Vor 40 Jahren

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In wenigen Tagen liegen zwischen Georg Orwells dystopischen Jahr “1984” und der Zeit in der wir leben 40 Jahre und wiederum 75 Jahre sind seit der Veröffentlichung 1949 vergangen. Orwell konnte nichts über die heutigen technischen Möglichkeiten wissen. Er orientierte sich daran, wie er eine bestimmte Sorte Mensch einschätzte und was passieren würde, wenn man diesen Leuten die Möglichkeit der Überwachung und Manipulation in die Hände geben würde. Den Drang zur Kontrolle, Manipulation, vordergründig zur Minimierung aller Risiken, tatsächlich zur Herrschaftsausübung, gab es bereits ’49, aber im Verhältnis zur Jetztzeit waren sie äußerst beschränkt.

Bei Heise Online las ich über die Pläne der sich konstituierenden großen Koalition in Hessen. Unter anderen ist dort nachzulesen:

Die geplante schwarz-rote Koalition in Hessen hat sich auf ein umfassendes Überwachungspaket verständigt. Sie will damit unter anderem Sicherheitsbehörden wie Polizei und Geheimdiensten “in engen Grenzen und mit richterlicher Anordnung” den “Zugang zu bestehenden privaten audiovisuellen Systemen” gestatten. Fahnder und Agenten sollen so im Rahmen der bestehenden rechtlichen Befugnisse “beispielsweise die Wohnraumüberwachung durchführen” können, heißt es im Koalitionsvertrag, den CDU und SPD am Montag unterzeichneten. Das Vorhaben erinnert an die umstrittene Initiative der Innenministerkonferenz 2019, intelligente Sprachassistenten wie Amazon Alexa, Google Home oder Apple Siri genauso anzuzapfen wie “intelligente” Fernseher, Kühlschränke oder Türklingeln.

https://www.heise.de/news/Polizeibefugnis-CDU-und-SPD-in-Hessen-wollen-digitale-Wanzen-im-Wohnzimmer-9577621.html

Die Taktik wird seit Jahrzehnten verfolgt. “Wir wollen doch nur Sicherheitsrisiken minimieren. Alles im rechtlichen Rahmen und unter Vorbehalt eines Richters!” Meiner Erfahrung nach sind Richter*innen keine Überwesen und unter ihnen befinden sich genügend Charaktere, die mit Vorsicht zu genießen sind. Allerspätestens mit der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen “Klima-Aktivisten*innen” wegen der Bildung einer “Kriminellen Vereinigung” hat die seit 1989 bestehende Bundesrepublik Deutschland ihre Unschuld verloren und signalisiert, wo es hingehen soll. Wie ich es bereits einige Male im BLOG darlegte, hängt an diesem Paragrafen einiges dran. Mit dem Verfahren ist klar erkennbar, wie niedrig die Schwelle geworden ist, bis Mitbürger*innen für entscheidende Stellen des Systems zu bedrohlichen Extremisten und Kriminellen werden. Außerdem werden umfassende polizeiliche Maßnahmen zur Überwachung der unmittelbaren Protagonisten, aber auch ihres weiteren Umfelds ermöglicht. Und mir scheint, dass die Schwelle kontinuierlich gesenkt wird.

Bemerkenswert finde ich dabei den Umstand, dass die Verfassungsschützer die Einstufung als gefährliche Extremisten verneinte und im gleichen Zuge die Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln ablehnte. Später folgte die Innenministerkonferenz und mit einem Mal gelangte die Kriminelle Vereinigung in den Diskurs. Wobei ich mir die Frage stelle, warum nicht gleich als „lex specialis“ die Terroristische Vereinigung angewendet wird. Immerhin treten Vertreter von allen im Bundestag vertretenen Parteien ans Pult und sprechen von Terroristen*innen. Wenn schon, dann richtig.

Ein weiterer Aspekt bleibt häufig unbeachtet. Überwachung erforderte in analogen Zeiten einen erheblichen finanziellen, personellen und logistischen Aufwand. Bereits dies setzte die Messlatte recht hoch. Ob und in welchem Umfang Personen überwacht wurden, erforderte eine Kosten/Nutzen – Analyse. Im Zeitalter der Digitalisierung ist vieles deutlich günstiger geworden. Rhetorisch ergeben sich zwei Richtungen. Entweder, kann Dank der Digitalisierung im erforderlichen Maß überwacht werden, wohingegen noch in den 90ern ein gefährliches Defizit bestand oder es besteht die Gefahr des Übermaßes.

Wenn es um Überwachung geht, sind Menschen nicht objektiv und rational, sondern im höchsten Maße irrational und paranoid unterwegs. Ein wenig spukt bei vielen im Kopf herum: “Ich hab zwar nichts gemacht, aber wer weiß …” Allein schon, weil Deutsche bezüglich der Überwachung auf ganz eigene Erfahrungen zurückblicken können. Machen wir uns nichts vor, die Möglichkeiten der Staatssicherheit sind im Vergleich zu denen im Jahr 2023 ein Kindergeburtstag gewesen. Ausschlaggebend ist nicht, was tatsächlich passiert, sondern was als möglich angenommen wird. Solche Sachen verändern eine Gesellschaft oder anders gesagt, sie sind ein schleichendes Gift.

Hinsichtlich der Faktenlage gebe ich auch zu bedenken, welchen erheblichen Aufwand mittlerweile investigative Journalisten*innen betreiben müssen, um ihnen zugespieltes Material an einflussreichen Politikern*innen, Personen aus der freien Marktwirtschaft, die mit ihnen vernetzt sind und Institutionen, wie BfV, BND, BKA, vorbeizuschmuggeln, damit sie veröffentlicht werden können (z.B. Panama Papers, BND U-Boot Affäre, Cum Ex-Files).

Ohne jegliche Überwachung oder Infiltration krimineller, terroristischer Kreise geht es innerhalb der von uns gewählten Ordnung nicht. Aber zwei Fragen müssen zwingend auf dem Tisch liegen und überdacht werden: Wann wird ein Kipppunkt erreicht, an dem die Nachteile der Überwachung die Vorteile überschatten? Was passiert, wenn die vorhandenen Mittel, Freigaben und Gesetze, denen in die Finger gelangen, die man abwehren wollte? Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eben genau dies eins der Ziele von Terror ist: die Provokation von Reaktionen, die nach und nach die freie Gesellschaft abschaffen und aus Sicht der Terroristen zur Demaskierung zwingen.

Sicherheit und Freiheit liegen auf einer Strecke. Je mehr ich mich gegen alles Erdenkliche absichere und die Risiken minimiere, umso mehr gebe ich von der Freiheit auf. Ein hermetisch abgeriegelter Bunker ist ein sicherer Platz, gleichzeitig ist er aber auch Gefängnis. Wie viele Risiken muss eine freie Gesellschaft aushalten? Wie groß ist das Interesse an ihr oder ist sie einer gesellschaftlichen Mehrheit unheimlich bzw. zu anfällig für Gefahren?

Wobei an der Stelle auch zu betrachten ist, welche Gefahren, welcher Qualität, von wem und für was gesehen werden. Ob zum Beispiel eine Straßenblockade ein zu- oder unzulässiges Mittel des Protestes ist und welche Gefahrenlage durch sie entsteht, ist nicht davon abhängig, wer sie durchführt. Die Gefahr an sich wird nicht durch die Häufigkeit der Blockaden qualifiziert. Jede ist für sich zu betrachten. Jedenfalls, solange sie nicht Teil einer konzertierten Aktion ist und mehrere gleichzeitig stattfinden. Ein Bauernprotest, in dessen Zuge eine Blockade mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen herbeigeführt wird, erzeugt die gleiche Gefahrenlage, wie ein Protest gegen die unzulänglichen Maßnahmen der Regierung bezüglich der Klimakatastrophe. Eine unterschiedliche Bewertung ist unlogisch und dennoch findet sie medial, gesellschaftlich und politisch statt. Es erschließt sich mir nicht, warum die einen Protagonisten „Kriminelle“ sind die anderen nicht.

Bezüglich der Klimaaktivisten wurde angeführt, dass Rettungskräfte nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen könnten. Sollte es an dem tatsächlich sein, haben wir in Deutschland ein eklatantes Sicherheitsproblem. Dies bedeutete, dass jede Baustelle, jeder Stau und auch jedes terroristische Szenario die Rettungs- und Sicherheitskräfte vor unlösbare Aufgaben stellen würde. Gut, dass das nicht der Fall ist. Versierte gut ausgebildete Kraftfahrer finden ihren Weg und relevante Gebäude haben aus solchen Gründen mehrere Zu – und Ausfahrten. Wenn es eine handfeste Gefahr gibt, dann ist es die Reduzierung der Anzahl von Rettungsfahrzeugen und Personal. Insofern ist die Argumentation vorgeschoben und verschleiert, worum es tatsächlich geht. Der Protest ist lästig und ihm soll deshalb der Garaus gemacht werden. Kurzum: Der Protest wird in interessanter Art und Weise kriminalisiert, damit wiederum die Überwachung des Protestes legitim erscheint.

Nochmals: Überwachung an sich ist bis zu einem gewissen Maße, an den richtigen Stellen eins von vielen notwendigen Mitteln der Abwehr von Gefahren, bei denen das Eintreten eines erheblichen Schadens im hohen Maß wahrscheinlich ist oder wenn es um die Aufklärung schwerwiegender oder gemeingefährlicher Taten geht.

Edward Snowden deckte auf, welche Ausmaße die Überwachung in den USA hat. Es wäre wahrlich naiv, US-amerikanische Verhältnisse für Deutschland als unmöglich einzustufen. Ganz im Gegenteil, wenn man berücksichtigt, dass offen gefordert wird, in den USA angewendete Software, Stichwort: Palantir Gotham u.a., in Deutschland zu legitimieren. Die von Palantir gelieferte Software ist keine, die der Überwachung und Erlangung von Daten dient, sondern sie ermöglicht die Analyse und Verknüpfung großer Datenmengen.

Zuerst müssen die Daten vorhanden sein, ansonsten ist die Software nutzlos. Wer sie also fordert, sitzt bereits auf einer ganzen Menge Datensätze und benötigt ein Werkzeug, mit dem sie effizient ausgewertet werden können. Mich macht das nachdenklich. Einige Systemkritiker sehen als eine der größten Gefahren für die freien demokratischen Gesellschaften die fortschreitende Verzahnung der Wirtschaft, hier besonders multinationale Konzerne, mit der Politik. Sie begründen dies mit dem Aufbau der Konzerne, die mit Demokratie gar nichts am Hut haben, sondern rein über Profite, Wachstum, strukturiert sind und eine Hierarchie aufweisen, die nach den vorstehenden Kriterien von oben nach unten wirkt. Deshalb fordern sie von den Regierungen einen Schutz der Bevölkerungen vor den Begehrlichkeiten der Konzerne.

Wenn nun privatwirtschaftlich gesammelte Daten mit aus staatlichen Verwaltungsdaten und mittels polizeilicher bzw. nachrichtendienstlicher Vorgänge generierten, zusammenfinden, übergreifend mit Programmen ausgewertet werden, ist die alte Dystopie endgültig Realität geworden und neue Befürchtungen entstehen.

Ich kann mir gut vorstellen, das ein bestimmtes Konsumverhalten, Seh- und Leseverhalten, bevorzugte Aktivitäten, einige dazu verleiten könnten, eine „Gefährderanalyse“ durchzuführen, die dann wiederum bisher unauffällige Personen in den Fokus rückt. Schulden, mangelnde Kreditwürdigkeit, bei Amazon subversive Literatur bestellt, in der Playlist diverse Protestsongs gelistet, Internet-Recherchen zu Themen wie Ökologie, Klima, Umtriebe von multinationalen Konzernen, Wirtschaftskriminalität, fertig ist der potenzielle politische Gefährder, dem man etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte.

Immerhin existieren bereits Programme, die Bewegungen und Verhalten von Passanten oder Besuchern öffentlicher Plätze, Flug – und Bahnhöfen analysieren und bei bestimmten Parametern Alarm schlagen. Ich finde den Gedanken naheliegend, dies auf das oben dargestellte auszuweiten – wenn es denn der allgemeinen Sicherheit dient, warum nicht? Und wer die richtigen Bücher liest, nicht zu sehr alles hinterfragt und hinnimmt, was offiziell proklamiert wird, sich auf kommerziellen Mainstream beschränkt, hat nichts zu befürchten. So what?

Wie eingangs gesagt: Orwell entwickelte seine Dystopie auf Basis der vorhandenen Bedürfnisse der Mächtigen und einiger Gesellschaftsanteile, ohne dass alle notwendigen Techniken existierten. Darüber sind wir hinaus. Was technisch möglich ist und sein wird, zeichnet sich konkret ab. Stellt sich nur eine Frage: Haben sich die damaligen Bedürfnisse und Begehrlichkeiten verändert? Die Antwort lasse ich offen.

1. Mai und die Sensationsgeilheit der Presse

Lesedauer 3 MinutenDer 1. Mai wurde in Berlin weitestgehend friedlich zelebriert. Sicherlich mag sich die Frage stellen, inwiefern das My Fest in Kreuzberg noch etwas mit dem Hintergrund zu tun hat. In den Wochen davor versuchte sich die AfD erneut an einer Propaganda, die aus alten Tagen stammt. Wobei die offensichtlich immer mehr dem Altersstarrsinn verfallende Frau Steinbach zwar gedanklich mit der Partei assoziiert ist, jedoch noch nicht Mitglied ist. Aber wie üblich twitterte sie ganz im Sinne der AfD, dass der Mai – Feiertag von den Nazis erfunden worden wäre, mit den echten Arbeitern habe dies alles nichts zu tun. Nun, 1929 war es immerhin die KPD, die zur Demonstration im Wedding aufrief, und von der anrückenden preußischen Polizei niedergeschossen wurde. Aber die geistigen Verwirrungen der AfD und Anhängern wie Frau Steinbach wundern mich nicht mehr.

Ich selbst ging nicht zum demonstrieren hin, sondern wollte die Gelegenheit nutzen SLIME noch einmal auf der Bühne zu sehen. Leider waren die Informationen zur Uhrzeit des Auftritts arg undurchsichtig, weshalb ich viel zu früh da war und mir dann doch das gesamte My Fest ansah. Den Görlitzer Park habe ich mir erspart. Ich gebe zu, die Veranstaltung habe ich nicht verstanden.

In Kreuzberg präsentierten sich an den legendären Plätzen der Krawalle das andere Deutschland. Eines, dass den Anhängern der AfD den Blutdruck hochschnellen lässt. Jung, bunt, durchmischt, schräg, schrill, aufgeschlossen und manchmal auch mit einer politischen Botschaft ausgestattet. Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Polnisch und Arabisch war überall zu hören.

Obwohl reichlich Alkohol ausgeschenkt wurde, kam zu keinem Zeitpunkt eine aggressive Stimmung auf. Vollkommen deplatziert muteten Clan Anführer an, die plattfüßig und aufgeplustert über den Heinrichplatz watschelten. Ich bezweifle auch, dass die drei rumänischen Bettlerinnen ansatzweise wussten, wo man sie hingesetzt hatte.

Die an sich geschlossene Rote Harfe mutierte zur Techno Disko und der Elefant hatte die Rollläden unten. Einzig der Trinkteufel hielt die alte Fahne hoch. Da konnte einem schon ein wenig wehmütig ums Herz werden. Die Stimmung an der „Coretex Bühne“ faszinierte mich. Eine Ansammlung von Leuten, denen im Allgemeinen seitens der Bürger alles zugetraut wird, tanzte Pogo. Über Stunden hinweg blieb jeglicher Stress aus. Kleinere Rangeleien wurden untereinander sofort mit Unterstützung alter erfahrener Leute friedlich geregelt. Weit und breit zeigte sich keinerlei Polizei – exakt das funktionierte. An vielen Ecken musste ich feststellen, dass die Fans gemeinsam mit den Musikern gealtert sind.

Selbstverständlich spielte SLIME gegen 22:00 Uhr „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ und die Stimmung kochte im positiven Sinne. Viele in die Jahre gekommenen, oftmals sehr etabliert aussehende, alte Punkrocker sangen aus vollem Hals. Sie hätten auch singen können: „Nehmt das, Ihr rechtes Pack!“ Es ging niemals um diese eine Deutschland, sondern das Deutsche, welches uns die negativen Klischees in der internationalen Welt eingebracht hat.

Am 2. Mai zeigte sich dann dieses Deutschland wieder. Überall steht in der Presse: Wider den Befürchtungen, verlief der 1. Mai ohne Krawalle. Dank des tollen besonnenen Einsatzes der Polizei blieb alles ruhig. In einem Blatt stand: Der Einsatzleiter Wulff, einer der erfahrensten Polizisten Berlins regelte alles. Wer schreibt so etwas? Ja, der „Locke“ Wulff ist ein erfahrener Polizist, einer von sehr vielen. Himmel, braucht Deutschland immer einen Personenkult? Da waren noch deutlich erfahrenere Polizisten auf der Straße unterwegs.

Doch mich persönlich ärgert etwas anderes. Der Tagesspiegel ließ sich zum Beispiel dazu hinreissen, die Teilnehmer der Revolutionären Mai Demo quasi zu verspotten. Ätsch! Ist vorbei mit der Randale! Die Bürger haben sich den Kiez zurückgeholt. Wie lange ist der G20 her? Das war noch nie anders … sie lauern auf ihre Chance. Wenn nicht dieses Mal, dann ein anderes Mal. Muss man sie seitens der Presse auch noch reizen? Warum? Damit die Sensationsgeilheit befriedigt wird? Kann man nicht einfach sagen: Klasse! War friedlich, Dank, an alle Teilnehmer. Danke an Coretex und die Rykers, die ein über Stunden gehendes friedliches Punk – Konzert organisierten. Die vielen kleinen Dinge auf dem Kiez haben den Frieden aufrecht erhalten. Die Polizei hat sich im Wesentlichen aus dem Kiez herausgehalten. Die können es also weder auf dem Heinrichplatz, O – Platz, SO36 nicht gewesen sein. Amüsiert beobachtete ich einen alten abgehangenen grauhaarigen Veteran, der mit seinem Hund, der ihn mit Sicherheit schon gute 15 Jahre begleitet, ohne Leine in der Ohlauer Str. spazierte. Der Typ trug eine Thälmann Mütze, speckige Hosen und Latschen. Sein Alter schätzte ich auf etwas über 60 Jahre. Zwei Ordner wiesen ihn mit energischen Ton darauf hin, dass er den wahrlich alten krummbeinigen ergrauten Schäferhund anleinen müsse.

Er warf ihnen wortlos ein Blick zu, der sie unvermittelt als lächerliche Figuren dastehen ließ. Wirklich? Ist das Euer ernst? Auch Leute wie er, die lässig auf den einen oder anderen Jungen einwirkten, erzeugten auf dem Fest die Ruhe. Am Ende wurden aus zwei Ordnern erfahrene Polizisten. Man muss in diesem Job auch mal Fünfe gerade sein lassen.

Aber die Presse bekommt ausschließlich einen Gedankengang hin. Feindbild aufrecht erhalten und den Leuten unterstellen, dass sie gerne gewollt hätten, aber die Polizei hat es verhindert. Ich unterstelle den Extremisten deutlich mehr Grips. Kreuzberg mit dem anwesenden Publikum war einfach keine gute Gelegenheit. Und das ist dem Fest- und Demoteilnehmern zuzurechnen. Sonst wären sie in die Seitenstraßen ausgewichen und hätten die alte Kleingruppentaktik wieder aufleben lassen. Das deutsche Bürgertum war am 1. Mai mit Sicherheit nicht in Kreuzberg unterwegs.

Der Schwarze Block – der Brandbeschleuniger für einen rechten Flächenbrand!

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Nach der «Krawallnacht», ich hoffe es bleibt bei dieser einen Nacht, kommt die politische Aufarbeitung und die ersten signalisieren bereits, dass sie nichts gelernt haben. Die Polizei hat versagt! Durch die provokative Hamburger Linie kam es erst zur Eskalation. Ich erinnere daran, dass es eine Nacht in Berlin – Kreuzberg gab, in der es fast zur Katastrophe gekommen wäre, weil einige «Ichweißnichtwieichsiebzeichnensoll» eine Tankstelle Skalitzerstr./ Görlitzerstr. anzünden wollten. Es war die Kreuzberger Nacht, in der sich die Berliner Polizei aufgrund einer Deeskalationsstrategie lange herausgehalten hatte.

Die zurückliegende Nacht wird langfristig Konsequenzen nach sich ziehen. Ich höre das Knarzen der Schreibtischschubladen in den Bürozimmern diverser Sicherheitspolitiker und Polizeiverantwortlichen. Die Bomber für den Krieg über den Stammtischen sind frisch aufgetankt und die Rechten lecken sich die Mundwinkel, besser konnte es nicht kommen. Und auch Frau Kanzlerin Merkel bedankt sich bei den Sicherheitskräften, obwohl sie eigentlich den Gewalttätern dankt. Die politische Botschaft der Demonstranten ging unter.

Die Kanzlerin hätte sich auch aufrichtig bei den Gewalttätern für die Ablenkung von den letzten Sitzungen im Bundesrat (658,659. Sitzung) vor dem Eintritt in die Sommerpause bedanken können. In der letzten bestanden immerhin 112 Vorlagen, 63! Gesetzesvorlagen erhielten “grünes Licht” und 28 Verordnungen aus dem Bundeskabinett wurden genehmigt. Dazu gehörten die Rechtmäßigkeit von Trojanern, Hasskommentar – Bekämpfung im Netz, GPS – Fussfesseln, elektronischer Personalausweis und Reform des Länderfinanzierungsausgleiches. Dies aber nur am Rande.


 

Die Auseinandersetzungen mit diesen Gewalttätern hat eine lange Geschichte, die in den frühen Achtzigerjahren begann. Wir haben in Berlin mehrfach die 1. Mai Krawalle erlebt, wir hatten die Mainzer Straße, die Hannover Chaostage, die Auseinandersetzungen im Schanzenviertel, Startbahn – West, Brokdorf und Gorleben. Da stellt sich auch die Frage, woher kommen sie, wer sind sie und wer unterstützt sie.

Den wenigsten geht es um Politik. Eher finden sie innerhalb des Kreises «Schwarzer Block» eine Aufnahmegruppe, insofern sie denn tatsächlich dem Block zugehören und nicht Heranwachsende aus anderen Milieus sind, die sich schlicht an der Randale beteiligen wollen. Die Beteiligung an der Randale ist offensichtlich das Ziel, nicht die politische Botschaft. Solche Typen müssen aber nicht erst provoziert werden, sondern die haben etwas vor und sie lauern nur auf eine günstige Gelegenheit.

Begleitet werden sie von Revolutionsromantikern, die immer noch den Traum träumen, dass es sich um Menschen handelt, die politisch motiviert aus einer Frustration heraus handeln. Was soll das? Saubere Begriffe sind gefragt! Politisch motivierte Gewalttäter ist ein Euphemismus. Zusammenrottung eines bewaffneten Haufen!, trifft es eher. Fraglich ist, innerhalb welchen Milieus dieser Bewaffnete Haufen entstanden ist. Jeder Demonstrant, der im Angesicht einer Machtdemonstration des Staats durch die Polizei mal die Nerven verloren hat und eine Bierbüchse geworfen hat oder gar in die Kette gerannt ist, wird durch diese Fehlbezeichnungen beleidigt. Vieles ist denkbar. Abhängen von “rechten Plakaten”, verzieren von Machtsymbolen, Sitzblockaden, Sponti – Aktionen in den öffentlichen Verkehrsmitteln, stören von unliebsamen politischen Veranstaltungen, Gegendemonstrationen, selbst die Besetzung besonderer Objekte, lässt sich politisch noch erklären, auch wenn das StGB etwas dagegen hat.

Die Konservativen zeigen mit dem Finger auf die LINKEN und die GRÜNEN: Seht Ihr! Das ist genau das, was wir immer sagen, der Linksterrorismus bedroht die Gesellschaft. Dies ist nachvollziehbar und es wird ihnen einfach gemacht. Immerhin schaffen es SPD, LINKE und GRÜNE jahrzehntelang nicht, sich sauber von dieser Szene zu distanzieren und klare Botschaften zu vermitteln.

Ihr habt nichts mit LINKS und auch nichts mit POLITIK zu tun … ihr stellt simple Straftäter da! Die Botschaft: Die Polizei, hat die Ausschreitungen provoziert, ist definitiv das falsche Signal!

Im Umkehrzuge könnte ich auch die Abschaffung von Banken fordern, weil sie Bankräuber zu Straftaten motivieren. Das ist vollkommener Blödsinn. Jeder der mit offenen Augen auf einer Demo unterwegs ist, sieht wie der «Schwarze Block» agiert. Sie warten nur auf die passende Gelegenheit und benutzen alle anderen Teilnehmer als menschliches Schutzschild.

Noch ein anderes Kriterium fehlt. Zerstöre ich eine Filiale der Deutschen Bank und klaue nichts, hinterlasse sogar noch eine Botschaft, ist das eine Straftat aus einer politischen Motivation heraus. Ob zulässig oder nicht – ist je nach Standpunkt zu betrachten. Bringe ich sinnlos unschuldige Menschen um ihr Eigentum und in Lebensgefahr – bin ich einfach nur ein dämliches A … Aber auch im ersten Fall darf ich mich nicht wundern, wenn der Staat, den ich bekämpfen will, reagiert. Im zweiten Fall könnt ihr genauso gut Allah Akbar brüllen, der Effekt ist der gleiche.

Mit welcher Einstellung und seltsamen gesellschaftlichen Verständnis junge Sympathisanten unterwegs sind, lässt sich auch an den Reaktionen in der Nacht erkennen. «Die Bullen haben eine Schusswaffenfreigabe bekommen!»; «Die Bullen laufen mit gezogenen Waffen auf die Schanze zu!»

Interessant ist auch das plötzliche friedliche Heben der Hände schwarz vermummter Aktivisten. Auch hierzu gibt es eine alte Berliner Geschichte. Als in Berlin noch die Alliierten anwesend waren, verirrte sich in einer Straßenschlacht eine MP Streife nach Kreuzberg, die Soldaten bekamen es mit der Angst zu tun und legten das Maschinengewehr auf dem Jeep frei. Schlagartig war kurz Ruhe! Ich erinnere mich auch an die Aussage eines Bundeswehroffiziers, der die Geschehnisse in der Mainzer Strasse mit den Worten: “Machen wir auch, nennt sich bei uns aber Häuserkampf und mehr Munition wird verschossen!”, kommentierte. Die Hamburger Nacht, erscheint mir im Verhältnis zu den damaligen Ereignissen als relativ harmlos.

Offenbar haben sie in den Stunden zuvor gar nicht kapiert, dass sie lebensgefährliche Situationen herbeigeführt haben, in denen jederzeit der Notwehr-/Nothilfeschuss gerechtfertigt gewesen wäre. Sie fühlen sich scheinbar in einer Art Sportarena, in der sie mit allen Sachen agieren dürfen und die “Bullen” wie in einem PC – Spiel als lebende Zielscheiben durch die Gegend rennen. Das nennt man “Realitätsverlust”. Es fehlt jegliche Einsicht in die Vorgänge.

Schlimmer noch, zeitweilig stand man erstmalig in der Einsatzsituation, dass die temporäre Unterstützung der Bundeswehr in Erwägung zu ziehen gewesen wäre. Randalierende bewaffnete Aufrührer, die mittels der regulären Polizeieinheiten mehrerer Bundesländer nicht mehr zu kontrollieren sind, rufen das Grundgesetz mit Sonderregelungen auf den Plan. Da ist der Einsatz des SEK unter voller Bewaffnung eines der letzten Polizeimittel.

Auch hier stellen sich einige Fragen. Was ist in unserer Gesellschaft passiert, das Heranwachsende keinen verständigen Überblick bezüglich der herbeigeführten Situation entwickeln? In den Köpfen findet keine Verknüpfung zwischen Handlung und Folge statt. Das Herunterwerfen einer Gehwegplatte aus großer Höhe ist regelmäßig dazu geeignet, Menschen zu töten. Das Abschießen einer Kugellagerkugel mittels einer Präzisionsschleuder kommt dem Schuss aus einer Pistole gleich. Molotow – Cocktails wurden von paramilitärischen Einheiten erfunden. Brennende Fahrzeuge stellen eine erhebliche Gefahr für so ziemlich alles da, ob das Feuer nun überspringt oder unkontrollierte Explosionen – z.B. umherfliegende Reifenteile – Menschenleben bedrohen. Bisweilen hat man das Gefühl, das der eine oder andere später bei Gericht sitzt und wie ein kleines Kind sich verteidigt: «Das wollte ich aber nicht!»

Es mag noch bei viel Verständnis nachvollziehbar sein, dass aus lauter Frust gegenüber der Staatsgewalt ein junger hitzköpfiger Demonstrant einen Stein aufgreift und diesen ungezielt in Richtung einer Polizeigruppe wirft, aber davon ist schon lange nicht mehr die Rede. Gerade die LINKEN, GRÜNE und SPD müssen sich die Frage stellen, was ist da gesellschaftlich los? Sind es die Auswüchse der fortschreitenden Verarmung und Verrohung? Ist da etwas in der Bildungspolitik schief gelaufen?

Ohne wissenschaftlichen Hintergrund habe ich das Gefühl, dass wir eine immer mehr verrohende Randgesellschaft haben. Es ist dabei vollkommen egal, ob es sich um Hooligans, marodierende Jugendbanden oder reisende randalierende Gewalttäter handelt, sie gehören alle in einen Topf. Mit Verlaub, das ist unsere Zukunft, die da randaliert. Bis zu einem gewissen Grad ist das Verhalten altersadäquat. Viele Handlungen einzeln betrachtet, sind auch bei heranwachsenden Schlägern, Räubern und den üblichen Kriminellen zu beobachten, nicht umsonst gelten erst Einundzwanzigjährige als juristisch volljährig.

Aber wie bewerte ich die Aussage ausgewachsener Politiker, die diesen Straftätern grundsätzliche Friedfertigkeit unterstellen, die nur aufgrund der Polizei sich von diesem Weg entfernt haben. Ich erinnere mich daran, welch Kribbeln wir als Jugendliche hatten, wenn wir Wasserbomben aus der sechsten Etage herunterwarfen. Und ich erinnere mich auch an die Ansage, die wir bekommen haben. Was geht im Kopf eines Gehwegplattenwerfers vor? Ich erinnere mich auch daran, wenn in der Hochhaussiedlung zu Sylvester mit Pyrotechnik alles zerlegt wurde. Da gab es noch eine Erklärung! Es war eine heruntergekommene Siedlung am Rande der Gesellschaft – quasi ein Ghetto.

Respekt vor den jungen engagierten Demonstranten in Hamburg, bei denen ist alles richtig gelaufen. Schande auf die Politiker, die nicht dazu in der Lage sind den Block passend zu bewerten. Schande den konservativen Politikern, die den Block mit der linken Szene gleich setzen und ebenso Schande auf die Politiker der anderen politischen Seite, die diese Straftäter dafür benutzen wollen, die Polizei zu diskreditieren. Fakt ist: Ihr alle gemeinsam habt einen gesellschaftlichen Abstieg zugelassen, der diese Gewalt bedingt.

Psychisch normal entwickelte Menschen haben innere Sperren, die solche Straftaten verhindern. Wer die genannten Handlungen, ohne Teilnehmer an Kriegshandlungen zu sein, vollzieht, ist ein kranker Mensch, der dringend eine Therapie benötigt. Und jeder Mensch, der beschlossen hat politische Verantwortung zu übernehmen, muss sich Gedanken machen, welche Faktoren in der Gesellschaft diese Krankheiten auslösen bzw. begünstigen. Den wenigen politisch denkenden Autonomen sei gesagt: Wenn Ihr einen Volksaufstand einleiten wollt, solltet ihr erst einmal das Volk auf Eure Seite ziehen. Ich empfehle das Studium der Literatur zum Jahr 1967, in dem sich die Pariser Arbeiter mit einem Generalstreik solidarisch zu den demonstrierenden Studenten zeigten.


 

Über den Ticker der Nachrichten läuft ganz frisch, dass die AfD feststellt, Deutschland wird von LINKS und nicht von RECHTS bedroht. Na BRAVO! Weimar ick hör Dir trapsen! NEIN! Die Bedrohung von rechtsaußen her, ist mittels Brandbeschleuniger der LINKEN Handlunsgunfähigkeit in Sachen Distanzierung von Straftätern, erheblich größer geworden. Die Mitte und die LINKEN müssen ab jetzt höllisch aufpassen (War ein prima Motto: Welcome to Hell), dass ihr – Rechte -, ab jetzt nicht die Menschenfänger werdet. Denn Eure Antworten auf einen gesellschaftlichen Zerfall hatten wir bereits – nahm kein gutes Ende!