Moskau – Ulanbataar

Die kurze Version: Ratatatata, Klonk, Rumms. Birke, Birke, noch eine Birke, Picture Point, verdammt … ein Gegenzug kommt, weg ist das Bild. Baikalsee, Tundra, Taiga, sieht ein wenig aus wie die Lüneburger Heide, nur halt ein paar tausend Quadratkilometer größer. Quatsch, Quatsch, Quatsch, einige Menschen kennengelernt … der Einstieg, ist nicht mehr der, welcher er einst war … Ende. Transsibirische Eisenbahn nach fünf Tagen Zugfahrt abgehakt.

Das wäre dann ein wenig zu einfach. Mann könnte auch der Eisenbahngesellschaft einen bösen Brief schreiben, in dem man aus der Sicht eines Touristen die zum Schutz der Trasse angepflanzten Bäume kritisiert, da sie einem am Fotografieren hindern. Auch könnte man den Zugplan so ausrichten, dass alle Highlights der Fahrt in die Tageszeit fallen … aber ich glaube, dies würden sie nicht verstehen. Transsibirische Eisenbahn. Für einen Europäer geht es dabei um mehr, als aus dem Fenster glotzen, Landschaft sehen und einige alte Bahnhöfe anschauen.

Spätestens die betuchten Rentner, welche sich in den Luxuszug setzen, können auch nicht mehr von Eisenbahnromantik sprechen. Fernzüge sind für viele Asiaten eine normale Sache. Es liegt nun einmal alles ein wenig weiter auseinander. Da wäre der erste Punkt. Weite! Ferne! Aus dem Zug heraus ist vielfach bei der vorbeiziehenden Vegetation zwischen der Lüneburger Heide und der Taiga kein Unterschied festzustellen. Aber der Betrachter erahnt, welche Größendimensionen sich vor ihm erstrecken. Ich gestehe, optisch fand ich die Fahrt mit dem Glacier – Express in der Schweiz beeindruckender, zumindest gleichwertig.

Die Ferne macht es aus. Die Bahnfahrt gibt einem viel Zeit für das Ankommen in Asien. An der Strecke verändert sich nicht ausschließlich nach und nach die Landschaft, sondern auch die Häuser, einfachen Holzbauten, die Ruinen alter Zeiten, bei denen man gar nicht so genau wissen will, aus welcher Epoche Russlands sie stammen. Ich weiß nicht, ob ich Glück oder Pech bei meiner Fahrt mit der Transsib hatte. Mein Vierbett – Abteil war mir selbst überlassen, ich empfing sozusagen andere Reisende, die mit mir ein wenig quatschen wollten. Auch das war einprägsam. 3,5 qm Abteil, ein Tisch, vier harte Pritschen, dumpfe abgepolsterte Klänge, der Geruch, schmuddelige Kopfkissen, alte Decken zum Einziehen in die gebleichten Laken und der Teppichläufer mit dem chinesischen Muster am Boden. Dabei ständig den vorbeiziehenden Geruch der frisch gekochten Suppen der chinesischen Schaffner, die Karbol – Unternote, vermischt mit der verbrennenden Kohle für die Heizung, in der Nase. Das Ruckeln und Krachen erinnert einem jede Minute daran, dass man eben nicht in einem Hochgeschwindigkeitszug sitzt, sondern im Zug No. 4, der mit 80 km/h beinahe gemächlich die tausenden Kilometer abrollt.

Hätte ich Zwischenstationen einbauen sollen? Nein! Dies hätte dem Schauspiel «Transsibirische Eisenbahn» einen vollkommen anderen Charakter gegeben. Bahnfahren in Russland – von Moskau bis in die Mongolei, wäre dann die richtige Bezeichnung gewesen. So waren es fünf Tage in einem Zug, der mich in die Zeit der Reichsbahnzüge Berlin – Paris zurückversetzte. Dazu passte das Finale an der russisch – mongolischen Grenze, inszeniert von grimmig blickenden Kontrolleurinnen vom Zoll und der Grenztruppen.
Da waren sie wieder, die üblichen Spielereien. Aufstehen, Heraustreten aus dem Abteil, Abklopfen der Zwischenwände, Herumturnen auf den oberen Pritschen … jemand hätte ihnen sagen sollen, dass das Gesuchte von den chinesischen Schaffnern transportiert wurde und die kennen ihren Zug.
Die meisten der internationalen Reisenden beschränkten sich auf die Zugfahrt und flogen von Peking aus wieder in die Heimat. Die Gespräche im Speisewagen förderten wieder die tollsten Dinge hervor. Wie sah die Vorbereitung eines Briten aus, der in die Mongolei will, wenn er von Dschingis Khan noch niemals etwas gehört hat? Warum weist einen eine siebzigjährige Frau mit kanadischer – polnischer Staatsbürgerschaft ständig auf die angebliche jüdische Finanzverschwörung hin? Warum ist eine junge Deutsche vollkommen entnervt, wenn sie zwei Deutsche in einem Zug entdeckt, die wahrlich nicht dem Stereotyp des klassischen Touristen entsprechen? Was ist in den Amerikanern vorgegangen, die sich beim Beginn der Fahrt ins Abteil einschlossen und es nur zum Toilettenbesuch verließen? Warum diskutieren Briten und Kanadier über die Sieben Weltwunder der Antike und lachen, wenn einer behauptet der Koloss von Rhodos und der Leuchtturm in Alexandria würden dazu gehören. Doch das Allgemeinbildung, meinerseits überbewertet wird, war mir schon vorm Trip bewusst. Die Fahrt mit der Transsib war ohne jeglichen Zweifel ein Erlebnis. Im Zusammenhang mit der gesamten Reise ergibt sie einen Sinn. Doch ich glaube, ausschließlich die Bahnfahrt, hätte mich nicht überzeugt.
Andere mit den ich sprach, erzählten ähnliches, wie ich es bereits einmal zum Thema Zugfahren beschrieben habe. => Zugreisen Langsam mit der Transsib anzureisen macht aber auch schlicht Spaß. Die Option dieser Anreise nach Thailand, meistens dann noch über China, wählen scheinbar eine Menge Holländer, Belgier und eben die Deutschen.

Reizvoll waren die kleinen Besonderheiten. Zu nennen ist z.B. die Heizungsanlage, an der der berühmte Samowar hängt. Emsig sind die chinesischen Zugbegleiter mit dem Befüllen des Ofens beschäftigt. Zum Heizen verwenden sie Kohle, die auf den Bahnhöfen ständig von wilden Gestalten angeliefert wird. Jeder Umweltschützer, der statt der Industrie, mehr die Privathaushalte im Visier hat, dürfte bei diesem Anblick einen Nervenzusammenbruch erleiden. Wie erwähnt, werden Teile des erhitzten Wassers in den Samowar geleitet, sodass die Reisenden stetig über erhitztes Wasser verfügen können. Neben dem eigentlichen Ofen befindet sich noch ein kleinerer, der als Kochstelle für die Schaffner dient. Den nutzen sie leider ausgiebig. Sie erzeugen damit einen Appetit, der im Speisewagen nicht gestillt wird.
Sollte es mir jemand nach tun: Die Soljanka ist fantastisch … der Rest genau das Gegenteil. Da bleibt nur die Verpflegung bei den fliegenden Händlern auf den Bahnsteigen. Für die wirklich guten Sachen muss man ein Auge haben. Ältere Frauen mit Beuteln sind verdächtig. Die haben fast immer Würste aus eigener Produktion in der Tasche. Was kann ich als Tipps mit auf die Reise geben? Deck Dich mit Tütensuppen, Instant – Kaffee (was anderes gibt es im Speisewagen ohnehin nicht, nur ist der Preis im Verhältnis – Tasse 2 Dollar – vollkommen unverhältnismäßig.) und Tee – Beuteln ein. Ich kaufte mir für umgerechnet 12 EURO eine Prepaid – Karte, die sich mit 30 GB absolut rentierte. Ebenso haben sich mein Schlafsack und meine ISO – Matte bewährt. Ohne beides sollte man ohnehin niemals auf Tour gehen. Rauchen ist, wenn man sich daran hält, im Zug untersagt. Wenn man nicht sofort mit der Tür ins Haus fällt, kann man im Zwischenbereich der Waggons rauchen. Hier befinden sich auch Aschenbecher. Es riecht ohnehin nach abgerannter Kohle und die Schaffner rauchen dort ebenfalls. Tür ist ein gutes Stichwort. Die Erste führt in den Bereich des Ausstiegs. Zwei weitere massive schotten den Transferbereich über der Zugkopplung ab.

Beim Durchlaufen des Zugs müssen also immer vier schwere Türen geöffnet und geschlossen werden. Das ist gar nicht einfach, vor allem schließen einige nur schwer.
Richtiges Feeling in Sachen Sibirien kommt eigentlich erst ab Irkutsk auf. Wenn jemand aussteigen will, dann dort am Baikalsee. Immerhin handelt es sich um den tiefsten und wasserreichsten See der Welt.
In einem wichtigen Punkt muss ich Zusammenhang mit den Tipps die Toiletten erwähnen. Die Dinger riechen, das lässt sich nicht vermeiden. Aber sie sind ausgesprochen sauber, weil das Zugpersonal regelmäßig wischt. Überall las ich vorher, es würde kein Toilettenpapier geben … stimmt nicht. Jedenfalls nicht im chinesischen Zug. Wenn es denn doch klemmen sollte, liegt es an den Begleitern. Da die aber immer genau für einen Waggon zuständig sind, sollte man einfach mal den nächsten ausprobieren.
Ein paar kleinere Ereignisse hebe ich mir noch auf. Zum Beispiel: Was passiert, wenn ein Schwabe auf einen Berliner in der Transsibirischen Eisenbahn trifft? Wird der Berliner sein Leben überdenken und einige Versicherungen abschließen oder wird der Schwabe beschwipst vom Schaffner geschmuggelten Bier sein Leben ändern wollen?
Aktuell sitze ich in einem Guesthouse in Ulanbataar. Es ist sehr zum empfehlen, aber auch ein wenig prüde. Ab 23:30 Uhr tritt die allgemeine Ruhe ein. Dem zur Folge ich um 06:00 Uhr mit kugelrunden Augen die Tasten quäle. Außerdem gilt es ein Problem zu lösen. Wo kann ich in Ulanbataar Zigaretten kaufen. Entweder im Netz finden sich Jubelrufe über den geringen Preis oder die Calvinisten der Moderne erheben den Zeigefinger: Die Inkarnation des Bösen existiert auch in der Mongolei – die Zigarette. Aber keiner schreibt, wo ich welche bekomme. In einer Bar fragte ich nach einem passenden Geschäft und bekam prompt irgendwelche illegalen Packungen aus dem Hinterzimmer angeboten.
Nun, ich werde berichten …