Heiligabend

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„Können sie noch einen Auftrag übernehmen?“ Schnarrt es aus dem Lautsprecher im Fahrzeug. Wenn ich jetzt Nein sage? Was passiert dann? „Sag mal hast Du im Hintergrund auch gehört, was ich gehört habe?“ frage ich meinen Teampartner. „Machen die immer in der Weihnachtsspätschicht!“ „Was?“ „Na, sich einen Porno rein ziehen!“ Kann man mal machen, denke ich mir, verkneife mir aber jeden Kommentar.

„Hast Du die Adresse?“ „Ja, ist nicht weit von hier.“ Ein Altbau, sehr gepflegt, eine von den besseren Adressen hier in der Gegend. Ein Blick auf das Klingeltableau, der Name ist ganz oben rechts. Schutzmannsparterre! Wie üblich, also Treppen steigen. Oben an der Tür empfängt uns ein älterer Herr. Er ist blass und sein Gesicht zeigt Züge von äußerster Beherrschung. Wir sollen herein kommen, seine Tochter würde in der Küche warten. Schöne Wohnung, aufgeräumt, teurer Teppich, klar und sauber strukturiert. Am Ende des Flures ein Wohnzimmer in dem ein geschmückter großer Weihnachtsbaum steht.

Am Küchentisch eine Frau. Vielleicht so etwas um die vierzig Jahre alt. Blick starr vor sich hin. Was auch immer gerade in ihrem Kopf vor geht, ich will es nicht wissen. Neutralität, Professionalität, keinerlei Emotionen zeigen ist jetzt angesagt. Der Vater erklärt, wer wir sind und holt sich von seiner Tochter das Einverständnis alles weitere zu übernehmen. Er geht mit uns in den Flur und zeigt auf eine Tür.

Wir gehen hinein. Ich mache erst das Licht an, als die Tür wieder verschlossen ist. Ein Arbeitsraum, vor dem Fenster ein Schreibtisch. Dahinter ein Fenster. Dort hängt er. Er hat sich mit seiner Krawatte an den Fenstergriff gehangen, eigentlich ein Klassiker.

Ich betrachte den Erhängten näher.„Ich halte und Du schneidest ihn ab!“ „Denk dran, nicht vorne stehen!“belehrt mich mein Partner. Ich verziehe nur kurz das Gesicht. Ist definitiv nicht mein erster Hänger. Doch wir bekommen die Sache sauber hin. Keinerlei Anzeichen, dass jemand nachgeholfen hat.
Gibt es ein Warum? Keine Ahnung? Will ich es wissen? Nein, ich will das heute Nacht nicht wissen. Depressionen? Schulden? Er wird seine Gründe gehabt haben. Nur heraus hier. Ich stelle die üblichen Fragen. Hatte er Depressionen? Nahm er Medikamente? Hat er noch etwas gesagt?
In der Tür steht ein kleines Mädchen. Höchststrafe! Wir schauen alle hilflos. Der Vater reagiert und nimmt die Enkelin auf den Arm und geht mit ihr zu den Geschenken am Baum.

Die Mutter des Kindes fragt mich, was Sie denn jetzt machen müsse. Ich sage ihr, dass sie ein Bestattungsinstitut anrufen muss. Welches sie denn anrufen soll, ob ich Erfahrungen hätte. Ich darf ihr keines nennen. Sinnlos ihr jetzt etwas über Bestechlichkeit zu erzählen, deshalb frage ich nach einem Telefonbuch und schlage die passenden Seiten auf. Ich will dort weg. Noch ein paar Worte, leise gesprochen und raus.

Wieder auf der Treppe. Endlich tief durchatmen. Mein Teampartner unterbricht die Stille „Auch eine Form Weihnachten abzuhängen, oder?” Ich muss dann doch grinsen. Die Anspannung löst sich ein wenig. „Fahren wir noch was Essen?“ Ich stimme zu, das wird die Gedanken vertreiben. Am Bahnhof sitzt ein Obdachloser unter der Brücke. „Halt mal an!“ fordere ich. Ich gehe zu dem Mann und lege behutsam einen großen Schein vor ihn hin. „Was hast’ n gemacht.?“ Fragt mich mein Partner. „Nichts! Ich finde wenigstens einer sollte heute Nacht Weihnachten haben!“

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