Alle anderen sind genauso unterwegs, wie ich!), die mangelnde Intervention bei der Frustration, dass Gefühl der Isolierung, die ständigen nicht ausbleibenden externen Anfeindungen münden in spezielle Voraussetzungen beim Ausbrennen von Polizisten. Letztere sind als Faktor nicht verachten. Zum Beispiel ist die ebenfalls extrem belastete Feuerwehr mit einem weitgehend positiv belegten Image ausgestattet. Welches allerdings einem Ausbrennen nicht im Wege steht. Seit die Jungs angegriffen werden, verändert sich dort die Tonlage massiv. 

Was kann man tun?

Zunächst einmal sich an die alten taktischen Grundsätze halten. Reserven bilden und Halten – steht in der Taktischen Fibel der Polizei. Warum nicht auch im eigenen Leben? Prävention, Lagebeurteilung und Erforschen des Umfelds sind ebenfalls gute Ideen. Wenn Freunde oder Lebenspartner feststellen, dass sie sich mit einem nicht mehr unterhalten können, sollte dies ein alarmierendes Zeichen sein. Vor allem, wenn die eigene Antwort lautet: “Du kannst mich nicht verstehen, denn ich lebe in einem vollkommen anderen Umfeld.”

Warum nicht mit einem Spezialisten die liebgewonnenen Verhaltensmuster auf den Prüfstein legen? Was kann schon passieren, wenn man sich mal ungewohnten Gedankengängen hingibt?

Ich wurde kürzlich von einem Vorgesetzten mit Worten aus dem Polizeidienst verabschiedet, die mich nachträglich nochmals beschäftigten. “Ich habe Dich in den Jahren als einen Menschen kennengelernt, der stets quer dachte, was nicht immer ohne Folgen blieb und sich für die Belange des kleinen Beamten einsetzte.” Kleiner Beamter? Ich glaube, er wollte mein soziales Engagement würdigen, gab dabei aber etwas von sich selbst preis. Wie kann es in der Polizei einen kleinen Beamten geben? In der Regel durchlaufen alle eine standardisierte Laufbahn. Der große Unterschied besteht in die Unterteilung mit oder ohne Personalverantwortung. Demnach habe ich mich stets auf die Seite der “Geführten” geschlagen. 

In meinem persönlichen Werdegang habe ich nie diesen vermeintlichen Klassenunterschied akzeptiert. Vorgesetzte bei der Polizei habe ich stets als “Steuerungsinstanzen” für die vorhandenen individuellen Kompetenzen der Mitarbeiter angesehen. Die besonderen Eigenschaften eines Vorgesetzten sollten in seiner psychischen Stabilität und der Fähigkeit die eigenen Belange in den Hintergrund zu stellen, um die zugeteilten Mitarbeiter untereinander zu koordinieren und Fehlentwicklungen erkennen zu können. Hierzu gehört auch die Fähigkeit das Ausbrennen eines Mitarbeiters bzw. seine Disposition hierfür zu erkennen. Das dürfte aber nur möglich sein, wenn er selbst frei davon ist oder wenigstens um die eigenen Merkmale weiß. 

Ich habe in meinem BLOG mehrfach Rupert Lay erwähnt. In einem seiner Bücher schildert er eine ungünstige Konstellation zwischen einem Mitarbeiter und einem Vorgesetzten. In dieser trifft ein Narzisst auf einen Mitarbeiter mit einer Anerkennungsstörung. Der Narzisst benutzt den Mitarbeiter als Werkzeug. Jener wiederum versuchte mit dauerhafter Mehrleistung, die weit seine Kapazitäten überschritten, niemals stillbares Verlangen nach Anerkennung zu befriedigen. Dies ist lediglich eine vorstellbare Kombination, wenn falsche Kriterien an Führungspersonen angelegt werden.

Die geschlossenen Einheiten der Polizei werden in regelmäßigen Abständen von Politikern missbraucht. Wenn diese Einsätze nicht offen und ehrlich ausgewertet werden, entstehen Frust und Aggressionen. Von Gorleben bis zum G20 ist die Geschichte dieser Einsätze lang. Bei der Kriminalpolizei sind es die Ermittlungen, die an den Belangen der der oberen 10 % im Staate kratzen. In Berlin verweise ich exemplarisch auf die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Berliner Sumpf, den Ermittlungen bezüglich der Vereinigungskriminalität und dem Vorgehen gegen korrupte Verantwortliche im Bauwesen. 
Solange dies alles in Zukunft weiterhin unter den Teppich gekehrt wird bzw. sich die Einstellung zur Polizei in der politischen Führung nicht ändert, werden sich weiter tiefe Furchen eingraben.

Ideen

In einigen europäischen Ländern ist der Polizeidienst in Anerkennung der besonderen Belastungen auf 30 Dienstjahre begrenzt. Dort ist man zur Auffassung gekommen, dass die Psyche und Physis des Beamten im Außendienst am Ende ist. Ich finde dies bedenkenswert. Meine Meinung nach, müssen die unterschiedlichen Belastungen im Innen- und Außendienst konsequent voneinander unterschieden werden.

In der Ausbildung und auch später sollten Prävention und psychologische Supervision Selbstverständlichkeiten sein. Dies bezieht sich auch auf eine Sensibilisierung in ethischen Fragen. Die Thematik Traumatisierung sollte intensiv betrachtet werden und bei Führungskräften stets präsent sein. Gerade die Belastungen in den geschlossenen Einheiten sind immens.
Vor Urzeiten stand beim Einsatz “Mainzer Straße” ein ehemaliger Bundeswehroffizier neben mir und sagte: “Was hier passiert kenne ich. Wir nannten es Häuserkampf und verschossen dabei deutlich mehr Munition.” Es wäre vielleicht ein Ansatz, diese Einsätze analog zu einem Kampfeinsatz zu betrachten und auf die Erfahrungen der Bundeswehr zurückzugreifen.

3 August 2018

Burnout

Lesedauer 8 Minuten

worum geht’s?

Wird von jemanden der Begriff BURNOUT verwendet, kommt innerhalb kürzester Zeit ein Schlaumeier um die Ecke gebogen, der feststellt: Gibt es nicht! BURNOUT ist eine Bezeichnung, die ein Euphemismus für Depressionen ist. Mir stellt sich dabei die Frage: Ist das wichtig? Dienstlich fuhr ich vor einigen Jahren einen E – Klasse Daimler. Nach wenigen Wochen, nahm die Kiste kein Gas mehr an. Stur rollte der Wagen mit 60 km/h vor sich hin. Egal wie ich das Gaspedal trat, das Ding wollte einfach nicht. In der Werkstatt teilte mir ein freundlicher Mechaniker mit, dass die Elektronik einen Fehler festgestellt hatte und deshalb ein NOTLAUFPROGRAMM eingeschaltet wurde. Vor drei Jahren verglich ich Menschen in der Arbeitswelt gern mit Maschinenteilen innerhalb einer größeren Maschine, welche sich abnutzen.

Die E – Klasse betrachte ich als einen besseren Vergleich, weil der Mensch eben nicht ein Teil, sondern deutlich komplexer ist. Ähnlich wie das Fahrzeug, welches aus den tiefen der elektronischen Auswertung die Meldung bekommt, dass etwas nicht stimmt, meldet das System des Menschen, bestehend aus dem limbischen System, der Amygdala und dem Großhirn: Stopp! Irgendetwas stimmt nicht. Wenn ich ungebremst weiter mache, kommt es zur nachhaltigen Zerstörung. BURNOUT ist für mich nichts anderes, wie ein NOTLAUFPROGRAMM. Warum wurde es eingeleitet? Wenn ich mit einem Fahrzeug Schindluder treibe und es gnadenlos mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn jage, wird es je nach Bauart irgendwann in die Knie gehen. Es wird mir auch nicht verzeihen, wenn ich die Gänge bis zur Schmerzgrenze ausreize, kein Kühlwasser nachfülle, den Ölstand nicht prüfe oder nicht tanke. Nun gibt es Leute, die behandeln ihre Fahrzeuge in dieser Art und andere pflegen das Auto fast zu Tode. Beim Fahrzeug handelt es sich in meiner Analogie um das gesamte System und der Fahrer ist das zu betrachtende EGO. In der Konsequenz gibt es mehrere Faktoren:
  • Es macht einen Unterschied, ob ich mit einem Golf oder einen Jaguar kontinuierlich 180 km/h fahre.
  • Welche persönlichen Voraussetzungen bringt der Fahrer mit sich?
  •  In welchem Umfeld befindet sich der Fahrer?
  • Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen dem Fahrer und dem Umfeld? Wenn ich Unternehmer bin, werde ich Fahrer finden, die gegen eine passende Motivation, wie die Henker von A nach B fahren. Ebenso werde ich auf Leute treffen, die mir einen Vogel zeigen.
Aus diesen wenigen Faktoren ergeben sich mannigfaltige Ansätze. Es ist nicht das “böse” System, welches den Arbeitnehmer bis zur letzten Neige auspresst, sondern es bedarf auch eines Persönlichkeitstyps, der das mit sich machen lässt. Aus diesem Grunde begreife ich nach einigen Jahren des Nachdenkens den Zustand des NOTLAUFPROGRAMMS als eine echte Chance im Leben … unter der Voraussetzung, dass Reparaturmaßnahmen eingeleitet werden. Ich räume dabei ein, dass ich solche Worte noch vor 4 Jahren als bescheuerte Durchhalteparolen eingeordnet hätte. Das Umfeld lässt sich nicht ändern. Egal, wie man es anstellt, auf dieser Seite passiert nichts. Ausschließlich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Umgang und den dazugehörigen Persönlichkeitsmerkmalen ergibt einen Sinn. Ich selbst habe 30 Jahre im Öffentlichen Dienst des Landes Berlin verbracht. Mit Inbrunst versuchte ich Änderungen herbeizuführen. Diesen Versuch nennt man im Allgemeinen “Kampf” und dieses Wort impliziert wiederum Krieg. Dem vor langer Zeit lebenden chinesischen General Sun Zi wird die Erkenntnis zugeschrieben: “Beginne niemals einen Krieg, den Du nicht gewinnen kannst.”

Burnout bei der Polizei

Bei der Polizei wird den Neuanfängern ein Spruch mit auf den Weg gegeben, der quasi ein Katalysator beim Prozess des Ausbrennens ist. “Der Polizeiberuf ist kein Job, sondern eine Berufung!” Ich weiß nicht, aus wessen kranken Geist dieser Satz entsprungen ist, aber er wird heute noch verwendet. Egal, was auch immer passiert, der Polizist macht weiter. Vor allem dort, wo der “normale” Arbeitnehmer, der seinen Lebensunterhalt mit einem Job bestreitet, die Flinte ins Korn werfen würde. Denn er folgt einer Berufung. Im schlimmsten Fall, kann das dazu führen, dass der “Gescheiterte” keinen anderen Ausweg sieht, als sich eine 9 mm Kugel aus seiner Dienstwaffe durch den Kopf gehen zu lassen. BURNOUT versteckt sich in vielen Bezeichnungen. Eine ist die sogenannte “Innere Kündigung”. Neuanfängern bei der Polizei wird ein falsches Bild der Polizeiarbeit vermittelt. Nüchtern betrachtet ist der Polizist ein Landesbeamter. Damit ist sein Dienstherr das jeweilige Land, welches von den gerade amtierenden politischen Vertretern repräsentiert wird. Der Polizist hat alle Entscheidungen, die im Einklang mit dem Grundgesetz stehen, auf der Straße, im Zweifel auch gegen den Widerstand der Bevölkerung oder Teilen durchzusetzen. Ob er selbst damit konform geht oder nicht, ist uninteressant. Selbst bei der Kriminalitäts/Verwaltung/Bekämpfung wirkt die Politik mit. Sie legt nämlich die Schwerpunkte fest, stellt die Mittel zu Verfügung und regelt die Personalstärke. Eigener Idealismus, Bewertungen oder gar moralische Betrachtungen haben dabei wenig Spielraum. Exakt hieran scheitern viele. Ermittlungen sind eine bezahlte Dienstleistung. Der Ermittler befriedigt nicht seine eigenen Bedürfnisse, sondern er handelt für einen Auftraggeber. Dies muss er sich stets vor Augen halten. Handelt er jenseits des Willens bzw. Vorstellungen des Auftraggebers beginnt er auf eigene Rechnung zu arbeiten. Die politischen Vertreter haben in der Vergangenheit beschlossen eine konkrete Anzahl an Ermittlern für die Ermittlungen im Bereich Terrorismus zur Verfügung zu stellen. Hierzu gehören die Beamten in der Sachbearbeitung und im Operativen Bereich. Mit dieser Personalstärke ist ein nachvollziehbares Pensum leistbar. Letztlich ist das nicht anders, als die Bestellung einer Baukolonne. Die Älteren kennen dies noch aus den Mathematik Büchern. 10 Arbeiter graben einen Graben in 5 Tagen. Wie viele Tage benötigen 5 Arbeiter? Wenn der Polier einen Bericht schreibt, in dem steht, dass er mit den 5 Arbeitern ebenfalls 5 Tage gebraucht hat, ist etwas Faul. Das Problem ist: Ein Graben ist ein Graben, einige Tote auf der Straße, sind ein Desaster, welches schwer verkauft werden kann. Grundsätzlich ist die Zuteilung des Personals nicht einmal verkehrt. Denn ein Terrorist lässt sich im Zweifel weder von einem oder zwanzig Ermittlern stoppen. Entscheidend ist, welche Maßnahmen abgefordert werden, ob die nun tatsächlich etwas verhindern oder nicht, steht auf einem anderen Blatt Papier. Standardmäßig werden Telefonüberwachungen geschaltet, Observationen veranlasst, Erkenntnisse ausgewertet, Datenbanken gespeist und ausgewertet, unzählige Vermerke und Berichte geschrieben, Akten verwaltet, Bilder ausgewertet (immer brav unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte). Richtig wäre es, wenn sich der Polizist an die Willensbekundungen des Auftragsgebers, welche er durch Personalzuteilung, Materialzuwendung, Dienst – und Geschäftsanweisungen, Gesetze, Ausführungsvorschriften pp. bekundet hat, stoisch hält. Würde er dies tun, stellte sich schnell heraus, dass der Auftraggeber vollkommen verblödet ist. Leider ist das mit dem Risiko verbunden, dass sich der Blödmann selbst in Gefahr bringt. In seiner gnadenlosen Arroganz, es besser zu wissen, versucht der Polizist es gerade zu biegen. Oftmals geht das wiederum für ihn nicht gut aus. Das konnten wir zum Beispiel bei den Geschehnissen rund um den Breitscheidplatz beobachten.
14 Dezember 2017

2017 – Nachlese

Lesedauer 11 Minuten

Die letzten Tage des Jahres 2017 brechen an. Ungewohnt häufig wurde in diesem Jahr über die Berliner Polizei berichtet. Prinzipiell begann es mit dem Ende des Vorjahres. Ein Anfang zwanzigjähriger Sohn eines verarmten tunesischen Gemüsehändlers ermordete erst einen polnischen LKW – Fahrer, bemächtigte sich des Fahrzeugs und raste in eine Menschenmenge am Berliner Breitscheidplatz. Der junge Mann ist kein Einzelfall, sondern Teil einer ganzen Bewegung. Es sind desorientierte Jungerwachsene die ziellos durch Nordafrika und Europa ziehen und denen seitens einer radikalen Sekte, die sich vom Islam abgespalten hat, ein Heilsversprechen bekommen. Sie müssen nur einen Satz aussprechen, werden damit in einer Gemeinschaft aufgenommen und ihrem bisher unbedeutenden Leben wird ein Sinn gegeben.
Anteile der Deutschen Bevölkerung sind fassungslos, da sie nicht verstehen können, dass ein derart erfolgloser Typ so viele Menschen töten oder schwer verletzen kann. Dies hätte doch verhindert werden müssen. Im Nachgang schwärmen alle aus und suchen nach einem Schuldigen. Schnell ist von einem Versagen der Berliner Polizei und des Staats die Rede. Vergessen sind die verhinderten Anschläge. Gleichermaßen erinnert sich niemand mehr an all die Verfahren der Vergangenheit, in denen die Polizei hervorragende Arbeit leistete. Reda Seyam, der Deutsch – Ägypter, welcher zusammen mit Pierre Vogel auf Menschenfang ging, ist kein Thema mehr. Deniz Cuspert, eines dieser aus der Indoktrination hervorgegangenen Geschöpfe interessiert nach seinem vermeintlichen Tod niemand mehr. Ein Labahn, der einst für Seyam das Kamerakind spielte und von einer Berliner Arbeitsvermittlung eine Sicherheitsstelle am immer noch nicht geöffneten Flughafen BER zugewiesen bekam, ist Historie. Diverse radikale Prediger aus der Al nur – Moschee in Neukölln, die Salafisten in der ehemaligen Moschee in der Tromsöerstr., Berlin – Wedding, sind ebenfalls Geschichte. Jedenfalls für die Öffentlichkeit und die Presse. Tausende Einsatzstunden und immensen Ermittlungsaufwand produzierten diese Typen. Mehrfach wurde es in den zurückliegenden Jahren brenzlig und die Polizei ging weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus.

Doch eines war immer klar! Eines Tages wird einer von den vielen durchschlüpfen. Es wird nicht der klassische Bartträger im Schlafanzug sein, sondern einer der relativ normal aussieht. Selbst die gewählte Methode war nicht überraschend. Schon zur Zeit der Loveparade wurde ein Anschlag verhindert, bei denen die Täter mit einem Fahrzeug in die Menschenmenge rasen wollte.
Weltweit hat jedes Land diese Erfahrung gemacht: Terror lässt sich nicht vollständig bekämpfen. Israel, USA, Spanien, Frankreich, England und viele mehr wurden Ziel für den Terror. Doch dem Bürger ist das egal, den interessiert nur die Sicherheit. Wenn es zu einem Anschlag kommt, muss jemand innerhalb des Systems versagt haben.

Der zynische Aspekt an diesem Anschlag wurde bereits vor langer Zeit formuliert: «Ein Terroranschlag ist mehr wert als 100 Personalräte!»

Das ist nichts Neues in der Bundesrepublik Deutschland. Es gäbe in Deutschland keine Rasterfahndung, Schleierfahndung, Spezialeinheiten und ausgeklügelte Informationssysteme, wenn es nicht RAF gegeben hätte. Die Polizei hat in Deutschland immer erst die volle Aufmerksamkeit und Geldzuwendungen, wenn etwas passiert. Heute ist dies nicht anders.
Zynismus ist auch der Umstand, dass sich nun Politiker gegenseitig auf die Schulter klopfen und Verbesserungen versprechen. Nach dem Anschlag ging es weiter. Die Schießtraineraffäre kochte hoch und fiel auf einen guten Nährboden, der zuvor vom Terror gedüngt worden war. Nun ist es aber nicht der Fall, dass Krebs im Körper eines Menschen plötzlich und unerwartet auftritt, sondern es handelt sich um einen langjährigen Prozess.
Auffälligerweise handelt es sich bei den Betroffenen um viele ehemalige Mitglieder von Spezialeinheiten, die vor dem Hintergrund der RAF Zeiten, gegründet wurden. In den neunziger Jahren übergaben die Alliierten der dankbaren Berliner Polizei mehrere Liegenschaften. Hierzu gehörten auch Fighting City (ein Gelände, welches mittlerweile mehr als bedauerlich aussieht), die Schießanlagen Bernauerstr. und die Range in Wannsee. In der Bernauerstr. herrschte immer der zweifelhafte Charme der Siebziger Jahre. Schon in den Achtzigern ,vermittelte einem die Anlage das Gefühl einer dieser Underdogs aus einem amerikanischen Krimi zu sein. Schwarzer Sandboden, zerschossene Balken, ausgemusterte Tische zum Waffenreinigen, eine selbst zusammengestückelte «Dreizimmer – Wohnung – Simulation», welche mit Sperrmüll vollgestellt war, eine etwas in die Tage gekommene Drahtseilzug – Anlage, mit der die Schießscheiben hin – und her gezogen werden konnten, rundeten das Bild ab. Mitglieder von Spezialeinheiten geben immer ein paar mehr Schuss im Training ab, als andere Polizisten. Also feuerte das SEK aus allen Rohren und gab die Halle für das MEK frei. Die Mitglieder des MEK warteten einen Moment, bis sich der Pulverrauch verzogen hatte und wieder freie Sicht bestand, um dann selbst den Raum einzunebeln. Hiernach ging es ans lästige Hülsensammeln. Mit bloßen Händen wurden die Geschosshülsen vom kontaminierten Boden aufgesammelt. Warum auch nicht? Eine halbe Stunde vorher hatte man ja noch auf ihm gelegen und im Liegen geschossen. Oftmals wurde es eilig, schnell verließ man die Halle, sprang ins Auto und fuhr zum Einsatz – Händewaschen wird überbewertet.

Neunziger Jahre! Der damalige sehr kritische Polizeipräsident Georg Schertz verließ das Amt. Schertz verließ eine Berliner Polizei, die nach dem Mauerfall vor vollkommen neuen Aufgaben stand und außerdem mit den Hypotheken einer vollkommen maroden Volkspolizei der ehemaligen DDR belastet war.

Er erkannte, dass sich die Zeiten ändern würden. 2003 brachte er dies kritisch in einer internen Publikation zum Ausdruck. Diese wurde prompt gestoppt. Der damalige Leiter der Polizeischule Otto Drecksler und der Chef vom Landespolizeiverwaltungsamt Andreas Walther, machten sich zum Erfüllungsgehilfen des Polizeipräsidenten und leiteten damit eine neue Ära in der Berliner Polizei ein. LPolD (a.D) Drecksler ist nebenbei der Leiter der Polizeischule, welcher zusammen mit dem ehemaligen Innensenator Körting bei der Verabschiedung der ausgebildeten jungen Beamten durch Abwesenheit glänzte, als diese nicht in die Polizei übernommen wurden. Er ist aber auch der viel beschäftigte Redner auf Kundgebungen, die von der AfD initiert werden.
Über Herrn Walther kursierten 2009 Gerüchte, dass er eventuell als neuer Vize – Präsident ins Gespräch kommen könnte. Dies war der Berliner Morgenpost einen Artikel wert, in dem es u.a. hieß:

« … Nach Angaben von Teilnehmern haben dabei die anwesenden Direktionsleiter vor allem die in ihren Augen gefährliche Personalreduzierung angesprochen. «Da wurde schonungslos die schlechte Stimmung in der Polizei dargestellt. In dieser Form und Geschlossenheit habe ich das noch nicht erlebt», sagte ein Teilnehmer. (Zitat: Berliner Morgenpost https://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article104345389/Spekulationen-ueber-Berlins-zweithoechsten-Polizisten.html

Immerhin acht Jahre später, positioniert sich der aktuelle Polizeipräsident Herr Klaus Kandt im November 2017, in einem Interview im Tagesspiegel mit den Worten:
«Am Anfang, also 2013, auch noch 2014 dachte ich, mit den gegebenen Ressourcen werde ich mit viel Mühe wohl auskommen. Mit dem Wissen von heute hätte ich gleich mehr Druck auf die Politik machen sollen, um Personal und Ausrüstung aufzustocken. Zitat: http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlins-polizeipraesident-klaus-kandt-wir-kaempfen-taeglich-mit-den-folgen-der-sparpolitik/20571228.html&raquo;

Wie gut, dass es da einen immer noch unermüdlich mahnenden kritischen Georg Schertz gibt:

«Auch Zahlen nennt er: „Heute sind weniger Polizisten auf der Straße als ich damals vor der Wende allein für West-Berlin hatte. Und wenn Beamte Verstärkung anfordern, bleiben sie doch immer in der Minderheit gegenüber immer größeren Täter-Gruppen. Das halte ich für unerträglich. Zitat: https://www.bz-berlin.de/berlin/ex-polizeichef-schertz-beklagt-unertraegliche-verrohung.&ldquo;

Wohlgemerkt, der Mann ist nicht mehr im Amt, aber besitzt offenbar einen realistischeren Blick auf die Berliner Polizei, als der amtierende Präsident. Dies mag daran liegen, dass er sich in einer Stiftung immer noch für die Polizei engagiert.

Doch dank des Sohnes eines verarmten Gemüsehändlers im fernen Tunesien wird alles besser. Neue Einsatzkonzepte werden als die Heilsbringer verkauft, die bevor sie gelobt werden, erst einmal den Beweis antreten müssen, dass sie besser funktionieren. Der aktuelle Senat beweihräuchert sich mit der Anschaffung neuer Schusswaffen, obwohl die Anträge hierzu uralt sind. Die Schießstände werden modernisiert, sehr zügig, sonst könnte unter Umständen noch der Beweis bezüglich des Urzustandes festgestellt werden. Der jahrzehntelang verschleppte Prozess des Digitalen Funkeinsatzes, welcher immerhin bereits zur Fußball – WM vollmundig angekündigt wurde, ist wieder ein politisches Kampfthema.

Aber 2017 gab es noch mehr, als AMRI und die Schießtrainer. Polizisten, die man beim Anblick der Geschehnisse in Hamburg eher als zivile Soldaten bezeichnen mag, wurden in einer Barackenanlage beim Feiern vor dem Einsatz erwischt. Sie sollen sich mit Molotow – Cocktails und Steinplatten bewerfen lassen, aber an einen Zaun pinkeln ist moralisch verwerflich – eine verrückte Gesellschaft.
Ihr Verhalten wurde medial diskutiert, dass sie aber für eine widerliche Machtdemonstration missbraucht wurden, stand nicht zur Debatte. Interessanterweise wurde in der Diskussion auch angeführt, dass in einer solchen Anlage seltsame Verhaltensweisen vorprogrammiert sind. Ich frage mich dabei am Rande: «Wenn dieses schon für Polizisten gilt, was ist dann eigentlich mit traumatisierten Flüchtlingen, die dort Jahre ausharren?» Aber dieses nur nebenbei.
Kaum wurde es hierzu etwas ruhiger, tauchte eine Sprachnachricht auf und das Skandälchen um die Akademie kam ans Tageslicht. Nur wenige verstanden, dass das Problem nicht bei der Akademie liegt, sondern die Ereignisse dort nur eine sichtbare Hautreizung einer jahrzehntelangen Krankheit ist. Wie angeführt, brachen bereits 2009 die Direktionsleiter das Schweigen!
Ärgerlich ist dabei auch die Tatsache, dass die Mitverursacher sich mit dem warmen Deckmantel der Geschichte zudecken. Klaus Wowereit genießt seinen Ruhestand, Annette Fugmann-Heesing hat sich auf Steinkohle und Beratung des Öffentlichen Dienstes verlegt, Thilo Sarrazin findet Zeit, zum populistischen Erfolgsautor zu mutieren, und von Körting hört man gar nichts mehr. Vielleicht hat er mittlerweile verstanden, dass es keine gute Idee war, ausgerechnet mit der Salafisten – Hochburg «Al – Nur Moschee» auf Kuschelkurs zu gehen.

Wie kann man die Berliner Polizei bzw. den Öffentlichen Dienst verstehen?

Wenn man sich an den alten Ermittlergrundsatz des ermordeten italienischen Staatsanwalts Falcone hält, ist es eigentlich simpel: Folge der Spur des Geldes!

1994 wurde in Berlin das sogenannte «5 Säulenmodell» eingeführt. Verkauft wurde es als die große notwendige Reform, tatsächlich war es mehr eine Bastelarbeit mit Papier und Schere, die einige unliebsame Führungskräfte aus dem Weg räumte u. neue Seilschaft begründete. 1995 -97 durfte sich das Wirtschaftsberaterunternehmen «Mummert+Partner» um die Berliner Polizei kümmern. Dieses stellte fest, dass sich Berlin einen Führungswasserkopf leistete und viel zu komplizierte Hierarchiestrukturen besitzt. Neben diesen Erkenntnissen kamen die Prüfer auch zu Erkenntnissen, die sich aus den Unterschieden eines Betriebes in der Freien Marktwirtschaft und dem Öffentlichen Dienst erklären. Sicherheit und Prävention lassen sich nun einmal nicht zwingend marktwirtschaftlich analysieren. Sie fanden nämlich heraus, dass es zum Beispiel Spezialfahrzeuge gibt, die kaum bewegt wurden. Frage: «Haben sie dieses Material schon einmal eingesetzt?» Antwort: «Die stehen hier für den biologischen u. atomaren Katastrophenfall! Den Einsatz hätten sie bemerkt!» Gleichermaßen kritisch wurden die Einsätze beäugt. Die Prüfer konnten nicht nachvollziehen, dass auf einem Abschnitt nur ein Einsatzwagen zu einer Ruhestörung fuhr, während auf einem anderen gleich drei Wagen heraus eilten. Warum? Sehr einfach! Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine Gartenpartie handelt oder eine arabische Großfamilie eine Hochzeit feiert. Am Ende war es wenig überraschend, dass die Streifenwagen gestrichen wurden und der Wasserkopf blieb.

In Reaktion auf die Untersuchungsergebnisse wurde das Berliner Modell ins Leben gerufen. Für die Beamten ein Desaster, weil diverse Schichtzulagen wegfielen, häufigere Dienstantritte in der Woche erfolgten und das Arbeitsleben noch unübersichtlicher wurde. Parallel dazu wurden 2000 Stellen gestrichen. Dieser Umstand wurde zähneknirschend von der GdP zur Kenntnis genommen.
Im nächsten Zuge erfolgten die Zusammenlegungen von Abschnitten, verschont wurde ausschließlich der Bereich des Regierungsviertels – ein Schelm, wer dabei Böses vermutet. Alles wurde stets begleitet von wohlfeilen Texten, die dies als positive Reformen verkaufen sollten.

Zusätzlich wurde erheblich bei der Besoldung eingespart. Erst wurde das 13te Monatsgehalt nur noch anteilig gezahlt, dann gar nicht mehr. Urlaubsgeld und Zulagen folgten nach und nach. Endgültiger Motivationsablass war letztlich der Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters Wowereit, der den Zusammenschluss der Bundesländer bei der Besoldung zerschlug, welcher die mit am meisten mit Kriminalität belastete Stadt Deutschlands auf den letzten Platz der Besoldung verwies. Die daraus entstandenen Verluste sind nicht mehr aufzuholen. Nach Urteilslage des Bundesverfassungsgerichts besteht über Jahre hinweg eine Differenz zu anderen Bundesländern, die nicht verfassungsgemäß ist, anders formuliert: Das Land Berlin sitzt gegenüber seinen Beamten auf einem Schuldenberg. Wenn 2017 der Senat frohlockt endlich wieder Geld zu haben, dann wurde dieses Geld u.a. verfassungswidrig aus den Taschen der Bediensteten geholt.

Doch was schert einen Berliner Senat das Verfassungsgericht? Oder besser noch, die Richtlinien einer EU? Viele Beamte in einem sinnvoll geregelten Schichtdienst zu behalten ist kostspielig. Wie schön, wenn man sie im Zuge einer Rufbereitschaft nur anteilig bezahlen muss. Die modernen Kommunikationsmittel machen es möglich. Zum Thema Rufbereitschaften äußerte sich das VGH Baden Württemberg, im Urteil vom 26.06.2013 , Az. 4 S 94 /12 mit der Feststellung,

«Bei der Rufbereitschaft dürfen keine zeitlich engen Vorgaben von der Alarmierung bis zur Aufnahme des Dienstgeschäfts am Einsatzort erfolgen (der Beamte müsse nur „alsbald“ vor Ort sein, nicht „unverzüglich/sofort»
und
«Die Rufbereitschaft dürfe nur sporadisch und nicht mit einer prognostisch verlässlichen Regelmäßigkeit von Einsätzen unterbrochen werden.»

Über diese beiden Sätze kann jeder Sachbearbeiter des LKA Berlin, aus den Bereichen OK, Staatsschutz, Rauschgift und die Mitglieder des LKA 6 (MEK) nur herzhaft lachen. Wie kommt das Gericht zu solch wilden Feststellungen? Sie basieren auf den Arbeitsrichtlinien der EU, die zwar die Ausnahme Soldaten und Sicherheitskräfte kennen, aber stets darauf hinweisen, das Abweichungen die Ausnahme bleiben sollen. Wieder einmal geht es nur um Geld und Personal.

Die Polizei? Die gibt es nicht!

Wen wundert es da noch, wenn Polizisten im Einsatzdienst nach und nach ausbrennen? Diese Einschränkung habe ich sehr bewusst in diesen Satz eingebracht. 2017 wurde stets über die POLIZEI diskutiert. Die existiert de facto aber nicht. Es liegen Welten zwischen den unterschiedlichen Aufgabengebieten und den damit im Zusammenhang stehenden Belastungen. Die Unterschiede liegen nicht nur bei Schutz- und Kriminalpolizei, sondern mehr zwischen Beamten «an der Front» und denen im Büro. Wie immer in unserer Gesellschaft wird die körperliche Arbeit schlechter bezahlt, als der Dienst am Schreibtisch. Einem Schreibtischtäter ist es ziemlich egal, ob er eine brauchbare Taschenlampe hat oder er regelmäßig schießen gehen kann. Vor einigen Jahren wurde beispielsweise wegen Haushaltseinsparungen die Übungsmunition rationiert. Dies wurde am Schreibtisch sicherlich nicht bemerkt. Schichtdienst, Bereit- oder Rufbereitschaften gehen an Stabs – Mitarbeitern in der Regel vorbei. Bei sozialer Isolierung durch Überstunden und unregelmäßigen Dienstzeiten können die nicht mitreden. Die können auch nicht verstehen, welche Wirkung die Streichung einer Fahndungskostenpauschale hat. Wer hat schon Lust nach einem ereignisreichen Einsatz in Zivil minutiös für irgendeinen «Tinten – Urinierer» die Ausgaben aufzulisten? Und wieder wurde gespart.
Auch das zeigte sich 2017 wieder sehr deutlich. In der Berliner Polizei existiert eine Zweiklassengesellschaft. Die Bundespolizei, deren Besoldung deutlich höher angesiedelt ist, wurde vor 7 Jahren im Auftrag des BMI im Rahmen der BEERLAGE Studie (u.a. nachzulesen Deutsche Polizei 9/12, S.22) untersucht. Innerhalb der Studie wurde festgestellt, dass jeder 4te der Beamten im Einsatzdienst als «ausgebrannt» zu bewerten ist. Zur Erinnerung: Ausgebrannt ist eine nette Umschreibung für «von Depressionen geplagt!». Prof. Dr. Strohmeier von der TU Chemnitz stellte hierzu fest, dass 76 % Wochenend – Dienste, Überstunden, Schichtdienst und die mangelnde Vereinbarkeit des Berufs mit der Familie, als extrem belastend empfinden. NIEMAND wird in Berlin eine derartige Studie in Auftrag geben, man wahrlich kein Wahrsager sein, um das Ergebnis bereits vorher zu kennen.

Sollten die Zahlen in Berlin auch nur ansatzweise ähnlich liegen, fahren da draußen eine Menge belastete Leute mit Blaulicht und Schusswaffe durch die Straßen. Da muss sich keiner gesteigerte Sorgen um die Polizeischüler machen, die sind noch frisch. Bei einem Durchschnittsalter von Anfang 40 in der Berliner Polizei, sollte man sich eher Sorgen um die «Alten» machen. Lange «Strassenterrier» zu sein, formt den Charakter und die Bewertung von Gesten. Wenn die Polizeiführung 2017 zu Weihnachten Keksteigausstecher in Form eines Polizeisterns mit Begleitschreiben verschickt, mag das an den Schreibtischen gut ankommen, die Kommentare auf der Straße hören sich anders an.

Karten auf den Tisch!

Meiner sehr persönlichen Auffassung nach, hat Polizeipräsident Kandt 2017 eine riesige Chance vertan. Als ehemaliger Berliner Polizist, der auf Berliner Kosten in den höheren Dienst wechselte, um dann im Nachbarbundesland Karriere zu machen, hätte mit Dienstantritt klare Worte gegenüber der Politik finden können und dieses auch den Mitarbeitern mitteilen sollen. Alles was zur Zeit passiert, ist nur noch ein Zurückrudern. Es wäre unfair ihm die Zustände der Polizei anzulasten, da haben andere vor ihm viel mehr Zeit aufgewendet. Auch die Querelen seiner Besetzung sind ihm nicht zuzurechnen. SPD, CDU und LINKE haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfolgreich am Niedergang der Polizei beteiligt und sei es nur, in dem ein Diepgen Berlin finanziell an die Wand gefahren hat.

Doch warum erfolgte nicht von Anfang an eine saubere Bestandsaufnahme? Da stehen wir und so geht es nicht weiter! Trat da jemand engagiert mit einem Auftragspaket in der Tasche seinen Dienst an und prallte auf alte Seilschaften? An irgendeiner Stelle hätte in der hohen Politik jemand sagen müssen: Oh, Oh, wir haben die Polizei zu 100 % kaputtgemacht. Wir haben schlicht politisch komplett versagt. Da helfen auch keine schönen neuen Worte aus dem Management – Hiltrup Kauderwelsch weiter. Controlling, Kompetenzzentren, Akademie, Balanced Scorecard, Assessment – Center usw. werden uns nicht weiter bringen – die Amtssprache zur Fehlerbehebung ist immer noch Deutsch. Ausgerechnet ein ehemaliger Präsident, Georg Schertz, äußerte sich deutlich.

Was soll`s? Weihnachten und 2018 stehen vor der Tür!

Irgendwo zwischen diesem Theater geht das Leben im großen B weiter. Nächtens machen sich die osteuropäischen Profieinbrecher auf den Weg, die Großfamilien planen ihre alljährlichen Raubzüge in der Vorweihnachtszeit auf die Elektronikmärkte, einige deutsche Kriminelle hecken aus, wie sie mit brachialer Gewalt die gut gefüllten weihnachtlichen Geldtransporter erleichtern können, der eine oder andere treibt noch ein wenig Geld ein und unterschiedlichste junge Männer diverser Nationen radikalisieren sich ein wenig mehr. Die in Berlin laut Körting nicht existierende offene Drogenszene wir tagsüber ein wenig einbrechen gehen und die Polizei wird bis Mitte Januar wieder einmal unter Volllast stehen. Die Politiker gehen in die Pause, um sich 2018 wieder im Kreis aufzustellen, damit sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen können. Einige Schießtrainer werden brav ihre Medikamente nehmen, um die Schwermetalle aus dem Körper auszuleiten und viele Polizistenehen werden ihr letztes gemeinsames Weihnachten feiern.

Allen, die da draußen im Kalten ihren Job machen, eine verletzungsfreie und vor allem private konfliktfreie Zeit. Mein Statement dazu: Vielen wurde anfangs gesagt, dieser Beruf ist kein Job, sondern eine Berufung. Meiner Meinung nach, ist dieses gequirlter Quatsch. Es ist ein verantwortungsvoller Beruf, mit dem das Leben finanziert wird. Lasst es Euch weder physikalisch noch psychologisch nehmen, gerade Weihnachten sollte daran jeder mal denken. Den Außenstehenden sei gesagt, die auf der Straße geben alles, aber es lässt sich in einer Großstadt nun einmal nicht alles Verhindern, so ist das Leben! Und gerade den Polizeischülern sollte mal jemand sagen: «Alles der ganz normale Wahnsinn! 2018/19 kräht kein Hahn mehr danach, dazwischen gibt es wieder diverse Einsatzlagen, u.U. sogar Terroranschläge und neue Skandale. Genießt Weihnachten und lasst Euch nicht Bange machen. Nach der Ausbildung wird Weihnachten Luxus.»

 

5 November 2017

Ausbrennende Polizei

Lesedauer 8 Minuten

Laut einiger Studien ist jeder zehnte Polizist bei der Bundespolizei ausgebrannt. Selbst wenn es jeder zwanzigste wäre, ist das eine erschreckende Zahl. Als Polizist ist es oftmals einfacher Schweißfüsse einzuräumen, als ausgerechnet von Burnout zu sprechen. Zumal es dieses Burnout gar nicht als anerkannte Krankheit gibt, sondern als Erschöpfungszustand mit begleitenden Depressionen bezeichnet wird. Und wie sieht es in den Ländern aus?

Seit nunmehr zwei Jahren setze ich mich damit auseinander. Warum? Ich betrachte diesen BLOG nicht als Plattform für Nabelschau oder als den Sendekanal für Frustrationen, insofern ist die Antwort nicht einfach zu formulieren. Dann gibt es diese Tage, an denen man einem ehemaligen Mitstreiter gegenüber sitzt und sich dabei denkt: “Irgendjemand muss doch mal den Mund aufmachen. Wie viele von uns mögen ähnlich fühlen und sich gerade den vierten Cuba Libre in den Kopf gießen?”

“Weißt Du Trölle, wofür ich sie hasse?”
“Nein!”
“Sie haben uns das Saufen und diese Art Leben beigebracht.”

“Die haben etwas mit mir gemacht und ich habe mich geopfert!”, lautet die Botschaft. Ist das so? Meiner Meinung nach nicht. Der Beruf hat mit uns etwas gemacht und wir haben es zugelassen. Zu jedem Zeitpunkt hätten wir eine andere Entscheidung treffen können. Es gibt einige Gründe, die das verhindert haben, aber die sind bei jedem selbst zu suchen. Da bin ich voll auf der Seite des Brandenburger SPD Abgeordneten, der im Landtag zu einem für die AfD agierenden Polizisten sagte: “Wenn es so schlimm bei der Brandenburger Polizei ist, können sie doch gehen!” Lustig ist dabei, dass da zwei stritten, die genau dieses taten. Der von der SPD war mal Leiter bei der Volkspolizei und der andere kam aus der Schutzpolizei. Ein lukrativer Weg für Polizisten, die sich verbiegen können.

Ich schraube die Zeit mal zwei Jahrzehnte zurück. Wer auf meiner Dienststelle als Neuer anfing, hatte zwei Optionen: Sich unseren Normen unterzuordnen oder gleich wieder die Sachen zu packen. Bereits am ersten Tag hatte die/der Neue die Computerkasse mit 100 DM zu füllen. Die Polizeibehörde stellte uns keine Rechner zur Verfügung, also kauften wir sie von unserem eigenen Geld. Außerdem konnte er/sie gleich mal einen Geldautomaten aufsuchen, damit die Einstandslage bezahlt werden konnte. Dies war die Aufwärmübung für die kommende Zeit. Fehler passieren jedem, wer einen macht, zahlt eine Runde für alle und niemand darf jemals wieder darüber sprechen. Wer neu ist im Team, hat das erste Jahr die Klappe zu halten. Nach einem Jahr wird er frei gesprochen und darf mitreden, vorher hat er/sie zu lernen. So war das in der alten Zeit. Positive Manöverkritik und der restliche Kommunikationsquatsch existierte bei uns nicht. Bei uns gab es frontale Ansagen, und die waren gefälligst zu schlucken.

Und gab es mal keine Fehler zu vergessen, wurden halt persönliche Konflikte beim Bier besprochen. Wir arbeiteten oftmals wochenlang durch, gingen zum Duschen und für vier Stunden Schlaf nach Hause und machten weiter. Immer mal wieder landeten wir unvorbereitet irgendwo im Bundesgebiet oder Ausland und übernachteten tagelang fern von Familie und Freundschaften in Hotels. Das Spiel nennt sich Bedarfsorientierter Dienst. Ab und zu gab es mal Pausen, und wenigstens in diesen ließ uns die Führung ein wenig relaxen, bis die nächste Entführung, Raubtat, Geiselnahme, Rauschgiftlieferung, Terrortat pp. bedient werden musste. Schichtdienstzulagen und Steuerermäßigungen mussten mit vielen Vermerken der Behördenleitung abgerungen werden. Zumeist bekamen wir sie nur temporär und mit Zähneknirschen.

Wir fuhren in Zivilfahrzeugen ohne Blaulicht stets am absoluten Limit und manchmal darüber hinaus. Diverse von uns entgingen nur knapp und mit sehr viel Glück der Katastrophe. Dabei wussten wir immer, dass es im Fall der Fälle keine Rückendeckung geben würde, weil die Polizeibehörde den berühmten “Arsch an die Wand” bekäme. Mehrfach wurden Kollegen vom Richter verdonnert, verloren zeitweilig den Führerschein und durften horrende Strafen zahlen. Uns war es egal. Einer muss den Job machen, sonst gewinnen die anderen. Wenn die Russen, Araber, Zuhälter oder Räuber merken, dass wir zucken, geben sie einfach Gas und spielen ihr Spiel. Ging alles gut, waren wir die Helden der Presse, ging es schief, droschen sie auf uns ein. Daran hat sich nichts geändert. Am Ende ist es wie bei einem Torwart im Fußball. Du hältst 89 Minuten jeden Ball, lässt Du in der 90 Minute einen durch, bist Du der Arsch der Nation. Zehn vereitelte Terroranschläge interessieren niemanden, wenn einer durch kommt. Life is a Bitch!

Zeiten ändern sich. Eines Tages fallen jemanden die Leerzeiten auf. Das geht in der heutigen Zeit überhaupt nicht, da geht noch mehr. Den Nächsten stören die Einsatzmaterialien, denn die kosten Geld. Da muss eine Statistik her. Fahrzeuge leisten Kilometer und die können erfasst werden. Was mit den Standzeiten ist, in denen sich im Fahrzeug ein Beamter aufhält, ist vollkommen egal. Innenraum und Sitze werden aber nicht durch Kilometer abgenutzt. Beweise entstehen durch Fotos, aber sie beweisen erst einmal, das sie den Fotoapparat wirklich brauchen. Hä? Nun, Buchhalter und auf der Straße arbeitende Polizisten sind natürliche Feinde. Schutzausstattung kann jeder fordern. Beweisen sie erst, dass die Sachen, welche Sie fordern, besser sind. Reicht ein erschossener Kollege? Ja! Jetzt bekommen sie die neuen Helme. Ein Direktor wollte gar dem SEK die Betten klauen. “Die sollen arbeiten und nicht pennen!” Ein junger Rat bemerkte gegenüber dem MEK recht selbstbewußt: “Ich habe auch schon mal auf dem Schreibtisch geschlafen!” Entzückend Kleiner … hätte Kojak an dieser Stelle trocken bemerkt. Wertschätzung hört sich anders an.

Auf meiner Dienstelle war und ist ein Kriterium die besondere Frustrations- und Stressresistenz. Ich bin mir nicht sicher, ob damit die Ausrichtung auf das polizeiliche Gegenüber gemeint ist. Ich erinnere mich an einen Polizeioberrat, der die Worte prägte: “Ich kann Ihnen alles wegnehmen und sie werden trotzdem raus fahren. Warum? Weil sie Polizisten sind! Sie können nicht anders!”

Na toll … Legendär ist auch der Auftritt eines Dienststellenleiters, der anlässlich des Besuchs eines Polizeipräsidenten forderte, alle “behördenfremden” Möbel zu entfernen. Hätten wir ernst gemacht, wäre sein Stuhl weg gewesen. Sämtliche Möbel im Raum hatten wir im Sperrmüll einer Bank organisiert. Ich räume ein, diesbezüglich wurde Abhilfe geschaffen.

Vieles ist Vergangenheit und wurde von anderen Merkwürdigkeiten abgelöst. Geblieben ist die Tatsache, dass alle auf eigene Rechnung fahren. Würden die Beamten es nicht tun, wäre die Dienststelle obsolet. Erst kürzlich veröffentlichte die Gewerkschaft wieder ein Rechtsgutachten über “Observationsfahrten”, bei denen der Fahrzeugführer stets eine besondere Abwägung der Rechtsgüter zu treffen hat. Klartext: “Passiert etwas – bist Du dran!”
Wir “Alten”, ich nehme diese Bezeichnung für mich in Anspruch, meckern über die junge Generation. Die sind nicht mehr engagiert, sie haben keinen Biss mehr und sie haben diesen alten Teamgeist nicht mehr. Dafür sitzen sie aber auch nicht geschieden, sozial isoliert, in einer Blase denkend, oder mit alten Mitstreitern jammernd in einer Kneipe. Wer macht also alles richtig? Die oder wir?


Das ist “Burnout” eines Polizisten. Überstunden, Anfahrtszeiten, die Vielzahl der Dienstantritte, die Belastungen und die mangelnde Rückendeckung führen zur Isolation. Probleme jeglicher Art, intim, familiär oder auch gesellschaftliche, werden nur noch in der Blase geregelt. Sprache und Ton verhindern die Auseinandersetzung mit der Frau/Freundin/Ehemann/Freund. Manch einer schafft es nicht einmal über Dating – Apps eine Beziehung einzugehen, weil alle Treffversuche scheitern. Kopf, Gefühl und Beruf werden sauber voneinander getrennt. Psychologen nennen dieses “Dissoziation”. Das da die eine oder andere radikale Ansicht entsteht, darf nun wirklich niemanden wundern.

Es geschieht alles nur noch mit dem Betroffenen, er selbst besitzt keine Steuerung des Geschehens, welches sich angeblich sein Leben nennt. Er funktioniert nur noch. Und er/sie wird eines Tages dafür Verantwortliche suchen. Die Behörde, der Demonstrant, der Straftäter … einer wird es abbekommen. Psychologisch kommt es zum Group – Thinking, das Individuum gibt seine Vorstellungen zu Gunsten der Gruppe auf. Bis es eines Tages nicht mehr geht.

Aufmerksam werden auch die Geschehnisse rund herum beobachtet. Manch ein Sachbearbeiter hat sich seine eigenen Gedanken zum Thema AMRI gemacht. G20, die angeblichen “Partypolizisten”, Schießtrainer, Anonyme Schreiben, Show – Pressekonferenzen, Stellenschiebereien auf höherer Ebene, Blockade der Wegbewerbungen, Tarifverhandlungen, all dieses wird in der Blase intensiv beobachtet und ausgewertet.

Burnout hat viele Gesichter. Innere Kündigung, Mobbing, psychosomatische Erkrankungen, Wutbriefe, die mehr Verzweiflungstaten sind, Alkoholfahrten, Exzesse, Widerstandshandlungen und oft die Wortwahl bei Kommentaren in sozialen Netzwerken. Vieles ist erst außerhalb der Blase erkennbar. 


Letztens fragte mich ein junger Kerl, ob ich ihn den Weg in die Polizei empfehlen würde.

Meine Antwort: “Jein! Solltest Du ein Idealist sein und den irrigen Glauben haben, dort etwas bewegen zu können, lass die Finger davon. Hast Du ein mittelmäßiges Abitur oder einen anderen Schulabschluss, akzeptierst, dass Du die Welt nicht ändern wirst – warum nicht? Der Grundsatz: Erfolg hat nicht zwingend etwas mit Leistung zu tun, gilt überall. Unsere Gesellschaft honoriert den Erfolg, nicht die Leistung. Mit ein wenig Geschick und Kaltschnäuzigkeit kannst Du mit einer mittelmäßigen Leistung zügig in die Personalverantwortung kommen, entscheidend ist dabei, dass Du die Regeln einer Hierarchie begreifst.  Ich kannte mal einen Hauptkommissar, der hat stur bei jedem Einbruch “keine Ermittlungsanhalte” drunter geschrieben, die Fahndung für ein paar Seriennummern eingegeben und ist damit auch durchgekommen. Aufreiben ist Deine persönliche Entscheidung. Wer heute dealt, macht es Morgen auch noch. Tote haben verdammt viel Zeit, Diebstahl ist mehr eine Versicherungsangelegenheit als Polizeiarbeit, fängst Du einen Räuber, steht Morgen ein neuer auf, der vermeintliche Terrorist, den Du auf der Rechnung hast, ist garantiert der Falsche von diversen anderen Aspiranten. Dumm und faul ist im Beamtentum nicht strafbar! Ermittlungsverfahren aufreißen und wegen Überlastung nicht nach Geschäftsanweisung zu bearbeiten, sehr wohl. Hätten sich die Ermittler beim Staatsschutz dran gehalten, wäre es auch zum Anschlag gekommen, aber ihnen wäre nichts passiert. Einfach “Land unter!” anmelden und gut ist.

Langsam fahren und den Täter entkommen lassen wird akzeptiert. Schnell fahren und einen Unbeteiligten schädigen, kostet Dich Kopf und Kragen. Akzeptiere diese Regeln und Du wirst in der Polizei keine Probleme bekommen. Im Gegenteil, Du kannst es weit bringen. Sieh zu, dass Du schnell auf einer Stabs – Stelle landest. Wer dort ist, hat ausgesorgt. Es macht keinen Spaß, aber danach wurde nicht gefragt. Natürlich kannst Du es auch anders machen – aber dann jammer später nicht, ich hab es Dir vorher gesagt.


Diese Antwort ist mit absoluter Sicherheit nicht konform zu den Vorstellungen derer, die es bis nach oben geschafft haben. Aber mal ehrlich gefragt: Wärt Ihr auf dem Posten, wenn ihr was riskiert hättet? Manch einer dreht dem SEK den Rücken zu, begreift wie es läuft, macht über diverse geschickte Bewerbungen alles richtig und wird Präsident. Das sind doch alles keine Geheimnisse. Selbst Direktionsleiter murren darüber, dass sie ihren “talentierten” Leuten außer attraktiven Lehrgängen nichts bieten können. Jeder Interessierte weiß, dass es Zirkel der “Alten” gibt, in denen über das Schicksal der jungen Räte gesprochen wird. Nur ganz Dumme bekommen nicht mit, dass nach dem “Tag der offenen Tür” eine elitäre Nachfeier stattfindet, bei der auch schon mal “Personal” gespielt wird. “Allgemeine” Ausschreibungen für den Höheren Dienst werden gezielt gesteuert und, und … Sollte doch mal etwas schief gehen, erfolgt die Methode “Führung schützt Führung!”. Es gibt so viele schöne Verstecke in der Behörde. Und unten müssen sich die Leute für eine ehemalige Regelbeförderung beide Beine ausreißen und sich für den fürstlichen Dienstgrad eines Oberkommissars A10 komplett nackig machen. Wie war doch gleich die Aussage vor vier Jahren? Die Generation heute, wird sich damit anfreunden müssen, vermehrt als Oberkommissar pensioniert zu werden.

Jeder kennt die “Geheimnisse” des Beurteilungswesen. Sollen doch die Theoretiker erfinden was sie wollen, wir machen es passend. Die zweigeteilte Laufbahn ist ein Treppenwitz und wir “deichseln” es schon.

Als ich Mitglied in der Konfliktkommission beim Polizeipräsidenten Berlin war, gab es einen Fall, in dem der Antragsteller als “pathologischer Querulant” bezeichnet wurde. Himmel, hatte der eine schlechte Laune. Vielleicht kam das Wort “Burnout” für ihn einfach nur zu spät. Dies ist nicht mein Ziel, auch wenn es so wirken mag. Ich widme diesen BLOG Beitrag denen, die mich begleiteten in den Jahren, aber leider nicht mehr leben. Außerdem denen, die immer noch den inneren Flächenbrand mit Cuba Libre zu löschen versuchen. Der Konflikttrainer Dietmar Hübner hat in seinen Seminaren immer gesagt: “Es gibt mindestens immer noch eine weitere Option!”

Ich habe innerhalb der letzten zwei Jahre – mir ist es egal, ob es dramatisch klingt – Tränen in den Augen von ziemlich harten Leuten gesehen. Ich bin hiermit in die Offensive gegangen und wer mal richtig am Ende ist, ich trinke ab und wann immer noch einen Cuba, zu wissen, dass man nicht alleine im Arsch ist, hilft bisweilen.
Auch habe ich über die Worte eines ex – Vorgesetzten nachgedacht, der etwas von mir gelesen hat. Seine Worte: “Schade Trölle, ich hätte gedacht, Du gehst mal richtig Volley!” Er hat Recht. Aber ohne “Interna” und Geheimnisse, sondern auf der Ebene, die wir stets vernachlässigten: Kopf und Gefühl! Wir leben exakt einmal!