Es mag um die 25 Jahre her sein, da sah ich im Fernsehen eine Dokumentation der BBC über indische Schlangenbeschwörer. Der Reporter besuchte eine Familie, in der seit hunderten Jahren Kobras beschwört werden. Vor seinem Haus saß ein hagerer Inder mit Turban und im Mund hatte er vielleicht noch zwei oder drei Zähne. Hinter ihm standen große Körbe, in denen sich die Schlangen befanden. Zwischen ihnen spielten Kinder, von denen das älteste gerade mal etwas über sechs Jahre war.
Der Reporter fragte den Mann, ob den Schlangen die Giftzähne herausgebrochen worden seien oder ihnen das Maul zugenäht wurde. Wortlos griff der Mann aus einem der Körbe zwei Kaninchen und warf sie in einen mit einer Kobra. Sie biss zu und begann das Beutetier zu fressen. Danach griffen die Kinder in die Körbe und holten geschickt Schlangen heraus, die sie dem Kamerateam präsentierten. Ein wenig irritiert fragte der Reporter, ob der Mann keine Angst um seine Kinder hätte. Der schaute in deren Richtung und meinte: “Heute ist nicht der Tag der Kobra.”
Die Antwort befriedigte den Reporter nicht, deshalb fragte er: “Woran er denn den Tag der Kobra erkenne?” Seelenruhig antwortete der Schlangenbeschwörer: “Ich werde es wissen.”
Die Lebenseinstellung des Inders begleitet mich seit diesem Tag. Besonders während der Pandemie erinnere mich häufig. Der Mensch ist vermutlich die einzige Spezies auf der Erde, die zu einer Sorge fähig ist. Wir nehmen an, dass theoretisch in der Zukunft etwas passieren kann. Es ist nicht sicher, aber immerhin kann es dazu kommen. Dumm, wenn wir uns bis zum Lebensende um etwas Sorgen, was niemals eintrat. Wie viel unbeschwerter wäre das Leben gewesen? Mit der Schuld verhält es sich gleichermaßen. Kein anderes Tier kennt so etwas wie eine Schuld. Nur das Großhirn des Menschen konnte sie entwickeln. Das Gegenteil von sich nicht schuldig fühlen ist nicht die Verantwortungslosigkeit. Verantwortung bedeutet, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten mein Handeln auf die möglichen Folgen prüfe. Kommt es dennoch zu einem Schadensereignis, wie auch immer es aussehen mag, fällt es unter die Kategorie Lebensereignisse, die schlicht geschehen, wenn man lebt und nicht ausschließlich funktioniert.
Schuld ist im Christentum entstanden. Es gibt ein unerreichbares Idealbild des Menschen und wer dem nicht entspricht, ist schuldig. Also alle Menschen! Jeden Tag entschuldigen sich in unserem Umfeld Menschen, fühlen sich schuldig, und sorgen sich je nach Ausrichtung um alles Erdenkliche. Eine ziemlich traurige Kultur. Unter der Voraussetzung des eigenverantwortlichen Handelns muss sich niemand schuldig fühlen, wenn sie oder er Träger des Virus wurde und eine/n anderen ansteckt. Das passiert und lässt sich nicht verhindern. Pandemien waren immer Begleiter der Evolution, daran werden wir nichts ändern. Man kann die Frage aufwerfen, ob Zoonosen eine Folge der Lebensart der Spezies Mensch sind. Glaubt man Wissenschaftlern, ist es an dem und wir werden weiterhin diesen Preis zahlen müssen, so wie andere Rechnung innerhalb der kommenden 30 Jahre präsentiert werden. Wenn jemand in diesem ganzen Spiel schuldhaft gehandelt hat, dann ist es die gesamte Menschheit der vergangenen 100 Jahre.
Ich sorge mich nicht. Wenn ich ihn mir einfange, werden wir miteinander ringen. Und sollte das kleine miese Biest gewinnen, gut, dann soll es so sein. Bisher habe ich nicht das Gefühl, dass es der Tag des Virus ist. Und wenn er es ist, werde ich es merken.
Seit meiner Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn plante ich ein Buch zu schreiben. Tatsächlich kamen zwei Skripte zusammen. Beide verwarf ich wieder. Ich traf mich mit Autoren, die erfolgreich Bücher veröffentlichten. Sie rieten mir, mich an Büchern im Handel zu orientieren. Es gab auch Aufforderungen meine Vergangenheit zu benutzen. Terror, Verdeckte Ermittlungen, Spezialeinheit, dies wäre doch interessant. Im ehemaligen Umfeld hofften einige auf den “Round-a-House-Kick” durch die Behörde. Ich habe über mich gelernt, dass das nicht mein Ding ist. Kritik, durchaus, aber nicht im Sinne eines sinnlosen Wütens.
Die Sparte Fiktion, Romane, liegt mir nicht. Genauso wenig, wie die Abteilung Humor. Jedenfalls noch nicht. Ich wurde auch gefragt, ob ich mir vorstellen könne, meine Erfahrungen rund um die Themen Burnout, Depressionen, die Rolle von Führungskräften mit meinen anderen Skills zu verbinden. Dazu kann ich sagen, dass ich eben aus diesem Grunde die Finger davon lasse andere in ihrer Lebensführung zu beraten. Es ist grundfalsch seine Erfahrungen auf jemanden zu übertragen. Es gibt einen möglichen Weg hinaus. Er sieht ein wenig aus, wie einer dieser alten Fitnesspfade durch den Wald, wo man an mehreren Stationen Übungen machen muss. Nur das dieser Weg Stationen hat, wo es Informationstafeln gibt, Passanten auf Bänken sitzen, mit denen Gespräche möglich sind und andere Stopps, an denen einem Frage gestellt werden. Dann folgen längere Strecken, auf denen Gelegenheit besteht, sich diese Fragen zu beantworten.
Ich selbst hab am meisten durch das Beobachten von Menschen gelernt. Eine wesentliche Erkenntnis. Nach dem Ausscheiden aus der Polizei war für mich zunächst alles Vergangene ein Tabu – Thema. Bis ich mich darauf besann, zwischen durchaus gutem Erlernten und fehlgeleiteten Denken zu unterscheiden. Über 20 Jahre lang Menschen in allen erdenklichen Lebenslagen zu beobachten, unsichtbar zu werden, sich anzupassen, legt man nicht wie eine alte Jacke ab. Fraglich ist, was man aus dem Gesehenen macht.
Bis zum Ausbruch der Pandemie bin ich gereist. Ich traf Leute aus Ländern von anderen Kontinenten, erfuhr von Biografien und Lebensmodellen, die mir bisher fremd waren, erkannte Unterschiede und machte mir meine Gedanken hierzu. Oder um im Bild zu bleiben: Ich absolvierte eine Station nach der anderen. Mehr Worte will ich dazu gar nicht verlieren. Das “Web – Book” hat ein Vorwort, in dem ich noch einiges hierzu voranschicke.
Die Bezeichnung Web – Book ist eine Eigenkreation, die sich in einem Gespräch in einem Hostel ergab. Ich sinnierte mit einigen darüber, wie sich das Lesen von Büchern verändert hat. Die meisten Hostels verfügen über eine kleine Bibliothek. Kaum ein Backpacker oder Reisender packt sich schwere Bücher ins Gepäck. Eine andere Option sind E-Books. Doch wenn ein Autor schon die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzt, warum dann nicht konsequent? Die Zeiten der begrenzten Netzabdeckung und horrenden Kosten für einen mobilen Datentransfer sind außerhalb von Deutschland vorbei. Ein BLOG oder ein Web – Book, in dem eine fortlaufende Geschichte, interaktiv und dynamisch, mit Einbettung von Musik, Bildern, Links, Tweets und vieles mehr, erzählt werden kann, erscheint mir eine logische Entwicklung.
Bei Twitter verfolge ich in letzter Zeit einen ermutigenden Trend. Menschen outen sich und sprechen offen über das Thema Depressionen. Neben ADS/ADHS, Hochsensibilität und einigen sexuellen Ausrichtungen eine der für mich am schwerst zu begreifenden Erscheinungsformen der menschlichen Psyche. Es gab sie schon immer, doch gerade innerhalb unserer Vorstellungen eines zur Gesellschaft konformen Lebens, wurden sie und der offene Umgang damit stets tabuisiert. Besonders mit der Einsortierung als Krankheit tue ich mich schwer. Wobei dies stark davon abhängt, wie man Krankheit definiert.
Wichtig!
Ich betone an dieser Stelle, dass ich weder ein Profi, noch ein Coach bin. Sollte jemand im folgenden Text etwas entdecken, womit sie oder er sich identifizieren kann, rate ich dazu, sich einen professionellen Rat bei einem FACHARZT einzuholen. LEBENSBERATER, HOMÖOPATHEN mit PSYCHOLOGISCHER BERATUNG o.ä. Personen sind keineRatgeber und machen unter Umständen alles noch schlimmer. Der Begriff Berater ist nicht geschützt und jeder Quacksalber kann sich ein Schild erstellen lassen.
Ich veröffentliche diesen Text als Botschaft für Betroffene: Du bist nicht allein! Du bist nicht falsch! Du hast nichts falsch gemacht!
Depression hat im Deutschen die äußerst missliche Konnotation mit unglücklich sein. Damit hat es wahrlich wenig zu tun. Die allgemeinen Beschreibungen machen es nicht besser. Ich würde Depressionen am ehesten mit: “Jemand hat den Stecker herausgezogen” umschreiben. Du weißt, dass Du dieses oder jenes tun solltest, aber irgendeine innere Instanz, die den notwendigen Impuls auslösen sollte, funktioniert einfach nicht. In unser Gesellschaft liegt der Schwerpunkt bei Aufgabenerfüllung, Leistung, Pflichterfüllung, Ordnung, Arbeit, Produktivität und ähnlichen Aspekten. Wer dies nicht tut, hat nach allgemeiner Vorstellung nicht gelernt, seinen inneren Schweinehund zu überwinden oder ist schlicht faul. Depressionen ereilen aber häufig genau die Menschen, die über Jahre hinweg äußerst diszipliniert, strebsam und leistungsorientiert lebten. Bis zu dem Augenblick, an dem ein Schalter umgelegt wurde. Ein alter Schulfreund meinte letztens: “Dann sitzt Du vor dem Bildschirm und plötzlich weißt Du nicht mehr, wie Du weiter machen sollst. Es fehlt einfach an allem. Aufstehen? Sitzen bleiben? Du schaust auf die Zahlen, Tabellen, den Text, und erkennst davon einfach nichts mehr, noch weniger kannst Du etwas damit anfangen.
Depressionen sind die direkte Fahrkarte in einen Teufelskreis. Der Betroffene rafft sich mühsam auf, mit äußerster Konzentration einige Formulare einer Versicherung, eines Bankinstituts oder einer Behörde auszufüllen, und bekommt diese prompt mit dem Hinweis auf eine schwachsinnige Formalität zurückgesandt. Einmal, zweimal, und eines Tages öffnet sie oder er die Post nicht mehr, was weitere Konsequenzen nach sich zieht. Innerhalb unseres Systems ein schwerer Fehler, der u.a. in Obdachlosigkeit, unverschuldete Finanznöte und ähnliche persönliche Katastrophen führen kann. Obwohl nahezu jeder weiß, dass unser Lebensalltag wenig mit dem zu tun hat, wofür der Mensch konstruiert wurde, akzeptieren wir nicht die Kapitulation der inneren Systeme. Der Mensch hat in unserer Gesellschaft die Option, sich quasi selbst reduzierend dem Leben anzupassen und das Inhumane still leidend, als unveränderbare Lebensrealität hinzunehmen oder sich innerlich daran zu reiben. Bereits der morgendliche Berufsverkehr hat nichts mit dem zu tun, wofür der Mensch evolutionär prädisponiert ist. Noch weniger hat die Distanz zwischen dem Hergestellten und der eigenen Leistung eine Verbindung zu unserer Natur. So engagiert sich der Einzelne bemüht, gegen seine menschliche Natur anzukommen, am Ende wird er irgendwie scheitern. Die Strategien sind mannigfaltig. Medikamente, Substanzmissbrauch, Verblödung über Konsum, Ablenkung in Fitnessstudios, Körpermodifikationen, Hingabe in die Verblödung, Religiöser Fanatismus, Ausleben von Aggressionen, Rückzug, Frustration oder eben die Depression.
Insofern habe ich ein Problem mit der Bezeichnung Krankheit. Ich selbst ersehe Depressionen als einen natürlichen vorgesehenen Abwehrmechanismus, wie den Fluchtreiz oder das Fieber zur Abwehr einer schädlichen Infektion. Grundsätzlich habe ich einen gesunden Menschen vor mir, wenn er wenigstens noch dazu in der Lage ist, mit Depressionen zu reagieren. Bei diesen Menschen hat das Abriegeln des Geistes noch funktioniert. Auf jeden Fall ist für mich richtungsweisend, dass die Depression eine Reaktion auf etwas ist. Wenn ich auf etwas reagiere, kann ich auf Spurensuche gehen, worauf sich die Reaktion bezieht! Das ist wichtig. Gegen die Depression an sich, hilft dies nicht, aber es eröffnet einen Lebensweg, der die bedingenden Einflüsse reduziert oder völlig in die Vergangenheit verweist. Ohne Hilfe ist dieser Weg nicht zu finden. Aus dem gleichen Grund, wie der Dumme nicht erkennen kann, einer zu sein. Ich glaube, einer der entscheidendsten Grundsätze ist das Erkennen der Reaktion, somit der eigenen Verhaltensmuster, auf die Umwelt. Die Realität ist, wie sie ist. Die Welt ist das Abbild, was der Mensch in seinem Kopf aus einer selektiven Wahrnehmung heraus, in seinem Geist erzeugt. Nicht die anderen, machen etwas mit einem, sondern man selbst lässt es zu! Wer Depressionen hat, fehlt die Kraft und die notwendige Struktur, die Verhaltensmuster und das daraus resultierende Umfeld zu analysieren. Ein zentraler Faktor ist die Tatsache, dass sich die überwiegende Zahl der Menschen in einem beruflichen Umfeld befinden, welches sich schwer verändern oder gar wechseln lässt. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Aber es sollte eins sein. Die gesellschaftlichen Vorgaben erfordern eine Normierung des Menschen. Anders lassen sich diverse Arbeitsprozesse nicht regeln. Und jeder wird für sich alleine entscheiden müssen, wie gut oder schlecht er damit klarkommt.
/dass einem Arbeitnehmer je 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden zusteht /nach sechs Stunden eine Pause gewährt werden muss /je Siebentageszeitraum ein freier Tag (genau 24 Stunden) vorgesehen ist /die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschritten wird /ein bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen gewährt wird
An der Stelle beginnt das medizinische Personal eines Krankenhauses, die Belegschaft einer Pflegeeinrichtung, ein Polizist, Soldat im Einsatz oder auch Feuerwehrbediensteter lauthals zu lachen. Schlicht, weil es mal wieder Ausnahmeregelungen gibt:
/Arbeitnehmer, die in Verkehrsmitteln tätig sind oder auf Offshore-Anlagen arbeiten /Wach- und Schließdienste, bei denen es darum geht, den Schutz von Sachen oder Personen zu gewährleisten /Tätigkeiten, die nicht aufgeschoben werden können, z. B. Pflegedienste von Krankenhäusern, landwirtschaftliche Tätigkeiten oder Presse- und Informationsdienste /Arbeitnehmer bei vorhersehbarem übermäßigem Arbeitsanfalls, insbesondere in der Landwirtschaft, im Fremdenverkehr oder im Postdienst, sowie bei der Eisenbahn /und nicht explizit aufgeführt: Alles, was irgendwie mit der Sicherheit und Bestand des Staats zu tun hat.
Zur Physiologie unpassende Arbeitszeiten, Schichtdienst, Druck, unsinnige Hektik, Stressfaktoren u.s.w.., sind in diversen Berufen fester Bestandteil des Arbeitsgeschehens. Doch egal wie es gedreht wird, der Mensch ist auf Dauer dafür nicht geeignet. Genau so wenig, wie er nicht für den Untertagebau, die Arbeit in biologisch -, chemisch -, strahlungsbelasteten Bereichen, das Fließband, usw. geeignet ist. Wir gehen ein Deal ein. Geld gegen Gesundheit! Oftmals wird der Fehler begangen, den Organismus anders zu betrachten, als den Geist. Das eine Strahleneinwirkung, übermäßiges schweres körperliches Arbeiten oder eine Luftverschmutzung auf längere Zeit nicht gut sein kann, sieht jeder ein. Die schädliche Wirkung von stupider eintöniger Arbeit, des Gegenteils, die permanente geistige Höchstleistung, soziale Anfeindungen, Ohnmacht in Hierarchien, die Förderung von dissozialen Persönlichkeitsstrukturen, als optimale Eliteeigenschaft, auf den Geist wird vernachlässigt bzw. gar nicht erst gesehen. Die Einheit zwischen Körper und Geist, die sich jeweils gegenseitig bedingen, wird ignoriert.
Dabei ist in der Medizin längst bekannt, dass der Körper jedes psychologisch relevante Ereignis quasi speichert. Ebenso sind die neurologischen Auswirkungen im Gehirn bekannt. Die Schaltzentrale Gehirn wird schlicht und ergreifend über Jahre hinweg falsch verkabelt, bis nichts mehr geht. Neurologen können diese Fehlschaltungen heutzutage mittels Gehirnscans nachweisen. Die Depression ist eben nicht eine mittels Veränderung des Denkens oder Lebenseinstellung veränderbare Reaktion des Organismus, sondern ein erreichter manifestierter Zustand. Niemand kommt bei einem Knochenbruch auf die Idee, dem Verletzten eine andere Sichtweise vorzuschlagen. Selbstverständlich kann auf die Spurensuche gegangen werden, wie es zum Bruch kam. Bei Glatteis mit dem Fahrrad zu fahren ist in der Regel keine gute Idee und man sollte es künftig unterlassen, aber erst einmal muss gerichtet und geschient werden. Niemand kann erwarten, dass der Verletzte ohne Behandlung nach drei Tagen Entspannung wieder zur Arbeit kommt. Würde die berühmt berüchtigte Marktwirtschaft funktionieren, wäre dies der Augenblick den Taschenrechner anzuschalten. Wenn ich ein Arbeitsumfeld gestalte, welches Depressionen begünstigt, fällt der Beschäftigte über eine lange Zeit aus und verursacht überall Kosten: Im Betrieb, im Gesundheitssystem, in der Gesellschaft allgemein. Seltsamerweise reagiert da in diversen Arbeitsbereichen niemand. Genau genommen, müsste der Ansatz schon viel früher beginnen. Nämlich bei der Wertevermittlung in der Schule. Dort könnte den zukünftigen Arbeitnehmern und Dienstleistern ein gesundes Verhältnis zwischen Konsumbedürfnis, Leistungsanspruch, Selbstdisziplin, gesunder und notwendiger Egoismus, Sozialverhalten und ein Verständnis für den ursprünglichen Sinn von Arbeit vermittelt werden.
Arbeit ist an sich nichts Negatives, sondern der natürliche Schaffungstrieb eines Menschen, mit dem er zum einen sein Lebensumfeld gestaltet und zum anderen die Voraussetzungen für ein Überleben erzeugt. Essen, Trinken, sichere Unterkunft, Befriedigung des Sexualtriebs und die Anerkennung der eigenen Existenz durch andere Menschen. Die modernen Arbeitsverhältnisse lassen oftmals weder eine Gestaltung, noch eine Einsicht in das Erschaffene zu. Von einer Befriedigung der Bedürfnisse kann gar nicht die Rede sein, da rund um die Uhr von fremder Seite her, neue erzeugt werden. In dieses System passt ein nicht mehr wie vorgesehen funktionierender Mensch schwerlich hinein. Es ist üblich, unproduktive Menschen mit negativen Begriffen zu belegen, sie zu diffamieren oder auszugrenzen. Entweder unmittelbar oder auf dem Umweg der Negierung. Seitens Politiker wird gern der Begriff Leistungsträger verwendet. So einer zu werden, soll erstrebenswert sein und ist förderungswürdig. Damit ist jeder, der kein Leistungsträger ist, minderwertig und eben nicht einer Unterstützung würdig. In den USA wird bei Prozessen, in denen es um tödliche Unfälle geht, eiskalt der Wert eines Menschen berechnet. Zur Ermittlung der Entschädigungssumme für die Angehörigen wird der Jahresverdienst mit der durchschnittlich zu erwartenden Lebensleistungszeit multipliziert. Kinder, Gebrechliche und Rentenbezieher sind quasi wertlos. Viel anderes sieht es bei uns auch nicht aus. Ein in einem Heim untergebrachter Pflegebedürftiger hat den Status eines biologischen Restkapitals, mit dem die Einrichtung einen Profit erzeugen kann. Ansonsten ist sie oder er volkswirtschaftlich eine Nullnummer und wird so auch behandelt.
Damit bekommt die Depression den Schamwert einer Geschlechtskrankheit. Gerade ehemalige so genannte Leistungsträger, die unter Umständen zeitweilig selbst mit dem Finger auf andere zeigten, finden sich in einer Misere wieder. Innerhalb des Systems ist totstellen oder der Rückzug nicht vorgesehen. Das Finanzamt will Auskünfte haben. Die Krankenkasse schickt Formulare zum Ausfüllen. Die Banken haben Fragen. Die GEZ fordert eine Selbstauskunft ein. Zwischen all den Briefen befinden sich zusätzlich Werbung, sinnbefreite Konsumentenangebote, Mitteilungen über Kostenanpassungen und vieles mehr. Wer sich in einer Depression befindet, bekommt diese Dinge kaum oder gar nicht geregelt. Möglicherweise reicht es gerade mal noch für ein Schleppen an den Arbeitsplatz und zurück. Wer Scham empfindet, wird erfinderisch und ist über lange Zeit dazu in der Lage, die Unfähigkeit einen Handlungsimpuls zu entwickeln, zu kaschieren. Paradox ist dabei, dass es dabei sogar zu erheblichen Mehrleistungen im Arbeitsbereich kommen kann. Dort werden einem die Entscheidungen abgenommen oder passende Vorgaben gemacht. Der gefährliche Ort ist das zu Hause. Dort, wo der Betroffene Eigeninitiative aufbringen muss. Hier ist der Zwinger für den bösen schwarzen Hund – wie ihn einst Winston Churchill umschrieb.
Fakt ist: Manch einer bekommt Depressionen und andere nicht. Das von mir hier im BLOG bereits mehrfach angesprochene BURNOUT ist grundsätzlich eine Depression. Manche Zeitgenossen haben den Bogen raus, um mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten oder den beruflichen Anforderungen gut umzugehen. Dazu gehört zum Beispiel die Entwicklung eines EGOISMUS. Auch ein Begriff, der vorsätzlich traditionell mit einem negativen Beigeschmack versehen ist. Egoismus wird mit asozial gleichgesetzt. Eine grundsätzlich falsche Annahme. Es geht um das Recht, die eigenen Bedürfnisse und Angelegenheiten für wichtiger zu erachten, als die eines Fremden. Das schließt Handlungen zur Befriedigung der sozialen Bedürfnisse nicht aus, eröffnet aber das Bewahren eigener Rechte, die einem ein anderer nehmen will. Egoismus verträgt sich nicht gut mit dem Anspruch von Firmen, Politik, Institutionen, Religionsgemeinschaften, die eigene Person einem übergeordneten Prinzip unterzuordnen.
Gleichsam gehört dazu die Fähigkeiten des Ablehnens, des Nein – Sagen, der Verweigerung, das Voranstellen des eigenen Wohlbefindens gegenüber den Ansprüchen eines Arbeitgebers und das Aushalten von Unterschieden. Hinzu kommt ein gutes Gespür für berechtigte und unberechtigte Ansprüche, die an einen herangetragen werden. Die Depression ist meiner Beobachtung nach allzu häufig eine Art Abwehr eines psychischen Immunsystems gegen Viren, die genau zu dem oben gelisteten gesunden Persönlichkeitsmerkmalen konträre Informationen und Verhaltensmuster auslösen sollen. Wer die anderen Verhaltensmuster in seiner Grundsozialisation nicht erlernt hat oder im Arbeitsleben mit diesen Viren infiziert wurde, fährt praktisch mit einem Reifen ohne Profil bei Glatteis Fahrrad, und handelt sich den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Bein – oder Armbruch ein. In einem idealen Umfeld reagieren Vorgesetzte, Abteilungs – und Gruppenleiter, Verantwortliche für Arbeitsabläufe, politische Vordenker, verantwortungsvoll, und werden den unvernünftigen Ritt auf dem Glatteis nicht zu lassen. Nun, es gibt dieses Ideal nicht. Am Ende läuft es auf eine Selbstverantwortung hinaus.
Sind die Depressionen da, muss man sich auf eine sehr lange Zeit einstellen. Sie sind hinterhältig und lästig. Aus dem Nichts heraus springen sie einen an, verschwinden eine Zeit lang und kommen dann mal wieder zum “Hallo” sagen vorbei. Ich empfinde sie immer, wie eine Dauerunterzuckerung, die man zunächst selbst gar nicht merkt. Die Nerven liegen blank, die Gelassenheit schwindet, ich beginne anderen gegenüber ungerecht zu werden, alles geht schief und am Ende bekomme ich nichts mehr auf die Reihe, wenn doch, dann mit einem erheblichen von der Ratio gesteuerten Aufwand. Irgendwann ist alles egal und soll doch verdammt nochmal passieren – ich werde es nicht ändern – sollen doch alle machen, was sie wollen. Das Leben, der Tagesablauf, entzieht sich meiner Kontrolle. Manchmal denke ich mir, dass sich Frauen einmal im Monat so fühlen. Dumm ist nur, dass sich eine Depression locker einen Monat und länger festsetzen kann. Dann ist eine kritische Phase erreicht. Zwischendurch hat diesen Zustand jeder, aber die Länge und Intensität ist das Problem.
Wie eingangs erwähnt: Wer sich in diesen Ausführungen wieder erkennt, sollte sich meiner Meinung nach nicht schämen, sondern vielleicht sogar ein wenig stolz auf sich sein, dass sie oder er über ein funktionierendes Immunsystem verfügt, während andere nicht einmal mehr merken, was mit ihnen gemacht wird. Möglicherweise ist es eine Phase im Leben, die einem neue Optionen und Wege eröffnet, die man sich hätte niemals Träumen lassen. Es kann ein danach geben, vor allem, wenn man es nicht selbst künstlich verkürzt.
Wer sich beginnt mit der Thematik BURNOUT auseinanderzusetzen und sich dabei im Speziellen mit der Berufsgruppe Polizei auseinandersetzt, findet weder in der Literatur oder im Internet brauchbare Untersuchungen. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Selbstverständlich ist das Thema weder auf diesen Beruf beschränkt, noch lässt sich die deutsche Polizei unmittelbar mit denen im Ausland vergleichen. Nicht einmal die Bedingungen in den unterschiedlichen Bundesländern sind gegenüber zu stellen.
Ich betrachte das Thema als das Zentrum, um das sich diverse Satelliten bewegen. Seitens verschiedener Bundesländer und auch des Bundes wurden Untersuchungen in Auftrag gegeben. Alle Ergebnisse überschneiden sich in einer Aussage: “Ihr habt ein Problem!” Eine weitere besteht darin, dass der Untersuchungsgegenstand “Polizei” nicht funktioniert. Polizei ist ein Sammelbegriff, unter den sich mannigfaltige Berufsgruppen gliedern. Der im Führungsstab beschäftigte Beamte hat ein vollkommen anderes Berufsbild, wie ein Mitglied einer Dienstgruppe auf dem Abschnitt.
Deshalb zäume ich meine Betrachtungen aus einer anderen Richtung auf. Welche Bedingungen begünstigen ein BURNOUT bzw. welche Folgen können sich im Dienst ergeben.
Da wäre zunächst der Schichtdienst. Nahezu jeder Arbeitnehmer kritisiert Arbeitszeiten, die zur Unplanbarkeit des Lebens jenseits des Berufs führen. Umso unzureichender ein Personalansatz zur Bewältigung von Aufgaben ist, desto schwieriger wird die dienstliche Planung und damit auch die des Privatlebens. Die Folgen sind Konflikte in Beziehungen, reduzierter Kontakt zu Kindern und Abbruch von Freund- und Bekanntschaften. Meiner Beobachtung nach, entstehen daraus:
Entstehung eines isolierten Kontaktbereichs, in dem kein frischer Input vordringt. Negativspiralen entstehen und ziehen die Betroffenen herunter. Jeder mit Führungsaufgaben, der bei offenen Fenster die Gespräche der Raucher mithören kann, die sich vor der Eingangstür versammelt haben, kennt diese Spiralen.
Die Einnahme einer Opferrolle. Subjektiv oder objektiv wird das eigene Leben für eine übergeordnete Sache geopfert. Bis zu einem gewissen Grad wird dies hingenommen, insbesondere wenn das Opfer einen persönlichen nachvollziehbaren Sinn ergibt. (Besondere Kriminalitätslagen, Ereignisse pp.) Handelt es sich um Standards, die mittels einer größeren Personalmenge kompensiert werden könnten, kommt Unmut auf. Schuldige werden gesucht. Die finden sich in der Behördenleitung, der Politik und der Behörde an sich. Selten erfolgt eine konkrete persönliche Zuweisung. Die Schuldigen sind abstrakte Wesen. Das liegt an der Ohnmacht. Denn es kann keine konkrete Person angesprochen werden.
Menschliche Probleme, auch die durch den ungeregelten Schichtdienst selbst entstandenen, werden ausschließlich untereinander besprochen, im Privatleben entwickelt sich Einsamkeit.
Eine andere Folge ist das Tunnel- oder Scheuklappendenken, welches auf Neudeutsch mit der Blase vergleichbar ist. Dies bezieht sich auch auf die Strategien des Problem- oder Aufgabenlösungsdenken. Innerhalb des Kollegenkreises bestehen akzeptierte Probleme, Emotionen, Schwierigkeiten und Lebensaufgaben. Im Gegenzuge existieren welche, deren öffentliche Preisgabe, sanktioniert wird. Gleichermaßen sieht es mit den Lösungsstrategien aus.
Hierzu ein Erlebnis aus meiner persönlichen Vergangenheit. Ein Kollege, der bereits mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich hatte, versuchte es nochmals. Er lernte eine Frau kennen, die bereits mehrere Kinder aus früheren Beziehungen hatte. Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation und den Widrigkeiten des Dienstes, engagierte er sich. Er übernahm sogar die Rolle eines Elternvertreters. Die Frau kam mit seinem Dienst nicht klar und suchte sich für die Abwesenheitszeiten einen Ersatz. Er bekam es heraus und brach zusammen. In einem Nachtdienst, traf er auf einen Kollegen, der ihn auf sein trauriges Gesicht ansprach. Der Angesprochene brach hieraufhin in Tränen aus und erzählte seine Geschichte. Der eben noch mitfühlende Kollege beschimpfte ihn danach. “Ich dachte Dir ist etwas Schlimmes passiert. Dabei geht es nur um eine Frau! Geh mal ordentlich einen Trinken und dann ist gut.
Was ist da passiert? Traumata führen zur Abspaltung von Emotionen. Außerdem werden die Grenzen verschoben. Das persönliche Feld um einen herum zieht sich immer enger. Es werden nur noch Ereignisse akzeptiert, die unmittelbar den Kern der Persönlichkeit bishin des nackten Lebens betreffen. Wer ständig vom Elend der Gesellschaft umgeben ist, unzählige Schicksale anderer verfolgt hat, betrachtet die eigenen Belange als niederrangig. “Du hast nicht wirklich Probleme! Ich habe das Sachen gesehen …” Forciert wird dieses von eigenen Erlebnissen, in denen das eigene physikalische Leben konkret bedroht wurde. Was ist da noch eine gescheiterte Beziehung? Oder ein böser Brief von der Bank?
Verdrängen, Alkoholmissbrauch, Flucht in sportliche Aktivitäten, Extremsport, körperliche Modifikationen durch Bodybuilding pp. sind akzeptierte Bewältigungsstrategien. Unter Umständen aber auch der direkte Weg ins BURNOUT. Alle genannten Strategien haben nämlich ihre Grenzen, bzw. können bedingt durch Verletzungen oder Überlastungen unmöglich werden.
Hinter den kalten Zahlen, die fortwährend bezüglich der Defizite im Personal der Berliner Polizei veröffentlicht werden, stehen menschliche Schicksale und weitreichende Auswirkungen, die nicht erörtert werden. Der Bürger trifft unter Umständen auf einen Polizisten, der ein hohes inneres Frustration- und Aggressionslevel besitzt. Dies kann zu nicht vertretbaren Reaktionen führen. Ich will es ganz deutlich ausdrücken. Unter Umständen rennt da draußen einer oder eine mit 16 Schuss Munition in Waffe und Magazin in der Gegend herum, der bis oben hin mit Frust, Wut und Zorn angefüllt ist. Ich bin in diesem BLOG stehts ehrlich. Mir erging es so und ich zog meine Konsequenzen daraus. Meine Zündschnur war extrem kurz geworden. Ich konnte für mich und mein Handeln in Konfrontationen keinerlei Garantie mehr übernehmen.
In Berlin – Neukölln wurde eine uniformierte Streife von Clanmitgliedern bedroht, weil sie es gewagt hatten, zu langsam vor ihnen zu fahren. Es kam zu erheblichen Widerstandshandlungen. Ich fragte mich, wie meine Reaktion ausgesehen hätte. Damals wäre ich ausgestiegen und hätte meine Waffe dem Angreifer an Kopf gehalten, außerdem wäre ich Bereit gewesen abzudrücken. Ich weiß, dass diverse Kandidaten diese Reaktion legitim betrachten. Das ist deren Problem, aber meinem grundsätzlichen Naturell entspricht dieses Verhalten nicht.
Ich gebe zu, dass sich meine Haltung teilweise nicht geändert hat. Im Prinzip bin ich im Verlauf der Jahre zu einer entsicherten Waffe geworden. Doch im Gegensatz zu einigen anderen vertrete ich die Auffassung, dass ich dieses zu meinem persönlichen Way of Live machen kann, im Staatsdienst damit aber keinen Platz mehr habe. Meiner Meinung nach befinden sich viele Polizisten in einem individuellen Kriegszustand. In einem echten Krieg kann sich der Angegriffene in geeigneter Art und Weise verteidigen. Werde ich beschossen, ist es legitim den Gegner final zu bekämpfen. Diesbezüglich erscheint mir auch der Einsatz im Zuge von Interventionen der Bundeswehr oder der Blauhelme skurril. Mir persönlich leuchtet es nicht ein, warum z.B. angreifende Taliban mittels ungezielten Sperrfeuer abgewehrt werden sollen, anstatt gezielt zu schießen.In gesellschaftlich höher angesehenen Berufsgruppen, die mit menschlichen Schicksalen zu tun haben, besteht häufig die Möglichkeit einer Supervision.
Der Polizist bekommt erst Hilfe, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Zum einen ist er nicht mehr in der Lage, das “normale” menschliche Abwehrverhalten zu Gunsten eines professionellen Handelns zu unterdrücken, zum anderen kommt es zu Folgen des dauerhaften Lebens entgegen der menschlichen Natur in Form von seelischen und psychosomatischen Erkrankungen. Begleitet werden sie oftmals von Drogenmissbrauch und desaströsen Lebenswandel.
Eine ähnliche Kausalität zeigt sich bei den belastenden Ereignissen, die nichts mit Angriffen sondern menschlichen Schicksalen zu tun haben. Trotz aller Erkenntnisse der Psychologie werden Berufsanfänger darauf nicht vorbereitet. Unterschiede zwischen Anteilnahme, Mitfühlen, Nachempfinden und professionellen Abstand in Verbindung mit Empathie werden nicht vermittelt. Die durchgehende Strategie lautet: “Pack es weg!” Noch heute raten manche Vorgesetzte nach den ersten Leichen zum “Bewältigungsschnaps”. Eine ernsthafte Auseinandersetzung wird nicht vermittelt.
Das kann in nahezu jeder Form schief gehen. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv. Ich habe in den zurückliegenden Jahren unterschiedlichste Entwicklungen verfolgen können. Vom Suizid bis zu brutalen Schlägereien, in denen ich den ehemals besonnenen Kollegen nicht wieder erkannte. Ich habe diese Verhalten niemals in Frage gestellt, geschweige denn auf Prozesse zurückgeführt, die mich selbst betrafen.
Warum sehe ich es heute anders?
Trotz der zehnjährigen Mitgliedschaft in der Konfliktkommission beim Polizeipräsidenten in Berlin, waren meiner Kenntnisse über die Vielfältigen Erscheinungsformen von Traumatisierungen “böhmische Dörfer”. Auch über Depressionen wusste ich für jemanden der Betroffenen helfen sollte, erschreckend wenig. Als ich beispielsweise etwas darüber las, dass man hellhörig werden sollte, wenn jemand teilnahmslos oder überzogen humoristisch über Lebensereignisse berichtet, die unbedarften Zuhörern einen Schauer über den Rücken jagen, fühlte ich mich, wie vom Blitz getroffen. Im Dienst hieß es dazu immer: “Das darfst Du denen da draußen alles gar nicht erzählen.” Tat man es doch, wurde man auf Partys schnell zum unterhaltsamen Sonderling. Meine Freundin bedankt sich heute noch für das Bild, welches ich in ihrem Kopf erzeugte, als ich von einem Kind erzählte, welches von seiner Mutter auf eine heiße Herdplatte gesetzt wurde. Sie haben es jetzt auch im Kopf. Vielleicht sollten sie an dieser Stelle über ein Weiterlesen in diesem BLOG verzichten.
Bei der Konfliktkommission traf ich auf mehrere Menschen, die seitenweise über ihre Rechnungen schrieben, die sie noch mit der “Behörde” und diversen Vorgesetzten offen hatten. In Ihrem Kopf drehte sich unentwegt ein Kreisel. Das sind Hilferufe! Ihrer Auffassung ist etwas mit ihnen geschehen. Sie sind auf der Suche nach einem Verantwortlichen, der gefälligst Farbe bekennen soll und einer Bestrafung zugeführt gehört. Sie haben sich in die Passivität zurückgezogen und betrachten ihr Leben als ferngesteuert. Die eigenen Anteile, die dazu führten, dass sie diese Fernbedienung in fremde Hände gaben, sind vollkommen aus dem Blickfeld geraten. (Motto des BLOG’s: Ehrlichkeit! Ich habe früher davon auch einige Seiten geschrieben.)
Unwissenheit über die Folgen von Traumatisierungen, die gegenseitige Befeuerung von multipel Traumatisierten, die damit einhergehende subjektive Empfindung der Normalität (Alle anderen sind genauso unterwegs, wie ich!), die mangelnde Intervention bei der Frustration, dass Gefühl der Isolierung, die ständigen nicht ausbleibenden externen Anfeindungen münden in spezielle Voraussetzungen beim Ausbrennen von Polizisten. Letztere sind als Faktor nicht verachten. Zum Beispiel ist die ebenfalls extrem belastete Feuerwehr mit einem weitgehend positiv belegten Image ausgestattet. Welches allerdings einem Ausbrennen nicht im Wege steht. Seit die Jungs angegriffen werden, verändert sich dort die Tonlage massiv.
Was kann man tun?
Zunächst einmal sich an die alten taktischen Grundsätze halten. Reserven bilden und Halten – steht in der Taktischen Fibel der Polizei. Warum nicht auch im eigenen Leben? Prävention, Lagebeurteilung und Erforschen des Umfelds sind ebenfalls gute Ideen. Wenn Freunde oder Lebenspartner feststellen, dass sie sich mit einem nicht mehr unterhalten können, sollte dies ein alarmierendes Zeichen sein. Vor allem, wenn die eigene Antwort lautet: “Du kannst mich nicht verstehen, denn ich lebe in einem vollkommen anderen Umfeld.”
Warum nicht mit einem Spezialisten die liebgewonnenen Verhaltensmuster auf den Prüfstein legen? Was kann schon passieren, wenn man sich mal ungewohnten Gedankengängen hingibt?
Ich wurde kürzlich von einem Vorgesetzten mit Worten aus dem Polizeidienst verabschiedet, die mich nachträglich nochmals beschäftigten. “Ich habe Dich in den Jahren als einen Menschen kennengelernt, der stets quer dachte, was nicht immer ohne Folgen blieb und sich für die Belange des kleinen Beamten einsetzte.” Kleiner Beamter? Ich glaube, er wollte mein soziales Engagement würdigen, gab dabei aber etwas von sich selbst preis. Wie kann es in der Polizei einen kleinen Beamten geben? In der Regel durchlaufen alle eine standardisierte Laufbahn. Der große Unterschied besteht in die Unterteilung mit oder ohne Personalverantwortung. Demnach habe ich mich stets auf die Seite der “Geführten” geschlagen.
In meinem persönlichen Werdegang habe ich nie diesen vermeintlichen Klassenunterschied akzeptiert. Vorgesetzte bei der Polizei habe ich stets als “Steuerungsinstanzen” für die vorhandenen individuellen Kompetenzen der Mitarbeiter angesehen. Die besonderen Eigenschaften eines Vorgesetzten sollten in seiner psychischen Stabilität und der Fähigkeit die eigenen Belange in den Hintergrund zu stellen, um die zugeteilten Mitarbeiter untereinander zu koordinieren und Fehlentwicklungen erkennen zu können. Hierzu gehört auch die Fähigkeit das Ausbrennen eines Mitarbeiters bzw. seine Disposition hierfür zu erkennen. Das dürfte aber nur möglich sein, wenn er selbst frei davon ist oder wenigstens um die eigenen Merkmale weiß.
Ich habe in meinem BLOGmehrfach Rupert Lay erwähnt. In einem seiner Bücher schildert er eine ungünstige Konstellation zwischen einem Mitarbeiter und einem Vorgesetzten. In dieser trifft ein Narzisst auf einen Mitarbeiter mit einer Anerkennungsstörung. Der Narzisst benutzt den Mitarbeiter als Werkzeug. Jener wiederum versuchte mit dauerhafter Mehrleistung, die weit seine Kapazitäten überschritten, niemals stillbares Verlangen nach Anerkennung zu befriedigen. Dies ist lediglich eine vorstellbare Kombination, wenn falsche Kriterien an Führungspersonen angelegt werden.
Die geschlossenen Einheiten der Polizei werden in regelmäßigen Abständen von Politikern missbraucht. Wenn diese Einsätze nicht offen und ehrlich ausgewertet werden, entstehen Frust und Aggressionen. Von Gorleben bis zum G20 ist die Geschichte dieser Einsätze lang. Bei der Kriminalpolizei sind es die Ermittlungen, die an den Belangen der der oberen 10 % im Staate kratzen. In Berlin verweise ich exemplarisch auf die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Berliner Sumpf, den Ermittlungen bezüglich der Vereinigungskriminalität und dem Vorgehen gegen korrupte Verantwortliche im Bauwesen. Solange dies alles in Zukunft weiterhin unter den Teppich gekehrt wird bzw. sich die Einstellung zur Polizei in der politischen Führung nicht ändert, werden sich weiter tiefe Furchen eingraben.
Ideen
In einigen europäischen Ländern ist der Polizeidienst in Anerkennung der besonderen Belastungen auf 30 Dienstjahre begrenzt. Dort ist man zur Auffassung gekommen, dass die Psyche und Physis des Beamten im Außendienst am Ende ist. Ich finde dies bedenkenswert. Meine Meinung nach, müssen die unterschiedlichen Belastungen im Innen- und Außendienst konsequent voneinander unterschieden werden.
In der Ausbildung und auch später sollten Prävention und psychologische Supervision Selbstverständlichkeiten sein. Dies bezieht sich auch auf eine Sensibilisierung in ethischen Fragen. Die Thematik Traumatisierung sollte intensiv betrachtet werden und bei Führungskräften stets präsent sein. Gerade die Belastungen in den geschlossenen Einheiten sind immens. Vor Urzeiten stand beim Einsatz “Mainzer Straße” ein ehemaliger Bundeswehroffizier neben mir und sagte: “Was hier passiert kenne ich. Wir nannten es Häuserkampf und verschossen dabei deutlich mehr Munition.” Es wäre vielleicht ein Ansatz, diese Einsätze analog zu einem Kampfeinsatz zu betrachten und auf die Erfahrungen der Bundeswehr zurückzugreifen.