Einzelfall oder auch Weisser Schimmel

horse, animal, mammal-58375.jpg Lesedauer 4 Minuten

Jan Böhmermann hat wieder zugeschlagen. Und vorab möchte ich feststellen, völlig richtig, notwendig und wichtig. Worum ging es? Sieben Polizisten einer Frankfurter Wache gründeten eine WhatsApp-Gruppe unten schickten sich gegenseitig auf dem Messengerdienst Texte, Bilder, Memes, mit rechtsradikalen und sexuellen Botschaften zu. Teilweise sind diese, wenn sie öffentlich präsentiert werden, strafbar. Wer sie sich antun möchte, kann sie unter dem Link itiotentreff.chat nachlesen. Allerdings warne ich vor: Geschmacklos ist noch untertrieben. Das Thema wurde auf zwei Sendetermine der Satiresendung ZDF Magazin Royale aufgeteilt. Im ersten geht es “nur” um den Chat, im zweiten wird eine Querverbindung zur NSU, konkret zur NSU 2.1 hergestellt. Obwohl hierzu bereits eine Verurteilung stattfand, steht der Verdacht im Raum, dass irgendwie eine Verbindung zwischen den Beamten/innen der Polizeiwache und wenigstens dem ersten Bedrohungsschreiben besteht. Dazu will ich mich in keiner Art und Weise äußern. Hierzu sind Ermittlungen der Staatsanwaltschaft anhängig und ich vertraue darauf, dass die Kriminalpolizei ihren Job macht.

Und dennoch möchte ich ein ABER aussprechen. Wie viele andere stellen Böhmermann und Redaktion mit den Begriffen Einzelfall und Einzeltäter süffisant in den Raum, dass diese Vorgänge lediglich die Spitze des Eisbergs seien. Mag sein … möglicherweise auch nicht. So einfach ist das alles nicht. Wie auch immer, mit den beiden genannten unsinnigen Begriffen, kommt man dabei nicht weiter.

Im Deutschen gibt es Plural und Singular. Der Täter, die Täterin (sing.), die Täter (plu.) – der Fall (sing.), die Fälle (plu.). Bei Einzelfall und Einzeltäter reitet der “Weiße Schimmel” durch die Gegend. Wer diese Begriffe verwendet, tut es rhetorisch und will zum Ausdruck bringen, dass es eben nicht um eine alleine handelnde Person geht. Nicht einmal eine konkrete Gruppe, von der ab drei Personen auszugehen ist, wird angesprochen, sondern gemeint ist eine unbegrenzte Anzahl von Personen, die unter einem gemeinsamen Merkmal zusammengefasst werden. Hier konkret der Berufsstand “Polizei”.

Angefangen haben damit die Rechtspopulisten, in dem sie sie bei ausländischen Tätern und Täterinnen anwandten, um zu suggerieren, dass sich gesetzeskonform verhaltene Flüchtlinge, Einwanderer, Asylanten die Ausnahme sind, während die Kriminellen die Regel darstellen. Bei Böhmermann läuft es darauf hinaus, dass der polizeiliche Standard rechts steht, es aber Ausnahmen gibt, die sich anders positionieren. Das Prinzip ist gleich und meiner Meinung nach gehen damit diejenigen, welche sich gegen den Rechtsruck in Deutschland stellen wollen, den Rhetorikern der anderen Seite auf den Leim bzw. arbeiten an den gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen mit, die seitens der Rechten genutzt werden.

Mir drängt sich dabei stets ein Vergleich mit einem Datenverarbeitungsprogramm auf. Die verwaltete, digital erfasste Gesellschaft, wird je nach Interesse mit wenigen Suchkriterien abgefragt und die Ergebnisse in Gruppen zusammengefasst. Das Individuum und seine Betrachtung, ist irrelevant. Und genau da wollen die Strippenzieher von Rechtsaußen hin. Eine Bevölkerung, in der in den Köpfen die Gruppe das Denken bestimmt und die differenzierte Herangehensweise verkümmert.: die Polizei, die da oben, die Asylanten, die Flüchtlinge, die Ausländer, die Muslime, die Homosexuellen, usw.

Im konkreten Fall sind es zunächst einmal sieben Frauen und Männer. Sollten sie tatsächlich und nachweisbar Straftaten begangen haben, sind es sieben Straftäter/innen, die mindestens in einen Ermittlungsvorgang (Chatgruppe) involviert sind. Die Drohbriefe sind ein weiterer Ermittlungsvorgang bzw. Sachverhalt, zu dem der/die Urheber/in/innen zu ermitteln sind. Deshalb heißt es in einem “guten” Ermittlungsbericht:

Zum beschriebenen Sachverhalt wurden zu nachfolgenden Personen Ermittlungserkenntnisse erlangt, die einen dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Verwirklichung des Tatbestands i.S. xy StGB ergeben.

Ermittelt wird zunächst nicht gegen die Personen, sondern das Geschehen wird aufgeklärt, strafrechtlich eingeordnet und hierzu der Beitrag der jeweils handelnden Beteiligten ermittelt.

Gesellschaftlich ist die Funktion, hier Polizei, natürlich nicht irrelevant. Ob Frauen und Männer mit diesen charakterlichen Voraussetzungen und Persönlichkeitsstrukturen geeignet sind, ihre Aufgaben zu erfüllen, erscheint mehr als fraglich. Ebenso darf hinterfragt werden, wie es sein kann, dass solche Personen nicht längst im Focus von Vorgesetzten/innen standen und diese es versäumten geeignet zu intervenierten. Oder konnten sie vielleicht gar nicht? Was mache ich mit Mitarbeitern/innen, bei denen ich eine verfassungsfeindliche Gesinnung erkenne? Gesinnung ist nicht gleich zwingend eine vorzuhaltende Handlung. Und dass nicht alle auf der Wache so unterwegs sind, ergibt sich aus den Texten selbst, da die Mitglieder immer mal wieder auf Kollegen/innen hinweisen, vor denen man sich in “Acht” nehmen müsse.

Beim vorliegenden Chat berührte mich noch etwas ganz anderes unangenehm. Nahezu alles, was da auftaucht, wurde nicht von den zur Rede stehenden Personen erstellt. Es ist eine Ansammlung von Widerlichkeiten, die im Internet kursieren. Etwas ganz anderes wären Bilder oder Texte, die von ihnen selbst erstellt wurden – z.B. im Zusammenhang mit Mobbing. Nein, sie sind anfällig für diese Machwerke und sie verfügen über keine inneren Grenzen, die sie Abstoß empfinden ließen. Einiges erscheint mir pubertär. “Ui, Ui, das ist total verboten, also teile ich es mal.” Das entspricht der Haltung von 13-Jährigen, die Genitalien an die Toilettenwand malen. Auch hier differenziere ich. Wer beispielsweise den Hitlergruß zeigt, einer scheint es getan zu haben, macht es entweder aus purer Überzeugung, oder aus eben dieser genannten pubertären Persönlichkeit heraus.

Diese Haltung ist in unserer Gesellschaft immer häufiger anzutreffen. “Wenn mir die GRÜNEN dieses oder jenes untersagen wollen, drehe ich die Heizung erst recht auf, rase mit 250 km/h über die Bahn oder packe mir 10 Kilogramm Fleisch auf den Grill.” Ähnlich bewerte ich all die debilen Aufkleber auf Fahrzeugen.

Will ich mich mit diesen Prozessen, Phänomenen, auseinandersetzen, benötige ich andere Begriffe, Analysen, Betrachtungen, als die süffisanten Anmerkungen “Einzelfall”, “Einzeltäter”, welche wie ausgeführt geschickt seitens der “Rechten” in den Diskurs eingebracht wurden. Welche innergesellschaftlichen Prozesse spiegeln sich da in dieser Chatgruppe? Die Drohbriefe sind nochmals etwas ganz anderes. Die/der Verfasser/in sind klar und deutlich strafrechtlich relevant und rechtsradikal unterwegs. Da wurde nichts übernommen, sondern selbst formuliert und vorsätzlich, mit dem Ziel Ängste zu erzeugen, abgesandt.

 

Ich spreche mich selbst nicht frei von der skizzierten pubertierenden Haltung. Auch ich hab das eine oder andere Mal provoziert, bisweilen gedankenlos. Nicht auf der politischen Ebene, sondern mit sexuellen Inhalten (Kalender) oder spöttischen Allerlei bezüglich des immer noch schwelenden Ossi-Wessi- Konflikts. Persönlich halte ich wenig von Null – Toleranz – Programmen. Besser, ein Konflikt ist offensichtlich, als dass er im Untergrund vor sich hin schwelt. Doch es gibt Grenzen, die sich aus dem “natürlichen” Bauchgefühl ergeben, welches jede/r Polizist/in empfinden können sollte.
Dies ist auch bei der politischen, verfassungsgemäßen Haltung relevant. Empathie, Toleranz, eine gesunde stabile Persönlichkeit, sind zuverlässige Abwehrmechanismen gegen faschistoide Haltungen. Ja, der Polizeiberuf bringt vieles mit sich, was Menschen abgleiten lassen kann und wenn dann noch Persönlichkeitsstörungen hinzukommen, wird es gefährlich. Aus diesem Grund sehe ich nur eine einzige Möglichkeit der Prävention: die psychologische Supervision. So wie eine turnusmäßige Untersuchung der Sehkraft, des Gehörs, muss in regelmäßigen Abständen das Oberstübchen betrachtet werden und bei signifikanten Feststellungen, muss es Konsequenzen geben. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist es zu spät.