28 Juni 2023

Persönliche Analyse des Rechtsrucks

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„Wir werden noch deutlicher Alternativen herausarbeiten, die es zur Politik der Regierung gibt. Deswegen werden die #Grünen unser Hauptgegner sein in dieser Bundesregierung. Die Grünen sind dafür verantwortlich, dass diese Polarisierung in der Energiepolitik entstanden ist.“ ™

Friedrich Merz, bei Twitter am 27. Juni 2023, als Reaktion auf die Wahl des AfD Kandidaten in Sonneberg

Irgendjemand sagte einmal: “Die Deutschen sind so lange Demokraten, wie es Ihnen gut geht!” Nun mag man meinen, dass es Deutschland im Verhältnis zu diversen anderen Regionen auf der Erde immer noch sehr gut geht, insofern alles gut ist. Aber sie sehen es nicht! Ich selbst wuchs mit einer weiteren Weisheit auf. “Nimmt man den Deutschen etwas weg, werden sie ungemütlich.” Es ist egal, auf wie viel sie sitzen und welche Privilegien ihnen zuteilwurden.

Derzeit wird die Partei der GRÜNEN seitens einiger Zeitgenossen und Zeitgenossinnen als Verbotspartei bezeichnet. Wieder einmal einer dieser propagandistischen Kampfbegriffe aus der Feder von PR-Agenturen, die sich in den Dienst der Konservativen stellen. Verbot! In Deutschland ein sehr wirkungsvoller Trigger. Es berührt die infantilen Persönlichkeitsanteile und aktiviert bei vielen zuverlässig das in ihnen verborgene trotzige Kind. Für mich ist das Richtungsweisend, womit einige politische Strömungen gedenken zu arbeiten.

Der Aufschwung der AfD wird seitens des Vorsitzenden der CDU, Friedrich Merz, den GRÜNEN angelastet. Daraus leitet er ab, dass die CDU künftig noch mehr, als bereits geschehen, gegen sie vorgehen muss. Seine Überlegung kann nur bedeuten, dass er von Wählern ausgeht, die mit ihrer Wahl gegen die aktuelle Politik der GRÜNEN protestieren wollten. Demnach ansonsten nicht auf die Idee kämen, den Kandidaten einer faschistischen Partei zu wählen. Liegt er damit richtig?

Ich behaupte seit einigen Jahren, dass Deutschland einen “Rechtsruck” erfährt. Als ich dies für mich erstmalig feststellte, befand ich mich noch im Dienst. In dieser Zeit sagte ein Dienststellenleiter, der lange Zeit mit Ermittlungen zu politisch motivierten Straftaten aus dem rechten Spektrum betraut war, zu mir Worte, die ich seither nicht mehr vergaß: “Wir sind uns doch wohl beide einig, dass die Rechten lange nicht das Potenzial mit sich bringen, wie die Linksextremisten.” Dies sagte er etwa ein Jahr, bevor die damals noch falsch zugeordneten Straftaten der NSU bekannt wurden.

Neonazis, rechte Skinheads, neu-nationalsozialistische Kampfgruppen, Vereinigungen, 1 % Rocker aus dem rechten Spektrum nebst Hooligans, sind seit Jahrzehnten Eskalationen von in Deutschland kursierenden Lebenshaltungen, Anschauungen, Zielen. Sie sind das Extrem, wenn man erstmal “harmlos” erscheinende Aussagen bzw. weniger “harmlose” Sprüche ausgehend von ungefährlichen Personen konsequent bis zu Ende denkt. “Denen müsste man mal den Arsch versohlen und sie längere Zeit einsperren!”, ist zum Beispiel schnell daher gesagt. Es gibt Zeitgenossen/innen, die dies tatsächlich umsetzen.

In Deutschland existiert meiner Auffassung nach innerhalb des Diskurses bezüglich rechter Strömungen ein eklatantes und gleichsam gefährliches Problem. Die meisten verwenden ausschließlich die Ansprache “Nazi”. Dieser Bezeichnung kann sich jede/r Erz-Konservative oder jemand, der sich der Neuen Rechten zugewandt fühlt, leicht entziehen. Diese Leute sind keine Nationalsozialisten. Doch dies macht sie nicht weniger gefährlich für eine offene, progressive, moderne Gesellschaft, in der sich Individuen jenseits einer gelenkten Massengesellschaft entwickeln können. Hinzu kommt, dass diese Leute nicht sehen, nicht wahrhaben wollen, wem sie am Ende den Weg bereiten und sie dies nicht unter Kontrolle bekommen. Schlicht, weil sie bei sich selbst nicht erkennen, welche Niederungen im menschlichen Habitus sie aktivieren bzw. unterstützen. Historisch betrachtet, passierte dies in der Vergangenheit diversen Politikern/innen und Philosophen, welche am Ende nicht fassen konnten, welche Dynamik entstand. Hierfür ist für mich das beste Beispiel Martin Heidegger, der bereits 1933 der NSDAP beitrat.

Im weiteren Text bezeichne ich die AfD bewusst, als eine faschistische Partei. Sie noch der Neuen Rechten, auf die ich später eingehe, zuzuordnen, halte ich persönlich für falsch. Ebenso sind sie keine Nationalsozialisten. Vielleicht sind sie sogar etwas Neues, eine Mixtur, mit ähnlichen Eigenarten, aber dennoch neuen Aspekten. Für Faschismus entschied ich mich wegen des Werdegangs und Ansätzen des Begründers Mussolini. Seine Biografie war für die damalige Zeit neu.

Robert A. Paxton, schreibt hierzu in seinem Buch “Anatomie des Faschismus, Die politische Gefahr des Faschismus ist keineswegs überwunden. Auf einer ersten Stufe existiert er auch heute in allen größeren Demokratien.

… Der Faschismus dagegen (Anmerkung: auf andere *ismen bezogen) war eine neue Erfindung, die frisch für das Zeitalter der Massenpolitik geschaffen worden war. Er suchte speziell die Gefühle anzusprechen, und zwar durch den Einsatz ritueller, sorgfältig inszenierter Zeremonien und intensiv aufgeladener Rhetorik. Die Rolle, welche die Programme und Lehrmeinungen dabei spielten, ist bei näheren Hinsehen grundsätzlich verschieden von der bei Konservativismus, Liberalismus oder Sozialismus. Der Faschismus beruht eben nicht explizit auf einem elaborierten philosophischen System, sondern eher auf populären Gefühlen, Ansichten über “Herrenrassen”, deren ungerechtes Schicksal und ihre gerechtfertigte Prädominanz über minderwertige Völker. Er hat keinen intellektuellen Unterbau durch irgendeinen Systembegründer wie Marx oder irgendeine bedeutendere kritische Intelligenz wie Mill, Burke oder de Tocqueville.

Robert A. Paxton, “Anatomie des Faschismus, S.30, Einleitung, DVA München, 1.Auflage

Weiterhin weist Paxton in seinem Buch mehrfach darauf hin, dass der Faschismus nicht ausschließlich nach den Worten und Reden der Protagonisten zu beurteilen ist, sondern immer die tatsächlichen Handlungen, auch die im Verborgenen, zu berücksichtigen sind. Letztere aufzudecken ist die Aufgabe des polizeilichen Staatsschutzes der Länder, des Bundeskriminalamts, der Verfassungsschutzämter und des Bundesverfassungsschutzes. Um so gefährlicher ist es, wenn sich diese teilweise in den Händen der Neuen Rechten, der intellektuellen Vorstufe des Faschismus, befinden. Die Aussage des aktuellen Leiters des Verfassungsschutzes Thüringen Stephan Kramer, der über diesen Verdacht erhaben ist, sollte einige Leute nervös machen:

„Die AfD ist der parlamentarische Arm einer viel größeren Verschwörung, einer revolutionären Verschwörung, sie wollen die Regierung bezwingen, den Staat, und das ganze System, das in der Bundesrepublik Deutschland eingerichtet wurde“

Stephan Kramer, Interview, NDR INFO, 28.06.2023

Solche Worte vernahm und vernimmt man nie von einem Vertreter der Neuen Rechten, dem ehemaligen Leiter des Bundesverfassungsschutzes und Hans-Georg Maaßen und gegenwärtigen Vorstand der CDU internen Werteunion. Er trat zeitweilig, vermeintlich aus Protest gegen die Wahl des AfD – nahen, Autors, Max Otte aus der Werteunion aus. Aus meiner Sicht eine unpräzise Aussage. Trat er wegen der Nähe zur AfD aus oder ging es vielmehr um die Person an sich und Aussagen, die die Werteunion in den Fokus des Verfassungsschutzes gebracht hätte? Immerhin steht Maaßen im Verdacht, die AfD diesbezüglich beraten zu haben.

Sonneberg

In Sonneberg standen für die rund 50.000 Wahlberechtigten anfangs der 57-jährige ehemalige Landmaschinen u. Traktorenschlosser, Fahrlehrer u. Ex-Bürgermeister, Jürgen Köpper (CDU), eine 53-jährige ehemalige Bundespolizeibeamtin und Volljuristin, Frau Nancy Schwalbach (GRÜNE), die 41-jährige parteilose (aber von der SPD unterstützt) Anja Schönheit, ebenfalls durchaus qualifiziert und der 50-jährige Volljurist u. Mitglied in der als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD, Herr Robert Sesselmann. Also vier für ein höheres Verwaltungsamt qualifizierte Kandidaten. Wenn schon Protest, wäre die parteilose Kandidatin eine nachvollziehbare Option gewesen.

Gewählt wurde Robert Sesselmann. Auch wenn es weh tut, klickte ich mich durch einige Videos. Im Gegensatz zu einigen anderen Mitgliedern der AfD – Thüringen (siehe z.B. Höcke) ein leiser, ruhig, auftretender Mann, der im Landtag den einen oder anderen vernünftigen Beitrag zu Verwaltungsthemen beitrug. Im Wahlkampf äußerte er sich im Wesentlichen zu Themen, die mit seiner zukünftigen Funktion als Landrat nichts zu tun haben. Da verstieg er sich in die übliche AfD Hetze und irrationales Zeug. Mit anderen Worten, der Mann kann mit Sicherheit Verwaltung.
Was nichts an seiner Haltung zu anderen Themen ändert, weswegen er wohl auch in der AfD ist. 12 Jahre Nationalsozialismus zeigten, dass Faschisten und Verwaltungsleute, zumeist Technokraten, durchaus zusammen passen. Ich denke, in dem ich mir einige seiner Reden anschaute, habe ich der Mehrheit seiner Wähler einiges voraus. Die wählten ihn nicht, weil er sich dort profilierte, sondern wegen seiner sachfremden Wahlkampfreden. Und da ist kein Protest zu erkennen. Die stimmten ihm schlicht und ergreifend zu.

Wenn ich mehrere Optionen habe, muss es einen Grund geben, warum ich weder eine der beiden Frauen noch den männlichen Gegenkandidaten wähle oder mich ganz der Wahl enthalte. Nochmals: Für die Leitung einer Verwaltungsbehörde waren alle vier ausreichend qualifiziert. Parallel führte nachvollziehbar der Rest der AfD für ihn Wahlkampf. Seine Qualifikation wurde in Nebensätzen erwähnt, doch der Fokus lag darauf, wie wichtig das Signal ist. Auch das nährt den Verdacht, dass es nicht Protest ging, hingegen die Annahme einer Zustimmung deutlich näher liegt.

Mir stellt sich an der Stelle eine grundsätzliche Frage: Wird eine oder einer durch die Politik anderer Parteien zur Faschistin oder Faschisten? Oder sind diese Leute bereits zuvor mit faschistischen Charaktermerkmalen und Haltungen unterwegs? Womit sie keinesfalls mittels Kurskorrekturen überzeugt werden können, es sei denn, man bietet ihnen selbst eine faschistoide Politik an.

Psychologie des Faschismus

Ein zentrales Merkmal des faschistoiden Charakters ist die Lust am Treten nach unten und dem Buckeln nach oben, auch Radfahrerprinzip genannt.[1]Erich Fromm, Psychoanalyse des Faschismus Der Psychoanalytiker Erich Fromm geht noch einen Schritt weiter und stellt eine Analogie zum “Sadomasochismus” her. Der Masochist, welcher sich führen lässt und damit alle Verantwortung aufgibt, kombiniert mit dem Lustgewinn andere quälen zu können, wobei er wiederum den eigenen Status erhöht.

Nach allem, was ich von ehemaligen Kollegen mit einer DDR – Biografie erfuhr, war diese Eigenschaft nicht gerade hinderlich. Ich bin kein Freund der Erzählung, in der sich 1989 die gesamte Bevölkerung der DDR für eine friedliche “Revolution” entschied. Faktisch wirkten zu dieser Zeit viele Kräfte auf die DDR ein, ohne die Einsicht Gorbatschows hätte sich vieles anders entwickelt und diverse Hardliner, waren gar nicht glücklich darüber. Das Buckeln beherrschten viele sehr gut. Darüber hinaus lernte ich welche kennen, die dies taten und zusätzlich politische Gefangene misshandelten.
Und auch in der zuvor bestehenden BR Deutschland, hat sich diese Eigenart niemals wirklich verloren. Gerade in den Behörden war sie stets gegenwärtig. Mobber, von denen es in Behörden einige gibt, erfüllen alle Kriterien.

In beiden deutschen Teilstaaten bestand in der Gesellschaft eine feste Hierarchie. Jeweils eine, in der die individuelle Verantwortung nach oben abgegeben werden konnte, gleichzeitig mittels des Tretens nach unten, der eigene soziale Status eine Steigerung erfuhr.
Im Unterschied zur BR Deutschland wurden die meisten DDR-Bürger beinahe elterlich an die Hand genommen. Berufliches Fortkommen oder auch nicht, Wohnungszuteilung, Freizeitgestaltung, Studium, soziale Maßnahmen, der real existierende Sozialismus sprang zur Seite. Nach ’89 hatte dies für viele böse Folgen. Ich erinnere mich gut an Ermittlungsverfahren, in denen vornehmlich junge Leute, aus echter Not heraus Diebstähle begingen, weil sie keinerlei Vorstellungen hatten, wie, in welcher Form und wo, sie Hilfe bekamen.
Des Weiteren wurde nach ’89 versäumt, den “neuen” Bürgern der BR Deutschland die Verfassungsgrundlagen zu erläutern. Wenn schon die Lücken bei den alten Bundesbürgern beklagenswert waren, gab es bei ihnen keinerlei Wissen und bis heute setzt sich das im gesamten Deutschland fort. Ich mache den Leuten daraus keinerlei Vorwurf. Wer setzt sich schon nach der Arbeit hin und beschäftigt sich mit dem Grundgesetz, dem Aufbau des Staats oder mit den Gegebenheiten des Straf-, Bürgerlichen- oder Verwaltungsrechts? Verwerflich wird dies erst, wenn Frauen und Männer, die in der Politik aktiv sind, über wenig Kenntnisse verfügen.

Während die einen bereits vom Kapitalismus auf “Haben” und allem, was damit zusammenhängt, gepolt waren, kamen jetzt Ausgehungerte dazu. [2]Erich Fromm, Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Taschenbuch – 1. Juli 2005Doch dieses Haben bezieht sich nicht ausschließlich auf sichtbare Güter, sondern letztlich auf nahezu alles. Die Leute reden nicht davon, dass sie sich ängstigen, sich sorgen oder fürchten.
Sie sprechen davon, dass Sie Ängste, Furcht, Sorgen, Verlustangst, Existenzangst, haben. Erst einmal klingt dies banal, doch wenn man länger darüber nachdenkt, merkt man, wie prägend dies ist. An dem, was ich habe, halte ich fest.
Die andere Formulierung, das Beibehalten des Verbs, beschreibt einen Prozess, der mit einem konkreten Anlass verbunden ist und irgendwann, mit dem Wegfall des Auslösers, endet. Der Faschismus setzt auf das traditionell bestehende, also dem Haben. Alles neu Hinzukommende, Philosophien, Lebenshaltungen, kulturelle Veränderungen durch Einwanderer, Ausländer mit längerem Aufenthalt, Asylanten, wird abgelehnt.
Wenn einem schon ein kompletter Staat abhandenkommt, will man wenigstens an den regionalen und vermeintlich typisch deutschen Gepflogenheiten festhalten. Doch auch die alten Bundesbürger, obwohl sie reisen konnten und internationalen Austausch pflegten, zeigen sich verängstigt. Es ist ja auch spätestens seit ’89 viel passiert und manch eine Region entwickelte sich bereits vor ’89 konsequent nie weiter. All dies bezieht sich nicht auf die ältere Generation, sondern die Jüngeren wuchsen ebenfalls damit auf. Mehr noch, die Jungen HABEN noch deutlich mehr Ängste, denn die Alten.
Sie bekamen eine Erziehung, in der es um das Bestehen innerhalb eines Konkurrenzkampfes geht. In der DDR hieß es, dass die “Intellektuellen” auch die richtig harte Arbeit kennenlernen müssen und ein wenig suspekt waren diese kritischen Intellektuellen immer, zumal sie zur Gefahr werden konnten.
Die ehemaligen DDR-Bürger fühlen sich gedemütigt und dies gaben sie an die Kinder weiter. Indessen fühlen sich die anderen nach dem zigsten Skandal, all den falschen Versprechungen, verraten und verkauft. Viele sind in der Bonner – Dorfrepublik geblieben, in der die Welt noch überschaubar war. Multinationale Konzerne, Globalisierung, Digitalisierung, die damit einhergehenden Aufgabenstellungen, Gefahren, die andere Staaten bereits vor Jahrzehnten erlebten, überfordern sie. [3]Umberto Ecco, 14 Merkmale des Urfaschismus

Ohne vorhandene Eigenschaften, kein Faschismus

Ich könnte noch einiges mehr anführen. Aber ich will es hier dabei belassen. Für mich steht fest, dass für die Zuwendung zum Faschismus, ebenso für das Denken der Neuen Rechten, Grundvoraussetzungen vorhanden sein müssen. Wie angeführt sind Appelle an die Emotionen innerhalb der modernen Massengesellschaften ein Kernpunkt des Faschismus.

  • Schwierigkeiten bei der Ausbildung einer eigenen tragfähigen Identität,
  • Probleme bei der Reflexion der eigenen Schwächen und des Arbeitens daran, vor allem im Hinblick auf die eigene Rolle, statt andere verantwortlich zu machen (Opferrolle),
  • tatsächliche oder angenommene Ohnmacht,
  • Fixierung auf sozialen Status durch Besitz,
  • das Bedürfnis andere zu schwächen und zu kontrollieren,
  • die Bereitschaft sich dennoch unterzuordnen,
  • die Ablehnung des Intellekts, als vermeintliche Schwäche, statt dessen favorisieren der körperlichen Leistungsfähigkeit,
  • die Annahme, die einzig wahre Ansicht zu besitzen, sich in einer stetigen Konkurrenz zu anderen zu befinden, die einem etwas wegnehmen wollen,
  • die Sehnsucht Teil von etwas Großen zu sein, was die eigene Unbedeutsamkeit wett macht.

Ganz gut zu beobachten ist das u.a. an Universitäten. Geringe Bildung ist nicht ursächlich für den Faschismus. Allerdings wird alles abgelehnt, was entweder nicht einem unmittelbar erkennbaren Zweck dient oder schlimmer noch, den Faschismus ablehnt. Naturwissenschaften fallen erst in Ungnade, wenn die wissenschaftlich gewonnen Erkenntnisse nicht ins Bild passen (siehe Klimaleugner). Lediglich eine bestimmte Sorte junger Männer lässt sich von Burschenschaften rekrutieren. Inwieweit die immer rechts sind, ist offen. Zumindest geben sie alles her, was faschistoid veranlagte Typen mögen.

Ebenso schwierig ist, wie bereits angeführt, die Abgrenzung zu der Neuen Rechten (künftig NR). Sie ist eine politische Strömung, die in den 50ern maßgeblich auf Armin Mohler[4]Armin Mohler war ein deutscher Historiker, Publizist und politischer Theoretiker. Er wurde am 12. April 1920 in Basel, Schweiz, geboren und verstarb am 4. Juli 2003 in München, Deutschland. … Continue readingzurückzuführen und entstanden ist. Sie vereint verschiedene rechtsextreme, nationalistische und konservative Ideen und Positionen. Die NR zeichnet sich durch eine intellektuelle Herangehensweise und eine Strategie der kulturellen Beeinflussung aus, um ihre Ideen in der Gesellschaft zu verbreiten.

Sie distanziert sich oft von offenkundig neonazistischen Positionen und versucht stattdessen, eine akzeptablere und weniger extremistische Fassade zu wahren. Sie bedient sich eines akademischen Vokabulars und versucht, ihre Positionen als Teil eines intellektuellen Diskurses darzustellen. Ein zentrales Ziel der Neuen Rechten ist es, Einfluss auf gesellschaftliche Bereiche wie Medien, Bildungseinrichtungen, Kunst und Kultur zu nehmen, um ihre Weltanschauung zu verbreiten und den politischen Diskurs nach rechts zu verschieben.

Die Neue Rechte in Deutschland vertritt oft nationalistische Ideen und betont die Wahrung der nationalen Identität, Kultur und Traditionen. Sie ist häufig euroskeptisch und lehnt die Europäische Union ab. Zudem zeigt sie oft eine Ablehnung von Multikulturalismus, Einwanderung und liberalen Werten wie Gendergleichheit und LGBT-Rechten.

Anzumerken ist, dass sie trotz ihres intellektuellen Auftretens und ihrer strategischen Taktiken weiterhin rechtsextreme und antidemokratische Elemente enthält. Ich denke nicht, dass ihr Kalkül ansatzweise eine Chance hat aufzugehen. Dem eigenen Verständnis nach befinden sie sich in der Tradition der Konservativen (z.B. Zentrum Partei) der Weimarer Republik und verweisen darauf, dass deren Mitglieder ebenfalls von den Nationalsozialisten verfolgt wurden.
Ich sehe es mittlerweile in der Form, dass oben als Überschrift Neo-Faschismus steht, und sich darunter neben dem von Mussolini eingeführten Faschismus, die Ausgestaltung nach Franco, der Nationalsozialismus und diverse moderne Interpretationen befinden.

Teile der UNION gehören eindeutig zur Neuen Rechten, während einige Mitglieder der AfD eine krude Mixtur, noch weiter in Richtung Ur-Faschismus, wenn nicht gar Nationalsozialismus, zusammenbrauen.

Unter der Führung von Friedrich Merz hat die Neue Rechte innerhalb der CDU, hauptsächlich organisiert in der Werteunion, erheblichen Aufwind bekommen. Was er da ankündigt, dürfte nicht dem Machtgewinn der CDU dienen. In vielerlei Bereichen sind die Grenzen zwischen AfD und CDU aufgehoben, sodass ein Gemenge entstanden ist. Nur, dass die CDU den Ruf weg hat, die der Neuen Rechten zuzuordnenden Mitglieder, allzu Stiefmütterlich behandelt zu haben.

Der Merz – Plan wird nur teilweise aufgehen

Merz und seine Seilschaft innerhalb der CDU könnten zu Gärtnern der AfD und der dahinter stehenden Kräfte werden. Nämlich dadurch, dass sie das “Beet”, den Nährboden düngen, aber statt der gewünschten Pflanzen jede Menge Beikräuter sprießen lassen. Oder um das Bild noch etwas zu erweitern: Sie benutzen einen Kompost, der aus den Abfällen des alten Faschismus und deutschen Nationalsozialismus besteht.

Hierbei ist auch die ungesunde Verknüpfung zwischen Kapitalismus und autoritären Systemen zu berücksichtigen. Klassische Unternehmen, Konzerne, Global Player, sind im Gegensatz zu beispielsweise Kooperativen, knallhart autoritär und hierarchisch strukturiert. Manche, wie z.B. Noam Chomsky, fürchten weniger politische Bewegungen, denn die Übernahme der Gesellschaften durch eben jene Wirtschaftsakteure. Wer mittels Bezahlung Propaganda initiieren kann, die Massengesellschaften steuern, braucht Wahlen nicht zu fürchten.

Ich wage es, mich für einen längeren Zeitraum festzulegen. Die sich weiter zuspitzende Klimakatastrophe mit all ihren Folgen wird ausgerechnet den Rechten, Konservativen, autoritär organisierten Wirtschaftsgrößen nutzen. Auswirkungen, wie Flüchtlingsbewegungen, Migration, Kriege um Wasser oder um für menschliches Leben geeignete Regionen, Unruhen, Aufstände, können sie in der deutschen Gesellschaft am ehesten bedienen. Gleichfalls ist die deutsche Bevölkerung noch weit davon entfernt, die auf sie zukommenden katastrophalen Veränderungen derart zu verinnerlichen, dass sie bereit wäre, ernsthaft notwendige Maßnahmen, wie sie z.B. seitens der Protestbewegungen oder auch den GRÜNEN gefordert werden, hinzunehmen. Ähnlich sieht es mit den Kriegsfolgen in der Ukraine aus. Wobei hier die noch völlig offen ist, was uns diesbezüglich erwartet. Ein Faktor, der völlig unberechenbar ist.

Ich verfolge aufmerksam im engeren und weiteren Bekanntenkreis die Entwicklung.

Ein kleiner Kreis, von dem ich nichts anderes erwartete, sieht z.B. die Proteste ähnlich wie ich. Im weiteren Kreis setzt immer mehr die Erosion ein. Es ist erschreckend, wie wirksam Propaganda sein kann. Überall sickern die “Spins” in die Gespräche und Kommentare ein. Kürzlich verfolgte ich bei Facebook Kommentare, in denen zum Beispiel der “Spin”, Greta Thunberg, sei ein missbrauchtes Kind, aufgegriffen wurde. U.a. geht dies auf ihr Asperger Syndrom zurück. Es ist zwecklos diesen Leuten rational entgegenzuhalten, dass gerade “Asperger” oftmals analytisch überlegen sind.

Gleichermaßen sieht es mit der Verschwörungserzählung aus, in der die Protestbewegung “Letzte Generation” eine “Kolonne” einiger Millionäre/Milliardäre wäre. Niemand leugnet die Geldzuwendungen. Zur Betrachtung stehen zwei Positionen. Fraglich ist, warum diese Leute bereit sind, zu fördern. Schaue ich auf die Entwicklung, verfüge über die notwendigen Mittel, kann aber aus verschiedenen Gründen nicht selbst handeln, schaue ich, wo ich mein Geld strategisch am ehesten unterbringen kann und dabei auch noch Steuern spare. Eine Informationsquelle hierfür ist influencewatch.org. Hier kann auch nachgelesen werden, wie der “Sponsor” der Letzten Generation “Climate and Clean Energy Equity Fund”, Untergruppe des “new-venture-fund“, bei dem Zuwendungen steuerlich abgesetzt werden können, funktioniert.

Dann muss ich mir die Empfänger anschauen. Ist Geld, der eigene Vorteil, ihr Motiv? Keinesfalls! Und Überraschung, selbst Frauen und Männer, die in der SPD maßgeblich eine Rolle spielen oder Gewerkschaftler springen auf die vermeintliche Verschwörung auf. Ehre, wem Ehre gebührt. Diejenigen, welche da im Hintergrund in den PR-Agenturen arbeiten, leisten ganze Arbeit. Auch wenn es teilweise die primitivsten Ansätze sind. “Die oder der kommt aus einem begüterten Elternhaus! Also sind das Heuchler!” Es funktioniert.
Die GRÜNEN und die SPD setzen auf Vernunft, Verstand und Werte. Nichts davon hat in der deutschen Bevölkerung eine Bedeutung, wenn es um Kraftfahrzeuge, Häuser, Urlaub, Fremde und finanzierbaren Konsum geht. Mittelfristig werden die autoritären Kräfte über Anpassungsmaßnahmen und diesbezügliche Versprechungen regieren, bis dies auch nicht mehr funktioniert.

Wer die Entwicklung stoppen will, muss öffentlich und umfangreich, gegen den Populismus, die allgegenwärtige Propaganda antreten, aufklären und darf sie nicht selbst anwenden. Und jenseits des Populismus, müsste in allen Bereichen “reiner Wein” eingeschenkt werden. Problem: Dies wäre das Ende der CDU/CSU, FDP, in der heutigen Ausgestaltung. Ergo, wird es nicht dazu kommen. Für mich ist die AfD der konsequente Part der “Konservativen”. Für Männer wie Höcke, denken diverse Mitglieder der CDU, vor allem die am rechten Rand, in die richtige Richtung, aber sind in seinen Augen “zu weich” es durchzuziehen. Ich befürchte, er wird eine Menge Zeitgenossen/innen finden, die ähnlich denken und sich deshalb der AfD zuwenden.

Quellen/Fußnoten

Quellen/Fußnoten
1 Erich Fromm, Psychoanalyse des Faschismus
2 Erich Fromm, Haben oder Sein: Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Taschenbuch – 1. Juli 2005
3 Umberto Ecco, 14 Merkmale des Urfaschismus
4 Armin Mohler war ein deutscher Historiker, Publizist und politischer Theoretiker. Er wurde am 12. April 1920 in Basel, Schweiz, geboren und verstarb am 4. Juli 2003 in München, Deutschland. Mohler war eine bedeutende Figur im intellektuellen Spektrum der sogenannten “Konservativen Revolution” und der NR in Deutschland. Er prägte maßgeblich die konservative Denkrichtung und war insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren einflussreich. In seinen Werken beschäftigte sich Mohler mit verschiedenen politischen, kulturellen und ideologischen Strömungen.
Er analysierte vornehmlich die Ideen der Konservativen Revolution im Deutschland der Weimarer Republik, darunter Denker wie Ernst Jünger, Oswald Spengler (Anmerkung: Mit eben jenem anti-demokratischen Vordenker des Nationalsozialismus, aber Gegner der Rassenideologie, sympathisiert Max Otte) und Carl Schmitt.
Mohler betrachtete die Konservative Revolution als eine Antwort auf die kulturelle Krise und den Zusammenbruch der alten Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg. Mohler wurde auch für seine Kontakte zur rechtsextremen Szene in Deutschland kritisiert. Er sympathisierte zeitweise mit nationalsozialistischem Gedankengut, distanzierte sich jedoch später von diesem und wandte sich einer nationalkonservativen Position zu. Er vertrat kontroverse Ansichten und war eine äußerst umstrittene Figur. Seine Werke und Ideen werden oft im Zusammenhang mit der Entwicklung der Neuen Rechten und des intellektuellen Rechtsextremismus in Deutschland diskutiert.
21 Mai 2023

Jeder hat die Pflicht sich selbst zu entscheiden

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In der Ukraine tobt ein Krieg. Wieder einmal stehen in Europa zumeist Männer vor der Entscheidung ob sie dem Ruf der Herrschenden folgen. Gestern lernte ich einen 30-jährigen russischen Feuerwehrmann aus Moskau kennen. Er ist in Sachen Krieg nicht unerfahren. Er erlebte das Bombardement während des Jugoslawienkriegs in Belgrad. Erstmalig hörte ich von ihm, dass damals auch Phosphor-Bomben abgeworfen wurden. Ob dies nun so war oder nicht, ist irrelevant. Persönlich glaube ich es nicht. Für die ausgewählten Ziele war das gar nicht notwendig und meines Wissens handelte es sich um Marschflugkörper, die Belgrad trafen.

Als er erkannte, wo die Reise mit der vermeintlichen militärischen Übung hingeht, verließ er sein Land. Zurück blieb seine Familie. Derzeit tarnt er seine Abwesenheit mit Reisen. Erneut war er in Serbien, Ungarn, Rumänien und nun ist er in Istanbul. Seine Familie, seine Töchter, sein kleines Enkelkind und seine Frau sitzen in Moskau. Weder seine Eltern, die Schwiegereltern, noch die Ehefrau sind mit seiner Entscheidung einverstanden.

Es ginge doch um Russland. Er habe die Pflicht für das Vaterland zu kämpfen und außerdem müssten die Schwestern und Brüder in der Ukraine befreit werden. Unterwegs traf er auch Deutsche, die meinten, es wäre falsch, dass die NATO die Nazis in der Ukraine unterstützen würden. „Wer Phosphor-Bomben wirft, will nicht befreien, sondern zerstören!“, sagte er zu mir. Aber wisse auch nicht, wie es weitergehen soll. Überall sah er flüchtende Ukrainer. Die müssten nicht einmal ein Pass besitzen. Eine Fotografie würde ausreichen. Als Russe würde es für ihn immer schwieriger ein sicheres Land zu finden.

Bis zu seiner Erzählung wusste ich nicht, dass russische Deserteure, was er de facto ist, in Deutschland kein Asyl bekommen. Möglicherweise würde sich dies ändern, wenn sie ihn offiziell zögen. Doch dann wäre es zu spät. Ausnahmsweise fühlte ich mich an die deutschen Immigranten im Vorfeld des II. Weltkriegs erinnert. Hätten sie erst die Sachen packen sollen, nachdem die GeStaPo sie zufällig nicht antraf? Erst nach dem Gespräch erfuhr ich, dass gemäß der Europäischen Union von einem Staat durchaus die Teilnahme an einem Krieg erwartet werden kann. Der Krieg an sich ist kein Verbrechen. Das Desertieren wird erst zum Asylgrund, wenn Kriegsverbrechen begangen werden sollen. Beim Überfall Deutschlands auf Polen wäre demnach einem Wehrmachtssoldaten ein Asylantrag verwehrt gewesen. Erst die Erschießung polnischer Juden hätte diesen Weg eröffnet. Nur wäre er mit Sicherheit zwischenzeitlich wegen Befehlsverweigerung standrechtlich erschossen worden. Nein, ich muss das alles nicht mehr verstehen. Na ja, ich kenne es. Wie hieß es bei der Polizei immer? „Das Leben ist kein Wunschkonzert!“ Und an meinem Gymnasium hing neben dem Musikraum eine Gedenktafel mit dem Spruch: „Das Vaterland darf jedes Opfer fordern.“

 

Es gibt in Deutschland diesen Hype um den verstorbenen Alt-Kanzler Schmidt. Quasi eine Ikone, der gern zitiert wird, als wenn er seine Worte von Gott empfangen hätte. Der meinte in einem später geführten Interview zur Entführung der Lufthansa Maschine und seiner Rolle: „Ich hatte als Offizier in der Wehrmacht gelernt, Leute an der Front in den Tod zu schicken.“ Als ich das vernahm, brach ich innerlich mit ihm. Dann doch lieber ein Willy Brandt, der sich dazu entschied, rechtzeitig zu verschwinden. Ein Umstand, den ihm konservative Politiker in den 60er-70ern Jahren nachtrugen. Denn viele von ihnen hatten sich anders entschieden. Mir geht es darum, dass auch Schmidt als junger Mann eine Entscheidung traf und sich mit der Aussage rechtfertigte, dass das halt in dieser Zeit so war. Andere trafen andere Entscheidungen, somit bestand die Möglichkeit. Immerhin ging eine seiner Lehrerinnen in den Widerstand. Im Nachhinein sprach er von einem inneren Widerstand gegenüber dem Nationalsozialismus. So ergeht es derzeit auch diversen jungen Russen.

Der Russe fragte mich viel über meine Familie. Bisher hatte ich die Parallelen nicht erkannt. Wie war das mit meinen Großvätern zum Ausbruch des Krieges? Der eine war mehr oder weniger unpolitisch. Aber er hatte Glück. Er war kein Mitglied der NSDAP, aber gezogen wurde er. Er landete bei der Marine. Doch unmittelbar nach der kurzen Ausbildung auf einem U-Boot ging er in Kriegsgefangenschaft. Dann auch noch nach Südfrankreich. Besser konnte man es in dieser Zeit kaum treffen. Zumal auf ihn nicht Frau und Kind warteten.

Der andere hatte es schwerer. Er war Mitglied der KPD. Sie entzogen ihm die Staatsbürgerrechte, trotzdem sollte er oder vielleicht gerade deshalb, in den Krieg ziehen. Angeblich soff er sich den Magen kaputt und wurde wieder nach Hause geschickt. Überprüfen kann ich das nicht. Aber laut seinem Wehrpass war er ein ziemlich mieser Soldat und da steckte Kalkül dahinter. Irgendwie eine ähnliche Lage, wie die, in der sich der junge Russe befindet.

Dann wollte er wissen, wie meine Meinung dazu wäre. Ich antwortete ihm mit Jean-Paul Sartre. „Wir werden alleine geboren, wir sterben alleine und wir entscheiden allein über Leben und Tod. Jemand sagt Dir, Du sollst den Abzug ziehen, aber Du drückst ab. Nicht Deine Frau, nicht Deine Kinder, nicht Dein Offizier und auch nicht Putin. Du ganz allein. Du musst über Dein Leben oder Sterben entscheiden, so wie Du auch entscheiden musst, ob Du töten willst, für was auch immer. Es ist Dein Gewissen und Dein Leben, welches Du zu Ende leben musst.“

Ich sagte dies zu ihm, weil es meine feste Überzeugung ist. In meinem Job musste ich bereit sein zu töten. Und ich wusste stets, wofür ich es tun würde und wann nicht. Ohne zu zögern hätte ich jederzeit einem Terroristen direkt in den Kopf geschossen. Hingegen wäre jeder entwichene Sträfling entkommen. Irgendwann hätte ihn schon jemand eingefangen. Deshalb empfinde ich für alle GrePos, die bereit waren auf einen flüchtenden DDR Bürger zu schießen tiefste Verachtung. Er muss wissen, ob er glaubt, was Putin und Konsorten von sich geben oder nicht. Und wenn er es glaubt, muss er wissen, ob es gerechtfertigt ist dafür zu töten und ob es ihm wert ist, dafür in den vermutlich sicheren Tod zu gehen. Im letzteren Fall kann er seinen Töchtern nichts mehr von sich und seinen Gründen erzählen. Das werden andere übernehmen. Ebenso kann er auf ein Überleben setzen. Gut, aber da er bereits für sich beschlossen hat, dass da eine faule Nummer passiert, wird er mit seiner Kriegsteilnahme zum Verbrecher.

Während wir sprachen gesellte sich ein Ukrainer zu uns, der ursprünglich aus Amur kommt. Der sieht es fatalistisch. Es ist ein Job sich gegenseitig zu töten. Viele Russen sind bitter arm und sehen eine Chance durch die Armee ein wenig Geld zu verdienen. Auf der Seite der Ukrainer, sind sich viele junge Männer nicht sicher, ob sie wirklich für eine eigene Nation kämpfen. Auf jeden Fall verdienten eine Menge Leute sehr viel Geld damit und ein Soldat bekommt von ihnen quasi ein Gehalt, ein schlechtes, aber immerhin ein wenig, bezahlt. Zum Ende hin setzte sich auch noch ein Südafrikaner in meinem Alter dazu. Ich fragte ihn nicht, aber einer seiner Elternteile muss weiß sein. Der Typ war noch zynischer und sarkastischer wie ich es grundsätzlich bin. Ziemlich offen meinte er: „Mein Land macht gerade ganz gute Geschäfte mit Russland. Die Entscheidung bei einem Krieg ist davon abhängig, welche Optionen Du hast. Kannst Du daran verdienen, bist Du dafür, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Du kämpfen musst, hau ab!“

Ich stimme ihm aus einer realistischen Perspektive zu. Krieg ist gut für das Geschäft, jedenfalls solange Du nicht allzu nah dran bist. Finde ich mich damit ab, in einer Welt zu leben, die von einem globalem Kapitalismus geprägt ist, läuft es darauf hinaus. Krieg ist ein Geschäft und das Töten ist eine Dienstleistung. All das idealistische Gedöns rundherum ist Unfug. Vaterlandsliebe, Patriotismus, Hilfestellung, Heldentum, all das sind im Kapitalismus lediglich Werbesprüche derjenigen, die daraus Gewinn schlagen.

Ich denke, der Abend hat dem jungen Russen (aus meiner Perspektive) eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben. Aus meiner Sicht traf er bisher die richtigen Entscheidungen. Im Zweifel soll er Frau und Kinder verlassen. Ich lernte bereits eine Menge anderer Männer kennen, die aus weit weniger nachvollziehbaren Gründen das Weite suchten. Lese ich, was einige deutsche Politiker und Politikerinnen von sich geben, schlimmer noch, was diverse Zeitgenossen in den Social Media an Kommentaren ablassen wird mir schlecht.

Eine Berufsarmee finde ich fair. Jeder, der dort hingeht, entscheidet sich unter bestimmten Voraussetzungen andere zu töten, zu verstümmeln oder alles kaputt zu machen. Dafür bekommt er, neuerdings auch sie, von den jeweiligen Interessenträgern, meistens den Herrschenden, Geld. Mit dem anderen Kram sollen sie mich in Ruhe lassen. Wir haben alle Dreck am Stecken. Mal mehr oder weniger unmittelbar. Die Zeiten, in denen unbescholtene, hart arbeitende Mönche, von Wikingern überfallen wurden, sind vorbei. Kriege sind ein Geschäft, bei dem wirtschaftliche Interessen konkurrieren und Dienstleister alles dafür Notwendige liefern. Und Soldaten/innen gehören dazu.

In Deutschland werden aktuell nur zwei Standpunkte akzeptiert. Entweder man befindet sich auf der „guten“ Seite und ist für Waffenlieferungen und den Versuch, die Russen zurückzutreiben, oder man ist dagegen, womit man zum „Freund“ Putins wird. Mir ist das zu simpel. Ich stehe nicht vor der Entscheidung für etwas zu töten oder zu sterben. Wäre es an dem, würde ich die Fragen stellen: Wofür? Für wen? Warum?

Was passiert nach dem Krieg und es wird hoffentlich ein danach geben. Der junge Russe bestätigte mir, was ich schon vermutete. Viele sind bitter arm und hoffen ein wenig Geld zu verdienen. OK, das Risiko, am Ende leer auszugehen ist hoch. Auf der ukrainischen Seite sieht es anders aus. Mit den Deportationen, Vernichtungsschlägen, Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen, erzeugten sie etwas, was über die Verteidigung hinaus geht. Siegt Russland, ist die ukrainische Bevölkerung verloren. Die ehemaligen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus, angeführt von einem ebenfalls blutrünstigen Diktator Stalin, führen sich auf, wie es einst die Deutschen, abgesehen von der Vernichtung der Juden, in Russland taten. Unter Umständen wären dies für mich Gründe, in den Kampf zu ziehen.

Waffen zu liefern ist letztlich eine halbherzige Lösung, die der Sorge vor einem Atom-Krieg geschuldet ist. Wäre Russland keine Atommacht, gäbe es nur eine Antwort: Befriedung/Intervention innerhalb eines UN-Mandats. Doch was bringt das alles, wenn es am Ende nur die Vorgeschichte für den nächsten Krieg ist, den Mächtige anzetteln und ihn von ohnmächtigen Leuten austragen lassen? Ist es dann nicht besser, für jeden mit den passenden Möglichkeiten, das Weite zu suchen? Dies ist meine Befürchtung. Beidseitig sterben und töten die Soldaten für eine Geschichte, die im dunklen Hintergrund passiert.

1 März 2023

Die Suche nach Frieden

Lesedauer 13 Minuten

Im Menschen stecken zwei Wesen. Der Primat, ein Affe mit trockener Nase und spärlicher Behaarung, welcher sich mit seinen Fähigkeiten an die Spitze der Nahrungskette setzte. Ein Raubtier! Eins, welches sich zu Horden zusammenschließen kann und nicht nur gemeinsam auf die Jagd geht, sondern auch gegen andere konkurrierende Horden unerbittlich bis zum Tod kämpft. Doch dieser Primat entwickelte ein Bewusstsein. Er kann sich über die Regeln der Natur hinwegsetzen, ihr trotzen, die Folgen seiner Handlungen erkennen, Trieben gewahr werden und sie kontrollieren. Erst, wenn dieses Bewusstsein, in Verbindung mit Verstand, Vernunft, Reflexion, zum Tragen kommt, überschreitet der Primat die Schwelle zum Menschsein.

Die innewohnende Aggressivität, die Kampfbereitschaft, die Intelligenzleistung, sich zusammenzuschließen und in einem Kampfverband zu organisieren brachte das Tier nach oben. Doch gleichzeitig bringt dies die Gefahr der totalen Vernichtung der eigenen und anderer Spezies mit sich. Kurzum, das Großhirn ist dazu fähig darüber zu entscheiden, ob es sich selbst und die Evolution beendet oder leben will.

Seit Menschengedenken wird experimentiert, wie man am besten das Leben gestalten kann. Krieg, Frieden, Diktaturen, Königreiche, Kaiserreiche, Klerikale Staaten, Anarchie, Kommunismus, Sozialismus, Kapitalismus, aus all diesen Experimenten kann man Lehren ziehen. Parallel entwickelten die Menschen immer ausgefeiltere Methoden, sich gegenseitig abzuschlachten. Wenn nicht bereits die Atombombe den absoluten Overkill ermöglicht, wird die absolute Waffe noch entwickelt werden. Da bin ich mir absolut sicher. Ginge man mit Vernunft und Verstand heran, wüssten wir, dass wir das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Die Waffensysteme haben einen technischen Stand erreicht, der völlig neue Betrachtungen notwendig macht. Ich denke, dass 1945 der historisch verpasste Zeitpunkt war, an dem die Chance bestand, inne zuhalten, alles neu zu bewerten und völlig andere Wege zu gehen. Doch jeder weiß, dass unsere Mütter, Väter, Großmütter, Großväter, deren Anführer, diese Chance verstreichen ließen.

Mit Nuancen besteht das alte System, welches zwei Weltkriege hervorbrachte, in den Grundzügen immer noch. Konkurrierende Nationalstaaten und Großmächte, ein globales Wirtschaftssystem, welches auf Wachstum, Profite, Gier, gründet und vor allem in einem Dilemma festhängt. Jede Großmacht inklusive ihrer Vasallen beäugen misstrauisch die Konkurrenz und ihre Strategien, sich Macht, Rohstoffe, geostrategische Vorteile, zu sichern. Und fortwährend flammt immer mal wieder ein Krieg auf.

Innerhalb dieses Systems ist es unmöglich sich herauszuhalten oder eine sichere Neutralität zu bewahren. Stets muss man auf der Hut sein, Allianzen schmieden, Drohkulissen aufbauen und dafür Sorge tragen, dass der andere nicht zu stark wird. Macht ein Beteiligter einen Schrittfehler, grätscht der Gegner hinein. Wird das System nicht radikal umgebaut, muss ich mich den aus ihm entstehenden Regeln beugen. Isoliere ich aus einem Computernetzwerk einen Client, der auf die Programme im Netz zugreift, kann ich mit dem nicht allzu viel anfangen.

Neue Friedensbewegung in einem alten System?

Dieser Tage gehen wieder einmal Leute auf die Straße und fordern Frieden. Einige sprechen von einer neuen Friedensbewegung. Ich kann dem nicht ganz folgen. Die alte, in den 80ern, richtete sich nicht gegen einen konkreten Krieg, sondern gegen das Wettrüsten zwischen USA und UdSSR. Nach allem, was man nunmehr im Nachgang weiß, waren die Sorgen der Bürger durchaus berechtigt.
Eher passend finde ich eine Analogie zu den Protesten in den 60ern gegen den Vietnamkrieg. Damals hieß der Aggressor USA und die verantwortlichen Präsidenten hießen Lyndon B. Johnson und Richard Nixon. Folgerichtig wandte sich die Protestbewegung gegen die USA und nicht gegen die kommunistischen Kämpfer auf der Seite der Vietnamesen. Und soweit ich weiß, kam niemand auf die Idee, einen Stopp der Waffenlieferungen für den Vietcong zu fordern. Dies wäre auch ziemlich zwecklos gewesen, da die Waffen damals aus dem Ostblock stammten. Ziehe ich einen Vergleich zu heute, hätten damals Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer den Vietcong zum Einstellen der Kampfhandlungen und eine Verhandlungsbereitschaft mit den USA einfordern müssen. Was garantiert nicht funktioniert hätte, da die USA mit aller Macht die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien verhindern wollten. Heute wissen wir, dass trotz des verlorenen Krieges nur Vietnam und Laos kommunistische Systeme aufbauten.

Nein, die seitens Wagenknecht, Schwarzer u.a. eingeforderte Demutsgeste der Ukraine hat nichts mit den Gedanken und Intentionen der 80er – Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland gemein. Ich betone Bundesrepublik Deutschland! In der DDR wurde damals die Ausrüstung mit SS20 Raketen und der Wehrunterricht in den Schulen favorisiert. Auch der Afghanistan-Krieg, ausgehend von der UdSSR, wurde billigend hingenommen. Während dieser Zeit schenkten sich die Geheimdienste aus Ost und West nichts. Damals ahnte man es, heute weiß man, dass der MfS im Westen fleißig unterwegs war.

Geheimdienste, Propaganda gehen nicht mit dem Krieg einher, sondern sind schlicht Unterabschnitte. Und zur Propaganda gehört das Grauen. Viele Waffengattungen sind darauf ausgerichtet, Soldaten und Zivilisten zu verstümmeln. Sie sollen nicht sterben, sondern davon berichten. Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen verfolgen den gleichen Zweck. Gleichfalls gehört es dazu, die Bevölkerung der anderen Seite gegen ihre Regierung aufzubringen. Der Hinweis, dass in der Ukraine tausende Menschen sterben, ist nahezu obsolet. Denn hierfür steht das Wort Krieg. Menschen schlachten Menschen ab, oder sie setzen Waffen ein, die Gliedmaße abreißen, Gesichter entstellen. Es wird gefoltert, geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt. Das Tier wütet. Wenn also Wagenknecht und Schwarzer auf die Sterbenden, Vergewaltigten, Gefolterten hinweisen, sagen nicht mehr oder weniger, als dass ein Krieg tobt. Die Bilder, das Grauen, gehört zu Putins Kalkül und ist Teil der Kriegspropaganda. Nun aber stellt sich die Frage, wie man darauf reagiert. Kann es richtig sein, die Opfer aufzufordern, endlich Ruhe zu geben, weil es dann vorbei ist? Putin ist in diesen Krieg nicht hineingeraten. Er hat ihn gezielt, kalkuliert, vorsätzlich, begonnen. Alles andere endete damit. Zuvor hätte es noch die Option von Verhandlungen gegeben. NATO, neutrale Zonen, die Einrichtung seitens UN-Truppen überwachter Regionen usw. Auch wäre die Einnahme unterschiedlicher Positionen gerechtfertigt gewesen. Doch all dies hat er mit dem Angriff beendet. Anders: Eine neue faktische Lage geschaffen, die Krieg heißt. Und da er sich nicht auf einige Gebiete beschränkte, lautet das Ziel: Vernichtung der Ukraine als Staatsgebilde. Ginge es nicht um Russland, einem Atom-Staat, gäbe es hierauf nur eine Reaktion: Eine seitens der UN genehmigte konsequente Intervention.
Aber da es sich nicht um einen der kleineren Staaten handelt, der überdies nicht Teil eines militärischen Paktes ist, kommt dies nicht infrage. Dies ist eine Botschaft an alle anderen Staaten auf der Erde, die u.a. Norwegen, Finnland und Schweden verstanden. Wer keine Atomwaffen besitzt und auch nicht Mitglied eines Militärpaktes ist, wird zur Beute, der niemand beispringen kann. Was bleibt, ist die logistische Unterstützung. Hier kann es meiner Meinung nach keine Abstufungen geben. Wenn ich mich dazu entschließe, muss ich es richtig und nicht halbherzig tun. Ob dies seitens Putins als Kriegsteilnahme oder nicht bewertet wird, ist ihm ohnehin selbst überlassen. Da können sich Völkerrechtler den Mund fusselig reden. Der Mann spricht öffentlich davon, dass der Westen vorhabe, die russische Ethnie auszulöschen. Reden wir doch nicht um den heißen Brei herum. Solche Töne kennen wir in Deutschland sehr gut. Diesmal kommen sie aus der anderen Richtung. Wer sich die öffentlichen Inszenierungen Putins zu Pferd in der Steppe, posierend mit Bären und Waffen anschaut, kann als Deutscher einfach nicht anders, als an den germanischen Zirkus der Nationalsozialisten zu denken. Letztens sprach ich mit einer Russin. Die sprach von “Brudervölkern”, die sich vereinen müssen. Ach Leute, haben wir Euch nicht gezeigt, dass dieser Schwachsinn keine gute Idee ist? OK, ich räume ein, dass wir sogar im Bundestag noch einige herumzurennen haben, die es immer noch nicht kapiert haben. Und wenn sie es nicht offen tun, quatschen sie von leistungsfähigen, ordentlichen, pünktlichen, fleißigen, Deutschen. Das ist der gleiche Dreck, nur eloquenter, mit einem neoliberalen Upgrade.

Meine Generation wurde in einem dualen, globalen System groß. Im Prinzip durften die beiden Großmächte innerhalb ihrer Bereiche schalten und walten, wie sie wollten. Die Gegenseite regte sich künstlich auf, aber es passierte nichts wirklich Gravierendes. Ich denke, eine Menge Leute rechnen die Ukraine immer noch dem alten Einflussbereich Russlands, der ehemaligen Führungsmacht der UdSSR, zu. Ein Aufbegehren der Ukraine, vornehmlich einer neuen Post-Sowjet-Generation, passt nicht in deren Weltbild. Und so wie ich dies aus Gesprächen mit Ukrainern/innen im Alter von um die 30-40 Jahre mitgenommen habe, sind sie im eigenen Land zerstritten. Die Alten sind entweder Freunde der alten Sowjetzeiten oder sie hassen sie. Einige der Älteren sprechen ausschließlich Russisch und werden über die russische Propaganda gesteuert. Mir scheint, dass durch einige Familien ein Spalt verläuft. Ich weiß auch nicht, inwieweit man dem ukrainischen Regierungsapparat über den Weg trauen kann. Beide, Russland und Ukraine, sind meiner Kenntnis nach tief mit kriminellen Strukturen verstrickt. In den 90ern erklärte mir in einer Vernehmung ein ehemaliger KGB Offizier das Prinzip der russischen Korruption. Seiner Beschreibung nach gab es damals ein unmittelbar kriminelles Handeln von Regierungsmitgliedern, welche er als die “Rote Mafia” bezeichnete und Banden, die unabhängig von diesen Personen agierten. Jene titulierte er als “Weiße Mafia”. Die Roten schafften damals, keine Ahnung wie es heute läuft, auf staatlich kontrollierten Wegen Geld außer Landes und parkten es in Firmen. Die Weißen entwickelten das Geschäftsmodell eben genau diese Firmen anzugehen und Zwangsbeteiligungen, zum Teil mit Gewalt, einzufordern. Ein wenig erinnerte mich dieses Vorgehen an einige ehem. Regierungsmitglieder bzw. Verwaltungsmitglieder der DDR in den Wendejahren. Und einigen Artikeln nach, ist davon auszugehen, dass z.B. auch Putin mit kriminellen Strukturen verstrickt ist. Er ist halt vermutlich ein Kleptokrat unter Kleptokraten, in einem Staat, in dem es sich die Oberen schon immer gut gehen ließen. Und ich denke, es wäre naiv, davon auszugehen, dass dies in Teilen der Ukraine anders ist. Was mich wiederum vermuten lässt, dass im Falle eines Weiterbestehens der Ukraine, die unteren Schichten nicht sonderlich viel davon haben werden. Was da im Einzelnen tatsächlich vor sich geht, werden nur absolute Insider verstehen.

Doch dies gehört für mich alles zum System. Ebenso, wie rund um den Krieg herum garantiert jede Menge krumme Geschäfte und Absprachen stattfinden. Allein schon der Umstand, dass die US-amerikanische Rüstungsindustrie quasi die Sektkorken knallen lässt, wenn Panzer aus deutscher Produktion in die Ukraine gehen und sie den Nachschub für die NATO stellen können, ließ aufhorchen. Bei den Ferengis aus dem Star-Trek-Universum gilt: Regel 034, Krieg ist gut für das Geschäft [1](DS9: Trekors Prophe­zeiung, Die Belagerung von AR-558) Regel 035, Frieden ist gut für das Geschäft [2]DS9: Trekors Prophe­zeiung. In einer Folge wird ein Ferengi in Kampfhandlungen verwickelt. Nachdem er sich mehrfach in seiner Deckung darüber beschwert, wird er auf diese Regeln hingewiesen. Er antwortet: “Die gilt nur, wenn man nicht zu nah dran ist.” Man muss kein großer Analytiker sein, um schnell zu kapieren, dass mit den Ferengis Neoliberale US-Amerikaner gemeint sind, deren Ableger sich in Deutschland in der FDP sammeln. Die Rüstungsindustrie ist keine Ansammlung von Patrioten, sondern ein Zusammentreffen knallharter Geschäftemacher, die nach den Regeln des Markts alles und jeden beliefern, bis ihnen mal wieder jemand auf die Schliche kommt. Machen wir uns nichts vor. Alles, was im Lager liegt oder auf dem Hof herumsteht, bringt keine Profite. Aber spätestens Munition ist Verbrauchsmaterial.

Systemimmanent ist aber leider ebenfalls der Umstand, dass die Rüstungskonzerne Teil der Gleichgewichtsstrategie sind. Baut der eine, zieht der andere nach. Wird irgendwo etwas entwickelt, was für ein innovatives Waffensystem nützlich ist, wird es aufgekauft und gleichzeitig die Forschung auf der anderen Seite gepusht. Da kann man nicht mal eben aussteigen, ohne sich Beulen einzufangen. Die Jungs aus der Nerd-WG in der Serie Big Bang Theory stehen vor diesem Dilemma, als sie für die NASA ein GPS-System entwickeln und erkennen, dass dieses ebenfalls in Waffensysteme eingebaut werden kann. Ihre Lösung: Wenn bisher kein Terminator aufgekreuzt ist, weil wir den Untergang der Welt eingeleitet haben, ist alles in Ordnung. Nun ja, eben eine Nerd-Rechtfertigung.

Was offiziell an Lieferungen erlaubt ist, richtet sich stets nach der Nützlichkeit eines Staats. Keinesfalls nach ethischen Aspekten. Ressourcen aller Art und Bereitwilligkeit der jeweils vorhandenen Regierung, diese möglichst günstig zu verkaufen, sind die Voraussetzungen für die Bewilligung. Bisweilen geht das schief. Es war keine gute Idee, die Taliban zu fördern und auszubilden, damit sie die russischen Truppen dezimieren. Jedenfalls nicht, wenn man ein paar Jahre später selbst einmarschieren will. Wenn Frau Wagenknecht eine Forderung aufstellt, sollte sie sich gegen alle Waffenlieferungen, jetzt, morgen, für immer aussprechen. Alles andere riecht verdächtig nach Heuchelei.

Für das Individuum bedeutet Krieg immer eine existenzielle Entscheidung. Sartre, als einer der Hauptvertreter des Existenzialismus, schrieb hierzu, dass sich jeder Soldat für oder gegen den Krieg entscheiden könne. Am Ende bliebe ihm immer einen Suizid zu begehen oder zu desertieren. Würden sich alle gegen den Krieg entscheiden, gäbe es keine. Aber so läuft es nun einmal nicht. Jedes Mal auf ein Neues, finden sich genügend, die kämpfen. Und ob es nun nach Russophobie klingt oder nicht, ist mir egal: Ich glaube nicht, dass jemand in die Hände von Truppen der Roten Armee fallen will. Den armen geknechteten Typen, die damals um Berlin herum abgezogen wurden, möchte ich nicht ausgeliefert sein. Wer Full Metal Jacket gesehen hat, weiß, was ich meine. Die Hierarchischen Systeme fordern den Kampf auf Befehl ein. “Stell Dir vor, es ist Krieg, aber keiner geht hin!”, stand in den 80ern auf Hauswänden. Netter Spruch – aber irreal.

Verständnis für Putin

Wer diesem Gemenge an prominenten Protestlern zuhört, stößt häufig auf ein gewisses Verständnis von Putins Handeln. Innerhalb des Systems sah er angeblich sein von ihm angeführtes Russland seitens der NATO bedroht. Na ja, wie wahrscheinlich wäre ein konventionelles Einmarschieren von NATO-Truppen in Russland? Es ist nahezu auszuschließen. Der Neoliberalismus zeigte in der Vergangenheit, wie es läuft. Mittels Wettrüsten, was durch das Dilemma funktioniert, wurde die UdSSR wirtschaftlich an die Wand gedrückt. Spätestens als im Zentrum des Inbegriffs von Kommunismus eine McDonald Filiale eröffnete, war klar, wie es weiter geht. Mit westlicher Dekadenz, Geld und Konsumgier die Roten an die Wand spielen. Solange dies mit einem Staatskapitalismus einherging und alle Oberen genug Geld scheffelten, ging dies auch durch. Wenn alles nach den Regeln der Spitze läuft, gibt es keine Probleme. Auch wenn es nicht hierher gehört, beobachtete ich in diesem Zusammenhang amüsiert den Aufstieg von Gerhard Schröder. Jeder, der auch mal eine Welt außerhalb des gehobenen Bürgertums kennenlernte, hat Biografien erlebt, in denen sich Leute von unten nach oben bugsierten. Ich habe keine Ahnung, wo die irrige Auffassung herrührt, dass sich solche Charaktere daran erinnern, wo sie mal herkamen. Sie tun es durchaus, aber anders, als sich dies einige wünschen. Zwei Typen aus ehemals ärmlichen Verhältnissen kommen nach harten Bandagen-Kämpfen in Luxussuiten an und schlürfen teuren Whisky. Mich wundert nicht, dass Putin und Schröder sich gut verstehen.

Meiner Meinung nach, war die Maidan-Revolution für Leute wie Putin und Konsorten ein nicht hinnehmbares Zeichen, gleichzeitig eine Gefahr für ihren Staatskapitalismus, der nur noch in einem Negligé mit der Aufschrift Kommunismus steckt. Wo landet man, wenn eingesetzte Marionetten einfach abgesetzt werden? Eventuell sogar noch die eine oder andere Sauerei aufgedeckt wird? Was passiert, wenn man an der Stelle Schwäche zeigt? Putins Problem war kein anderes, als die USA jedes Mal in Südamerika bekommen, wenn die Leute mal wieder einen Sozialisten wählen, der nicht geneigt ist, die Marionette zu spielen.
Die Verhältnisse auf der Erde verändern sich. Das 20. Jahrhundert sagt leise adieu. Das Thema USA vs. Sowjetunion, also das bisherige duale System, funktioniert zurzeit nicht mehr. Längst ist China als Dritter im Spiel. Und wenn sich Putin verkalkuliert, macht er Russland zum Vasallen von China. In diversen Ländern zeichnen sich Generationskonflikte ab. Einige Jüngere beginnen am Vorgefundenen zu zweifeln, während die Älteren noch in den alten Mustern hängen. Unübersehbar versammelten sich in Berlin mehrheitlich junge Nostalgiker und Frauen/Männer, die auf die 60 zugehen. Was auch immer Wagenknecht und Lafontaine verbindet, auch er gehört nicht gerade zu den innovativen Ideengebern. Alice Schwarzer ist 80! Ich weiß nicht, wie es um ihre Kenntnisse moderner digitaler Propaganda bestellt ist. Mich stört an den Protagonisten gewaltig, dass es durch die Bank Machtmenschen sind, die Hierarchien toll finden und sich an die Spitze setzen wollen. Wagenknecht ist von je her bekennender DDR-Fan. Eine Kommunistin ganz alter Schule. Hierarchie ist wichtig, jeder hat seinen Platz und seine Aufgabe. Ich kann nachvollziehen, dass ihr das Geschehen in der Ukraine suspekter ist, als das Verhalten Putins. Alice Schwarzer kämpfte zeitlebens für eine Umkehr. Gleichberechtigung wäre gut gewesen, aber sie wollte einen Machtaustausch zugunsten der Frauen. Das ist nochmals was anderes. Ich habe Frauen mit Macht kennengelernt. Meiner Erfahrung nach ist es die gleiche Chose, nur mit Brüsten. Sie kämpft nicht für die Auflösung von Hierarchien, sondern für einen Austausch der Machtpositionen. Grundsätzlich könnte man darüber sprechen. Frei nach dem Motto: Jetzt hatten die Männer lange Zeit Gelegenheit, die Leute herumzukommandieren, jetzt sind mal die Frauen dran. Aber ein Lösungsansatz für unsere Probleme ist das nicht.

Und auch wenn es die Teilnehmer bestreiten: Natürlich waren da teilweise die üblichen Verdächtigen mit auf der Straße. Was ich auch nicht weiter verwunderlich finde. Es gibt nämlich eine ganze Menge Überschneidungen. Die Veränderungen, nicht nur die bereits genannten, erfordern eine bei allen nicht vorhandene Anpassungsfähigkeit. Klima, Ressourcen, veränderte geostrategische Verhältnisse (z.B. ganzjährige Beschiffbarkeit der Nordroute), alternde Industrienationen, Flüchtlingsströme, kulturelle Veränderungen, junge Leute mit anderen Denkstrukturen, maßgeblich auch von der Digitalisierung und dem Internet geprägt, mischen die bisherige Welt auf. Keiner kann wirklich sagen, wo die Reise hingeht, schlicht, weil wir eine solche Lage noch nie hatten.

Tja, und dann spielen ein paar Alte die Spiele, welche sie schon immer spielten und ihre festen Rollen innehaben. Putins Nummer ist typisch 20. Jahrhundert, so wie auch die bisherigen Reaktionen aus dieser Zeit stammen. Kommunisten, Sozialisten, Faschisten, Neoliberale, Nationalisten, selbst die Anhänger des Systems der repräsentativen Demokratien, sind gedanklich alle in lokal eingegrenzten hierarchischen Systemen unterwegs. Internet, Digitalisierung, globale Probleme, sprengen diese Modelle. Weiterhin eint alle, dass sie es sich auf dem erreichten Niveau weiter gut gehen lassen wollen. Statt Arm und Reich zu mitteln und sich auf einen globalen Standard einzupendeln, der in der Mitte liegt, wollen einige die Armen auf das Level der Reichen ziehen. Ob das funktionieren kann? Ich bezweifle es.

Frieden?

Er wird eines Tages, so oder so, wieder eintreten. Und wenn keiner das globale System radikal verändert oder Umstände dazu führen, lässt der nächste Krieg nicht lange auf sich warten. Einen Typen aus dem 20. Jahrhundert, einen Veteranen des Kalten Krieges, mit Mitteln aus dem zurückliegenden Jahrhundert durchkommen zu lassen, halte ich für das falsche Zeichen. Die Diskussion über die Waffenlieferungen sind etwas aberwitzig oder mindestens zu spät. Wozu und wofür wurden denn die Dinger entwickelt, gebaut, getestet? Für eine reine Landesverteidigung des eigenen Landes benötige ich nur ein paar Atombomben. Greifst Du mich an, schicke ich die Dinger ab. Fertig! Nein, das Ziel lautet verkaufen, töten, kaputt machen, noch mehr verkaufen. Vielleicht noch, um in das eine oder andere Land einzumarschieren. Alle Atomstaaten können sich zurücklehnen und sagen: “Was ich auf meinem Territorium veranstalte, geht Euch nichts an. Mischt ihr Euch ein, knallt es.” Wenn, dann hätten sich all die Pazifisten bereits vor Jahrzehnten melden müssen und auf ein Verzicht der Produktion pochen sollen. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: “Upsi, damit kann man ja Menschen töten und verstümmeln!”, ist ein wenig albern. Und ob die nun in der Ukraine zum Einsatz kommen oder woanders, ist doch auch egal. Irgendeiner hat immer Pech. Lustigerweise haben wir die Leopard II Panzer sogar Chile angedreht, die damit nur in wenigen Regionen herumkurven können, weil der Rest aus Gebirge besteht. Rheinmetall schreibt zum Aufrüstungsset Revolution-Pack:

Das veränderte Missionsspektrum der heutigen Streitkräfte hat die Anforderungen an moderne Hauptkampfpanzer drastisch verändert. Es ist klar, dass sie weiterhin eine wichtige Rolle in aktuellen und zukünftigen Konflikten spielen werden. Aber in den allermeisten Fällen wird diese Rolle viel weniger mit der Gewinnung von Panzerschlachten zu tun haben, als mit der Sicherung positiver Ergebnisse in asymmetrischen Szenarien. Indem sie eine massive Kraftprobe produzieren, liefern Panzer eine kompromisslose Botschaft an Freunde und Feinde gleichermaßen und wirken in Konfliktsituationen weltweit als Wendepunkt. Neue Missionen und neue Bedrohungen, gepaart mit der Verfügbarkeit neuer Technologien, treiben den Modernisierungsbedarf. Was Armeen jetzt brauchen, sind effiziente und kostengünstige Lösungen.

https://rheinmetall-defence.com/en/rheinmetall_defence/public_relations/news/detail_1408.php

Asymmetrisch! So, so … mit anderen Worten, eine gut ausgerüstete Armee trifft auf eine militärisch schlecht ausgerüstete Partisanenarmee oder Aufständische. Was haben die bloß alle gegen Putin, wenn er von einer militärischen Operation spricht? In der euphemistischen Sprache der Militärs und Mächtigen gibt es schon länger keine Kriege mehr. Offiziell sind es bewaffnete Konflikte, mit internationaler Beteiligung oder eben jene ohne, früher simpel Bürgerkrieg genannt. Also, alle haben bisher brav dem einträglichen Geschäft zugestimmt und gut davon gelebt. Dass die Dinger nun ihrem Zweck zugeführt werden, ist konsequent. Bestellt und bekommen! Fertig. Im Übrigen wurden die Dinger auch an Staaten wie Qatar, Türkei, ausgeliefert. Die Saudis bekamen keine, weil sie sich nicht mit Israel verstehen. Deshalb mussten die USA in das Geschäft einsteigen und lieferten Abrams.

Doch um all solche Dinge geht es dieser sogenannten neuen Friedensbewegung nicht. Denen passen die Einschränkungen nicht, die sich aus der Solidarität mit der Ukraine ergaben. Putin wird sich denken: “Das war einfach!” Der kennt sich selbst ohne die modernen Möglichkeiten einer Stimmungserhebung, wie sie Geheimdienste regelmäßig durchführen, mit der deutschen Volksseele aus. Kalt? Teurer? Flüchtlinge? Geht gar nicht! Ergebt Euch gefälligst, damit mal wieder Ruhe eintritt. Etwas lächerlich ist die Angst vor einem Angriff auf Deutschland. Sollte es dazu kommen, hat sich alles erledigt. Darüber ist sich selbst Putin im Klaren. Ich hab leicht reden. Denn während ich schreibe, herrschen an meinem Aufenthaltsort über 30 Grad und meine Lebenskosten sind überschaubar.

In der Ferne stelle ich mir die Frage, ob es richtig ist, sich in Putins altes Spiel hineinziehen zu lassen. Und was ist gewonnen, wenn er abgelöst wird und andere weiter machen? Die USA und China suchen sich gerade mal wieder eine Spielwiese. China reibt sich mit Indien. Südostasien muss knirschend hinnehmen, dass die Chinesen in den Hoheitsgebieten der Küstenstaaten herum schippern. Erdogan und Assad machen ohnehin, was sie wollen. Hach, da gibt es soviel und alles ist ziemlich unübersichtlich. Nicht einmal das Wetter spielt noch mit.

Wie kann man alledem entkommen? Vielleicht läuft es bei der Menschheit, wie bei einem harten Alkoholiker. Bevor der nicht seine persönliche Bankrotterklärung erfahren hat, kommt er nicht vom Sprit weg. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass er diese nicht überleben wird. Ja, ich glaube, so könnte es laufen. Wir werden so lange weitermachen, bis es auf der absoluten Kippe steht und ob wir es überleben oder nicht, wird von Faktoren entschieden, die sich jenseits unserer Kontrolle befinden.

21 Oktober 2022

Die Klima – Aktivisten machen weiter

blue globe with plastic Lesedauer 6 Minuten

In dem Bericht (IPCC-Report) wird ausdrücklich festgestellt, dass ein schrittweiser Wandel keine praktikable Option ist. Er stellt fest, dass individuelle Verhaltensänderungen allein unbedeutend sind. Er stellt fest, dass Gerechtigkeit, Gleichheit und Umverteilung in der Klimapolitik von entscheidender Bedeutung sind.

https://scientistrebellion.com/we-leaked-the-upcoming-ipcc-report/

Nicht nur das sie weitermachen, sie bekommen auch noch Unterstützung. Als ich las, dass sich neben den jungen Aktivisten 50 Vertreter von Scientist Rebellion am Protest im Eingangsbereich des Bundesverkehrsministeriums in Berlin-Mitte beteiligten, war ich hocherfreut. Endlich! Der Berliner Tagesspiegel titelte hierzu: Aktivisten beschmieren Verkehrsministerium – Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung. Die symbolisch vergossene rote Substanz entpuppte sich als Rote – Beete – Saft (Huh!). Benjamin Jendro, Pressesprecher der Polizeigewerkschaft GdP – Berlin ließ verlauten: „Mit dem Bundesverkehrsministerium hat es am Dienstag bereits das zweite Bundesministerium im Wohlfühl – Biotop für Guerilla-Aktionen im Zeichen des Klimas getroffen und es ist eben auch kein Zufall, dass Menschen dafür extra nach Berlin kommen.“ [1]https://www.tagesspiegel.de/berlin/blockade-aktion-von-scientist-rebellion-klimaaktivisten-beschmieren-bundesverkehrsministerium-in-berlin-8764672.htmlWelche Gründe er dafür sieht, konkretisierte er anlässlich einer anderen Situation dem RBB mit den Worten “dass sich einzelne Menschen weiterhin täglich irgendwo hinkleben und massiv in den Alltag von Tausenden eingreifen, wenn der Rechtsstaat ihnen keine echten Grenzen aufzeigt”[2]https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/10/berlin-a100-klimakleber-blockade.html. Konkret wurmt ihm dabei augenscheinlich ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten, welches einen Blockierer wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 600 EUR verurteilte. Urteilschelte seitens der Polizei ist immer ein schwieriges Unterfangen. Es wird Gründe geben, warum wir in Deutschland Richter und Polizei auseinanderhalten. Früher war ich damit auch schnell bei der Hand. Aber mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass das ganz gut so ist.

Zwei Annahmen stehen damit im Raum. Die Aktivisten und die rebellierenden, renommierten, Wissenschaftler (Die Mitglieder stammen von allen Kontinenten und außerdem sind nahezu alle namhaften Universitäten vertreten.) getrauen sich nicht in anderen Bundesländern aktiv zu werden und hohe Strafen, womöglich Haftstrafen, würden sie abhalten. Ich behaupte mal, dass sich irgendwo anzukleben, sich mit der Staatsgewalt anzulegen, von wütenden Bürgern drangsaliert zu werden und von Uniformierten unsachgemäß physiotherapeutische Behandlungen zu bekommen, kein Spaß ist. Man muss schon von einer Sache sehr überzeugt sein, um dies zu machen. Wer wissen will, wo sich weltweit noch andere Wohlfühl – Biotope befinden, kann dies auf der Seite von scientistrebellion.com nachlesen. Aber wie schrieb Saul D. Alinsky, der Godfather der amerikanischen Bürgerproteste? Es kann einem Aktivisten nichts Besseres passieren, als beim Eintreffen in der Stadt von der Polizei festgenommen zu werden. Mir scheint, dass da den Funktionären innerhalb der GdP ein wenig das Einfühlungsvermögen fehlt. Meiner Kenntnis nach ist Berlin immer noch der Sitz der Bundesregierung, somit der passende Platz für Proteste gegen das Gebaren bezüglich der Politik in Sachen Verminderung der schädlichen Eingriffe in unsere Lebensgrundlagen. Wo sonst? In Neuruppin? Cottbus oder Fallingbostel? Dass die GdP die Aktionen nicht toll findet und es auch nicht darf, ist nachvollziehbar. Aber die Wortwahl und Rhetorik ist arg bedenklich. Sie riecht ein wenig muffig nach 70er – Jahre, in denen die langhaarigen Gammler lieber einer ordentlichen Arbeit nachgehen sollten, als auf der Straße und mit Transparenten bewaffnet der Staatsmacht die Stirn zu bieten.

Auch die mühsam zusammengebastelte Rhetorik bezüglich der Verkehrsbehinderung wirkt auf mich nicht überzeugend. Mehr als der Rettungswagen, welcher angeblich satte 10 Minuten später eintrifft, kommt da nicht. Ich bin selbst oft genug mit Sonder – und Wegerechten durch die Stadt gefahren. Im Zweifel kommt der durch oder nimmt eine andere Strecke. Und ganz nebenbei braucht es beim Berliner Verkehr keine Aktivisten, damit ein behindernder Stau entsteht. Auf der Tatsache, dass in den letzten Jahren mittels Sparmaßnahmen die Anfahrtszeiten verlängert wurden, will ich gar nicht herumreiten. Nein, es geht um etwas anderes. Die Aktionen bringen die Ordnung durcheinander und das kann Ordnungshütern nicht gefallen. Die drögen Kommentare unter den Facebook – Beiträgen der GdP runden das Bild ab. Gern wird da auch mal etwas von Öko – Terroristen fabuliert. Terror ist immer noch die Sache mit Angst und Schrecken. Wenn ich das bereits mit einer Straßenblockade oder einer Aktion an einem Bundesministerium schaffe – dann gute Nacht! Ab und zu werden die Überstunden der Polizisten und Polizistinnen angeführt. Das Ablösen und Wegtragen von Demonstranten ist bezahlte Dienstzeit, die schlimmer ausgestaltet sein könnte. Die Nachwuchssorgen und fehlenden Dienstkräfte könnten eventuell an politischen Entscheidungen und mangelnder Attraktivität der Polizei liegen. Aber natürlich könnten auch die Aktivisten demnächst mal nachfragen, ob alles irgendwie in den Dienstplan passt. Ernsthaft, da fasse ich mir an den Kopf. Die Hütte brennt in mehreren Ecken und die sich noch nicht einnebeln ließen, sollen sich doch bitte ruhig verhalten, damit die Jungs und Mädels in Uniform auch mal wieder aus den Klamotten herauskommen? Hat irgendjemand mal diesen merkwürdig strukturierten Querdenkern gesagt, sie sollen nach Hause gehen, weil sie zu viele Überstunden produzieren? Und die hatten nur abgehalfterte wissenschaftliche Drittbänker, die an der Uni das Büro mit dem Kopierer im Raum bekommen, dabei.
Immer gern gelesen sind auch die Kandidaten, die auf die Versäumnisse bzw. Sünden anderer Länder hinweisen. Erstens gilt die deutsche Redewendung: Erst einmal an die eigene Nase fassen oder vor der eigenen Haustür kehren; zweitens ist das Fehlverhalten eines anderen keine Entschuldigung für eigene Missetaten. Sogar wenn ein Aktivist nach beendeten Protest in einen SUV einsteigt, sind die angemahnten Versäumnisse immer noch existent.

Nicht die Aktivisten oder die Wissenschaftler sind das Problem. Erschreckend ist, dass die breite Masse immer noch nicht den Knall gehört hat. Mit kreisrund offen stehenden Mündern bestaunen sie technische Innovationen, können nicht begreifen, mit welcher Präzision entfernte Himmelskörper bestimmt werden und kapitulieren in der Schule bereits auf dem Niveau der 10en – Klasse im Physikunterricht, aber wenn es ums Klima geht, haben alle Wahnvorstellungen. Und es geht nicht nur ums Klima. Hinzu kommen Artendiversität, Seuchen, weil der Mensch der Tierwelt immer weniger Platz lässt, Verseuchungen durch atomaren Müll, Emissionen und Plastikabfälle. Die Leute lassen sich jede noch so windige Rhetorik gefallen, wenn sie ihnen weiteren Wohlstand, Überfluss, Wachstum, verspricht. Alles, was dagegen spricht, kann nicht und darf nicht stimmen.

Noch vor einigen Jahren wurde die Politikverdrossenheit der Jugend kritisiert. Ich denke, damit war nicht wirklich die Politik gemeint. Erwartet wurde das Engagement zur Gestaltung von Strukturen, mit denen das Bruttosozialprodukt, das Wachstum und die stumpfe Akzeptanz der bestehenden Verhältnisse verbessert werden können. Es mag sein, dass die unter Umständen noch nicht die volle Tragweite ihrer Forderungen verstanden haben. Abstriche werden wir auf kurz oder lang alle erleben. Da mittlerweile von 4 Grad Steigerung die Rede ist, steht das volle Programm an. Würden wir uns weltweit alle beschränken, hätten wir wenigstens die Chance eine Zukunft für die Leute in 60 Jahren hinzubekommen. Dabei soll mir niemand etwas von anderen Ländern erzählen. Deutschland hat international an sehr vielen Stellen die Finger mit im Spiel. Mir wäre neu, dass eine Olympiade in China boykottiert wurde oder die Deutsche Nationalmannschaft nicht nach Qatar fliegt. Da hilft auch nicht, was ein Clown wie Uli Hoeneß von sich gibt, wenn er sich und den 1. FC Bayern quasi als göttliche Heilsbringer darstellt.

Ich selbst bin ein desillusionierter, fauler, fatalistisch eingestellter, alter Sack. Bei mir sind nach einer Demo zwei Tage Knochenpflege angesagt. Aber ich habe auch gesagt, dass ich mich nicht mehr aufrichtig und überzeugten Jüngeren, die es noch einmal herumreißen wollen, in den Weg stelle. Mir zeigen die Aktivisten, dass noch nicht alle abgestumpft und der Technokratie verfallen sind. Die Wissenschaftler*innen könnten genauso gut mit den Schultern zucken und sagen: “Unser Job war es, Euch zu sagen, wie es aussieht! Die Höhepunkte werden wir aufgrund des Lebensalters auch nicht mehr erleben. Also was soll’s?” Gut, dass es solche Leute noch gibt, die stattdessen einem Bundesministerium auf den Zünder gehen. Von meiner Gewerkschaft – Ja, ich bin seit 1987 Mitglied – bin ich enttäuscht. Nach all den Jahren mit Friedensbewegung, AKW – Protesten, Straßenschlachten, Blockaden, hätte ich mehr Weitsicht erwartet. Ein wenig frage ich mich auch, was in den Medien los ist. Allein, wenn die Frage kommt: Was kann man gegen die Aktivisten unternehmen? Schwillt bei mir der Kamm. Nein, wir reden nicht von einem lästigen Ausschlag. Auch nicht über Rechtsradikale, Schwerkriminelle, Terroristen. Es geht um Töchter und Söhne, die erkennen, dass sie in diesem Staat keine Lobby besitzen und Demokratien keineswegs immer die besten Entscheidungen treffen, sondern Geld, Macht, Demagogen, eine große Rolle spielen. Sie begleitend, um wütende Wissenschaftler, die jeden Tag vor Augen haben, was im geringsten Fall und innerhalb eines Worst-Case-Szenarios passieren wird. Aber klar, die kann man auch mal alle als erlebnisorientierte verstrahlte Spinner abtun, die Straftaten begehen. Nennt sich dann wahrscheinlich kostenneutrale Beteiligung an einer Diffamierungskampagne. Oder warum ist eigentlich keiner mal auf die Idee gekommen, statt die Polizeigewerkschaft eine/n, mehrere, Aktivisten zu interviewen?

In einem Kommentar bei Facebook schrieb ich, dass es Zeiten gibt, in denen die Legitimität von Handlungen erst in Zukunft entschieden wird. Man muss selbst wissen, für welche Seite man sich entscheidet. Im Hier und Jetzt kann keiner mit Sicherheit sagen, ob man später als Held, Opfer, Mitläufer oder Täter betrachtet wird. Aber wen interessiert schon eine Zukunft, die sie oder er nicht mehr selbst erlebt? Kollege, jetzt fallen die Überstunden an, nicht übermorgen. Na mal schauen, wie viele Überstunden manche noch erleben werden, weil die Aktivisten richtig liegen und man hätte auf sie hören sollen. Gleichfalls gönne ich auch allen die freundlichen Auseinandersetzungen mit dem Nachwuchs. “Mama, Papa, Opa, Oma, wie war das eigentlich mit Dir damals?” Ich kenne die Antwort heute schon: “Ach Kind, wir wussten es ja nicht besser. Das waren andere Zeiten.”

2 September 2022

Die letzte Schlacht wird keiner gewinnen

unrecognizable ethnic hacker typing on laptop at table Lesedauer 8 Minuten

Krieg ist schon lange nicht mehr nur das gegenseitige Abschlachten. Längst hat sich alles auf den Cyberraum erweitert. Musste früher noch mühselig Propaganda in die Reihen des Feindes gebracht, für Desinformation, Demoralisierung, gesorgt werden, geht dies in der Digitalisierung erheblich einfacher. Gleichfalls bedurfte es einst gefährlicher Selbstmordkommandos, bestehend aus Abenteurern und Patrioten, die hinter den feindlichen Linien für Sabotage sorgten, während dies heute von einem Hacker von einem sicheren Ort erledigt werden kann. Ich denke, wir stehen da erst am Anfang. Doch die Entwicklung ist rasant. Bereits jetzt kann kaum noch ein Normalbürger sagen, was am Geschehen real bzw. ein chaotischer Ablauf ist oder mittels Instrumentarien gesteuert wird. All dies trifft auf eine Gesellschaft und politische Struktur, die nicht mal ansatzweise darauf vorbereitet ist.

Aktuell ist ein beinahe als Amoklauf zu bezeichnendes Verhalten der als konservativ betrachteten politischen Kräfte zu beobachten. Kein hingeworfener Brotkrumen ist ihnen zu vergammelt, um ihn nicht aufzugreifen und in eine desaströse Kampagne einzubauen. Es geht nicht um konstruktive Opposition, sondern ums primitive Zerstören des politischen Gegners, um die Macht zu übernehmen. Wenn dies erfolgreich passiert ist, kann man sich immer noch dem eigentlichen Gegner zuwenden, nämlich Angreifern, wie aktuell dem faschistischen Diktator Putin. Ein äußerst gewagtes Spiel, mit einem unkalkulierbaren Ausgang. Putin unternimmt alles, um ein geeintes russisches Volk in einem nationalen Kampf gegen einen Feind zu führen. Jeder Widerstand wird innerhalb des Landes brutal und kompromisslos bekämpft. In der Ukraine setzt er auf Schrecken und Vernichtung, wie es einst ein Franco bei seinem Marsch durch Spanien tat. Parallel zieht er seine Verbündeten zusammen und lässt sie der restlichen Welt ihre militärische Bereitschaft präsentieren. Diesem Gebaren hat die moderne, vermeintliche deutsche Linke nichts entgegenzusetzen. Mit Vernunft, Verstand, der Erkenntnis, dass Krieg immer in eine Katastrophe führt, ist der ausgeklügelten Vorgehensweise des Faschismus nicht beizukommen. Allein schon deshalb nicht, weil sie ehemals genau hierfür, zur Überwindung des als schwächlich empfundenen intellektuellen Weges entwickelt wurden. Mussolini, der Namensgeber des Faschismus, kam anfangs aus dem anarchistischen, sozialistischen Lager. Er hatte Ideen und Ziele, bei denen er dachte, sie mit diesen Ansätzen umsetzen zu können. Als er merkte, dass dies nicht funktionierte, entwickelte er neue. Nämlich welche, die beides überwinden sollten: Den Kapitalismus, wie er ihn kennenlernte und die Ansätze, welche seiner Auffassung nach, der Überwindung im Wege standen. Das Individuum mag zufrieden, frei und glücklich sein, aber nur eine geschlossene, wie eine Maschine funktionierende Gesellschaft ist in der Lage, andere Nationen niederzuringen. In einer Weltlage, die sich dahingehend entwickelt, dass bei unverändertem Vorgehen der Menschheit, die Ressourcen verknappen, große Regionen des Planeten unbewohnbar werden, nahezu alles, was das Leben überhaupt ermöglicht, zur Mangelware wird, um die man kämpfen muss, ist dies zumindest eine Option. Rette sich, wer kann, und zwar mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Der andere Ansatz wäre die theoretisch machbare Einigung aller Völker, welche dann an einem Strang ziehen. Dem stehen viele Hindernisse entgegen, an deren Beseitigung wenige glauben und vermutlich in großer Zahl nicht einmal interessiert sind. Am Ende sitzen doch alle auf ihrem Affenfelsen.

Das Bittere an allem ist der sich abzeichnende Ausgang einer langen Geschichte. Vom Verstand und der Vernunft her, mit all den technischen Möglichkeiten, dem kollektiven Wissen der Menschheit, wäre ein friedliches Zusammenleben und die Lösung der entstandenen Probleme durchaus machbar. Dass es nicht geschieht, liegt an den Kräften, Eigenarten, die dagegen wirken. Es ist die Geschichte, die Menschen schon seit langer Zeit in Erzählungen verpacken. Gott gegen den Teufel, Buddha gegen Mara, Himmel oder Hölle, Erleuchtung oder fortwährendes Leiden. Habgier, Hybris, Übermaß, gegen Einklang, Harmonie, Fortbestand, Frieden, Freiheit. Und daran hat jeder Einzelne einen Anteil. Hass, Gewalt, Gier, setzen sich über Wechselwirkungen genauso fort, wie Liebe, Genügsamkeit, Respekt gegenüber allen Lebewesen. Es ist eine Frage der Struktur. Wird sie so gestaltet, dass sie dem einen oder eben dem anderen Verhalten Vorschub leistet. Wir haben uns in großen Teilen der Welt für eine Struktur entschieden, die den zerstörerischen Faktoren entgegenkommt.

Ein erster kleiner Schritt wäre der Versuch einer Einigung, die auf Verstand, Vernunft, ethischen Betrachtungen und Übereinkünften basiert. Manche Denker der Vergangenheit stellten die These auf, dass eines Tages der Wohlstand dies möglich machen würde. Noch in den 70ern sahen sie eine Zukunft, in der selbst die damals die ärmsten Länder ein Level erreichen, auf dem alle genug zu essen bekommen, medizinisch versorgt sind und ein Auskommen ohne luxuriöse Spitzen haben. Als größte Gefahr sahen sie einen atomaren Krieg zwischen den Großmächten. 2022 wissen wir, dass sie sich irrten. Der materielle Wohlstand entwickelte sich partiell, um dann in einen Überfluss überzugehen, der auf Kosten der innerhalb der Kolonialzeit materiell und sozial ruinierten Länder ging. Jetzt, in einer Zeit, wo der Überfluss in Gefahr gerät, steigt exponentiell die Gefahr eines Atomkriegs.
Deutschland ist neben anderen Ländern, eins der Überflussländer, die auf Kosten der anderen leben. Den alten Theorien nach, hätte es die Chance gegeben, befreit von Not und Elend, eine innere Einigkeit, Gerechtigkeit und neue Modelle zu entwickeln.

Leider widerlegt die Realität diese Theorien. Ein Umstand, den sich die andere Seite zunutze macht. Innerhalb des Wohlstands besteht ein Ranking. Unbenommen lebt ein finanziell schlecht bedachtes Gesellschaftsmitglied in Deutschland immer noch auf einem deutlich höheren Niveau, als beispielsweise auf dem russischen Land. Wenige leben in absoluter Dekadenz und verfügen über finanzielle und materielle Werte, die alles übersteigen. Die Masse befindet sich innerhalb eines Intervalls irgendwo dazwischen. Innerhalb der Struktur ist alles auf das Finanzielle und das Materielle ausgerichtet. Es stellt sich damit nicht die Frage, ob die mit dem Übermaß glücklich und zufrieden sind oder wenigstens eine in sich ruhende gesunde Persönlichkeitsstruktur aufweisen. Auf der Ebene darunter wird argwöhnisch nach links und rechts geschaut. Wer hat mehr Krumen bekommen? Warum? Wie kann man selbst an mehr herankommen? Ganz unten herrscht das vor, was schon immer existierte. Alles ist auf den Kampf ums Überleben ausgerichtet. Da bleibt keine Zeit für philosophische Überlegungen, wie die Struktur aussieht. “Erst kommt das Fressen, dann die Moral.” Aus alledem ergeben sich Spannungen, negative Konflikte, Unzufriedenheiten, Frustrationen. Ein Eldorado für PR Spezialisten, Nachrichtendienstler, feindliche Agenten, Angreifer, usw.

Bedauerlicherweise ist in der Struktur auch festgelegt, welche Charaktere, Ideen, Anschauungen, sich bis nach oben durchsetzen und so die Macht innehaben. Das Eine bedingt das Andere. Als Helmut Kohl sich anschickte, die politische Macht zu übernehmen, schlicht, weil er nach ihr gierte und nicht, weil er andere politische Ideen zur progressiven politischen Entwicklung Deutschlands hatte, wurde Herbert Wehner zum Propheten. Er sah eine neue Zeit anbrechen, in der Politiker*innen um jeden Preis die Machtübernahme anstreben und die politischen Ziele sekundär werden. Primär wäre aktuell eine Einigung, das gemeinsame Entwickeln von Strategien und Taktiken notwendig. Hierfür müssten Machtinhaber*innen sich nicht als alleinige Ausführer sehen, sondern vielmehr zu Koordinatoren werden und diejenigen, welche bisher gierig nach der Macht griffen, müssten sich besinnen, um eine Mitarbeit an Lösungswegen zu ermöglichen.

Dass die deutsche Politik dies seit einigen Jahren nicht mehr vermag, ist einem Putin mit dem ihm zur Verfügung stehenden Geheimdienst besser bekannt, als irgendeinem Mitarbeiter des BND oder BfV. Ich will mir gar nicht vorstellen, wo die überall ihre Leute installiert haben. Immerhin ergaben sich allein aus dem Niedergang der DDR jede Menge freie Leute, die man übernehmen konnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich dies gegenüber den “Five Eyes” als echter Vorteil erwies. Das Mittel schlechthin, welches die Struktur anbietet, die wirtschaftlichen Sanktionen, wirkt unangenehm zweiseitig. Am Ende stellt sich die Frage, wer die entstehenden Schmerzen besser aushalten kann. Der Westen, hier Deutschland, oder auf der anderen Seite Russland und Verbündete. Die breite Masse der Deutschen kann schon lange nicht mehr so klaglos Mangel ertragen, wie es die auf der anderen Seite seit Jahrzehnten tun. Die Zeiten nach dem Krieg, die Berliner Blockade, sind lange vorbei. Mir drängt sich dabei das Bild eines Boxers auf, der seine Gagen verkokst, verfressen und versoffen hat und noch einmal in den Ring steigen will.

Ob es nun in den vergangenen Tagen diese “Winnetou” – Nummer, insbesondere die infantilen Reaktionen der Konservativen und des Bürgertums waren, oder es um die ursprünglich seitens Russlands gestartete Kampagne gegen Baerbock, die PR-Kampagne der Atom-Lobby oder der aktuell innerhalb der Struktur zu erwartende sprunghafte Anstieg der Benzin-Preise ist, den sich die russische Propaganda nicht entgehen lassen wird, alles gehört mit zum Krieg. Wobei sich vermutlich noch nicht alle Teilnehmer offen gezeigt haben. Ein wenig beschämend ist die grenzenlose Naivität, mit der wir noch durch die Gegend tappen und vor allem, wie sehr sich die deutsche politische Elite willfährig am Nasenring herumführen lässt. Es scheint beinahe, als wenn die UNION plant, aus dem Desaster als autoritäre Kraft hervorzugehen, um dann endlich unter ihrer Führung die lang geplante Konservative Revolution umzusetzen, nach deren Vollendung sich Deutschland in den national geeinten Kampf ums Überleben in der Klimakrise stürzen kann. Dumm gelaufen ist alles, wenn sich einige Hacker in die Infrastruktur einklinken, ein AKW an die Wand fahren, Blackouts inszenieren oder einige Chemie-Unfälle in die Wege leiten. Spielarten gibt es da viele. Und Dank der UNION und FDP wird sich daran auch wenig ändern.

Dem Beobachter ohne Einfluss bleibt nur das Zusehen oder sich rechtzeitig auf eine Flucht vorzubereiten. Ich entsinne mich, dass ich dieses Szenario bereits einmal mit Freunden zum Ende der 80er hin durchspielte. Wohin? Es ergab sich schnell, dass es weniger die Suche nach einem angenehmen politischen System, sondern eine rein geostrategische Überlegung ist. Wo sind welche Militärbasen? Welche Länder können nur mit einer technisierten Infrastruktur existieren? Welche sind aufgrund ihrer Einfachheit uninteressant? Wie sind die zu erwartenden Klimaverhältnisse unter Einbeziehung der anstehenden Veränderungen? Da bleiben nicht allzu viele übrig. Bei den meisten handelt es sich um Inseln in geschützter Lage und ausreichend hohen Flächen, die nicht überflutet werden. Wie auch immer, irgendwie muss man sich derzeit entscheiden. Entweder platzt einem beim Zusehen der Kragen oder man nimmt es gelassen. Jeder wurde in die Struktur hineingeboren. Man kann in ihr leben und für sich das Beste herausholen oder man beschließt, sich außerhalb zu bewegen. Sich dagegenzustellen, ist eine blöde Idee. Darauf ist sie vorbereitet. Die Lektion bekam ich im Kleinen. Behörden sind ein perfektes Abbild der Struktur oder vielleicht besser ausgedrückt, ein wesentliches Instrument. In ihr den einen oder anderen Sabotageakt zu vollziehen, ist durchaus machbar. Man kann sich dann kurzfristig daran erfreuen. Ändern wird man damit nichts. Wer sich gegen die Behörde stellt, wird verlieren.

Wie beschrieben muss sich ein Angreifer von außen her nur ansehen, wie sie funktioniert und die Schwachpunkte ermitteln. Nichts anderes tun Hacker. Haben sie den Schwachpunkt gefunden, brechen sie ein und hinterlassen ihre Schadprogramme. Die müssen nicht sofort wirken. Die können auf Eis liegen, bis ein bestimmtes Programm aufgerufen wird oder ein bestimmter Zeitpunkt gekommen ist. Zum Beispiel sind sogenannte Schläfer nichts anderes. Im Hintergrund wissen Taktiker genau, wie sie deren Identitäten anzulegen haben, damit sie an der angestrebten Stelle in der Struktur landen. Auf einem anderen Gebiet arbeitet die Kriminalpolizei nach dem gleichen Prinzip. Kriminelle Strukturen analysieren, Schwachpunkte ermitteln, Leute in Stellung bringen, infiltrieren, zuschlagen. Rennen in der Struktur lauter Typen herum, die sich eifersüchtig nicht den Schmutz unter den Fingernägeln gönnen, Narzissten, schwache Persönlichkeiten, die nach jeder Anerkennung heischen, Frustrierte, Gierige, ist es ein einfaches Spiel. Und sei eine Struktur noch so abgeschottet und dicht, irgendwann braucht sie etwas von außerhalb. Dienstleistungen, Material, Personal, Nachwuchs, Fachleute, all dies sind Einfallstore.
Tja, diese Erfahrungen lege ich auf das Bild, welches gerade Deutschland abgibt. Wirklich kompliziert erscheint mir der Job der feindlichen Dienste derzeit nicht. Zumindest in der Politik, war das bis in die 70er hinein, noch eine große Kunst. Doch selbst unter den erschwerten Bedingungen leistete das MfS ganze Arbeit. Wie Markus “Mischa” Wolf später einräumte, ein wenig zu gut. Die Installation des Kanzlerspions war ein zu großes Risiko, weil die Gefahr bestand, genau die Falschen zu destabilisieren. Am Ende ging der Schuss nach hinten los. Der FSB, nunmehr unter national-faschistischer Führung, muss sich diese Frage nicht mehr stellen. Die progressiven Kräfte haben europaweit ohnehin schon verloren und diejenigen, welche auf Konfrontation gehen wollen, sind angreifbar bzw. brauchen nur ein wenig Unterstützung, damit sie alles zerlegen können. Gewinnen wird keiner. Letztlich gehen alle gemeinsam in den Abgrund. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir im Spätsommer 2023 deutlich klarer erkennen können, wo die Reise hingeht. Wer davon ausgeht, dass ein von Russland verlorener Ukraine-Krieg unter Umständen alles zum Guten wenden wird, verrechnet sich meiner Auffassung nach gründlich. Dann geht es erst richtig los. Vernunft, Verstand, die Entwicklung der Menschen zu etwas, was mit dem natürlichen System kompatibel ist, hat bereits jetzt verloren. Dies zeigte uns der Kalte Krieg. Ab jetzt wird alles dem Konflikt untergeordnet, da ist kein Platz mehr für Ökologie, Transformation, Umdenken. Putin und andere kamen zur Auffassung, dass sich dieses Thema ohnehin erledigt hatte und beschlossen zu handeln. Einer von ihnen musste den Anfang machen.

14 Mai 2022

Angst,Mut,Dummheit,Dekadenz

grayscale photo of explosion on the beach Lesedauer 5 Minuten

Angesichts des Ukraine-Kriegs wird in letzter Zeit die Warnung vor einer Ausweitung des Krieges bis hin zur Eskalation in einen Atom-Krieg als Angstmacherei bezeichnet. Die Angst würde zur Manipulation der Bevölkerung genutzt werden.

Zunächst einmal ist es völlig richtig, dass Angst ein starkes Mittel für die Manipulation ist. Andererseits ist die Angst vor einer Gefahr nicht ohne Grund Bestandteil der menschlichen Emotionen. Doch wie immer gilt es erst einmal sauber die Begriffe auseinanderzuhalten. Was ist Angst und was ist Furcht? Bei DUDEN – Online steht hierzu:

In den Wissenschaften, die sich mit menschlichen Gefühlen beschäftigen, vorrangig in der Psychologie, gilt nämlich Angst per definitionem als eine Emotion, die unbegründet und somit nicht auf ein bestimmtes Objekt bezogen ist. Sobald etwas Konkretes im Spiel ist, seien es Spinnen, Flüge oder Prüfungen, sprechen die Fachleute von Furcht.[1]https://www.duden.de/sprachwissen/sprachratgeber/Angst-oder-Furcht

Ich muss mich also entscheiden, welcher Sprache ich mich bediene, der allgemeinen oder der fachsprachlichen. Da ich kein Psychologe bin, bevorzuge ich die Umgangssprache. Ergo mache ich keine Unterschiede zwischen der Furcht und der Angst. Viel wichtiger finde ich es, die Gefahr genauer zu betrachten. Gefahren und ihre Einschätzung sind das alltägliche Brot der Polizei. Deshalb gibt es dazu klare Definitionen. Es gibt folgende Arten:[2]https://juliandrach.com/gefahrenbegriffe/

Konkrete Gefahr:
Eine konkrete Gefahr ist eine Sachlage,
– die bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens
– im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt.
Erforderlich ist also das Aufstellen einer Diagnose (der Feststellung der gegebenen Umstände) und einer Prognose (Abschätzung der Fortentwicklung des Geschehens).

Abstrakte Gefahr:
Sachlage, aus der nach allgemeiner Lebenserfahrung im Einzelfall konkrete Gefahren entstehen können.

Gefahr in Verzug:
Sie liegt vor, wenn unmittelbar gehandelt werden muss, um den drohenden Schaden abzuwenden, welcher ohne ein Einschreiten eintreten würde. Maßgebend ist hier die ex-ante Betrachtung, das sofortige Einschreiten muss dem Handelnden (meist Polizei, Ordnungsamt und andere Ämter) nach pflichtgemäßer Prüfung der Sachlage also erforderlich erscheinen.

Anscheinsgefahr
Eine Anscheinsgefahr, welche aufgrund des Grundsatzes der Effektivität der Gefahrenabwehr eine „echte Gefahr“ im Sinne der einschlägigen Gesetze darstellt, liegt vor, wenn bei der Betrachtung der Sachlage ex-post aufgrund besseren Wissens erkannt wird, dass die Gefahrprognose ex-ante falsch war. Frei nach dem Motto, man kann sich mal irren und hinterher ist man immer schlauer.

Putativgefahr
Eine Putativgefahr liegt vor, wenn der/die Handelnde/n den Sachverhalt ex-ante schuldhaft falsch einschätzte/n und daher das Vorliegen einer Gefahr trotz unzureichender Anhaltspunkte annahm. Dabei muss es einem durchschnittlichen Beobachter möglich gewesen sein, die Situation korrekt einzuschätzen. Im Prinzip der klassische Fall einer harmlosen Spinne, die ihr Leben lassen muss, weil ein kreischendes Etwas durch die Wohnung rennt.

Dringende Gefahr
Eine dringende Gefahr liegt vor, wenn ein bedeutendes Rechtsgut gefährdet ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit des baldigen Eintritts der Gefahr vorliegt.

Gegenwärtige Gefahr
Bei der gegenwärtigen Gefahr hat die Schädigung bereits begonnen.

Unmittelbare Gefahr
Hier besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sowie ein enger zeitlicher Zusammenhang.

Erhebliche Gefahr
Wie die Bezeichnung schon vermuten lässt, muss hier eine konkrete Gefahr für ein bedeutsames Rechtsgut bestehen.

Demnach wird denjenigen, welche vor der Möglichkeit eines Atomkriegs oder Ausweitung warnen bzw. sich darum sorgen, die Angst vor einer putativen Gefahrenlage vorgehalten. Nun, unbenommen verfügen die NATO – Mitgliedsländer und Russland über Atomwaffen. In einem Polizeieinsatz käme dies einem Straftäter gleich, von dem ich ganz konkret weiß, dass er in seiner Buchte Sprengsätze aufbewahrt. Also würde ich meine Vorgehensweise darauf abstellen. Jetzt könnte jemand um die Ecke kommen und behaupten, dass das ein total lieber, friedlicher Zeitgenosse ist und die Dinger als Dekoration herumzuliegen hat. Für mich hätte diese Aussage keinerlei Bedeutung. Die Gefahrenlage ist nach verständiger Bewertung konkret und erheblich, woraus sich eine berechtigte Sorge ergibt, dass der seine Spielzeuge zündet. Und weil ich auch noch Angst davor habe, werde ich passende Ausrüstung anfordern, die Umgebung räumen lassen und mir sehr genau überlegen, was ich tue.
Fraglich ist, ob die Gefahr unmittelbar ist. Tja, da scheiden sich die Geister. Ich persönlich finde den russischen Umgang mit der Kernenergie und Atomwaffen etwas arg unbekümmert. Die Sowjetunion testete innerhalb von 40 Jahren im Gebiet von Semipalatinsk, Kasachstan insgesamt 456! Atomwaffen (340 unterirdisch und weitere 116 oberirdisch)[3]https://thebulletin.org/2009/09/the-lasting-toll-of-semipalatinsks-nuclear-testing/. Nicht, dass die anderen Atomstaaten keine Tests durchführten, aber kaum jemand in der hohen Zahl direkt vor der Haustür. Jahrzehntelang entsorgten sie den Atommüll in der Arktis. In Folge des Klimawandels rächt sich dies gerade. Was Russland allerdings nicht daran hindert, die größeren Städte mit Meereszugang mittels schwimmender Atomkraftwerke zu versorgen. Augenscheinlich scheinen die weniger Respekt vor der Strahlung und den Folgen zu haben. Diese Haltung bedingt augenscheinlich eine niedere Hemmschwelle beim Umgang mit Radioaktivität. Ich finde, dies ist ein durchaus zu berücksichtigender Faktor. Auf all das Gerede bezüglich der russischen Einsatzdirektiven von Atomwaffen gebe ich nichts. Entscheidend ist nicht, was der Westen als Bedrohung definiert, nichts anderes als eine Einschätzung der Gefahrenlage, sondern wie ein Putin nebst Militär, Geheimdienst, darüber denken. Ein echter Joker kann hierbei die chinesische Regierung sein, die an solchen Eskapaden hat keinerlei Interesse hat.

Aber einfach alles beiseite zu schieben, frei nach dem Motto: “Ging bisher immer gut, wird weiterhin gut gehen!”, halte ich für dummdreist. Hierfür sind viel zu viele unbestimmbare Parameter im Spiel. Der wird schon nicht “zünden”, weil er unter Umständen dabei selbst draufgeht, ist keine belastbare Aussage. Die Angst vor einem Atomkrieg ist bedingt durch die Existenz der Waffen und den garantierten Folgen nichts Irrationales, sondern durchaus vernünftig. Nur sehr dumme Menschen kennen keine Angst. Sie lässt einen vorsichtig handeln und lässt einen nochmals alles bedenken. Ja, wenn sie fachsprachlich ohne jeglichen Beleg ist, dann wird sie problematisch. Aber davon kann im konkreten Falle nicht die Rede sein.

Mir scheint, ein paar ganz ausgebuffte Propagandisten haben einen kreativen Move gefunden. Die banale Erkenntnis, dass mit mit dem Appell an irrationale Ängste viel verkauft werden kann, wird manipulativ als Beschwichtigung eingesetzt. Das gleiche Prinzip wird beim Klimawandel verfolgt. “Lasst Euch doch keine Angst machen! Die Ökofaschisten wollen damit lediglich ihre Ziele durchsetzen.” Selbst bei einer oberflächlichen Betrachtung eine lächerliche Aussage. Ich muss nur schauen, wer ein größeres Interesse, vor allem finanzielles hat. Da stehen dann besorgte, mittelmäßig bezahlte Wissenschaftler und Aktivisten einem Milliardenmarkt gegenüber. Nein, die Propaganda ist darauf ausgerichtet, Angst vor rational denkenden Zeitgenossen einzuflößen, damit der Konsum beständig anhält.

Aktuell läuft alles auf die Parole “Die oberste Bürgerpflicht heißt Ruhe bewahren.”, hinaus. Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert[4]Ich habs nachgelesen. Nein, er ist nicht der Namensgeber für die Spandauer Schulenburgstrasse. prägte sie, nachdem Napoleon die Preußen geschlagen hatte und sich abzeichnete, dass der Kaiser nach Berlin vorrücken wird. Mich amüsiert dabei, dass er dabei ausgerechnet vornehmlich die Bürger meines Bezirks, die Spandauer meinte, wo Napoleon wenige Tage später die Zitadelle besetzte.

Einige Jahre später wurde die Parole ein Bestandteil der Geschehnisse um die Karlsbader Beschlüsse herum, weil die Monarchisten Angst vor einer Revolution hatten. Klappe halten, Ruhe bewahren und der Obrigkeit alles Weitere überlassen.

Fairerweise muss ich zugeben, dass es derzeit kaum Alternativen zu einer Beschwichtigung gibt. Was allerdings völliger Quatsch ist, geht mal wieder auf das Konto der Konservativen. Die schreien Zeter und Mordio, weil nicht genügend Schutzbunker vorhanden sind. Erstens lassen sich nicht Millionen sicher unterbringen und zweitens bringt das bei einer Atombombe alles nichts, außer vielleicht eine Verlängerung der Lebenszeit um wenige Tage. Mal ganz abgesehen von den weltweiten Folgen danach. Wer neugierig ist, kann sich unter dem Link hier ansehen, welche Auswirkungen eine Tsar Bomb 50Mt bei einer Detonation über Berlin hat. Aber vermutlich hat eine CDU-Clique oder FDP-Seilschaft gute Kontakte zu Anbietern privater Bunkeranlagen. Für einen schmalen Taler bekommt man schon für ca. 10.000,– EUR einen atomsicheren Schutzraum für das eigene Haus.[5]https://www.bunker-bssd.de/Schutzraum-Atomsicher.

Wie auch immer, diejenigen, welche anderen zum Thema unbegründete Ängste vor einem Atomkrieg vorhalten, gehen mir ziemlich gegen den Strich. Es sind die üblichen Kandidaten, denen alles schnuppe ist. Klimawandel gab es schon immer, die Natur erholt sich schon wieder, die Tiere aus der Massentierhaltung existieren lediglich, weil sie exakt zu diesem Zweck geboren wurden, an den Gesetzen des Kapitalismus kommt auch Putin nicht vorbei, es ging immer irgendwie weiter, … Ich mag auch keine Bedenkenträger, aber zu nassforsch ist keine Alternative, zumal sie diesen Dumpfsinn nur deshalb von sich geben, weil sie Angst vor Einschränkungen haben und merken, dass es langsam eng wird.

24 Dezember 2021

Mythen, Urbane Legenden, Desinformation, Propaganda

art coffee business money Lesedauer 9 Minuten

Früher, kurz bevor die Digitalisierung richtig Fahrt aufnahm, waren sogenannte “urbane Legenden”, “urban legends” o. “hoaxes”, mein Steckenpferd. Es faszinierte mich, woran Zeitgenossen glauben, glauben wollen, welche Funktion diese Erzählungen haben und wer sie sich ausdachte. Manche dienen der Propaganda u. Desinformation. Hier lässt sich meist mit der Frage nach dem Nutznießer die ungefähre Quelle ermitteln. Andere haben einen schlicht bösartigen Charakter, während einige die Funktion der guten alten Schauergeschichten am Lagerfeuer haben. Damals gab es dieses Buch “Die Spinne aus der Yucca Palme”. Allerdings muss man einräumen, dass ausgerechnet die namensgebende Geschichte ein wenig Wahrheit in sich hatte. Immer mal wieder tauchen zumindest in Bananen – Kiste beachtliche Krabben – Spinnen auf. Und wer hätte sich jemals gewagt zu behaupten, dass eines Tages fehlgeleitete Kokain – Pakete im Discounter landen könnten! Und auch, wenn es auch Schauergeschichten sind und waren, haben sie durchaus das Potenzial geschäftsschädigend zu sein.   

Sei es nun die Story, in der Kinder aus dem Bällebad bei IKEA von osteuropäischen Banden entführt werden, auf Marlboro – Schachteln mehrfach der Buchstabe “K” versteckt ist, was Einflüsse des Ku-Klux-Klanes beweisen soll oder Warsteiner im Besitz von Scientology ist, über alles werden die betroffenen Firmen nicht erfreut sein. Gleiches gilt für Pizza – Lieferdienste, bei denen männliche Angestellte angeblich zum Spaß auf die Pizzen ejakulierten. Anmerkung: Letztere Erzählung wurde mir sogar einmal von einem Polizisten präsentiert, der behauptete, die Vorschicht hätte eine Pizza ins Labor gesandt, wo sich dieses bestätigte. Warum indessen die Polizeitechnische Untersuchungsstelle plötzlich innerhalb von wenigen Stunden Ergebnisse lieferte, während sie in Strafverfahren mehrere Tage brauchte, erschloss sich dabei nicht.

Manchmal erfahren die Geschehnisse ein bemerkenswertes Eigenleben. Vor vielen Jahren kursierte ein “Witz”, in dem es darum ging, wie heutzutage Textaufgaben formuliert werden. Inhaltlich ging es um eine Aufgabe, in der ein “Ali” mit einem Dealer über den Preis verhandelte. Vor wenigen Tagen tauchte bei Twitter der Tweet einer empörten Lehrerin auf, in dem sie beschrieb, dass eben genau so eine Textaufgabe an einer Schule aufgetaucht wäre. Eine Legende? Oder hatte sich vielmehr ein Lehrer an den alten Witz erinnert und ihn passend zum Denken einiger Rechtsaußen tatsächlich in einer Mathematik – Klausur umgesetzt? Schwer zu sagen! Ein Hinweis von mir, dass es sich auch um eine Legende handeln könnte, führte erwartungsgemäß zu Entrüstungen. Ohne konkrete Nachfragen an der Schule lässt sich das nicht klären. Rechte könnten dies in Umlauf gesetzt haben, um ein “Seht ihr!”, wo unsere Schulen mittlerweile stehen, unterzubringen o. Aktivisten auf der anderen Seite könnten so den Finger heben und sagen: “Schaut, wie rassistisch es in deutschen Schulen zugeht.” Klar ist, dass Social Media anders funktionieren. Je nach eigener Position wird das Eine oder das Andere als gegeben und bewiesen behauptet.  

Zusätzlich werden ständig neue Begriffe gefunden. Einst sprach man von Moritaten o. Schauergeschichten, die von reisenden Erzählern auf den Dorfplätzen erzählt wurden. Vieles hatte eine gesellschaftliche Funktion, gleichsam in einer Welt ohne Fernsehen, Radio, einen erheblichen Unterhaltungswert. Sollte etwas Politisches erreicht werden, war es Propaganda oder Desinformation. Eine Waffe, die bereits vor tausenden Jahren begleitend zu Kriegen eingesetzt wurde. Gegner werden dämonisiert, entmenschlicht, verunsichert, getäuscht. Aus Propaganda wurde irgendwann Public Relation. Heute wird von Fakenews oder alternativen Fakten gesprochen. Gemeint ist immer das Gleiche. Geht es nicht um die reine Unterhaltung, handelt es sich um zielgerichtete vorsätzliche Manipulation. Die absolute Perfektion ist erreicht, wenn die Menschen nichts mehr glauben können, vollkommen desorientiert sind und alles auch ganz anders sein kann. Dies ist die Sternstunde moderner Nachrichten – u. Geheimdienste im Kampf um die Hoheit über Gesellschaftssysteme. In diesem Augenblick ist es möglich zwischen alledem den gezielten Subtext zu implementieren, der als die Wahrheit erscheint. Ganz vorn sind bei diesem “Spiel” die großen Player USA, China, Indien und Russland. Heutzutage findet kein größeres Ereignis statt, ohne dass passende Offensiven gestartet werden.  

Naturwissenschaftliche Fakten, tatsächliche, theoretisch mit eigenen Augen erfassbare Situationen oder Zustände, bedrohen die Erzählungen und bedürfen daher Gegenmaßnahmen. Interpretationen, Benennung und Erschaffen einer vermeintlichen Beweislage für die Ursachen, Erzeugung von Illusionen, die das eigene objektive Fehlverhalten relativieren bzw. erträglich machen, usw. Die Erderwärmung und die damit in Verbindung stehende Klimakatastrophe, das Artensterben, die Reduzierung der Lebensvielfalt, die steigende Gefahr von Pandemien, das aggressive aufeinander zu treiben der in Nationen organisierten Massengesellschaft, können tatsächlich nur mit alles gravierend verändernden Maßnahmen, die völlig entgegen zur Entwicklung der letzten 300 Jahre liefen, verhindert werden. Etwas, was als Unmöglichkeit angesehen wird. Bestehende Machtverhältnisse, Theorien über die Organisation von Staaten, das bisher entstandene Denkmodell bezüglich Eigentum, Besitz, Wirtschaft, alles würde zusammenbrechen. Man stelle sich vor, es würde über hunderte Jahre eine Maschine gebaut werden, die immer wieder neu konfiguriert wurde, Blutzoll abforderte, Unsummen von Geld kostete und dann am Ende zwecklosen oder gar schädlichen Schrott produziert. Wäre man bereit, sie als einen gescheiterten Versuch, einen grandiosen Irrtum zu betrachten? Eben jenes müssten die Menschen weltweit tun. Einfacher ist es, mittels Propaganda, um den alten Begriff zu benutzen, den Schrott zu etwas dennoch Nützlichen zu deklarieren.

Ich finde nicht, dass bezüglich all der Prozesse, die mit den genannten Begriffen beschrieben werden, etwas schlimmer geworden wäre oder neue Dimensionen erreicht sind. Alles wurde nach und nach perfektioniert und zum anderen hat jeder einmal gestartete Prozess irgendwann Folgen, die Anfangs aufgrund der Komplexität, nicht vorausgesehen werden konnten. Niemand konnte im Altertum wissen, was aus der Idee Münzen zu benutzen werden würde. Unsere Vorfahren, die Sachsen lehnten Geld lange ab. Silbermünzen anderer Völker, z.B. der Franken, zerstückelten sie und orientierten sich am verwertbaren Silber. All die Tüftler, die sich mit der Kraft von Wasserdampf beschäftigten, konnten nicht erahnen, dass sie die Wegbereiter der Industrialisierung sein würden, die maßgeblich ursächlich für die Klimaveränderungen ist. Ebenso wenig war sich ein Edward Bernays, der Urvater der modernen Propaganda bewusst, welches Ausmaß dies alles nehmen würde. Allerdings dürfte ihm spätestens mit der Propaganda von Goebbels bewusst geworden sein, wie katastrophal sich dies entwickelte. Doch er schloss daraus, dass die Techniken der Public Relation, wie er es nannte, auch gegen die Faschisten eingesetzt werden könnte. Interessant wäre, ob er selbst die Ergebnisse der Jetztzeit für notwendig erachten würde. Ich befürchte es. Soweit ich ihn verstanden habe, hielt er nicht viel von der breiten Masse, sondern legte Wert auf die Steuerung durch eine Elite.   

Vieles sind lediglich Abwandlungen alter Erzählungen. QAnon, lässt sich auf einen anonymen Account mit der Bezeichnung Q auf der Imageplattform 4chan zurückführen. Q veröffentlichte ab 2017 dort Sachen, die verdächtig an den älteren von zwei amerikanischen Playboy – Autoren veröffentlichten Illuminatus – Mythos erinnern, dem noch Mythen um Skulls&Bones, Bilderberger – Verschwörung und andere US-amerikanische Fiktionen beigemengt wurden. Die Digitalisierung ermöglicht völlig neue Reichweiten. Alles um Covid-19 gab es ähnlich bereits beim Auftauchen der ersten AIDS – Fälle in Mitteleuropa. Hier mutmaßten einige, dass die Mythen bezüglich einer Züchtung des Virus in amerikanischen Laboren, von russischen Geheimdiensten lanciert wurden. Ein Gegenbeweis liegt bisher nicht vor.

Ich denke, bei all den kursierenden Erzählungen dürfen die gegeneinander arbeitenden Geheimdienste niemals außen vor gelassen werden. Die Destabilisierung des Konkurrenten, war immer ein erklärtes Ziel. Einen anderen Anteil haben Regierungen nach Ausgestaltung, wie sie in Indien zu beobachten ist. Dort hat die Regierung eine eigene Social Media Plattform aufgebaut. Eine große Zahl bezahlter Akteure haben den ganzen Tag nicht mehr zu tun, als “Witzbilder”, die Muslime lächerlich machen sollen, dort und in Messenger Dienste einzuspeisen, mal mehr oder weniger wahre Ereignisse zu pushen oder Regierungsbotschaften zu verbreiten. Oftmals werden diese dann auch in Abwandlungen in die hiesigen Plattformen eingespült.  

Wie gesagt, die absolute Perfektion ist gegeben, wenn nichts mehr glaubhaft ist. Wie soll eine Regierung handlungsfähig bleiben, wenn nichts mehr von einem Mindestvertrauen getragen ist? Einiges hat sich Politik selbst zuzuschreiben. Nicht nur, dass sie sich selbst der Mittel der Propaganda exzessiv bedienen, sondern auch oftmals realen Anlass für Misstrauen lieferten. Seit geraumer Zeit schaufeln die großen Parteien zusammen mit den Newcomern aus dem Lager der Faschisten das Grab der Demokratie, in dem sie mit immer weniger Hemmungen PR Beratern die Wahlkämpfe überlassen.

Mir hat sich schon immer eine weitere Frage gestellt. Erzähler sind die eine Seite, die Zuhörer und Gläubigen, befinden sich auf der Empfängerseite. Warum sind sie bereit auch noch der abstrusesten, absolut haarsträubenden Konstruktion zu folgen? Ein Aspekt ist sicherlich, dass jede halbwegs annehmbare und zur eigenen Auffassung passende Geschichte als eine Art Beweis für den eigenen Intellekt und der damit verbundenen Haltung gesehen wird. Manches eignet sich als Erklärung von Geschehnissen, die eigentlich nicht nachvollziehbar sind oder das Tatsächliche nicht sein darf. Hierzu fallen mir spontan Einzelereignisse bei Terroranschlägen, wie zum Beispiel beim NSU Prozess oder auch Breitscheidplatz ein. Können vermeintlich versierte Ermittler wirklich so unbedarft oder dämlich sein, dass sie derart eklatante Fehler machen, wie z.B. bei der Sicherstellung des Wohnmobils der beiden bisher bekannten Haupttäter der NSU? Ist es wirklich möglich, dass eine Behörde trocken und an ökonomischen Gesichtspunkten orientiert, bei Terror, äußerst sparsam mit Personal umgeht und dabei darauf setzt, dass nichts passiert? Frei nach dem Motto: Wenn wir 10 Jahre Personal einsparen, in dieser Zeit nichts passiert, dann im 11. Jahr etwas geschieht, befinden wir uns ökonomisch auf der Haben – Seite. Wenig hilfreich ist es, wenn z.B. die Berliner Grünen ihr eigenes Süppchen kochen und vollkommen jenseits der Spur behaupten, dass das gesamte Mobile Einsatzkommando vor einem “Besetzten Haus” eingesetzt wurde. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass kein informierter Politiker ernsthaft dieser Meinung ist, also reden wir hier von PR Strategien.

Soll es wirklich so sein, dass ein Wirtschaftsberatungsunternehmen fragt, wie oft Gerätschaften zum Katastrophenschutz eingesetzt wurden und wegen der ausgebliebenen Katastrophe dann alles eingespart wurde? Die Gerätschaften, das Personal, die Strukturen, die dann plötzlich fehlen?
In welchem System lebe ich, der Betrachter, wenn Ökonomie, Statistiken, Ordnungsstrukturen, Haushaltstitel, ganz weit vor dem Menschen kommen? Oder stoisch Geschäftsanweisungen ohne Nachzudenken befolgt werden und Akten vernichtet werden, weil sie halt über dem Vernichtungsdatum sind und keiner Lust, Zeit, Engagement, besitzt, die nochmals alle auf irgendwelche Hinweise zu durchforsten. Was würde ich mir für wilde Geschichten einfallen lassen, wenn die Nummer in die Hose geht? Mir Leute lästige Fragen stellen?

So einfach kann es nicht sein, darf es nicht sein. Da ist es ergiebiger, rechte Strömungen auszumachen, dunkle Hinterzimmer zu wittern, in denen verschlagene Frauen und Männer des Deep State finstere Pläne aushecken. Manch ein “linker” Skeptiker würde durch einige Behörden laufen und nicht mehr die Welt verstehen. Selbst intern kann es dabei zu viel Skepsis kommen. “Ihr wollt mir erzählen, dass ihr konsequent an drei Tagen, immer zum Feierband die Zielperson aus den Augen verloren habt?” Tja, man mag es nicht glauben, aber solche Dinge passieren. Vielleicht ist vieles auch gar kein Rassismus, sondern schlichte Denkfaulheit und dem Umstand geschuldet, dass Akten schnellstmöglich vom Tisch verschwinden, damit es keinen Ärger gibt.

Drum herum Geschichten zu stricken befriedigt die eigene Vorurteilsstruktur, bestätigt, gibt einen Halt im Ungewissen. Wie hart wäre das Leben, wenn der größte Teil der Ereignisse schlicht und einfach passiert, ohne dass jemand bewusst und vorsätzlich die Finger im Spiel hat? Wie soll man das aushalten, wenn man in einer Gesellschaft aufwuchs, in der immer eine oder einer für etwas verantwortlich gemacht wird? Würden alle korrekt ihren Job machen, liefe alles kontrolliert und reibungslos ab. OK, das funktioniert nicht, aber wer will dies wissen? Oder wie blöd wäre es anzuerkennen, dass das eigene Leben, Wohlstand, die Gier, das selbst gewählte System, gleichzeitig für das Negative mitverantwortlich ist? Dann hätte man sich ja das eigene Grab geschaufelt. Wäre auch doof.

Nicht zu verachten ist die eigene Vorstellungskraft. Wäre ich an der einen oder anderen Stelle, würde ich dieses oder jenes tun. Ja! Du! Insbesondere bei Geschehnissen, die Behörden betreffen, wird ein technisches Verständnis, strategisches Denken und Kreativität unterstellt, die dort schlicht nicht anzutreffen ist. Jedenfalls äußerst selten. Immer wenn ich etwas für möglich halte, gebe ich damit eine Auskunft über mich selbst. Ich erinnere dabei an die auf Pizzen ejakulierenden Pizzaboten.

Es wird immer schwerer den Überblick zu behalten und gleichzeitig verlieren immer mehr Menschen die Widerstandskraft. Wem trauen? Was für unwahrscheinlich halten? Vor 20 Jahren hätte ich persönlich einige populär gewordene Akteure außerhalb einer Klinik oder wenigstens komplett sozial isoliert für unmöglich gehalten. Völlig wirres Zeug wird zu einer Meinung deklariert. Bücher mit schrägen Herleitungen landen auf Bestsellerlisten. Wie soll man zwischen Journalisten, die auf der Gehaltsliste von PR-Agenturen stehen von denen unterscheiden, welche ihren Beruf noch ernst nehmen? Wie kann man bei all dem Wahnsinn noch mit Sicherheit sagen, was eine “Urbane Legende” oder wirklich passiert ist?

Eine Taktik könnte sich als nützlich erweisen. Der Schweizer Autor Rolf Dobelli schlägt in seinem Buch die “Die Kunst des digitalen Lebens” eine radikale Lösung vor: den kompletten Verzicht auf das Konsumieren der täglichen kleineren und größeren News und stattdessen eine Konzentration auf lang recherchierte zusammenfassende Leitartikel seriöser Zeitungen. News befriedigen eine Sucht, derer sich wiederum die Manipulatoren bedienen. In eine ähnliche Richtung geht die verstorbene Vera Birkenbihl, die die Fragestellung empfiehlt: Welche Bedeutung hat eine Nachricht für mich? Meistens nicht mehr, als dass in mir niedere Instanzen angesprochen werden. Nicht umsonst wird vieles mit bewegten Bildern unterlegt. Sie sorgen dafür, dass unser Gehirn auf Interesse umschaltet. News sind ein Geschäft, mit denen einige viel Geld verdienen. Welchen Wert haben die letzten Tage eines Wahlkampfs im Hinblick auf die Gesamtleitung einer Regierung? Was interessiert es mich, ob Annalena Baerbock ein gutes oder ein schlechtes Englisch spricht? Es genügt vollauf, wenn ich einen Artikel über die Gelbwestenin Frankreich gelesen habe. Die ständigen Videosequenzen bringen mich nicht weiter.

Alles, was in Boulevardzeitungen steht, ist inhaltsloser verblödender Konsum mit dem geistigen Nährwert eines Fast – Food Burgers. Es ist bezeichnend, dass manche Leute mehr Blut, Verbrechen und Einzelschicksale in der Tagesschau einfordern. Warum einer, eine, wen, wie und warum ums Leben gebracht hat, vergewaltigte, ist vollkommen irrelevant. Flüchtling, Deutscher, Migrant, Schwede oder Nordafrikaner, hat keinerlei Mehrwert für das eigene Leben oder Verhalten. Sollte es ein Außerirdischer sein, gut, dann wird es interessant. Gesetze, politische Linien, entstehen nicht von einem Tag auf den anderen. Um mich darüber zu informieren, reicht ein gut recherchierter Artikel.

So wie es mir frei steht, nicht jede Mode mitzumachen, jedem Trend zu folgen oder mir unnützes Zeug aufschwatzen zu lassen, kann ich auf die News, Legenden, PR Strategien verzichten. In fast jedem Laden werden Dinge präsentiert, bei denen theoretisch die Frage aufkommt: Wer braucht diesen Kram und wozu benutzt man es? Ich kann diese Frage aber auch sein lassen und werde nichts verlieren. Ist es mit den Geschichten, all den blöden Statements nicht genauso? Ob ich nun den Spitzenpolitikern zu höre oder es sein lasse, ist völlig egal. Da steht sowieso nur eine Frau oder Mann, die oder der mir einem Hausierer gleich, etwas aufschwatzen will. Wichtig sind die tatsächlichen Handlungen, Entscheidungen und langfristigen Wirkungen.

20 Oktober 2021

Anarchismus, ein böses linksextremes Gespenst?

Lesedauer 9 Minuten

Ich behaupte mal eine ganz gute schulische Ausbildung erfahren zu haben. Vieles, was ich später in der Ausbildung meiner Töchter vermisste, war bei uns noch enthalten. An meinem Gymnasium, auf dem Papier alt – humanistisch, weil Latein und Alt – Griechisch angeboten wurde, gab es eine spannende Mischung stockkonservativer Lehrer und Restbestände der 68er. Im Leistungskurs Politische Weltkunde ging es oftmals hoch her und es wurde durchaus kontrovers diskutiert. Eine Besonderheit war unsere Schülerzeitung, die 2021 jeden Verfassungsschützer auf den Plan rufen würde. Aber ein Thema kam meiner Erinnerung nach, außerhalb der Schülerzeitung, nie zum Tragen. Die Geschichte des Anarchismus ab dem Ende des 19. Jahrhunderts. Lediglich der Spanische Bürgerkrieg mit dem Schwerpunkt der Rolle der deutschen Nationalsozialisten nahm wenige Stunden ein. Es erschöpfte sich mit Guernica, Pablo Picasso, Legion Condor, mehr war da nicht. Ich kann mich weder an eine Behandlung der Mexikanischen Revolution, noch an die Unruhen in den USA, die Vorgänge um Sacco und Vanzetti oder die Internationalen Brigaden in Spanien, inklusive Pariser Kommune, Barcelona, erinnern. Ich hörte auch nie etwas über die Motive der anarchistischen Bewegung “Propaganda der Tat” oder was hinter den anarchistischen Anschlägen auf Könige, Adlige und Regierungsvertreter stand, geschweige, was unter einem “Anarchosyndikalismus” zu verstehen ist. Ebenso nichts über “Anarchistische Banden” in Frankreich und was deren Mitglieder antrieb. Individualist, Illegalist, Anarcho – Syndikalist, Plattformist, christlicher Anarchist, Anarcho – Primitivist, keine dieser Bezeichnungen mit samt der dazugehörenden Haltungen und Personen, waren zu keiner Zeit ein Thema.

Ohne jemanden böse Absichten unterstellen zu wollen, lief es auf eine zahme, aber vorhandene kritische Betrachtung des Kapitalismus und dialektische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus hinaus. Auf dem Niveau des Unterrichts wäre z.B. durchaus eine kurze Erwähnung der Auseinandersetzung zwischen Bakunin und Karl Marx mit der späteren Folge der Spaltung der ehem. Internationale möglich gewesen. Sei es, dass die Lehrer und Lehrerinnen selbst nichts darüber wussten oder es der vorgegebene Lehrplan einfach nicht hergab, es wurde ausgeblendet. Dabei lässt sich die jüngere Geschichte der BR Deutschland nur verstehen, wenn man wenigstens die Grundzüge der anarchistischen Bewegung kennt. Ohne sie bleibt die Geschichte der RAF, der Deutsche Herbst, vollkommen unverständlich.

Ich hätte damals auch um einiges besser die “Russische Revolution” und die spätere Entwicklung der Sowjetunion verstanden. Von einem Machnow, der eine anarchistische Armee anführte, den Bolschewiki zur Seite sprang, während Lehnin längst die Politik verfolgte, alles jenseits der Bolschewiki auszuschalten, erfuhr ich erst lange nach der Schulzeit. Auch, dass Trotzki alles dran setzte, die Anarchisten auszumerzen, und dann zusammen mit Lehnin so ziemlich alles aufbaute, aber nicht den seitens der Anarchisten geforderten libertären Kommunismus, folgerichtig die Anarchisten nach dem Sieg der Roten Armee über die anarchistische Armee in der Ukraine, Kronstadt und die Machnowschtschina Truppen in Sewastopol (Schwarze Flagge mit weißem Totenkopf) in Gefängnissen verschwanden oder gleich hingerichtet wurden, begriff ich viel später.
Kapitalistischen Machthabern konnte dies nur recht sein. Bis heute packen sie alles in eine große Schublade mit der Aufschrift: “Nicht öffnen, böser Dämon Kommunismus!” Drinnen prügeln sich Marxisten, Maoisten, Stalinisten, Trotzkisten, Bolschewisten und eben die zahlreichen Facetten des Anarchismus. Richtig absurd wird es spätestens, wenn das heutige Russland als kommunistischer Staat statt als Staatskapitalismus bezeichnet wird. An dieser Stelle denke ich auch an die Unterstützung, die Franko im spanischen Bürgerkrieg seitens Stalin erhielt. Ich glaube, einigen Zeitgenossen, die sich in Deutschland als Linke bezeichnen, täte die Auseinandersetzung mit diesem geschichtlichen Verlauf auch ganz gut.

 

Verfolge ich die aktuellen politischen Statements innerhalb Deutschlands, scheint es mir nicht alleine so zu gehen. Auffällig finde ich dabei, dass in Griechenland, Spanien, vornehmlich in den alten Hochburgen Galicien, Katalonien, Baskenland, Frankreich, mit dem Anarchismus völlig anderes umgegangen wird. Mit einer gewissen Böswilligkeit könnte man unterstellen, dass dies auch durchaus gewollt ist. Vielleicht geht es ja tatsächlich, frei nach Proudhon formuliert, immer um den Kampf zwischen Hierarchie und Freiheit. Mich muss man diesbezüglich nicht überzeugen.

Die geschickteste Taktik ist es, sich mit dem Denken des Gegners auseinanderzusetzen. Der 8-stündige Arbeitstag, Urlaub, Gewerkschaften, Gemeinschaftseinrichtungen, soziale – u. gesundheitliche Absicherung der Arbeitenden, Abschaffung der Todesstrafe und das Streikrecht, Wahlrecht für alle, Gleichberechtigung der Frauen, waren von Anfang an grundlegende Forderungen der Anarchisten. Mit dem gesteuerten Entgegenkommen gelang es den oberen Positionen in der Hierarchie ihr Level beizubehalten und den Anarchisten sozusagen das Wasser abzugraben. Denen weiter unten geht es ein wenig besser und sie finden sich mit der immer noch bestehenden Ungerechtigkeit ab. Ab jetzt ist die Kritik mit dem Begriff “Neid” diffamiert.

Seit über 100 Jahren werden Anarchisten, diffamiert, inhaftiert, zusammengeschossen oder hingerichtet. Sie kämpften gegen den Ku-Klux-Klan, Großgrundbesitzer, gnadenlose Industrielle, gegen die hässlichste Erscheinungsform des Kapitalismus, den Faschismus, dennoch finden sie in Deutschland heute kaum eine Beachtung. Ist es doch der Fall, dann lediglich mit der Einordnung in die Schublade Linksextremismus und autonome Gruppen. Ein bemerkenswerter Umstand, wenn man die feministischen, anti – rassistischen, anti – militaristischen und pro – Arbeiterrechte Forderungen bedenkt. Seitens des medialen Mainstreams und staatlicher Institutionen wird mehrheitlich die alte Rhetorik gefahren, in der stets die “Propaganda der Tat” (u.a. in Verbindung mit der Stadtguerilla u. RAF) eine Rolle spielt oder es wird an Ängste wie Sicherheits – u. Ordnungsverlust appelliert.

Die Propaganda der Konservativen, der politischen Elite, der Bourgeoisie und dem Kapital, ist in Bezug auf den Anarchismus ein großes Thema. An einem Beispiel fiel mir dies besonders deutlich auf. Ganz aktuell im zurückliegenden Geschehen vor der Wahl wurde wieder einmal das angebliche Zitat:

“Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch ist, hat kein Hirn.”

bemüht. Der Zitatforschung nach (u.a. hier nachzulesen https://quoteinvestigator.com/2014/02/24/heart-head/) stammt es nicht von Churchill und auch nicht, wie populär (u.a. in diversen Zeitungen, so auch in der ZEIT) von George Clemenceau. Aber es gibt bei Clemenceau eine Geschichte, die passend sein könnte. Nachdem, was ich über ihn gelesen habe, muss der Mann bei seinen Entscheidungen recht radikal vorgegangen sein. In der Grundtendenz sympathisierte er mit den Anarchisten (sonst hätte er beispielsweise nicht Emile ZOLA unterstützt) und hatte für die Konservativen seiner Zeit, wenig übrig. Trotzdem scheute er sich nicht, den Protest von Bergbauarbeitern mit Militär niederschlagen zu lassen. Dieser richtete sich gegen die Betreiber einer Mine, in der ein Brand ausbrach und versiegelt wurde, obwohl noch Leute unter Tage waren. Aber ich fand keine Quelle, in der deutlich wurde, warum er sich dazu entschloss. Anarchist heißt nicht irrational zu handeln oder gewaltfrei zu leben. In der Geschichte stürmt ein Mann in sein Büro und teilt Clemenceau empört mit, dass sein Sohn den Kommunisten beigetreten ist. Dieser soll geantwortet haben: “Mein Herr, mein Sohn ist 22, wenn er nicht den Kommunisten beiträte, würde ich ihn ablehnen. Ist er mit 30 immer noch dort, werde ich es tun.”

In 1944 the industrious anecdote collector Bennett Cerf presented an entertaining tale featuring Georges Clemenceau:

An excited supporter burst into the private chambers of the old tiger Clemenceau one day and cried, “Your son has just joined the Communist Party.” Clemenceau regarded his visitor calmly and remarked, “Monsieur, my son is 22 years old. If he had not become a Communist at 22, I would have disowned him. If he is still a Communist at 30, I will do it then.”

Quelle: https://quoteinvestigator.com/2014/02/24/heart-head/

Was bedeutet diese Aussage aus seiner Perspektive in seiner Zeit? Zu seiner Zeit bestand zwischen Kommunisten und Anarchisten ein heftiges Spannungsfeld. Er sagte diese Worte nicht aus der Sicht eines Konservativen, sondern aus der Sicht eines dem Anarchismus seiner Zeit aufgeschlossenen Mannes. Dies ergibt ein völlig anderes Bild, als es seitens deutscher Konservativer gezeichnet wird.

Ein weiteres Stilmittel der Propaganda ist für mich die Verallgemeinerung, bei der völlig undifferenziert die Begriffe “extrem” und “radikal” verwendet werden. Im Ursprung ging es um die Überwindung der autoritären Strukturen der Monarchie. Später um die Autorität einer Regierung, einer politischen Elite oder einer faschistischen Diktatur. Noch weiter heruntergebrochen, um die Überwindung hierarchischer Machtstrukturen, hin zur Selbstorganisation der Bürger mit einer Bestimmung von unten nach oben, also einer Umkehr. Wie dabei vorzugehen ist, wird seit den Ursprüngen heftig diskutiert. Innerhalb dieses Zeitraums, gab es immer wieder völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Extrem und radikal zu betrachten funktioniert nur mit einem Bezugspunkt. Widerstandskämpfer im Dritten Reich waren unter diesem Gesichtspunkt “Linksradikale”, genauso wie die Anarchisten der Spanischen Republik. Sie griffen zu extremen Mitteln (Waffengewalt), um sich gegen die zu wehren, welche die maximale Autorität (ebenfalls extrem) eines faschistischen Regimes favorisierten.

Extrem/radikal steht dialektisch “gemäßigt” gegenüber. Stelle ich mir dies alles auf einer Strecke vor, habe ich die Eckpunkte “Absolute Autorität” und am anderen Ende “Absolute Freiheit”. Wobei absolute Autorität einfach zu definieren ist, als der Freiheitsbegriff, der aus der Natur der Sache heraus im Zusammenleben seine Grenzen erfährt. Gemäßigt ist dann ein wenig Zustimmung in Richtung Autorität mit Zugeständnissen an die Freiheit der Bürger. Bei diesem Modell ständen sich Konservative und Marxisten sehr nahe, während die Anarchisten sich weit dem anderen Eckpunkt annähern würden. Wie sehr die Marxisten die Anarchisten ablehnen, lässt sich am ehesten mit einem Artikel beschreiben, den ich letztens in einem Buch mit dem Titel: Philosophisches Wörterbuch, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1965, fand, beschreiben. Unter Anarchismus steht dort:

Anarchismus |griechisch| – kleinbürgerliche pseudo – revolutionäre Ideologie, die jede gesellschaftliche, vor allem staatliche Organisation und Autorität ablehnt und in extrem individualistischer Weise nur die Willenshandlungen der Einzelpersönlichkeit, anerkennt.

Es folgt eine seitenlange Abhandlung, die irgendwie versucht den Bogen zu bekommen. Deutlich kürzer könnte man sagen: Du sollst keinen Gott neben der KP oder im Falle der DDR, neben der SED haben. Nur bewiesen die Kommunarden der Pariser Kommune, die Spanier während der Spanischen Revolution und die Teilnehmer der Mexikanischen Revolution, dass diese Aussage unhaltbar war und immer noch ist. Freiheit ist, was nicht unbedingt dem Namensgeber Karl Marx anzulasten ist, nicht das Ding von Marxisten. Obwohl es zu der Spaltung der I. Internationalen passt, während derer Bakunin die Antiautoritäre Internationale ausrief, passt. 

Immerhin dauert die Diffamierungspropaganda ausgehend vom Kapital und den Kommunisten (Marxisten) schon über 100 Jahre an. Es ist nachvollziehbar, dass sie fest in den Köpfen verankert ist. Ich habe nicht einmal ansatzweise den Anspruch ihr entgegenzutreten, mir genügt vollauf den eigenen Kopf befreit zu haben.

Bei einer Tagung wurde der US -amerikanische Linguist Noam Chomsky und sich selbst als Libertärer Sozialist (Unterform des Anarchismus) mit Sympathien für den Anarchosyndikalismus gefragt, was denn dieser Anarchismus eigentlich wäre. Chomsky bezeichnete ihn als eine Form des menschlichen Denkens, die keine Ideologie ist, sondern Teil der menschlichen Natur ist. Immer wenn eine Person, Institution, Macht ausübt, Weisungen erteilt, bedarf es einer Legitimation hierfür. Demokratische Wahlen können ein Mittel sein. Fraglich ist jedoch, wie es mit der Realität aussieht. Hierzu vertritt Chomsky die Position, dass seitens der politischen Elite eine Desinformation der Bevölkerung praktiziert und beim Wähler das Irrationale erweckt wird.

Er und andere Philosophen sprechen davon, dass wir mittlerweile im Zeitalter des Anthropozän, dem vom Menschen selbst gestalteten, leben. Yuval Noah Harari beschreibt hierzu passend den Wechsel des Homo sapiens zum Homo deus, der durch biologische, genetische und digitale Eingriffe, die “Schöpfung” beeinflussen kann. Auch dies bedarf Entscheidungen. Zum Beispiel stellt sich die Frage: Was und in welchem Umfang wollen wir davon?
Ist es ratsam, dies einer kleinen Elite zu überlassen, die über die Mittel verfügt, die Ratio auszuschalten? Zumal innerhalb der kommenden Jahre die Situation entstehen wird, dass sich Vermögende biologische und genetische Eingriffe leisten können, während große Teile der Erdbevölkerung mit anderen Sorgen zu kämpfen haben. Wir koppeln die Macht der Entscheidung an Eigentum. Je mehr Eigentum jemand hat, desto größer ist seine Macht, politische Richtungsentscheidungen zu treffen oder dem Geschehen die gewünschte Richtung zu geben. In früherer Zeit geschah dieses ohne den Umweg einer Wahl. Der Adel und der Klerus hätten nicht im Traum daran gedacht, sich bei politischen Entscheidungen, Krieg oder nicht Krieg, mit dem gemeinen Volk auseinanderzusetzen. In Deutschland fand gerade eine Wahl statt. Längst hat sich das von Chomsky in den USA kritisierte Gebaren bei uns etabliert. Entweder wurde alles auf die Wirkung von Personen, inklusive Diffamierung, abgestellt oder die Themen wurden derart mit nebulösen Aussagen verstellt, dass der normale Bürger nicht mehr folgen konnte. Interessant finde ich an der Stelle, dass ausgerechnet ein Robert Habeck, der sich bestens mit den Schriften Chomskys u.a. namhaften Kritikern auskennen dürfte, dabei mit machte.

Anarchismus bedeutet nicht Chaos und die vollständige Abwesenheit einer Führung. Es geht um kleinere Organisationseinheiten, in denen unmittelbar bestimmt werden kann, die sich wiederum mit anderen vernetzen. Führungen ergeben sich temporär aus dem jeweiligen Thema. Eigentum ist der Besitz gegenüber gestellt. Arbeitende und Schaffende sind gemeinsame Eigentümer dessen, was zur Produktion des Notwendigen benötigt wird. Für mich ist es immer wieder unverständlich, wenn in Deutschland beim Thema Eigentum ein Aufschrei durchs Land geht. Als wenn ein Interesse daran bestände, jemanden seine Couch, den Fernseher oder den Kleinwagen wegzunehmen. Die wenigsten haben nennenswertes Eigentum. Weder gehört ihnen die Wohnung, die Fahrzeuge sind Eigentum der Bank, noch irgendetwas am Arbeitsplatz wirklich ihres. Sie verwechseln allzu häufig Besitz, also dem worüber sie zeitweilig verfügen mit Eigentum. In Deutschland steckt den Leuten der Staatskapitalismus der DDR im Nacken. Hier nochmals zur Erinnerung, Kommunisten marxistischer Ausrichtung, haben nichts mit Anarchisten gemein und standen sich mehrfach gewaltsam u.a. in Spanien und Russland gegenüber.

Anarchismus steht in einem engen Zusammenhang mit persönlicher Verantwortung und gegenseitiger Solidarität. Aktionäre, ein Management, welches den vorgenannten Rechenschaft schuldig ist, sind einer Belegschaft und der Region gegenüber nicht verantwortlich. Es macht einen Unterschied, ob ich mich an eine von oben her gegebene Vorgabe halte oder selbst den Erfolg und die Notwendigkeiten sehe. Nach der spanischen Revolution 1936 und den innerhalb von drei Jahren errungenen Erfolgen der Republik kann auch niemand mehr von einer Utopie sprechen, sondern muss die Möglichkeit akzeptieren. Nicht der Anaorchosyndikalismus scheiterte damals, sondern die Faschisten besiegten ihn militärisch, um die alte Ordnung wieder herzustellen.

Ich glaube, die wenigsten haben eine Vorstellung davon, wer in der Geschichte alles selbst Anarchist war oder mit der Idee sympathisierte. Oscar Wilde, Émile Zola, George Orwell, Albert Camus, William Godwin (Vater von Mary Shelley (Frankenstein)), B. Traven (das Totenschiff), Tolstoi, George Orwell, u.a. (weitere hier) Diese Liste berühmter Denker, Literaten, sollte nachdenklich machen und die eine oder andere eingepflanzte negative Konnotation überdenken lassen.

 

Überall herrscht derzeit mehrheitlich das Irrationale, Individualismus und die Verantwortungslosigkeit. In den Ländern, wo historisch die Anarchisten zeitweilig die Geschicke bestimmten, herrschten Verhältnisse, die mit denen der aktuellen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland unvergleichlich sind. Dies brachte die Arbeiter zusammen, ließ sie solidarisch im Elend handeln und motivierte zur eigenen Weiterbildung. Weltweit betrachtet, existieren diese Verhältnisse durchaus noch, aber nicht in Deutschland. Ansätze sehe ich in den Quartiersmanagements und bei Einrichtungen, wie der Tafel. Hier findet eine Selbstorganisation unter Einbeziehung von Regierungsstellen statt. Dies entspricht ein wenig den Ansätzen der heutigen Spanischen Anarchosyndikalisten. In einem anderen Bereich gibt es Leute, die sich im Rahmen von Graswurzelbewegungen organisieren und Gruppen, die sich der Transformation zu Post – Kapitalistischen Lösungen verschrieben haben, die nebenbei, ganz im Sinne der alten Anarchisten, Alternativen zum Geldsystem anbieten.

Die Geschichte hat bewiesen, dass es gefährlich, wenn nicht sogar unmöglich ist, dem Kapitalismus und der damit einhergehenden Hierarchie auf der gesamten Breite die Stirn zu bieten. Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass große Teile der Bevölkerung eine passende Konditionierung erfahren haben. “Diskussionen u. Debatten sind nett, aber am Ende muss einer den Hut aufhaben u. entscheiden.” Im Prinzip eine Kapitulationserklärung bzw. Armutszeugnis für den Homo sapiens. In einer Dokumentation über den Spanischen Anarchismus in Barcelona sagte ein Zeitzeuge: “Vieles war für uns völlig neu, zumal große Teile von uns keinerlei Bildung hatten und Analphabeten waren. Aber es ergab sich und funktionierte.” Ein entscheidender Punkt war dabei sicherlich, dass sie offen auf die Sache zugingen. Ähnlich sieht es mit dem Eigentumsbegriff aus. Bei Deutschen klingeln sofort die Alarmglocken und das Gespenst der Enteignung und Landreform spukt in den Köpfen herum. Dabei sind z.B. viele Gartenkolonien oder ganze Gemeinden “kollektiv/kommunal” organisiert, in dem größere Maschinen, die nicht alltäglich genutzt werden, allgemein zur Verfügung gestellt werden. Oder ich denke dabei an die Lastenräder, die sich jeder kostenlos mieten kann. Wer weiß, vielleicht bin ich zu pessimistisch.

Ergänzung 20.10./21:00 Uhr
Der spätere Sozialdemokrat Herbert Wehner, startete einst als Anarchist, sah aber keine Option mit dieser kleinen Gruppierung seine Ideale zu verwirklichen. Hieraufhin landete er im Sog der Kommunisten und musste diese Entscheidung teuer bezahlen.

23 Juli 2021

BILD – neue Grenzziehungen?

Die verkommene Jugend Lesedauer 5 Minuten

Meiner Auffassung nach hat die BILD – Zeitung mit einer Reaktion auf den Tweet einer Mitarbeiterin (Beamtin)  einer Behörde, die mit dem Katastrophenschutz betraut ist, eine neue Dimension der Publikationen in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet.

Was ist passiert? Die Mitarbeiterin echauffierte sich bei Twitter über die übliche und immer wieder in der Kritik stehende Berichterstattung der BILD aus dem Katastrophengebiet und der dem Niveau entsprechenden Wortwahl. Hierbei vergriff sie sich im Ton. Nun, ich denke, dies könnte oder besser sollte ein “Riese” wie die BILD und das dahinter stehende Imperium SPRINGER – Verlag durchgehen lassen können. Wohlgemerkt griff sie nicht namentlich einen Redakteur oder Journalisten persönlich an, sondern beschränkte sich auf das, was man als Institution bezeichnen könnte. Da gab es in der jüngeren Vergangenheit, z.B. aus der Rapper und Rocker Szene ganz andere Aktionen, in der die menschliche Größe bzw. der gezeigte Gleichmut der unmittelbar und individuell betroffenen Redaktionsmitglieder der BILD und BZ bemerkenswert positiv ausfiel.

Für mich ist dies stets ein wichtiger Aspekt. Es macht sehr wohl einen Unterschied, ob ich mich dagegen stelle, was z.B. die BILD an sich darstellt und was sie in der Gesellschaft bedient, oder ich die konkrete Auseinandersetzung mit einer/m Mitarbeiter suche. In diesem Zusammenhang fand ich die bei Streaming Diensten veröffentlichte Reportage über die BILD Redaktion recht aufschlussreich. Dort offenbarten sich wahrlich sehr interessante Charaktere, mit denen eine persönliche Auseinandersetzung bestimmt spannend verliefe. Nun, jeder muss für sich alleine entscheiden, wie viel das eigene Gewissen wert ist oder ob so etwas überhaupt Platz in der eigenen Weltanschauung hat.

Im konkreten Fall reagierte die Redaktion (Wer auch immer dafür verantwortlich zeichnet) zum einen kleinlich und bockig, zum anderen mit breiter Publikation der verfassten Tweets und dem dazugehörigen ACC – Bild, allerdings mit Schwärzung des Namens. Eine eher zu vernachlässigende Maßnahme, da jeder mit dem Bild und wenigen Klicks fündig wird. Und wie i.d.R. der seitens der BILD bediente Mob reagiert ist hinreichend bekannt. Die Intention ist klar erkenntlich: Der kleinen Beamtin zeigen wir mal, wo der Hammer hängt. Passend wird im Artikel süffisant auf das Mäßigungsgebot aus dem Beamtenrecht hingewiesen.

Mir fällt es immer schwer, die BILD als einen echten Bestandteil der Presse bzw. Journalismus zu sehen. Für mich geht es dort mehr um eine Dienstleistung. Der Hunger des Pöbels nach Blut, Empörung, Sperma, Tragödie, Leid der anderen, Mord, Glamour, Totschlag und Spektakel will gestillt werden. Mit Informationen über das lokale und überregionale Weltgeschehen, welche Bürgern die Möglichkeit gibt, die in der Demokratie geforderten Eigenschaften, informiert, mündig, verständig, zu entwickeln, hat dies nichts zu tun. Fairerweise muss ich aus meiner Position heraus zugestehen, dass dieses in den wenigsten deutschen Publikationen stattfindet, da es weniger um Hintergründe geht, sondern eher um ein Aktivieren der Neugierde, mit der Klicks provoziert werden, die sich dann in Geld verwandeln.

Aus diesem Grund scheint die Beamtin die Nerven verloren zu haben. Ihrer Anschauung nach, ist es verwerflich mit der Not und dem Elend der von der Katastrophe Betroffenen Geld zu verdienen. Dies finde ich nachvollziehbar oder wenigstens eine Position, die man akzeptieren kann. Im persönlichen Gespräch würde ich vermutlich fragen, wo sie die Grenzen zieht. Nichts anderes praktizieren aktuell die Spitzen einiger Parteien, denn politischer Machtgewinn geht mit erheblichen Geldzuwendungen einher.

Die Überschrift lautet: BILD – neue Grenzziehungen? Die angesprochenen Themen oder besser Niederungen des menschlichen Wesens auszuschlachten ist eins, kleine Leute, die derzeit alles geben, um die Krise zu managen, an den Pranger zu stellen, nachhaltig zu schädigen und persönlich anzugehen, ist nochmals eine andere Nummer. Die BILD Redaktion scheint sich, parallel zum propagandistisch nach US – amerikanischer Machart geführten Wahlkampf, den dort bereits länger bestehenden Plattformen anzupassen. In einer Dokumentation über die weltweit agierenden PR Agenturen fand ich eine Aussage besonders interessant. Russische Akteure schilderten, dass sie zeitweilig noch härter, brutaler und grenzenloser agierten, wie die amerikanischen Kollegen. Doch irgendwann kam es zu einer stillen Übereinkunft. Sie erkannten, dass irgendwo Grenzen gezogen werden müssen, weil sie sich sonst eines Tages selbst “zerlegen”.

Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, einhergehend mit der Digitalisierung, sind erschreckend und lassen bei fortschreitendem Verlauf nichts Gutes für die Zukunft annehmen. Die in den Auseinandersetzungen verwendete Sprache wird immer mehr auf Spin – Begriffe reduziert und verhindert so eine differenzierte Bearbeitung der Gesellschaftsthemen. Politische Informationen werden wie Burger von Fastfood Ketten unters Volk gebracht. Die Distanz, Analyse und Meta – Ebene des Journalismus muss mit viel Aufwand gesucht werden. Feindbilder, Polarisierungen, billigster Populismus, Desinformation, von PR Agenturen belieferter Journalismus, ist längst der Standard.

Die Folge ist, dass sich Teile der Bevölkerung immer mehr zu einem gelenkten Mob entwickeln. Und an dieser Stelle ist die BILD ganz vorn mit dabei. Die Eigenschaften, welche den Deutschen bereits mehrfach Probleme bereiteten, werden gezielt getriggert. Da braucht es nur noch die politischen Führer, die sich geschickt dieser erzeugten Atmosphäre bedienen. Die USA sind für uns, die Deutschen, eine Zeitmaschine. Aber die USA haben nochmals eine andere Geschichte und gesellschaftliche Regeln. Wohin sich bei uns ein Trump, Foxnews, Breitbart entwickeln könnten, möchte ich nicht erleben.

Vielleicht trügt mich meine Erinnerung. Die BILD hat sich schon immer damit hervorgetan, Existenzen zu vernichten, Menschen ihrer Würde zu berauben und Teile der Bevölkerung aufzuhetzen. Selbst die Entwicklung von Attentätern basierte auf der Hetze gegen Kritiker der herrschenden Verhältnisse. Aber nunmehr leben wir im digitalisierten Zeitalter und die Folgen sind nochmals weitreichender. Eins ist bei der BILD hilfreich – mit wenig Anstrengung des Intellekts kommt man ihr auf die Spur. Bei den anderen Publikationen, die sehr unterschwellig die seitens der PR Agenturen gewünschten Botschaften und Anschauungen implementieren, ist das schwieriger zu durchschauen.

Politisch betrachtet ist der konkrete Artikel eher kontraproduktiv zur Ausrichtung des SPRINGER Verlags, weil die Behörde der favorisierten Partei zuzurechnen ist. Es geht eher um das Bedienen von Ressentiments ggü. von Beamten und eine, wie bereits angeführt, bockig beleidigte Reaktion, die wahrscheinlich von einem Narzissten in der Redaktion ausgeht. Aber vielleicht denke ich nicht weit genug. Gambit! Das Opfern eines Bauern um das Schachspiel zu gewinnen. Immerhin erzeugt die BILD das Bild, die Vertretung des einfachen Zeitgenossen gegen die böse Staatsmacht, hier vertreten von einer alimentierten Beamtin, zu sein, um dann an anderer Stelle passenden Support für die klassischen Auftraggeber, aus der Union, Arbeitgeber – Lager und restlichen Konservativen, zu leisten.

Bezüglich früher und heute lasse ich mich gern vom Gegenteil überzeugen. In meinem Alter kennt man die Enthüllungen von Günter Wallraff und auch noch die Geschichte des Attentats auf Rudi Dutschke. Vielleicht bin ich sensibler geworden. Ich will auch nicht ausschließen, dass ich das Opfer der Social Media bin und mir die Spaltung der Gesellschaft, bzw. das Anwachsen des Milieus, welches sich früher auf Eckkneipen und billige Curry – Wurst – Buden mit dem örtlichen Trinkermilieu beschränkte, mehr auffällt. Mit Sicherheit ist da etwas dran. Früher stand man im Zeitungsladen und fragte sich, wer all die Magazine, BUNTE, Frau im Spiegel, Revue, St. Pauli Nachrichten, der Landser und die BILD kauft. Heute bekommen sie über die Kommentare unter Beiträgen auf den Plattformen ein Gesicht und das Ausmaß der geistigen Degeneration schockiert einen trotz diverser Jahre Arbeit auf der Straße.

Ich weiß es nicht. Möglicherweise konsterniert mich auch mehr der Umstand, dass Leute, die durchaus über ein gewisses geistiges Potenzial verfügen müssen, sich bei der BILD für diesen Job hergeben. Wahrscheinlich muss ich noch mehr lernen die bösartige Seite der Intelligenz zu akzeptieren. Das geht ein wenig in die Richtung einer Geschichte, die mir mal ein Bekannter erzählte. Er hatte ein Gespräch mit einer Botschaftsmitarbeiterin der Israelis. Die Frau fragte ihn, warum Deutschland so wenig gegen den mangelnden Bildungsstand unternähme, der ursächlich für rechtsradikale Tendenzen in Deutschland wäre. Er antwortete: “Weil sie und wir sehr schlechte Erfahrungen mit intelligenten Rechten gemacht haben?” Das passiert mir häufiger, dass ich unbewusst Intelligenz mit Empathie und Weisheit verbinde. Ich sollte es besser wissen. Gerade intelligente Menschen neigen zu Hybris, Verschlagenheit und fiesen Charakterzügen, während sich wahre Einfachheit und Gelassenheit oftmals durch Güte, Verständnis, Empathie und Aufrichtigkeit auszeichnet. Insofern will ich Pöbel auch nicht falsch verstanden wissen. Die Bezeichnung bezieht sich bei mir nicht auf die geistige Leistungsfähigkeit, sondern auf eine aus Leuten bestehende Meute, die ethisch fragliche Persönlichkeits – und Sozialisationsmerkmale aufweisen.

Ich halte es für keine gute Idee aus einer Redaktion heraus den Pöbel aufzustacheln. Wenn ich nicht bereit bin bei denen mitzumachen und nur an ihnen Geld verdienen will, habe ich wenig Garantieren, nicht eines Tages Opfer zu werden. Und wie gering die Nehmerqualitäten von Redaktionsmitgliedern der BILD sind, hat Julian Reichelt demonstriert, der recht weinerlich den Umgang mit seiner Person bemängelte. Ein altes Problem, das Milieu, welches ich um mich herum erzeuge, macht vor mir selbst nicht halt.

5 Dezember 2019

Notizen zur AfD

Bernte ...

Lesedauer 6 Minuten

Liebes Notizbuch … die AfD, NPD, die Werteunion, Burschenschaften zu beobachten ist eine hochinteressante Angelegenheit. Eins muss man ihnen lassen, sie sind in ihren Kampagnen nicht ungeschickt. Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, die Rechten zu unterschätzen. Es sind weniger die lauten Provokationen, die aufhorchen lassen, sondern die leisen Aktionen, welche im Fahrwasser schwimmen.

Letztens stolperte ich über den Begriff «Neutralitätsgebot». Bis vor kurzer Zeit kümmerten sich um diesen Begriff Juristen, die mit Beamten – und Verfassungsrecht zu tun haben. Der breiten Bevölkerung dürfte nicht einmal bekannt gewesen sein, dass es so etwas gibt. Es wurmte die AfD, dass sie in der Öffentlichkeit von Amtsträgern, gewählten Bürgermeistern, Lehrern, Senatoren oder Ministern, als das benannt wurden, was sie sind: Rechtsradikale Provokateure, die immer hart am Rand unterwegs sind, damit sie nicht verboten werden. Die üblen Sachen überlassen sie lieber den außerparlamentarischen freien Gruppen, deren Verbindungsleute sie in den Büros als Angestellte beschäftigen.

Plötzlich war der Begriff in aller Munde. Selbst beim Skandal um die Polizisten, welche sich Cottbus vor dem Graffito einer örtlichen rechtsradikalen Gruppe fotografieren ließ, tauchte er auf. Bis vor wenigen Jahren wäre keine Pressestelle einer Landespolizei auf die Idee gekommen, von einem Verstoß gegen das Neutralitätsgebot zu sprechen. Ausnahmsweise ging es mal gegen die Rechten. Für die Kampagne ist es aber nicht schädlich, sondern eher förderlich. Es ist eine Frage der Zeit, wann die erste Aktion kommt, in der dieses Abziehen der Beamten mit einem Bild aus einer anderen politischen Richtung herangezogen wird. Der Begriff sitzt! Und leider wird er auch von einigen Unbedarften exakt in der Form benutzt, wie es seitens der AfD gewünscht wird. Kaum wurde über das Bild in Cottbus diskutiert, verwiesen Polizisten, die sich unter dem Deckmantel etwas für die Belegschaft zu tun, einer privaten Fehde hingeben, auf die Diskussion bezüglich des Hissens der Regenbogenfahne am Christopher – Street – Day. Und dies mit ausgiebiger Benennung des Neutralitätsgebots.

Seit einigen Tagen befindet sich die AfD in der Vorbereitung des Wahlkampfes zur nächsten Bundestagswahl und Landtagswahlen in den alten Bundesländern der Republik.

In den neuen Bundesländern traten sie laut und provokativ auf. Schlicht, weil dieses Auftreten dort zieht. Es ist wie bei der Radiowerbung. Werbung, die auf die neuen Bundesländer zugeschnitten ist, kommt immer ein wenig lauter, schriller und provokativer, daher. In den alten Bundesländern verschreckt man damit die Käufer bzw. Wähler. Sie müssen für die kommenden Wahlen das gezeigte rechtsradikale Antlitz säubern. Da passt es nicht, wenn Amtsträger sie weiterhin in aller Deutlichkeit als radikal bezeichnen. Deshalb überziehen sie Verwaltungsgerichte mit Klagen, um diese Widersacher ruhig zu stellen.
Gleiches versuchen sie mit der Polizei. Die Polizei, als der Mitspieler bezüglich der inneren Sicherheit schlechthin, darf nicht als Widersacher der AfD stehen. Erst recht darf nicht der Eindruck entstehen, dass AfD Mitglieder in der Polizei isoliert sind.

Ganz im Gegenteil, es soll vermittelt werden, dass gute verfassungstreue Polizisten die AfD favorisieren. Und siehe da, kaum steuert die Polizeiführung Niedersachsens dagegen, taucht wieder das «Neutralitätsgebot» auf. Es ginge zu weit, Mitglieder der DPolG und des Vereins Unabhängige in der Polizei e.V. der AfD zuzuordnen, aber sie lassen sich aus welchen Motiven auch immer, zu Kombattanten der AfD machen.

Parteien zu verbieten, ist ein extrem schwieriges Unterfangen. Beamten eine Fortsetzung der Dienstgeschäfte zu untersagen, weil sie Mitglied einer radikalen Partei sind, gestaltet sich ähnlich kompliziert. In der alten Republik erlebte man dies mit den Republikanern, welche ihren zeitweiligen Erfolg mit den üblichen rechtsradikalen Schrittfehlern selbst zerstörte. Wer auf Hass, Missgunst, Doppelmoral, Misstrauen setzt, wird allzu häufig selbst zum Opfer. Die AfD schlittert daran immer wieder knapp vorbei. Möglich ist dies in der Regel durch ein beinahe brutales internes Regiment. Bei den impulsiven Ausbrüchen, die Weidel und Gauland in der Öffentlichkeit zeigten, lässt sich erahnen, was hinter geschlossenen Türen passiert. Sie sind gewarnt.
Der Verfassungsschutz steht vor der Tür. Gerade ihre außerparlamentarischen Mitstreiter haben hinreichende Erfahrungen mit der Vorgehensweise dieser Behörde. Einfach werden die Ermittlungen nicht. Sie werden sich abschotten und auf die extern Berater zurückgreifen. Ich erinnere mich gut an die Rede von Höcke, welche er nach der Kunstaktion in der Nähe seines Hauses hielt. Darin verwies er auf seine Möglichkeiten und Personal, in geeigneter Weise zu reagieren.
Dies sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Außerdem sind AfD Vertreter schon längst durch politische Ämter tief ins Sicherheitssystem eingedrungen. Kurz um, ein Verbot der Partei wird es nicht geben. Nicht, weil es keine Notwendigkeit gibt, sondern weil sie das System unterwandert haben. Das hat nach 1945 bisher keine andere rechtsradikale Partei geschafft.

Nochmals zurück zum Neutralitätsgebot. Der Sprachbaukasten der Nationalsozialisten funktionierte u.a. mittels Entlehnen von Wörtern aus den Naturwissenschaften. Damit sollte die Richtigkeit der Aussage untermauert werden. Höcke bediente sich dessen bei seiner Rede, in der er über Fortpflanzungsstrategien referierte. Sarrazin, für mich ein übler Kerl, welcher unter falscher Flagge segelt, griff mit seinen pseudowissenschaftlichen Verweisen auf die Genetik, in die gleiche Schublade. Doch immerhin wurde er von Helmuth Schmidt verteidigt, was mich persönlich zur Auffassung gebracht hat, dass man alten Männern irgendwann das Mikrofon nicht mehr in die Hand geben sollte.

Die Rechten haben ein anderes Feld entdeckt. Sie bedienen sich juristischer und sozialwissenschaftlicher Begriffe, um den gewünschten Effekt des Anscheins einer Seriosität zu erzielen. Erstmalig fiel mir dies bei der Implementierung des «Einzelfalls» auf. Das an sich unsinnige Wort stammt aus dem Verwaltungsrecht und dort konkret aus der Definition des Verwaltungsaktes. Rein sprachlich ist ein Fall immer Singular. Verwendet wird er bekanntlich spöttisch im Sinne von: «Natürlich war das ein einzelner Fall! Nein, im Gegenteil diese Handlung/Person/Geisteshaltung ist die Regel.» Einfache Rhetorik, aber sie funktioniert.
Auch die ganzen Klagefantasien der AfD, in der nach einer «Machtübernahme» Schauprozesse in Aussicht gestellt werden, in denen Abgeordnete abgeurteilt werden sollen, zielen in die Richtung. Wenn ein Akademiker oder Jurist die Korrektheit eines Strafverfahrens behauptet, wird an der Aussage schon etwas dran sein.

Die Rechten sind Meister der Sprachadaption und im Umschwenken. «Wir sind das Volk!», war 1989 positiv belegt. Gleichermaßen die «Friedliche Revolution!». Passend hierzu wurde damit in den zurückliegenden Wahlkämpfen agiert. Den Wählern im «Osten» wurde Honig um den Bart geschmiert. Sie seien viel kompetenter als die Bürger der alten Bundesländer, weil sie eine Revolution hinbekamen. Die Wahlkämpfe sind vorbei. Prompt tauchen die ersten Reden auf, in denen sich prominente AfD Mitglieder bei den Mitstreitern in den alten Bundesländern bedanken, weil sie es doch viel schwerer hätten, wie die Wahlkämpfer aus dem Osten. Immerhin stehen 2020 Kommunalwahlen in NRW, Bayern, Hamburg, und 2021, Landtagswahlen in Rheinland – Pfalz, Baden – Württemberg, Bundestagswahlen, Abgeordnetenhaus Berlin, an.

Von dem Begriff Volk müssen sie nun wieder weg. Völkisches Denken kommt im Westen nicht gut an. Bis 1989 war der bundesdeutsche Geschichtsunterricht darauf ausgerichtet, den Weg in den Nationalsozialismus zu beleuchten. Volk, im Sinne einer kameradschaftlichen an einem Strang ziehenden Gesellschaft, ist schwer vermittelbar. Hinzu kommen die Nachwirkungen des Kalten Krieges. Kollektives Verhalten hat einen schlechten Beigeschmack. Man merkte in den letzten Tagen der AfD Führung an, wie sie versuchen, den Volksbegriff herauszunehmen.

Wie sieht der Plan aus?

Hört man sich die Interviews an, ist der schnell zu erkennen. Durch die Bank weg wird von Fehlern der Vergangenheit gesprochen, weil politische Unerfahrenheit bestand. Nun strebe der Bundesvorstand eine Professionalisierung. Einzig Chrupalla scheint die Beschulung noch nicht vollständig abgeschlossen zu haben. Immerhin wies er bei seiner Vorstellungsrede bereits in den ersten Sätzen auf seine Herkunft aus dem letzten deutschen Teils Schlesiens hin. Außerdem scheiterte er grandios bei der Konfrontation mit einem Video, in dem er NS Verbrechern quasi huldigte. Noch zum 30. Jahrestag sprach er von den Vasallen der Besatzungskräfte und einer kommunistischen Fremdherrschaft in der DDR und Widerstandskämpfern.

Aber er hat die Direktive einer Doppelspitze bestehend aus kleinem Arbeiter und Akademiker verstanden. Weiterhin haben ihm die PR Spezialisten, wie allen anderen AfD Sprechern, eingetrichtert häufig professionell, Verantwortung, größte Oppositionspartei und bürgerlich zu verwenden.

In nächster Zeit werden bei der AfD verstärkt die Schlagworte linksbunt, bürgerliche Werte, Konsenzdemokratie, Ökomarxismus, Ökosozialismus. Wohlstandsverwahrloste und die Warnung vor einem Black-out auftauchen. Hinzu kommen die klassischen Angst Themen. Energiewende, unkontrollierte Einwanderung, EURO Rettung, Altersarmut, Verlust von Angesparten und Steuern.

Hätte Christian Lindner anlässlich der letzten großen Haushaltsdebatte die Rede der AfD Abgeordneten Weidel gehalten, wäre das niemanden aufgefallen. Gäbe es nicht die Buhmann Strategie Ausländer/Flüchtlinge/Islam, wären in letzter Zeit die Neoliberalen und die AfD schwer auseinanderzuhalten.

Sollte es der AfD in der nächsten Zeit gelingen, noch mehr Wähler von einer konservativen – bürgerlichen Ausrichtung zu überzeugen oder besser, diesbezüglich zu blenden, könnte ihre Rechnung an der einen oder anderen Stelle aufgehen. Dabei wenden sie einen weiteren Kniff an. Sie kehren die Rhetorik, Argumentation, der anderen um. Zum Beispiel war der Bericht des Verfassungsschutzes ein harter Schlag. Nunmehr wird bei der AfD von einem Establishmentschutz bzw. Regierungsschutz gesprochen. Kalbitz benutzt die Beobachtung seiner Person durch den MAD als Qualitätsmerkmal. Ja, man habe ihn unter die Lupe genommen, aber es folgten keine Maßnahmen, ergo muss bei ihm alles in Ordnung sein.

Um die wahre Identität der AfD zu erkennen, muss man sich mit den Reden, Sprüchen und Aussagen am Rande des Geschehens beschäftigen. Das ZDF hat dies dankenswerterweise getan, in dem sie ein Video von 2018 zeigten, in dem der Teilnehmer einer Parteiveranstaltung Chrupalla nach den “gehängten Jungs” 1945 fragte und damit die in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher meinte. Von Besatzern, statt Alliierten zu sprechen, ist in diesem Zusammenhang mehr als verräterisch. Auch die von Höcke aufgestellte Forderung nach einer starken Führung für das Deutsche Volk ist eindeutig. Jörg Meuthen ist ein reines Aushängeschild, welches von rechtsradikalen Taktikern benutzt wird. Er glaubt vermutlich die Rechtsradikalen als Werkzeug für seine Zwecke benutzen können. Vielleicht sollte jemand dem Mann zu Weihnachten ein Geschichtsbuch schenken, in dem die “Nacht der langen Messer” abgehandelt wird. Und nicht nur er sollte mal nachlesen. Der Werteunion empfehle ich persönlich wärmstens die Beschäftigung mit der DNVP – Deutschnationale Volkspartei.