9 Juni 2019

Seltsame Vorstellungen …

Lesedauer 6 Minuten

Träume junger Gangster

Es war irgendwann zu Beginn der Neunziger, als ich das erste Mal auf einen der jungen Männer traf, deren Geschichte und damit auch meine, ich hier erzähle. Sie alle stammten aus Belgrad. Die Stadt wurde zur damaligen Zeit boykottiert. Die «Jungs» saßen in einer Siedlung im Stadtteil Zemun und schlugen die Zeit mit Fernsehen tot. Dort wurde ihnen gezeigt, wie erfolgreiche Menschen leben. Schnelle große Autos, leichtbekleidete Frauen, Schmuck, Geld, Kreditkarten, all die für sie unerreichbaren Statussymbole wurden ihnen jeden Tag wie die berühmte Möhre vor die Nase gehalten.

Die Straßen und die Politik waren fest in der Hand der Gangster. Der stärkste, brutalste und skrupelloseste hatte die Macht, bis ein anderer ihn über den Haufen knallte. Aber immerhin gab es einen Weg des Entkommens. Auch wenn er sehr gefährlich war. Überall hörten sie von den internationalen Verbrechern, die außerhalb Serbiens ihr Glück machten. Spieler, Drogenhändler, Taschendiebe und Einbrecher.

Zoran R. setzte sich eines Tages in den Zug und wollte dieses Leben führen. In Berlin spazierte er in ein Lokal, von dem er wusste, dass sich dort Serben trafen, die bereits wussten, wie es geht. Ich las von ihm erstmals, als er mit einer Schussverletzung im Unterleib ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Nicht klassisch mit der Feuerwehr, sondern mit einer Taxe, in die sie ihn blutend gesetzt hatten. Trotz allem Zuredens, machte er keine Aussage. Zu dieser Zeit war er bereits mehrfach bei Einbrüchen in Einfamilienhäuser festgenommen worden. Aus seiner Akte erfuhr ich, dass er einen engen Freund hatte, der ebenfalls aus der Siedlung in der Heimat stammte. Jovica S. träumte denselben Traum. Nach und nach, fand ich eine ganze Gruppe junger Männer, aus dieser Gegend, im gleichen Alter und mit demselben Beruf: Einbrecher! Aber mit Jovica S. schien Zoran R. mehr zu verbinden. Ich musste ihn ziehen lassen. Immerhin war er vordergründig das Opfer.

Die beiden und ihre Freunde tauchten immer wieder auf. Unterstützt wurden sie von allen nur möglichen Landsleuten. Ältere Bauunternehmer nahmen ihr erbeutetes Geld entgegen und überwiesen es über ihre Konten an die Familien oder Sparkonten. Manche gaben ihnen konspirative Wohnungen. Andere wiederum nahmen ihnen den Schmuck und die Kreditkarten ab, die sie nächtens aus den Häusern ihrer schlafenden Opfer heraus holten. Manchmal erbeuteten sie auch teure Autos, die sie an Albaner weiter gaben. Wurden sie erwischt, bekamen sie Jugendstrafen und landeten in der JVA Plötzensee. Dort bekamen sie die Gelegenheit, sich mit einer Sozialbetreuerin zu unterhalten. Eine engagierte Serbin, die mit einem Stadtrat verheiratet war. Passte die nicht auf, und das tat sie häufig, schmiedeten die Jungs neue Pläne.

Eines Tages tauchte ein weiterer engerer Kumpan der beiden auf. Zoran E. liebte Cabriolets. Zu dritt fuhren sie mit einem durch die Stadt und posierten vor den Frauen. Andere begannen über die drei zu reden. Dabei verrieten sie auch, was Zoran R. widerfahren war. Er hatte sich eine schusssichere Weste besorgt. Mit dieser prahlte er und schoß aus nächster Nähe auf sich selbst. Dabei berücksichtigte er nicht, dass sich dabei die Weste nach oben schob und den Unterleib frei gab.

Hunderte Einbrüche trugen die Handschrift der drei «Internationalen Einbrecher», wie sie sich selbst bezeichneten. Als einer aus ihrem Kreis erschossen wurde, fanden sie sich alle auf einem Gruppenfoto zusammen, dass der italienischen Mafia ebenbürtig war. Bei einer Gerichtsverhandlung legte ich so viele ihrer Einbrüche vor, dass der Rechtsanwalt S. empört sagte: «Wollen sie meinen Mandanten alle Einbrüche dieser Stadt vorwerfen?».

Gangster sein ist gefährlich

Sie konnten es nicht lassen. Zoran R. wurde dreist. Im Suff versuchte er in einer anderen Stadt in eine Bank einzubrechen. Es ging schief und er landete in Untersuchungshaft. Seine Freunde sammelten Geld und verdienten welches dazu, in dem sie den anderen serbischen Einbrechern in der anderen Stadt ihre besonderen Techniken bei brachten. Irgendwie schaffte es der Rechtsanwalt, Zoran R. wieder frei zu bekommen. Dann machten sie einen Fehler. Sie erweiterten ihren Aktionsradius auf das Bundesland Bayern. Der Richter dort, ließ nicht mit sich reden. «Über 150 Einbrüche verlangen eine Hintergrundstruktur … 6 Jahre ohne Bewährung.»
Wieder auf freien Fuß versuchten sie, wieder ins Geschäft einzusteigen. Etwas muss schief gegangen sein. Zoran R., der niemals Heroin genommen hatte, wurde mit einer Überdosis in einer Wohnung gefunden. Sein Freund Jovica S. tauchte mit einer seiner vielen Identitäten unter und Zoran E. verschwand ins Ausland. Der Rest ihrer Leute macht bis heute fleißig weiter.

Ich kümmerte mich nicht mehr darum. Vergessen hatte ich sie nie. Da fragte mich ein Schweizer Ermittler, ob ich aus meiner alten Zeit einen Einbrecher kennen würde, der während die anderen einstiegen, mit einem Cabrio in der Gegend patrouillierte. Zoran E. hatte sich mittlerweile ein Porsche zugelegt. Die Geschäfte mussten gut gegangen sein. Für mich war das ein Anlass, mal wieder ein wenig zu recherchieren, was aus all ihnen geworden war. Nichts hat sich geändert. Vielleicht doch! Niemand redet mehr über sie. Sie sind etwas ruhiger und leiser geworden.

Internationale Kriminelle … vs. Deutschland … ein Dilemma

Alle reden und diskutieren über die Organisierte Kriminalität. Kriminologen versuchen, Definitionen zu finden. Dezentralisierte Bandenstrukturen hören sich besser an, denn dieses böse Wort. OK – klingt nach Mafia, Camorra oder `Ndrangheta. Ständig wird nach einer Hierarchie gesucht.

Ein Bekannter der drei Kumpane sagte mal zu mir: «Ihr Deutschen sucht immer einen Führer. Bei uns herrscht immer der gerade Stärkste. Und der kann Übermorgen tot in der Ecke liegen.»

Nemanja S.

Ich habe sie nicht nur als Gangster kennengelernt, sondern auch ein wenig die menschlichen Hintergründe. Sie wollten das haben, was alle anderen auch haben, aber es gab keine legalen Chancen dafür. Also fanden sie einen anderen Weg. Dies passiert jeden Tag, in Bukarest, Warschau, Moskau, Belgrad usw.. Um so größer die sozialen Abstände werden, je härter werden diese Typen.

Wir hängen in einem Dilemma. Die Sozialisation findet nicht in Deutschland statt. Keine Strafe hält sie von ihrem Treiben ab. Wir können Gefängnisse schlecht in unterschiedliche Kategorien unterteilen. 50 Mann Zellen für die Russen, 20 Mann Zellen ohne Betten für die Serben, Sammelareale für Asiaten … das funktioniert nicht. Man müsste den Menschen soziale Aufstiegsmöglichkeiten im eigenen Land geben. Auch das ist eine irreale Option. Eine Abschottung Deutschlands ist nicht möglich, die finden immer einen Weg und außerdem würde alles noch viel schlimmer werden.

Unterstützt wird dies alles von Politikern und Strategen, die sich niemals mit einem dieser Typen auseinandergesetzt haben und ihre Antriebe, Psyche und Sozialisation kennen. Uns bleibt, bei unveränderten sozialen Gefälle zwischen den Gesellschaften, nur ein ewiger Kampf. Wir rollen den Felsbrocken ein paar Meter nach oben und dann rollt er wieder herunter. Zahlen werden interpretiert, verfälscht, Erfolge werden vermeldet, die keine sind, es wird verdrängt und unter den Teppich gekehrt. Mal sind es die russischen Banden, dann die Vietnamesen, ein anderes Mal werden einige Italiener gesichtet und aktuell sind die Clans in der Mode. Und wenn es zu langweilig wird, wird ein Terroranschlag analysiert.

Der Untersuchungsausschuss – wir stellen uns in einen Kreis ….

Und was macht die Politik? Wir bilden einen Kreis, fassen uns alle an den Schultern und nennen es Untersuchungsausschuss. Wer nur ein wenig Insiderwissen besitzt und wenigstens die Grundzüge des Aufbaus der Polizei kennt, erkennt schnell die Ahnungslosigkeit und den dort betriebenen Alibismus. Der neueste Unsinn ist die Behauptung, die Polizei hätte sich mehr auf ein besetztes Haus, denn auf einen «Top» Terroristen und Tob – Gangster Anis AMRI konzentriert.

Selbstverständlich hat die Kriminalpolizei nur diese beiden Probleme gehabt. Russen, Serben, Vietnamesen, Italiener, fremde Nachrichtendienste, bewaffnete Räuber, richtige Dealer (nicht «Körperschmuggler», wie ein Amri), Clans, Vergewaltiger, Feuerteufel und was sich sonst noch in der Stadt herumtreibt, spielen keine Rolle. Dunkle Mächte hatten in Berlin die gesamte Polizei inklusive aller Spezialisten für Observationen auf ein besetztes Haus angesetzt. Diese Gestalten im Hintergrund sorgten auch dafür, dass alle anderen der knapp über 100 angesiedelten islamistischen Gefährder, vollkommen außer Acht gelassen wurden. Wer will in dieser Stadt, mit Leuten, die so denken und argumentieren auch nur einen ganz kleinen Stein einige Meter den Berg hoch rollen?

In meiner Fantasie gibt es irgendwo in Berlin ein Lokal, in dem sich die alten Kumpane von meinem Trio, zusammen mit den Russen, Albanern, Italienern, einigen deutschen Geldwäschern und Räubern, ein paar Zuhälter aller Nationalitäten, jeden Tag die Schampusflaschen schmecken lassen. Was Besseres, als ein AMRI und die deutschen Antworten darauf, konnte denen nicht passieren.

Die Mutter von AMRI bedankte sich bei ihrem Sohn, dass er ihr in mehreren Raten die gewaltige Summe von 1500 EUR überwiesen hatte. Ein mit Koks, XTC, Haschisch, Pillen dealender Marokkaner mit bescheidenen Lebensstil kann gerade Mal in Raten 1500 EUR an Mama überweisen?

Quelle: https://www.bundestag.de/presse/hib/2018_06/562330-562330

Den Betrag hatte mein Trio in einer Nacht zusammen. Irgendwo an der Adria Küste stehen einige Häuser, die sich ihre Kumpels erarbeiteten und sich dort zur Ruhe setzten. Ihre albanischen Fahrzeugabnehmer haben sich vornehmlich in Decin, Usty und Teplice Villen gebaut. Und mit – eintausendfünhundert- EUR wird AMRI in einem U – Ausschuss zum Top Dealer, der im großen Stil dealte? Ui, Ui, Ui …

Wir bräuchten diverse Ausschüsse, wenn einer auf die Idee kommen sollte, auf solche Hansel das Schwergewicht der Spezialeinheiten zu bündeln.

Aber darum geht es der Politik vermutlich auch gar nicht. Sie wollen sich für den nächsten Wahlkampf gegenseitig die Beine dick hauen. Anders lässt sich das alles nicht begreifen. Ach ja … was wurde aus E. in der Schweiz? Soviel ich weiß, hat er eine zweistellige Haftstrafe bekommen. Aber so wie ich ihn kenne, hat mittlerweile genug gespart , um sich danach ein gutes Leben leisten zu können. Vielleicht erzählt er den Jungen Nachkömmlingen in Zemun seine Geschichte. Dann werden sie eines Tages nach Berlin kommen.

Was soll ihnen passieren? Gemäß Untersuchungsausschuss stehen ja alle Ermittler vor einem besetzten Haus herum, oder kümmern sich um Top – Verbrecher mit terroristischen Ambitionen, wie den ehemals erfolgreichen Dealer AMRI.