Alleingelassene Borgs

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“Die Fenster haben keine Scheiben. Es ist kalt. Eine Katze ist im Raum. Wir brauchen ihre Hilfe.”
Zitat aus der nächtlichen WhatsApp-Nachricht eines Backpackers an die Betreiberin eines Guesthouses.

Ich sitze derzeit in einem Guesthouse auf der Insel Langkawi. Im Durchschnitt liegen die Tagestemperaturen bei 35 Grad und nächtens bei 30 Grad. Auf diese Information komme ich nochmals zurück. Als Notiz zum Merken: Es gibt hier drei Jahreszeiten, Hot, hotter, fucking hot!
Im Angebot sind private Zimmer, mit eigenem Bad und welche mit Gemeinschaftstoilette inklusive Dusche. Dazu muss man wissen, dass in Asien die Duschen nicht abgetrennt sind, sondern der geflieste Boden einen Ablauf besitzt. Für Europäer ein wenig gewöhnungsbedürftig, so wie der Schlauch, mit dem man sich den Hintern sauber spritzt, aber wenn man es einmal verstanden hat, lernt man es zu schätzen.
Hinzu kommt ein Dormitory, in dem fünf Hochbetten stehen. Die privaten Räume werden mit Deckenventilator oder Klimaanlage vermietet. Der “Dorm” ist mit einer zentralen Klimaanlage ausgerüstet, zu der eine Fernbedienung gehört. Jeder Gast kann eine kleine Küche nutzen, welche sich innerhalb eines nach drei Seiten offenen Areals befindet. Darüber und dahinter befinden sich die privaten Räume der Besitzer. Soviel zur Beschreibung der Kulisse.

Die meisten Gäste bleiben vier Tage, um dann zum nächsten “angesagten” Platz zu reisen. Vornehmlich handelt es sich um junge Backpacker aus aller Welt. Allerdings kommt aktuell die Mehrheit aus Europa. Vor zwei Tagen sagte eine Travellerin aus Argentinien zu mir: “Ihr habt in Europa eine seltsame Kultur. Ihr schickt Eure Kinder ins Ausland, habt ihr keine Angst um sie? Und vor allem: Warum bezahlt ihr das alles?”
Ich entgegnete, dass vermögende US-amerikanische Eltern nicht anders wären. Die würden ihre Kinder im sogenannten “Gap-Year” auch auf den Rest der Welt loslassen. Und das meine ich genauso, wie ich es schreibe. Die sind der Horror und nerven jede/n, die/der ein wenig Kultur in den Knochen hat. Ich glaube, ihre Eltern hegen die Hoffnung, dass sie außerhalb der Staaten ein wenig von der alten Welt lernen. Also, so etwas wie Kultur. Wenn man den Gesprächen lauscht, kommen einem Zweifel, aber dazu später mehr. Ein wenig hadere ich mit alledem. Ich finde es gut, wenn die heutzutage schon früh andere Kulturen kennenlernen. Im Hinterkopf hab ich dabei auch den Gedanken, dass die eine oder andere aus der Blase herauskommt und die Geschehnisse in Europa, Deutschland, aus einer anderen Perspektive sieht. Damit meine ich nicht diese Häme, in der es heißt: “Da sehen sie mal, wie gut sie es in Europa haben.” Das ist relativ und hängt von vielen Faktoren ab.

Jedenfalls ergibt sich aus ein spannendes Szenario. Bei Hochbetrieb leben 25 fremde Menschen zusammen, teilen sich Töpfe, Pfannen, die sanitären Anlagen und Tisch, Stühle, Couch im Aufenthaltsbereich. Eigentlich sind hier die sanitären Anlagen einfach zu verstehen. Man benötigt keine Ausbildung für sanitäre Anlagen, damit sich einem die grundlegenden Funktionen erschließen. Aus der Wand ragt ein Drehknauf heraus, mit dem man das Wasser zum Laufen bringt. Gut, bisweilen ist er ein wenig schwergängig und mit seifigen Händen kann es Probleme geben. An der Wand befindet sich ein Durchlauferhitzer, mit einem Zulauf, welchen man mit einem Hahn absperren kann, der etwas griffiger ist. Wenn man also unter der Dusche steht und kein Wasser kommt, muss man sich in das Gehirn eines oder einer Backpacker/in hinein versetzen. Hände seifig, Hahn glitschig, also das Wasser oben abdrehen! Bisweilen muss man den Wasserhahn gar nicht andrehen, weil ein oder eine überforderte Backpacker/in, aus der Dusche ohne das Wasser abzudrehen, flüchtete. Und warum sollte man irgendjemand informieren, wenn das Wasser aus dem Spülkasten herauskommt? Wasser kommt von irgendwo her, findet auf mysteriösen Wegen in den Spülkasten und spült die Hinterlassenschaften der Verdauung weg. Was da in dem Kasten passiert, ist Zauberwerk oder irgendein hoch komplizierter Kram, der einen verstört. Tilt! Wegrennen!

Hoch qualifizierte Ingenieure der Raumfahrttechnik erfanden einst Teflon. Irgendeiner der Jungs, oder vielleicht eine Chemikerin, hatte ein Händchen fürs Kochen und kam auf die Idee, damit Pfannen zu beschichten. Mittlerweile wissen die meisten meiner Generation, dass Teflon eine Beschichtung ist und somit mittels Küchenwerkzeugen aus Metall abgekratzt werden kann. Leider ist dies noch nicht zu Backpackern/innen vorgedrungen. Eben sowenig, dass es keine mystischen Wesen gibt, die abwaschen oder wenn etwas abgewaschen ist, aus dem Ständer entfernt, wo man die Sachen zum Abtropfen hinstellt. Es beeindruckt mich immer wieder neu, mit welcher Kreativität der Stapel konstruiert wird. Ich nehme an, die meisten kennen das Spiel “Timber”. Dies wird hier jeden Tag gespielt, nur eben mit Geschirr. Mir fällt gerade auf, dass ich mich in einem Punkt korrigieren muss. Gealterte Tontechniker (78 Jahre) aus Liverpool, scheinen das Prinzip Teflon und anschließenden Abwasch auch nicht zu kennen. Zumindest in einem speziellen Fall kann ich dies bezeugen. OK, der Mann hatte immer deutlich jüngere Freundinnen und wurde vom Tour-Koch großer Bands betreut. Da drücke ich mal ein Auge zu. Der kennt seine Regler und schwelgt in Erinnerungen von Bowie und Queen.

Doch all das ist nichts gegen die Dramen, welche sich im Dorm abspielen. Ich erwähnte die Temperaturen. Selbst residiere ich in einem Privatroom mit Deckenventilator und ohne Klimaanlage. Manchmal hat das etwas von der Szene am Anfang des Films “Apokalypse Now”, in der Martin Sheen in Schweiß gebadet auf seinem Bett liegt. Ich denke mir, dass es sinnvoller ist, den Körper an die Temperaturen zu gewöhnen, als ihn jeden Morgen einem neuen Schock auszusetzen.
OK, manche schlafen am besten bei 20 Grad und andere bei 25 Grad. Es bedarf halt, wenn man mit 9 anderen Personen einen Raum teilt, einer Einigung. Und wie man diese am ehesten erreicht, will gelernt sein. Ich hätte vorgeschlagen, dass man sich in der Mitte einigt und jenen, denen zu kalt ist, eine Decke organisiert. Diese Anforderung an Leute zu stellen, welchen um 5:00 Uhr morgens einfällt, dass sie um 07:00 Uhr abreisen und noch ihren Rucksack packen müssen, ist ein gewagtes Unternehmen. Also, woran scheitert es? Und sie scheitern regelmäßig grandios. Es vergeht kein Vormittag, an dem sich keine/r beschwert. Also, woran scheiterten sie in der Nacht?

Für mich ist das die Frage schlechthin, die sich bei allen anarchistischen Überlegungen stellt oder jeder stellen sollte, der darüber nachdenkt. Alles steht und fällt mit dem gegenseitigen Erkennen und Verständnis füreinander inklusive der Bereitschaft, die eigene Person, da wo man kann, zurückzunehmen. Das muss man lernen und psychisch gesund sein. Letztens war hier eine, die zuallererst ihre eigenen Reinigungsmittel auspackte und alles säuberte bzw. desinfizierte. Ich fragte mich, was so eine junge Frau mit augenscheinlichen Zwangsstörungen ausgerechnet in Südostasien machte. Ich war mit ein bis zwei Frauen zusammen, die so unterwegs waren. Nun, ich denke, mit so einem Menschen wird sich kein Frieden und kein Kompromiss finden lassen. Als Corona nach und nach Fahrt aufnahm, dachte ich: “Na toll, alle Neurotiker/innen fühlen sich jetzt darin bestätigt, schon immer richtig gelegen zu haben.” Tun sie nicht! Eine Pandemie ist eine besondere Situation, die besondere Maßnahmen erfordert und Alltag, ist Alltag. Einer/m Polizisten/in könnte ich es einfach erklären. Eine besondere Einsatzlage hat nichts mit dem alltäglichen Streifendienst zu tun und deshalb hast Du jetzt einen Helm auf. Im zivilen Leben funktioniert dies leider nicht. Da geht es in die differenzierte Denkart hinein. Eine erlernte Fähigkeit, die immer weniger Leute beherrschen. Andererseits kann man unterstellen, dass die Zwangsstörungen ein Ergebnis der gesellschaftlichen Entwicklungen in verschiedenen Ländern sind. Im konkreten Fall war es eine junge Russin. Und wie gesagt: psychisch gesund!

Ich will dabei nicht selbst als spießiger Deutscher herüberkommen, dem Ordnung über alles geht. Ich habe nichts gegen Unordnung, selbst dann nicht, wenn sich andere dadurch gestört fühlen. Aber wenn sie zu größeren Schäden führt oder zur Verletzungsgefahr wird, geht es zu weit. Hinzu kommt, dass bei dieser Konstellation die Arbeit beim Personal hängen bleibt und dafür bekommen sie deutlich zu wenig Geld. Allerdings ist dies auch so ein persönliches Ding. Ich hatte schon immer meine Schwierigkeiten damit, wenn andere für mich Arbeiten übernehmen, die ich genauso gut selbst machen kann. Möglicherweise ein Ausdruck meines Stolzes auf meine Herkunft. Wenn ich nicht gerade eine Bar oder Restaurant sitze, lasse ich mich ungern bedienen.

Ich hörte hier so einige Geschichten über Gäste, denen man dieses auch ohne ein studierter Psychologe zu sein, die Gesundheit absprechen darf. Zum Beispiel erwähnte ich den Schlauch, mit dem man sich nach der Notdurft reinigt. Die sanitären Anlagen sind für Toilettenpapier nicht ausgelegt und das Papier sorgt zusammen mit Binden, Tampons, regelmäßig für Verstopfungen. Kein Toilettenpapier zu benutzen, sondern die Alternative in Erwägung zu ziehen, sprengt bei einigen die kognitiven Fähigkeiten. Also verrichten sie ihr Geschäft dort hinein, wo sie auch das Papier hineinwerfen würden, in den Mülleimer. Andere nutzen wenigstens teilweise die Toilette, verzichten aber auf den Schlauch und werfen das stinkende Papier in den Eimer. Bei Temperaturen über 30 Grad auch kein schöner Geruch. Es kann aber auch in die andere Richtung gehen. Eine Russin mit Zwangsstörungen brachte es fertig, mit einem Lappen so lange auf einem Lichtschalter herum zu reiben, bis das Ding kaputt war. Schafft auch nicht jeder.

Heute sah ich bei Twitter das Video einer Influencerin. Eine junge Frau erzählt von ihrem vermeintlichen Tagesablauf in Berlin, in dessen Verlauf sie sich diverse “Smoothies”, also püriertes Obst und Gemüse zuführt, mit einer stylischen Yoga-Tasche in ein nicht weniger hippes Yoga-Studio fährt und ihren jungen Körper mit Übungen verbiegt, die sie für Yoga hält. Das Video endet damit, dass sie betont aufgeklärt von ihrer Trip-Planung nach Sri Lanka erzählt. Also wird sie auf kurz oder lang zu den Backpackerinnen gehören, die ich hier erlebe.
Leute wie sie empfinde ich als das Endstadium eines überversorgten, abgehobenen Bürgertums, deren jüngste Ableger in der restlichen Welt herumirren und dabei wirken, als wenn sie von einem anderen Stern kommen. Es ist schwer, das zu beschreiben. Alle um sie herum ziehen eine Art Show-Programm ab und denken sich dabei ihren Teil oder ziehen ihre Vorteile daraus. Mit der Lebensrealität der “normalen” Leute haben die nichts am Hut. Von dieser Realität sind sie entrückt. Einfachste mechanische Vorgänge und Zusammenhänge verstehen sie nicht. Gleiches gilt für einfache Abläufe, wie der Abwasch. Sie sind nicht bösartig.
Das Problem besteht darin, dass sie nicht nachdenken. Essen, Wegstellen, unter Umständen noch abspülen, dann endet es für sie. Sie bedürfen der Anleitung, Fürsorge, Versorgung. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Sie stammen aus einem Teilbereich der Gesellschaft, in dem ihnen stets gesagt wurde, dass das alles seine Richtigkeit hat. Letztens fragte ich einen Wiener in meinem Alter, was wohl aus all diesen oberflächlichen Influencern und ihren Followern eines Tages werden würde. Seine trockene Antwort: Alte verarmte ehemalige Influencer?

Wenn ich die mir alle anschaue, kann ich die deutsche Panik vor wirtschaftlichen und Abstrichen beim Wohlstand verstehen. Sie ist real und berechtigt. Jede/r aus einem anderen Land stammende, die/der sich zum Überleben mit der Realität auseinandersetzen musste, überfährt die. Wobei ich betone, dass das ein Teil der deutschen Gesellschaft ist. Ich denke, die stellen nicht einmal die Mehrheit. Berliner Straßenkinder sind eine andere Hausnummer.

Noam Chomsky schrieb zu den Themen Anarchie, Visionen und realistische Auseinandersetzungen etwas, was mich sehr zum darüber Nachdenken anregte. Ich stimme seinen Ausführungen zu, dass die modernen Gesellschaften nahezu alle Bereiche an die Wirtschaft abgaben. Doch größere Firmen, Konzerne, inklusive der Märkte, funktionieren nicht demokratisch, sondern knallhart hierarchisch. Die Verantwortung wird von unten nach oben durchgereicht und die Weisungen kommen aus den obersten Etagen. Ich füge noch hinzu, dass es wichtig ist, sich anzuschauen, nach welchen Kriterien die Entscheidungen getroffen werden.
Dient etwas oder meine Handlung der Gemeinschaft? Hat es für mich Vorteile, wenn dies so ist, weil ich ja selbst ein Teil der Gemeinschaft bin? Schaffe ich damit einen gerechten Zustand, der andere zufriedenstellt und ich daran partizipiere? Oder stelle ich all mein Handeln auf ökonomische Gesichtspunkte ab? Ich unterstelle, dass die angesprochene Influencerin nichts über die Entstehungsgeschichte ihrer angepriesenen Produkte weiß. Ebenso wenig über all diesen ganzen Smoothie-Kram, der als Trend in die Welt gesetzt wurde, damit Leute sehr viel Geld daran verdienen. Sie wird auch wenig über die furchtbare Wirtschaftskrise in Sri Lanka wissen, die zur Folge hat, dass jeder Dritte an Mangelernährung leidet. Für Leute wie sie ist es wichtig, mit dem Scooter zum nächsten Wasserfall zu fahren und dort ihre gesponsorten Badeklamotten in die Kamera zu halten. Oder sie wird überzogen staunend buddhistische Tempel präsentieren, ohne auch nur ansatzweise etwas über Buddhismus zu wissen.

Chomsky führt weiter aus, dass in den westlichen Staaten Regierungen aktuell die Aufgabe haben, die völlige Übernahme des demokratischen, freien, Gesellschaftslebens durch die Wirtschaft zu verhindern. Nur unter diesem Schutz könnten sie das nächste Niveau erlangen. Was mir wiederum sagt, dass wir alles dran setzen müssen, Männer und Frauen, die eben aus dem autoritären, hierarchischen, Wirtschafts- u. vor allem Konzerngeschehen kommen, keine weiteren Machtbereiche zu überlassen. Doch vielleicht ist es schon zu spät. Ein Teil der nächsten Generation ist dazu definitiv nicht mehr fähig. Sie sind derart “eingelullt” und in dieser Konsum-Gesellschaftsillusion lebend, dass sie hierfür verloren sind. Dies gilt selbstredend auch für ältere Leute, aber die sind Vergangenheit und Gegenwart, wichtig wäre die Zukunft.

Für das Klimaanlagen-Dilemma fand sich eine autoritäre Lösung. Die Betreiberin hat die Fernbedienung an sich genommen und bestimmt nun die Temperatur. Beschwerden werden freundlich belächelt. Beim Abwasch läuft es auf ein Mikado für Erwachsene hinaus. Wer zuerst die Nerven verliert und sich bewegt, hat verloren. Tja und ich darf mich weiter über die mir zugeworfenen Blicke manch Einheimischer amüsieren. “Andreas, was ist denn mit denen los?” Das Gute an Malaysia ist der Umstand, dass längst auch hier die Wohlstandsverwahrlosung eingesetzt hat und man nicht viel erklären muss.

Doch es sind nicht ausschließlich Backpacker, die mir zeigen, wie weit die modernen Massengesellschaften ihre Mitglieder in etwas verwandelt haben, was nichts mehr mit dem Homo sapiens zu tun hat, der es in der Hierarchie der Lebewesen so weit nach oben brachte. Anarchie bedeutet, entgegengesetzt der von Propaganda geprägten Sicht, nicht Chaos, sondern setzt auf eine sich natürlich ergebende Ordnung. Welche sich wiederum aus verständigen, vernünftigen, auf Anteilnahme und Rücksicht ausgelegten, Zusammenleben ergibt. Davon sind viele weit entfernt.

In einer Strandbar traf ich einen 30-jährigen Ehemann und Vater aus Estland. An sich ein Klassiker. Er hatte sich mit seiner Frau verkracht und zog es deshalb vor, nochmal alleine loszuziehen und die eigene Wut verziehen zu lassen. Er beklagte sich darüber, dass er mit seiner Familie, ohne gegen Corona geimpft zu sein, nicht nach Indonesien reisen könne. Mit Fassungslosigkeit nahm er zur Kenntnis, dass ich dreimal geimpft bin und davon ausgehe, dass der gelinde Verlauf meiner Infektion der Impfung zu verdanken habe. Seine Reaktion wirkte nicht gespielt. Ich schien für ihn der erste lebende Beweis zu sein, dass man danach nicht stirbt oder ferngesteuert mit Bluetoothempfang in der Gegend herumläuft. Kaum eine halbe Stunde später kam ich mit einer gebürtigen Russin ins Gespräch. Sie war wohl oft in Indonesien, spricht sieben Sprachen und arbeitet als Übersetzerin. Die erklärte mir, dass ich die Impfung nur überlebt hätte, weil ich als privilegierter Deutscher ins Konzept der Neuen Weltordnung passe und deshalb keine Impfung, sondern ein Gegenmittel gegen das vorsätzlich freigesetzte Gift gespritzt bekam. Ich fing gar nicht erst damit an nachzufragen, warum dann noch all die geimpften Inder, Malaien, Indonesier um uns herum leben würden. Mit Logik habe ich bei diesen Leuten keine guten Erfahrungen gemacht. An sich auch erwartbar, denn dann würden sie alleine darauf kommen, was für einen Unfug sie daher reden.

Wie auch immer, es sind nicht nur die jungen Backpacker. Ich denke, die Macher von Star Trek haben es wie so häufig auf den Punkt gebracht, als sie die “Borgs” in das Star Trek Universum einbrachten. “Widerstand ist zwecklos!”, lautet deren Standardansage, bevor sie andere Spezies assimilieren. Ohne das “Kollektiv” und ihre “Königin” sind die assimilierten Mitglieder hilflos. Man kann sie nicht einfach befreien und in ein anderes System des Zusammenlebens versetzen. Mit den Mitgliedern der modernen Massengesellschaften am Anfang des 21. Jahrhunderts verhält es sich genauso. Diejenigen, welche darin ihr Auskommen haben, sind gelangweilt. Jeden Tag können sie essen und trinken, was sie wollen. Sie gehen irgendeiner unbefriedigenden Arbeit nach, die ihnen nichts gibt. Ärztliche Versorgung, Medikamente, Hilfsmittel, sind einfach da. Geht etwas kaputt, wird es weggeworfen und neu gekauft. Kaum etwas hat wirklich eine Bedeutung. Sie sind in der Regel nicht einmal auf die Hilfe oder Kooperation mit anderen angewiesen. Also hat ihre egozentrische Lebensweise auch keinerlei unmittelbare, spürbare Folgen. Wie hieß es damals bei Pink Floyd?

Welcome my son
Welcome to the machine
What did you dream?
It’s alright, we told you what to dream

Sie bekommen nicht zwingend vorgegeben, was sie konkret denken sollen. Ihnen wird eine Praxis des Denkens vermittelt. Konnotationen, Wertvorstellungen, wie Schlussfolgerungen zu ziehen sind, welche Aspekte sie einzubeziehen haben und was sie vernachlässigen können, um solche Sachen geht es. Tja, bis das alles mal böse durcheinander geht. Die Pandemie war ein Einschnitt. Seit langer Zeit wurden sie mit etwas konfrontiert, was sich der Propaganda, den falschen und vor allem unmöglichen Versprechungen, entzog. Solange das Konzept gesteuerte Massengesellschaften besteht, bestehen wenig Chancen, in ihnen größere Mengen Menschen dazu zu befähigen, ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben, ohne Steuerung, Anleitung, Autoritäten, zu führen. Im Grunde genommen sind all die verqueres Zeug daherredenden Leute, Verschwörungstheoretiker, ein Versagen derjenigen, welche sie bisher steuerten. Ich kenne keine/n, der/die sich schon vor der Pandemie kritisch und intelligent mit gesellschaftlichen Vorgängen auseinandersetzte, die/der so weit abdriftete. Im Prinzip wurden sie alleine gelassen und suchten sich neue Vordenker, Anführer und Verführer.

Corona und Terrorismus

white ceramic sculpture with black face mask Lesedauer < 1 Minute

Bisher erlebte ich in der Bundesrepublik Deutschland noch nie eine derart intensive Diskussion über Risiken, Wahrscheinlichkeiten, Studien und wie man mit all diesen Aspekten umgeht. Oftmals geht es um das Verhältnis zwischen Freiheit, Risiko und Sicherheit. Interessanterweise ist dies die identische Basis für Diskussionen die bei der Terrorismusbekämpfung geführt werden. Einerseits der Wunsch nach einer 100 % Sicherheit, andererseits die Erkenntnis, was dafür alles geopfert werden müsste. Völlig paradox ist dabei, wie sehr sich gegen relativ harmlose Maßnahmen ausgerechnet die Leute wehren, die im Bereich Terrorismus ständig Verschärfungen und Erweiterungen der Eingriffsmöglichkeiten durch Sicherheitsbehörden einfordern.

Bundestrojaner, Telefonüberwachungen, Aufstockung des Personals für die Überwachung, vereinfachter Datenaustausch zwischen den Bundesländern, Behörden und Aufhebung des Trennungsgebots zwischen Nachrichtendiensten und Polizei, werden eingefordert, während das Tragen einer Maske, Testverfahren, Datenerfassung und Apps, Vorteile für Geimpfte, Beschränkungen in der Bewegungsfreiheit, kritisch betrachtet werden. Plötzlich besteht eine Sorge bezüglich eines kontrollierenden Überwachungsstaats, die an anderer Stelle vielmehr angebracht wäre.

Tausende Tote durch einen Virus stehen wenige Opfer von einigen vereinzelt auftretenden Terroristen gegenüber. Bei letzteren werden keine Wahrscheinlichkeiten berechnet und berücksichtigt. Nach jedem Anschlag werden neue Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger nebst Ausländern eingefordert und seitens des bürgerlichen Lagers und der Konservativen beklatscht. Eben jene, die innerhalb der Pandemie wütend gegen die Eingriffe staatlicher Institutionen anrennen. Wieder einmal ein deutlicher Indikator, wie die Psyche des Menschen funktioniert und wie das Großhirn Risiken vollkommen unterschiedlich bewertet. Man könnte auch sagen, wir sind bei der Entwicklung der Fähigkeiten bei der Bewertung vor langer Zeit stehen geblieben und scheitern in der Moderne grandios.

Der Tag der Kobra

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Es mag um die 25 Jahre her sein, da sah ich im Fernsehen eine Dokumentation der BBC über indische Schlangenbeschwörer. Der Reporter besuchte eine Familie, in der seit hunderten Jahren Kobras beschwört werden. Vor seinem Haus saß ein hagerer Inder mit Turban und im Mund hatte er vielleicht noch zwei oder drei Zähne. Hinter ihm standen große Körbe, in denen sich die Schlangen befanden. Zwischen ihnen spielten Kinder, von denen das älteste gerade mal etwas über sechs Jahre war.

Der Reporter fragte den Mann, ob den Schlangen die Giftzähne herausgebrochen worden seien oder ihnen das Maul zugenäht wurde. Wortlos griff der Mann aus einem der Körbe zwei Kaninchen und warf sie in einen mit einer Kobra. Sie biss zu und begann das Beutetier zu fressen. Danach griffen die Kinder in die Körbe und holten geschickt Schlangen heraus, die sie dem Kamerateam präsentierten. Ein wenig irritiert fragte der Reporter, ob der Mann keine Angst um seine Kinder hätte. Der schaute in deren Richtung und meinte: “Heute ist nicht der Tag der Kobra.”

Die Antwort befriedigte den Reporter nicht, deshalb fragte er: “Woran er denn den Tag der Kobra erkenne?” Seelenruhig antwortete der Schlangenbeschwörer: “Ich werde es wissen.”

Die Lebenseinstellung des Inders begleitet mich seit diesem Tag. Besonders während der Pandemie erinnere mich häufig. Der Mensch ist vermutlich die einzige Spezies auf der Erde, die zu einer Sorge fähig ist. Wir nehmen an, dass theoretisch in der Zukunft etwas passieren kann. Es ist nicht sicher, aber immerhin kann es dazu kommen. Dumm, wenn wir uns bis zum Lebensende um etwas Sorgen, was niemals eintrat. Wie viel unbeschwerter wäre das Leben gewesen? Mit der Schuld verhält es sich gleichermaßen. Kein anderes Tier kennt so etwas wie eine Schuld. Nur das Großhirn des Menschen konnte sie entwickeln. Das Gegenteil von sich nicht schuldig fühlen ist nicht die Verantwortungslosigkeit. Verantwortung bedeutet, dass ich im Rahmen meiner Möglichkeiten mein Handeln auf die möglichen Folgen prüfe. Kommt es dennoch zu einem Schadensereignis, wie auch immer es aussehen mag, fällt es unter die Kategorie Lebensereignisse, die schlicht geschehen, wenn man lebt und nicht ausschließlich funktioniert.

Schuld ist im Christentum entstanden. Es gibt ein unerreichbares Idealbild des Menschen und wer dem nicht entspricht, ist schuldig. Also alle Menschen! Jeden Tag entschuldigen sich in unserem Umfeld Menschen, fühlen sich schuldig, und sorgen sich je nach Ausrichtung um alles Erdenkliche. Eine ziemlich traurige Kultur. Unter der Voraussetzung des eigenverantwortlichen Handelns muss sich niemand schuldig fühlen, wenn sie oder er Träger des Virus wurde und eine/n anderen ansteckt. Das passiert und lässt sich nicht verhindern. Pandemien waren immer Begleiter der Evolution, daran werden wir nichts ändern. Man kann die Frage aufwerfen, ob Zoonosen eine Folge der Lebensart der Spezies Mensch sind. Glaubt man Wissenschaftlern, ist es an dem und wir werden weiterhin diesen Preis zahlen müssen, so wie andere Rechnung innerhalb der kommenden 30 Jahre präsentiert werden. Wenn jemand in diesem ganzen Spiel schuldhaft gehandelt hat, dann ist es die gesamte Menschheit der vergangenen 100 Jahre.

Ich sorge mich nicht. Wenn ich ihn mir einfange, werden wir miteinander ringen. Und sollte das kleine miese Biest gewinnen, gut, dann soll es so sein. Bisher habe ich nicht das Gefühl, dass es der Tag des Virus ist. Und wenn er es ist, werde ich es merken.

Die Seuche

Lesedauer 4 Minuten

In Europa gibt es eine Ur – Angst, die auf der Pest basiert. Die Pest Epidemien dezimierten ganze Landstriche. Die Leute starben wie die Fliegen. Dies hat sich tief eingebrannt.

Seither ist viel passiert. Die medizinischen Kenntnisse sind immens gewachsen. Vieles ehemals Tödliche hat den Schrecken verloren u. selbst der Krebs ist nicht mehr ein ultimatives Todesurteil und kommt mit Hoffnung daher.

Dies hat auch seine Tücken. Manch Erkrankter klammert sich verzweifelt an den letzten Strohhalm und lässt für ein paar Tage mehr, jede Folter über sich ergehen. Viele Krebsarten explodieren nach einer OP, u. sind der Beginn eines langen Leidens. Ich kannte einen, der sich ständig auf ein Neues operieren liess, um die Geburt des Kindes erleben zu können. Ein anderer wollte sein vermeintliches Lebenswerk, mehr Gerechtigkeit in die Welt zu bringen, beenden u. stritt bis zum letzten Atemzug mit der Polizeibehörde.

Wiederum andere, wollen den letzten Gang gehen, aber die Angehörigen lassen sie aus Egoismus heraus, nicht sterben. Ich hörte einen Arzt sagen: Geben Sie dem Mann eine Chance, die Botschaft, dass er gehen kann u. die Welt mit ihm in Frieden ist.

Das Verhältnis zum Tod bzw. der Länge des Lebens hat sich stark gewandelt. Es ist die alte Inakzeptanz des Grosshirns der Sterblichkeit. In den modernen “zivilisierten” Ländern herrscht die Illusion des garantierten langen Lebens über die biologische Programmierung hinaus. Früher war die Kindheit mit 12 Jahren vorbei u. mit Anfang 20ig entstanden große Werke. Mit 50 – 60 Jahren gehörte man zu den weisen Alten. 70 – 90 ging ins beinahe Mystische. Heute ist dies alles anders.

Stirbt ein Mensch vor dem Erreichen des 70ten Lebensjahr, fühlen wir uns vom Schicksal betrogen. Die Neigung, das Kapital Lebenszeit für nutzlosen Kram zu investieren, wird verstärkt, weil man für die wichtigen Dinge im Alter noch genug Zeit hat.

Corona tötet nicht zuverlässig. Das Überleben ist sehr wahrscheinlich. Das war bei der schwarzen Pest anders. Bedroht sind die Alten und die mit Vorerkrankungen. Das System Natur zeigt dem Menschen wieder einmal seine Grenzen auf. Das bereitet der Hybris des Menschen, einen quasi Gott Status erreicht zu haben, Schmerzen. Mehr noch, es entzieht sich der Kontrolle u. dies macht Menschen Angst. Sie geht meist mit Irrationalität einher.

Häufig lese ich in letzter Zeit von Kranken, die trotz aller medizinischer Kunst gegen den Krebs, am Ende von Corona geholt wurden. “Ätsch! Sagte Gevatter Tod und zog beim Spiel ums Leben einen letzten Trumpf!”

In Asien tragen manche Masken. Die Mehrheit verzichtet darauf. Wenige die teuren sinnhaften, die meisten jene, welche nur Staub abhalten. Nicht einmal Ehepaare sind sich einig und meistens tragen die Kleinkinder keine. Ausgerechnet die Alten, verzichten gänzlich darauf. In den meisten Ländern kommen sie ohnehin nicht in den Genuss der Intensìvmedizin. Die ist den Reichen vorbehalten. Gestern erlebte ich an der Grenze zu Thailand einen amüsierten zahnlosen Mann, dem die maskierten Grenzbeamten Spaß machten.

Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems setzt die Existenz voraus. Die Leute rennen in die Krankenhäuser u. zum Arzt. Das erste Problem ist schon einmal, dass man in unserem System nicht einfach seinen Arbeitgeber anrufen kann u. sich krank meldet. Die Krankheit muss bestätigt werden. Sonst könnte ja einer einfach “blau” machen. In China wird pure Heuchelei betrieben. In den ländlichen Gebieten sterben die Menschen o. überleben. Ende.

Quarantäne im Europa Style ist in vielen Ländern nicht durchführbar. Der Lebensunterhalt muss irgendwie verdient werden. Wenn Mutter krank ist, steht halt die Tochter mit der Gar Küche in der Strasse. Alles andere käme einem Todesurteil gleich.

Es liegt auch in der Natur der Sache, das Ärzte die grössten Mahner sind. Immerhin sind sie in der Illusion der Kontrolle, beim Zocken mit Gevatter Tod, die Spieler, welche mit am Tisch sitzen.

Corona zeigt an erster Stelle, wie die modernen industrialisierten Staaten “ticken”. Das Verhältnis zu Krankheit u. Tod. Gezeigt wird auch das Ausmaß der Heuchelei, wenn zuvor auf arme Staaten mit dem Finger gezeigt wurde und wird. Ein Umdenken, im Sinne einer Rückbesinnung wird nicht passieren. Vielmehr wird auf mehr Kontrolle gesetzt werden, statt sich mit der Angst, dem Fehler alles nach hinten in ein angenommenes späteres Leben im Alter zu beschäftigen und das System Natur, als eins über dem menschlich erdachten System, hinzunehmen.

Hierzu passt die Interpretation von “Carpe Diem”, als eine Aufforderung, heute alles zu besorgen und nicht auf Morgen zu verschieben. Doch ging es in der Antike nicht um den Mammon, Pflichterfüllung und Arbeit, sondern die Auseinandersetzung mit dem ICH – Prozess, der durch den Tod ein jähes Ende haben kann.

Zu Buddha soll eine Frau gekommen sein, die um die Heilung ihres todkranken Kindes bat. Buddha antwortete, dass er hierfür Wasser aus drei Häusern bräuchte, in denen noch nie der Tod gewesen wäre. Als sie keins fand, weil in allen Familien schon einmal jemand verstarb, verstand sie, das Leben den Tod bedingt.

Corona wird Folgen haben. Es kommt viel zusammen. Der sich stärker ausbreitende Nationalismus, die Situation an den Grenzen, das Verhältnis von Europa zu ärmeren Ländern, ein Amerika, welches sich unter der Führung von Trump immer mehr als etwas von den restlichen Staaten der Erde abgegrenztes betrachtet, der faktisch gebrochene Damm gegen Kontrolle und Überwachung. Corona wird zum politischen Argument werden. Und das Ende des Prozesses ist noch nicht absehbar. Eben noch belächelte Prepper, werden zu Vorbildern. Daraus wird vermutlich ein Wirtschaftszweig hervorgehen. Überhaupt sind die Folgen für die Weltwirtschaft noch nicht absehbar. Gesetze werden demnächst erlassen werden, die die Notstandsregelungen, wie Kinderkram erscheinen lassen. Existenzen werden innerhalb des Prozesses vernichtet. Die kommende Schliessung der gastronomischen Betriebe werden für einige Gastronomen bedrohliche Verluste bringen. Nichts bleibt ohne Reaktionen.

Der Glaube an die Kontrolle, die Überwindung des Schicksals, der Verlust des ausgeglichenen Verhältnis zwischen hinzunehmenden Risiken und Sicherheit, fordert Tribut.