:: Sag mal Emmes … ::

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LESEPROBE


Spandau

Berlin – Spandau, Montag Abend in einer Kneipe. Einem Berliner reichen diese Informationen. Sie sind kein Berliner? Dann brauchen Sie mehr Input. An einem Montag ist abends nahezu jeder Laden in Spandau leer. Und wenn Sie doch jemanden antreffen, ist derjenige ein Mann, irgendetwas zwischen 40–50 Jahre, unverheiratet und gelangweilt. Sie wissen nichts mit dem Bezirk – Spandau anzufangen? OK! Ich beschränke mich auf das Notwendige. Berliner bezeichnen sich meistens nur außerhalb des Stadtgebiets als Berliner.
Treffen sie sich untereinander, wird zumeist die Frage gestellt: «Wo kommste denn her?»
«Vom Wedding! Aus Prenzlberg! Ick bin Marzahner, aus Neukölln oder eben aus Spandau.»
Auf die Antwort Spandau folgt im Regelfall eine kurze Pause. Der «echte» Berliner entgegnet dann: «Ach so, Spandau, also nicht aus Berlin! Musste nicht bald nach Hause? Die Brücken werden bald hochgezogen?»

Dies bezieht sich darauf, dass Spandau an der Havel liegt und von Berlin aus nur über eine der 11 Brücken erreicht werden kann. Es ist typisch für Berliner, dass sie diesen Umstand für eine Besonderheit halten. Jedenfalls leben jenseits dieser 11 Brücken, die Spandauer. Aber es wird noch verrückter. Treffen nämlich zwei Spandauer aufeinander, die sich nicht kennen, also ein fast nicht anzunehmender Fall, wird eine weitere Aufteilung vorgenommen. «Kommste von der Buber, Kant, Bartning oder Carossa?» Hinter dieser Frage verbergen sich die Namen von Spandauer Schulen. Irritierenderweise kommt es dann zu Auskünften wie: «Nee aus Staaken, Neustadt oder Hakenkreuzfelde.»
Mit diesem Dialog werden für den Ureinwohner wichtige versteckte Botschaften ausgetauscht. Stellen Sie sich folgende Szene vor. Sie sind Spandauer und baggern eine junge Frau an. Sie erhalten die Antwort: «Buber!». Ihre zukünftige Ex – Freundin war irgendwann in ihrem Leben auf der Martin – Buber – Oberschule. Vorsicht! Viele der Absolventen waren anfangs auf einer anderen Schule, landeten dann dort, um einen halbwegs brauchbaren Schulabschluss zu bekommen. Das bedeutet, sie hat unter Umständen Geschwister, die auf anderen Schulen waren. Als Mann und Einheimischer sollten jetzt die Alarmglocken läuten. Die junge attraktive Frau vor Ihnen hat möglicherweise einen Bruder, den Sie kennen! Je nach Alter hatten sie unter Umständen etwas mit der Mutter oder Sie hatten mal in der Vergangenheit  mit dem Vater zu tun.
Die Antwort «Carossa», bringt sie eventuell in juristische Schwierigkeiten, weil der Vater Rechtsanwalt sein könnte. «Kant» bedeutet: «Freundeskreis und Familienstammbaum sind ein Kreis!» Als Außenstehender können Sie das selbstverständlich alles vergessen. Entweder die Frau ist dankbar, endlich mal einen Typen von auswärts kennenzulernen, was sehr wahrscheinlich ist, oder sie hat ohnehin kein Interesse an Ihnen.

Nach dieser groben Sortierung kommt das Feintuning. «Wo bist Du denn abends immer?» In Spandau gibt es eine überschaubare Anzahl von zentralen Einrichtungen, die man als Einheimischer kennen muss. Ich finde am ehesten können diese Einrichtungen als Institutionen bezeichnet werden. Irgendwo las ich, dass eine Institution etwas darstellt, wo Leute zusammenkommen und einen festen sozialen Ablauf erwarten können. Wenn das nicht auf eine Spandauer Kneipe zutrifft, dann weiß ich nicht weiter. Outet sich ein Einheimischer als Stammgast dieser Institutionen, wissen Sie über diesen Menschen mehr als Google, Verfassungsschutz und Krankenversicherung zusammen.

Ausländische Sender

In einer dieser Institutionen sitzt an diesem Montag Emmes. Kennen Sie nicht? Macht nichts. Sie werden ihn kennenlernen. Er ist einer der gelangweilten vier Männer am Tresen. Der mit der Mütze auf dem Kopf. Zu seiner Rechten trinkt der ebenso an einem Montag stets anwesende arbeitslose Maler Thomas, wie alle Thomas einfach nur Tom genannt, sein Bier aus einem Einliterkrug.

«Sag mal Emmes, hast Du schon einen neuen Dekoder?»
Emmes hebt unmerklich den Kopf. «Nö! Wieso?»
«Habe mich den ganzen Abend mit diesem Mist herum geschlagen. Das ist vielleicht ein Dreck.»
«Warum?»
«Bis ich alle Sender drin hatte, hat es eine Ewigkeit gedauert. Und Du bekommst nur unsere Sender rein.»
«Wieso willst Du denn noch mehr haben? Den Rest kannst Du doch sowieso knicken. Ist entweder Werbung oder Ausland.»
Tom triumphiert. «Eben, Ausland!»
Emmes schaut skeptisch und greift nach einer Zigarette.
«Ach ja? Welche willst Du denn reinbekommen?»
«Österreich, Schweiz, BBC und so.»
«Warum willst Du die denn sehen?»
«Na zum Beispiel lese und höre ich jetzt täglich über den Skandal in der Bundeswehr. Der Skandal ist doch ein ganz anderer. Das Bundesamt für Flüchtlinge erkennt einen Deutschen als Flüchtling an und blecht auch noch dafür. Klarer Fall, jeder Terrorist kommt hier ganz einfach rein. Bekommt Asyl und Kohle für seine geplanten Taten in den Hintern geschoben.»
Emmes schaut immer noch skeptisch und zündet sich die Zigarette an.
«Was hat das jetzt mit Deinen Sendern zu tun?»
«Warum wohl werden deutschsprachige Sender z. B. aus der Schweiz oder Österreich nicht in unser Kabelnetz eingespeist? Nicht mal im Internet geht das einfach so. Ich habe mir extra über einen Server aus der Schweiz einen Account bei Zattoo TV eingerichtet.» Tom nimmt einen Schluck aus seinem Krug. «Wenn Du nur Sender aus Deinem Land empfangen kannst, bist Du Deutscher oder Koreaner! So siehts doch aus.»
«Hmmm? Koreaner?», brummt Emmes.
«Was?»
«Korea? Ernsthaft?»
«Oder Türkei, Demokratie gibt es hier schon lange nicht mehr!»
Emmes zieht aus seiner Jacke ein Notizbuch heraus und beginnt etwas hinein zu schreiben.
«Was schreibst Du da?»
«Ich mache mir Notizen!»
«Worüber?»
«Ich muss Morgen wieder über Dich berichten !»
«Hä?»
«Na bei meinem Führungsoffizier. Ich bin doch Beamter und muss Dich als Systemkritiker melden.»
Tom kräuselt die Stirn.
«Willst Du mich verarschen?»
«Würde ich nie tun. Ich kann Dich verstehen, aber ich habe das Problem nicht.»
«Du kannst natürlich alles empfangen, weil Du so schlau bist!», empört sich Tom.
«Einfach so nicht! Ich musste mich beim Kauf der Satelliten – Schüssel mit meinem Dienstausweis als Mitglied der Überwachungsbehörde ausweisen. Jetzt kann ich sogar japanische Sender empfangen.»
«Sehr witzig!», stellt Tom leicht aggressiv fest.
Emmes schaut Tom nicht an. «Stimmt, ich kann nämlich kein Wort Japanisch!»
«Du bist echt ein Spinner! Wirst schon sehen, was Du davon hast. Spätestens wenn Deine Töchter mit einer Burka herumrennen müssen, wirst auch Du kapieren, was hier abläuft.»
Emmes schaut Tom nun doch an. «Vorsicht! Ich bin gläubig. Bei Religion verstehe ich kein Spaß!»
Tom stutzt.
«Ernsthaft?»
«Ja, ich habe auch schon mal darüber nachgedacht zum Islam zu konvertieren!»
«Bist Du bescheuert?»
«Gar nicht! Denk Du doch mal nach. Du kannst mehrere Frauen haben, solange Du sie einiger Maßen versorgen kannst. Sie müssen jeden Tag mit Dir vögeln und Du bist der Bestimmer zu Hause. Zugegeben, die Sache mit dem Suff ist ein wenig problematisch, aber ein Muslim hat mir mal erklärt, aber in der Wohnung ist OK, da sieht es Allah nicht.»
«Ach so! Ich dachte schon, Du meinst das ernst.»
Emmes grinst und beginnt leise zu lachen. «Was genau hast Du nicht verstanden?»
«Ist doch alles Quatsch! Oder?», kameradschaftlich klopft Tom Emmes auf die Schulter.
«Du musst doch zugeben, dass mit den Flüchtlingen jede Menge Penner ins Land kommen. Wir zahlen und zahlen …»
Emmes unterbricht ihn.
«Und verdienen jede Menge Geld!»
«Na hör mal, wo verdienen wir denn Geld an denen?»
«Warum flüchten die denn?»
«Was weiß ich? Wenn es so schlimm ist in Syrien, sollen sie lieber kämpfen. Wir können nicht jeden aufnehmen.»
«OK, und wie sollen sie kämpfen?»
«Na mit der Knarre in der Hand!»
«Die bekommen sie woher?»
Tom zuckt mal wieder mit den Schultern.
«Keine Ahnung! Sind doch genug Knarren da.»
«Die wir ihnen verkauft haben! Anderes Thema, wo wohnen denn die Flüchtlinge?»
«Na in den Containern, Sporthallen, Schulen, was weiß denn ich?»
«Die Container stellt wer her? Wer vermietet dem Senat alte Hotels?»
«Ach? Und Du willst mir jetzt verklickern, dass wir daran Geld verdienen? Wer zahlt denn die Miete? Du! Ich! Wir Steuerzahler.»
«Ja, aber es verdient auch jemand. Genauso, wie einer an den Waffen verdient. So wie wir alle verdammt gut davon leben, dass die in Afrika nichts auf die Reihe bekommen. Was meinst Du wohl, was passiert, wenn die uns für die Rohstoffe richtige Rechnungen ausstellen, dann wird es aber ganz schön dunkel hier.»
Tom winkt ab.
«Bla, Bla! Fakt ist doch, dass die nichts hinbekommen. Mit Dir kann man nicht reden. Du bist so ein richtiger Möchtegern Gegenhalter. Ich bleibe dabei, Deutschland schafft sich ab.»
Emmes schüttelt mit den Kopf.
«Sinnlos!»
«Ja, weil Du Dich immer mehr zum Systemling entwickelst.»
«Ich denk, Du bist Wessi?»
«Ja und?», fragt Tom erstaunt nach.
«Ich dachte immer, das Wort wird nur von Ossis benutzt. Wessis  sagen so etwas wie: Mitläufer, Opportunist … oder so. Systemling? Ernsthaft? Machst Du demnächst auch durchs Gebiet?»
«Du hast auf alles eine Antwort, oder? Auf jeden Fall läßt Du Dich von diesen Volksschädlingen vor den Karren spannen!»
Emmes schlägt auf dem Barhocker sitzend die Hacken zusammen «Heil!»
«Ach kommt jetzt wieder die Nazikeule?»
«Wenn Du Naziwörter benutzt …»
«Bleib doch mal beim Inhalt! Da draußen herrscht dank unserer feigen Politiker ein Religionskrieg. Mit schlauen Gehirnwichsereien werden wir da nichts ausrichten.»
«Aber mit Dummheit?»
«Ach ich bin dumm?»
«Na klar, weil Du Dir den Scheiß einreden läßt.»
«Und Du hast die Wahrheit gepachtet?»
«Nö, aber ich kenne mich ein wenig mit Paranoiden aus!»
«Ach hat der Herr jetzt auch noch Psychologie studiert.»
«Nein, aber ich war mit genug paranoiden Weibern zusammen.»
«Und warum bin ich Deiner Auffassung nach paranoid?»
«Du hast vor etwas Angst, was Dir andere eingeredet haben. Es ist vollkommen bescheuert, aber Du glaubst dran. Dann versuchst Du jedem zu verklickern, dass es doch ganz normal ist, davor Angst zu haben. Ich hatte mal eine, die konnte sich nicht ins Gesicht fassen, weil Sie Angst hatte davon krank zu werden. Dann hat Sie mir versucht klar zu machen, dass ich das auch unterlassen sollte. Verrückt!»
«Und was haben die Flüchtlinge damit zu tun?»
«Das einer von denen ausgerechnet Dir Kackvogel etwas tut, ist extrem unwahrscheinlich. Genauso unwahrscheinlich, wie das die Tante sich Ebola oder sonst etwas einfängt. Da sollte sie sich eher einen Kopf um Chlamydien machen. Egal! Was soll das mit den Sendern?»
«Zensur!»
«Zensur?»
«Ja, ich hab keinen Bock mehr darauf, von diesen Einheitsmedien gesteuert zu werden.»
«Und die Ösis haben keine Zensur? Kauf Dir doch mal ein Buch oder eine brauchbare Zeitung.»
«Keine Zeit!»
«Aber ausländische Sender? Stundenlang vor dem Rechner sitzen und Fake Accounts einrichten, dafür hast Du Zeit?»
«Es geht um die Möglichkeit!»
Emmes läßt demonstrativ den Kopf sinken.
«Wieder so ein Tussi Ding!»
«Warum?»
«Nur Frauen wollen immer die Möglichkeit haben. Eigentlich wollen sie gerade nicht, aber die Möglichkeit muss bestehen. Ihr ganzer Kleiderschrank ist ein Einziges: Ich will die Möglichkeit haben!»
«Kann es sein, dass Du ein Chauvi bist?»
«Hab nie etwas anderes behauptet.»

Pause

«Ich bleibe dabei!»
«Wobei?»
«Na, dass wir hier nicht jeden aufnehmen können!»
«Von Können ist auch nicht die Rede!»
«Siehste, Du sagst es auch …!»
«Die kommen einfach! Das wirst Du nicht verhindern und ich auch nicht.»
«Aber wir können die Grenzen dichtmachen.»
«Könnten wir. Und dann?»
«Na, dann kommen die nicht mehr her.»
«Und wie verhinderst Du, dass sie Deine tolle Grenze nicht doch überwinden?»
«Keine Ahnung, was an Grenzen halt so gemacht wird. Kontrollen, nicht durchlassen, wieder nach Hause schicken.»
«Wenn die aber nicht wollen? Abknallen?»
«Du musst Sie ja nicht abknallen. Warnschüsse dürften reichen.»
Emmes dreht sich nun auf seinem Barhocker vollständig zu Tom um.
«Nicht so hastig mein Freund. Ein Typ, der nicht getroffen ist, rennt einfach weiter. Also wer schießt richtig? Denn das würde sich herumsprechen. An der deutschen Grenze wird scharf geschossen.»
«Dann müssen halt die Grenzer schießen.»
Emmes zieht die Augenbrauen hoch.
«Ach so? Und wer genau soll da an der Grenze stehen? Du?»
«Ich bin Maler und kein Grenzer. Augen auf bei der Berufswahl, kann ich nur sagen. Wer den Job macht, muss auch in der Lage sein zu schießen, so ist das nun einmal.»
«Und Du beschwerst Dich über unsere Politiker?»
«Wieso?»
«Weil die genauso eine Grütze quatschen. Pulle voll, Frau besoffen! Nach Krieg schreien, aber andere an die Front schicken.»
«Was soll denn Deiner Meinung nach passieren?»
«Wo?»
«Na, mit den Flüchtlingen?»
«Der Zug ist abgefahren.»
«Also Du nimmst das alles so hin?»
«Ich sehe keine Alternative. Wir können nur noch das Beste draus machen. Die Weichen haben ganz andere schon vor Jahrzehnten gestellt.»
«Das wäre?»
«Ich stehe auf südländische Frauen. Da wird sich doch vielleicht eine Dankbare finden.»
«Du Bock!»
«Ich sagte es bereits. Ich habe niemals etwas Anderes behauptet. Die wollen unsere dicken blonden Weiber, also hole ich mir ihre dunkelhaarigen Bräute.»
«Du bist ja noch schlimmer als ich!»
Emmes zuckt mit den Schultern.
«Ich hab nicht gesagt, dass ich ein guter Mensch bin, ich behaupte lediglich, Realist zu sein. Weder Du noch ich, werden etwas aufhalten, wir können uns nur damit arrangieren. Jägermeister?»
«Bin dabei.»

Amira, die arabisch stämmige junge Bedienung stellt den beiden Jägermeister hin.

«Mach Dir mal auch einen!», fordert Emmes.
«Danke!»
«Nicht dafür.»
Amira hebt ihr Glas. «Auf Euch alte Säcke! Prost!»
Emmes verzieht das Gesicht. «Wir sollten noch mal über die Grenze nachdenken.»
«Welche Grenze?», fragt Amira.
«Ach nichts, war nur so ein Spruch.»

Fortsetzung folgt …