Vier Flüchtlinge

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1992, Berlin, Kroatien und Serbien befinden sich immer noch im Krieg. Flüchtlinge aus dem gesamten ehemaligen Staatsgebiet der Volksrepublik Jugoslawien verteilen sich über Europa. Die nachfolgende Geschichte gab mir eine ganz besondere neue Sicht auf Flüchtlinge:

In der Diskothek säßen die Männer, die mehr über diesen Kerl wüssten, hatte der Mann am Telefon zu mir gesagt. Wurde auch Zeit, einen Schritt voranzukommen. Der Typ zog seine Spur quer durch die Stadt. Immer die gleiche Masche. Er wartete ab, bis die Spielrunde zu Ende war und lauerte dann den Gewinnern auf. Wenn sie nicht zahlten, holte er sein Messer heraus und ging direkt auf den Oberschenkel. Oberschenkelarterie, kann tödlich enden, die Blutung lässt sich kaum stoppen. Bisher war alles gut gegangen, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis der erste Tote auf der Straße liegen würde. Bozo der Schlächter hatten sie ihn getauft. Netter Name, den muss man sich erst einmal verdienen.

Da war die Diskothek. Ein typischer Jugo – Tanzschuppen der 90ziger Jahre, vorher war eine andere Diskothek drin. Vielleicht hätte ich doch nicht alleine her kommen sollen. Ach was soll das, es ist doch nur eine Diskothek. Der Türsteher nimmt keine Notiz von mir, winkt mich einfach durch, kann ich verstehen, der hat ganz andere Sorgen, als mich harmlosen Typen.

Drinnen ist es dunkel und ziemlich laut. Eines muss man denen ja lassen, die Frauen sehen alle einen Knaller aus. Deshalb bist Du nicht hier. Konzentriere Dich auf die Gäste. Trotzdem sehen die Frauen gut aus, ich sollte häufiger her kommen. Persönliche Notiz in meine Erinnerung, blonde Frauen sind langweilig. Da hinten am Tresen, dort an dem Biertisch stehen vier Typen, die nicht hierher passen. Alle schon ein wenig betagter, kräftig und  etwas zu spiessig angezogen für den Laden hier. Das müssen sie sein. Hier tut Dir keiner etwas, Frontalangriff und einfach fragen. Ich kaufe mir eine Flasche Bier und gehe zu dem Tisch. “Guten Abend die Herren, Kripo, darf ich Sie mal was fragen?” Ein kurzes erstauntes Blicken, dann machen sie aber Platz. „Wie können wir helfen?“ Fragt mich der offensichtlich älteste der vier Männer. Die anderen schauen ihn fragend an, wahrscheinlich sprechen sie nicht so gut Deutsch. „Ihr sollt einen Bozo kennen?“ Der Mann lacht laut auf und übersetzt meine Frage. Die anderen Männer fangen ebenfalls an heiser zu lachen. „Sie meinen Bozo aus Novi Pazar?“ „Bozo den Schlächter!“ „Das ist Bozo aus Novi Pazar.“ „Klein, sehr kräftig, zirka dreißig Jahre, kann ziemlich gut mit einem Messer umgehen.“

Wieder eine Übersetzung, alle am Tisch nicken. „Was wollen sie wissen über Bozo?“ „Eigentlich alles, aber ich weiß bisher auch nicht sonderlich viel über ihn.“ „Bozo war als Kind schon kriminell. Er ist krank, wenn Sie ihn festnehmen wollen, nehmen sie ein paar Leute mit!“ Ein abschätzender Blick. Das Ergebnis fällt nicht zu meinem Vorteil aus. „Vertrauen sie nicht auf ihre Waffe. Wenn dann schießen sie auch, ansonsten hat er keinen Respekt vor Ihnen. Bis der Krieg angefangen hat, war er schon viermal hinter Gittern.“ Bei der Zahl hielt er die Hand mit gespreizten Fingern vor das Gesicht, das Zeichen für Gefängnis.“ Wieder Übersetzung. „Mein Freund hier sagt, vielleicht finden sie ihn bei seiner Mutter. Ich schreibe ihnen hier den richtigen Namen von Bozo auf, sein Geburtsdatum und die Anschrift seiner Mutter.“

Das ist mehr, als ich hätte jemals erwarten dürfen. „Woher kennen sie Bozo so gut?“ Wieder Übersetzung. Die Männer lachen wieder. Einer von Ihnen winkt nach hinten und die Bedienung kommt auffällig schnell an den Tisch. Fünf Bier und fünf Schnäpse stehen auf dem Tisch. Der Kerl, der die ganze Zeit mit mir gesprochen hat, legt mir schwer seine Hand auf die Schultern. „Warte Kollega, wir wollen Dir etwas zeigen.“ Alle Männer am Tisch fangen an in ihren Taschen zu suchen und holen ihre Brieftaschen heraus. Auf dem Tisch liegen vier Badges der serbischen Polizei.

“Wir sind Bosniak aus Novi Pazar. Wir sind gemeinsam geflüchtet und warten, dass der Krieg vorbei ist. Wir kennen Bozo sehr gut, wir haben uns mit ihm schon herum geärgert, als er ein Jugendlicher war.”

Ich ergreife den Schnaps und schlucke ihn in einem Zug herunter. Bis zu diesem Zeitpunkt waren für mich Flüchtlinge einfach Flüchtlinge, eine Sammelbezeichnung. An diesem Abend habe ich gelernt, dass jeder Flüchtling ein Gesicht hat und ich dachte zum ersten Mal darüber nach, was passieren würde, wenn ich einmal flüchten müsste.

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