Polizei a.D. vs. System? Ein Widerpruch?

Lesedauer 8 Minuten

Von einer wahrlich gut über meine Person informierte Frau bekam ich letztens die Worte zu hören: «Du kannst doch nicht, nach dem Du über 30 Jahre als Vertreter des Systems gearbeitet hast – dieses mit einem Mal anzweifeln.»

Diese Aussage ist meiner Auffassung nach symptomatisch in der öffentlichen Diskussion über die Polizei und ihre gesellschaftliche Rolle. Ich glaube, einige unterliegen da einem Irrglauben bzw. einem Missverständnis. Gar nicht wenige ergreifen den Beruf Polizist, weil sie eine gewisse Grundüberzeugung mit Geld verdienen kombinieren. Zumindest kenne ich sehr viele, die das Grundgesetz in seiner Ausgestaltung für eine gute, wenn nicht sogar die erstrebenswerteste Verfassung, für einen modernen Staat halten. Vieles wurde mir persönlich erst in der Ausbildung ab 1987 bewusst. Auch heute noch, stehe ich dazu, dass das was da steht, eine wirklich gute Sache ist.

Doch das Grundgesetz ist ein Rahmen. Die Gesellschaft, die Politiker, die Wirtschaft innerhalb dieses Rahmens ist eine ganz andere Nummer. Seit dem Inkrafttreten wurde an den Artikeln immer wieder herumgebastelt. Meistens war dies von erheblichen Protesten in der Bevölkerung begleitet. Gekümmert hat es am Ende niemanden und die Veränderungen standen. Meistens wurde mit der Veränderungen der Zeiten argumentiert und oftmals war es die Angst, welche benutzt wurde. Mich hat das schon immer fasziniert. Ich finde es anmaßend, Leuten die damals unter dem Eindruck des Nationalsozialismus, Krieg, Terror, etwas entwarfen, zu unterstellen, dass sie von einem Terror der heutigen Zeit nichts wissen konnten.

Ich glaube, es reicht für den Entwurf allgemein gehaltener Maxime vollkommen aus, um die Kontroll – und Überwachungssucht des Staats zu wissen. Man muss nichts über die technischen Möglichkeiten der Zukunft wissen. Die Annahme lautet: «Wenn etwas auf den Markt kommt, werden es bestimmte Persönlichkeiten auch nutzen wollen!» Ich stütze diese Behauptung unter anderen darauf, dass sich die europäischen Staaten immer mehr den Dystopien aus den Zwanziger und Dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts annähern. Diese Entwicklung hat wiederum nichts mehr mit den Ideen der Schöpfer des Grundgesetzes zu tun.

Unmittelbar regelt das Grundgesetz nicht das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland. Es stellt lediglich Anforderungen an ein Wirtschaftssystem. Gelenkte und geplante Wirtschaftsstrukturen schließt es genauso aus, wie die allgemein als Raubtierkapitalismus bezeichnete vollkommene unkontrollierte freie Entfaltung. Das passt einigen, insbesondere den Global – Playern nicht in den Kram, weil sie dieses als Hemmschuh für Wachstum und Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland betrachten.

Meinem Empfinden nach, bekommen die Vertreter dieser Auffassung immer mehr Oberwasser. Dies hat gesellschaftlich tiefgreifende Folgen und betrifft auch jemanden, der einer in der Verfassung implementierten Säule, nämlich der Exekutive dient.
Im Grundgesetz steht auch nichts über die gesellschaftliche Entwicklung in eine verwaltete Gesellschaft. Wenn überhaupt ließe sich ein Verbot aus dem Passus, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, ableiten. Wer Menschen ihrer Individualität beraubt, sie in politischen Reden stets in Kategorien einsortiert, unter Begriffen zusammenfasst, Gesetze und Verwaltungsvorschriften erlässt, die dies tagtäglich forcieren, entzieht Menschen die Würde.

Es ist dem «einfachen» Bürger nicht vorzuwerfen, wenn er nach ständiger verbaler Beeinflussung durch eine politische «Elite», dies in sein Verhalten übernimmt. Doch die Elite verliert die Berechtigung diese Bezeichnung in Anspruch zu nehmen. Was ein großer Teil jenseits der von Ghostwritern und Beratern vorgebenen Texte für Bundestagsreden von sich gibt, ist absolut unterirdischer Populismus. Teilweise, nämlich dann wenn für einen Deutschen nicht zu Diskutierendes mit Euphemismen verschleiert wird, geht es ganz weit über den Rand des Grundgesetzes hinaus. Umzäunte und bewachte Auffangzentren außerhalb des Staatsgebiets sind im deutschen Sprachgebrauch immer noch Lager. Wenn überhaupt, könnte man auf deutschen Gebiet von einem Durchgangslager analog zu Friedland sprechen.

Es ist erbärmlich, wie sich das Establishment, allen voran die CDU/CSU gegenüber der AfD positioniert, wenn sie von denen behauptet, dass sie Unsägliches wieder hoffähig machen wollen. Aber beispielsweise, vertreten von der Jungen Union, von “Gleichschaltung” spricht. Dobrindt spaziert ebenfalls ein wenig durch die Geschichte und fordert die “Konservative Revolution”, aus der bekanntlich ein aus Österreich zugewanderter Politiker namens Adolf Hitler die NSDAP bastelte. Auch solche Dinge stoßen einem überzeugten Kriminalbeamten auf. Ich weiß nicht, wie oft ich bei Berichten überlegte, welche Worte ich verwende, um nicht einen vollkommen falschen Eindruck zu erwecken. Ich habe mir einige Gedaanken darüber gemacht, wie das mit der Gleichschaltung der Gesellschaft, unter anderen bei der Polizei, passieren konnte. Aber Herr Seehofer kämpft ja auch bis zur letzten Patrone.

Die Gesellschaft, die der Polizist dient, hat diese Menschen an die Spitze des Staats gesetzt! Freundlich ausgedrückt “ultrakonservative” die jeden Tag bewusst und vorsätzlich mit den niedrigen Instinkten der Masse spielen. Als ich bei der Polizei anfing, hatten sich gerade Leute wie Franz – Josef Strauss aus dem großen Geschehen verzogen. Innensenatoren, die sich nicht unter Kontrolle hatten, bekamen mächtig Gegenwind. Die Republik befand sich politisch im Aufwind und wurde langsam, trotz der Lethargie der Bonner Provinz und einem mehr als biederen Dauerkanzler, zu einem wirklich aufgeklärten modernen Staat. Die rhetorischen Propaganda – Kriege zwischen dem “Schwarzen Kanal” – Schnitzler und ZDF Magazin – Löwenthal, dienten fast nur noch der Erheiterung. Heute kommen mir die beiden vor dem Hintergrund des aktuellen Geschehen wie blutige Amateure vor.

Mir ist in Gesprächen aufgefallen, dass gerade die Generation der heute 70 – 80 jährigen Bundesbürger, also die der Anfangszeit nach dem II. Weltkrieg, dies durchaus kritisch beäugt, während die Generation der 40 – 60 jährigen, eher unbesorgt damit umgeht. Ich empfinde beim Zuhören auch oftmals eine Abgestumpftheit der Sprecher. Sie leben innerhalb des Rahmens «Grundgesetz», aber sie leben nicht aktiv die Idee.

Den “Grünen” wird neuerdings vorgeworfen, dass sie eine Verbotspartei wären. Beginnen wird doch erst einmal damit, mit welcher Impertinenz, Respektlosigkeit und Arroganz “Hierarchiespazierer” wie Spahn, Lindner, Söder, Dobrindt u.a. auf normale Menschen eindreschen, die im Gegensatz zu ihnen eine echte Lebensleistung vollbracht haben und nun vor den Trümmern ihres Lebensentwurfs stehen. Es soll noch Menschen geben, die arbeiten und nicht ihr Leben nach der Karrieregeilheit ausrichteten.

Jedes Recht und jede Freiheit muss der auf Gier und Drang nach unbegrenztem Wachstum geprägten Wirtschaft abgerungen werden. Der Kapitalismus hofiert nun einmal diese im menschlichen Verhalten implementierten Phänomene. Bisher ging alles gut, doch langsam melden sich Zeichen am Horizont, dass das ganze aus dem Ruder gerät.

Die sozialen Spannungen werden größer. Die geringer Bedachten oder Verlierer werden an die Ränder der Städte gedrängt und verkommen dort zu verwalteter biologischer Masse. Es entstehen scharf abgegrenzte Eliten. Sicherheit – und Schutzbedürfnisse werden zur Frage des gezahlten Geldes. Wer es sich leisten kann, zieht in Häuserkomplexe mit eigenen Sicherheitsdiensten. Wohlhabende Bürger bezahlen private Security – Streifen, die gekleidet in Fantasieuniformen Quartiere beschützen sollen.

Statussymbole nehmen eine immer wichtigere Rolle ein. Hingegen sinken Persönlichkeit und Lebensleistung im Ansehen bzw. verlieren ihre gesellschaftliche Rolle. Parallel wird das Bedürfnis nach diesen Symbolen seitens der Werbung (Wirtschaft) befeuert. Alles Prozesse, die auch im Ostblock nach der Öffnung in den Neunzigern zu beobachten waren und auch heute noch dort deutlich gesehen werden können.

Parallel werden in der Gesellschaft der «Habenden» dekadente Diskussionen geführt, die mit der Lebensrealität der Menschen den Hochhäusern am Stadtrand, den Zonenrandgebieten oder strategischen innerstädtischen Spekulationsgebieten, nicht im entferntesten etwas zu tun haben. Auch dieser Spalt wird immer größer. Ich unterstelle einer großen Zahl prominenter “LINKER”, dass sie sprachlich und programmatisch zur ehemals als “Arbeiterklasse” bezeichneten Schicht, jeden Kontakt verloren haben.

Ich habe das beruflich in den vergangenen dreissig Jahren alles verfolgen können. Bereits in den Neunzigern dämmerte mir bei einem Aufenthalt in der damals noch bestehenden Tschechoslowakei, während meiner Zeit in Kommissariaten welche sich auf Organisierte Kriminalität durch Bürger aus Restjugoslawien und G.U.S. spezialisiert hatten, dass ich in eine Zukunft blickte. Als ich um 2000 von einer privaten Sicherheitsfirma in der Berliner Potsdamer Straße aufgefordert wurde, mit meinem Zivilwagen wegzufahren oder in Marzahn beim Betreten eines Hauses einen uniformierten Portier passieren musste, rundete sich mein Bild langsam ab.

Die nachfolgenden operativen Einsätze in den Siedlungen von Spandau, Neukölln, Marzahn, Hellersdorf bestätigten mich in allem, was ich oben formuliert habe. Noch übler sieht es in den «ärmeren» neuen Bundesländern aus. Was wir dort als Berliner verdeckt operierende Einsatzkräfte zu sehen bekamen, hat sich mir tief eingeprägt. Zeitweilig wähnte ich mich in der Dritten Welt. Wer dort auch noch Heime für Zuflucht Suchende aufstellt handelt meiner Meinung nach mit Vorsatz und will für seine Zwecke die Eskalation der Situation. Da steckt Kalkül dahinter.

Wer von einem Konsens der Gewaltlosigkeit, einer deutschen Leitkultur spricht, redet nicht über die Siedlungen, in Rostock, Frankfurt/Oder, Cottbus, Berlin, Magdeburg und anderen Gebieten. Wir steuern, wenn wir nicht längst schon angekommen sind, auf einen Zustand zu, in dem sich die glitzernden wirtschaftlichen Erfolgsmeldungen nur auf eine sich gern präsentierende Minderheit, beziehen, die das echte Bild verschleiern. Ich wehre mich dagegen, die Menschen, die dort abgehängt von allem sich sozial selbst überlassen sind, aufgrund ihres Verhaltens zu verurteilen. Wer dort nicht heranwächst, muss erst einmal das Gegenteil beweisen.

Der natürliche Lebensraum eines Kriminalbeamten ist genau an diesen schwierigen Plätzen. Exekutive bedeutet auch, für die Entscheidungen und Bestrebungen einer gewählten Regierung einzutreten und die Folgen zu sehen. Ich bin kein Verfassungsrichter, insofern steht es mir nicht zu, das Gebaren als verfassungswidrig zu bezeichnen. Aber ich erlaube mir ein persönliches Empfinden. Und das meldet mir, dass das mit Regieren im Sinne des Wohls für die Bevölkerung und der Menschlichkeit nichts mehr zu tun hat.

Alles ist darauf ausgerichtet: «Geht es der Wirtschaft gut, geht es auch dem Volk gut!» Ich mach mal eine andere Rechnung auf. Der Wirtschaft im Falle eines Konzerns oder Global – Players, um bei diesem namen – und gesichtslosen Begriff zu bleiben, geht es am besten, wenn wenig Gehälter gezahlt werden müssen, die Sozialabgaben gering sind, die Rente klein ist und maximale Gewinne erzeugt werden können. Der Wirtschaft, bezogen auf den inneren Markt und Wohlstand des Bürgers, geht es gut, wenn die Kaufkraft des Inländers hoch ist. Portugal hat das gerade erfolgreich vorgemacht. Wie es anders aussieht habe ich in der Mongolei gesehen. Schaut man sich die Innenstadt von Ulanbataar an, wähnt man sich in einen aufstrebenden Staat. Jeder Meter, der einem aus der Innenstadt entfernt, zeigt einem den Irrtum auf. Doch soweit muss man gar nicht reisen, wenn man in Berlin wohnt. Da gibt es diesen Effekt auch. Passend hierzu gehorcht die Berliner Polizeiführung den Vorgaben der «Habenden». Den neuen Konzepten nach, wird die Polizeipräsenz in der Innenstadt erhöht und damit am Rande ausgedünnt.

Die aktuelle Situation Hartz IV ist für mich ein Beruhigungsmittel. Die Leute bekommen genau die Zuwendungen, die sie halbwegs überleben lasssen und sie mit dem Druck versehen, bei Zuwiderhandlungen das auch zu verlieren. Anderenfalls bestände das Risiko, dass sie zur Revolte übergehen. Wie das ausgeht und aussieht erleben wir gerade in Frankreich. Die sind Deutschland nämlich auf dem Land, in den Banlieue und den Randgebieten um wenige Jahre voraus. Amüsanterweise (Zynismusmodus!) schreibt die Zentrale für politische Bildung dazu:

Seit drei Jahrzehnten stellen die benachteiligten Randgebiete der französischen Großstädte eine zentrale Herausforderung der französischen Innenpolitik dar. In den Banlieues prägen Arbeitslosigkeit, städtische Verwahrlosung und Gewalt den Alltag. Urbane Ausschreitungen erreichten 2005 ein erschreckendes Ausmaß. Experten warnen vor einer starken sozialen Segregation, wie sie in vielen US-Städten zu finden ist.

Ich habe mir das mal vor einigen Jahren in Paris angesehen. Als jemand, der in einer Berliner Hochhaussiedlung aufwuchs und dort ab und zu zum Zwecke der eigenen Erdung mal vorbei schaut, kam mir vieles merkwürdig bekannt vor. Im Gegenzuge bestätigte mir ein Sozialarbeiter aus Paris, der sich mal Berlin mit seinen Augen ansah, mein Gefühl. Aus Gesprächen mit Lokalpolitikern weiß ich auch, dass die das durchaus genauso sehen wie ich.

Gleiches spielt sich bei der Bekämpfung der Drogenszene ab. Man stelle sich vor, der «Görlitzer Park», wäre irgendwo am Rande von Marzahn oder Heerstraße – Nord. Kein Mensch würde sich dafür interessieren. In Berlin spielt sich immer das gleiche Spiel ab. Quartiere werden herunter gewirtschaftet. Dann kommen sie Studenten und Künstler auf der Suche nach günstigen Wohnraum. Die Gegend wird «hipp» und attraktiv für «Habende» mit alternativen aufgeklärten Lebensverständnis. Bevorzugt ziehen dann Anhänger der «Grünen», Kreative, Designer und Architekten in die Häuser. Die Mieten steigen und das Niveau hebt sich. Übrig bleiben die Fragmente vor der Tür. Obdachlose, Abhängige, das örtliche Trinkermilieu und Prostitution.
Dafür gibt es dann die Polizei, die jene Szene gefälligst woanders hin verdrängen soll. Meistens ins nächste Gebiet welches heruntergebracht werden soll.

Hierzu ein kleiner Exkurs in die Berliner Geschichte. Der Berliner Humboldthain wurde einst als eine Art Botanischer – und Zoologischer Garten für das Bürgertum errichtet. In direkter Nachbarschaft zum sogenannten Roten Wedding. Einem der Ausgangspunkte der Novemberrevolution 1918. Damals schon missfielen den Bürgern von Berlin die zahlreichen herumlungernden Obdachlosen und Schlafburschen. Deshalb forderten sie von der Polizei die Verdrängung. Irgendwie hat sich wenig geändert. Doch eins: Die kannten das Beruhigungsmittel Hartz IV noch nicht.

Das geschieht so lange, bis die Berliner Illusion in der Mitte frei von Störenfriede ist. Am Ende des Prozesses bleiben nur noch die Stadtränder. Hallo Paris, Hallo London, wir wären dann auch soweit.

Nein, ich habe immer versucht, für eine Gesellschaft einzutreten, die zum Rahmen Grundgesetz passt. Was jetzt passiert, hat damit nichts mehr zu tun. Entstanden ist ein System, welches nicht zum Rahmen passt. Und dagegen kann ich ohne jegliche Skrupel antreten – eben gerade, weil ich eine ganze Menge gesehen habe. Die Geschehnisse und das Gesehene im Polizeidienst treiben einen häufig vor sich her. Es ist absolut menschlich, dass man bei gleicher Informationslage zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt. Meins ist, dass Menschen nicht als das geboren werden, was sie irgendwann sind.

Viele Faktoren wirken auf die Persönlichkeit ein. Nach meiner Logik ist die Anzahl kranker, gewaltätiger, brutaler, egoistischer, asozialer Menschen eine Kennzahl für den Zustand der Gesellschaft. Dabei geht es weniger um Fallzahlen in Kriminalstatistiken, sondern wie man die Täter oder Einsatzsituationen persönlich erlebt. Eine Gesellschaft produziert ihre Problemfälle immer alleine. Der bürgerliche ausgestreckte Zeigefinger, bedeutet immer, drei Finger zeigen auf das Bürgertum und einer, der Daumen, auf die Machthaber, die sie gewählt haben. Immer nur auf den Täter zu schauen, sich auf Stereotype zu fixieren ist nachvollziehbar, ist meiner Meinung nach einen Schritt zu kurz gedacht.

Eine Hommage an meine Familie …

Lesedauer 12 Minuten

Letztens fragten mich in einer Bar ein Lette und ein Ire, ob ich aus West Berlin oder Ost Berlin stammen würde. Bei meiner Antwort bemerkte ich, wie eine ordentliche Portion Stolz in mir hochkam. «West – Berlin!», antwortete ich. Wenn ich überhaupt so etwas wie eine Heimat habe, dann ist es diese nicht mehr existierende historische Stadt. Die beiden setzten nach. Sie wollten wissen, ob meine Familie den ganzen Mist mitgemacht hat oder zuwanderte. Niemand wanderte damals nach Berlin. Plötzlich gingen mir all die ganzen Geschichten wieder durch den Kopf.

Meinem Gefühl nach, welches nach Gesprächen mit anderen meiner Generation entstand, waren Menschen in anderen Städten weniger an politischen Themen interessiert. Väterlicherseits war mein Großvater in der Weimarer Republik zusammen mit seinen Brüdern in der KPD. Einige wurden als Widerstandskämpfer geehrt. Die Wurzeln der Familie lagen im Arbeitermilieu. Roter Wedding spricht man nicht mit Bedauern aus, sondern mit Stolz. Dieses Milieu war nicht einfach. Von meinem Großvater wurde mir berichtet, dass er sich von allen enttäuscht abwendete, als die «Gruppe Ulbricht» im Nachkriegsberlin auftauchte und die Kommunisten sich neu formierten. «Thälmann würde sich im Grab umdrehen, wenn er Euch hören könnte!», soll er gesagt haben.

Der Konflikt zwischen Ost u. West war in der geteilten Stadt eine stets präsente Geschichte. Und die Arbeiter hatten nichts vergessen. Zum 17. Juni gibt es interne Familiengeschichten, wie auch zum Mauerbau und dem daraus entstandenen Riss in der Familie. Die Generation meiner Eltern spielte noch in den Trümmern und Ruinen, erfuhren die Not der Lebensmittelmarken und bejubelte die vom Himmel fallende Schokolade, die die Piloten der «Luftbrücke» abwarfen. Wie überall standen alle aus den Trümmern wieder auf. Ich wurde 1966 am Gesundbrunnen, in unmittelbarer Nachbarschaft zum alten «Roten Wedding» geboren. Meine Eltern hatten wenig Zeit, sich eine Jugend, wie wir sie heute kennen zu leisten. Der hier schreibende «Kleine Hosenscheißer» hatte Hunger. Über Charlottenburg ging es zum Berliner Stadtrand nach Spandau. Mühsam rackerte sich die Familie aus dem alten Arbeiterbezirk heraus. Die Alten blieben bis zum Ende in alter Verbundenheit in ihrer Heimat, dem Wedding. Ich erinnere mich noch gut an die Worte meiner Großmutter zum Thema Reisen: «Ich habe wenige schöne Plätze im Leben gesehen. Einmal war ich auf dem Broken. Aber das Wenige was ich sah, habe ich gespeichert. Und wenn ich verreisen will, schließe ich die Augen und sehe mir die Gegend nochmals an.»

Ich habe nicht vor Berliner Arbeiterfamilien zu glorifizieren. Ich würde es mal etwas euphemistisch als den harten Weg bezeichnen, der mit den Vorstellungen des heutigen Mittelstands wenig zu tun hat. Mein «Alter» wollte damals weg. Hinaus in die Ferne, aber das funktionierte nicht. Wie erwähnt, ich säße dann nicht hier und schriebe diese Worte. Nicht wenige meiner Generation, hatten entweder nur einen Elternteil oder es wäre besser gewesen, wenn sie wenigstens einen davon niemals kennengelernt hätten. Viele denken darüber nicht nach, aber weder der Krieg, noch die Folgezeit, oder die erlernten Verhaltensweisen verschwinden einfach mal aus einer Familiengeschichte.

Das lässt sich meiner Beobachtung nach, häufig sogar bei politischen Einstellungen nachvollziehen. In Weimar und während des III. Reiches war das konservative Bürgertum eine Stütze der Nationalsozialisten. Die Arbeiter vom Wedding, die in der Rüstungsindustrie malochten, erahnten, worauf die Nummer hinaus läuft. Man kann in historischen Berichten von einigen handfesten Auseinandersetzungen in den Fabriken lesen. Die Ersten, welche den Satz prägten: «Es war nicht alles unter Adolf schlecht.», stammten aus dem Bürgertum. Der Nationalsozialismus war mehr, denn der Holocaust, er bediente auch Persönlichkeitselemente.

Die es damals aus dem Wedding und seinen Strukturen herausschafften, erkannten: «Schulbildung ist der Weg raus!» Sie verstanden Schulbildung nicht als etwas, was die Kreativität, Analytik, die Fähigkeit sich Wissen selbst anzueignen, vermitteln sollte, sondern sie setzten mehr auf das Wissen an sich. Wissen, was sich später in einem ernährenden Beruf anwenden ließ. Philosophie, schöne Künste, Religion und andere Geisteswissenschaften wurden anerkannt, dennoch als brotlose Kunst bewertet. Was einen nicht mit Sicherheit ernähren kann, ist nicht erstrebenswert. Aus deren Perspektive absolut nachvollziehbar.

Ich war schockiert, als mir eine Lehrerin auf dem Gymnasium erläuterte, dass die verwendete Sprache, die Fähigkeit sich ohne ständige Wiedergabe der wörtlichen Rede und das Vokabular, dem gesellschaftlichen Aufstieg hinterher hängen. Deshalb merke der Zuhörer, trotz passender Inhalte, wo die Ursprünge der Familie lägen. Schockiert trifft es nicht, ich war erbost! Mein «Alter» gab mir damals auf meinem Weg folgende Worte mit: «Wenn Du aufsteigst, vergiss nicht, wo Du her kommst und verlerne nicht die Sprache des einfachen Mannes. Das ist der Gesellschaftsvertrag. Die Arbeiter sorgen dafür, dass intelligente Menschen eine Ausbildungschance bekommen und denen entsteht daraus die Verpflichtung, die Gesellschaft voranzubringen.» Ich weiß nicht, ob das auf seinem Mist gewachsen ist, auf jeden Fall ist es gut. Gut ist auch, dass er es sagte. Traurig ist, dass das nicht viele mit auf den Weg bekamen.

Bei allen Reibereien die wir in der Familie hatten und den Debatten, die wir führten, übersah ich lange einen wesentlichen Punkt: Wir hatten sie! Und selten erkannten wir, wie wichtig das ist. Ich konnte nur derjenige werden, der ich bin, weil ich die Chance bekam, mich daran abzuarbeiten. Und meines Wissens war das keine Einbahnstraße. Trotz schmerzlicher Erfahrungen, die in einer Biografie niemals ausbleiben, partizipierten wir aneinander.

Mein Leben bis hier, war davon geprägt, mich mit dem Identitätskampf zwischen Arbeiter – und Bürgertum auseinanderzusetzen. Den Beweis anzutreten, ich bin mindestens genauso gut wie Ihr. Vielleicht war es auch unterschwellig die Idee den Haufen von innen heraus aufzuräumen. Ins Bürgertum einzuheiraten und mir nächtelange Auseinandersetzungen über Doppelmoral, Borniertheit, Proletarierstolz, Arroganz des Bildungsbürgertums, nationalsozialistische Familienvergangenheit zu führen, gehörte sicherlich dazu.

Ich schrieb: Bis hier! Ich habe begriffen, dass es um eine Emanzipation auf verschiedenen Ebenen ging. Die eigenen Rollen im Leben anzunehmen, die Rollen anderer zu verstehen, Entwicklungen zu akzeptieren und den Menschen hinter der Rolle zu sehen. Möglicherweise nennt sich das, Erwachsen werden. Was wir darunter verstehen ist sehr verschieden. Natürlich gibt auch hierfür Definitionen und Abhandlungen. Aber wer interessiert sich schon für solche Dinge außerhalb eines Psychologiestudiums? Ich würde es am ehesten mit dem Vorhandensein eines Bewusstseins für das eigene Leben beschreiben, auf jeden Fall mache ich es nicht am Alter fest, meiner Überzeugung nach, sterben viele pubertierende Kinder im hohen Lebensalter.

Ich fand es sehr amüsant, als ein Psychologe in einem Seminar die Teilnehmer aufforderte «das innere Kind» an die Hand zu nehmen und sich als Erwachsener schützend davor zu stellen. Halt Anthroposophen, dazu mag ich mich nicht äußern. Aber klasse fand ich die Frage einer Frau im mittleren Alter: «Was mache ich, wenn ich keinen Erwachsenen finde, der sich vor mich stellen könnte?»

Rolle bedeutet auch, dass mir ein Regisseur ein Skript in die Hand drückt und mich auffordert loszulegen. Was soll ich tun? Wer keine schauspielerische Ausbildung hat, wird sich selbst spielen und nach besten Gewissen sein Schauspiel abgeben. So erging es jedenfalls den alten Generationen, wenn sie Eltern wurden. Der nachfolgenden wurden wenigstens die grundsätzlichen Dinge einigermaßen erklärt. Mit einigen Übertreibungen. Es war die Zeit, wo man klare Vorstellungen von Haushaltsführung, Kinderbehandlung, Geschlechterrollen und Berufsleben hatte. Bei mir schwirrten immer ein paar Bücher im persönlichen Antiquariat herum. Ich erinnere mich an Titel wie «Sehen, Beurteilen, Handeln!», «Das große Buch der Kinderpflege», «Elektrisch Kochen» und praktische Ratgeber für die Verwendung der neuen Haushaltstechniken. Mit einem Grinsen im Gesicht muss ich feststellen, dass ich Leute kenne, denen ich es schenken sollte. Es war ach die große Zeit der Sportvereine. Holt die Gören von der Straße, dann machen sie keinen Blödsinn und lernen Sozialverhalten.

Fakt ist aber auch, dass innerhalb meiner Lebenszeit umwälzende Ereignisse stattfanden, die nicht ohne Folgen blieben. Die Digitalisierung hat in alle Lebensbereiche Einzug gehalten. Mit positiven, negativen, und schwer bewertbaren Auswirkungen. Wie gesagt, bisweilen wünsche ich mir von dem einen oder anderen Menschen: «Sehen, Beurteilen, Handeln». Dafür müsste sich diejenigen die Zeit nehmen, statt spontan mit einem Tastendruck einen Handlungsablauf in Gang zu setzen. Ein dauerhafter Blick in die virtuelle Welt, ist beim Sehen der Realität auch nicht förderlich.

In meiner Generation entwickelten viele meiner Mitstreiter ein gewisses Verständnis für Pädagogik und wir machten neue Fehler. Dinge wie pränatale Beeinflussung des Kindes, natürliche und gesunde Ernährung, Turngruppen für Kleinkinder, frühkindliche Spracherziehung und Talentförderung, ein breitgefächertes außerschulisches Bildungsangebot wurde unterbreitet – jedenfalls im Bürgertum, der Mittel – und Oberschicht. Unten gab es weiterhin auf den Zahn, wenn es nicht lief.
Und wie schon früher, stellen sich die halb – und tatsächlich gebildeten eher gegen den Lehrer, weil sie der Auffassung sind, es besser zu wissen. Ich schließe das nicht aus, aber wegen der Betriebsblindheit hinsichtlich des eigenen Sprösslings, sollte man sich das Bild des Lehrers wenigstens mal anhören. In den einfacheren Familien, besteht häufiger die Neigung, sich mit dem Lehrer, wenn er passend auftritt zu solidarisieren. Bei zur Schau getragener Arroganz kommt es allerdings zum Gegenteiligen. Meine Kinder sind alt genug und falls sie Kinder bekommen sollten, werden sie ihre Fehler machen.

Bewusstsein für die Rolle, als Vater, selbst Kind, Großvater, Freund, die berufliche Rolle, die Folgen des eigenen Lebens und vor allem für das eigene Sein und den Lebensabschnitt in dem man sich befindet zu entwickeln, ist nicht einfach.

Vieles fiel mir persönlich erstmals auf, als ich feststellte, dass ich in einem Alter angekommen war, wo meine Kinder Ablösungsprozesse von mir durchlebten, an die ich mich gut erinnern konnte. Damals sah ich knochenalte Menschen vor mir stehen, und nun drehte ich mich herum und suchte den alten Mann, von dem die immer redeten. Die meinten tatsächlich mich!

Nun bin ich in einer Lebensphase, in der Eltern meiner Freunde aus dem Leben scheiden. Eins habe ich bereits daraus gelernt. Viele stehen nach der Beerdigung mit der Erkenntnis da, dass sie noch viele Fragen hatten, die sie niemals stellten. Oft tritt auch die Trauer über die vielen kleineren und größeren Dispute ein, die sich im Angesicht des unvermeidlichen Endes, als sinnbefreit erweisen. Man hätte so vieles anders machen können, wenn man es einfach hingenommnen hätte. «Hätte, hätte, Fahrradkette!», riefen wir früher.

Bemerkenswert finde ich, dass ich und meine Zeitgenossen in einer Zeit des Friedens und Wohlstands in Deutschland lebe und damit die besten Voraussetzungen gegeben sind, ein Bewusstsein zu erlangen. Erst wenn die grundlegenden Bedürfnisse eines Menschen erfüllt sind, ist er in der Lage sich weitergehende Gedanken zu machen. Da besteht der Unterschied zu den alten Zeiten im zerbombten Berlin und in den Kriegsjahren zuvor. Der Weg meiner Familie hat nach ca. 100 Jahren einen Abschnitt erreicht, an dem die folgenden Generationen grundsätzlich alle Möglichkeiten haben. Einen, den sich mein Großvater vermutlich niemals hätte ausmalen können.

Doch neue dunkle Wolken ziehen am Horizont auf. Die Dekadenz demontiert das Bewusstsein. Viele reden gern von einer Bewusstseinskontrolle. Meiner Auffassung nach, ein Widerspruch oder eine falsch gewählte Formulierung. Wer im philosophischen Sinne eins hat, ist immun gegen Manipulationen oder kann sich dagegen wehren. Ich sehe das Problem darin, dass die meisten keins haben, deshalb auch keine Identität entwickeln und ihnen eins von fremder Seite her gegeben wird. Anteilig geht es somit darum, die gewonnene Identität zu verteidigen.

Unser Körper und der Geist verknüpfen Sinneswahrnehmungen, wie Gerüche, bestimme Frequenzen und Widerhall und Licht, mit Emotionen. Wenn ich eine Werkstatt betrete, in der es nach alten Schmieröl, Metall und dem markanten Geruch eines Schweißgeräts oder dem, welcher von Kontaktkohlen eines Elektromotors ausgehen, riecht, bin ich zu Hause. Da komme ich her. Das ist mein persönlicher «Rosebud» aus Citizen Kane.

Mit Sorge schauen gerade die alten Arbeitersprösslinge, denen Weimar durch ihre Eltern noch nah war, die Berlin noch zerstört sahen, Not und Elend des Kriegs kennen, die in Berlin ankommenden umherirrenden Flüchtlinge aus den Ostgebieten sahen, die Zerrissenheit der Familien durch die Kriegserlebnisse erlebten, die Traumata der heimkehrenden Väter zu spüren bekamen, auf die kommende Zeit. Das Bürgertum war auch vom Krieg betroffen, aber es erholte sich vom Krieg schneller. Die bereits vorhandene Bildung, Netzwerke, politische und wirtschaftliche Aufstiegschancen waren ungleich besser.

Sie fühlten einen Verrat der aus ihrer Sicht eigentlich guten Sache. Bürgerliche Ordnung, Sicherheit, Disziplin, die gute Stube, klare Unter – und Überordnungsverhältnisse, das deutsche Volk mit seinen vermeintlichen Erfolgen in der Kaiserzeit, die Wiederauferstehung und wenigstens den Versuch unternommen zu haben, den Verrat und die Demütigung von 1918 rückgängig zu machen, waren in ihrem Sinne. Nicht das nationale Völkische und der sie einigende Patriotismus war schlecht und ursächlich, dieser durchgeknallte Österreicher mit seinen Vasallen hatte sie in die Katastrophe geführt. Aus ihren Reihen stammten die glorifizierten aufrechten Offiziere der Wehrmacht, die lediglich Dienst für das Vaterland leisteten. Traditionelle deutsche Werte, die heute noch oder erst recht wieder, eingefordert werden.

Wir sind die Summe aus vielen Erfahrungen und Prägungen. Auch die Familienhistorie, die von einer zur nächsten Generation weiter gegebenen Werte gehören dazu. Wir können uns das nicht aussuchen. Die Geburt wirft uns in die Familie hinein. Allein die Entscheidung, was wir mit dem machen, was wir vor finden obliegt uns selbst.

Mit meinem Patriotismus, Vaterlandsliebe, und dem Stolz Deutscher zu sein, sieht es nicht gut aus. Mit Beginn der Industrialisierung war dieses Konstrukt niemals nett zu den Arbeitern.

Sie wurden bei der Revolution vom Bürgertum zusammengeschossen, der Kampf für bessere Lebensverhältnisse wurde brutal niedergeschlagen, quasi jeder Intellektuelle, der sich auf die Seite der Arbeiter schlug wurde diffamiert oder ihm geschah Schlimmeres. In beiden Kriegen hatten sie die meisten Opfer. Jede Verbesserung musste dem Bürgertum im harten Kampf abgerungen werden. Damit schließe ich nicht aus, dass sich unter den Rechten auch immer Arbeiter befanden. Doch die Vordenker saßen wo anders und wurden nicht von dort aus gestellt.

Stolz ist eine angeborene und nicht anerzogene Emotion, die sich in der Evolution bewährt hat. Ich bin stolz auf den Werdegang meiner Familie und den Errungenschaften, die einmal mit Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Ich stehe zu dem Gedankengut und den Werten, die aus dieser Geschichte hervorgegangen sind. Meiner Empfindung nach, ist meine eingenommene Kontraposition zu vielen bürgerlichen und vor allem kleinbürgerlichen Werten und der latent in mir schlummernde Anarchismus, eine Fortsetzung der Geschichte.

Anarchie ist nicht, das Chaos, wie es in bürgerlichen Kreisen oftmals behauptet wird, sondern der Widerspruch gegen künstliche starre Hierarchien, die mittels institutioneller Autorität und zugeteilten Machtmitteln agieren. Etwas, was in produktiven Gruppenstrukturen selten funktioniert. Ein Kolonnenführer in einem produzierenden Betrieb, der keine Ahnung von dem Job hat, sondern lediglich per Dekret die Führungsaufgabe bekommen hat, wird nicht lange bleiben.

Bei aller notwendigen kritischen Auseinandersetzung, möchte ich mit diesem Beitrag aus gegebenen Anlass mal an einer besonderen Stelle, nicht Dankbarkeit zeigen, sondern Demut vor den Leistungen in der Vergangenheit zollen. Vielleicht habe ich deshalb in letzter Zeit allergisch auf den im Internet kursierenden Begriff Polizeifamilie reagiert. Auch das ist für mich unter Bewusstsein subsumiert.

Mir sind im Leben auch einige bürgerliche Familien begegnet. Eine hatte sogar zeitweilig die wahnwitzige Idee mich einzugliedern. Heute kann ich sagen: Ganz blöde Idee! Alle die ich erlebte, versuchten, einem kantianischen rationalen Idealbild zu entsprechen. Vorhersehbar scheitern sie daran immer. Doch in der Verweigerung diese Unmöglichkeit anzuerkennen, gehen die Konflikte bei Ihnen immer ins subtile und finden andere Ventile. Während es dann bei den Sprösslingen zu Verhaltensauffälligkeiten kommt.

Ich erinnere mich an einen jungen Hooligan der es mal auf den Punkt brachte: «Hey, meine Mutter ist Religionslehrerin und mein Vater ist Professor an der Uni. Ich hatte keine andere Chance, ich muss einfach mal auf die Kacke hauen.» Aber das ist ein weites Feld für Psychologen.

In meiner Familie wurde es oft turbulent, aber dafür offensichtlich und im Rahmen bereinigend. Wie immer, hat alles seine Vor – und Nachteile. Aus dem alten Weddinger Milieu entwachsene Familien haben eine für andere äußerst unangenehme Außenwirkung. Jeder Polizist kennt das Problem. Haben die einen Außenfeind oder geht es gar um die Kinder, wird es übel. Diesen Effekt unterliegen die aber auch intern. In meiner Zeit als Mediator bei der Polizei fand ich eins immer traurig. Wenn die beiden Kontrahenten vor mir eigentlich zum gleichen Ziel wollten, aber sich kommunikativ darüber nicht austauschen konnten. Sie verstanden nicht, dass sie zwar unterschiedlich handelten, dennoch das identische Produkt anstrebten. Ein Klassiker in der Mediation.

Ein anderer Klassiker ist, wenn sich die Streithähne gegenseitig in Rollen manövrieren. Das geht bei Menschen recht zügig. Eine falsche Assoziation, ein falsches Wort, eine unkorrekte Beobachtung, schon fängt der eine an sich in eine strafende Autoritätsrolle zu erheben und der andere mimt den auskeilenden Jugendlichen. Das ändert sich dann in Millisekunden. Der staunende Zuschauer wundert sich dann nur noch. Es gibt wunderschöne Theorien über die Einnahme einer rationalen Ebene. Alle Theorie ist bekanntermaßen grau.

Wer sich ein wenig bei Twitter herumtreibt, kann jeden Tag sehen, wie das schief geht, schon weil sich 45 jährige Pubertierende gegenseitig mit Dreck bewerfen.

Ein anderer Klassiker ist, wenn sich die Streithähne gegenseitig in Rollen manövrieren. Das geht bei Menschen recht zügig. Eine falsche Assoziation, ein falsches Wort, eine unkorrekte Beobachtung, schon fängt der eine an sich in eine strafende Autoritätsrolle zu erheben und der andere mimt den auskeilenden Jugendlichen. Das ändert sich dann in Millisekunden. Der staunende Zuschauer wundert sich dann nur noch. Es gibt wunderschöne Theorien über die Einnahme einer rationalen Ebene. Alle Theorie ist bekanntermaßen grau. Wer sich ein wenig bei Twitter herumtreibt, kann jeden Tag sehen, wie das schief geht, schon weil sich 45 jährige Pubertierende gegenseitig mit Dreck bewerfen.

Da hilft nur Bewusstsein herstellen. Wer bin ich gerade? Warum bin ich es? Was hat dazu geführt? Wie sieht die Energiebilanz aus und was ist mit der Kosten – Nutzenrechnung? Wenn man es bis über 50 geschafft hat, was nicht selbstverständlich ist, wird die Kosten – Nutzungsrechnung immer interessanter.

Das ist mein Job und meine Rolle im Generationenvertrag. Die alten Geschehnisse, Erfahrungen, Hintergründe, Geschichten aufzunehmen, sie mit dem Neuen, was ich dazu beitragen kann, abzugleichen und etwas daraus zu machen. Meine Töchter werden es weiter ergänzen.

Wiederholung schafft Wiedererkennen. Aus diesem Grunde nochmals abschließend. Meiner Meinung und vor allem Erfahrung nach, steht und fällt alles mit der Herstellung eines Bewusstseins. Dazu muss man Anhalten, einen Schritt neben sich machen, alles, Körper, Seele, Geist, das nähere und weitere Umfeld betrachten, um die eigene Rolle, Wirkung im Geschehen betrachten. Erst wenn das alles passiert ist, kann ich auch verantwortlich handeln. Dies schreibt einer, der in seinem Leben ziemlich oft als wütender und zorniger Kerl unterwegs war. Einer, der im Zweifel immer im konsequenten Vorwärtsgang unterwegs war. Begleitet wurde dies von einem Leben auf der Überholspur und einem sich immer mehr erweiternden Vielfrontenkrieg. Erst war ich dessen müde, heute bin ich von der anderen Lebensart zutiefst überzeugt.


Ich bin der Konflikte, die von pubertierenden Menschen um mich herum erzeugt werden und in mein Leben hineingetragen werden,überdrüssig. Ich möchte dazu ein typisch deutsches Beispiel geben: Kennen Sie Kleingartenkolonien? An sich würde die Bezeichnung Gartenkolonie ausreichen. Wo kommt also klein her? Man mag meinen, dass es von der Größe der Gärten her kommt. Das stimmt so nicht. Ich leite es von kleingeistig und Mikrokosmos ab. Wer das deutsche Bürgertum kennenlernen will und Studien betreiben will, miete einen Garten in einer Kolonie. Zunächst geht es darum, dass ein Regelwerk erstellt wird. Ob dieses einen Sinn ergibt oder nicht, ist uninteressant, Hauptsache es existiert. Dann gehen sie auf die Suche nach einem Vorstand, der narzisstisch genug ist, hieraus eine Identität zu beziehen.

Er ist Nutznießer und Opfer zu gleich. Durch die Erhebung aus der Normalität wird er zur Zielscheibe jeder nur erdenklichen Verschwörungstheorie.
Die Parallelen zum deutschen Staatswesen sind offensichtlich. Was einer unter Garten und seine Interessen daran versteht, ist sehr individuell. Ich arbeite mich ein wenig daran ab, schaue mir gern Insekten an, freue mich über wilde Gäste und finde es toll, wenn Sie bei mir ein wenig Restlebensraum finden. Dafür schichte ich diesen Gästen sogar eine Art “Bamboo Hut” auf. Bürgertum und Individualität, finden Sie den Fehler! Im gewissen Rahmen, aber bitte nicht zu auffällig. Im nächsten Gang kommt es zu einer Überlegung: «Wenn ich mich kasteie und an die Regeln halte, warum nimmt sich der andere das Recht, dies nicht zu tun? Der soll sich gefälligst auch Kasteien, und wozu habe ich den ganzen Aufwand betrieben? Hält sich einer nicht an die Regeln, kommt es zu Veränderungen und Unruhe, dass wollen wir hier nicht.» Da dem Kleinbürger – da war es wieder das Wort klein – zur Konfrontation mit offenen Visier, der Mut fehlt, beginnen die subtilen Spiele.

Früher hätte ich in einer solchen Situation unter zwei Optionen zu wählen gehabt: «Drauf oder Drauf!» Heute ignoriere ich Sie einfach, ich bin weder an ihrem äffischen Spiel interessiert, noch gebe ich mich der Illusion hin, sie zu ändern, oder das ein Gespräch zu etwas führen würde.
Wie bei Twitter – nebenbei eine gigantische deutsche Kleingartenkolonie – ergibt das alles keinen Sinn. Das Beste daran ist, dass sie kaum eine Handhabe gegen meine Ignoranz haben und sie letztlich ihre eigene Lebenszeit opfern. Sorge bereitet mir nur, dass so viele von Ihnen existieren und sie ein Nährboden für einen autoritären Staat sind. Das sind die Mitläufer von damals, heute und morgen. Denunzianten haben immer ein niederes Motiv und die denen Zuhören, sollten sich ihrer Sache sehr sicher sein, wenn sie ihnen zuhören.

Meine Familie ist Kummer mit solchen Leuten gewöhnt und wir haben uns weiterentwickelt. Auch da bin ich voller stolz – meine Töchter gehen da noch ganz anders heran, wie ich. Ihre totale Immunität, gegen solche Verhaltensweisen ist wunderbar zu beobachten und macht Spaß. Manchmal wünschte ich mir ein wenig mehr Radikalität und Gelassenheit – aber das kommt vielleicht noch.

19.2.2019 Langkawi, in Gedanken am M.T.