Moderne Welt

white skeleton figurine on black laptop computer Lesedauer 7 Minuten

Mein Vater ist seit kurzem Witwer und teilt das Schicksal vieler Männer der bürgerlichen Nachkriegsgeneration. Zeitlebens verließ er sich auf das kaufmännische und buchhalterische Können seiner Frau. Computer, Digitalisierung, die neuesten rückwärts eingesprungenen Rittberger bei Bankensicherungssystemen zogen in den Jahren an ihm vorbei. Ihm genügte es, seine EC-Karte in einen Automaten zu stecken, eine vierstellige Nummer einzugeben und das Ding gab ihm Geld. Bei allen anderen Sachen musste er halt zu Hause vorstellig werden. Wie er mit der Haltung in den 80ern und 90ern durch die Polizei kam, ist mir ein Rätsel. Vielleicht nicht ganz. Ich habe noch die Rufe meiner ehemaligen Kollegen im Ohr. „Trölle!“, hieß es dann immer mit einem leicht verzweifelten, dezent aggressiven, Unterton. An irgendeiner Stelle war mal wieder jemand an einem Rechner oder Drucker gescheitert. Auf die Art und Weise kann man auch viel über die angeblich widerlegte Frustration-Aggression-Theorie lernen.
Bereits seit längerer Zeit betrachte ich das Meiste in diesem Zusammenhang als ein groß angelegtes Spiel. Von meinem Vater kann ich das nicht verlangen. Bereits in der Jugend faszinierte es mich, wie er verrenkt unter der Decke klebend eine persönliche Beziehung zu einer Schraube aufbauen konnte, die ein sadistisch-perverser Designer für eine Deckenlampe vorgesehen hatte. Dies ist nur eins von vielen Beispielen für die Dinge, die nachhaltig meine Lebenshaltung prägten. Aus unerfindlichen Gründen neigen Mitglieder moderner industrialisierter Gesellschaften dazu, sich das Leben maximal zu verkomplizieren. Alles muss versteckt sein, möglichst unsichtbar montiert werden und darf das Auge mit der Existenz nicht stören. So als ob es einem peinlich wäre, dass man dem Universum wieder einmal eine Ausgeburt des Großhirns unterwuchtete. Egal, vielleicht gibt es ja tatsächlich Designer, die abends am Tresen sitzen und sich stundenlang darüber amüsieren, wie weltweit Handwerker an ihren Konstruktionen verzweifeln. Bei den Konstrukteuren von Motoren bin ich mir sicher. Warum sollten sie sonst stets neue unzugängliche Plätze für Zündkerzen finden?
Zurück zu den Problemen der neuen Welt oder besser gesagt, in die Zeit der „Digitalen Revolution“. Bisher konnte ich meinen Vater nicht davon überzeugen, dass der Mensch Computer jenseits der Wissenschaft ausschließlich einsetzt, um Probleme zu lösen, die wir ohne sie nicht hätten. Beispielsweise entdeckte ich auf seinem Rechner ein Finanzmanagement-Programm. Ich gebe zu, dass ich so etwas auch mal hatte. Es dauerte eine Weile, bis ich die Hintergründe verstand. Haushaltsbücher gelten als antiquiert. Ich fand mal eins meiner Großmutter. Oben stand, wie viel mein Großvater in der Lohntüte nach Hause brachte, darunter folgten simple Eintragungen über die Ausgaben. Miete, Strom, Milch, Butter, Brot, Belag, Getränke, fertig. Keine Aktien, Depots, Abschreibungen, Sonderausgaben, Werbungskosten, Außenstände bei der Krankenkasse, Rücklagen oder ähnlich verwirrende Dinge. Das Buch ist weder sexy, hip, noch cool. Also machten sich Programmierer ans Werk. Theoretisch kann jetzt jeder mit diesen Programmen nachvollziehen, wie viel Prozent die Nahrungsmittel, das Vergnügen, die Toilettenartikel, ausmachen. Es ist auch nachvollziehbar, wie sich das über das Jahr entwickelte. Oder man kann bestimmen, welche Ausgaben steuerlich relevant sind. Mal ganz abgesehen davon, dass sie dies beim Normalbürger nie sind, weil in der unteren Mittelschicht kaum einer über die Pauschalbeträge kommt. Aber man darf träumen. Genau genommen sind diese Programme zeitraubende PC-Spiele. Etwas philosophischer formuliert, liefern sie eine grafische Darstellung des inneren Zustands „Haben“. De facto benötigt er dieses Programm wie eine singende Einhorn-Figur aus rosafarbenen Plüsch. Leider sperrte es aufgrund einer Fehlbedienung den online-Zugang für die Bank.
Man mag meinen, dass dies kein gravierender Vorgang ist. Tausende geben jeden Tag eine falsche PIN ein. Eben! Damit gehen sie den Banken auf den Zünder. Kaum freuten sich all die Dagobert Ducks über die fantastischen Kostenersparnisse, die sich aus der Freisetzung der teuren Angestellten ergaben, begannen die Kunden online zu nerven. Immer wieder bewundere ich die Genialität Douglas Adams. Im „Anhalter durch die Galaxis“ zeigen sich die Gorgonen verwundert, weil die Erdbewohner nicht rechtzeitig Widerspruch gegen Zerstörung der Erde einreichten. Parallel kämpft einer der Protagonisten um die Unversehrtheit seines Hauses, welches für eine Umgehungsstraße geopfert werden soll. Mitgeteilt wurde dies mittels eines Aushangs im Keller des Rathauses, hier wiederum in einem verschlossenen Raum, für dessen Öffnung ein Antrag notwendig ist. Webpräsenzen von Banken sind ähnlich strukturiert. Alles was verkauft werden soll springt einen an. Mit drei Tasten und zwei Klicks ist der Deal abgeschlossen. Will man einen Kontakt herstellen, wird es schwieriger. Zur Auswahl standen der telefonische Support, ein WhatsApp-Kontakt (extrem bedenklich), eine KI, die den Namen nicht verdient, da sie nur FAQ beantworten kann und einige Formulare, die seltsamerweise nur auf den Kauf weiterer Produkte bezogen sind.
Zunächst rief er selbst bei der Bank an. Sie, die Beraterin und er, der Mann aus der Zeit vor der Digitalen Revolution, sprachen sauber aneinander vorbei. Hilfreich wäre die Klärung gewesen, von welcher Art Gerät jeder spricht. Am Ende war der Zugang wieder dicht. Ich kenne nicht den Masterplan der Sparkasse Berlin, aber am Geld der Senioren scheinen die Verantwortlichen nicht interessiert zu sein. Ich weiß! Sie sind am Geld, richtig formuliert an den Datensätzen, die Geld darstellen, interessiert, aber nicht an diesen lästigen verfallenden Blutsäcken, die nichts mehr generieren, sondern nur noch empfangen. Demnächst, jedenfalls wenn es nach den Ferengis (Mein Vater weiß natürlich nicht, was ein Ferengi ist, aber ohne es zu wissen, kennt er sie doch, weil man Politiker*innen der CDU/CSU/FDP, nicht besser darstellen kann) geht, wird das Geld für die Rente treubrav an Blackrock übergeben. Der Investment-Gigant, soll dann mit einer weiteren europäischen Rentenkasse spielen dürfen.
Also machte ich mich an die Angelegenheit. Ich selbst bin bei einem anderen Institut. Mir fällt es leicht, mit den entsprechenden Apps auf dem Smartphone zu agieren. Aber kann ich das von einer älteren Generation erwarten? Ich denke nicht. Weil ich mir nicht ganz sicher war, was die eigentlich in Sachen online-Banking auf dem Portal wollten und außerdem das richtige Gerät benötigte, stellte ich mich in die Schlange vor der Sparkassen-Filiale. Jedem, der ein wenig Zeit hat, kann ich diese Erfahrung empfehlen. Mit mir zusammen standen dort in der prallen Sonne ca. 20 mehr oder weniger verzweifelte Rentner und Rentnerinnen. Ich bereitete mich innerlich auf erste Wiederbelebungsmaßnahmen vor. Vor uns stand ein typischer Berliner Sicherheitsmann. Schwarzes Hemd, schwarze Jeans, Schuhe von einem bekannten Sicherheitsausstatter und rudimentär der Sprache mächtig, die die Rentner vor ihm sprachen. Immer mal wieder grüßte er knutschend junge kräftige tätowierte Männer, die an allen vorbei zu den EC-Automaten gingen. An den Schaltern spielten sich menschliche Tragödien ab. Es ist nicht schön, wenn man alte Männer in Tränen ausbrechen sieht, weil sie mit dem Humbug überfordert sind. Grotesk wird es, wenn man dabei den Kontrast an den Automaten beobachtet, wo sich merkwürdige Gestalten ihr Geld holen.
Endlich an der Reihe nickte der Angestellte nur mitleidig. Was ich schilderte, war sein täglich Brot. Allerdings konnte er mir nicht das passende Gerät verkaufen. Hätte er dies getan, ergäbe sich daraus für die Bank ein Haftungsanspruch, deshalb müsse man es online kaufen. Über die App, zu der ich keinen Zugang habe, würde sich das Ding ganz leicht kaufen lassen. Zwischenzeitlich rief mich mein Vater an. Bei einer großen Bank in seiner Nähe böten sie ihm einen Seniorenberater an. Zu meiner Begeisterung beschloss er dorthin umzuziehen.
Doch da wäre noch die Sache mit den Konto-Auszügen. Eigentlich simpel, wenn man sich in Berlin befindet und einen Berliner Automaten benutzt. Weilt man in einer anderen Stadt, mögen einen die Sparkassenautomaten nicht. Jetzt ritt mich der Teufel. Auf einem Samstag, zur Primetime, also nachdem alle Hundebesitzer nochmals ihre Lieblinge ausgeführt hatten, 5 Minuten nach Beginn des traditionellen deutschen 20:15 Uhr Fernsehprogrammbeginn, zu der Zeit, in der die Wasserbetriebe die geringste Auslastung haben, rief ich die Hotline an. Es dauerte 30 Minuten, bis sich eine freundliche Dame meldete. Ihr schilderte ich mein hochkomplexes Anliegen, welches manche Absolventen der Betriebswirtschaftslehre nicht regeln können: „Können Sie bitte meinem Vater, Inhaber des Kontos xy, einen Ausdruck des letzten Monats übersenden?“ Theoretisch wäre dies möglich, aber über das online-Banking sei dies viel einfacher. Yeap! Aber nicht, wenn es gesperrt ist. Also bot sie mir die Entsperrung an. Mein müsste hierfür nur eine seiner letzten Abhebungen oder Zahlungen, auf den Cent genau und mit Nennung der Transaktionsnummer benennen. Außerdem noch Geburtsdatum, Kartennummer, Schuhgröße, Essgewohnheiten der Großmutter … Was folgte, war eine kleine Eskalation. Da half auch nicht die Erklärung, dass die arme Frau auch nur ein Opfer der Ferengis und der Digitalen Revolution ist.
Ich schrieb bereits, dass mich der Teufel ritt. Unabhängig vom Anruf hatte ich bereits eine online-Lösung gefunden. Dachte ich! Die Sparkasse hat zwischenzeitlich eine eMail gesandt, dass sie leider Anfragen dieser Art nicht bearbeiten kann, weil sie den Absender nicht verifizieren können. Grundsätzlich wäre das kein Thema, weil sie ja einen Brief absenden. Aber sie wären kein Geldinstitut, wenn sie für den Ausdruck nicht satte 5 EUR berechnen würden.

Ich lehne mich mal weit hinaus. Bei mir ist ein abgebrochenes und ein abgeschlossenes Studium, jahrelange EDV-Erfahrung, diverse Zusatzausbildungen für computergesteuerte Spezialtechnik im Hintergrund. Im Gegenzuge wirft mir kein Installateur Werkzeug und ein Handbuch an den Kopf, damit ich meinen Kram alleine erledige und verlangt auch noch Geld von mir. Ich schrieb hier von Rentnern und Leuten, die sich jenseits der 70 bewegen. Das ist nicht fair und trifft auch nicht die Realität. Viele sind mit alledem überfordert. Hinzu kommen die, welche nicht darüber reden wollen und so tun, als ob sie klar kämen. Eines schönen Tages wird alles sehr simpel sein. Und damit wird es dann richtig gefährlich. Nur noch Insider wissen dann, was im Hintergrund passiert. Damit gibt es dann gar keine Chance mehr sich gegen die eine oder andere Sauerei zu wehren. Vermutlich gebe ich mich einer Illusion hin. Was da wie und warum passiert, weiß ich nicht. Jetzt in diesem Augenblick schreibe ich auf einem Laptop, der über ein WLAN online ist und mit dem ich einen Text schreibe, der aussieht wie früher auf der Schreibmaschine, tatsächlich aber eine Ansammlung von kryptischen Codezeichen ist, von denen ich nichts verstehe. 70 % von dem, was auf dieser Seite geschieht, verstehe ich nicht. Ich bin nicht einmal dazu in der Lage Werbung so einzublenden, dass ich damit Geld verdienen könnte.
Bei Geld bin ich ohnehin raus. Bitcoins, Aktien, Börsenkurse, Finanzprodukte, Tagesgeldkonten, haben mich niemals interessiert und heutzutage will ich damit nichts mehr zu tun haben. Ich weiß, dass da eine Menge Dinge passieren, die nichts Gutes erbringen. Dieses Wissen reicht mir völlig aus. Ich hege einen bösen Wunsch. Meiner Erfahrung nach, gehen alle hochkomplizierten Prozesse eines Tages böse schief, während einfache recht zuverlässig funktionieren. Wie schön wäre es doch, wenn den Freaks irgendwann alles um die Ohren fliegt. Es gäbe dann bedauernswerte Opfer, aber die Überlebenden und nachfolgenden Generationen wären die Gewinner. Im alten Chaplin Film gerät der Protagonist zwischen die Zahnräder einer Maschine. Die Revolution der mechanischen Maschinen ist Vergangenheit, jetzt haben wir es mit der Digitalisierung zu tun. Erich Fromm beschrieb die Moderne als eine Zeit, in der die Menschen alles tote und seelenlose lieben, während sie das Lebendige vernachlässigen. Er sagte dies vor ca. 50 Jahren. Ja, ich kann dem nur zustimmen.

Immer noch illegal

shallow focus photography of cannabis plant Lesedauer 8 Minuten

In Sachen Cannabis ist die aktuelle Ampel-Koalition mit einem großen Wählerversprechen angetreten: Wir werden Cannabis legalisieren. Allerdings scheint bisher nicht einmal eine Entkriminalisierung in Sicht zu sein. Ich erwartete nichts anderes. Ein Land, in dem sich selbst der Verkauf gängiger Schmerzmittel kompliziert gestaltet, tut sich schwer damit. Wenn ich in Polen an einer Kasse stehe und dort Aspirin neben Ibuprofen liegen sehe, frage ich mich stets, ob deutsche Zeitgenossen und Genossinnen mit politischen Gestaltungswillen, ihre Mitmenschen für besonders dämlich halten, oder sie ihre Rolle ein wenig zu erzieherisch anlegen.
Ich kann mich seit meiner Jugend an keine Zeit erinnern, in der Drogen nicht irgendwie eine Rolle spielten. Auf den Partys wurde mit der Pubertät Alkohol getrunken und die ersten Joints gingen herum, als ich um die 16 Jahre war. Mit Mitte der 80er kombinierten die ersten Freunde Kokain, MDMA, XTC, Alkohol und Cannabis. Jetzt wo ich nochmals die Zeit Revue passieren lasse, fällt mir ein, dass zwei Mitschüler bereits in der 7en Klasse Klebstoff schnüffelten. So viel ich weiß ist einer von beiden „abgedriftet“ und der andere wurde später Drogenberater. Einige Grundregeln lernte ich in all den Jahren: „Nicht die Droge sucht sich den Konsumenten, sondern es läuft andersherum.“ Gleichsam gilt: „Ob jemand süchtig wird, ist in der Persönlichkeit begründet und hat sekundär etwas mit der Substanz zu tun.“ Nunmehr bin ich Vater von zwei erwachsenen Töchtern. Aus Überzeugung heraus begann ich bei beiden recht früh mit einer offenen Aufklärung über Drogen. Mir war dabei immer bewusst, dass diese Verbotsfaselei im günstigsten Fall unbeachtet verhallt; im schlechtesten kontraproduktiv ist. Ich sagte ihnen Dinge wie: „Ihr werdet Alkohol trinken, das ist sicher. Aber wenn ihr trinkt, gebt dem Zeug eine Chance für die Wirkung. Ein Glas, warten, kurzer Body – u. Gehirnscan, dann kann es weiter gehen. Wenn ihr andere Drogen nehmt, bleibt dabei niemals alleine und Finger weg von den Sachen, die ein Chemiestudent im 4en Semester zusammen kocht.“ So weit ich noch einen Einblick in ihr Leben habe, scheint mein Plan aufgegangen zu sein. Ich halte nichts von Wunschvorstellungen, die sich jenseits der realistischen Verhältnisse befinden. Insofern es mir möglich war, beschrieb ich ihnen die Wirkungen der in unseren Breitengraden kursierenden Drogen. Mir wurde in der Jugend eine Menge Humbug erzählt. Cannabis, LSD, Captagon, XTC, Kokain, Heroin, wurden zum bösen Einheitsbrei, während Alkohol, kontrolliert eingenommen, durchging. Erst mein Onkel, schwer heroinabhängig, sagte mir eindringlich: „Alles begann mit dem ersten Bier!“ Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, vielleicht der Reiz einer Welt jenseits des als spießig empfundenen Elternhauses, ein Eindruck, der oftmals aus dem Versteckspiel gegenüber den Kindern resultiert, die Flucht vor einem Leben, welches einem seitens der Gesellschaft aufgedrückt wird, aber ziemlich unmenschlich wirkt, sind beim Einstieg die wichtigen Faktoren. Aber auch die Frusttoleranz, die Fähigkeit, mit Kummer, Trauer, Liebe, Emotionen, umgehen zu können, gehören dazu.

Das Einnehmen von Drogen unter Strafe zu stellen, ist ein bemerkenswertes Konstrukt. Immerhin schädigt sich jeder mit der Einnahme ausschließlich selbst. In allen anderen Gesetzen geht es immer darum, mittels Strafandrohungen Schaden von anderen abzuwehren oder bereits entstandenen zu sühnen. Nun gut, das passt zur Geschichte des Verbots. Nachdem religiöse Eiferer im Schulterschluss mit Industriellen am Alkoholverbot gescheitert waren, erschien plötzlich eine komplette US-amerikanische Behörde gegenstandslos. Der Alkohol minderte aus Sicht der Industrie-Bosse die Arbeitskraft der armen Männer und Frauen, die unter heute inakzeptablen Verhältnissen schufteten. Die Fanatiker sahen die Gottesfürchtigkeit gefährdet. Aber ein Al Capone begriff, dass das ein Kampf gegen die menschliche Natur werden würde und machte ein Geschäftsmodell daraus. Doch, wenn die kollektiv schwer in ihrer Persönlichkeit gestörten amerikanischen Evangelikalen und Rechts-Konservativen schon nicht den Alkohol verbieten konnten, gab es immerhin noch dieses böse Kraut, welches all die rauchten, die quasi den Gegenentwurf lebten. Wie immer in solchen Fällen wurde eine gigantische Propaganda-Kampagne gestartet. Bis heute wirkt sie nach. Cannabis-Raucher/innen sind faul, langsam, desinteressiert, vergesslich und sind schwer für Anstrengungen zu begeistern. Mit anderen Worten, der Albtraum des kapitalistischen Bürgertums. Während bei den Trinkern und Trinkerinnen die Werbebranche beidbeinig ins Geschäft sprang und den Alkohol zu einem Elixier des Erfolgs, Genussmittel und angeblichen Kulturgut werden ließ, dämonisierte man Cannabis. Die jährliche Krönung einer Cannabis-Königin, Messe-Verköstigungen mit aufgedonnerten Hostessen und Männern in abgewetzten Anzügen, sonst Alkoholiker, an der Stelle dann Hardcore-Bong-Raucher, die die Vorzüge der frischen Ernte anpreisen, sind schwer vorstellbar. Die Pflanze passt einigen anderen über das Rauschmittel hinaus nicht ins Konzept. Sie ist ein Multitalent und greift in mehrere Geschäftszweige hinein. Die Fasern sind in diversen Anwendungsbereichen synthetischen Produkten ebenbürtig und darüber hinaus kein schädlicher Eingriff in die Ökologie.
Ich denke, beim Verbot gehen einige miteinander Hand in Hand. Da wären die Missionare und Missionarinnen, welche davon beseelt sind, dem Rest der Welt ihre Vorstellungen aufzudrücken. Sie sind in die Politik und in die Ämter gegangen, um hierfür die notwendigen Machtmittel zu bekommen. Ich habe noch nie verstanden, was Menschen antreibt, die sich in die ureigensten Belange anderer einmischen. Solange jemand mit seinen Handlungen bei sich bleibt, kann sie/er tun und lassen, was sie/er will. Relevant wird es erst, wenn ein/e zweite/r involviert ist. Wer Drogen nehmen will, soll es tun und wer sich das Leben nehmen will, kann dies auch machen. Alledem geht eine lange Geschichte voraus.

Drogen lassen sich niemals getrennt von den gesellschaftlichen Prozessen betrachten. Noch heute ist es in vielen Kreisen ein Zeichen von Stärke, wenn man große Mengen Alkohol verträgt. Alkoholkonsum ist an der Stelle ein Spiel. Mitspieler sind die Trinkenden, das Barpersonal und die kritisierenden Mitmenschen. Man trifft sich, trinkt, baut Mist, der später als lustige Suffgeschichte verkauft wird, erwacht und holt sich den Ärger der Leute ab, die einen verkatert ertragen müssen. Oder es handelt sich um das ungezwungene Gespräch nach dem strengen Protokoll, bei dem endlich mal Tacheles gesprochen wird. Wer keinen Alkohol trinkt, wird schräg angesehen. Im Gegenzuge habe ich noch keine „Kiffergelage“ erlebt, bei dem ein Wettstreit über die Anzahl der gerauchten Joints oder Bongs ausbrach. Kokain taucht meistens in Kombination mit Alkohol auf. Es ermöglicht ein Trinken weit über das normale Limit hinaus. Das passt wunderbar zum Lifestyle der Hedonisten. Schneller Erfolg, hartes Business, schnelles Geld, keine Moral oder Ethik, immer auf der Autobahn unterwegs. Am besten noch mit dem Laptop im Zug schnell die Präsentation vorbereiten, die Aktienkurse verfolgen, sich bei der Frau entschuldigen, schnellen unkomplizierten Sex mit Gleichgesinnten, eben alles, was in einigen Kreisen als Erfolgsnummer gilt.

Wenn man sich mit Befürwortern der Drogenkontrolle unterhält, lohnt es sich, sie ein wenig intensiver auszuleuchten. Warum sehen sie sich dazu berufen, eine Unterscheidung vorzunehmen und auch noch unter dem Deckmantel andere schützen zu wollen, ein Verbot erlassen? Ein Verbot, welches Geldstrafen, Haftstrafen, jede Menge Ärger, Beschädigung des Images, Zerstörung beruflicher Laufbahnen und Biografien, nach sich zieht. Ganz nebenbei auch Verbote, die erst einen Anreiz bedingen. Ist dies alles wirklich ein Schutz? Wenn ich einem Jugendlichen, dem ich das Rauchen verboten habe, eine Ohrfeige gebe, erreiche ich dann etwas? Wäre nicht die Frage, warum es dazu gekommen ist und welche Motive den Antrieb gaben, viel besser? Und ist die verbietende Person Abstinenzler? Ich erlebte mal Michel Friedman bei einem Vortrag vor Freimaurern. Das Thema lautete: Angst! Er sagte dort: „Meine Angst vom Rauchen Krebs zu bekommen, wird von der Angst übertroffen, wie ein Nichtraucher zu werden.“ Die Haltung kann ich nachvollziehen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber oftmals neigen die zur Intoleranz und einem penetranten Sendungsbedürfnis. Kaum einer lebt in einer industrialisierten Gesellschaft ein wirklich dem menschlichen Wesen und seiner Gesundheit zuträgliches Leben. Da mische ich mich bei denen auch nicht ein.
Menschen sind in der Regel nicht echte Altruisten. Aus allem, was wir tun, ziehen wir in irgendeiner Form unsere Befriedigung. Sei es nur, dass ich einem anderen Menschen helfe, um mich damit besser zu fühlen. Ich kann es aber auch lassen und mir damit suggerieren, was ich doch für ein harter Hund bin, der emotional über den Dingen steht. Die sich da ihn Verboten ergehen, wollen sich auch die Befriedigung für ein Bedürfnis einholen. Gleiches gilt für Regulierungen. Bereits die Option, dies überhaupt tun zu können, setzt sie ein bis zwei Etagen über die anderen. Meiner Erfahrung nach, ein ziemlich starker Antrieb. Insofern die Notwendigkeit besteht, weil es das soziale Leben zu regeln gilt, lasse ich mir das gefallen. Aber nicht, wenn es um das pure Selbst geht. Mir wäre neu, dass sich diese Leute um andere Belange ähnlich umfassende Gedanken machen. Die Entfremdung, die immer komplizierte werdende Suche nach einer Identität, dem tatsächlichen Wirken in der Gesellschaft, die Reduzierung von Stress, der ernstgemeinte Ansatz, die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten anzugehen, welche Millionen von Menschen in ein Leben treiben, welches als äußerst ungesund zu bezeichnen ist, sparen sie aus.

Prohibition funktioniert ausschließlich über Macht, Machtmittel, Gewaltausübung, willkürlicher Auswahl, und mittels Zeitgenossen, die bereit sind, damit zu arbeiten. Deshalb muss ich mir beide Seiten anschauen. Es erscheint mir fraglich, ob diejenigen, welche sich dazu berufen fühlen, frei von bedenklichen Störungen sind. Wären sie es, gelte ihr Anspruch einer Überzeugungsarbeit, der Veränderung der bedingenden Faktoren und der realistischen Hinnahme der menschlichen Natur. Drogenkonsum zu verbieten kommt einem Gesetz gleich, in dem bei Strafe die Onanie untersagt wird. Dabei auch noch ausgerechnet den wahrlich schädlichen Alkohol und Nikotin zu erlauben, ist schlicht absurd.
All die ganzen Studien zum Thema Drogen sind meiner Auffassung nach Müll. Ein voll entwickelter Mensch weiß um die Schädlichkeit von Giften. Bereits Paracelsus formulierte die berühmten Worte: “Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift.” Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.” Sei es nun Cannabis oder Alkohol, von einer völligen Unschädlichkeit auszugehen, passiert vermutlich sehr wenigen Menschen. Oftmals sind bei Drogen Doppelwirkungen bekannt. Mal wünscheswerte positive bzw. u.U. heilende Wirkungen, andererseits schädliche die Gesundheit gefährdende. Auch ohne Arzt oder Wissenschaftler zu sein, vermute ich einen schwierigen Nachweis, was denn nun im Leben eines Menschen zum Beispiel konkret eine Psychose auslöste oder den Nährboden bereitete. Rein subjektiv betrachtet erscheint mir der Alkohol als eine der übelsten Drogen. Ob legal oder illegal, ist er recht schnell verfügbar und bietet beim Missbrauch, schnell die erwünschte Wirkung an, die relativ einfach aufrecht erhalten werden kann. Kurz: Je nach Problemfeld schießt er die Leute zuverlässig ab. Heroin bedarf einer gewissen Überwindung und die Wirkung ist zeitlich ziemlich begrenzt, so dass ein neuer Schuß notwendig wird. Aber wie auch immer geht es beim Missbrauch stets um das ausklinken. Ein Therapeut fragte mich mal, ob mir mal die Ähnlichkeiten zwischen einem Säugling und einem Alkoholiker aufgefallen sind.
Sich mit Cannabis völlig aus dem Rennen zu nehmen, ist eher schwierig und wäre nicht meine erste Wahl. Dabei fällt mir bei Cannabis-Konsumenten immer wieder die hohe Anzahl Intellektueller, hervorragend ausgebildeter Leute und die damit verbundene Empathie auf. Doch auch bei Cannabis sollte man wissen, was man da tut. Etwas schräg ist die offizielle Bewertung im Verhältnis zu Alkohol. Mir ist die egal. Jugendliche Trinker sind mit absoluter Sicherheit in jeder Hinsicht gefährdeter, abgesehen von anderen aufputschenden Drogen, als alle anderen. Was sie in Gefahr bringt, der Verkehr, die Aggressivität, die Enthemmung oder die toxische Wirkung ist dabei irrelevant. Verbote bringen weiterhin eine Dynamik mit. Ganz praktisch erlebte ich das in Malaysia. Die Underground-Szene der Jüngeren, welche sich durch die restriktiven Bedingungen der muslimisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft, exzessiv Drogen zu wenden, bevorzugen i.d.R. Cannabis. Durch die Verfolgung kommt es entweder zu einem Mangel oder sie weichen aus Angst vor gezielten Urin-Kontrollen auf andere Drogen aus, die nicht getestet werden. Oftmals ist dies ein Cocktail aus heimischen Pflanzen, Pilzen und Medikamenten. Der Weg zum Heroin ist dann nicht mehr weit. Therapieeinrichtungen existieren fast gar nicht und wenn doch, wird meistens die Droge durch religiösen Fanatismus eingetauscht. Zwischen Drogenmissbrauch und dem genannten reiligiösen Fanatismus ist ein schmaler Grat. Begründet ist dies in der Ursache für den Missbrauch. Die Religion soll Antworten geben und den Druck aus der Seele nehmen.

Mir erscheint eine gesellschaftliche Analyse und Behebung der den Missbrauch bedingenden Misststände deutlich zielführender, als Repression und Prohibition. Sag mir, welche Drogen in einer Gesellschaft bevorzugt konsumiert werden und ich erzähle Dir, wie der Zustand des jeweiligen Systems aussieht. Ein gewisses Maß an Konsum wird es immer geben. Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, dass über eine Analyse hinaus auch Änderungen angestrebt werden. Viel einfacher ist die Repression und Geld lässt sich damit auch ganz gut verdienen. Ebenso wachsen in unserem Gesellschaftssystem stetig Charaktere heran, die sich mangels natürlicher Autorität und Überzeugungskraft, über institutionell vergebener Macht definieren und sich durch die beschriebenen willkürlichen Verbote, über andere erheben. Ehrlicherweise muss ich anfügen, dass ich mittlerweile davon überzeugt bin, dass ein beklagenswerter Zustand eingetreten ist, der Änderungen äußerst gefährlich werden lässt. Große Anteile der Gesellschaft haben sich daran gewöhnt und verlernt, anders zu leben. Was nicht verboten wurde, ist erlaubt und kann nicht schädlich sein. Über Jahrzehnte hinweg wurde in beiden deutschen Staaten auf unterschiedliche Art und Weise alles an die Institutionen und deren Verwaltungen übergeben. Parallel wirkt auf alle seit Jahrzehnten ein Kanon von Manipulationen ein. Aber gut, meine Haltung zum Kapitalismus und den Auswirkungen ist jedem, der ab und zu hier mitliest, hinreichend bekannt.

Die Cannabis-Lobby setzt auf den Kapitalismus. Ich bin da skeptisch. Bei einer Legalisierung verdienen Neue und alte Alte erfahren Einbrüche. Letztere werden sich zu verteidigen wissen. An der Prohibition hängt weltweit ein riesiger Apparat, der über Jahrzehnte gewachsen ist. Der gibt nicht einfach kampflos auf.

Alles gesagt

white ceramic sculpture with black face mask Lesedauer 5 Minuten

Mir erscheint die aktuelle Zeit immer mehr davon geprägt zu sein, dass Debatten über Unvermeidliches und Offenkundiges geführt werden, obwohl alles gesagt ist. Ob es nun die Klimadebatte, die notwendigen einzuleitenden Maßnahmen, die erwartbaren Folgen, die Debatte um die Legalisierung von Cannabis, der Zustand der industrialisierten Gesellschaften mit den einhergehenden Veränderungen und einiges weitere, sind.
Ich denke, die beste Bezeichnung hierfür ist Unvernunft. Leute ignorieren die Tatsachen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich aufzeigenden Zusammenhänge, weisen sich selbst Rollen zu, die ihnen nicht zustehen. Die große Frage ist dabei, warum sie dies tun. Ist es das Belohnungssystem des menschlichen Gehirns? Es wird in vielfältiger Art und Weise aktiviert. Manchmal ist es nicht offensichtlich, andere Male springt es einen förmlich an. Der reine Konsum ist banal. Überall wenden Leute, die den Auftrag annehmen, ein Produkt zu bewerben, Methoden an, welche das Belohnungssystem aktivieren. Das beworbene Produkt macht freier, schöner, jünger, stiftet Identität, suggeriert anderen den vermeintlichen eigenen Erfolg, lässt einen angeblich liebreizender, attraktiver, begehrenswerter, werden. In den Social Media sind es die Klicks, die Verbreitung des eigenen Kommentars, welche die Ausschüttung der Hormone zuverlässig auslösen. Aber hier kommt noch der soziale Faktor hinzu. Im Prinzip stehen alle auf einem Marktplatz, schreien ihre Meinung über das Areal und erhoffen Gleichgesinnte zu finden. Frei nach dem Zitat von Oscar Wilde: „Warum erzählen wir anderen Menschen von unserer Meinung? Schlicht weil wir Angst habe, mit ihr alleine dazustehen.“ Es gibt diesen Versuch, bei dem Studenten in einer Stuhlreihe vor zwei auf dem Boden liegenden unterschiedlich langen Schnüren sitzen. Jeder wird gefragt, ob sie gleich lang sind. Während von fünf Studenten vier eingeweiht sind, ist einer oder eine unwissend. Bei diesen Versuchen zeigte sich, dass sich die Unwissenden trotz erheblicher Abweichungen der Mehrheit anschlossen. Dies änderte sich erst, wenn einer oder eine vor ihnen den Umstand der Ungleichheit laut erwähnte.

Wenn also die Unvernunft die Oberhand gewinnt, ist meistens eine der Eigenarten des Menschen im Spiel. Jeder halbwegs informierte Mensch weiß, dass alle fossile Brennstoffe benötigende Prozesse schädlich und am Ende vernichtend sind. Wenn nicht auf dem direkten Weg, dann indirekt über Kriege und Ausbeutung. Gleichermaßen sieht es mit allen Produkten aus, die nicht rückstandslos dem natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden können oder über die vom Ökosystem benötigten Mengen, CO₂ entstehen lassen. Ebenso wissen wir, dass die Kernenergie lebensfeindliche Rückstände generiert, die der heutige Mensch einem Lebewesen hinterlässt, welches in 10.000 Jahren leben wird. Auch dies ist eine Eigenart des Primaten Mensch. Auf diesem Planeten gehören wir einer der wenigen Spezies an, die Einsicht in das Handeln und die fatalen Folgen hat, aber dennoch gegensätzlich handeln. Hierzu passend gibt es im Buddhismus den Leitsatz, dass es völlig unlogisch ist, ein für andere Lebewesen schädliches Leben zu führen, wenn man andererseits mit dem gleichen Aufwand ein zumindest neutrales führen könnte. Denn das erzeugte Leid und der Schaden trifft nicht nur die anderen, sondern auch einen selbst. Diese Logik der Wechselwirkung und Möglichkeit des Handelns erkannten Menschen bereits vor 3000 Jahren!
Wir wissen über die Eigenarten unserer Spezies ganz gut Bescheid. Aber leider ziehen wir daraus die falschen Konsequenzen. Ich weiß, dass die Unterscheidung zwischen richtig und falsch nicht einfach ist. Falsch in meinem Sinne ist alles, was unnötiges Leid und irreversible Zerstörung zur Folge hat. Als unnötig ersehe ich alles, was nicht zum Leben an sich gebraucht wird. Etwa wie eine Daunenjacke im Rucksack, während man durch einen tropischen Dschungel läuft. Und davon haben wir im Überfluss.

Wenn ich mit Leuten über die notwendigen Reaktionen auf die stattfindende Klimakatastrophe spreche, bekomme ich stereotype Aussagen zu hören. Alles müsse für die Menschen attraktiv gestaltet werden. Das ist typisch für deutsche Bürger. Ehrlich? Wenn die sich nicht alle darauf besinnen, dass um ihren eigenen Hintern geht, haben sie es auch nicht besser verdient. Sie wollen sich nicht über die Feuerwehrleiter retten lassen, weil es zu anstrengend ist und sie nicht höflich genug darum gebeten wurden. Aber leider trifft es alle und nicht nur sie. Ein paar Leute haben es verstanden und schreiten zur Tat. Gedankt wird es ihnen nicht. Sie werden als Sektenmitglieder, Irre und Spinner diffamiert. Geistig retardierte Hitzköpfe zerren sie von der Straße, um die Blockade der Straße, die sie mittels ihrer bloßen Körper errichten, aufzulösen. Im Internet zerreißen sie sich das Maul und ergehen sich wie üblich in den üblen Fantasien eines Lynchmobs. Auch nicht ungewöhnlich für das deutsche Bürgertum, eher ein Standard. Dabei kann das Bürgertum Anbetracht der Lage noch dankbar sein. Wenn das selbstherrliche, gierige, bräsige Bürgertum des Jahres 2022 auf eine Bewegung wie ehemals die 68er träfe, sähe der Protest anders aus. Ich weiß nicht, wie lange das noch gut gehen wird.

Bisher geht noch alles relativ glimpflich über die Bühne. Fridays for Future wurde tot gelobt. Greta, als Führungsfigur, erhielt Einladungen und bekam ein Podium, wo sie heuchlerisch beklatscht wurde. In Deutschland stampft unterschwellig die Propaganda-Maschine. Eine Schmutzkampagne folgt der nächsten. Es ist unfassbar, welche Energie hierfür aufgebracht wird, anstatt sie für passende Kampagnen zu verwenden, die den Weg bereiten könnten. Die Aktivisten, welche einen aussichtslosen Kampf gegen einen unverantwortlich handelnden Energieriesen, der unter dem Schutz der Landesregierung steht und deshalb Hilfe von der Polizei bekommt, werden dämonisiert. Wenn ich Bilder und Videos sehe, in denen die Institution, der ich einst aktiv angehörte, missbraucht wird, platzt mir regelmäßig der Kragen. Da hilft es auch nicht, dass ich voraussagen kann, wie die heute jungen Polizisten und Polizistinnen in ein paar Jahren darüber denken werden.

„Alle finden es ‚Scheiße‘, aber alle machen es mit!“, heißt es im Lied „Testament“ von Sarah Lesch. Deutsche mokieren sich über die Abholzung des Regenwaldes, prangern das Töten afrikanischer Wildtiere an und echauffieren sich über Flüsse angefüllt mit Müll. Im Gegenzuge haben weder der Wolf, Wisente noch Bären eine echte Überlebenschance. Zusammenhängende Wälder gibt es schon lange nicht mehr und die Holzplantagen fallen den Folgen der Klimakatastrophe zum Opfer. Unüberwindliche Barrieren durchschneiden in Gestalt von Autobahnen und Landstraßen die Gegend. Die Blechlawine rollt durch die verdichteten Städte, in denen sich die Wärme staut. Eine Steinöde reiht sich an die nächste. Wer kann, stürzt sich in die Schuldenfalle, um sich in den Vorstädten ein Haus zu kaufen, um dann über den mangelnden Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs zu jammern. Dies genügt dann, um auf die wenigen Widerständler loszugehen. Gleichzeitig findet in den Städten der soziale Verfall statt, gegen den die Polizei als Dämmmaterial eingesetzt wird. Alles ist gesagt und jede Entwicklung überrascht nur noch, wenn sie sich schlimmer gestaltet als angenommen.

Letztens „entschuldigte“ sich der 1949 geborene UN-Generalsekretär António Manuel de Oliveira Guterres dafür, dass seine Generation nicht alles unternommen hat, um die Ozeane zu schützen. Mit dem entschuldigen ist das so eine Sache. Niemand kann sich selbst von Schuld freisprechen. Dies können nur die Richter und Richterinnen, im konkreten Fall die nachfolgenden Generationen. Wenn ein Täter in der Lage ist, die Folgen einer Tat abzusehen, dennoch nicht von seinem Handeln ablässt, sprechen Juristen von einem Vorsatz. Die Tatbestände sind sämtlich erfüllt, somit blieben noch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe. Ich kann keine moralischen oder ethischen erkennen. Waren wir betrunken? Standen wir unter Drogen? Gab es eine kollektive geistige Umnachtung? Ich bin nicht bereit, die menschliche Gier als solche hinzunehmen. Alles zusammen ergibt ein erstklassiges: Schuldig, im Sinne aller Anklagepunkte. Ich selbst nehme mich dabei nicht aus. Viel zu lange war ich besoffen und habe alles mitgemacht. Wenn ich es richtig beobachtete, ist das deutsche Bürgertum samt dem Rest der Privilegierten nicht Willens und bereit auf Guterres zu hören, der zum Ende des Lebens Bilanz zieht. Tja, schade eigentlich für ihn. Mit so viel Zugeständnissen in eine Machtposition gekommen, um zu erkennen, wie falsch alles war. Dabei mag man bei ihm noch gnädig sein. Ich denke, den größten Vorwurf müssen wir den Männern und Frauen machen, welche nach 1945 in der Stunde Null die politischen Geschicke in der Hand hatten. Unter dem Eindruck des II. Weltkriegs wäre es angezeigt gewesen, alles auf den Tisch zu packen und vollkommen neue Wege zu beschreiten. Stattdessen beließen sie alles beim Alten und setzten das Spiel mit anderen Konstellationen fort.

Kürzlich sagte mir ein Barkeeper, der selbst viel gereist ist, dass er die lange herumreisenden Typen als Menschen kennengelernt hat, die sich von allem distanziert haben und nicht mehr mitmachen wollen. In dem Falle ist distanziert ausnahmsweise korrekt. Es ist nur möglich, wenn man einen Standort verlässt, also einst dabei war. Ich merke, wie ich mich täglich ein wenig mehr distanziere. Der Zwischenraum füllt sich mit Verachtung für diejenigen, welche einfach immer weiter machen, sich dabei noch im Recht fühlen und die wenigen Widerständler anblöken.






Die Logik des Habens

Lesedauer 8 Minuten

„Wir werden die Welt schon in Ordnung bringen! Wir sind ja schließlich keine Menschen!“

Oscar, Elefant

Die Konferenz der Tiere, Erich Kästner

Es gibt diese Sprüche, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Einer lautet: “Schließ mal Deine Augen, dann weißt Du, was hier alles Deins ist!” Zumeist ist es die Antwort für einen aufmüpfigen Teenager, der mit einer alterstypischen Anspruchshaltung auftrumpfen will. Aber ich finde, da steckt noch mehr drin.

Nichts zu haben, ist unserer Gesellschaft undenkbar. Wer nichts hat, ist auch nichts! Eben dies ist auch eine Botschaft an den pubertierenden Teenager. Gleich gefolgt vom Ausspruch: “Solange Du Deine Beine unter meinen Tisch stellst, wird hier gemacht, was ich sage.” Die Jungen sollen erst einmal arbeiten und sich damit etwas erschaffen. Ist ihnen dies erfolgreich gelungen, dürfen sie auch mitreden. In jene Richtung gehen auch all die Kommentare, welche zu den jungen Aktivisten abgelassen werden, die sich aus Protest gegen die zögerlichen bis hin ausbleibenden Maßnahmen zur Abwendung der bereits stattfindenden ökologischen Katastrophe. Neu sind solche Aussprüche nicht. Bereits in der Zeit der legendären 68er hieß es: “Sollen diese langhaarigen Gammler doch erst einmal arbeiten.”
Das Prinzip “Haben” infrage zu stellen, bringt einem schnell den Ruf eines gefährlichen Spinners ein. Selbst ganz große Künstler sind davor nicht gefeit.

Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people
Sharing all the world… You…

John Lennon, Imagin

Andererseits steht nirgendwo geschrieben, dass sich in unserer Demokratie Leute erst äußern dürfen, wenn sie etwas haben oder einer Arbeit im bürgerlichen Verständnis nachgehen. In den USA sieht es ein wenig anders aus. Ich bin immer wieder schockiert, wer dort alles nicht wahlberechtigt ist. Allerdings ist es historisch nachvollziehbar. Von Anfang an war die Verfassung darauf ausgelegt, dass nur Habende zu bestimmen haben. Die Gründer, vornehmlich vermögende Männer, hielten Habenichtse zum einen für unfähig und zum anderen für das eigene Vermögen gefährlich. Folgerichtig unterteilt beispielsweise Saul D. Alinsky die Einwohner der USA in Have und Not-Have. Immerhin ist es bei uns wenigstens gesetzlich festgelegt, dass mittellose Deutsche auf der gleichen rechtlichen Stufe stehen, wie alle anderen. Ob es tatsächlich der Fall ist, dürfte mehr als fraglich sein. Tatsächlich beginnt es bereits beim Rechtsbeistand. Objektiv betrachtet, sind die Chancen vor Gericht für Leute, die sich teure Honorare leisten können, deutlich besser. Nicht anders sieht es mit der Würde des Menschen aus. Wer wegen Krankheit oder Alter nicht mehr produktiv ist, verliert sie schnell in einem auf Profit ausgerichteten Krankenhaus oder Heim. An all die Mitmenschen, die keine Bleibe haben, über kein Konto verfügen oder sich illegal in Deutschland aufhalten, möchte ich beinahe nicht denken, doch so sieht nun einmal die Realität aus.

Schaue ich über die Grenzen hinaus, besserte sich in den letzten Jahrzehnten die allgemeine Situation für die Einwohner in den Industrieländern, während gleichzeitig der Abstand zu allen anderen Ländern größer geworden ist. Global gesehen, sind sie die “Not-Have”, womit sie auch wenig mitzureden haben. Gut zu beobachten ist das bei all den Klimakonferenzen und dem Tross der Konzernvertreter, die sich in den Windschatten ihrer Marionetten hängen. Die pure Existenz erzeugt keine Ansprüche, sondern es müssen Geld und Eigentum dazu kommen. Als Nebeneffekt sind Tiere und alle anderen Lebensformen aus Sicht des Menschen de facto ohne Rechte, denn sie besitzen nichts, sondern werden als Eigentum oder Besitz betrachtet. Wenn ich einem Bauern eine Kuh wegnehme, ist es ein Diebstahl und keine Entführung, bei der ich in ihre Rechte eingreife. Im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch steht dazu im § 90 geschrieben:

Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.

§ 90, BGB

Was sich in niemanden Eigentum oder Besitz befindet, ist quasi wertlos. Ein Vertreter eines Konzerns hat diesbezüglich zum Thema Wasser einmal gesagt: “Sauberes Trinkwasser ist ein Gut. Und wenn daran keiner Eigentum anmelden kann, wird es auch nicht geschätzt.” Gut, gleiches könnte auch von der Luft behauptet werden und da die Sache mit dem Wasser immer mal wieder zur Diskussion steht bzw. im gewissen Sinne in mehreren Regionen Konzerne das Wasser als Eigentum betrachten, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass das bezüglich der Luft, konkret dem Sauerstoff passieren wird. Erst der Grund und Boden, dann das Wasser und zum Schluss die Atemluft.

Es gibt auch im Gegensatz zu früheren Zeiten keine ethischen Richtlinien bezüglich des Habens und dem Erwerb. Was nicht explizit von Menschen mittels eines Gesetzes untersagt wurde, ist erlaubt und darf praktiziert werden. Wie und unter welchen Umständen etwas hergestellt wurde, welche Folgen aus der Produktion resultieren, wer damit was anstellt, ist (l)egal. Seien es Waffen, ihre Einzelteile, die erst zusammengesetzt werden müssen, billige Textilien, elektronische Geräte, produzierte Energie, Speichermedien, geförderte fossile Brennstoffe, Nahrungsmittel, die die Zerstörung kompletter Ökosysteme bedingen oder die Misshandlung anderer Lebewesen, wenn es nicht in einem Gesetz geregelt ist, ist alles erlaubt. Und zwar dem Lebewesen, welches Erfinder des Habens ist. Das Lebewesen, welches sich selbst über alle anderen Lebewesen stellte.

In unseren Gefilden ist das Haben allgegenwärtig. Die Auswirkungen zeigen sich nicht ausschließlich beim eigentlichen Haben, sondern auch darin, wie die Mitmenschen mit allem umgehen, was ihnen nicht selbst oder offensichtlich jemanden gehört. Die Stadt Berlin ist vermüllt, wo das Auge hinschaut. Nur wenige kämen auf die Idee, ihre eigene Wohnung, Garten oder Haus als Mülldeponie zu benutzen. Wer schmeißt schon seine Zigarettenkippen oder Kaugummis auf den Boden des Wohnzimmers? Oder ich würde ungern die Reaktion meines Nachbarn erleben, wenn ich meinen Sperrmüll auf sein Grundstück ablege. Im Park, im Wald, bei schwer einsehbaren Ecken, ist das etwas anderes. Bei der Überlegung, dass auch das allgemeine Stadtgebiet jemanden gehört, nämlich der Allgemeinheit, somit auch u.U. dem Müllentsorger, steigen die meisten aus. Gleichermaßen sieht es mit dem Wasser und der Luft aus.

Wie auch immer es gedreht und gewendet wird, das Prinzip “Haben” hat uns nichts Gutes eingebracht. Es hat sich ergeben und wir haben uns dem hingegeben, aber das ist keine solide Argumentation dafür. Wenn Leute zum Beispiel behaupten, dass niemand ein Interesse an Forschung, Innovation u.ä. entwickelt, wenn es den Anreiz des Verdienstes und dem damit verbundenen Haben nicht gäbe, ist dies eine Bankrotterklärung bezüglich menschlicher Daseinsqualität der Bewohner von Industriestaaten. Empathie, Solidarität, Tatendrang, Verwirklichung wären damit ausgeschlossen. Was war zuerst da? Der Mensch, welcher sich nur aufrafft, wenn es etwas zu verdienen gibt oder der, welcher den Antrieb der Verwirklichung innehat? Ist nicht die zuerst genannte Version ein vom System dazu erzogener Typ?
In der Gesellschaft wird nicht die Lebensleistung honoriert, schon gar nicht, wenn sie keine monetär sichtbaren Folgen nach sich zieht, sondern eben was am Ende an Haben hinten bei herauskommt. Wie will ich die Pflegeleistung aus der Sicht eines oder einer Gepflegten mit Geld bewerten? Die Freundlichkeit, den gezeigten Respekt, den Erhalt der Würde, ein wenig Glück trotz Schmerzen? Sind Zufriedenheit, das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, als Individuum erkannt und wahrgenommen zu werden für eine Transformation in Güter geeignet?

Ich schaue auf die sogenannte deutsche Nachkriegsgeneration. Teile von ihnen haben das nationalsozialistische Denken überwunden. Sie lernten, mit anderen Nationen in Frieden zu leben, alte Vorurteile abzubauen. Dank ihnen sind Deutsche nicht mehr die Barbaren, die weltweit gehasst werden. Es galt die Trauma ihrer Eltern zu überwinden. Während in den Zeiten davor alles Intellektuelle und Kulturelle, was nicht unmittelbar den Zielen der Nazis und davor dem Kaiser diente, unterdrückt wurde, setzten sich damit auseinander. Doch was bleibt im Sprachgebrauch? Wirtschaftswunder, die Trümmer beseitigt und alles wieder aufgebaut, ein eigenes Haus gebaut, Kredite abgezahlt. Das ist traurig und wird der eigentlichen Lebensleistung nicht im Ansatz gerecht. Nach und nach treten sie aus diesem Leben ab. Es gibt nichts mehr aufzubauen. Alles steht wieder! Doch damit es nicht langweilig wird, haben wir ja immer noch den Wachstumsgedanken. Panik bricht aus, wenn die Wachstumsraten stagnieren. Erste Wirtschaftswissenschaftler/innen warnen vor den sozialen Folgen. Erneut läuft es auf ein Armutszeugnis hinaus. Wahrscheinlich nicht einmal unberechtigt. Wenn ich Drogenabhängigen ihren Stoff wegnehme, werden sie aggressiv und wenden sich denen zu, die ihnen einen nicht enden wollenden Zustrom neuer Konsummöglichkeiten versprechen. An irgendeiner Stelle hätten kluge Menschen die Notwendigkeit einer Änderung im Denken erkennen müssen. OK, einige taten es, aber sie scheiterten an der Rhetorik der Dealer.

Im Buch “Haben oder Sein” beschreibt Erich Fromm ziemlich plastisch drei unterschiedliche Herangehensweisen. Er nennt einen Dichter, der über die Schönheit einer Rose schreibt, sie pflückt und sich erhofft, mittels Betrachtung und Untersuchung Erkenntnisse über das Leben, das Göttliche und die Zusammenhänge des Lebens zu gewinnen. Aber unter dem Strich tötet er sie. Ein andere nimmt eine unscheinbare Blume am Wegesrand wahr und beobachtet sie beim Wachsen, wie sie blüht, die Blüte vergeht und sie danach wieder von vorn beginnt. Als Letztes benennt Fromm Goethe, der die Blume ausgräbt, ihr einen idealen Standort spendiert und sich dort an ihr erfreut. Der erste Dichter verkörpert das Haben, die beiden anderen verfolgen Alternativen.
Die drei Beispiele verdeutlichen auch unser Verhältnis zur Welt. Wir wollen in Besitz nehmen, was nicht funktioniert, jedenfalls nicht ohne Zerstörung. Sprachlich wird von der Natur gesprochen, als wenn sie etwas von uns separat existierendes wäre. Doch wir sind ein Teil, insofern ist der Besitz in unserem Verständnis unlogisch. Genauso unlogisch wie Formulierungen, die lauten: “Mit der Natur leben!” oder “Die Umwelt schützen”. Sie sind Ausdruck einer Hybris. Es gibt keine Welt um den Menschen herum. Faktisch gibt es eine Welt, in der wir alle leben und von der sich jeder ein anderes Abbild, jeweils einen Teilausschnitt, ins Innere projiziert. Ebenso bin ich, jeder, ein verschwindend kleines, aber deshalb nicht unbedeutendes Teilchen, der Natur. Allein der Umstand, wie wenig politische Anführer/innen, selbst wenn sie eine philosophische Ausbildung genossen, darauf achten, lässt mich nicht mit der Überzeugung leben, dass sich etwas ändern wird. Erst recht nicht, wenn ich diese weltweite Ansammlung von Despoten, Ich -Darstellern, Neurotikern sehe. Ob einer/r von denen jemals schlafen geht und sich vor Augen hält, was sie, jenseits von Menschenleben, noch alles zerstört haben? Es ist Teil des Denkens von Menschen aus Industriestaaten, an die Zahl menschlicher Opfer zu denken. Indigene sind da anders unterwegs. Ich las von der Geschichte, in der ein Elefantenbulle zwei Stammesmitglieder töteten und NGO’s anboten, das Tier töten zu lassen. Der Stamm wollte das nicht. Sie wiesen darauf hin, dass Wilderer bei Rodungsarbeiten einen seiner Gefährten getötet hatten und er nun nachvollziehbar gereizt war.

Irgendwo war letztens ein Artikel, in dem ein Soziologe zur Überraschung der Verfasserin des Artikel meinte, dass der Mensch an sich ein gutes Wesen wäre. Ich las lediglich den Aufmacher, weil ich mir dachte: “Was denn sonst?” Gut und Böse sind ohnehin Produkte des Großhirns. Böse ist im Allgemeinen alles Schädliche. Wäre der Homo sapiens, der spärlich behaarte Affe mit trockener Nase von Anfang an schädlich gewesen, gäbe es uns schon lange nicht mehr. Indigene leben als Teil der Natur und betrachten die Erde als etwas, was ihnen zusammen mit anderen Lebewesen zur Verfügung steht. Sie reden dabei nicht von Eigentum! In ihrem Sinne hat der Homo sapiens eine ebenso wichtige Funktion, wie alle anderen Wesen. Wir, die Bewohner der Industriestaaten sind vorsätzlich, wissentlich, egoistisch, schädlich unterwegs. Wenn dies böse ist, soll es wegen meiner so sein. Zumindest fallen mir keine Rechtfertigungen oder Entschuldigungen ein.

In meiner Schulzeit gehörte das Buch von Erich Kästner, “Die Konferenz der Tiere” noch zum Standardrepertoire des Deutschunterrichts. Darin geht es um nichts anderes. Die politischen Anführer der industriellen Staaten werden quasi vor ein Tribunal gestellt. Bezeichnend ist dabei, dass Kästner die Tiere, Kinder als Druckmittel, verwenden lässt. Heute stehen die “Alten” vor ihren Kindern und werfen ihnen vor, dass sie als Jugendliche mit Smartphones, Markenklamotten zur Demo gehen und auch ansonsten recht kapitalistisch unterwegs sind. Eine Frage! Wer hat es ihnen vorgelebt, sie dazu geformt und zugelassen, wie ein System des Habens sie nach dem dem ersten Schrei eingliederte? Wie sagte mein Vater immer zu mir? “Scheiße bauen kann passieren, aber man muss dazu stehen!”
Der vermeintliche “Terror”, der angeblich von all den Aktivsten/innen, FFF, Extinction Rebels, Letzte Generation, ausgeht, ist nichts anderes als, mit dem berühmten Finger in der Wunde zu bohren und das Geschrei des Bürgertums, das laute Leugnen eines erwischten Kindes. Letztens fragte mich ein aktiver Polizist, wie viel ich denen durchgehen lassen würde. Ich lernte bei der Polizei etwas ziemlich Überzeugendes. Prüfe zuerst die sachliche und örtliche Zuständigkeit. Beides ist nicht gegeben. Doch ich kann für mich eine Prognose erstellen. Wenn es weltweit bei dem Kinderkram bleibt, werden sie nichts verändern. Und mich vor dem Hintergrund des Geschehens auf der Erde über eine blockierte Straße aufzuregen, wäre mir echt zu peinlich. Wenn schon, empöre ich mich darüber, dass sich die Alten nicht mit ihnen solidarisieren. Richtig dumm sind jene, welche kritisieren, dass die auf diese Art nicht ihre Ziele erreichen werden. Verstehe ich es korrekt? Die Verzögerung und Abmilderung der jetzt stattfindenden Katastrophe, bis wir eventuell doch noch die Reife erlangen, anders zu leben, ist deren alleiniges Interesse? Ah! Ich vergaß die Logik des Habens. Sie -haben- Interessen und müssen deshalb entsprechend agieren. Und die anderen -haben- andere Interessen. Verstanden! Äh, bedingt …

Mitnehmende Bücher

Lesedauer 4 Minuten

„Der Unterschied zwischen Sein und Haben entspricht dem Unterschied zwischen dem Geist einer Gesellschaft, die zum Mittelpunkt Personen hat, und dem Geist einer Gesellschaft, die sich um Dinge dreht.“

Erich Fromm

Philosoph u. Psychoanalytiker

Es passiert nicht häufig, dass mich ein Buch derart in den Bann zieht, sodass es vermag mein Denken tiefgreifend zu verändern. Aber es passiert. Zum Beispiel geschah es beim Lesen des Buchs “Siddhartha – Eine indische Dichtung”. Seither las ich es mehrfach und bei jedem Mal las es ein anderer Mensch, in einem anderen Lebensabschnitt mit neuen Erlebnissen. Gleichsam beeinflusste mich Rupert Lay mit seinem Buch “Führen durch das Wort”. Jetzt gibt es ein Drittes. Bereits seit mehreren Jahren setzte ich mich mit den Aussagen von Horkheimer, Marcuse, Adorno und Erich Fromm auseinander. Leider ist es nicht ganz einfach deren Texte zu lesen. Bei einigen Philosophen frage ich mich stets, für wen sie ihre Gedanken niederschrieben. Allerdings gilt dies auch für einige andere Autoren. James Joyce ist einer dieser Kandidaten. Ja, der Mann war genial und ein Buch aus der Sicht der Protagonisten zu schreiben, wie im Ulysses geschehen, ist wahrlich ein spannendes Unterfangen, aber es raubt dem Leser den letzten Nerv. Oder besser: Meinen! Doch irgendwann konnte ich es abhaken. Bei Sartre packen mich Wutanfälle. “Hättest Du mir dies alles nicht bereits vor 100 Seiten in einfachen Sätzen sagen können?” Nun, es gibt Leute, die seine Bücher lasen und freundlicherweise Zusammenfassungen hinterließen. Hurra! Sartre hielt scheinbar nichts von Schopenhauer. Von dem stammt nämlich die Aussage, dass es keine Kunst ist, wichtige Dinge möglichst kompliziert zu beschreiben, sondern Kompliziertes möglichst einfach darzustellen. Und genau dies hat Erich Fromm im letzten Buch vor seinem Tod geschafft (1976). “Haben oder Sein”, von einigen auch als die Bibel der 68er bezeichnet.[1]dtv, ISBN 978-3-423-34234-6, in nahezu jeder Bücherei zu leihen. Ich will hier keine Rezension abliefern. Es gibt bereits genug davon und jede/r Interessierte kann sie nachlesen. Hier will ich kurz beschreiben, was der allererste Effekt war. Es geht darum, wie sehr unser Leben, Denken und Sprache von einem System welches auf Haben ausgerichtet ist, geprägt wurde, statt eines Seins. Wir eignen uns alles Mögliche an, obwohl dies genauer untersucht nicht funktionieren kann. Mir war nicht bewusst, wie weit das geht. Fromm bringt u.a. den Unterschied zwischen Angst haben und sich sorgen, ängstigen, befürchten. Es ist ein Prozess und keine Aneignung. Jedenfalls sollte dies nicht der Fall sein. Ähnlich sieht es mit Erfahrungen aus. Ich blicke auf Ereignisse zurück, vergleiche sie mit einem aktuellen Geschehnis und prognostiziere einen wenigstens ähnlichen zukünftigen Verlauf. Eine klassische Falle oder auch Denkfehler. Was sich in der Vergangenheit abspielte, war das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels diverser Faktoren. Nunmehr haben sich viele Parameter verändert und ob meine Prognose eintritt, ist stark von meinem Verhalten und meiner unbewussten Steuerung abhängig. Oftmals kommt es zu dem, was “self-fulfilling prophecy” genannt wird. Die Gefahr diesen Denkfehler zu machen, steigt immens, wenn ich Erfahrungen als einen unveränderlichen Besitz betrachte.
Zwar geht es bei Fromm um eine Systemkritik, ich sehe es als eine auf die Psychoanalyse gestützte Abrechnung mit all den Ideen, die im Zuge der Industrialisierung für das Zusammenleben von Menschen erdacht wurden, doch zog mich dieser Teilaspekt in den Bann. Ich las mir diverse Texte auf meiner Seite durch und erschrak, wie häufig ich dieser Sprache, der damit in Verbindung stehenden Praxis des Denkens, verfiel. Darauf auszuweichen, dass ich beim Schreiben ein Rooky bin, dessen Ausdrucksweise unter dreißig Jahren Einfluss von Amtsdeutsch leidet, entlastet mich dabei nicht.

Nein, ich bin in die Falle getappt und über Jahre hinweg nicht mehr herausgekommen. Die Aufgabe ist nunmehr einen Ausweg zu finden, oder um im Bild zu bleiben, einen Ausbruch hinzubekommen. Das ist gar nicht einfach. Mich erinnert dies an die Verwendung des Pronomen “man”. Daran vorbeizukommen ist schwer und auch nicht immer notwendig. Doch die Häufigkeit ist nicht nur überflüssig, sondern beschreibt ebenfalls eine gedankliche Struktur. Es ist viel einfacher, sich dahinter selbst zu verstecken, in dem der Redner, die Rednerin, sich mit dem allgemein Üblichen vor sich selbst und anderen rechtfertigt, ohne jemals einen eigenen Gedanken zu verschwenden (Man macht es halt so!), oder es liegt am Unbehagen konkrete Personen zu benennen. An der Stelle fällt mir eine Anekdote ein. Einer meiner Vorgesetzten besuchte ein Kommunikationsseminar. Dort wurde eben dafür sensibilisiert. Wieder bei uns, sah er sich genötigt, wiederum den nächst höheren Vorgesetzten bei jedem zweiten Satz darauf hinzuweisen. Der ließ sich das nicht lange bieten, unterbrach die Sitzung und klärte lautstark hinter einer verschlossenen Tür, für alle Anwesenden hörbar, die Unterstellungsverhältnisse. Dabei fiel prompt der Satz: “So etwas macht man mit seinem Vorgesetzten nicht!” Die Entgegnung lautete folgerichtig: “Man vielleicht nicht, ich schon!” Ganz großes Kino!
Hierauf zu achten, ist für mich eine echte Lebensbereicherung. Wer genau tut dieses oder jenes? Warum mache ich es auch oder unterlasse es? Von wem stammt eine Aussage? Gerade in einer Zeit, die von Manipulationen und Propaganda geprägt ist, finde ich das wichtig. Ich hoffe, eigentlich bin ich mir sicher, dass sich das mit dem Haben ähnlich gestalten wird.
Im Buch steckt noch viel mehr. Bei vielem war ich dankbar von einem renommierten Psychoanalytiker und Philosophen in meinem Denken bestätigt zu werden. Meinerseits eine absolute Leseempfehlung. Alles, was er dort schreibt, ist bedrückend aktuell. Gedacht war es 1976, vier Jahre nach Veröffentlichung des Berichts vom Club of Rome, als eine Aufforderung zum Ändern, bevor es zu spät ist und die Katastrophe, vor der wir nunmehr stehen, abzuwenden. Geändert hat sich nichts, alles entwickelte sich, wie er es voraussah. Vom Sein ist wenig übrig geblieben und das Haben, hat sich endgültig durchgesetzt. Bereits 1976 mühte sich sich Fromm damit ab, dem Lesenden vermeintliche Naturgesetze aus dem Kopf zu treiben. Vielleicht fällt es heute einigen im Angesicht der Auswüchse einfacher, seiner Logik und Praxis des Denkens zu folgen. Für Leute, die nicht offen sind und nicht bereit, den Schutt der vergangenen 45 Jahre aus dem Kopf zu schaufeln, ist das Buch nichts.

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 dtv, ISBN 978-3-423-34234-6, in nahezu jeder Bücherei zu leihen.