Mein Kumpel Sidi

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Ich trage eine Kette mit einer Buddha-Figur als Anhänger. Deshalb werde ich immer mal wieder gefragt, ob ich Buddhist wäre. Ganz einfach ist die Antwort darauf nicht. Wäre ich einer, müsste ich nach den Regeln leben und davon bin ich weit entfernt. Da es im Buddhismus nicht so etwas wie eine Taufe gibt, damit man kein Heide ist, sondern sich letztlich alles über die Lehre ergibt, ist man meiner Auffassung nach, streng genommen, kein Buddhist, wenn man sich nicht daran hält. Ich weiß, dass das in keinerlei Hinsicht eine offizielle Sichtweise ist. Aber um meine Haltung ein wenig zu beschreiben, schildere ich mal, wie ich mich dem Buddhismus genähert habe.

Bei historischen Persönlichkeiten stelle ich mir stets die Zeit vor, in der sie lebten. Unter welchen Umständen verbrachten sie ihren Tag? Wie haben sie gewohnt, gegessen, getrunken, geschlafen? In was für Häusern lebten sie? Gab es Toiletten? Wie lange benötigten sie, wenn sie von einem Ort zum nächsten mussten? Außerdem sind mir die sozialen Zustände, das Gesellschaftswesen und noch einiges mehr wichtig. Gelernt habe ich dies von meinem Kunstlehrer. Wenn wir ein Bild analysierten, beschäftigten wir uns auch mit dem Maler und seinen Lebensumständen. Hat man vor Augen, dass z.B. ein Rembrandt stetig mit seinen Finanzen jonglierte, zeitweilig seine Kinder als Witwer durchbringen musste und deshalb neben den Sachen, die er wirklich malen wollte, auch zu Auftragsarbeiten und zur Ausbildung mittelmäßig talentierter Sprösslinge reicher Familien gezwungen war, erschließt sich, warum einige Gemälde nicht der Qualität entsprechen, die man von ihm kennt. Oder wie muss sich ein Michelangelo gefühlt haben, als er über vier Jahre hinweg, hockend und über Kopf malend, im Schein einer Öllampe die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle erstellte? In der Moderne ist es faszinierend, wie sich zum Beispiel ein Picasso durchs Leben schlug. Was muss das für eine Truppe gewesen sein? Jacob, Modigliani, Apollinaire, Picasso, alles junge Künstler, in einer Art WG, die im Winter zum Heizen Bilder von Picasso verfeuerten.

Ich sehe keinen Grund, warum ich mich in dieser Art nicht auch Philosophen, Religionsstiftern, nähern sollte. Bereits als ich das erste Mal mit dem Buddhismus in Berührung kam, verwarf ich für mich die Bezeichnung Buddha und betrachtete den Mann Gautama Siddhartha, welchem ich eines Tages den Kurznamen Sidi gab. Überträgt man seine Lebensgeschichte auf Heute, ergibt sich folgendes Bild. Er wuchs als Sohn einer vermögenden Fürstenfamilie auf. Aber ein indischer Fürst dieser Zeit lebte nicht in dem Prunk, den sich Mitteleuropäer wegen ihrer eigenen Vergangenheit vorstellen. Insofern dürften all die Geschichten, den nach Sidi vollkommen von der restlichen Welt abgeschottet im Palast aufwuchs, Legenden sein. Er wurde verwöhnt und musste sich nicht um normale alltägliche Arbeiten kümmern. Als Hindu und Angehöriger der Kshatriya-Kaste war es seine vorbestimmte Aufgabe für das Wohl der Gemeinschaft zu sorgen, politische Entscheidungen zu treffen und sich um die Armen zu kümmern.

Ich denke, die psychologischen Grundbedingungen beim Heranwachsen haben sich über die Jahrtausende nicht verändert. Damals war es üblich, dass sich die jungen Männer einen oder mehrere Weise suchten, bei denen sie eine Art Lehrzeit verbrachten. Sidi wird dies auch getan haben und setzte sich dabei mit seiner Herkunft auseinander. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Vater sonderlich begeistert war, als sich sein Sohn den Brahmanen anschloss. Mehr oder weniger mittellos auf der Suche nach Wissen in der Gegend herumzuziehen, klingt nicht danach, was sich ein Fürst von seinem Thronfolger erwartet. Mich amüsiert dabei die Vorstellung, wie er angeblich monatelang unter einem Baum meditierte und kaum Nahrung zu sich nahm. Andere gesellten sich zu ihm und lebten ebenfalls in Askese. Dann stand er plötzlich auf. “Sorry Leute, ich habe mich geirrt! Extreme sind nicht gut und bringen nichts. Ich gehe dann mal ordentlich essen, wasche mich und schau dann mal, wie es weiter geht.” Als Asket, der sich seinetwegen monatelang quälte, wäre ich ganz schön sauer gewesen.
Trotzdem brachte er es irgendwie fertig, eine Gruppe Zuhörer um sich zu scharen, denen er von seinen Ideen, Erkenntnissen und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen erzählte. Guru, Lehrer, Verführer, Menschenfänger, Anführer, Weiser, ich bin mir nicht sicher, was die richtige Bezeichnung ist. Ich denke, dass das stark vom Standpunkt des Betrachters abhängt. Heute würden sie ihn als gefährlichen Anführer einer Sekte bezeichnen. Eine Sekte innerhalb des Hinduismus, die zum Konsumverzicht, Bescheidenheit, Besinnung auf das Wesentliche, der Aufgabe von Bindungen jeglicher Art, fordert. Vornweg ein Obdachloser, der auf Kosten seiner Anhänger lebt. Der Umstand, dass er ursprünglich ein Hindu war, ist wichtig. Wenn er Gehör finden und sich nicht in Konflikte verstricken wollte, kam er an Zugeständnissen nicht vorbei. Daraus erklären sich einige Widersprüche, wie zum Beispiel die Diskriminierung der Frauen in einigen Ausrichtungen des Buddhismus und der Status der Mönche. Bhikkhuni, im übertragenen Sinne buddhistische Nonnen, müssen sich im südlichen Theravada-Buddhismus auch jüngeren Mönchen unterordnen, während sie in Taiwan, Korea und Vietnam eine große Gruppe stellen und als ebenso lange existent gesehen werden, wie die Mönche.

Soweit ich das mit meinem Wissen überblicke, hat vieles im praktizierten Buddhismus nichts mit den Worten oder Idee Sidis zu tun. Zum Beispiel wurde der erste Dalai Lama von einem mongolischen Khan eingesetzt, weil der eine politische Struktur in Tibet aufbauen wollte. Obwohl die Annexion Tibets durch China nicht in Ordnung ist, kann nicht ausgeblendet werden, dass sich zuvor der Adel, gestellt von den Lamas, nicht gerade im Sinne des Buddhismus aufführte. Der Dalai Lama ist auch nicht, wie es viele in Europa glauben, der oberste Buddhist, sondern spiritueller und politischer Führer einer Untergruppe, die nicht nicht einmal wirklich groß ist.
Für mich bedeutet dies in der Konsequenz, dass es um den “Roten Faden”, die innere Logik in seinen Worten bzw. seiner Anschauung geht. Mit der hat er viele beeindruckt. Nietzsche und Schopenhauer wandten sich dem zu, Hesse schrieb Siddhartha – Eine indische Dichtung, Freud, Jung und Fromm, nahmen seine Denkrichtung auf. Dennoch sieht unsere westlich industrialisierte Welt völlig anders aus.
Aber auch in buddhistischen Ländern vermisst man die Auswirkungen seiner Lehre. Überall wo ich bisher war, buddhistische Tempel oder Klöster besuchte, setzte ich mich eine Weile hin und hielt ein Zwiegespräch mit meinem imaginären Kumpel Sidi. Mal haben sie ihn zu einer Art Erlöser gemacht, einem, der bereits einmal aus dem “Nichts” zurückkehrte und die wahre Lehre verkündete, und von dem man erhofft, dass er es nochmals tut, an anderen Stellen (z.B. Ulan Bator) ist er zu einem Schutzheiligen geworden, der über die Stadt wachen soll. Mit seiner Lehre, in der jeder Bestandteil des Ganzen ist und damit jeder Teil dessen ist, was als göttlich bezeichnet wird, hat dies wenig zu tun. In Thailand wundert sich der Besucher über einen buddhistischen König, der völlig durchgeknallt ist und dekadent in Saus und Braus lebt. Wer das laut ausspricht, wandert auf dem direkten Weg im Gefängnis. Wenn es Mönche, Frauen und Männer, gibt, die den Buddhismus leben, muss man in die abgelegenen ländlichen Gegenden gehen. In Myanmar kann es selbst dort schwierig werden. Der hetzende Mönch Ashin Wirathu ist eine bizarre Erscheinung, aber sein Einfluss reicht weit. Ich hab mal eine Rede von ihm gehört. Auch wenn ich kein Wort verstand, war klar, worum es geht. Einpeitschen, Aufhetzen und Gewalt!
Würden in buddhistischen Ländern Buddhisten tatsächlich nach der Lehre leben, sähen sie vollkommen anders aus.

Doch ist das mit irgendeiner anderen spirituellen Lehre oder Religion anders? Laotse und Konfuzius wären mit Sicherheit nicht Freunde der chinesischen Kommunistischen Partei, Jesus würde beim Anblick christlicher Länder sofort beidrehen und im Iran, Irak, Türkei, sowie diversen anderen muslimisch geprägten Regionen liefe ein Mohammed vor Wut schnaubend in der Gegend herum. Dabei gab sich Sidi zu Lebzeiten wirklich Mühe. Wissend, dass Wörter missverstanden werden können, fand er für nahezu alle Ausführungen Bilder und Gleichnisse. Da gab es wenig dran zu deuten. Ihm ging es auch nicht wie Konfuzius oder Laotse um ein unerreichbares Idealbild, welches trotz der Unerfüllbarkeit anzustreben sei. Sidi hat den Leuten unter dem Strich gesagt, welche Folgen diese und jene Verhaltensweisen logisch nach sich ziehen bzw. welche Gedankenfehler einem unterlaufen können. Wenn die “Erleuchtung” oder wenigstens ein halbwegs positives Karma ein Klassenziel ist, dürfen sich nach seinen Vorstellungen diverse Leute nicht wundern, wenn sie noch einige “Ehrenrunden” zu drehen haben.

Für mich ist der Buddhismus ein wenig mit dem Kater nach einer durchzechten Nacht zu vergleichen. Man wusste ganz genau, wie man sich am Morgen danach fühlen wird. Dennoch mussten es noch fünf Bier mit drei Schnäpsen sein. Mit dickem Kopf schwört man sich, nie wieder Alkohol zu trinken oder wenigstens deutlich weniger. Ein Vorsatz, der bis zur nächsten Party reicht. Wer weiß? Im Palast wird es auch Gelage gegeben haben. Vielleicht ist auch Sidi dabei einiges aufgegangen. Im Prinzip geht es beim Konsum, dem Anhäufen von Besitz, dem Festhalten immer ums Belohnungssystem des Gehirns. Da setzen Alkohol und Zigaretten auch an. Am Ende muss man zugeben, dass Sidi im Grunde genommen Offensichtliches aussprach, aber einem der naheliegende Spaß wichtiger ist. Trotzdem hat der Bursche immer recht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er neben mir steht und sagt: “Kann man so machen, sieht dann halt kacke aus!”

Anti, Anti

buddha mudra mara Lesedauer 8 Minuten

Ständig lese ich, dass sich Leute als Anti – Kapitalisten, Anti – Rassisten, Anti – Sexist usw. bezeichnen. OK! Damit weiß ich, wogegen sie sind. Auf der anderen Seite kommt es oftmals reflexartig zur Interpretation wofür diese Leute stehen. Wer gegen den Kapitalismus ist, muss ein Linker sein. Wer gegen Rassisten ist, kann selbst keiner sein? Anti – Sexisten*innen stehen jetzt wofür genau?

Vorausgesetzt ich weiß, wofür ich stehe, kann mich theoretisch niemand davon abhalten, eine eindeutige Stellung zu beziehen. Ich denke hier beginnen für viele die Probleme. Wie könnte die Alternative aussehen? Die Einfältigkeit der Opposition spricht für sich selbst. Als einzige fällt ihnen der Kommunismus, den etwas differenzierter Denkenden unter Umständen noch der Sozialismus, ein. Es gäbe zum Beispiel den Weg der Genossenschaften, in denen die Werktätigen am Gewinn, den Auswirkungen auf ihr direktes Umfeld, den Investitionen, beteiligt werden. Allgemein könnte man an der umfassenden Veränderung der Anforderungen nachdenken. Jeder der ein Produkt herstellen will, muss sich den Fragen einer fachlich kompetenten Kommission stellen. Wie generierst Du ökologisch vertretbar die notwendige Energie für Dein Produkt? Welche Abfallprodukte entstehen bei der Herstellung, wie können die neutral entsorgt werden und wie steht es mit der Entsorgung Deines fertigen Produkts, wenn es defekt ist oder sich jemand dessen entledigen will? Welche Überlegungen bestehen hinsichtlich einer festzulegenden ethischen Kompatibilität? Wofür kann das Produkt zweckentfremdet werden?

Wie häufig habe ich die Frage bereits gestellt? Ist eine/r, die/der aufgrund eigener Analysen oder dem Lesen fremder zum Ergebnis kommt, dass der bisher eingeschlagene Weg in die Katastrophe führt, ein LINKER? Steht dieses Synonym mittlerweile für Vernunft und Verständigkeit? Stehen konservativ, nationalistisch, rechtskonservativ und rechts für das sture Treten des Gaspedals, die ungebremste Fahrt in Richtung Abgrund?

Ich stelle fest, dass die derzeit bestehenden kapitalistischen Theorien, allen voran der Liberalismus und der Neoliberalismus in den Anfängen des 20. Jahrhunderts eine Konkretisierung erfuhren. Also zu einer Zeit, in der die Auswirkungen auf die Lebensräume und die Begrenztheit der Ressourcen gänzlich unbekannt waren. Prinzipiell der Unterschied zwischen einem jungen und einem alten Menschen. Der jüngere Mensch denkt, es wird sein gesamtes Leben immer weiter gehen, wie es ist, während der Ältere merkt, dass dies nicht der Fall ist. Wir, die Menschheit, haben die Erde in ein Burnout getrieben. Der Verbrauch übersteigt die Regeneration um ein Vielfaches. Davon konnten die alten Theoretiker nichts wissen, für den modernen Menschen kommt diese Ausflucht nicht infrage.

Ich stelle weiterhin fest, dass sich prinzipiell alle Weisen, Religionsstifter, Philosophen der 2000 Jahre vor der industriellen Revolution mit den Themen Gier, Profit, Wachstum, dem Missbrauch von Macht, der Überheblichkeit des menschlichen Großhirns über die Prinzipien der Natur, auseinandersetzten und warnend den Finger hoben. Geht es nach denen, die auf der anderen Seite ihrer Position ausschließlich LINKE sehen, waren Laotse, Konfuzius, der historische Buddha, Mose, Jesus, Sokrates und einige mehr, LINKE, oder womöglich Kommunisten, was natürlich blanker Unsinn ist. Vielleicht erleben wir schlicht ein gigantisches Babylon?

Sind diejenigen, welche überall LINKE sehen, der König Belšazar? Steht an der Wand schon seit geraumer Zeit: Mene mene tekel u-parsin? Wären dann die als LINKE gescholtenen Daniel, die die Nachricht zu deuten wissen? Nun, immerhin wurde Daniel für seine Deutung belohnt.

Wie auch immer, die Sache hat einen nicht unerheblichen psychologisch bedingten Haken. Es betrifft in der Regel nicht die Entscheider, sondern ihre Kinder und Enkel. Und den Jungen, die sich ins Fahrwasser der alten Starrköpfe hängen, ist nicht mehr zu helfen. Einer Generation später die Gräber auszuheben ist eine Sache, es für sich selbst zu tun, eine vollkommen andere.

Es wäre aber genauso verfehlt, einen Anti – Kommunisten, als Rechten zu bezeichnen. Für diese Leute gilt selbstverständlich die Logik ebenso. Jeder Anarchist oder Autonomer ist ein Anti – Kommunist. Doch immerhin sagen beide wenigstens, wofür sie stehen. Vielleicht können einfach gestrickte Konservative nicht aus ihrer Rolle heraus. Wahrscheinlich glauben nicht wenige von ihnen an den Anti – Christen. Jener, welcher absurderweise lediglich den Christen bekannt ist.

Wir sollten niemals vergessen, dem allerersten Radikalen über die Schulter zu schauen: all unseren Legenden nach, Mythologie und Geschichte (und wer weiß, wo Mythologie aufhört und Geschichte beginnt – oder was ist was), war der erste der Menschheit bekannte Radikale, welcher gegen das Establishment effektiv rebellierte, sodass er sein eigenes Reich bekam – Luzifer.

Saul D. Alinsky, Rules for Radicals

Im westlichen Verständnis wird der buddhistischen Figur Mara die Rolle des Teufels, der gefallene Engel Luzifer, zugeschrieben. Dabei ist Mara der Versucher, der die Menschheit vom richtigen Weg abbringen will, damit sie auf immer und ewig im Kreislauf des Leidens bleiben, somit in seinem Reich leben. Versuchung! Gier nach Besitz, immer mehr, Profit, Anhäufen von flüchtigen Dingen, die den Tod nicht überdauern. Wenn man so will, ist Mara die Personifizierung des Kapitalismus. Interessant, dass bei Konservativen, insofern sie den Kapitalismus favorisieren, die Genügsamkeit, das Auskommen mit dem Vorhandenen, mit einem Verzicht gleichgesetzt wird und im Zweifelsfall im Kommunismus endet. Ich würde gern mal von einer/m, die/der Anti – Kapitalisten ausschließlich als Kommunisten verstehen kann, wissen, ob für sie/ihn Benediktiner Mönche ebenfalls Kommunisten sind.

Vielleicht könnte dies Teil der Antwort sein, wofür man steht: Genügsamkeit, Demut gegenüber dem Lebensprinzip auf der Erde, Anerkennung der Lebensberechtigung aller Lebewesen, ohne sich selbst oder den Menschen mangels Legitimierung, über andere zu erheben. Praktisch ist dabei, dass diese Haltung alle anderen anfangs genannten Anti – Aussagen inkludiert.


Kapitalisten kontern Kritik gern mit dem Hinweis darauf, dass sie nicht auf etwas verzichten wollen. Verzicht! Was bedeutet dieses Wort konkret? Zunächst einmal muss etwas existieren, worauf ich verzichten kann. Mehr noch, ohne meinen Verzicht würde es in mein Eigentum übergehen. Aber warum sollte dies passieren? In der Regel, weil ich ein Anrecht darauf habe. Ich kann mir auch alles Mögliche einfach nehmen, schlicht, weil ich es kann. Doch dann wäre es ein Unterlassen und kein Verzicht. Bei Verzicht geht es um das eigene Versagen von etwas, worauf ich ohne diesen Akt einen Anspruch hätte. Hierbei kann ich jetzt unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Ich kann meine Ansprüche davon ableiten, dass ich in einer bestimmten Stadt lebe. Nehme ich ein wenig mehr Abstand, würde ich es von meiner Staatsangehörigkeit abhängig machen. Mit noch mehr Distanz wäre ich bei meinen Ansprüchen als Europäer. Irgendwann käme ich an dem Punkt, wo ich mir die Frage nach der Berechtigung meiner Ansprüche als Lebewesen auf dem Planeten Erde stellen würde. Wie sehen die aus? Ich wurde geboren. Damit bin ich erst einmal existent, nichts und niemand kann mir verwehren, alles dran zu setzen, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Kein anderes Lebewesen hat das Recht, mir dies zu untersagen. Bei näherer Betrachtung würde ich feststellen, dass ein Übermaß an Forderungen, mich in meinem Anspruch selbst sabotiert. Demnach geht es unter Umständen gar nicht um den Verzicht auf etwas mir legitim Zustehendes. Es könnte darum gehen, nicht mehr zu fordern, als mir zusteht. Dies wäre ein Unterlassen! Wenn mir jemand sagt, das ich eine Handlung unterlassen soll, frage ich meistens nach: Warum? Bekomme ich eine nachvollziehbare plausible Antwort, entsteht bei mir eine Einsicht, die sich nahezu immer darauf bezieht, dass ich den Erfolg meiner Handlung nicht möchte. Wenn Du dieses oder jenes tust, wird Folgendes passieren! OK!

Fazit, ich fordere eine/n Kapitalistin/en nicht zum Verzicht auf, sondern ich fordere sie/ ihn auf, die Handlungen einzustellen, weil sie zu einem Erfolg führen werden, den keiner von uns will. Und da es nur eine Welt gibt, habe ich keine Chance, sie einfach machen zu lassen, denn unser Schicksal ist miteinander verbunden. Wir sind auf hoher See in einem Boot unterwegs und die nächste Insel können wir nur mit vereinten Kräften erreichen. Einer allein wird es nicht schaffen. Da ist es schlecht, wenn einer allein alle Wasservorräte aufbraucht, die anderen sterben und nur einer übrig bleibt, der am Ende auch verdurstet. Als Odysseus mit seiner Mannschaft auf der Insel der Herde des Gottes Helios landete, schlachteten sie entgegen der Warnungen der Zauberin Kirke einen großen Teil der Rinder. Ihr Argument: Besser satt auf dem Meer sterben, als den grausamen Tod des Verhungerns zu wählen und Helios würde dieses einsehen. Jedes Rind symbolisierte einen Tag und Helios drohte damit, fortan nur noch für die Toten in der Unterwelt die Sonne aufgehen zu lassen, woraufhin ihm Zeus grünes Licht für die Rache gab. Wenn wir nach Ithaka zurückwollen, sollten wir aufhören die Rinder zu schlachten. Das Verhungern ist nicht sicher, der Tod auf dem Meer durchaus.

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Welchen legitimen Anspruch kann ich gegenüber den anderen Lebewesen anmelden, woraufhin ich gönnerhaft von einem Verzicht sprechen könnte? Weil ich mehr geleistet habe? Will ich mich wirklich mit der Leistung von Ameisen für den Fortbestand des Lebens auf diesem Planeten messen? Mit der von all den anderen Lebewesen? Da verliere ich. Wenn ich mir kein neues superaktuelles Smartphone kaufe, verzichte ich dann auf eins? Oder unterlasse ich es aus Überzeugung? Wenn ich beschließe meine im Kleiderschrank vorhandenen Sachen so lange wie irgendwie möglich zu tragen, verzichte ich dann darauf jeden Trend mitzumachen oder versuche ich mittels Unterlassen eines Neukaufs, das Quälen eines kleinen Jungen in Bangladesch zu mindern? Verzichte ich auf Luxus, oder unterlasse ich es, noch mehr Unheil anzurichten?

Was ist mit den Obdachlosen, den Flaschensammlern, den Rentern in Armut? Verzichten die auf etwas? Oder, und dies halte ich für die korrekte Formulierung, bekommen die etwas nicht, was ihnen zusteht? Wie kann dann jemand im gleichen Land, dessen Grundbedarf in Gänze erfüllt ist, von einem Verzicht auf etwas Legitimes ihm Zustehendes sprechen? Kann eine begründete Legitimität nicht erst dann konstituiert werden, wenn der Grundbedarf aller gedeckt ist?

Ich muss nicht nach Laos, in die Mongolei oder andere Länder fahren, um verstörende Bilder zu sehen. Wenn ich einkaufen gehe, komme ich derzeit nicht daran vorbei in ein beheiztes Einkaufszentrum zu gehen. Ein Konsumtempel, derzeit ein wenig von Corona ausgebremst. Trotz allem beheizt und beleuchtet. Überall in den Ecken stehen Frauen und Männer mit Plastiktüten, in denen zur Tarnung eine Kleinigkeit offen präsentiert wird. Sie können sich nicht setzen oder gar für einige Minuten auf die Bänke legen, dann würden sie vom Sicherheitspersonal herausgeworfen. Die Banken heizen und beleuchten die gesamte Nacht über die Räume, in denen die Geldautomaten stehen. Aber ab 22:00 Uhr werden sie geschlossen, damit sich dort kein/e Obdachlose/r zum Schlafen hinlegen kann. Ein Service für die zahlenden Kunden.

Kapitalismus bedeutet, dass es Menschen gibt, die auf Dinge verzichten können, die sich sie sich selbst zugestehen, während andere weniger als das Minimum haben. Und es werden immer mehr werden. In letzter Zeit stelle ich mir immer wieder eine Frage. In einem meiner Lieblingsbücher “Per Anhalter durch die Galaxis” wird auf einem fernen Planeten dem Super – Computer “Deep Thought” die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Nach tausenden Jahren versammeln sich die Erbauer und erwarten eine Antwort. “Deep Thought” antwortet: “42”. Auf weiteres Nachfragen hin, erklärt er, dass ein noch größerer Computer, Achtung Spoiler!, die Erde, die Antwort liefern wird. Ich stelle mir aus Gründen nicht die Frage nach dem Sinn. Aber ich finde es etwas erbärmlich, dass nach über 2000 Jahren des Nachdenkens, Buddha, Sokrates, Laotse, Konfuzius, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Kierkegaard, Sartre, und wie sie alle heißen, nicht mehr herausgekommen ist, als Kapitalismus. Noch erbärmlicher finde ich es, dass es Menschen gibt, die Zugang zu all dem Wissen haben, die nur einzige Antwort zum Thema haben: Anti – Kapitalisten sind Linke. Solche Typen sind für mich Menschen, die beim Anblick von “Deep Thought” die Frage stellen, ob sie auf ihm “Football Manager 2020” zum Laufen bekommen.

Nun gut, vielleicht ist alles ein Kampf gegen die Zeit. Wenn es gut läuft, vernichtet sich die Menschheit, bevor sie den letzten Überlebenden, die Chance einer weiteren Existenz nimmt. Dann wäre es taktisch klug, damit dieses Elend endlich ein Ende hat, Kapitalisten auch noch die letzte Tür aufzuhalten.

Irgendwie hätte dies Charme. Das Großhirn wäre dann am Ende doch noch intelligent gewesen und hätte die eigene Auslöschung, als einzig konsequente und richtige Lösung erkannt. Ein durchaus interessanter Gedanke.

Ach ja … ein letzter Hinweis noch. Der zum Beitrag ausgewählte Buddha hat eine Handstellung die auf seine Auseinandersetzung mit Mara hinweist. Mara fragte ihn, nachdem er alles nur Erdenkliche angeboten hatte, warum er denn zu den Menschen zurückkehren wolle. Es wäre doch vollkommen sinnlos, er, der Erleuchtete, würde sie niemals seinen Fängen der Versuchung entreißen. Gautama Siddhartha soll ihm gesagt haben, dass er die Hoffnung nicht aufgeben werde.

Neues Kapitel “Why Not”

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Das Kapitel 6 habe ich geteilt. Nach der Mongolei ging es über China in den Norden von Thailand. Stationen waren die beiden Backpacker Mekka, Chiang Mai und Chiang Rai. Mein erstes Hostel in Südostasien, ein weiser Australier, ein Verrückter aus Chikago, eine spannende Bootsfahrt, der fantastische Ort White Temple, gaben mir viele Anregungen. Wer diese Orte besucht, kommt nicht an einer Auseinandersetzung mit dem Buddhismus vorbei. Außerdem lässt Distanz eine andere Sicht auf Deutschland entstehen.

zum Kapitel

Buch, BLOG – Web – Book

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Seit meiner Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn plante ich ein Buch zu schreiben. Tatsächlich kamen zwei Skripte zusammen. Beide verwarf ich wieder. Ich traf mich mit Autoren, die erfolgreich Bücher veröffentlichten. Sie rieten mir, mich an Büchern im Handel zu orientieren. Es gab auch Aufforderungen meine Vergangenheit zu benutzen. Terror, Verdeckte Ermittlungen, Spezialeinheit, dies wäre doch interessant. Im ehemaligen Umfeld hofften einige auf den “Round-a-House-Kick” durch die Behörde. Ich habe über mich gelernt, dass das nicht mein Ding ist. Kritik, durchaus, aber nicht im Sinne eines sinnlosen Wütens.

Die Sparte Fiktion, Romane, liegt mir nicht. Genauso wenig, wie die Abteilung Humor. Jedenfalls noch nicht. Ich wurde auch gefragt, ob ich mir vorstellen könne, meine Erfahrungen rund um die Themen Burnout, Depressionen, die Rolle von Führungskräften mit meinen anderen Skills zu verbinden. Dazu kann ich sagen, dass ich eben aus diesem Grunde die Finger davon lasse andere in ihrer Lebensführung zu beraten. Es ist grundfalsch seine Erfahrungen auf jemanden zu übertragen. Es gibt einen möglichen Weg hinaus. Er sieht ein wenig aus, wie einer dieser alten Fitnesspfade durch den Wald, wo man an mehreren Stationen Übungen machen muss. Nur das dieser Weg Stationen hat, wo es Informationstafeln gibt, Passanten auf Bänken sitzen, mit denen Gespräche möglich sind und andere Stopps, an denen einem Frage gestellt werden. Dann folgen längere Strecken, auf denen Gelegenheit besteht, sich diese Fragen zu beantworten.

Ich selbst hab am meisten durch das Beobachten von Menschen gelernt. Eine wesentliche Erkenntnis. Nach dem Ausscheiden aus der Polizei war für mich zunächst alles Vergangene ein Tabu – Thema. Bis ich mich darauf besann, zwischen durchaus gutem Erlernten und fehlgeleiteten Denken zu unterscheiden. Über 20 Jahre lang Menschen in allen erdenklichen Lebenslagen zu beobachten, unsichtbar zu werden, sich anzupassen, legt man nicht wie eine alte Jacke ab. Fraglich ist, was man aus dem Gesehenen macht.

Bis zum Ausbruch der Pandemie bin ich gereist. Ich traf Leute aus Ländern von anderen Kontinenten, erfuhr von Biografien und Lebensmodellen, die mir bisher fremd waren, erkannte Unterschiede und machte mir meine Gedanken hierzu. Oder um im Bild zu bleiben: Ich absolvierte eine Station nach der anderen. Mehr Worte will ich dazu gar nicht verlieren. Das “Web – Book” hat ein Vorwort, in dem ich noch einiges hierzu voranschicke.

Die Bezeichnung Web – Book ist eine Eigenkreation, die sich in einem Gespräch in einem Hostel ergab. Ich sinnierte mit einigen darüber, wie sich das Lesen von Büchern verändert hat. Die meisten Hostels verfügen über eine kleine Bibliothek. Kaum ein Backpacker oder Reisender packt sich schwere Bücher ins Gepäck. Eine andere Option sind E-Books. Doch wenn ein Autor schon die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, warum dann nicht konsequent? Die Zeiten der begrenzten Netzabdeckung und horrenden Kosten für einen mobilen Datentransfer sind außerhalb von Deutschland vorbei. Ein BLOG oder ein Web – Book, in dem eine fortlaufende Geschichte, interaktiv und dynamisch, mit Einbettung von Musik, Bildern, Links, Tweets und vieles mehr, erzählt werden kann, erscheint mir eine logische Entwicklung.

Alles Weitere im Vorwort ….