Immer noch illegal

shallow focus photography of cannabis plant Lesedauer 8 Minuten

In Sachen Cannabis ist die aktuelle Ampel-Koalition mit einem großen Wählerversprechen angetreten: Wir werden Cannabis legalisieren. Allerdings scheint bisher nicht einmal eine Entkriminalisierung in Sicht zu sein. Ich erwartete nichts anderes. Ein Land, in dem sich selbst der Verkauf gängiger Schmerzmittel kompliziert gestaltet, tut sich schwer damit. Wenn ich in Polen an einer Kasse stehe und dort Aspirin neben Ibuprofen liegen sehe, frage ich mich stets, ob deutsche Zeitgenossen und Genossinnen mit politischen Gestaltungswillen, ihre Mitmenschen für besonders dämlich halten, oder sie ihre Rolle ein wenig zu erzieherisch anlegen.
Ich kann mich seit meiner Jugend an keine Zeit erinnern, in der Drogen nicht irgendwie eine Rolle spielten. Auf den Partys wurde mit der Pubertät Alkohol getrunken und die ersten Joints gingen herum, als ich um die 16 Jahre war. Mit Mitte der 80er kombinierten die ersten Freunde Kokain, MDMA, XTC, Alkohol und Cannabis. Jetzt wo ich nochmals die Zeit Revue passieren lasse, fällt mir ein, dass zwei Mitschüler bereits in der 7en Klasse Klebstoff schnüffelten. So viel ich weiß ist einer von beiden „abgedriftet“ und der andere wurde später Drogenberater. Einige Grundregeln lernte ich in all den Jahren: „Nicht die Droge sucht sich den Konsumenten, sondern es läuft andersherum.“ Gleichsam gilt: „Ob jemand süchtig wird, ist in der Persönlichkeit begründet und hat sekundär etwas mit der Substanz zu tun.“ Nunmehr bin ich Vater von zwei erwachsenen Töchtern. Aus Überzeugung heraus begann ich bei beiden recht früh mit einer offenen Aufklärung über Drogen. Mir war dabei immer bewusst, dass diese Verbotsfaselei im günstigsten Fall unbeachtet verhallt; im schlechtesten kontraproduktiv ist. Ich sagte ihnen Dinge wie: „Ihr werdet Alkohol trinken, das ist sicher. Aber wenn ihr trinkt, gebt dem Zeug eine Chance für die Wirkung. Ein Glas, warten, kurzer Body – u. Gehirnscan, dann kann es weiter gehen. Wenn ihr andere Drogen nehmt, bleibt dabei niemals alleine und Finger weg von den Sachen, die ein Chemiestudent im 4en Semester zusammen kocht.“ So weit ich noch einen Einblick in ihr Leben habe, scheint mein Plan aufgegangen zu sein. Ich halte nichts von Wunschvorstellungen, die sich jenseits der realistischen Verhältnisse befinden. Insofern es mir möglich war, beschrieb ich ihnen die Wirkungen der in unseren Breitengraden kursierenden Drogen. Mir wurde in der Jugend eine Menge Humbug erzählt. Cannabis, LSD, Captagon, XTC, Kokain, Heroin, wurden zum bösen Einheitsbrei, während Alkohol, kontrolliert eingenommen, durchging. Erst mein Onkel, schwer heroinabhängig, sagte mir eindringlich: „Alles begann mit dem ersten Bier!“ Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, vielleicht der Reiz einer Welt jenseits des als spießig empfundenen Elternhauses, ein Eindruck, der oftmals aus dem Versteckspiel gegenüber den Kindern resultiert, die Flucht vor einem Leben, welches einem seitens der Gesellschaft aufgedrückt wird, aber ziemlich unmenschlich wirkt, sind beim Einstieg die wichtigen Faktoren. Aber auch die Frusttoleranz, die Fähigkeit, mit Kummer, Trauer, Liebe, Emotionen, umgehen zu können, gehören dazu.

Das Einnehmen von Drogen unter Strafe zu stellen, ist ein bemerkenswertes Konstrukt. Immerhin schädigt sich jeder mit der Einnahme ausschließlich selbst. In allen anderen Gesetzen geht es immer darum, mittels Strafandrohungen Schaden von anderen abzuwehren oder bereits entstandenen zu sühnen. Nun gut, das passt zur Geschichte des Verbots. Nachdem religiöse Eiferer im Schulterschluss mit Industriellen am Alkoholverbot gescheitert waren, erschien plötzlich eine komplette US-amerikanische Behörde gegenstandslos. Der Alkohol minderte aus Sicht der Industrie-Bosse die Arbeitskraft der armen Männer und Frauen, die unter heute inakzeptablen Verhältnissen schufteten. Die Fanatiker sahen die Gottesfürchtigkeit gefährdet. Aber ein Al Capone begriff, dass das ein Kampf gegen die menschliche Natur werden würde und machte ein Geschäftsmodell daraus. Doch, wenn die kollektiv schwer in ihrer Persönlichkeit gestörten amerikanischen Evangelikalen und Rechts-Konservativen schon nicht den Alkohol verbieten konnten, gab es immerhin noch dieses böse Kraut, welches all die rauchten, die quasi den Gegenentwurf lebten. Wie immer in solchen Fällen wurde eine gigantische Propaganda-Kampagne gestartet. Bis heute wirkt sie nach. Cannabis-Raucher/innen sind faul, langsam, desinteressiert, vergesslich und sind schwer für Anstrengungen zu begeistern. Mit anderen Worten, der Albtraum des kapitalistischen Bürgertums. Während bei den Trinkern und Trinkerinnen die Werbebranche beidbeinig ins Geschäft sprang und den Alkohol zu einem Elixier des Erfolgs, Genussmittel und angeblichen Kulturgut werden ließ, dämonisierte man Cannabis. Die jährliche Krönung einer Cannabis-Königin, Messe-Verköstigungen mit aufgedonnerten Hostessen und Männern in abgewetzten Anzügen, sonst Alkoholiker, an der Stelle dann Hardcore-Bong-Raucher, die die Vorzüge der frischen Ernte anpreisen, sind schwer vorstellbar. Die Pflanze passt einigen anderen über das Rauschmittel hinaus nicht ins Konzept. Sie ist ein Multitalent und greift in mehrere Geschäftszweige hinein. Die Fasern sind in diversen Anwendungsbereichen synthetischen Produkten ebenbürtig und darüber hinaus kein schädlicher Eingriff in die Ökologie.
Ich denke, beim Verbot gehen einige miteinander Hand in Hand. Da wären die Missionare und Missionarinnen, welche davon beseelt sind, dem Rest der Welt ihre Vorstellungen aufzudrücken. Sie sind in die Politik und in die Ämter gegangen, um hierfür die notwendigen Machtmittel zu bekommen. Ich habe noch nie verstanden, was Menschen antreibt, die sich in die ureigensten Belange anderer einmischen. Solange jemand mit seinen Handlungen bei sich bleibt, kann sie/er tun und lassen, was sie/er will. Relevant wird es erst, wenn ein/e zweite/r involviert ist. Wer Drogen nehmen will, soll es tun und wer sich das Leben nehmen will, kann dies auch machen. Alledem geht eine lange Geschichte voraus.

Drogen lassen sich niemals getrennt von den gesellschaftlichen Prozessen betrachten. Noch heute ist es in vielen Kreisen ein Zeichen von Stärke, wenn man große Mengen Alkohol verträgt. Alkoholkonsum ist an der Stelle ein Spiel. Mitspieler sind die Trinkenden, das Barpersonal und die kritisierenden Mitmenschen. Man trifft sich, trinkt, baut Mist, der später als lustige Suffgeschichte verkauft wird, erwacht und holt sich den Ärger der Leute ab, die einen verkatert ertragen müssen. Oder es handelt sich um das ungezwungene Gespräch nach dem strengen Protokoll, bei dem endlich mal Tacheles gesprochen wird. Wer keinen Alkohol trinkt, wird schräg angesehen. Im Gegenzuge habe ich noch keine „Kiffergelage“ erlebt, bei dem ein Wettstreit über die Anzahl der gerauchten Joints oder Bongs ausbrach. Kokain taucht meistens in Kombination mit Alkohol auf. Es ermöglicht ein Trinken weit über das normale Limit hinaus. Das passt wunderbar zum Lifestyle der Hedonisten. Schneller Erfolg, hartes Business, schnelles Geld, keine Moral oder Ethik, immer auf der Autobahn unterwegs. Am besten noch mit dem Laptop im Zug schnell die Präsentation vorbereiten, die Aktienkurse verfolgen, sich bei der Frau entschuldigen, schnellen unkomplizierten Sex mit Gleichgesinnten, eben alles, was in einigen Kreisen als Erfolgsnummer gilt.

Wenn man sich mit Befürwortern der Drogenkontrolle unterhält, lohnt es sich, sie ein wenig intensiver auszuleuchten. Warum sehen sie sich dazu berufen, eine Unterscheidung vorzunehmen und auch noch unter dem Deckmantel andere schützen zu wollen, ein Verbot erlassen? Ein Verbot, welches Geldstrafen, Haftstrafen, jede Menge Ärger, Beschädigung des Images, Zerstörung beruflicher Laufbahnen und Biografien, nach sich zieht. Ganz nebenbei auch Verbote, die erst einen Anreiz bedingen. Ist dies alles wirklich ein Schutz? Wenn ich einem Jugendlichen, dem ich das Rauchen verboten habe, eine Ohrfeige gebe, erreiche ich dann etwas? Wäre nicht die Frage, warum es dazu gekommen ist und welche Motive den Antrieb gaben, viel besser? Und ist die verbietende Person Abstinenzler? Ich erlebte mal Michel Friedman bei einem Vortrag vor Freimaurern. Das Thema lautete: Angst! Er sagte dort: „Meine Angst vom Rauchen Krebs zu bekommen, wird von der Angst übertroffen, wie ein Nichtraucher zu werden.“ Die Haltung kann ich nachvollziehen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber oftmals neigen die zur Intoleranz und einem penetranten Sendungsbedürfnis. Kaum einer lebt in einer industrialisierten Gesellschaft ein wirklich dem menschlichen Wesen und seiner Gesundheit zuträgliches Leben. Da mische ich mich bei denen auch nicht ein.
Menschen sind in der Regel nicht echte Altruisten. Aus allem, was wir tun, ziehen wir in irgendeiner Form unsere Befriedigung. Sei es nur, dass ich einem anderen Menschen helfe, um mich damit besser zu fühlen. Ich kann es aber auch lassen und mir damit suggerieren, was ich doch für ein harter Hund bin, der emotional über den Dingen steht. Die sich da ihn Verboten ergehen, wollen sich auch die Befriedigung für ein Bedürfnis einholen. Gleiches gilt für Regulierungen. Bereits die Option, dies überhaupt tun zu können, setzt sie ein bis zwei Etagen über die anderen. Meiner Erfahrung nach, ein ziemlich starker Antrieb. Insofern die Notwendigkeit besteht, weil es das soziale Leben zu regeln gilt, lasse ich mir das gefallen. Aber nicht, wenn es um das pure Selbst geht. Mir wäre neu, dass sich diese Leute um andere Belange ähnlich umfassende Gedanken machen. Die Entfremdung, die immer komplizierte werdende Suche nach einer Identität, dem tatsächlichen Wirken in der Gesellschaft, die Reduzierung von Stress, der ernstgemeinte Ansatz, die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten anzugehen, welche Millionen von Menschen in ein Leben treiben, welches als äußerst ungesund zu bezeichnen ist, sparen sie aus.

Prohibition funktioniert ausschließlich über Macht, Machtmittel, Gewaltausübung, willkürlicher Auswahl, und mittels Zeitgenossen, die bereit sind, damit zu arbeiten. Deshalb muss ich mir beide Seiten anschauen. Es erscheint mir fraglich, ob diejenigen, welche sich dazu berufen fühlen, frei von bedenklichen Störungen sind. Wären sie es, gelte ihr Anspruch einer Überzeugungsarbeit, der Veränderung der bedingenden Faktoren und der realistischen Hinnahme der menschlichen Natur. Drogenkonsum zu verbieten kommt einem Gesetz gleich, in dem bei Strafe die Onanie untersagt wird. Dabei auch noch ausgerechnet den wahrlich schädlichen Alkohol und Nikotin zu erlauben, ist schlicht absurd.
All die ganzen Studien zum Thema Drogen sind meiner Auffassung nach Müll. Ein voll entwickelter Mensch weiß um die Schädlichkeit von Giften. Bereits Paracelsus formulierte die berühmten Worte: “Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift.” Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.” Sei es nun Cannabis oder Alkohol, von einer völligen Unschädlichkeit auszugehen, passiert vermutlich sehr wenigen Menschen. Oftmals sind bei Drogen Doppelwirkungen bekannt. Mal wünscheswerte positive bzw. u.U. heilende Wirkungen, andererseits schädliche die Gesundheit gefährdende. Auch ohne Arzt oder Wissenschaftler zu sein, vermute ich einen schwierigen Nachweis, was denn nun im Leben eines Menschen zum Beispiel konkret eine Psychose auslöste oder den Nährboden bereitete. Rein subjektiv betrachtet erscheint mir der Alkohol als eine der übelsten Drogen. Ob legal oder illegal, ist er recht schnell verfügbar und bietet beim Missbrauch, schnell die erwünschte Wirkung an, die relativ einfach aufrecht erhalten werden kann. Kurz: Je nach Problemfeld schießt er die Leute zuverlässig ab. Heroin bedarf einer gewissen Überwindung und die Wirkung ist zeitlich ziemlich begrenzt, so dass ein neuer Schuß notwendig wird. Aber wie auch immer geht es beim Missbrauch stets um das ausklinken. Ein Therapeut fragte mich mal, ob mir mal die Ähnlichkeiten zwischen einem Säugling und einem Alkoholiker aufgefallen sind.
Sich mit Cannabis völlig aus dem Rennen zu nehmen, ist eher schwierig und wäre nicht meine erste Wahl. Dabei fällt mir bei Cannabis-Konsumenten immer wieder die hohe Anzahl Intellektueller, hervorragend ausgebildeter Leute und die damit verbundene Empathie auf. Doch auch bei Cannabis sollte man wissen, was man da tut. Etwas schräg ist die offizielle Bewertung im Verhältnis zu Alkohol. Mir ist die egal. Jugendliche Trinker sind mit absoluter Sicherheit in jeder Hinsicht gefährdeter, abgesehen von anderen aufputschenden Drogen, als alle anderen. Was sie in Gefahr bringt, der Verkehr, die Aggressivität, die Enthemmung oder die toxische Wirkung ist dabei irrelevant. Verbote bringen weiterhin eine Dynamik mit. Ganz praktisch erlebte ich das in Malaysia. Die Underground-Szene der Jüngeren, welche sich durch die restriktiven Bedingungen der muslimisch geprägten bürgerlichen Gesellschaft, exzessiv Drogen zu wenden, bevorzugen i.d.R. Cannabis. Durch die Verfolgung kommt es entweder zu einem Mangel oder sie weichen aus Angst vor gezielten Urin-Kontrollen auf andere Drogen aus, die nicht getestet werden. Oftmals ist dies ein Cocktail aus heimischen Pflanzen, Pilzen und Medikamenten. Der Weg zum Heroin ist dann nicht mehr weit. Therapieeinrichtungen existieren fast gar nicht und wenn doch, wird meistens die Droge durch religiösen Fanatismus eingetauscht. Zwischen Drogenmissbrauch und dem genannten reiligiösen Fanatismus ist ein schmaler Grat. Begründet ist dies in der Ursache für den Missbrauch. Die Religion soll Antworten geben und den Druck aus der Seele nehmen.

Mir erscheint eine gesellschaftliche Analyse und Behebung der den Missbrauch bedingenden Misststände deutlich zielführender, als Repression und Prohibition. Sag mir, welche Drogen in einer Gesellschaft bevorzugt konsumiert werden und ich erzähle Dir, wie der Zustand des jeweiligen Systems aussieht. Ein gewisses Maß an Konsum wird es immer geben. Leider gibt es kaum Anzeichen dafür, dass über eine Analyse hinaus auch Änderungen angestrebt werden. Viel einfacher ist die Repression und Geld lässt sich damit auch ganz gut verdienen. Ebenso wachsen in unserem Gesellschaftssystem stetig Charaktere heran, die sich mangels natürlicher Autorität und Überzeugungskraft, über institutionell vergebener Macht definieren und sich durch die beschriebenen willkürlichen Verbote, über andere erheben. Ehrlicherweise muss ich anfügen, dass ich mittlerweile davon überzeugt bin, dass ein beklagenswerter Zustand eingetreten ist, der Änderungen äußerst gefährlich werden lässt. Große Anteile der Gesellschaft haben sich daran gewöhnt und verlernt, anders zu leben. Was nicht verboten wurde, ist erlaubt und kann nicht schädlich sein. Über Jahrzehnte hinweg wurde in beiden deutschen Staaten auf unterschiedliche Art und Weise alles an die Institutionen und deren Verwaltungen übergeben. Parallel wirkt auf alle seit Jahrzehnten ein Kanon von Manipulationen ein. Aber gut, meine Haltung zum Kapitalismus und den Auswirkungen ist jedem, der ab und zu hier mitliest, hinreichend bekannt.

Die Cannabis-Lobby setzt auf den Kapitalismus. Ich bin da skeptisch. Bei einer Legalisierung verdienen Neue und alte Alte erfahren Einbrüche. Letztere werden sich zu verteidigen wissen. An der Prohibition hängt weltweit ein riesiger Apparat, der über Jahrzehnte gewachsen ist. Der gibt nicht einfach kampflos auf.