Das Konzert

Nach dem Essen überkam mich eine schlechte Stimmung. Deshalb beschloss ich im Tempel oben auf dem Berg noch einige Minuten zur Ruhe zu kommen. Die Mönche hatten sich bereits zur abendlichen Meditation eingefunden. Da ich sie nicht stören wollte, setzte ich mich in die hinterste Ecke und lauschte ihrer monotonen Rezitation. Kurz vor dem Ende ging ich hinaus und blickte zum Mekong hinunter.
Von hinten näherte sich ein junger Mönch. Ich schätzte ihn auf Ende Zwanzig bis Anfang Dreißig. Er sprach ein gutes Englisch. “Sir, darf ich sie fragen, warum sie uns besuchen?”
“Ich hatte einen schlechten Tag, deshalb wollte ich noch ein paar Minuten in mich gehen. Ich hoffe, dass ich nicht gestört habe.”
“Nein! Sie haben nicht gestört. Sind sie Buddhist?”
“Ich weiß es nicht genau. Irgendwie schon, aber irgendwie auch wieder nicht.”
Der Mönch schaute mich fragend an.
“Es fällt mir schwer, den Weg einzuhalten.”
“Was wissen Sie vom Buddhismus?”
“Ich habe eine Menge Schriften gelesen, kenne den Pali-Kanon und das Dhammapada.”
Er sah mich nachdenklich an. Dann sagte er: “Darf ich sie etwas fragen?”
“Nur zu!”
“Wenn Sie zu einem Konzert gehen, zum Beispiel von einer Band, warum gehen Sie dann dort hin?”
“Weil ich die Musik mag? Mir die Band gefällt oder die Show? Irgendetwas in der Richtung.”
“Kennen Sie von den Liedern, die Sie hören, alle Texte?”
“Nein, ganz bestimmt nicht.”
“Wenn Sie den Text eines Liedes kennen, aber nicht die Melodie, kennen Sie dann das Lied?”
“Nein!”
“Und wenn Sie nie gehört haben, wie die Band das Lied interpretiert, kennen Sie dann die Band?”
“Nein, wohl eher nicht.” Spontan musste ich dabei an die unzähligen Lieder von Bob Dylan denken, die von jeder Menge Interpreten interpretiert wurden.
Der Mönch setzte nach. “Wenn Sie die Texte kennen, aber niemals mit uns zusammen gesungen haben und auch nicht die Veranstaltungen erlebt haben, wie wollen Sie dann den Buddhismus verstehen?”
Der Punkt ging eindeutig an ihn. So hatte ich es bisher noch nicht gesehen.
“Ich möchte Sie einladen, eine Zeit bei uns zu verbringen.”
Für einen kleinen Moment zögerte ich. Doch dann meldete sich instinktiv Widerspruch. Ich! In ein buddhistisches Kloster? Ohne Zigaretten, ohne mein geliebtes Bier, mich für längere Zeit den Regeln der Mönche zu unterwerfen? Das klang nicht nach meinem Leben. Ich sah plötzlich den Haken in meiner Haltung und wie sehr Gautama Siddhartha, der Erleuchte, richtig lag. Anhaften ist Leid! Doch die Anerkennung der Richtigkeit der Aussage machte aus mir noch keinen Buddhisten. Oder, doch? Dort, an diesem Abend, fühlte ich mich wie ein Wanderer, der einen unbekannten Aufstieg vor sich sah und ihm nicht traute. Vielmehr nicht an seine für den Weg notwendigen Fähigkeiten und Kondition glaubte.