Offener Brief an Jutta Ditfurth

Lesedauer 6 Minuten

Sehr geehrte Frau Ditfurth,

wie deuteten Sie so schön in der zurückliegenden Talk – Runde bei Maischberger an: Immer mit offenen Visier, da bin ich auch dafür. Im Vorhinein muss ich sagen, diesmal (Hamburg) war ich nicht dabei, aber ich blicke auf diverse Jahre Polizeiarbeit zurück.
Mit meinem Geburtsjahrgang 1966 bin ich deutlich jünger als Sie (ich weiß klingt uncharmant, hier aber nur Erklärung), eher entsprechen Sie meinen Vorbildern in den frühen Achtzigern, bevor ich zur Polizei ging. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen die Mainzer Straße, begleitet von Ihrer politischen Freundin Renate Künast mitzuerleben, die damals vom «Räumungstango» sprach, und habe das Geschehen innerhalb der «linken Szene» in sehr unterschiedlicher Art und Weise mitbekommen.

Die Mainzer Straße hat nunmehr in Hamburg eine Wiederholung erfahren und erneut kann ich diverse Dinge nicht nachvollziehen. 30 zig! – Jahre, und nichts hat sich geändert. Der sich innerhalb der Demonstration bildende Schwarze Block existiert wie damals. Die «Schafe» stehen wie immer drum herum und schützen den Block vor dem Zugriff, damit die Polizei «doof» da steht. Pseudo – Presse rennt herum, die Freischärler stehen begleitend am Rand und warten auf Gelegenheit, Spinner rennen hysterisch schreiend durch das Geschehen und alle warten auf den Sonnenuntergang, damit der Straßenkampf richtig losgehen kann.
Sie sind ein Demo – Profi, wie ich. Wir wissen beide, welch seltsame Gestalten sich dort versammeln, wir wissen beide in welch psychologischen Randbereiche die Beteiligten von den Autonomen und Aktivisten getrieben werden, und dennoch argumentieren Sie, wie Sie argumentieren. Das verstehe ich menschlich nicht.
Wie können Sie als Profi, den Block an der Spitze als harmlos betrachten? Wir wissen doch genau, welches Anliegen diese Menschen haben. Ich räume aus meiner Sicht ein, dass der Zugriffszeitpunkt auf den Block falsch gewählt war, das hätte man in Berlin anders geregelt, aber der Zugriff hätte stattgefunden. Vermummung wegen Überwachungskameras? Also wenn ich schon demonstriere, zeige ich mich und bekenne Farbe! Das ist meiner Auffassung nach der Sinn einer Demonstration. Anders sieht es bei den eingesetzten Polizisten aus. Die Familien der Beamten müssen geschützt werden. Zu oft kam es zu Versuchen, erkannte Polizisten im Privatleben anzugehen. Dazu reichen bereits «Fahndungsfotos» von Zivilkräften, mit der Aufforderung diese bei Antreffen anzugehen. Oder das Ankleben von Zetteln, mit dem Hinweis, dass dort ein Polizist mit seiner Familie wohnen würde. Sich selbst kann man unter Umständen noch schützen, bei Frau und Kindern sieht das anders aus.

Die Unterstützungsangriffe von den Seiten her, waren auch nicht zufällig, sondern geplant. Die Taktik wurde im Vorfeld hinreichend besprochen. Sogar die Reaktionen der Normalos wurde ins taktische Kalkül einbezogen – wie immer! OK! Ich bin bereit zu differenzieren zwischen der Kritik am Polizeieinsatz an sich und den Handlungen der Gewalttäter.
Aber eines schimmert, trotz sehr genauem Zuhören bei mir durch: Ohne Polizei keine Gewalt! Ist das die Botschaft? Haben Sie vergessen, wie der entfesselte Mob in Berlin eine Tankstelle anzünden wollte? Haben Sie die «Supermollies» in der Mainzer vergessen? Zusammengeschlagene Polizisten in Zivil in Hauseingängen? Funkwagen, die in die Falle gelockt wurden, deren Scheiben zerdroschen wurden und mit Brandfackeln in Brand gesetzt wurden? Polizisten, die verzweifelt versuchten, unter dem Funkwagen vor dem Steinhagel in Deckung zu gehen, die kurz davor waren zu Schießen? Das ist alles kein Stammtisch, sondern die Realität. Die Polizei kann gegen diese Taktiken nicht gewinnen, denn dieses soll ja verhindert werden. Kleingruppenbildung, Binden der Polizeikräfte, An- und Ausziehen der Kleidung etc. vereiteln ein gezieltes ruhiges Vorgehen.

Sie sagen, bei «Welcome to Hell» muss man darüber stehen, dieser Begriff wäre in der Szene nicht negativ belegt und sie ziehen einen Vergleich zu AC/DC mit «Hells Bells». Ich bin mit dieser Musik und in diesem Umfeld groß geworden, bei mir kam die Botschaft klar und deutlich an. Schon Monate zuvor wurde ein «heißer» internationaler Empfang geplant. Wir müssen nicht darüber reden, dass die Wahl des Orts der absolute Schwachsinn war, aber die Gewaltvorbereitungen zu leugnen ist ebenso Dumpfsinn.

Auch ich finde es sehr bedauerlich, dass wegen dieser Krawalle die politische Botschaft der Demonstrationen den Bach herunter gegangen ist. Noch in der Nacht war mir klar, wie die Sache weiter laufen würde. «Die bösen Linken» würden wieder die Konservativen brüllen und die «Linken» würden wieder einmal Rücktritte fordern. Das war schon immer so, ob nun nach dem 1. Mai, Mainzer, Startbahn, Gorleben oder Brokdorf. Nun geschieht es aber in einer Zeit, in der Extremisten auf beiden Seiten erheblichen Zulauf bekommen.

Warum setzen Sie nicht alles dran, a) den Dampf aus der LINKS – Diskussion heraus zu nehmen, b) eine klare Botschaft an die Straße zu richten und c) endlich diese leidliche Polizeidiskussion zu beenden?

Bei diesen Einsätzen kann ein Mensch nur noch durchdrehen, egal wo man selbst politisch steht. Ein junger Mann, der eben noch mit Pyros eingedeckt wurde, ist zehn Minuten später immer noch auf 180!, wenn der dann auf jemanden trifft, der seiner Vorurteilsstruktur entspricht, kommt es zu unzulässigen Verhaltensweisen. Es ist nun einmal die Rolle des Polizisten, als Bollwerk zwischen den Extremisten zu stehen und immer häufiger von der etablierten Politik als Durchsetzungsmittel benutzt zu werden. Sie glauben gar nicht, wie sehr sich viele Ältere von der «Gorleben – Nummer» veralbert fühlen.

Sie haben eine politische Verantwortung in ihrem Leben übernommen. Vielleicht würde der eine oder andere Polizist auch ganz gerne «Linke» – Politische Ziele verwirklicht sehen und steht der ganzen G20 – Nummer kritisch bzw. sogar feindlich gegenüber, doch ihre rhetorischen Auftritte befördern alles ins Abseits.

Glauben sie mir, wer eine ganze Nacht lang «Steine gefressen» hat, ist etwas ungehalten, wenn die Botschaft kommt: Die Polizei ist schuld! Mehr als einmal habe ich in meinem Leben das Entsetzen über den blanken Hass in den Augen der Angreifer gesehen.

Ist es denn nicht auch die Aufgabe einer Politikerin klug und mit Weitsicht politisch zu führen? Phrasendrescherei, billige Rhetorik, Dialektik, sog. Halbwahrheiten, erleben wir jeden Tag. Der «Otto – Normal – Deutsche» wird aufgrund der Ereignisse von den «Sicherheitsschreiern» an der Wahlkabine abgeholt, im Zweifel von der CDU, im schlimmsten Fall von der AfD. Sie haben sich umfassend mit Extremismus und den Weg dorthin auseinandergesetzt. Sie kennen die Prozesse, die in eine politische Isolation führen und am Ende auch vor Menschenleben nicht mehr halt machen (u.a. aus der Forschung zur Biografie von U. Meinhoff). Aus Erfahrung – u.a. in der Beobachtung eines Jürgen Elsässer – wissen sie, wie nah Rechts- u. Linksextremismus sich stehen, wie dieses auch bei Horst Mahler zu sehen ist. All dieses, sollte sie dazu befähigen, anders an die Sache heranzugehen.
Die «Superlative» werden den Menschen in den Schädel gehämmert um von den echten Problemen abzulenken. Ich hätte mich gefreut, wenn das zum Vorschein gekommen wäre, was für mich LINKS bedeutet: intellektuell und innovativ. Leider konnte ich das in den letzten Tagen bei den Diskussionen, an denen auch sie beteiligt waren, nicht erkennen. Der Rechtsstaat war realistisch betrachtet, zu keinem Zeitpunkt in Gefahr, denn der besteht nicht aus Hamburg, da muss schon mehr passieren. Und nur, weil ein Bereich zerlegt wird, es zu Plünderungen kommt, ist die Polizei und die Welt nicht am Ende, das haben wir in Berlin am 1. Mai in den Achtzigern gelernt.
Aber eben so wenig kann von einem Versagen der Polizei gesprochen werden. Eine eigentlich nicht zu leistende Aufgabe, geboren innerhalb politischer Arroganz, wurde bewältigt, es hätte alles noch viel übler kommen können. Es galt nicht Frieden herzustellen, sondern die denkbaren Szenarien zu verhindern, und das ist gelungen. Jedes Mal, wenn es nicht zum Schusswaffengebrauch gekommen ist, kann von einem Erfolg gesprochen werden. Ich zitiere einen Autonomen: «Natürlich versuchen wir, jeden Platz zu nutzen, den man uns gibt. Werden wir nicht gestoppt, gehen wir auch die Politiker an! Aber soweit werden wir nicht kommen.»

Ich erwarte kein Distanzieren, das ist völliger Quatsch. Wer sich distanziert, muss erst einmal vorher dort gewesen sein. Hätte es sich um eine Gewalt gegen Symboliken gehandelt, wäre das etwas anderes, da sie dieses immer mal wieder als politisches Mittel in Erwägung ziehen. In Hamburg und bei den anderen Ereignissen, wurden aber keine Symboliken angegriffen, sondern Menschen. Und genau dieses haben sie in der Vergangenheit immer abgelehnt. Die angegriffenen Sachen, wurden nicht politisch, sondern taktisch ausgewählt. Da war es egal, ob es sich um einen Kleinwagen oder einen Porsche handelte. Wer in Deutschland so handelt, rollt den Kapitalismusvertretern und dem Rechtsextremismus den Roten Teppich aus und trägt am Ende die politische Mitverantwortung. Ich erinnere dabei an die Grundsätze eines Saul Alinsky, der meiner Auffassung nach richtig erkannt hat, dass ein «Negativer», der nur lange genug gedrückt wurde, eine Solidarisierung erfährt. Sinnlose Zerstörung erreicht auf diesem Wege Sympathien für die Rechten.
In Hamburg hätte diese Taktik «links» aufgehen können. Mit Wasserwerfern aufgelöste friedliche Sitzblockaden, hätten Solidarität erzeugen können. Und ich tippe mal, genau dieses versuchen sie im Nachhinein auch noch. Aber der Mob hat Ihnen einen Strich durch die Taktik gemacht. Das Ding ist durch und läßt sich nicht mehr retten. Jetzt gilt es eine Schadensbegrenzung zu betreiben, denn der politische Gegner hat Sie genau in die Ecke gestellt, wo er Sie hinhaben wollte.
Was aber zu Erwarten ist, ist eine breite gefächerte Analyse mit ein wenig Augenmerk auf die Menschen, die dort beruflich eingesetzt waren und was für das Ziel gerettet werden kann. Ich erwarte keine Antwort auf dieses Schreiben hier. Ein Nachdenken wäre schön. Politik ist auch, wenn der Bürger, seinem Volksvertreter seine Meinung sagt. Dies habe ich hiermit getan – als Bürger! Nicht als Angehöriger der Polizei, darauf lege ich sehr viel wert.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Andreas Trölsch

 

zugestellt:

2017-07-15

Was AfD, G20 Gegner u. die Rigaer vereint

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Zunächst einmal die Tatsache, dass sie beide, zwar aus unterschiedlichen Motiven heraus, radikale Positionen vertreten. Ist man selbst nicht radikal, besteht eine Neigung dazu, die Akteure nach dem Verstand zu fragen. Vorsicht ist geboten! Unterschätze niemals den gegnerischen General! (Sun Zi – Kunst des Krieges).

Mich wunderte anfangs ein wenig, warum die AfD, besonders wenn Hr. Höcke auftritt, sich auf den Schlachtruf “Merkel muss weg!” einschoss und gnadenlos alles linksseitige provozierte. Dann erinnerte ich mich nochmals an Saul Alinsky und legte seine 12 Regeln für Radikale auf die Geschehnisse der letzten zwei Jahre.

 Regel 10: „Wenn Du einen negativen hart genug drückst, wird er sich durchsetzen und zu einem positiven werden.“ Durch Gewalt von der anderen Seite kannst Du die Öffentlichkeit auf Deine Seite gewinnen, weil die Öffentlichkeit mit dem Unterlegenen sympathisiert.

Kaum verloren die LINKEN die Nerven u. verübten die ersten Anschläge, bis hin zu den Auftrittsverboten, meldeten sich die ersten aus der Mitte mit Sympathiebekundungen. Ein voller Erfolg.

Auch die G20 Gegner hatten aufgrund des Gegenwindes einen mehr als schlechten Stand. Schon Minuten nach der Räumung des Camps kam es zu empörten Aussagen aus bisher nicht erschlossenen Lagern. Weitere Sitzblockaden werden folgen und Polizisten geben beim Wegtragen nie ein gutes Bild ab. Ich erinnere dabei auch an die Aussagen des Innenpolitischen Sprechers der LINKEN, die diese Maßnahme sogar per Beschluss befürworteten.

 Regel 12: Wähle das Ziel, friere es ein, personalisiere es, und polarisiere es „Schneide das Support-Netzwerk und isoliere das Ziel von der Sympathie. Gehe hinter den Menschen und nicht den Institutionen; Menschen werden schneller verletzt als Institutionen.

Wir sind eine Parteiendemokratie, trotzdem personalisiert die Afd unentwegt. “Merkel muss weg!” In der Rigaer wurde auf diese Weise Innensenator Henkel diskreditiert und bei Geisel zeichnet sich ein ähnlicher Versuch ab.

Regel 2: „Gehe niemals außerhalb der Fachkenntnisse deiner Leute“ Es führt zu Verwirrung, Angst und Rückzug. Sich sicher fühlen stärkt das Rückgrat von jedem. (Angegriffene Organisationen fragen sich, warum Radikale nicht die „echten“ Probleme angehen. Das ist es, weshalb. Sie vermeiden Dinge, von denen sie keine Kenntnis haben.)

Bei dieser Regel hat man beinahe den Verdacht, dass sie von Björn Höcke selbst erfunden wurde. Eine Überforderung seines Publikums kann nun wirklich nicht eintreten.

Ich habe überhaupt nicht den Anspruch in diesem BLOG alle 12 Regeln durchzugehen bzw. gar das Gesamtwerk anzuwenden. Doch stelle ich mir die Frage, ob mir irgendetwas in der Presse entgangen ist. Bisher habe ich diesbezüglich keine gut aufbereitete Aufklärung darüber in den Medien gelesen oder gesehen. Ich lasse mich da aber gern korrigieren.

Letztmalig stellte ich mir diese Frage während der Griechenlandkrise, als Varoufakis, immerhin eine absolute Instanz bei der “Spieletheorie”, diese gnadenlos anwendete. In einem der Standardspiele geht es darum, wie ich in einer Verhandlung eine Situation erschaffe, in der der anderen Seite klar gemacht werden soll, dass ich von meiner Entscheidung faktisch nicht mehr zurücktreten kann, sie also nicht, selbst wenn ich wollte, verhandelbar ist. Es wird im folgenden Setting verdeutlicht: Zwei Fahrer rasen aufeinander zu. Wer ausweicht hat gewonnen. Wie kann ich dem anderen signalisieren, dass ich definitiv nicht ausweichen kann? Ganz einfach, ich halte das Lenkrad aus dem Fenster! Nichts anderes tat Varoufakis. Wer die Biografie kennt, konnte darauf recht schnell kommen.

Aber auch hierzu habe ich in der Presse nichts brauchbares zu Lesen bekommen. Lese ich die falschen Publikationen? Oder erwarte ich bei der taktischen Betrachtung, auch bezüglich der radikalen Aktionen, von der Polizeiführung schlicht zuviel Weitsicht? Ich bin gespannt, wie es weiter geht.