Geht doch erst einmal arbeiten!

Wenn aktuell in Deutschland Protestaktionen gegen das ausbleibende Umdenken bezüglich des Umgangs mit der Klimakatastrophe und dem Armageddon der Arten auf dem Planeten Erde stattfinden, folgt auf allen Kanälen wütendes Geschrei. “Nicht die richtige Form, falsche Zeit, falscher Ort!”
Hinzu kommen noch Beschimpfungen, die einer alten deutschen Tradition folgen. “Die sollen erst einmal arbeiten gehen, dann würden sie anders drauf sein. Immer diese Ökofaschisten.” In den 60ern – 80ern klang dies ähnlich. In dieser Zeit hieß es: “Diese langhaarigen Gammler sollen mal arbeiten gehen. Wenn es ihnen hier nicht passt, können sie ja zu ihren Kommunistenfreunden rübergehen.” Der Tenor hat sich erhalten. Die früher herum pöbelten, sind meistens bereits Geschichte. Heute sind es ihre Geisteskinder. Manch eine/r mag sich damit unangenehm angefasst sehen, weil sicherlich welche darunter sind, die niemals werden wollten wie ihre Eltern. Dumm gelaufen!
Für mich gibt es drei Positionen.
- A) Jemand bejaht, dass die aktuelle Entwicklung auf der Erde eine Klimakatastrophe darstellt. Gleichfalls sieht, mit welch rasanter Geschwindigkeit ein Aussterben der Arten vor sich geht und wie desaströs sich die bisherigen Konzepte entwickelt haben. Dennoch besteht eine letzte Hoffnung, mit weltweiten radikalen Veränderungen wenigstens den Prozess deutlich zu verlangsamen, damit auf lange Sicht das planetare System eine Chance bekommt.
- B) Jemand sieht dies alles, aber schätzt die weltpolitische Lage und die Dominanz der schädigenden Konzepte für derart übermächtig ein, dass sich nichts mehr ändern wird und am Ende in einem Clash mündet, bei dem niemand wissen kann, wie es danach weitergeht. Die Folge ist Resignation.
- C) Jemand leugnet aus welchen Motiven heraus auch immer den Prozess oder zieht sich alternativ darauf zurück, dass tatsächlich alles passiert, es aber nichts mit dem menschlichen Wirken zu tun hat.
Wer die Position A einnimmt, kann gar nicht anders, als alle Hebel in Bewegung zu setzen und radikale Forderungen zu stellen. Die Zeit für gemäßigte, abwiegende, Verhandlungen und Kompromisse, ist verstrichen. Jeder kann die globale Diskrepanz zwischen Bekundungen und tatsächlichen Handeln sehen. Die Weltmeere werden immer noch kontinuierlich als Müllkippe für Plastikabfälle, Abwässer, Chemikalien und radioaktive Abfälle benutzt. Diese Verunreinigungen kommen zu den bereits bestehenden Altlasten aus den vorhergehenden Jahrzehnten hinzu. Auf dem Festland passiert das Gleiche. Überall wird weiterhin auf die Industrialisierung gesetzt. Insbesondere gilt dies in der Agrarindustrie, was wiederum Zerstörungen durch Pestizide nach sich zieht.
Überdeutlich zeichnet sich ab, dass große Nationen einen globalen Verteilungskampf um die verbliebenen Ressourcen, vornehmlich Fossile, aber auch Bestandteile, die für neue Energiequellen benötigt werden, eröffnet haben. In mehreren Ländern werden längst Pläne erarbeitet, in denen es nur noch darum geht, mit den nach und nach eintretenden Ereignissen der Klimakatastrophe klarzukommen. Hierzu gehört auch das Verlegen von Millionenstädten ins Landesinnere. Letzteres ist ein Argument für die Position B.
Für die Kritiker der Protestaktionen bleiben B und C übrig. Position B hat aufgegeben und will das eigene Leben so gut es geht zu Ende bringen. Das finde ich legitim. Nicht in Ordnung finde ich es, wenn man dann junge Leute beschimpft, die für ihr eigenes noch länger andauerndes Leben kämpfen. Sich über eine Autobahnblockade oder eine Baumbesetzung zu mokieren ist äußerst kleinlich und engstirnig. Ich setze diese Aktionen mal in Relationen zum weltweiten Geschehen. Mitteleuropäer fordern von Südamerikanern einen sorgsamen Umgang mit dem Regenwald, sehen sich aber selbst nicht in der Lage auf ein paar Tonnen Braunkohle zu verzichten. Gleichzeitig konsumieren sie hemmungslos die Produkte, welche auf den Rodungsflächen entstanden. Ganz abgesehen davon, dass die Leute nicht roden, um zu Millionären zu werden, sondern letztlich auch nur leben wollen.
Afrikaner und Inder werden aufgefordert, einen Artenschutz zu betreiben. Faktisch kann eine Elefantenherde die Lebensgrundlagen mehrerer Dörfer mit hunderten Menschen zerstören. Kaum jemand möchte in seinem Vorgarten eine Begegnung mit einem bengalischen Tiger oder einem Leoparden haben. Den Indern muten Europäer dies zu, während zum Schutz niedersächsischer Familien Wölfe abgeschossen werden. Bären und Wisenten ergeht es nicht anders. Sie passen laut Rhetorik nicht in die Kulturlandschaft.
Aktivisten kämpfen auf den Weltmeeren mit allen Mitteln gegen Fischereikonzerne, die mittels gigantischer Schleppnetze alles Lebende töten und am Meeresboden toten Boden hinterlassen. Andere liefern sich regelgerechte Seeschlachten mit illegalen Walfängern, die ebenfalls behaupten, irgendwie überleben zu wollen. Es gäbe noch diverse andere Beispiele. Wir fordern von anderen, vor allem deutlich Ärmeren, sehr viel. Doch wenn es ans Eingemachte geht, ist der Spaß vorbei. Die alte Weltordnung soll weiterhin Bestand haben. Wir, die reichen Mitteleuropäer, leben weiter, wie gehabt und wie üblich sollen die Armen unsere Wäsche waschen. Was ist ein Stau auf der Autobahn im Verhältnis zu dem, was weltweit passiert? Nichts! Und so hart wie es klingt, selbst ein paar tausend Arbeitslose sind nichts im Verhältnis zu Millionen Menschen an Küstenstreifen, die jeden Tag zusehen müssen, wie die Existenzgrundlage zerstört wird. Ebenso nichts gegen Hunderttausende, die ihre Lebensgrundlage, den Fischfang verlieren.
Alles steht und fällt damit, wie viel Abstand man bei der Betrachtung einnimmt. Sehe ich alles nur durch meine Windschutzscheibe o. begrenze mich auf meine Stadt, steigt der Blutdruck, erweitere ich den Blick, komme ich zu einem anderen Ergebnis, welches mich die Aktivisten ganz anders sehen lässt. Position C ist durchschaubar. Fett und rund in die Katastrophe, die Schäden für die Nachkommen sind egal. Die niedrigste Stufe des menschlichen Daseins. Für die Nachkommen nicht zu sorgen, ist eine Frage der Haltung. Mutwillig zum eigenen Nutzen deren Lebensgrundlagen zu vernichten, eine ganz andere Geschichte. Sie unterscheiden sich nicht einen Deut von der Mafia, wenn sie Chemiemüll auf illegalen Deponien entsorgt und billigend die Verseuchung des Bodens mit tausenden Opfern in Kauf nimmt. Womit Position C für mich zu einer kriminellen wird. Mich wundert überhaupt nicht, dass viele mit der Position C auch noch andere kriminelle Handlungen unternehmen.