17 Mai 2022

Mein Kumpel Sidi

Lesedauer 6 Minuten

Ich trage eine Kette mit einer Buddha-Figur als Anhänger. Deshalb werde ich immer mal wieder gefragt, ob ich Buddhist wäre. Ganz einfach ist die Antwort darauf nicht. Wäre ich einer, müsste ich nach den Regeln leben und davon bin ich weit entfernt. Da es im Buddhismus nicht so etwas wie eine Taufe gibt, damit man kein Heide ist, sondern sich letztlich alles über die Lehre ergibt, ist man meiner Auffassung nach, streng genommen, kein Buddhist, wenn man sich nicht daran hält. Ich weiß, dass das in keinerlei Hinsicht eine offizielle Sichtweise ist. Aber um meine Haltung ein wenig zu beschreiben, schildere ich mal, wie ich mich dem Buddhismus genähert habe.

Bei historischen Persönlichkeiten stelle ich mir stets die Zeit vor, in der sie lebten. Unter welchen Umständen verbrachten sie ihren Tag? Wie haben sie gewohnt, gegessen, getrunken, geschlafen? In was für Häusern lebten sie? Gab es Toiletten? Wie lange benötigten sie, wenn sie von einem Ort zum nächsten mussten? Außerdem sind mir die sozialen Zustände, das Gesellschaftswesen und noch einiges mehr wichtig. Gelernt habe ich dies von meinem Kunstlehrer. Wenn wir ein Bild analysierten, beschäftigten wir uns auch mit dem Maler und seinen Lebensumständen. Hat man vor Augen, dass z.B. ein Rembrandt stetig mit seinen Finanzen jonglierte, zeitweilig seine Kinder als Witwer durchbringen musste und deshalb neben den Sachen, die er wirklich malen wollte, auch zu Auftragsarbeiten und zur Ausbildung mittelmäßig talentierter Sprösslinge reicher Familien gezwungen war, erschließt sich, warum einige Gemälde nicht der Qualität entsprechen, die man von ihm kennt. Oder wie muss sich ein Michelangelo gefühlt haben, als er über vier Jahre hinweg, hockend und über Kopf malend, im Schein einer Öllampe die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle erstellte? In der Moderne ist es faszinierend, wie sich zum Beispiel ein Picasso durchs Leben schlug. Was muss das für eine Truppe gewesen sein? Jacob, Modigliani, Apollinaire, Picasso, alles junge Künstler, in einer Art WG, die im Winter zum Heizen Bilder von Picasso verfeuerten.

Ich sehe keinen Grund, warum ich mich in dieser Art nicht auch Philosophen, Religionsstiftern, nähern sollte. Bereits als ich das erste Mal mit dem Buddhismus in Berührung kam, verwarf ich für mich die Bezeichnung Buddha und betrachtete den Mann Gautama Siddhartha, welchem ich eines Tages den Kurznamen Sidi gab. Überträgt man seine Lebensgeschichte auf Heute, ergibt sich folgendes Bild. Er wuchs als Sohn einer vermögenden Fürstenfamilie auf. Aber ein indischer Fürst dieser Zeit lebte nicht in dem Prunk, den sich Mitteleuropäer wegen ihrer eigenen Vergangenheit vorstellen. Insofern dürften all die Geschichten, den nach Sidi vollkommen von der restlichen Welt abgeschottet im Palast aufwuchs, Legenden sein. Er wurde verwöhnt und musste sich nicht um normale alltägliche Arbeiten kümmern. Als Hindu und Angehöriger der Kshatriya-Kaste war es seine vorbestimmte Aufgabe für das Wohl der Gemeinschaft zu sorgen, politische Entscheidungen zu treffen und sich um die Armen zu kümmern.

Ich denke, die psychologischen Grundbedingungen beim Heranwachsen haben sich über die Jahrtausende nicht verändert. Damals war es üblich, dass sich die jungen Männer einen oder mehrere Weise suchten, bei denen sie eine Art Lehrzeit verbrachten. Sidi wird dies auch getan haben und setzte sich dabei mit seiner Herkunft auseinander. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Vater sonderlich begeistert war, als sich sein Sohn den Brahmanen anschloss. Mehr oder weniger mittellos auf der Suche nach Wissen in der Gegend herumzuziehen, klingt nicht danach, was sich ein Fürst von seinem Thronfolger erwartet. Mich amüsiert dabei die Vorstellung, wie er angeblich monatelang unter einem Baum meditierte und kaum Nahrung zu sich nahm. Andere gesellten sich zu ihm und lebten ebenfalls in Askese. Dann stand er plötzlich auf. “Sorry Leute, ich habe mich geirrt! Extreme sind nicht gut und bringen nichts. Ich gehe dann mal ordentlich essen, wasche mich und schau dann mal, wie es weiter geht.” Als Asket, der sich seinetwegen monatelang quälte, wäre ich ganz schön sauer gewesen.
Trotzdem brachte er es irgendwie fertig, eine Gruppe Zuhörer um sich zu scharen, denen er von seinen Ideen, Erkenntnissen und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen erzählte. Guru, Lehrer, Verführer, Menschenfänger, Anführer, Weiser, ich bin mir nicht sicher, was die richtige Bezeichnung ist. Ich denke, dass das stark vom Standpunkt des Betrachters abhängt. Heute würden sie ihn als gefährlichen Anführer einer Sekte bezeichnen. Eine Sekte innerhalb des Hinduismus, die zum Konsumverzicht, Bescheidenheit, Besinnung auf das Wesentliche, der Aufgabe von Bindungen jeglicher Art, fordert. Vornweg ein Obdachloser, der auf Kosten seiner Anhänger lebt. Der Umstand, dass er ursprünglich ein Hindu war, ist wichtig. Wenn er Gehör finden und sich nicht in Konflikte verstricken wollte, kam er an Zugeständnissen nicht vorbei. Daraus erklären sich einige Widersprüche, wie zum Beispiel die Diskriminierung der Frauen in einigen Ausrichtungen des Buddhismus und der Status der Mönche. Bhikkhuni, im übertragenen Sinne buddhistische Nonnen, müssen sich im südlichen Theravada-Buddhismus auch jüngeren Mönchen unterordnen, während sie in Taiwan, Korea und Vietnam eine große Gruppe stellen und als ebenso lange existent gesehen werden, wie die Mönche.

Soweit ich das mit meinem Wissen überblicke, hat vieles im praktizierten Buddhismus nichts mit den Worten oder Idee Sidis zu tun. Zum Beispiel wurde der erste Dalai Lama von einem mongolischen Khan eingesetzt, weil der eine politische Struktur in Tibet aufbauen wollte. Obwohl die Annexion Tibets durch China nicht in Ordnung ist, kann nicht ausgeblendet werden, dass sich zuvor der Adel, gestellt von den Lamas, nicht gerade im Sinne des Buddhismus aufführte. Der Dalai Lama ist auch nicht, wie es viele in Europa glauben, der oberste Buddhist, sondern spiritueller und politischer Führer einer Untergruppe, die nicht nicht einmal wirklich groß ist.
Für mich bedeutet dies in der Konsequenz, dass es um den “Roten Faden”, die innere Logik in seinen Worten bzw. seiner Anschauung geht. Mit der hat er viele beeindruckt. Nietzsche und Schopenhauer wandten sich dem zu, Hesse schrieb Siddhartha – Eine indische Dichtung, Freud, Jung und Fromm, nahmen seine Denkrichtung auf. Dennoch sieht unsere westlich industrialisierte Welt völlig anders aus.
Aber auch in buddhistischen Ländern vermisst man die Auswirkungen seiner Lehre. Überall wo ich bisher war, buddhistische Tempel oder Klöster besuchte, setzte ich mich eine Weile hin und hielt ein Zwiegespräch mit meinem imaginären Kumpel Sidi. Mal haben sie ihn zu einer Art Erlöser gemacht, einem, der bereits einmal aus dem “Nichts” zurückkehrte und die wahre Lehre verkündete, und von dem man erhofft, dass er es nochmals tut, an anderen Stellen (z.B. Ulan Bator) ist er zu einem Schutzheiligen geworden, der über die Stadt wachen soll. Mit seiner Lehre, in der jeder Bestandteil des Ganzen ist und damit jeder Teil dessen ist, was als göttlich bezeichnet wird, hat dies wenig zu tun. In Thailand wundert sich der Besucher über einen buddhistischen König, der völlig durchgeknallt ist und dekadent in Saus und Braus lebt. Wer das laut ausspricht, wandert auf dem direkten Weg im Gefängnis. Wenn es Mönche, Frauen und Männer, gibt, die den Buddhismus leben, muss man in die abgelegenen ländlichen Gegenden gehen. In Myanmar kann es selbst dort schwierig werden. Der hetzende Mönch Ashin Wirathu ist eine bizarre Erscheinung, aber sein Einfluss reicht weit. Ich hab mal eine Rede von ihm gehört. Auch wenn ich kein Wort verstand, war klar, worum es geht. Einpeitschen, Aufhetzen und Gewalt!
Würden in buddhistischen Ländern Buddhisten tatsächlich nach der Lehre leben, sähen sie vollkommen anders aus.

Doch ist das mit irgendeiner anderen spirituellen Lehre oder Religion anders? Laotse und Konfuzius wären mit Sicherheit nicht Freunde der chinesischen Kommunistischen Partei, Jesus würde beim Anblick christlicher Länder sofort beidrehen und im Iran, Irak, Türkei, sowie diversen anderen muslimisch geprägten Regionen liefe ein Mohammed vor Wut schnaubend in der Gegend herum. Dabei gab sich Sidi zu Lebzeiten wirklich Mühe. Wissend, dass Wörter missverstanden werden können, fand er für nahezu alle Ausführungen Bilder und Gleichnisse. Da gab es wenig dran zu deuten. Ihm ging es auch nicht wie Konfuzius oder Laotse um ein unerreichbares Idealbild, welches trotz der Unerfüllbarkeit anzustreben sei. Sidi hat den Leuten unter dem Strich gesagt, welche Folgen diese und jene Verhaltensweisen logisch nach sich ziehen bzw. welche Gedankenfehler einem unterlaufen können. Wenn die “Erleuchtung” oder wenigstens ein halbwegs positives Karma ein Klassenziel ist, dürfen sich nach seinen Vorstellungen diverse Leute nicht wundern, wenn sie noch einige “Ehrenrunden” zu drehen haben.

Für mich ist der Buddhismus ein wenig mit dem Kater nach einer durchzechten Nacht zu vergleichen. Man wusste ganz genau, wie man sich am Morgen danach fühlen wird. Dennoch mussten es noch fünf Bier mit drei Schnäpsen sein. Mit dickem Kopf schwört man sich, nie wieder Alkohol zu trinken oder wenigstens deutlich weniger. Ein Vorsatz, der bis zur nächsten Party reicht. Wer weiß? Im Palast wird es auch Gelage gegeben haben. Vielleicht ist auch Sidi dabei einiges aufgegangen. Im Prinzip geht es beim Konsum, dem Anhäufen von Besitz, dem Festhalten immer ums Belohnungssystem des Gehirns. Da setzen Alkohol und Zigaretten auch an. Am Ende muss man zugeben, dass Sidi im Grunde genommen Offensichtliches aussprach, aber einem der naheliegende Spaß wichtiger ist. Trotzdem hat der Bursche immer recht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er neben mir steht und sagt: “Kann man so machen, sieht dann halt kacke aus!”

18 Februar 2021

Anti, Anti

buddha mudra mara Lesedauer 8 Minuten

Ständig lese ich, dass sich Leute als Anti – Kapitalisten, Anti – Rassisten, Anti – Sexist usw. bezeichnen. OK! Damit weiß ich, wogegen sie sind. Auf der anderen Seite kommt es oftmals reflexartig zur Interpretation wofür diese Leute stehen. Wer gegen den Kapitalismus ist, muss ein Linker sein. Wer gegen Rassisten ist, kann selbst keiner sein? Anti – Sexisten*innen stehen jetzt wofür genau?

Vorausgesetzt ich weiß, wofür ich stehe, kann mich theoretisch niemand davon abhalten, eine eindeutige Stellung zu beziehen. Ich denke hier beginnen für viele die Probleme. Wie könnte die Alternative aussehen? Die Einfältigkeit der Opposition spricht für sich selbst. Als einzige fällt ihnen der Kommunismus, den etwas differenzierter Denkenden unter Umständen noch der Sozialismus, ein. Es gäbe zum Beispiel den Weg der Genossenschaften, in denen die Werktätigen am Gewinn, den Auswirkungen auf ihr direktes Umfeld, den Investitionen, beteiligt werden. Allgemein könnte man an der umfassenden Veränderung der Anforderungen nachdenken. Jeder der ein Produkt herstellen will, muss sich den Fragen einer fachlich kompetenten Kommission stellen. Wie generierst Du ökologisch vertretbar die notwendige Energie für Dein Produkt? Welche Abfallprodukte entstehen bei der Herstellung, wie können die neutral entsorgt werden und wie steht es mit der Entsorgung Deines fertigen Produkts, wenn es defekt ist oder sich jemand dessen entledigen will? Welche Überlegungen bestehen hinsichtlich einer festzulegenden ethischen Kompatibilität? Wofür kann das Produkt zweckentfremdet werden?

Wie häufig habe ich die Frage bereits gestellt? Ist eine/r, die/der aufgrund eigener Analysen oder dem Lesen fremder zum Ergebnis kommt, dass der bisher eingeschlagene Weg in die Katastrophe führt, ein LINKER? Steht dieses Synonym mittlerweile für Vernunft und Verständigkeit? Stehen konservativ, nationalistisch, rechtskonservativ und rechts für das sture Treten des Gaspedals, die ungebremste Fahrt in Richtung Abgrund?

Ich stelle fest, dass die derzeit bestehenden kapitalistischen Theorien, allen voran der Liberalismus und der Neoliberalismus in den Anfängen des 20. Jahrhunderts eine Konkretisierung erfuhren. Also zu einer Zeit, in der die Auswirkungen auf die Lebensräume und die Begrenztheit der Ressourcen gänzlich unbekannt waren. Prinzipiell der Unterschied zwischen einem jungen und einem alten Menschen. Der jüngere Mensch denkt, es wird sein gesamtes Leben immer weiter gehen, wie es ist, während der Ältere merkt, dass dies nicht der Fall ist. Wir, die Menschheit, haben die Erde in ein Burnout getrieben. Der Verbrauch übersteigt die Regeneration um ein Vielfaches. Davon konnten die alten Theoretiker nichts wissen, für den modernen Menschen kommt diese Ausflucht nicht infrage.

Ich stelle weiterhin fest, dass sich prinzipiell alle Weisen, Religionsstifter, Philosophen der 2000 Jahre vor der industriellen Revolution mit den Themen Gier, Profit, Wachstum, dem Missbrauch von Macht, der Überheblichkeit des menschlichen Großhirns über die Prinzipien der Natur, auseinandersetzten und warnend den Finger hoben. Geht es nach denen, die auf der anderen Seite ihrer Position ausschließlich LINKE sehen, waren Laotse, Konfuzius, der historische Buddha, Mose, Jesus, Sokrates und einige mehr, LINKE, oder womöglich Kommunisten, was natürlich blanker Unsinn ist. Vielleicht erleben wir schlicht ein gigantisches Babylon?

Sind diejenigen, welche überall LINKE sehen, der König Belšazar? Steht an der Wand schon seit geraumer Zeit: Mene mene tekel u-parsin? Wären dann die als LINKE gescholtenen Daniel, die die Nachricht zu deuten wissen? Nun, immerhin wurde Daniel für seine Deutung belohnt.

Wie auch immer, die Sache hat einen nicht unerheblichen psychologisch bedingten Haken. Es betrifft in der Regel nicht die Entscheider, sondern ihre Kinder und Enkel. Und den Jungen, die sich ins Fahrwasser der alten Starrköpfe hängen, ist nicht mehr zu helfen. Einer Generation später die Gräber auszuheben ist eine Sache, es für sich selbst zu tun, eine vollkommen andere.

Es wäre aber genauso verfehlt, einen Anti – Kommunisten, als Rechten zu bezeichnen. Für diese Leute gilt selbstverständlich die Logik ebenso. Jeder Anarchist oder Autonomer ist ein Anti – Kommunist. Doch immerhin sagen beide wenigstens, wofür sie stehen. Vielleicht können einfach gestrickte Konservative nicht aus ihrer Rolle heraus. Wahrscheinlich glauben nicht wenige von ihnen an den Anti – Christen. Jener, welcher absurderweise lediglich den Christen bekannt ist.

Wir sollten niemals vergessen, dem allerersten Radikalen über die Schulter zu schauen: all unseren Legenden nach, Mythologie und Geschichte (und wer weiß, wo Mythologie aufhört und Geschichte beginnt – oder was ist was), war der erste der Menschheit bekannte Radikale, welcher gegen das Establishment effektiv rebellierte, sodass er sein eigenes Reich bekam – Luzifer.

Saul D. Alinsky, Rules for Radicals

Im westlichen Verständnis wird der buddhistischen Figur Mara die Rolle des Teufels, der gefallene Engel Luzifer, zugeschrieben. Dabei ist Mara der Versucher, der die Menschheit vom richtigen Weg abbringen will, damit sie auf immer und ewig im Kreislauf des Leidens bleiben, somit in seinem Reich leben. Versuchung! Gier nach Besitz, immer mehr, Profit, Anhäufen von flüchtigen Dingen, die den Tod nicht überdauern. Wenn man so will, ist Mara die Personifizierung des Kapitalismus. Interessant, dass bei Konservativen, insofern sie den Kapitalismus favorisieren, die Genügsamkeit, das Auskommen mit dem Vorhandenen, mit einem Verzicht gleichgesetzt wird und im Zweifelsfall im Kommunismus endet. Ich würde gern mal von einer/m, die/der Anti – Kapitalisten ausschließlich als Kommunisten verstehen kann, wissen, ob für sie/ihn Benediktiner Mönche ebenfalls Kommunisten sind.

Vielleicht könnte dies Teil der Antwort sein, wofür man steht: Genügsamkeit, Demut gegenüber dem Lebensprinzip auf der Erde, Anerkennung der Lebensberechtigung aller Lebewesen, ohne sich selbst oder den Menschen mangels Legitimierung, über andere zu erheben. Praktisch ist dabei, dass diese Haltung alle anderen anfangs genannten Anti – Aussagen inkludiert.


Kapitalisten kontern Kritik gern mit dem Hinweis darauf, dass sie nicht auf etwas verzichten wollen. Verzicht! Was bedeutet dieses Wort konkret? Zunächst einmal muss etwas existieren, worauf ich verzichten kann. Mehr noch, ohne meinen Verzicht würde es in mein Eigentum übergehen. Aber warum sollte dies passieren? In der Regel, weil ich ein Anrecht darauf habe. Ich kann mir auch alles Mögliche einfach nehmen, schlicht, weil ich es kann. Doch dann wäre es ein Unterlassen und kein Verzicht. Bei Verzicht geht es um das eigene Versagen von etwas, worauf ich ohne diesen Akt einen Anspruch hätte. Hierbei kann ich jetzt unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Ich kann meine Ansprüche davon ableiten, dass ich in einer bestimmten Stadt lebe. Nehme ich ein wenig mehr Abstand, würde ich es von meiner Staatsangehörigkeit abhängig machen. Mit noch mehr Distanz wäre ich bei meinen Ansprüchen als Europäer. Irgendwann käme ich an dem Punkt, wo ich mir die Frage nach der Berechtigung meiner Ansprüche als Lebewesen auf dem Planeten Erde stellen würde. Wie sehen die aus? Ich wurde geboren. Damit bin ich erst einmal existent, nichts und niemand kann mir verwehren, alles dran zu setzen, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Kein anderes Lebewesen hat das Recht, mir dies zu untersagen. Bei näherer Betrachtung würde ich feststellen, dass ein Übermaß an Forderungen, mich in meinem Anspruch selbst sabotiert. Demnach geht es unter Umständen gar nicht um den Verzicht auf etwas mir legitim Zustehendes. Es könnte darum gehen, nicht mehr zu fordern, als mir zusteht. Dies wäre ein Unterlassen! Wenn mir jemand sagt, das ich eine Handlung unterlassen soll, frage ich meistens nach: Warum? Bekomme ich eine nachvollziehbare plausible Antwort, entsteht bei mir eine Einsicht, die sich nahezu immer darauf bezieht, dass ich den Erfolg meiner Handlung nicht möchte. Wenn Du dieses oder jenes tust, wird Folgendes passieren! OK!

Fazit, ich fordere eine/n Kapitalistin/en nicht zum Verzicht auf, sondern ich fordere sie/ ihn auf, die Handlungen einzustellen, weil sie zu einem Erfolg führen werden, den keiner von uns will. Und da es nur eine Welt gibt, habe ich keine Chance, sie einfach machen zu lassen, denn unser Schicksal ist miteinander verbunden. Wir sind auf hoher See in einem Boot unterwegs und die nächste Insel können wir nur mit vereinten Kräften erreichen. Einer allein wird es nicht schaffen. Da ist es schlecht, wenn einer allein alle Wasservorräte aufbraucht, die anderen sterben und nur einer übrig bleibt, der am Ende auch verdurstet. Als Odysseus mit seiner Mannschaft auf der Insel der Herde des Gottes Helios landete, schlachteten sie entgegen der Warnungen der Zauberin Kirke einen großen Teil der Rinder. Ihr Argument: Besser satt auf dem Meer sterben, als den grausamen Tod des Verhungerns zu wählen und Helios würde dieses einsehen. Jedes Rind symbolisierte einen Tag und Helios drohte damit, fortan nur noch für die Toten in der Unterwelt die Sonne aufgehen zu lassen, woraufhin ihm Zeus grünes Licht für die Rache gab. Wenn wir nach Ithaka zurückwollen, sollten wir aufhören die Rinder zu schlachten. Das Verhungern ist nicht sicher, der Tod auf dem Meer durchaus.

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Welchen legitimen Anspruch kann ich gegenüber den anderen Lebewesen anmelden, woraufhin ich gönnerhaft von einem Verzicht sprechen könnte? Weil ich mehr geleistet habe? Will ich mich wirklich mit der Leistung von Ameisen für den Fortbestand des Lebens auf diesem Planeten messen? Mit der von all den anderen Lebewesen? Da verliere ich. Wenn ich mir kein neues superaktuelles Smartphone kaufe, verzichte ich dann auf eins? Oder unterlasse ich es aus Überzeugung? Wenn ich beschließe meine im Kleiderschrank vorhandenen Sachen so lange wie irgendwie möglich zu tragen, verzichte ich dann darauf jeden Trend mitzumachen oder versuche ich mittels Unterlassen eines Neukaufs, das Quälen eines kleinen Jungen in Bangladesch zu mindern? Verzichte ich auf Luxus, oder unterlasse ich es, noch mehr Unheil anzurichten?

Was ist mit den Obdachlosen, den Flaschensammlern, den Rentern in Armut? Verzichten die auf etwas? Oder, und dies halte ich für die korrekte Formulierung, bekommen die etwas nicht, was ihnen zusteht? Wie kann dann jemand im gleichen Land, dessen Grundbedarf in Gänze erfüllt ist, von einem Verzicht auf etwas Legitimes ihm Zustehendes sprechen? Kann eine begründete Legitimität nicht erst dann konstituiert werden, wenn der Grundbedarf aller gedeckt ist?

Ich muss nicht nach Laos, in die Mongolei oder andere Länder fahren, um verstörende Bilder zu sehen. Wenn ich einkaufen gehe, komme ich derzeit nicht daran vorbei in ein beheiztes Einkaufszentrum zu gehen. Ein Konsumtempel, derzeit ein wenig von Corona ausgebremst. Trotz allem beheizt und beleuchtet. Überall in den Ecken stehen Frauen und Männer mit Plastiktüten, in denen zur Tarnung eine Kleinigkeit offen präsentiert wird. Sie können sich nicht setzen oder gar für einige Minuten auf die Bänke legen, dann würden sie vom Sicherheitspersonal herausgeworfen. Die Banken heizen und beleuchten die gesamte Nacht über die Räume, in denen die Geldautomaten stehen. Aber ab 22:00 Uhr werden sie geschlossen, damit sich dort kein/e Obdachlose/r zum Schlafen hinlegen kann. Ein Service für die zahlenden Kunden.

Kapitalismus bedeutet, dass es Menschen gibt, die auf Dinge verzichten können, die sich sie sich selbst zugestehen, während andere weniger als das Minimum haben. Und es werden immer mehr werden. In letzter Zeit stelle ich mir immer wieder eine Frage. In einem meiner Lieblingsbücher “Per Anhalter durch die Galaxis” wird auf einem fernen Planeten dem Super – Computer “Deep Thought” die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Nach tausenden Jahren versammeln sich die Erbauer und erwarten eine Antwort. “Deep Thought” antwortet: “42”. Auf weiteres Nachfragen hin, erklärt er, dass ein noch größerer Computer, Achtung Spoiler!, die Erde, die Antwort liefern wird. Ich stelle mir aus Gründen nicht die Frage nach dem Sinn. Aber ich finde es etwas erbärmlich, dass nach über 2000 Jahren des Nachdenkens, Buddha, Sokrates, Laotse, Konfuzius, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard, Sartre, und wie sie alle heißen, nicht mehr herausgekommen ist, als Kapitalismus. Noch erbärmlicher finde ich es, dass es Menschen gibt, die Zugang zu all dem Wissen haben, die nur einzige Antwort zum Thema haben: Anti – Kapitalisten sind Linke. Solche Typen sind für mich Menschen, die beim Anblick von “Deep Thought” die Frage stellen, ob sie auf ihm “Football Manager 2020” zum Laufen bekommen.

Nun gut, vielleicht ist alles ein Kampf gegen die Zeit. Wenn es gut läuft, vernichtet sich die Menschheit, bevor sie den letzten Überlebenden, die Chance einer weiteren Existenz nimmt. Dann wäre es taktisch klug, damit dieses Elend endlich ein Ende hat, Kapitalisten auch noch die letzte Tür aufzuhalten.

Irgendwie hätte dies Charme. Das Großhirn wäre dann am Ende doch noch intelligent gewesen und hätte die eigene Auslöschung, als einzig konsequente und richtige Lösung erkannt. Ein durchaus interessanter Gedanke.

Ach ja … ein letzter Hinweis noch. Der zum Beitrag ausgewählte Buddha hat eine Handstellung die auf seine Auseinandersetzung mit Mara hinweist. Mara fragte ihn, nachdem er alles nur Erdenkliche angeboten hatte, warum er denn zu den Menschen zurückkehren wolle. Es wäre doch vollkommen sinnlos, er, der Erleuchtete, würde sie niemals seinen Fängen der Versuchung entreißen. Gautama Siddhartha soll ihm gesagt haben, dass er die Hoffnung nicht aufgeben werde.

12 Februar 2021

Neues Kapitel “Why Not”

Lesedauer < 1 Minute

Das Kapitel 6 habe ich geteilt. Nach der Mongolei ging es über China in den Norden von Thailand. Stationen waren die beiden Backpacker Mekka, Chiang Mai und Chiang Rai. Mein erstes Hostel in Südostasien, ein weiser Australier, ein Verrückter aus Chikago, eine spannende Bootsfahrt, der fantastische Ort White Temple, gaben mir viele Anregungen. Wer diese Orte besucht, kommt nicht an einer Auseinandersetzung mit dem Buddhismus vorbei. Außerdem lässt Distanz eine andere Sicht auf Deutschland entstehen.

zum Kapitel

29 Januar 2021

Buch, BLOG – Web – Book

Lesedauer 2 Minuten

Seit meiner Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn plante ich ein Buch zu schreiben. Tatsächlich kamen zwei Skripte zusammen. Beide verwarf ich wieder. Ich traf mich mit Autoren, die erfolgreich Bücher veröffentlichten. Sie rieten mir, mich an Büchern im Handel zu orientieren. Es gab auch Aufforderungen meine Vergangenheit zu benutzen. Terror, Verdeckte Ermittlungen, Spezialeinheit, dies wäre doch interessant. Im ehemaligen Umfeld hofften einige auf den “Round-a-House-Kick” durch die Behörde. Ich habe über mich gelernt, dass das nicht mein Ding ist. Kritik, durchaus, aber nicht im Sinne eines sinnlosen Wütens.

Die Sparte Fiktion, Romane, liegt mir nicht. Genauso wenig, wie die Abteilung Humor. Jedenfalls noch nicht. Ich wurde auch gefragt, ob ich mir vorstellen könne, meine Erfahrungen rund um die Themen Burnout, Depressionen, die Rolle von Führungskräften mit meinen anderen Skills zu verbinden. Dazu kann ich sagen, dass ich eben aus diesem Grunde die Finger davon lasse andere in ihrer Lebensführung zu beraten. Es ist grundfalsch seine Erfahrungen auf jemanden zu übertragen. Es gibt einen möglichen Weg hinaus. Er sieht ein wenig aus, wie einer dieser alten Fitnesspfade durch den Wald, wo man an mehreren Stationen Übungen machen muss. Nur das dieser Weg Stationen hat, wo es Informationstafeln gibt, Passanten auf Bänken sitzen, mit denen Gespräche möglich sind und andere Stopps, an denen einem Frage gestellt werden. Dann folgen längere Strecken, auf denen Gelegenheit besteht, sich diese Fragen zu beantworten.

Ich selbst hab am meisten durch das Beobachten von Menschen gelernt. Eine wesentliche Erkenntnis. Nach dem Ausscheiden aus der Polizei war für mich zunächst alles Vergangene ein Tabu – Thema. Bis ich mich darauf besann, zwischen durchaus gutem Erlernten und fehlgeleiteten Denken zu unterscheiden. Über 20 Jahre lang Menschen in allen erdenklichen Lebenslagen zu beobachten, unsichtbar zu werden, sich anzupassen, legt man nicht wie eine alte Jacke ab. Fraglich ist, was man aus dem Gesehenen macht.

Bis zum Ausbruch der Pandemie bin ich gereist. Ich traf Leute aus Ländern von anderen Kontinenten, erfuhr von Biografien und Lebensmodellen, die mir bisher fremd waren, erkannte Unterschiede und machte mir meine Gedanken hierzu. Oder um im Bild zu bleiben: Ich absolvierte eine Station nach der anderen. Mehr Worte will ich dazu gar nicht verlieren. Das “Web – Book” hat ein Vorwort, in dem ich noch einiges hierzu voranschicke.

Die Bezeichnung Web – Book ist eine Eigenkreation, die sich in einem Gespräch in einem Hostel ergab. Ich sinnierte mit einigen darüber, wie sich das Lesen von Büchern verändert hat. Die meisten Hostels verfügen über eine kleine Bibliothek. Kaum ein Backpacker oder Reisender packt sich schwere Bücher ins Gepäck. Eine andere Option sind E-Books. Doch wenn ein Autor schon die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, warum dann nicht konsequent? Die Zeiten der begrenzten Netzabdeckung und horrenden Kosten für einen mobilen Datentransfer sind außerhalb von Deutschland vorbei. Ein BLOG oder ein Web – Book, in dem eine fortlaufende Geschichte, interaktiv und dynamisch, mit Einbettung von Musik, Bildern, Links, Tweets und vieles mehr, erzählt werden kann, erscheint mir eine logische Entwicklung.

Alles Weitere im Vorwort …. 

12 Dezember 2019

On the road – Nord Laos

Lesedauer < 1 Minute

Weiter geht es auf dem Trip durch Südostasien. Diesmal geht es um den Norden von Laos. Laos ist für den neugierigen Reisenden mehr Landschaft, Kultur, Dschungel und Elefanten. Das Land ist auch Zeuge eines Krieges, der meine Generation beeinflussen sollte. Nachdem  Tonkin-Zwischenfall 1964, begann die Flächendeckende Bombardierung von Nordvietnam, Kambodscha und Laos. Zwei Jahre vor meiner Geburt. Die aktiven Kriegshandlungen endeten 1975 mit dem Abzug der USA Truppen. In Deutschland empörten sich die Studenten und Vietnam wurde Teil der 68er Bewegung. Eine Folge des Kriegs war eine Massenflucht aus Vietnam, weil sich die neuen Machthaber rächten. Auch damals bekleckerte sich Deutschland nicht gerade mit Ruhm. Die Aufnahme der Boatpeople erfolgte eher zurückhaltend.

Auch Laoten trieb es ins Exil in die USA. 2005 deckte das FBI eine Verschwörung auf, bei der ehemalige US Militärangehörige zusammen mit Exil – Laoten einen Putsch in Laos planten. Bei den Verschwörern handelte es sich vornehmlich um Angehörige der Hmong. Auch um die geht es bei der Schilderung meiner Eindrücke.

Der Krieg, die Gründe und das dahinterliegende Denken, sind immer noch aktuell. Ebenso wie die Folgen, die an jeder Straßenecke in Laos zu sehen sind. Laos ist mit 90 % bekennender Buddhisten ein zutiefst spirituelles Land. Allein wenn die in den frühen Morgenstunden in den Klöstern die Trommeln angeschlagen werden und die Mönche sich auf den Weg machen, die Spenden einzusammeln, merkt der Mitteleuropäer, wie intensiv Gesellschaft und Buddhismus in Laos miteinander verbunden sind.

Kolonialherren, Kommunisten, Neoliberale, chinesische Imperialisten, versuchen erfolglos die Mönche auf ihre Seite zu ziehen. Wenn man nicht ausschließlich der blinde Tourist sein will, der die uralten Kunstschätze bestaunt und auf Elefanten reitet, ist Laos ein guter Platz, um über das nachzudenken, was vor 3000 Jahren im alten Indien formuliert wurde.

>>> zum Text >>>>

23 August 2018

Zeit für eine Entscheidung …

Lesedauer 4 Minuten

Idioten waren in der Antike einst die Bürger, welche sich am politischen Geschehen nicht beteiligten. OK! Aber es gibt auch noch die Situation einer Demokratie, in der die Mehrheit entscheidet, wo es hingehen soll. Leider gehöre ich dieser Mehrheit nicht an. Ich habe beschlossen dies sportlich zu nehmen. Wenn man verloren hat, muss man dies auch mal hinnehmen.

Die Gesellschaft, für die ich einst arbeite oder besser ausgedrückt: der ich mal diente, und ich, finden nicht mehr so richtig zusammen. Das ist weniger dramatisch, als es sich anhören mag. Ich glaubte ohnehin niemals an eine homogene Gesellschaft. Mir gehts hauptsächlich um das deutsche Bürgertum. Ich habe mich hier in meinem BLOG dazu mehrfach geäußert. Ob es nun die Nachwehen nach dem Terroranschlag am Breitscheidplatz, die sinnbefreite Aufregung über “feiernde Polizisten” beim G20 war oder aktuell um die Geschehnisse beim Rocker Prozess. Alles was sich in diesem Zusammenhang abspielt ist in meinen Augen vollkommener Unfug.

Mir persönlich gehen auch all die windigen Diskussionen über Polizeigewalt mächtig auf den Zünder. In nahezu allen Ländern um uns herum, läuft das Spiel ein wenig anders. Bist Du freundlich zur Polizei, sind die auch freundlich zu Dir. Geht man volle Kanne auf contra, machen die das auch. Ende! Ich bin demnächst ein wenig unterwegs und werde mich tunlichst daran halten. Ich glaube Russen, Chinesen, Laoten, Vietnamesen, Thailänder haben wenig Verständnis für pöbelnde Backpacker.

Irgendwann muss man dann auch mal sagen: Wenn ihr es besser könnt … Bitte! Gestern sagte eine Frau recht unfreundlich zu mir, dass ich mir dies schließlich selbst ausgesucht hätte. Seufz, wie oft bekommt man dies als Polizist gesagt? Letztlich wird dieser Spruch nur noch von: Kümmern sie sich doch mal um die richtigen Verbrecher, überholt. Ausgesprochen wird er meistens von den Leuten, deren eigener Beitrag zur Gesellschaft auf das Zahlen von Steuern beschränkt ist. Da hat man leicht reden.

Wir sagten im Dienst immer: Hilft ja nichts, irgendeiner muss den Job machen. Egal!

Der römische Philosoph SENECA hat sich vor knappen 2000 Jahren ziemlich kompromisslos mit der Lebenszeit auseinandergesetzt. Ich kann jedem wärmstens empfehlen, sich den Text “Zur Kürze der Lebenszeit”  durchzulesen oder anzuhören. Für ihn gehört die Vergangenheit bereits dem Tod und jeden Tag sterben wir ein wenig mehr. Lebenszeit ist das kostbarste Gut unseres Lebens. Jede Stunde des Ärgers, verplemperte Zeit mit Sorgen und Angst, entspricht einem Tausender, den man einfach anzündet. Puff! Weg! Ich bedauere ein wenig, den Text nicht viel früher im Leben geĺesen zu haben. Aber vielleicht musste ich erst einmal dahin kommen, ihn zu lesen. SENECA beschreibt letztlich am Geschehen des römischen Lebens alles, was wir heute auch erleben. Wir kümmern uns um alles nur Erdenkliche, aber nicht um uns selbst. 

Von den Geheimnissen des Flusses aber sah er heute nur eines, das ergriff seine Seele. Er sah: Dies Wasser lief und lief, immerzu lief es, und war doch immer da, war immer und allezeit dasselbe und doch jeden Augenblick neu! Oh, wer dies fasste, dies verstünde! Er verstand und fasste es nicht, fühlte nur Ahnung in sich regen.

Hermann Hesse, Siddhartha, Büchergilde Zürich, 1922, S. 121
Mekong, Ufer Luan Prabang, 2013

Für mich persönlich ist es an der Zeit dies zu tun. Ich lege mir selbst auf, mich von Nachrichten und Politik fern zu halten. Ich bin gern auf TWITTER unterwegs, weil ich dort eine ganze Menge über Menschen dazu lerne, dort wird sich die Aufnahme von Nachrichten nicht vermeiden lassen. Aber Überfliegen hat nichts mit damit Auseinandersetzen zu tun. Wichtig erscheint mir eigentlich nur noch, wenn die Fenster geschlossen bleiben sollen, weil es irgendwo brennt, aber das werde ich auch anders mitbekommen.

Ich habe im letzten Jahr den Nachrichten keine Entwicklung wahrnehmen können, die mich wirklich überrascht hätte. Alles reiht sich einer nachvollziehbaren Logik folgend aneinander. Das sollte eigentlich nicht der Fall sein. Insofern könnte man ab und wann mal stutzig werden, aber es ist recht sinnlos und unwichtig darüber nachzudenken. Der nächste Terroranschlag wird kommen. Die Schubladen gehen wieder auf und die bereits heute geschmiedeten Pläne werden umgesetzt. Die Doofen von der AfD werden weiter ihr bizarres Unterhaltungsprogramm abliefern. Die großen Staaten werden weiterhin die Erde auffressen. Wieder werden Polizisten, Feuerwehrleute, Leute in sozialen Berufen den Kopf hinhalten. Die NERDS werden sich mal wieder etwas Neues einfallen lassen, was den Menschen noch mehr von seiner Ursprünglichkeit entfremdet. Dies und noch noch einiges mehr ist absehbar und damit langweilig. 

Buddha Tempel, Luan Prabang

Auf der vor mir liegenden Reise haben nahezu alle Staaten, bis auf Russland, eine uralte buddhistische Tradition. Womit deutlich wäre, warum ich diese Reiseroute gewählt habe. Bewusst umgehe ich den tibetischen Buddhismus, da ich diesen ablehne. Vielleicht schreibe ich unterwegs mal etwas dazu. Nur so viel: Geister, Naturreligionen und diese ganzen Sekten in Tibet sind mir unheimlich.  Ich glaube ich schrieb es schon einmal in einem Beitrag. Meiner Auffassung nach, erschließt sich ein echtes Verständnis des Buddhismus nicht, wenn man als wohlbehüteter Europäer lächelnd auf einem Meditationskissen sitzt. Je mehr Gewalt man im Leben gesehen hat, Elend, Verwahrlosung, selbst gewalttätig war, um so einfacher versteht man, worum es in dieser Philosophie geht. Nicht umsonst war der legendäre Prinz selbst ganz gut unterwegs und einer der ersten Herrscher, die den Buddhismus einführten war König Ashoka. Bis er Buddhist wurde, war er ein übler Eroberer, der das komplette heutige Indien unterwarf.  

Ich hoffe, auf der Fahrt endlich ein ehrgeiziges Projekt zu Ende zu bringen. Vor einem Jahrzehnt fand das Buch “Die Lehre des Buddho – die Religion der Vernunft und der Meditation” von Georg Grimm zu mir. Die 415 Seiten haben es Satz für Satz in sich, vor allem wenn man sich auch noch mit den zitierten Texten aus dem Pali – Kanon beschäftigt. 

Die Überschrift lautete: Zeit für eine Entscheidung … Ich habe mich locker 35 Jahre kritisch mit der Politik um mich herum auseinandergesetzt. In dieser Zeit bin ich gegen die Folgen einer für mich heute noch unverständlichen Hierarchie angelaufen, dem entziehe ich mich und gebe den Staffelstab für lange Zeit an andere ab. Das passiert alles auch ohne mich und ich werde nichts mehr am Ablauf ändern. 

Hier soll es nur noch um Menschen an sich gehen. Mal schauen, wen ich alles treffe. Ich werde darüber schreiben.

30 Januar 2018

Was kann mir der Buddhismus geben?

Lesedauer 8 Minuten

Wer ab und wann in diesen BLOG hineinschaut, bekommt von mir in der Regel etwas politisch ausgerichetes, zumeist in Verbindung mit Polizeithemen , zu Lesen. Hier geht es mal um etwas vollkommen anderes, nämlich Philosophie und Religion und einer kleinen Brücke in Richtung Polizei.

Seit ich vor ca. 30 Jahren die indische Dichtung Siddhartha von Hermann Hesse las, ließ mich das Thema Buddhismus nicht mehr los. Ich kann heute noch sagen, was mich an der Geschichte faszinierte. Da zog ein junger Mann, der von seinem Vater gegen die böse Welt abgeschirmt wurde, in die Welt hinaus, um die Zusammenhänge der Welt zu ergründen. Der Typ bekam aber keine göttlichen Erleuchtungen von irgendwelchen nebulösen mythischen Mächten, sondern er dachte schlicht nach. Er schloss sich anderen Denkern an, versuchte es mit Askese, wurde Kaufmann, Spieler, ging eine Beziehung mit einer Prostituierten ein und suchte danach wieder die Einsamkeit.
Er bemühte sich redlich, ein guter Vater zu sein und erlebte den Trennungsschmerz, den einst sein Vater gefühlt haben musste. Kurz: Ein Mensch, dessen Schritte in sich logisch und nachvollziehbar waren. Aber es wurde für mich noch besser. Er trifft selbst auf einen Erleuchteten hört diesem zu, findet einen Schwachpunkt in dessen Philosophie und macht seinem Kumpel klar, dass er dem weisen Mann ruhig weiter folgen soll, er aber selbst einen anderen Weg nehmen muss.

Diversen christlichen Gläubigen ist der Buddhismus äußerst suspekt. Sie finden den Buddhismus im Gegensatz zum christlichen Glauben mit seinem Erlösermythos als zu hart und unnachgiebig. Auch da rastete ich ein. Im Gegenzuge sind mir nämlich Christen suspekt, wenn sie von einem Durchgangsstadium auf der Erde ausgehen, unter dem Strich die Sau raus lassen können, um dann am Ende Gnade zu erfahren. Ich war schon in meiner Jugend ein Gegner von Moral, die von einer Institution ausgeht und seltsamerweise hauptsächlich einer Machtclique namens Klerus Geld und Reichtum beschert.

Aktuell finden sich anlässlich der Vorgänge in Birma (Myamar) neue Kritiker, die frohlocken, dass der Buddhismus nicht so friedlich sein kann, wie er immer dargestellt wird. Keine Philosophie kann dafür verantwortlich gemacht werden, wie sich fehlgeleitete Anhänger verhalten. Zu den Buchreligionen gibt es einen klaren Unterschied. Wer sich streng an die Vorgaben des Bibeltextes, des Koran oder der Tora hält, wird nicht friedlich leben. In allen Büchern gibt es auch Anweisungen dazu, wie mit Andersgläubigen oder Abweichlern zu verfahren ist. Ein Mensch der die dem Buddhismus innewohnende Logik verstanden hat und es schafft, danach zu leben, wird keine Gewalt ausführen.

Hier sei angemerkt, dass es im ZEN – Buddhimus Klöster gibt, in denen Mönche meditierende Brüder schlagen. Da steckt ein tiefer Sinn dahinter. Erst wenn ich selbst zum Täter wurde, erkenne ich, wie sehr menschlich ich selbst bin und mich nicht von jedem anderen unterscheide. Auf der anderen Seite erkenne ich als Meditierender was passiert und kann dem anderen dankbar sein, dass ich diese Erfahrung auf diesem Wege mache und sie selbst keinem anderen mehr zufügen muss. Wieder so eine schwer verständliche asiatische Denkweise. Ich kann einem Menschen, der mir schlechtes zufügt, dankbar sein, da ich es selbst niemanden zur Vervollständigung meines langen Lernprozesses antun muss. Ich denke dieser Weg ist Geschmackssache. Der Mönch, der kir das erklärte, wechselte jedenfalls das Kloster nach einem Monat.

Eine Kernaussage des Buddhismus besteht darin, dass alles ein Teil des Ganzen ist und das Ganze damit auch zum Bestandteil des Teiles wird. Nichts kann betracht werden, ohne auch das Ganze zu berücksichtigen. Nehme ich eine Maschine und betrachte nur eine Schraube, wird sich mir die Funktion der Maschine nicht erschließen. Ohne die Schraube funktioniert aber auch die Maschine nicht, und ich werde nicht herausbekommen, wozu sie eigentlich konstruiert wurde. Ich möchte das Bild noch ein wenig anders gestalten. Stelle ich mir ein Gefäß mit einer Flüssigkeit vor, dann besteht diese Flüssigkeit aus lauter Molekülen. Jene setzen sich wiederum aus Atomen zusammen. Das kann ich immer weiter fortführen, bis ich den modernsten Bereichen der Physik lande, die immer mehr auf einer Energieebene landen. Gebe ich ein derartiges System einen Impuls, setzt der sich fort. Nehmen wir an die kleinsten Teile hätten die Wahl, was sie für Impulse hineingeben, dann könnten sie entweder positive oder negative Impulse abgeben. Jeder einzelne, der sich dazu entschließt einen positiven Impuls zu geben, erhöht die Chance, dass es für das gesamte System in diese Richtung geht, im Gegenzuge gilt dieses auch für die negativen Impulse. Mit jedem neuen positiven Impuls erhöhe ich auch die Wahrscheinlichkeit, selbst Nutznießer zu werden.

Positiv und Negativ sind zwei schnell geschriebene Worte, aber was bedeuten sie denn? Gut und Böse sind zwei moralistische Begriffe, die unpassend sind. Hier wird es schwierig und vor allem sehr langwierig, so langwierig dass es laut Buddha mit einer einmaligen Erscheinung als Lebensform kaum zu ergründen ist. Und ich werde mir mit Sicherheit nicht anmaßen, die Behauptung aufzustellen, dass ich es im Ansatz wüsste. Aber darauf gehe ich noch weiter unten im Text ein.

Als Mitteleuropäer stoßen wir im Buddhismus schnell auf Stellen, die für uns kaum nachvollziehbar sind. Wir sind «Selbstoptimierer», neuerdings gibt es dafür sogar Armbänder. Unser Denken strebt immer auf das Individuum zu, ist es nicht dieses, dann doch wenigstens eine Gruppe oder unser Land, weiter kommen wir in der Regel nicht. Doch ich finde, es lohnt sich, es für den Anfang mit einigen Teilaspekten zu versuchen, man muss ja nicht gleich alles kapieren.
Buddha gab seinen ersten Schülern eine «Praxis» mit auf den Weg, eine Art «Denkanleitung», mit der sie dann selbst in die Lage kommen, den Rest zu verstehen. Wieder so ein Unterschied zum Christentum, der mir entgegenkommt. Es gibt einen Gott, einen Verhaltenskodex, dann bist Du eine guter Mensch und wirst ins Paradies kommen – eigenes Nachdenken ist da eher unerwünscht und führte bis vor kurzer Zeit noch auf den Scheiterhaufen oder zu einem gestörten Perversen, der sich Exorzist nennt.

Passend dazu wird «Unwissenheit» im Buddhismus als die Mauer vor der Erkenntnis schlechthin erkannt. Der 14. Dalai Lama, seine Heiligkeit Tenzin Gyatso wurde in einem Interview gefragt, wie man diese Unwissenheit überwinden könne. Seine trockene Antwort: Mittels Nachdenken! Diese Unwissenheit wird nebenbei in allen buddhistischen Richtungen benannt. Denn Buddhismus ist ein Sammelbegriff für mehrere Ausrichtungen, die aber die Suche nach einem gemeinsamen Ziel verbindet. Wenn ich mich persönlich mit dem Buddhismus auseinandersetze, versuche ich mir immer Texte des Pali Kanon, zugänglich zu machen, weil der am nächsten an den ursprünglichen Aussagen dran ist. Buddha selbst sagte seinen Schülern, dass sie die Letzten wären, die die ursprünglichen Worte hören. Danach kämen irgendwann Schriftgelehrte, die alles aufschrieben und ihre eigenen Interpretationen beifügen würden.
Deshalb wurden über diverse Jahrhunderte die Worte inklusive Betonungen, Sprechpausen und Intonation auswendig gelernt und mündlich innerhalb der Mönche weitergegeben. Die erkannten vor 2000 Jahren ein wesentliches Problem der Kommunikation, nämlich das Worte an sich, schon kaum einen komplexen Gedanken wiedergeben können und der Wegfall der restlichen Informationen beim Aufschreiben, für das Ursprüngliche nicht förderlich ist. Buddha verwendete  viele Aphorismen, die die passenden Bilder im Kopf erzeugen. Bei uns hat das lange Zeit gedauert, bis ein Nietzsche dies in unsere Philosophie wieder einbaute.

Ein Schüler fragte Buddha zum Beispiel, was passieren würde, wenn man seine «Praxis» falsch anwendet. Der fragte daraufhin, was passieren würde, wenn man eine Kobra an der falschen Stelle anpackt. Die Schüler stellten folgerichtig fest, dass die dann beiße. Buddha erläuterte, dass seine Vorgaben zu Denken der richtigen Vorgehensweise beim Fang der Schlange entspräche. Man müsse sie mit einem gegabelten Stock am Kopf fixieren und dort dann packen. Ebenso sollten seine Schüler mit ihrer Praxis verfahren.

Diese Wortproblematik zeigt sich noch an einer anderen Stelle. Für die im Pali Kanon verwendeten Worte haben wir in unserer modernen Sprache bzw. aus dem mittelhochdeutschen entstandenen Sprache keine passenden Übersetzungen. Im Prinzip ist dies ein Problem, welches der britische Autor Douglas Adams zusammen mit Gleichgesinnten erkannte. Wir haben Gefühlszustände, für die es kein passendes Wort gibt, deshalb versuchen sie (D. Adams selbst leider nicht mehr, R.I.P.) Neue Worte zu erfinden. Adams brachte mal als Beispiel den Zustand, in dem man sich im Wartezimmer zum Zahnarzt befindet, und plötzlich die Schmerzen verschwinden. Notgedrungen verwenden die Übersetzer die Wörter Leid, welches zu überwinden gilt und Nirvana für das zu erreichende Ziel. Was das tatsächlich meint, beschreibt zum Beispiel ein Georg Grimm im Buch «Die Lehre des Buddho» auf 400 Seiten mit Mikroschrift. (Grimm gründete 1921 die Altbuddhistische Gemeinde) Da werde ich hier nichts zu sagen, das kann bei Interesse jeder brav selbst nachlesen.
Schopenhauer brachte Leiden für Mitteleuropäer auf einen verständlichen Nenner. «Leiden ist gehemmtes Wollen.» Grimm führt dazu weiter aus: «Alles was meinem Wollen, meinen Wünschen zuwiderläuft, ist Leiden, und alles was sich zwar meinem Begehren gemäß, aber unter Widerständen vollzieht, ist insoweit ebenfalls Leiden.»

Ich will hier nur auf sehr wenig eingehen. Der Buddhismus misstraut zu Recht dem Zusammenspiel zwischen Sinnesorganen und dem Großhirn. Die Sinnesorgane selbst sind dazu in der Lage Informationen der Umwelt aufzunehmen und sind selbst bereits die erste Fehlerquelle. Dann kommen noch das limbische System und die Amygdala ins Spiel, bevor eine gigantische Filtermaschine namens Großhirn aus diesen Informationen etwas zusammenbastelt. Buddha wird vom Aufbau nicht viel gewusst haben, aber die Auswirkungen konnte er erkennen.
Zwei Leute befinden sich objektiv in derselben Situation, kommen aber zu abweichenden Auffassungen. Hieraus leitet sich u.a. auch die Erkenntnis ab, dass jeder immer nur ein Abbild im Kopf eines anderen Menschen ist, bei dem die geschilderten Faktoren wirken. Deshalb ist es nicht möglich, sich selbst so zu sehen, wie uns andere Wahrnehmen und wir haben ziemlich begrenzte Möglichkeiten auf unser Bild beim anderen Einfluss zu nehmen. Akzeptieren wir dieses nicht, landen wir wieder im Leiden.

Buddhismus ist eine Religion der Vernunft. Deshalb wird sehr viel Wert auf das gelegt, was da im Kopf passiert. In einem weiteren Gleichnis fragte Buddha seine Schüler, ob es einem Maler möglich wäre mit Farben und Pinsel ein Bild in die Luft zu malen. Selbstredend funktioniert dieses nicht. Deshalb forderte er die Schüler auf, es mit ihrem Inneren genauso zu handhaben. Er setzte Menschen, die versuchten die Schüler zu beleidigen oder Hass zu erzeugen, einem Maler gleich. Böten sie ihm innerlich keine Leinwand an, könnte nichts passieren, was sie von ihrer «Praxis» abbringt.

Bei diesen wenigen prägnanten Beispielen will ich es bleiben lassen. Anfangs sprach ich von einer kleinen Brücke zum Beruf des Polizisten. Ich erweitere das ein wenig. Ich meine damit weniger den Beruf selbst, sondern das Denken und die Fähigkeiten, die für diesen Beruf notwendig sind und über den aktiven Dienst hinaus gehen. Für Menschen, die sich tagtäglich mit den als negativ empfundenen Verhaltensweisen von Menschen auseinandersetzen müssen, ist es von besonderer Bedeutung nicht nur die einzelnen Ereignisse zu sehen, sondern auch einen Blick auf das Ganze zu haben.

Ich habe in meinem Kopf immer diese «Weltbühne», auf der sich eine Unzahl von Schauspielern, tummeln. Die Schauspieler sind alle Lebewesen (im Buddhismus lebt alles, was sich auf der Basis eines eigenen Willen bewegen kann – inklusive Einzeller) auf dem Planeten Erde und alles Gegenständliche ist die Kulisse. Es gibt keine uns bekannten Regieanweisungen, in einer rasanten Geschwindigkeit agieren alle miteinander und beeinflussen sich, so dass es zum nächsten Handlungsablauf (die eine Hälfte unseres Körpers besteht aus Körperzellen, die andere Hälfte aus Mikroben und Bakterien, da findet jede Menge Handlung jenseits unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten statt) kommt.
Niemand kann vorhersagen, was im nächsten Augenblick passieren wird, sondern kann lediglich eine Auskunft über sich selbst in einem sehr kleinen Moment geben (Ebenfalls nur stark eingeschränkt, deshalb wird im Buddhismus von dem eigentlichen ICH gesprochen, welches nichts mit unserer mitteleuropäischen Vorstellung von Persönlichkeit zu tun hat. Ich sehe es mehr als eine Art Information – aber das führt an dieser Stelle zu weit.).
Selbst die vergangenen Geschehnisse sind unübersichtlich. Es würde auch nicht helfen, wenn man die Bühne aus einem Zuschauerraum heraus betrachtet. Wie sollte man bei diesem Durcheinander erkennen, was im nächsten Augenblick passieren wird. Abhilfe könnte nur eine grundsätzliche Regieanweisung geben. Grundsätzlich würde es ausreichen, sie einem Akteur mitzuteilen und wenn jeder sie richtig weitergibt, würde es überschaubar werden. Vielleicht hat Buddha diese geheimnisvolle Regieanweisung erkannt, wer weiß das schon? Fakt ist aber, wenn einer oder mehrere auf der Bühne, die Sache in die Hand nehmen, kann es von Fall zu Fall zu gewünschten Abläufen kommen. Das wird aber nur funktionieren, wenn sie für jeden akzeptabel ist – und schon gehen die Probleme wieder los. Hatte er die notwendige Grundformel entdeckt, die jeden berücksichtigt?

Alle Menschen, die Regieanweisungen umsetzen müssen, bekommen auch den Unwillen anderer zu spüren, da sie eben nicht dieser universellen Notwendigkeit entsprechen. Aus Unwillen kann auch Frust werden, der sich wiederum als Basis für Wut, Hass und Beleidigungen erweisen kann. Doch war nicht etwas mit dem Maler und seiner Farbe? Keine Leinwand – kein Bild! Ich finde, es kann helfen, sich darüber mal in verschiedenen Berufen Gedanken zu machen. Gautama Siddhartha kam mit diesen Erkenntnissen nicht auf die Welt. Prinzipiell schon, aber er war sich dieser nicht bewusst. Es bedurfte diverser Stationen im Leben, um dieses Bewusstsein zu bekommen. Eine dieser Stationen war das Leben unter den Kindermenschen – so nennt sie Hesse in seiner Dichtung (an dieser Stelle ein dickes Dankeschön an meine jüngste Tochter für eine Ausgabe aus dem Jahr 1922).
Selbst wenn es arrogant klingt, viele «Ordnungshüter», die einige Jahre im Beruf zugebracht haben, treffen auf diese Kindermenschen, wenn sie sich selbst ein wenig Weisheit angeeignet haben. Letzteres ist allerdings eine Grundvoraussetzung, wenn man selbst nicht Kindermensch sein will.

Diese wenigstens in minimalen Anteilen zu bekommen, erfordert die Auseinandersetzung mit Denk-, Kommunikations- und Wahrnehmungsfehlern. Wie beschrieben, kann die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus diesbezüglich viele Antworten und Anregungen geben. Insofern kann ich das jedem wärmstens empfehlen, deshalb muss man sich noch lange nicht Buddhist nennen, vielleicht wird es man einfach nur per Nachdenken.
Besonders empfehlenswert ist die Auseinandersetzung, wenn man mal wieder ohne Worte und Erklärungen vor den schrecklichen Auswirkungen menschlichen Handelns steht, und in einem ganz langsam der selbstzerstörende Hass auf diese Welt in die Glieder fährt, der sich dann zu einem weiteren Filter entwickelt, welcher fehlerhafte Wahrnehmungen produziert.

(Januar 2017, gewidmet D.S., der mich bis zu diesem Punkt ein paar Meter begleitete.)