Mein Lieblingsbuch

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Beim Aktualisieren meiner Internetpräsenzen stand in den Formularen, in denen sich der Betreiber seinem Leser vorstellen soll, wieder diese Frage. Was ist Dein Lieblingsbuch? Uff! Ja, was ist denn eigentlich mein Lieblingsbuch. Ist damit mein aktuelles Lieblingsbuch gemeint oder vielleicht dieses eine – scheinbar existierende – Buch, welches für immer meine persönliche Empfehlung sein wird?
Ich habe in meinem bisherigen Leben, ich schreibe dies ohne jegliche Arroganz, einiges an Literatur konsumiert. Üblich scheint dieses bei Männern nicht zu sein, jedenfalls nicht bei Typen wie mir. Sonst kann ich mir die erstaunte Äußerung einer Frau beim Kennenlernen nicht erklären, die genau dieses nicht glauben wollte. „Du liest Bücher?“ Ich räume ein, Buch ist nicht Buch. „Jetzt helfe ich mir selbst – Mein Golf GTI“ oder „Kommentar zum StGB Fassung 1992“ ist damit sicherlich nicht gemeint. Ich klammere auch jegliche Fachliteratur aus, „der Mob – Dagobert Lindlau“, „der Minus Mann – Heinz Sobota“, „Deckname Tato – Fausto Cattaneo“ oder „der Schneekönig – Ronald Miehling“, obwohl alle genannten Bücher lesenswert sind.
Lieblingsbuch? Vielleicht sollte ich auch noch die gesamte Kultliteratur meiner Generation heraus lassen. „Der Herr der Ringe – J.R.R. Tolkien“, „Per Anhalter durch die Galaxis – Douglas Adams“, „Illuminatus  (Nein! Nicht Illuminati – von Dan Brown, sondern die großartige Verschwörungstheoretikerverarschung von Robert Anton Wilson und Robert Shea mit den feuchten Onaniervorlagen für Pubertierende), „Nebel von Avalon – Marion Zimmer Bradley (damit auch die pubertierenden Mädels etwas haben, ich habe es nur gelesen um sie zu beeindrucken), „Die Geschichte der O – Pauline Réage“ oder die weniger bekannten Bücher über den Zyklus der Gegenerde GOR des verklemmten amerikanischen Philosophieprofessors John Norman.
Selbst an dieser Stelle kann ich mir noch nicht beantworten, was denn nun genau gemeint ist. Aktuell fasziniert mich eigentlich kein Buch so richtig, welches ich als lang anhaltende Literatur bezeichnen würde. Dies führt mich zur Frage, was verstehe ich denn unter prägender Literatur? Inhaltlich? Stilistisch? Gesellschaftliche Wirkung? Stilistisch hat mit mich der Ulysses von James Joyce sicherlich fasziniert, aber ist damit nicht zu meinem Lieblingsbuch avanciert. „Wo warst Du Adam?“ von Böll, hat mich ebenso durch die Verschachtelung gefesselt. Remarque habe ich einfach zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben gelesen, genauso wie mich zum richtigen Zeitpunkt Graham Green mit „Das Ende einer Affäre“ in den Bann zog und mich das Thema Glauben und Liebe immer wieder im Leben einholt.
Charles Bukowski, der alte dreckige Säufer, hat mich in den Jahren immer begleitet. Seine Erkenntnisse finde ich immer noch großartig. Jack Kerouac war in meiner Jugend durchaus passabel, aber „On the Road“ hat nun einmal ein Mitte dreißigjähriger homosexueller Mann unter dem Motto „Sex, Drugs ’n’ Jazz“ geschrieben. Da war mir schon Bukowski lieber. Henry Miller, einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller. Ein Anarchist im System, der das gesamte Telegrafenamt in seiner ganzen Absurdität zerstört, mir zeigt wie parallel Welten sein können, wenn ich dabei an Deutsche Behörden denke. Ein Mann, der die Bigotterie einer Gesellschaft an den Pranger stellt. Sexus, Nexus, Plexus oder im Wendekreis des Steinbocks, alles großartige Bücher. Wenn es einen Autor gibt, der mich geprägt hat, dann er. Und wieder die Frage: Lieblingsbuch?
Jedes Buch, dass mich ein wenig geändert hat, einen Gedanken in mein Gehirn gepflanzt hat, hat die Berechtigung dieser Bezeichnung. Manche Gedanken oder Ideen, schlummern über Jahre in einem dunklen Winkel, um dann plötzlich blitzartig ins gegenwärtige Bewusstsein zu springen. Eine neue Stadt, eine Bar, eine neue Frau, eine enttäuschte Liebe, ein Kater, all diese Dinge können Bücher wieder hervorholen. Der Bierschiss eines Bukowski nach durchzechter Nacht, eine unbekannte Frau mit der man spontan gevögelt hat und sich an Hank – Henry – Miller erinnert, als er als Bote eine wildfremde Frau in ihrem Negligee wach gevögelt hat. Wenn man in Paris in der Metro steht, eine aufreizende Frau betrachtet und gleichzeitig die Station Place Clichy passiert. Dann hat sich ein Buch eingebrannt.

Oder aber auch Bücher, die einem das ganze Leben lang vor Fragen stellen. Im Siddhartha von Hesse gibt es diese Stelle, in der der Fährmann Siddhartha dazu auffordert dem Fluss zuzuhören, mehr noch, mit dem Fluss einen Dialog zu beginnen. Wie oft habe ich in meinem Leben an einem Fluss gesessen und über diese Stelle nachgedacht? Immer wieder war ich erstaunt, zu welchen neuen Interpretationen ich gekommen bin. Dann der Abschnitt, in dem sich Siddhartha einer Hure hingibt und die sexuellen Freuden erfährt, er sich am Ende aber doch von den Kindermenschen entfernt.
Als meine Kinder erwachsen wurden, dachte ich häufig an die Episode, in der der Sohn Siddhartha verlässt. Insbesondere an den Augenblick, wo der Fährmann seinen Freund darauf hinweist, dass ein zerbrochenes Paddel und ein Leck im Boot ein deutlicher Hinweis darauf sind, dass er seinem Sohn nicht folgen soll. Der Schmerz, den der Vater verspürt, als er erkennt, dass sein Sohn nichts anderes unternimmt, als er es auch beim Verlassen des Palastes tat.
Doch auch jenseits eines derartigen philosophischen Werks, sind die Bücher der Jugend nicht zu vergessen. Karl May! Ehre, Aufrichtigkeit, Werte, Männlichkeit, Indianer, prägende Leseerlebnisse unter der Decke mit einer Taschenlampe. Oder die Schilderung des Missbrauchs dieser Werte bei einem Remarque. Hemingways Erzählungen, die Ambivalenz zwischen zerstörerischen Heldentum und dem Glauben an eine Sache.
hicks
Ich kann die Frage nach einem Lieblingsbuch nicht beantworten. Wobei? Vielleicht doch! Zwei Bücher kann ich benennen: „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat – Werner Holzwarth“ und „Das Getüm – Dietlind Neven-du Mont“.
Die Geschichte vom Maulwurf las ich meinen Kindern vor und ohne das Getüm wollte ich nicht ins Bett gehen. Alleine der Gedanke an diese beiden Bücher erzeugt in mir ein warmes Gefühl. Mit dem Getüm fing vieles an, selbst meine ersten Cartoons waren davon geprägt. Sollte mir nochmals jemand die Frage nach meinem Lieblingsbuch stellen, kann ich sie jetzt beantworten.