Verzicht, Empört Euch!

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Zitat: “Ausgerechnet in der Corona-Krise, in der viele Menschen auf vieles verzichten müssen, philosophiert SPD-Chefin Esken über mehr Lebensqualität durch Verzicht. Und das auch noch im Superwahljahr. In der SPD rumort es nun gehörig.”

https://www.welt.de/politik/deutschland/article227091343/Vorstoss-von-Saskia-Esken-Jetzt-predigt-die-SPD-Chefin-den-Verzicht.html Stand: 26.2.2021

Das harmlose Substantiv “Verzicht” wirkt auf Konservative und Jünger der Religion des Marktes, wie Weihwasser auf den Teufel oder Knoblauch auf Vampire. Doch was bedeutet es, wenn jemand verzichtet? In der Regel gibt es etwas, was ich bekommen könnte, aber es mir aus einem Grund heraus nicht nehme. Vielleicht bin ich gesättigt, und würde mich bei noch mehr Essen übergeben. Oder ich spüre, dass ich betrunken bin und will mir nicht noch mehr Alkohol zumuten. Es läuft immer darauf hinaus, dass ich etwas tun könnte, aber es bewusst unterlasse. Als Mensch habe ich ein breites Spektrum an Handlungsoptionen. Wenn ich es darauf reduziere, würde es bedeuten, dass ich jeden Tag auf einen Suizid verzichte oder darauf jemanden ums Leben zu bringen. Verzicht wird seitens der angesprochenen Personengruppe negativ konnotiert. Es geht um Konsum, Freizeitgestaltung, Besitz, Statussymbole und einiges andere in dieser Richtung. Das war nicht immer so. Im Christentum waren wenigstens den Texten nach, Maßhalten, Zurückhaltung, Genügsamkeit, eher Tugenden, während die Völlerei, die Gier, Maßlosigkeit, Übermaß, zu den Sünden gehörten. Bei den Benediktinern/innen, Jesuiten, Franziskaner/innen und zahlreichen anderen Ordensgemeinschaften kann hierzu jeder im Bedarfsfall nachfragen. Wer nicht Fragen will, kann alternativ in der Bibel unter den Stichworten, Sintflut, Babylon oder Sodom und Gomorrha, nachlesen. Verzichten die überzeugten Christen oder sind andere Worte passender? Und wenn Christen, die meisten Konservativen rechnen sich zu ihnen, haltlos konsumieren, sind sie dann gar keine oder wenigstens Sünder? Nebenbei habe ich dies bei der Katholischen Kirche noch nie verstanden.

Bei Texten und Kritik folgt auf Verzicht in der Regel ein Hinweis auf Verbote. Die Aufforderung zum Verzicht geht bei dieser Logik immer mit einem Verbot einher, ansonsten würde niemand freiwillig von der Möglichkeit zu Handeln Abstand nehmen. Wenn ein Mensch nicht handelt, wird dies auch unterlassen genannt. Vielleicht, weil die Gefahr besteht, sich selbst oder andere zu gefährden. Oder es gibt schlicht keinerlei Motiv für eine Handlung. Warum sollte ich beispielsweise etwas kaufen, was ich überhaupt nicht benötige? Die Antwort ist bekannt. Es geht nicht um die Notwendigkeit, sondern das Bedürfnis danach. Zum überwiegenden Teil um Bedürfnisse, die in einem geschickt erzeugt werden. Jeder/jedem steht es innerhalb von gewissen Grenzen frei, die Bedürfnisse, auch wenn sie durch Manipulationen entstanden, zu befriedigen. Wie sehen diese Grenzen aus? Immer, wenn ich andere mit meiner Bedürfnisbefriedigung schädige, wird es kritisch. Es gibt Ausnahmefälle. Ich denke dabei an im Mangel vorhandenes Existenzielles, um das ich mit anderen kämpfen muss. Wenn bei drei Personen das Wasser nur für zwei zum Überleben reicht, wird es unangenehm und ethisch sehr theoretisch, während es praktisch in der Regel handfest zur Sache geht. Doch wenn man nicht gerade das Pech hat, in einem Flüchtlingscamp festzusitzen, betrifft dies die wenigsten Mitteleuropäer und nahezu niemals Konservative. Dies liegt in der Natur der Sache. Müssten sie sich solche Sorgen machen, würden sie innovativ werden und schleunigst Änderungen anstreben.

Bleibt also die unmittelbare oder mittelbare Schädigung anderer Menschen, und ich denke die Erweiterung ist zulässig, anderer Lebewesen, da das komplexe Lebenssystem der Erde von allen abhängig ist. Man kann diese Einschränkung auch als logische Bedingung für die Freiheit sehen. Alles ist erlaubt, solange ich keinen objektiv vermeidbaren Schaden anrichte, sollte ich es dennoch tun, muss ich damit leben, dass mich die Geschädigten zur Verantwortung ziehen. Demnach ist das Unterlassen einer möglichen Handlung eine an den Lebensprinzipien orientierte Unterordnung. Ich bin kein buddhistischer Mönch oder Jesuit, insofern bin ich selbst häufig genug einer, der nicht ganz ohne Schädigungen auskommt, zumal dies in meiner Umgebung irre schwer ist. Vieles ist vollkommen unnütz. Ich rauche, trinke Kaffee, für den andere ausgebeutet werden, benutze ein Smartphone, an dem viel Unmenschliches hinten dran hängt, u.s.w. Aber wenn ich darauf hingewiesen werde, zucke ich unangenehm berührt zusammen und weiß, dass ich lieber die Klappe halten sollte, statt eine Gegenrede zu führen. Oftmals bin ich für Verbote dankbar und ersehe sie als Hilfestellung. Wenn zum Beispiel von Heute auf Morgen die Herstellung und der Verkauf von Plastiktüten verboten wäre, würde ich dies begrüßen.

Bei mir kommt Verzicht gedanklich mit Übermaß bzw. Luxus, Vergnügen, daher. Ich könnte, benötige es aber nicht, also lasse ich es, zumeist mit positiven Folgen. Dazu gehören ab – und zu der Verzicht auf Zucker, Salz, Tabak, Alkohol oder auf eine Busfahrt, zugunsten eines Spaziergangs. Wenn etwas offensichtlich und ohne jede Frage schädlich für andere ist, dann kann von einem Verzicht nicht mehr die Rede sein. Dann handle ich unvernünftig, wenn ich es gedanklich ableiten kann oder unverständig, wenn ich es sogar unmittelbar sehe. Wie gesagt, ich bin keinesfalls ständig mit Sinn und Verstand unterwegs.

Wenn Konservative oder ihre Untergruppe, die Neoliberalen, zähnefletschend das Wort Verzicht benutzen, wollen sie aufwiegeln. “Da will Euch jemand etwas wegnehmen oder untersagen!” Der springende Punkt ist dabei, dass mir niemand etwas wegnehmen oder untersagen kann, was mir ohnehin nicht zusteht. Mit ungebremsten Konsum, der Beteiligung an der unverantwortlichen Zerstörung der Lebensgrundlagen, füge ich mir selbst und anderen einen objektiv sichtbaren Schaden zu. Welche Instanz sollte mir dieses zugestehen? “Es ist Dein Recht, zum eigenen Nutzen andere zu schädigen!” Hierauf könnte ich dann verzichten. Wir machen es in allen nur erdenklichen Formen, soviel steht fest. Doch ich finde, es klänge merkwürdig, wenn ein Außenminister sagte, wir könnten zwar einfach mal militärisch intervenieren, aber verzichten darauf. Was wir tun, ist das Ableiten von Rechten aus vorhergehenden Handlungen. Doch was genau hat uns die Flora und Fauna der Arktis getan? Oder all die Lebewesen in den Meeren? Was ist mit den Insulanern, bei denen demnächst Land unter ist? Fällt jemanden etwas ein? Ich bin gespannt.

Aus mir unerklärlichen Gründen heraus sind Konservative und Neoliberale von der Existenz dieser Rechte überzeugt, sonst würden sie das Unterlassen des Schädigens nicht als einen Verzicht bezeichnen können. Wie würde es klingen, wenn ich sagte: “Ich habe das Recht und die Möglichkeit, den Garten meines Nachbarn mit “”Roundup” in einen kontaminierten Buddelkasten umzuwandeln, aber weil ich ein Netter bin, verzichte ich darauf.” Nein, ich habe dies gefälligst aus mannigfaltigen Gründen zu unterlassen. Bisher bin ich noch nicht auf die Idee gekommen, mich darüber zu beschweren. Es war auch noch nicht notwendig, dass jemand sagte: “Verzichten Sie bitte darauf!”

2 oder 200 – Berufsethos

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«Zwei oder Zweihundert?» Diese Frage stand letztens bei einem Umtrunk mit einem ehemaligen Kollegen im Raum. Gemeint ist damit, der Berufsethos den wir einst gemeinsam hatten. Im Falle eines Anschlags oder einer ähnlichen Straftat, das eigene Leben herzugeben um den Täter von weiteren Handlungen abzuhalten. Oder, wie am 9/11 in den USA, möglichst viele Leben durch das eigene zu retten. Der Klassiker für alle Sicherheitskräfte und Soldaten, der sie von anderen Menschen unterscheidet. Ein wesentlicher Punkt! Die Mehrheit verfolgt eine andere Strategie. Anders: Wer sich diesem Ethos zuwendet, rettet Menschen, die damit selbst nichts am Hut haben. Zweihundert? Die Zahl erscheint willkürlich. Bei zwanzig würde es ebenfalls funktionieren. Das lässt sich bis auf den Faktor 1 : 1 reduzieren. Eigenes Leben zur Rettung eines fremden Lebens einsetzen, welches wiederum von einem fremden Menschen bedroht wird.
Die Überlegungen zeigen mir erneut, wie oft bei den Berufen Feuerwehr, Soldat und Polizei, tief greifende philosophische Themen berührt werden, die kaum eine Betrachtung finden. Warum sollte sich einer dazu berufen fühlen und ein anderer nicht? Mit welcher Berechtigung kann ein anderer, der selbst nicht bereit ist dies zu tun, es einem anderen abfordern? Kann und darf derjenige, welcher dazu bereit ist, hierfür eine Wertschätzung verlangen oder muss es vielmehr als eine individuelle Bereitschaft ersehen werden, die dessen eigner Pinselung des Egos dient? Teile der Gesellschaft, sehen dies so.
Ich selbst bin zur Auffassung gekommen, dass es tatsächlich eine sehr eigene Geschichte ist. De facto kann ich nicht wissen, welche Folgen sich aus dem Handeln ergeben. Das könnte nur ein Mensch aus der Zukunft. Vielleicht wären die Menschen der Zukunft dankbar, wenn der eine oder andere gestorben wäre. Ob sich ein Überleben positiv erwiesen hätte, kann gar keiner beurteilen. Ich weiß dies nicht einmal bezogen auf das eigene Leben. Dabei kommt die alte Frage auf, ob Leben gegeneinander aufgerechnet werden kann. Im Utilitarismus, ist das Hergeben des eigenen Lebens für das Wohl der Gemeinschaft gewünscht. Das regelt aber nicht mein Problem mit der Umwelt. Schaue ich mich um, sehe ich wenige Menschen, die sich dem Gemeinwohl unterordnen oder gar bereit wären, ihr Leben zu opfern.
Oftmals kommt das Buddelkasten Argument aus den Kindertagen: «Wenn sich alle so verhalten würden, bekämen wir ein Problem.» Damals, wie heute, dringt es nicht wirklich zu mir vor. Warum soll ich auf die Dissozialen Rücksicht nehmen, vielleicht ihnen noch helfen, oder im schlimmsten Fall dabei drauf gehen? Würde ich in einer Gesellschaft leben, die mehrheitlich, bis auf wenige Ausnahmen, den sozialen Weg favorisieren, sähe die anders aus. Das ist aber nicht der Fall. Ich lebe nun einmal in einer kapitalistischen Ellenbogengesellschaft, u. treffen meine Befürchtungen ein, wird es nicht besser werden.

Es besteht zumindest eine realistische Chance, dass sich Leute wie Friedrich Merz, Roland Koch, Dobrindt, Söder u.ä. politisch nach vorn setzen. Dann ist es endgültig Essig mit der Solidarität innerhalb der Gesellschaft und Skrupellosigkeit, Machtgier, Mammon übernehmen und die endgültige Abkopplung einer Clique wird vollzogen. Das wird sich mannigfaltig auswirken.

Es scheint mir dann doch eine sehr individuelle Angelegenheit zu sein. Mit der Bejahung des Ethos, verschaffe ich mir selbst ein gutes Gefühl. Ich wähne mich auf der Seite der Guten. OK, warum nicht? Wer es braucht, soll es machen. Aber es kann keine Verpflichtung dafür geben und auch keinen Anspruch, dass dieses Verhalten der richtige Weg ist. Die benannte politische Ausrichtung steht dem komplementär gegenüber. Kein in der Gesellschaft erfolgreicher Liberaler oder Neoliberaler käme jemals auf die Idee, sich innerhalb eines sozial relevanten Beruf zu engagieren. Bei Ihnen besteht die geistige Haltung: Bin ich erfolgreich, partizipieren die anderen ebenfalls. Ergo, hat meine Leistung eine besondere Wertschätzung – monetär – verdient. Geld ist bei ihnen der einzig mögliche Ausdruck eines Werts. In sozial relevanten Berufen funktioniert das Leben ein wenig anders. Sozial bedeutet u.a. die Akzeptanz, dass sich Erfolg durchaus jenseits von monetären Werten ausdrücken kann und ein Mensch aufgrund seiner Natur immer nur mit anderen zusammen erfolgreich sein kann.

Es ist mir als Mensch nicht gegeben, meine Lebensrolle und die eines anderen, für das Gesamtgeschehen zu sehen. Ich weiß nur, dass kein Leben folgenlos verläuft. Es ist mehr als vermessen, wenn sich ein Politiker positioniert und von Leistungsträgern der Gesellschaft spricht, die eine besondere Unterstützung benötigen. Vielleicht sind es am Ende genau diejenigen, welche alle ins Verderben stürzen. Die Atombombe wurde auch von wissenschaftlichen Leistungsträgen erdacht und entwickelt. Zyklon B wurde nicht von einem faulen Schulabbrecher auf der Couch zusammen gemixt. Das kann man alles niemals so genau vorher wissen.
Eins steht für mich fest. Große Teile der Bevölkerung verlassen sich genüsslich auf ihre so genannten Sicherheitskräfte. Im Gegenzuge sind sie aber nicht bereit, entsprechendes Verhalten ihnen gegenüber aufzubringen. Letztlich ist das Phänomen nicht neu. Bei jeder Berufsarmee ist dies der Fall. Besonders extrem ist es bei der französischen Fremdenlegion. Die sollen die Kartoffeln aus dem Feuer holen und wenn sie drauf gehen, ist es nicht so schlimm, weil es keine Franzosen sind.
Nach unserem Umtrunk, beobachtete ich die Leute auf den Straßen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und las die Kommentare in den sozialen Medien. Im Ernst? Für diese Ansammlung den Kopf hinhalten? Nö … wie schreibt sich eigentlich Misanthrop? Wobei das zu weit geht. Es gäbe durchaus einige, die ich mag. Aber in der Regel können die sehr gut auf sich alleine aufpassen.

Meinem Gefühl nach, ist die menschliche Solidarität innerhalb der westlichen Industriestaaten stark am Sinken. Unten werden die Menschen gegeneinander aufgehetzt und oben erfreuen sie sich am Ergebnis eines jahrzehntelangen rücksichtslosen Egotrips. Amerikanische Soziologen beobachten bereits längere Zeit ein stetig anwachsenden prozentualen Anteil von Psychopathen in den Führungspositionen. Ein hausgemachtes gesellschaftliches Problem. In einer Demokratie könnte man sich theoretisch dagegen wehren. Doch die Wahlergebnisse zeige, dass die Mehrheit diese Entwicklung positiv sieht. Warum auch immer. Aber so ist nun einmal Demokratie. Die Aussage einer Mehrheit, muss noch lange nicht richtig sein. Man hat sich lediglich darauf verständigt, sich ihr zu beugen. Zwischen Beugen und Unterstützen liegen Welten. Die Mehrheit stützt und wählt eine Politik, die „2 für 200“ oder wegen meiner „2 für 10“ immer häufiger werden lässt. Herrsche und Teile lautet das Motto der gegenwärtigen Politik. Dieses Teilen erzeugt Spannungen und die entladen sich. Auch dies ist ein Credo der Liberalen und Neoliberalen. Die Spannungen sind ihrer Meinung nach der Motor für den Wachstum. Recht simpel formuliert: Einer in der Gosse wird ihrer Meinung nach, einen höheren Antrieb haben, sich in das Wirtschaftssystem zu stürzen, als einer, dem es auch so halbwegs gut geht. Dummerweise neigt ein nicht zu vernachlässigender Teil der Menschen in einem derartigen System dazu, sich die Statussymbole anders zu besorgen, als mit mühseliger Arbeit. Zumal ihnen seitens im Rampenlicht stehender Persönlichkeiten vorgemacht wird, dass man auch ohne einen Beitrag für die Gesellschaft, ordentlich Geld verdienen kann. Ich betone es immer wieder: Ein erfolgreicher Großdealer und ein Investmentbanker, Aufsichtsratsvorsitzender oder Manager liegen charakterlich nah bei einander. Nein, ich halte nichts mehr von diesem Ethos. Ich streiche mal vollkommen das Zahlenverhältnis heraus. Darf ich das eigene Leben für mich selbst wichtiger erachten, als das eines anderen Menschen? Durchaus! Dies nennt sich dann Freiheit und Existentialismus… aber das ist einen anderen BLOG Eintrag wert.

2Gewidmet B. – einem der Guten!