Die Sache mit den Zitaten …

Twitter gibt einem doch fast jeden Tag eine neue Anregung. Was veranlasst Leute dazu, ständig mit Zitaten um sich zu werfen, deren Kontext sie nicht kennen oder mal eben übergehen?
Konservative ziehen sich gern in Diskussionen auf das Zitat: „Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer mit 40 Kommunist ist, keinen Verstand.“ zurück. Letztmalig knallte mir das der Twitterer centurio@centurio555 in die Timeline.
Erste Frage: Wer hat es gesagt? Zweite Frage: Historischer Kontext und Zusammenhang. Schon bei der ersten Frage, wird es kompliziert. Die Zuordnungen Winston Churchill und Georges Clemenceau halten sich die Waage.
Clemenceau? Der 1841 geborene französische Politiker wurde 88 Jahre. Von 1906 bis 1909 und noch einmal von 1917 bis 1920 war er französischer Ministerpräsident. Er gehörte der «Parti républicain, radical et radical-socialiste» an, die sich damals als Volkspartei verstand. Radikal war sie deshalb, weil sie nichts mit der Monarchie zu tun haben wollte und sich mit der Französischen Revolution identifizierte. Am ehesten läßt sich seine Partei damals mit der SPD vergleichen. Alt und verbittert zog er sich zum Ende seines Lebens aus der Politik heraus.
Auch ein Churchill kämpfte seine gesamte Lebenszeit über mit Depressionen und Verbitterung. Da klingelt es ein wenig bei mir. Sozialismus ist nicht einfach. Die einfachen Antworten liegen auf der rechten Seite der Politik. Das utopische Element im Sozialismus kann dabei nicht übersehen werden. Als das Zitat entstand, hatte der Sozialismus auch noch ganz andere Problemstellungen als heute. Dann sollte es doch bitte auch als Produkt dieser Zeit verstanden werden und nicht im 21. Jahrhundert verzweifelt bemüht werden.
Die Zitierenden haben ohnehin meistens ein Problem mit der Differenzierung zwischen Sozialismus, Kommunismus und Anarchisten. Alles was nicht konservativ ist, muss sich da irgendwie in diesem Topf befinden. Ich räume aber ein, dass die andere Fraktion auch nicht glänzt. Da wird wild mit rechts, konservativ, rechtsradikal, rechtsextrem, nationalsozialistisch und faschistisch jongliert.
Ich habe die Frage nach der Motivation gestellt? Ich denke mal, sie können einfach nicht anders. Sonst hätte mich der geschätzte «Centurio» ja als «hirnlos» bezeichnen müssen. Hätte er ruhig machen können, ich bin da schmerzfrei. Es fehlt schlicht an den eigenen Argumenten. Nebenbei war der gute «Centurio» beleidigt, als ich ihn auf die Herkunft des Zitats hinwies.
Mich erinnert das an ein anderes gern verwendetes Zitat. «In einem gesundem Körper, steckt auch stets ein gesunder Geist.» Zunächst ist es in dieser Form falsch. Richtig heißt es, „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ lat.: «Mens sana in corpore sano». Und dies ist auch noch eine böswillige Verkürzung. Die Redewendung ist ein verkürztes Zitat aus den Satiren des römischen Dichters Juvenal. Wörtlich heißt es in Satire 10, 356:
[…] orandum est ut sit mens sana in corpore sano. „Beten sollte man darum, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei.“
(Quelle: Seite „Mens sana in corpore sano“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 18. Januar 2017, 07:11 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Mens_sana_in_corpore_sano&oldid=161749764 (Abgerufen: 14. Mai 2017, 19:10 UTC)
Klar ausgedrückt: Juvenal gingen seine muskelösen eingeölten Mitbürger auf den Zünder und er fordert sie auf, weniger für einen gesunden Körper die Götter anzurufen, als für einen wachen Kopf! Welch ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die stupiden Sportfanatiker sich dieses Zitat zueignen. Und schon bin ich gedanklich wieder beim Sozialismus und den Konservativen. Ich erahne, das etwas anderes gemeint war.
So ist das mit den Zitaten. Was will mir der Urheber sagen und was machen seine Gegner am Ende daraus? «Carpe Diem!» Wird fast nur von Menschen benutzt, die mir sagen wollen: «Alles was Du heute erledigen kannst, verschiebe nicht auf Morgen!» Was wollte mir der Rotwein trinkende römische Dichter tatsächlich sagen? «Pflücke den Tag!» Also ich soll jeden Tag genießen, achtsam leben und verstehen, dass es ein Morgen vielleicht nicht gibt.
Fazit: Immer schön vorsichtig mit den Zitaten umgehen!