11 August 2023

Konflikt oder Mobbing

wood figurines set on surface Lesedauer 3 Minuten

Bei der Berliner Polizei soll es angeblich kein Mobbing geben – und das schon seit Jahren. Der Innenexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader, fragt regelmäßig bei der Senatsinnenverwaltung ab, wie groß das Problem Mobbing in der Polizei ist. Aus der jüngsten Antwort und früheren Anfragen ergibt sich: Seit dem Jahr 2012 wurden bei der Polizei Berlin keine Vorfälle von Mobbing am Arbeitsplatz registriert.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/die-pflege-eines-saubermann-images-ist-wichtiger-angeblich-kein-mobbing-bei-der-berliner-polizei–seit-jahren-10261105.html

Was Alexander Fröhlich vom Tagesspiegel hier aufgreift, geht bis ins Jahr 2000 zurück. Anlässlich des Suizids einer jungen Polizistin, bei dem ein Verdacht auf vorhergehendes Mobbing bestand, wurde seitens der Berliner Polizeibehörde eine Kommission einberufen, die ausschließlich mit Beamten des Höheren Dienstes besetzt wurde.

Nach Arbeitsaufnahme wurde dort zunächst geprüft, welche der zahlreichen Definitionen für Mobbing zur Arbeitsgrundlage herangezogen wird[1]Sie hierzu auch weiterführende Informationen https://arbeits-abc.de/mobbinghandlungen/. Hierbei ist anzumerken, dass sich die wissenschaftlichen Untersuchungen im Lauf der Jahrzehnte immens entwickelten. Ursprünglich wurde das Phänomen seitens Arbeitsmedizinern/innen festgestellt und untersucht. Ganz am Anfang wurde ein Katalog mit Verhaltensmustern geschaffen. Erst wenn mehrere beobachtete Verhaltensmuster und Reaktionen dem Katalog zugeordnet werden konnten, wurde von Mobbing ausgegangen. Halt wissenschaftliches Vorgehen.

Im zweiten Schritt ließ sich die Kommission verdächtige Sachverhalte vorlegen und analysierte sie auf zur gewählten Definition passende Muster. Im Ergebnis passte keiner der Sachverhalte. Mit diesem Ergebnis meldete die Kommission nach “oben”, dass es in der Berliner Polizei kein Mobbing gäbe. Eine Aussage, die in keiner Weise haltbar sein konnte, da bereits umfassende internationale Studien nachwiesen, dass jeder größere Betrieb, vor allem im Falle von Non-Profit-Unternehmen, von dem Phänomen Mobbing betroffen ist, da es ein normales Verhaltensphänomen ist, welches erwartbar bei sozialen Interaktionen in unterschiedlichen Ausprägungen auftritt. Aber man darf dem nicht freien Lauf lassen und es muss so weit wie möglich eingedämmt werden.

Diese Aussage, entweder ungeschickt formuliert oder taktischen Erwägungen geschuldet, traf auf den Widerstand der Personalvertretungen. Der Konflikt wurde beigelegt, in dem die Einrichtung einer Konfliktkommission beschlossen wurde, der zwei Vertreter*innen aus dem Gehobenen Dienst der Schutz- u. der Kriminalpolizei ohne Führungsaufgaben zugeordnet wurden. Außerdem wurde festgelegt, dass die Kommission ausschließlich dem/der Polizeipäsidenten/in unterstellt ist.

Ab diesem Zeitpunkt wurden die vorgelegten Fälle als “Schwerwiegende Konflikte, die innerhalb der Linienführungsstruktur bzw. Hierarchie nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten” behandelt. Ziel war, ich gehe davon aus, dass dies immer noch der Fall ist, den Konflikt aufbereitet und beratend in die vorgesehene Struktur zurückzugeben.


Um dies alles von außen her zu verstehen, bedarf es einiger Grundlagen:

  • Eine Polizeibehörde funktioniert nach dem Linienführungsprinzip. Dies bedeutet, dass ein Mitarbeiter ein “Problem” zunächst seinem direkten Vorgesetzten mitzuteilen hat und diesen nicht übergehen darf. Lässt sich mit diesem keine Lösung herbeiführen, kommt es zur Eskalation zur nächst höheren Position. Wobei Eskalation hier lediglich rein formalistisch gemeint ist und keinerlei negativen Beigeschmack haben sollte.
    Faktisch betrachten schlechte Führungskräfte die mangelnde Konfliktlösung als eigenes Versagen und reagieren entsprechend.
  • Der Begriff Mobbing ist populär, äußerst negativ konnotiert. Eine Behördenleitung hat keinerlei Interesse, “negativ” in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Dass Mobbing, wie dargestellt, in jedem Non-Profit-Unternehmen anzutreffen ist, es weniger um das Phänomen an sich geht, denn darum, was dagegen und präventiv unternommen wird, welche Hilfsangebote unterbreitet werden, lässt sich in Zeiten des fortschreitenden Populismus schwer kommunizieren.
  • Mobbing wird als Führungsschwäche interpretiert. Wer “Schwäche” zeigt, wird nicht befördert und verliert Reputation. Gleichsam wurde die vermeintlich inkompetente Führungskraft von der nächst höheren Stelle eingesetzt und befindet sich damit auch im “Schussfeld”.
  • Behörden verfügen in der Regel über eine “unterirdisch schlechte” Fehlerkultur, die bei vielen Hierarchien systemimmanent ist. Wenn Fehler nicht als wichtige Markierungen für notwendige Maßnahmen zur Verbesserung gesehen werden, sondern die Behauptung im Raum steht, dass jemand innerhalb eines idealen Systems einen persönlich vorzuwerfenden Fehler gemacht hat, der nicht passiert wäre, wenn sie/er sich an die Vorschriften gehalten hätte, besteht keinerlei Interesse, sie einzuräumen. Im Gegenteil, es wird alles unternommen, um sie zu vertuschen.
    Das deutsche Behördenwesen ist beinahe schon legendär und steht in enger Verbindung mit der deutschen Mentalität.
    Kommt es zu einem Ereignis, welches den überzogenen politischen Versprechungen zuwider läuft, muss an irgendeiner Stelle eine Person/Institution verantwortungslos, inkompetent, gehandelt haben, sonst wäre nichts passiert. Die Stelle muss gefunden und bestraft werden, damit man die Illusion aufrechterhalten kann, dass beim Funktionieren der Zuständigen alles zu 100 % sicher ist.
    Tatsächlich wäre beim Mobbing ein Wert um die ~2 % der inneren Konflikte völlig akzeptabel.
  • Ein Kriterium bei Mobbing lautet: Die/der Gemobbte, soll aus dem Arbeitsbereich entfernt werden u. da keine legitimen Mittel gesehen werden, tatsächlich existieren oder nicht von der Führungsebene ergriffen werden, wird gemobbt.
    Dabei ist es schwierig, eine Abgrenzung zum “Sozialen Mülleimer” zu finden. Außerdem spielt das Verhalten “Niedermachen eines anderen, hebt den eigenen sozialen Status” eine Rolle. Dies ist u.a. der Grund, warum Mobbing vermehrt in Non-Profit-Unternehmen eine Rolle spielt.
    Weitere Abgrenzungen können sich zum sog. “Negativen Konfliktverlauf” [2]https://de.wikipedia.org/wiki/Phasenmodell_der_Eskalationergeben.
  • Führungskräfte werden in den seltensten Fällen aufgrund ihrer persönlichen Fähigkeiten zum Führen von Mitarbeitern ausgewählt. Im Bereich der Theorie der Dialektischen Führung durch das Wort (u.a. vertreten vom kürzlich verstorbenen Managementberater Rupert Lay[3]https://www.buecher.de/shop/fachbuecher/fuehren-durch-das-wort/lay-rupert/products_products/detail/prod_id/20822739/) gilt der Führungsgrundsatz “Andere führen, bedeutet sie erfolgreich machen”. Wenn die unmittelbaren Vorteile der Behörde/Betrieb, des/der Vorgesetzten, im Vordergrund stehen, kann das nicht funktionieren. Infolgedessen werden z.B. häufig Frauen und Männer zu Führungskräften, die in ihrem Bereich eigene Erfolge zu verbuchen haben und durchaus kompetent in ihren Arbeitsaufgaben sind. Aber das hat nichts mit Menschenführung zu tun. “Ein/e kompetente/r Sachbearbeiter/in ist auch eine kompetente Führungskraft”, ist aus den Köpfen nicht herauszubekommen.
  • Mobbing ist immer auch anteilig Strukturbedingt. Die hat jemand zu verantworten, sind bereits länger existent und werden oftmals als “heilige Kühe” behandelt. Auch wenn jede Führungskraft sich dazu berufen fühlt, eigene Markierungen zu setzen, gehen sie im Regelfall nicht die Grundstrukturen an, da sie dann die längste Zeit auf ihrem Posten waren.
  • Oberstes Gebot in einer deutschen Behörde ist die “Ruhe”, womit ein reibungsloser, leiser, unauffälliger, innerer Ablauf der Dienstgeschäfte gemeint ist. Jegliche “hörbare” Unruhe, die im schlimmsten Fall in den Medien landet, ist zu vermeiden und seitens der Führungskräfte zu verhindern.

Wenn man all dieses berücksichtigt, kann man das Verhalten der Mobbing-Kommission, als auch die Aussage, bei der Berliner Polizei gibt es kein Mobbing nachvollziehen. Ebenso, dass die anerkannten Konflikte in der Regel mit Angeboten geregelt werden, die Betroffene selten ablehnen. Auf niedriger Stufe wird den Betroffenen eine höher dotierte Stelle angeboten. Führungskräfte werden dorthin versetzt, wo sie entweder keinen weiteren Schaden anrichten können oder unter Kontrolle stehen. Nur extrem selten werden die auslösenden Ur-Konflikte angegangen. Eine Anforderung, der sich jede/r Mediator/in stellen muss.
Ich persönlich sehe keinerlei Möglichkeit, Mobbing-Fälle intern zu regeln, sondern würde eine Auslagerung favorisieren. Auf jeden Fall ist aber positiv zu sehen, dass die Kommission, zumindest von Beginn bis 2010, eng mit dem psychologischen Dienst zusammenarbeitete und den Vorsitz ein Psychologe innehatte. Zu allem anderen unterliege ich einer Schweigepflicht.

Ganz zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen: Mobbing kann tödlich enden und zerstört nicht nur den/die unmittelbar Betroffenen/ne, sondern trifft das gesamte Umfeld einer Person. Oder wie es einst die Leiterin des damaligen Sozialen Dienstes sagte: “Kein Mensch lebt für sich allein!”

Anmerkung: Ich war von 2000- 2010 Mitglied (“Zugleichaufgabe” parallel zu anderer dienstlicher Verwendung) der damaligen Konfliktkommission beim Polizeipräsidenten in Berlin. Die angeführten Grundlagen basieren auf meinen persönlichen Erfahrungen und erheben nicht den Anspruch, dass sie wissenschaftlichen Studien standhalten, sondern haben die Qualität einer Meinung (Fürwahrhalten einer Ansicht ohne den Beweis antreten zu können).

1 November 2016

Moby Dick – Mein persönlicher Wal

Lesedauer 3 Minuten

Stellen sie sich bitte folgende Situation vor. Sie standen in zu einem beliebigen Zeitpunkt Ihres Lebens vor einem großen öffentlichen Gebäude. Es war Nachmittag, September, die Sonne hatte noch Kraft, deshalb war die Temperatur erträglich.
Der Eingang des Hauses besteht aus einer üppigen Glasfront, mit Drehtür und Seiteneingang. Dahinter befindet sich ein großer weiter Raum, die gesamte Wand der einen Flanke besteht aus Fahrstuhltüren, auf der gegenüberliegenden Seite mündet eine große Freitreppe.

Vor den Fahrstühlen stand ein vollkommen harmlos wirkender großer Mann. Er trug kurze Hosen, Sandalen mit Socken, ein blaues Poloshirt und in seiner Hand hatte er geschätzte fünf Akten, die mit roter Pappe eingeschlagen waren.
Ich gebe Ihnen einen Augenblick, sich einzufinden. Ich nehme an, sie würden sich an diesen Augenblick in Ihrem Leben nicht erinnern.

Jetzt beschreibe ich Ihnen die gleiche Situation aus meiner Perspektive. Für mich war es nicht irgendein Gebäude, sondern das Gebäude, in dem ich jederzeit damit rechnen musste, auf diesen Mann da am Fahrstuhl zu treffen. Er war mein Weißer Wal, mein ganz persönlicher Moby Dick.

Er hatte mir ein Bein abgerissen, seit diesem Tag strömte Hass durch meinen Körper, wenn ich nur an ihn dachte. Wie es dazu gekommen ist, ist vollkommen unerheblich. Diese Erkenntnis alleine hat mich zwanzig Jahre gekostet.

Wie Kaptain Ahab war ich befangen von einem Gedanken: Wie bringe ich den verhassten Wal zur Strecke. Nicht jeden Tag, aber mindestens einmal im Monat, erschien der Wal wieder in meinem Kopf.
Der Kaptain und ich hatten noch eine Gemeinsamkeit. Die Bereitschaft, im Zweifel alles zu opfern, einschließlich der Mannschaft.

Ich sah objektiv an diesem Nachmittag nicht mehr als Sie. Doch im Gegensatz zu Ihnen, stand ich dort als Jäger, der von Hass zerfressene Kaptain Ahab, der den Wal für alles Unglück verantwortlich machte. Ungeachtet der Tatsache, dass er den Wal nicht hätte jagen müssen, dann auch sein Bein noch besäße.
Die Türen, der Raum und die Treppe, wurden zum unscharfen Hintergrund. Die Fahrstuhltüren wurden zum Symbol. Sie würden aufgehen, wenn der Fahrstuhl ankam. Der Wal entkäme mir in den Wellen.
Ich sah nicht nur kurze Hosen. Es waren die hässlichen Hosen für alte Männer. Hosen, die den Blick auf widerliche blasse Beine freigeben. Hochgezogen bis zum Bauchnabel, wie sie eben Spießer tragen. Das Blau des Shirts brannte in meinen Augen, wie unter dem Einfluss einer psychodelischen Droge. Die Farbe wurde zum komplementären Kontrast der leichenfarbenen grobporigen Haut des aufgedunsenen Gesichts. Die schmutzigen Socken in den lächerlichen Sandalen, widerten mich an, obwohl unmöglich, strömte mir der ekelerregende Geruch in die Nase.

Meine Hände wurden kalt. Die gesamte Körpermitte ballte sich zu einem schwarzen Kohleklumpen zusammen. Die Ohren hörten nur noch das Atmen des Wals. Ich atmete fast nicht mehr, nur noch flach, soweit es der angespannte Bauch zu ließ. Alle Gedanken drehten sich nur noch um diesen einen Mann dort am Fahrstuhl. Eine Art Diavortrag. Leider ist das Harpunieren von Walen in Polizeigebäuden untersagt.
Mittler Weile stand ich hinter ihm. Jetzt roch ich ihn wirklich. Nikotin, Alkohol, ein abstoßendes Deodorant, säuerliche Ausdünstungen, kalter Schweiß, die Geruchskulisse einer menschenähnlichen Kreatur.
Drei Minuten? Fünf Minuten? Zehn Minuten? Ich hatte kein Gefühl für Zeit in diesem Augenblick.
Zusammen stiegen wir in den Fahrstuhl. Ein Käfig, aus dem es über vier Etagen kein Entrinnen gab. Jetzt endlich erkannte mich dieses Monster. Aus der Fratze kamen Worte. Er wagte es mich anzusprechen. Auch aus mir kamen Töne. Der Körper schrie, die Seele wollte töten, doch aus dem Mund kam kontrollierte Sprache.
Als wir ausstiegen, gingen wir in unterschiedliche Richtungen. Ich kotzte(*FN* In einer ersten Fassung benutzte ich das Wort „erbrach“. Erbrechen klingt nach „falsch gegessen“, zum Teufel mit der netten Sprache. „Kotzen“ ist genau das richtige Wort.*FN*) in den nächsten Mülleimer.

Zehn Jahre ist diese Fahrstuhlfahrt her. Kotzen in einen Mülleimer, noch dazu auf dem Flur eines Dienstgebäudes ist kein Ende für eine Geschichte. Mehr so etwas wie ein Zustand. Herman Melville, seien Sie beruhigt, ich musste auch nachschlagen, lässt Kaptain Ahab gefesselt an den Wal ersaufen. Haben Sie auch diesen großartigen alten Film gesehen? Ich meine die schwarz – weiß Version, in der Gregory Peck an den Wal mit den Harpunenseilen gefesselt immer wieder aus dem Wasser auftaucht? Ein überzeugendes Bild.

Auch wenn ich eine ganze Menge von asiatischen Weisheiten halte, es sind halt asiatische Weisheiten. Ich finde die sehr häufig zu weich. Mag ja alles richtig sein, aber ich bin kein Mönch mit glattrasierten Kopf, der verzückt lächelnd barfuß durch Berlin läuft. Buddha soll gesagt haben: „Hass ist, als wenn Du jemanden vergiften willst, jedoch das Gift selbst trinkst.“ Klingt schön, kommt bei mir aber nicht an.

Bei Moby Dick ist das schon deutlich plastischer. Für immer mit den eigenen Harpunen an den Wal gefesselt zu sein, erschien mir nicht erstrebenswert. Soll er doch weiter durch die Meere ziehen und andere Walfänger ins Verderben reißen. Er bleibt ein hässliches vernarbtes Monster, aber ich geh dann mal lieber ein Bier trinken. Das ist ein gutes Ende.

Ganz Schlaue unter Ihnen, denken jetzt bestimmt, nicht der Typ ist der Wal, sondern der Hass ist der Wal. Kann schon sein, aber der Typ personifizierte für mich alles in dieser Richtung, deshalb passt es schon. Heute betrachte ich ihn nur noch als Idioten, der auf einen noch größeren Idioten getroffen ist, nämlich meine Person.

Gewidmet meinem Weissen Wal “T.D.”