Warum?

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Mir fällt immer häufiger auf, dass dieses einfache Fragewort mein Leben nachhaltig geprägt hat. Heute war ich zum Frühstück mit einem sehr alten Bekannten verabredet. Nach der üblichen Konversation über unseren Gemütszustand, sprachen wir über die zurückliegenden gemeinsamen Jahre bei der Polizei. Wie immer stellten wir beide Vergleiche mit dem aktuellen Zustand an. Ich zeigte mich einiger Maßen verwundert, mit welch einer Leichtigkeit mein Gesprächspartner über all die Widrigkeiten hinweg ging. Dann fiel es mir auf. Er fragte niemals nach. Es war ihm schlicht und ergreifend vollkommen egal, warum er dieses oder jenes tun musste. Auch die Zustände, das halb verfallene Dienstgebäude, die zu kleinen Räume, die maroden Fahrzeuge, der geringe Dienstausgleich, die geringe Besoldung usw. wurden von ihm nicht hinterfragt. In seinem Leben sind die Dinge einfach so. Er bekommt einen Auftrag, führt ihn aus – fertig. Denken sollen doch die anderen.

In diesem Augenblick wurde mir heute klar, was mich in den vergangenen dreißig Jahren so zur Verzweiflung gebracht hat. Dieses kleine simple Wort: Warum!? Warum haben Sie diese Entscheidung getroffen? Was hat dazu geführt, dass Sie sich nicht anders entschieden haben? Warum soll ich diesen Auftrag ausführen? Warum machen wir immer wieder den gleichen Dreck, obwohl wir doch wissen, dass es nichts bringt?

Gemäß einer Polizeidienstanweisung ist innerhalb der Polizei kooperativ zu führen, nur in Ausnahmefällen gilt die Befehlsgewalt. Aber letztlich ist das nur graue Theorie. Mir sagte mal ein Kriminaldirektor, ich müsse schon darauf vertrauen, dass meine Vorgesetzten wüssten was sie tun. Gar nicht solange später, musste er die Dienststelle wegen einiger Unregelmäßigkeiten verlassen. Ein Kriminaloberrat bluffte mich an, dass die Polizei keine Demokratie wäre, sondern eine Hierarchie. Meine Entgegnung, dass mir das klar wäre, denn deshalb funktioniert ja auch nichts, kam bei ihm nicht sonderlich gut an. Beide gaben mir diese Antworten, weil ich mal wieder “Warum?” gefragt hatte.

Wie hieß es doch immer im Vorspann der SESAM Strasse: Warum, wieso, weshalb. Wer nicht fragt bleibt dumm! Warum fiel es diesen Vorgesetzten eigentlich so schwer meine Fragen zu beantworten? Hatten sie selbst nur einen Auftrag bekommen und nicht nachgefragt? Waren sie selbst vollkommen ferngesteuert? Diese Anweisung kommt von ganz Oben! Von wem denn? Hat er oder sie denn keine Begründung gegeben? Wie weit oben? Abteilungsleiter, Leiter des Landeskriminalamts, Polizeipräsident oder gar vom Innensenator? Hatte der denn überhaupt alle Informationen?

Ich erinnere mich an ein Gespräch in den neunziger Jahren mit dem damaligen Innensenator Jörg Schönbohm. Er sagte, dass er das Problem hinreichend kennen würde. Wenn er in seiner Zeit als General zusammen mit seinem Sohn am Frühstückstisch saß, motzte dieser häufig über den Zustand der Bundeswehr. Gemäß der Berichte, die ihm selbst vorlagen, war aber alles in bester Ordnung. Jeder hatte brav nach oben hin alles beschönigt. Auf der Grundlage solcher Berichte werden Entscheidungen getroffen. An der richtigen Stelle ein kleines “Warum?” hätte mit Sicherheit manch einen vollkommen sinnlosen Einsatz verhindert.

Manchmal gibt es tatsächlich eine Antwort. Um so sinnloser der Auftrag, desto wahrscheinlicher ist die Antwort: “Das ist politisch so gewollt!” Ich erinnere mich an einen Fall, der ein besonders drastisches Beispiel dafür abgibt.
In irgendeiner Berliner Eckkneipe brüstete sich ein örtlicher Vollalkoholiker  damit, dass er einen Typen kennen würde, der Nazi sei und eine Waffe besitzen würde. Ein ebenfalls am Tresen sitzender Journalist vernahm dieses. Ich weise an dieser Stelle auf den alten Witz hin: “Zwei Journalisten laufen an einer Kneipe vorbei!” dummieDer Schreiberling nahm dankbar die gelallten Worte auf und schrieb einen Artikel in der üblichen Art und Weise. “Nazi … bla bla … Polizei macht nichts … bla bla … Gefahr … bla bla.”
Natürlich lasen diesen Artikel auch Innensenator und Präsident. Und schon gab es einen neuen Staatsfeind Nummer 1 in Berlin. Ob der als Nazi denunzierte Mann nun wirklich gefährlich war oder nicht, interessierte niemanden mehr. “Das ist politisch so gewollt!” Über Wochen hinweg beschäftigten sich ca. dreißig Polizisten mit diesem Kerl. Es ist erstaunlich, was ein einziger Trunkenbold zusammen mit einem Journalisten eines Revolverblattes erreichen kann. Ein “Warum?” hätte alles geändert. Warum ist dieser Mann gefährlich? Antwort: Weil der örtlich bestens bekannte Säufer, nennen wir ihn Paul, es dem kleinen Aushilfsreporter vom Blut- und Schmierenanzeiger so beim fünften Wodka verklickert hat.
Ich denke eine kleine Überprüfung der Kneipe hätte vollkommen ausgereicht. Aufgrund von Zeitungsmeldungen zu handeln, macht niemals Sinn. Es gab da mal einen Blinden Säufer in Berlin – Moabit. Zur Monatsmitte hin hatte er sein Unterstützungsgeld immer vollständig in Alkohol investiert. Jeden zweiten Monat ging er dann zur Polizei und zeigte einen Raubüberfall an, bei dem ihm sein Geld gestohlen wurde. Jedem im Leben stehenden Menschen war klar, was gespielt wurde. Doch dann schlug ich die Morgenzeitung auf und las die Überschrift eines zweiseitigen Artikels. “Jetzt rauben sie schon Blinde aus!”In Folge des Artikels und einer Anordnung von oben, wurde dann verstärkt der Bereich im Umfeld des Blinden kontrolliert.

Wie bin ich hier zu dieser Stelle und dieser alten Geschichte gekommen? Weil ich im Gegensatz zu meinem Frühstücksbegleiter mir schon wieder Gedanken über das “Warum”gemacht habe. Ganz einfach. Es ist eine Hierarchie mit lauter Leuten die keinen Arsch in der Hose haben, diese Frage zu stellen, und wenn sie ihnen gestellt wird, sie letztlich dicke Backen machen. Weil die überleben und aufsteigen, die genau dieses können, nicht nach den Sinn fragen und einfach machen. Die mit den Fragen, verzweifeln irgendwann, werden krank oder geben auf. Wer nicht fragt bleibt dumm, aber ist glücklich und bleibt gesund.